Zeugnisse über Volkslieder

[5] Die Volkspoesie, ganz Natur, wie sie ist, hat Naivetäten und Reize, durch die sie sich der Hauptschönheit der künstlichvollkommensten Poesie gleichet.

Montagne B. 1. Kap. 54.


– – Sind Blumen, nicht, die feine Kunst

Auf Beeten zog, in Sträusser zierlich band,

Sind Blumen, die Natur, die gute Mutter,

Auf Hügel, Thal und Ebnen ausgoß.

Milton.


Nie hörte ich den alten Gesang Percy und Duglas, ohne daß ich mein Herz von mehr als Trompetenklang gerührt fand. Und doch war's nur irgend von einem blinden Bettler gesungen mit nicht rauherer Stimme als Versart – – –

Philipp Sidney.


Ein gewöhnlicher Volksgesang, an dem sich der gemeine Mann ergötzet, muß jedem Leser gefallen, der nicht durch Unwissenheit oder Ziererey sich jeder Unterhaltung unfähig gemacht hat. Die Ursache ist klar: Die nähmlichen Naturgemählde, die ihn dem gemeinsten Leser empfehlen, werden dem feinsten als Schönheit erscheinen – – –

Addison Zuschauer N. 70.


Lord Dorset, der wizigste Kopf, zugleich der redlichste Mann und einer der besten Kritiker und feinsten Dichter seiner Zeit, hatte eine grosse Anzahl alter Balladen und fand an ihnen groß Vergnügen. Das nehmliche kann ich von Dryden und einigen der feinsten Schriftsteller unsrer Zeit anführen – –

Addis. Zusch. N. 85.
[5]

Der gelehrte Selden war recht verliebt, diese alten Gesänge zu sammlen. Er fing die Pepys'sammlung an, die, bis 1700 fortgesetzt, über 2000 Stücke enthält – – – und pflegte überhaupt zu sagen, daß Dinge der Art das treuste Bild der Zeiten und den wahren Geist des Volks enthielten, so wie man »an einem in die Luft geworfenen leichten Strohhalm eher sehen könne: woher der Wind komme? als an einem schweren grossen Steine.« – S. Percy' Vorrede seiner Reliques of Anc. Engl. Poetry, hin und wieder, wo er auch die Namen Shenstone, Wharton, Garrik, Johnson, die besten neuern Köpfe Englands, als Beförderer und Liebhaber dieser Sammlung oft anführet.


***


Musika ist eine halbe Disciplin und Zuchtmeisterin, so die Leute gelinder und sanftmüthiger, sittsamer und vernünftiger machet. Die Musika ist eine schöne herrliche Gabe Gottes und nahe der Theologie. – – –

– Und sprach ferner darauf, wie gehet's doch zu, daß wir in Carnalibus so manche feine Poemata, und in Spiritualibus da haben wir so faul kalt Ding' und recitirte einige deutsche Lieder: den Turnier von den vollen u.f.

Luthers Tischreden.


Alle Nation haben ihre Zungen und Sprachen in Regeln gefasset, auch in ihre Kroniken und Handelbücher verzeichnet, wo etwas ehrlichs und mannlichs gehandelt, oder etwas künstlichs und höflichs ist geredt worden von den Ihren. Allein wir Deutschen sind Deutschen, haben solchs vergessen, das Unser geringe geachtet, wie ehrlich es auch gewesen, und auf andrer Leute und fremder Nation Wesen, Sitten und Geberde gegaffet, gleich als hätten unsere Alten und Vorfahren nie nichts gehandelt, geredet, gesetzt und geordnet, das ihnen ehrlich und rühmlich nachzusagen wäre. –

Agrikola Vorr. zu seinen deutschen

Sprüchwörtern. 1530.
[6]

Gluck bemerkte, was die Zuhörer am meisten zu empfinden schienen, und da er fand, daß die planen und simplen Stellen die meiste Wirkung auf sie thaten: so hat er sich seit der Zeit beständig beflissen, für die Singstimme mehr in den natürlichen Tönen der menschlichen Empfindungen und Leidenschaften zu schreiben, als den Liebhabern tiefer Wissenschaft, oder grosser Schwierigkeiten zu schmeicheln; und es ist anmerkenswerth, daß die meisten Arien in seiner Oper Orpheus so plan und simpel sind, als die Engländischen Balladen.

Er ist dafür, die Musik zu simplificiren; und statt mit grenzenloser Erfindungskraft und Fähigkeit die eigensinnigsten Schwierigkeiten hervorzubringen, und seine Melodien mit buhlerischen Zierrathen zu verbrämen, thut er alles mögliche, seine Muse nüchtern und keusch zu erhalten.

Burneys Musik. Reise Th. 2. S. 195. 175.


Lord Marschall hatte sich eine Sammlung von Nazionalmelodien gemacht, von fast allen Völkern unter der Sonnen. Er hatte fast bei jedem Stück eine Anekdote. Er erzählte mir auch von einem Bergschotten, welcher allemal weinte, wenn er eine gewisse langsame schottische Melodie spielen hörte.

Burney Th. 3. S. 85. 87. 88.


Sie würden auch daraus lernen, daß unter jedem Himmelsstriche Dichter geboren werden, und daß lebhafte Empfindungen kein Vorrecht gesitteter Völker sind. Es ist nicht lange, als ich in Ruhigs Litthauischem Wörterbuche blätterte, und am Ende der vorläufigen Betrachtungen über diese Sprache eine hierher gehörige Seltenheit antraf, die mich unendlich vergnügte. Einige Litthauische Dainos, oder Liederchen, nehmlich wie sie die gemeinen Mädchen daselbst singen. Welch ein naiver Witz! Welche reizende Einfalt!

Leßing in Litter. Br. Th. 2. S. 241. 242.
[7]

Keine Nazion in der Welt müste, meines Erachtens, einen reichern Schatz an Ueberbleibseln dieser Art aufzuweisen haben, als unsre nordische, vornemlich die Dänische, wenn wir erst einmal anfingen, so aufmerksam auf unsre eignen Vortheile zu werden, als es die meisten andern auf die ihrigen sind. Wir haben schon jezt eine ganze Sammlung alter lyrischer Gedichte, unter dem Namen Kiämpe-Viiser: nur Schade, daß die schätzbarsten Stücke aus ihren ursprünglichen Runen in das neuere Dänische übergetragen, und folglich um ein grosses Theil ihres Ansehens gekommen sind, u.s.w.

Gerstenberg. Br. über Merkw. d. Litt.

St. 1. S. 108.


Wer nicht liebt Weib, Wein und G'sang,

Der bleibt ein Narr sein Lebenlang.

Luther.


Die Fortsezung künftig.[8]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 5-9.
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