Fünfte Sammlung

[271] (1795)
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54.

Der Wunsch unsres Freundes40 fängt an, in Erfüllung zu gehen: »Bekenntnisse merkwürdiger Männer von sich selbst« sind in zwei Bändchen erschienen, die zu mehreren Hoffnung erwecken und Hoffnung geben.41 Petrarca, Augustin, Uriel Acosta, Franz Junius, Comenius, Holberg, Leibniz sprechen hier allesamt in der eignen Sprache ihres Herzens und Geistes. Von Petrarca sind seine drei Gespräche über sich selbst, »Mein Geheimnis« genannt, ganz übersetzt, Augustins »Bekenntnisse« im Auszuge. Acostas »Exemplar vitae humanae,« wie es Limborch, Franz Junius' Lebensbeschreibung, wie sie Merula bekanntgemacht, Comenius' Bekenntnis von sich aus seinem »Eins ist Not« (unum necessarium), Holberg, Leibniz aus ihren Briefen. – Können verschiedene, allesamt merkwürdige Männer in einem engeren Raum auftreten und von sich zeugen?

Ihrem eignen Zeugnisse hat der Autor mit Erzählung ihrer Lebensumstände fortgeholfen, wie, dünkt mich, notwendig und recht ist. Was weiß ein Sterblicher, wer oder wozu er da sei? zu welchen Zwecken ihn die Vorsehung in ihrem großen Plan brauchen werde? Er schüttet sein Herz aus, in Freude oder meistens in Leid, vor Gott, vor sich selbst oder vor Men schen; sein Auge blickt nieder zur Erde. Denn seiner Schwächen, seiner mühsamen, oft eiteln Bestrebungen, seines Kampfes mit sich und mit andern demütig bewußt, zählet er sich kaum und kann und darf nicht rechnen, was seine Ziffer zum großen Nenner der Welt bedeute oder bedeute[273] werde. Hier darf der Autor, der den Bekennenden als Freund vorführt, zumal wenn er Jahrhunderte nach ihm lebet, wohl ein Wort über ihn sprechen und auf der großen Tafel der Weltbegebenheiten zeigen, wo er stand, wo er künftig stehen möchte.

Petrarca war eine der zartesten Seelen, die in menschlichen Körpern erschienen. Nicht seiner Sprache allein hat er jene Formen süßer Sonette und Kanzonen und mit diesen zugleich die erlesensten Gedanken der Provenzalen, ja jenes Ideal einer Liebe eingedrückt, die sich mehr im Himmel als auf der Erde fühlet, sondern für ganz Europa war er ein eifriger Erwecker der Alten; für Italien, für Rom war er ein Patriot, desgleichen es unter den Petrarchisten keinen mehr gab, und, was über alles geht, ein strenger Bearbeiter seines Herzens und Geistes. Seine Briefe und andre lateinische Schriften sind eine eigentliche Schule der Bildung sein selbst, voll männlicher Unterhaltung. Eine Seele dieser Art, die allenthalben Ruhe suchte und sie nirgend fand, in einsamen Selbstgesprächen mit ihrem Schutzgeist sprechen zu hören mag freilich eitele Leser ermüden; Beobachter menschlicher Sinnesarten aber werden ihr angenehm lauschen, und zarte Gemüter, wie Petrarca selbst war, wird er tief in ihr Inneres führen. Diese Bekenntnisse und die »Nachrichten zu dem Leben des Petrarca«42 müssen jedem, der fürs stille Gemüt lieset, eine liebe Unterhaltung sein.

Augustin (der zweite Mann, den unser Autor in seinem Selbstbekenntnisse darstellt) war ein Kirchenvater; er ist's auch in seinen »Konfessionen«. Um die Seele eines Kirchenvaters kennenzulernen, von der manche, die auf diesen Namen schmähen, fast keinen Begriff haben, muß man sie lesen. Die ganze Denkart, ja, ich möchte sagen, der Witz, die Phantasie, selbst die täuschende Sophisterei Augustins ist in ihnen. Unser Autor ist über ihn nur kurz gewesen, denn über Augustin müßte man ein Buch schreiben.

Welche Kämpfe hat der arme Acosta sich zugezogen! welche[274] Verfolgungen der redliche Junius standhaft ertragen! Auch bei Comenius siehet man seinen zwar nicht tiefdringenden, aber vielumfassenden Geist, seinen allenthalben aufs Nutzbare, auf Reform der Wissenschaften und Schulen gestellten Sinn. Über ihn, der für sein Zeitalter mehr als Basedow war und noch mehr hätte sein können, wünschte ich, daß jemand ausführlicher spräche.

Holbergs Leben ist äußerst merkwürdig und unterhaltend, wie es auch der Mann selbst war. In seiner Zeit und Lage, nach einer solchen Jugend hat er ungemein viel geleistet; er riß sich selbst über die Denkart seines Landes hervor und ward, zwar in keiner Bemühung ein Stern erster Größe, allenthalben aber ein freundlicher Stern mitten im dichten Nebel. Manche seiner Schriften sind noch jetzt sehr lesbar, zumal sein »Klim« und seine »Briefe«. Unter den Alten waren ihm Plutarch und Lucian, Terenz, Ovid, Juvenal, Petron und Plinius, unter den Neuern nebst einigen Geschichtschreibern Grotius, Bayle, le Clerc, Molière die liebsten; man siehet die Spuren davon in seinen Schriften, in denen sich nirgend ein tiefer, allenthalben aber ein heller, lebhafter, vernünftiger, moralischer Geist zeiget.

Leibniz endlich – hier konnte unser Autor, der die bekannten Lebensumstände nicht wiederholen wollte, wenig sagen, denn die Geschichte seines Geistes hat Leibniz uns nicht selbst geschrieben. Er lebt für uns in seinen Schriften, aus welchen hier einige Umstände zusammengestellt sind. Hören Sie von ihm eine Weissagung:

»Ich finde, daß solche (leichtsinnige, irreligiöse) Meinungen, indem sie je mehr und mehr unter Leuten von der großen Welt, nach welchen sich die übrigen zu richten pflegen, Liebhaber finden und sich in die Modebücher einschleichen, alles zu der Generalrevolution, von welcher Europa bedrohet wird, zubereiten und die Zerstörung alles dessen vollenden helfen, was von den edlen Grundsätzen der Griechen und Römer, welche die Liebe des Vaterlandes, des gemeinen Wesens und die Sorge für die Nachwelt ihrem eignen Glück,[275] ja selbst dem Leben vorzogen, bis jetzt noch übriggeblieben ist. Der Gemeingeist (public spirit) vermindert sich außerordentlich, kommt je mehr und mehr aus der Mode und wird noch mehr abnehmen, wenn er aufhört, von einer guten Moral und der wahren Religion, wie selbst die gesunde Vernunft sie uns lehrt, unterstützt zu werden. Sogar die Bessern von der entgegengesetzten Seite nehmen kein andres Principium mehr als die Ehre an. Bei ihnen aber heißt ein Mann von Ehre schon der, der nichts tut, was sie für niederträchtig halten. Und wenn sogar einer aus Laune, oder um seine Ehrsucht zu befriedigen. Ströme Blutes vergießen und alles übereinander werfen würde, so wäre ihnen das alles nichts, und selbst ein Herostrat würde ihnen ein Held sein. Laut macht man sich über die Liebe des Vaterlandes lustig; laut macht man die lächerlich, die für das allgemeine Beste sorgen; und zeigt jemand in der reinsten Absicht die traurigen Aussichten, die sich uns für die Zukunft eröffnen, so ist die Antwort: ›Laß diese für sich sorgen.‹ – Leicht aber dürften solche Leute zuerst das Unglück erfahren, welches sie bloß für andre aufbewahrt glauben. Kommt man dieser epidemischen Krankheit, deren üble Wirkungen bereits sichtbar zu werden anfangen, noch in Zeiten vor, so lassen sich ihre Folgen vielleicht noch hemmen Nimmt sie aber überhand, so wird die Vorsicht die Menschen gerade durch die Revolution, die daraus entstehen muß, heilen und, was auch kommen mag, am Ende zum Wohl des Ganzen leiten, ob dies gleich ohne Züchtigung derer, die durch ihre bösen Handlungen wider ihren Willen zur Beförderung des Guten beitrugen, weder erreicht werden wird noch erreicht werden kann.«

Soweit Leibniz. Wünschen Sie nicht, daß unserm Autor viele, auch ungedruckte Bekenntnisse merkwürdiger Männer zukommen mögen? Wenn in unserm Vaterlande der moralische Gemeingeist, über dessen Abgang Leibniz klaget, noch nicht ganz ausgestorben ist, so sollte dieser ihm solche in sein Sacrarium treuer Bekenntnisse zuführen.
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55.

Angenehm hat mich der Name Petrarca in Ihrem Briefe geweckt; er erinnerte mich an die Zeiten, da ich, nicht etwa nur seine Sonette und Kanzonen, sondern die Nachrichten aus seinem Leben43 und die merkwürdigsten seiner Schriften und Briefe selbst las. Welch eine falsche Idee hat man gemeiniglich von Petrarca! Wie falsch wäre auch die, wenn man sich aus diesen Selbstgesprächen etwa nur eine bußfertige Seele oder einen mit sich selbst Unzufriedenen abzöge! Ganz ein andrer Geist lebte in Petrarca.

Zuerst trug er das große, unaustilgbare Gepräge der Liebe des Altertums in seiner Seele; ein Gepräge, das mir allenthalben ehrwürdig ist, wo ich's gewahr werde, und das uns bei ihm, zu seiner Zeit, unter seinen Umständen, in der Anwendung, die er davon machte, äußerst wohltut. Die Griechen kannte er wenig und setzte sie den Römern nach; er ward mit ihrer Sprache zu spät bekannt, und da er die Römer als seine Landsleute ansah, deren Glanz in Italien er wiederzusehen wünschte, so gab ihnen dieses schon in seiner Seele einen Vorrang vor allen Völkern der Erde. Nie haben ihre Redner, Dichter und Weisen einen eifrigern Schüler gehabt als ihn, der nicht etwa nur in der Sprache ihnen nachzubuhlen suchte, sondern ihren großen Sinn, ihre hohe Gedankenweise zur seinigen machte. Dies zeigen seine Schriften und Briefe, seine Sammlungen von Beispielen der Vorwelt, die Grundsätze, an welche er sich hielt, mit welchen er andre tröstete oder weckte, endlich seine lateinischen Gespräche, Gedichte und andre Einkleidungen, in denen man bis zu seinen höchsten Jahren hinauf den Schüler der Alten wahrnimmt. Hier klopft Petrarca jedem Jünglinge und Mann auf die Schulter: »Liesest du die Alten also? wendest du sie also an?« Petrarcas lateinischer Stil mag unrein sein; seine Denkart war es nicht. Ein Freund des Vaterlandes, wie Tullius[277] und Cato, weiß er die strengen Grundsätze eines Seneca durch die gesellschaftliche Teilnehmung und Gefälligkeit des Horaz anmutig zu mildern. Manche Briefe, in denen er seine Schwachheiten liebenswürdig bekennet und entschuldigt, ja gleichsam mit seinem eignen Herzen spielet, sind ganz in der Denkart Horaz, geschrieben, und eine sittliche Urbanität ist der Charakter aller seiner Schriften.

Dies Gefühl also, nach welchem er ganz unter den Alten lebte, webte den Faden seiner Begebenheiten und ward, wie man sagt, der Schmied seines Glücks. Auf eine niedrige Weise nach den Begriffen seiner Zeit ein Glück machen, konnte und wollte er nicht; er schlug dazu alle Gelegenheiten aus, die er auch nicht zu brauchen gewußt hätte; dagegen erwarb er sich eine Liebe und Anhänglichkeit, ein Ansehen und einen Namen, über welchen man fröhlich erstaunet. Welche Briefe und Anreden, die er an Kaiser, Könige, Päpste, Kardinäle, Bischöfe und Fürsten schrieb! und welche Art, in der sie aufgenommen wurden! Keine Veränderung der päpstlichen und bürgerlichen Welt, die einigermaßen sein Italien betraf, ging vor, ohne daß er den lebhaftesten Anteil daran genommen hätte, eben weil sein Vaterland so ganz in seinem Herzen wohnte. Vergleicht man in diesem Punkt, im Punkt der Achtung nämlich, die man dem hellen Verstande, der reinen Wissenschaft Petrarcas erwies, seine Zeiten mit den unsrigen, welche soll man barbarisch nennen? Dort hatte man wenigstens eine Achtung für den Verständigen, der, obwohl bloß ein Mann der Wissenschaft und kein Staatsdiener, bei öffentlichen Anlässen anmunterte, riet, warnte, lehrte; jetzt würde dem Petrarca selbst schon der poetische Lorbeerkranz auf seinem Schädel allenthalben ein Stillschweigen auflegen, wo er nicht zu loben vermöchte Und doch war es eben und einzig diese Liebe und Achtung für Wissenschaften, die den Zeiten aufhalf, ohne welche wir noch in der Barbarei lägen. Wer siehet nicht noch jetzt das Bild des Königes Roberts von Neapel, der edlen Colonnas und so mancher andern seiner großen Freunde in Petrarcas Schriften mit Liebe und Bewunderung[278] an? Wie in einem Traum lieset man ihre freundschaftlichen Briefe und hört Petrarcas Zeugnisse von ihnen, bis man durch Zeugnisse von andern, die nicht so dachten, eben auch in denselben Briefen unangenehm aus dem Traume geweckt wird.

Endlich ist das Ideal von Liebe, das Petrarca mit sich trug und in seinen Gedichten mit unglaublicher Kunst und Sorgfalt ausbildete, gewiß die kleinfügige Idee nicht, die man gewöhnlich sich an ihm denket. Laura möge in Person oder zum leibhaften Petrarca gewesen sein, wer sie wolle; dem geistigen Petrarca war sie eine Idee, an die er auf Erden und im Himmel, wie an das Bild einer Madonna, allen Reichtum seiner Phantasie, seines Herzens, seiner Erfahrungen, endlich auch alle Schönheiten der Provenzalen vor ihm, dergestalt verwandte, daß er sie in seiner Sprache zum höchsten, ewigen Bilde aller sittlichen Weibesschönheit zu machen strebte. Auf griechische Weise konnte dies nicht geschehen; eine nackte Grazie oder eine Venus Urania konnte und wollte er nicht malen; er wählte also die Züge, die in seinem Zeitgeist, in der provenzalischen Poesie, in den Begriffen seiner Religion und ihren Darstellungen als Stoff eines reinen weiblichen Ideals sittlicher Humanität zerstreuet dalagen, und bildete seine Madonna daraus, die irdische und himmlische Laura. Diese zeigte er in Wirkung auf sich, auf sein eigen Herz, und zwar in mancherlei Umständen, in Wirkung auf seine Schwachheiten sowohl als auf die edlere Seite seines Gemüts; hiedurch allein ward sie anziehend und belehrend. Denn eine Schönheit, die keine Liebe erregt, eine Liebe, die nur Bewunderung ist und ohne Kampf mit sich, ohne Fehler und Schwachheiten seufzet, sind ohne Reiz und Anwendung. Von allem Sittlich-Schönen im weiblichen Charakter pflückte Petrarca die Blüte und wand seiner irdischen Freundin, die er vielleicht nur hie und da in seiner Jugend gesehen haben mag, die eines andern Mannes Weib und Mutter von Kindern war, die diese Gedichte vielleicht nicht verstand, die wenigsten sah (denn die schönsten sind nach ihrem Tode gedichtet), einen unsterblichen Kranz um ihre unschuldige[279] Schläfe. Wer den Geschmack der provenzalischen Poesie, wer die Beatrice des Dante kennet, wird hieran nicht zweifeln und die Mühe bedauren, die der Lebensbeschreiber Petrarcas, ein Abkömmling der angeblichen Laura, auf die Anwendung jedes Zuges, der ihre Person betreffen soll, gewandt hat. Jeder Liebhaber kann und soll seine Laura in Petrarcas Gedichten finden; er soll sein Herz mit allen Schwachheiten auch darin finden und die Läuterung wahrnehmen, die ein reiner weiblicher Charakter im Gemüt sowohl des Jünglinges als des Mannes bewirken soll und kann. Hiezu steht Laura da; und ich wüßte nicht, ob es einen schönern Zweck der Poesie der Liebe gebe, wenn einmal diese Gattung Poesie da sein soll. Gegen die römischen Dichter des Amors, Horaz, Tibull, Properz, macht Petrarca, der Idee seiner versi volgari nach, keinen kleineren Unterschied, als den er der Sprache, den Nationen und Zeiten selbst nach machen mußte. Von unsern erotischen Dichtern steht er in gleichem Maße gesondert. Da es indessen doch wohl niemanden zu verargen sein wird, wenn er in seine Liebe Gemüt bringet und sie nicht bloß als ein Werk des Bedürfnisses und der Konvenienz betreibet, so sehe ich auch Petrarcas Laura als ein Ideal an, das keinen Jüngling verführen, das jedem edelgeschaffenen Jünglinge als ein Madonnenbild alter Zeiten in einer so schönen Sprache wohltun wird. Die Empfindungen Petrarcas in Ansehung der Freundschaft gegen Freunde waren diesem Ideal nicht entgegen, und Italien, Rom, seine Sprache, die Menschheit waren seines Gemüts ewige Laura. Als ich in einer schönen Morgenstunde den letzten Aufenthalt seines irdischen Daseins vorüberfuhr, umfing mich eine so süße Erinnerung seines freundschaftlichen Herzens und ganzen Lebens, daß ich nicht anders als die letzten Worte seines letzten Briefes ausrufen konnte: »Valete, amici, valete, epistolae.« Er starb im Jahr 1374; man weiß nicht recht, wie und wann; gnug, daß man den ruhigen Greis an seinem Pulte sitzend tat fand. Valete amici.
[280]

56.

So angenehm mir Petrarca war, so weh tat mir Uriel Acosta in seinem letzten Selbstbekenntnis. Der arme Jude, von Zweifeln über Seine Religion ergriffen, gab alle Verhältnisse seiner edlen Geburt, seines Glückes und Standes auf, suchte Ruhe hie und dort, fand an seinen nächsten Verwandten die ärgsten Feinde und endigte damit, daß er, als ein Neuaufgenommener in der Synagoge seiner Glaubensgenossen, schimpflich entblößt, mit Füßen getreten, gepeitscht, verspeiet, es nicht länger ertragen zu dürfen glaubte und sich selbst den Tod gab. Die Aufschrift seines Urlaubes aus dem Leben: »Exemplar humanae vitae,« rührete mich von jeher; und o möchte ein jeder, der, von Menschen aus der Welt gedrängt, zuletzt noch einige Worte für Menschen zu schreiben guten Willen und Kraft hat, sein Exemplar des menschlichen Lebens dem Exemplar des Acosta hinzufügen! Die Menschheit erhielte damit eine Anzahl sonderbarer Exemplare.

Von Kindheit auf ist mir nichts abscheulicher gewesen als Verfolgungen oder persönliche Beschimpfungen eines Menschen über seine Religion. Wen gehet diese als ihn selbst und Gott an? Ja, wer weiß nicht, was an dem Wort Religion, sobald es innere Überzeugung und Gefühl betrifft, für tiefe Skrupel und Schwierigkeiten haften? Dem ist dieses, einem andern das aufs innigste anstößig; zu diesem Ausdruck kann er sich nicht gewöhnen, von jener früh erfaßten Vorstellungsart auf keine Weise sondern. An ihr hangen seine moralischen Begriffe, an ihr vielleicht seine vornehmste Trieb feder, ja sein Ideal der Moralität selbst. Dieser findet Zweifel, wo keiner sie findet; die schwarze, phantastische Fliege verfolgt ihn, ohne daß ein andrer als er sie siehet. Wie grausam ist's also, wie unvernünftig, nutzlos und unmenschlich, wenn sich ein Mensch, ein Gericht, eine Synagoge das Verdammungs-, das Verfolgungsurteil über die Religion eines andern, wäre er auch ein Neger und Indier, anmaßt!
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Mit Schauder lieset man Acostas Erzählung, Klagen und Seufzer, die er im tiefen Schmerz über die ihm, einem Rückkehrenden, in einem Gotteshause zugefügte peinliche Beschimpfung ausstößt44 und die mit dem traurigen Gefühl der völligen Verlassenheit und Ohnmacht enden: »Hier habt ihr die wahre Geschichte meines Lebens, und welche Person ich auf dem eiteln Schauplatz dieser Welt, in meinem unbeständigen und unglücklichen Leben gespielt habe. Richtet nun gerecht und unparteiisch, ihr Söhne der Menschen; richtet frei und nach der Wahrheit, wie es sich Männern geziemt. Findet ihr etwas, das euch zum Mitleiden hinreißt, so erkennt und beweint das traurige Los der Menschheit, das auch euch zuteil geworden ist.« –

Dank der Menschheit sei allen denen, die so unerträgliche Lasten und Fesseln, die jede unziemende Beschimpfung, jede kränkende Verfolgung, die Menschen Menschen von göttlichen oder menschlichen Rechts wegen ungescheuet, ja pflichtmäßig und frohlockend antaten, in ihr wahres Licht stellten. Grotius, John Locke, William Penn, Shaftesbury, Bayle, Leibniz, auch Spinoza, Voltaire und mehrere nicht zu vergessen, was für Gesinnungen sie übrigens in andern Dingen haben mochten, in diesem Punkt sind sie Friedensengel im Namen aller derer geworden, die (um mich eines schauderhaften Bildes der Apokalypse zu bedienen) als Erwürgte unter dem Altar um Rache rufen und in ihrem Blut weiße Feierkleider begehren. Die Rache solcher Verfolgungen ist nie ausgeblieben und bleibet nie aus; es wäre aber endlich Zeit, daß wir aus bessern Gründen als aus der Furcht solcher Rache zum Gefühl der Wahrheit und Menschlichkeit gelangten. Auch unsern deutschen Rechtslehrern, Thomasius, Polykarp Leyser, Hommel u. f., die über die mit Blut geschriebenen Carpzowschen Gesetze hie und da die Fackel der Vernunft angezündet und mildere Grundsätze in Gang gebracht haben, werde Dank. Sie taten, was sie tun konnten.[282]

Vor andern, dünkt mich, sind in Briefen Gesinnungen der Humanität wirksam verbreitet worden, selbst wo sie das strenge Rechts-, Staats- und Kirchensystem noch nicht aufnehmen durfte. In Briefen an Freunde schüttete mancher sein Herz aus, wie er es in Schriften zu tun nicht wagte, und die Briefgestalt selbst ward zur glücklichen Form, milde Gesinnungen über einzelne Vorfälle sowohl als über Lehren und Personen Freunden oder dem Publikum verständlich zu machen und ans Herz zu legen. Holbergs Briefe gehören auch in diese Zahl; in England und Frankreich ist die Art eines humanisierten Vortrages durch Briefe sehr ausgebildet worden und hat die nützlichsten Grundsätze verbreitet. In England z.B. fanden Plinius' Briefe eine glückliche Aufnahme; die Ersten der Nation buhlten ihnen nach. Selbst die erdichteten Briefe des Phalaris schätzte der Ritter Temple übermäßig hoch, so daß seit Addison ihre Wochenschriften, seit Richardson ihre Romane vorzüglich die Gestalt der Briefe liebten. Die französischen Briefeinkleidungen vom türkischen Spion an bis zu den persischen und so viel andern Briefen sind jedermann bekannt; durch Einkleidungen solcher Art gewann nicht nur die Sprache, sondern auch der denkende Geist Leichtigkeit und Freiheit. Ohne eine Abhandlung oder Deduktion schreiben zu wollen, konnte man Gedanken, Empfindungen äußern, seinen Verstand berichtigen, sein Urteil am Urteile des andern schärfen und prüfen. In Deutschland hat aus mehrern Ursachen diese Form meistens nur gelehrte Urteile, Trivialitäten oder Romane betreffen können – –

Ich wünschte eine Auswahl treffender Stellen aus den wahren Briefen merkwürdiger und großer Männer; dem Sammler der Selbstbekenntnisse, einem Mann von reiner, fürs wahre Wohl der Menschheit gestimmten Denkart, möchte ich sie am liebsten empfehlen. Von Staatsmännern, Kirchenvätern, Reformatoren, Sektierern, von Gelehrten und Weisen aller Art ist eine so ungeheure Menge Briefe ans Licht gefördert worden, daß eine Auswahl ihrer eigensten Meinungen und Urteile über Begebenheiten, Schriften, fremde Meinungen[283] und Handlungsarten die lehrreichste Unterhaltung sein müßte Wer kann, wer mag jetzt das große Epistelfach berühmter und nicht berühmter Männer mit gehörigem Fleiße durchstören? Und doch liegt so manches Merkwürdige, Angenehme und Nützliche in ihm!




57.

Sie wünschten, daß jemand über den menschenfreundlichen Comenius ausführlicher spräche. Der bescheidene Mann spricht von sich selbst (auch wo er es tun sollte und konnte, in seiner Kirchengeschichte der Böhmischen Brüder) sehr wenig; das einzige Notwendige lag ihm zu sehr am Herzen.

Wenn ich einen Mann unsrer Nation (denn warum sollte man Böhmen und Mähren nicht zu Deutschland rechnen?) mit dem guten St. Pierre vergleichen möchte, so wäre es Comenius – und dies gewiß nicht zu seinem Nachteil. St. Pierre hat durch seine Schriften, die, als sie erschienen, wenige lasen, mehrere ungelesen verlachten, andre auf eine schale Art widerlegten, ja, deren offenbarste Wahrheit ihm sogar Verdruß zuzog, in der Folge mehr Gutes gewirkt als manche blendende Schriftsteller seines Zeitalters, die ihn aus der Akademie verwiesen Seine Träume von einem ewigen Frieden, von einer besseren Verwaltung der Staaten, von einer größeren Nutzbarkeit des geistlichen Standes, von einer gewissenhaftern Pflege der Menschheit, selbst seine politischen Weissagungen, können nicht immer Träume eines honetten Mannes bleiben, wie sie damals ein duldender Minister nannte. Wenn St. Pierre wieder aufstünde und gewahr würde, daß nicht bloß (wie d'Alembert meint) das Wort bienfaisance und gloriole von ihm in der Sprache seiner Nation geblieben, sondern daß seine Grundsätze, seine Wünsche,[284] seine Hoffnungen gewissermaßen der Geist aller Guten und Würdigen in Europa worden sind: der kalte, trockene Mann würde dabei nicht gleichgültig bleiben. Wahrscheinlich würde er gelassen sagen: »Die Zeit ist schneller fortgeschritten, als ich es ihr zutraute.«

Unser St. Pierre, Comenius, hat eine andere Gestalt. Er wurde zwar auch in einem Labyrinth von Weissagungen irregeführt (welches ihm zuletzt sehr leid tat); diese hatten auch eine viel rohere Gestalt, als der politische Kalkül des St. Pierre, seiner Erziehung und seinen Lebensumständen nach, haben konnte; in ihrem Ziel aber treffen beide zusammen, und dieses ist das Wohl der Menschheit. Ihm weihten beide, obwohl auf den verschiedensten Wegen, alle ihre Gedanken und Bestrebungen; beiden schien alles das entbehrliche Üppigkeit oder häßliche Unsitte, was nicht dahin führte. Beide haben eine schöne Klarheit des Geistes, eine beneidenswürdige Ordnung und Einfalt der Gedanken; sie sind von allem Leidenschaftlichen so fern und los; es verdrießet sie nicht, eine Sache oft, meistens mit denselben Worten zu sagen, damit man sie fassen und ja nicht vergessen möge, daß auch in diesen liebenswürdigen Fehlern sie einan der ähnlich erscheinen. Der letzte Zweck ihrer Bemühungen ist ganz derselbe.

Comenius, wissen Sie, war der letzte Bischof der böhmischen Kirche. Er lebte in den traurigen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, da mit ihm so viele, viele Familien auf die härteste Weise vertrieben wurden, seit welcher Zeit dann diese blühenden Gemeinen nie mehr zu einigem, geschweige zu ihrem alten Flor gelangten. Wollen Sie Ihr Inneres sanft und schrecklich erschüttert fühlen, so unterrichten Sie sich über den Zustand dieser Gemeinen von ihrer Entstehung an und endigen mit dieser traurigen Verstoßung. Keine Gemeine Deutschlands ist mir bekannt, die mit so reinem Eifer für ihre Sprache, für Zucht und Ordnung bei ihren Gebräuchen sowohl als in ihrem häuslichen Leben, ja für Unterweisung und Aufklärung im Kreise ihres Notwendigen und Nützlichen[285] gesorgt, gestritten, gelitten hätte als diese. Von ihr aus entsprang jener Funke, der in den dunkelsten Zeiten des härtesten geistlichen Despotismus Italien, Frankreich, England, die Niederlande, Deutschland wie ein Feuer durchlief und jene vielnamigen Albigenser, Waldenser, Lollarden u.f. weckte. In ihr ward durch Huß und andre der Grund zu einer Reformation gelegt, die für ihre Sprache und Gegenden eine Nationalreform hätte werden können, wie keine es in Deutschland ward; bis auf Comenius strebte dahin der Geist dieser slawischen Völker. In ihr ist eine Wirksamkeit, eine Eintracht und Tapferkeit gezeigt worden, wie außer der Schweiz diesseit der Alpen nirgend anders; und es ist kaum zu zweifeln, daß, wenn man sich vom zehnten, vierzehnten Jahrhundert an diese Tätigkeit nur einigermaßen unterstützt gedenket, Böhmen, Mähren, ja überhaupt die slawischen Länder an der Ostseite Deutschlands ein Volk worden wären, das seinen Nachbarn andern Nutzen gebracht hätte, als den es jetzt seinen Oberherren zu bringen vermag. Die Unvernunft und Herrschsucht der Menschen wollte es anders. Eine Ilias beweinenswürdiger Umstände tritt dem Geschichtforscher vor Augen, über die der. Freund der Ordnung und des Fleißes seufzend errötet. Comenius betrug sich bei allem mit der Würde eines apostolischen Lehrers.

Der Flüchtling nahm seine Jugendbeschäftigung vor; er ward ein Lehrer der Jugend, aber in einer großen Aussicht. Seine Grundsätze: »Kinder müßten mit Worten zugleich Sachen lernen; nicht das Gedächtnis allein, sondern auch der Verstand und Wille, die Neigungen und Sitten der Menschen müßten von Kindheit auf gebessert werden; und hiezu sei Klarheit, Ordnung der Begriffe, Herzlichkeit des Umganges vor allem nötig,« diese Grundsätze sind so einleuchtend, daß jeder sie in Worten vorgibt, ob er sie gleich eben nicht in Comenius, Geist und Sinne befolget. Dieser griff zur Tat; er gab seine »Janua,« er gab einen »Orbis pictus« heraus, die zu seiner Zeit eine unglaubliche Aufnahme fanden, in wenigen Jahren in eilf Sprachen übersetzt wurden, seitdem unzählige[286] Auflagen erlebt haben und eigentlich noch nicht übertroffen sind: denn haben wir jetzt nach anderthalbhundert Jahren annoch ein Werk, das für unsre Zeit völlig das sei, was jene unvollkommenen Werke für ihre Zeit waren? Im ganzen Nordeuropa erregte Comenius Aufmerksamkeit auf die Erziehung; der Reichstag in Schweden, das Parlament von England beachtete seine Vorschläge. Nach England ward er gerufen; von Schweden aus sprach der große Kanzler Axel Oxenstirn mit ihm; er ward zu Ausarbeitung derselben unterstützt; und obwohl, wie leicht zu erachten war, eine Hauptreform der Erziehung in Comenius, Sinn aus zehn Ursachen nicht zustande kommen konnte, zumal im damaligen Zeitalter hundert Unglücksfälle dazwischenkamen, so hatte Comenius dabei seine Mühe doch nicht ganz verloren. Seine Vorschläge (obgleich die meisten seiner Werke uns die Flamme geraubt hat) sind ans Licht gestellt, ja sie liegen größtenteils (so einfach sind sie) in aller Menschen Sinne; nur erfordern sie Menschen von Comenius, Betriebsamkeit und Herzenseinfalt zur Ausführung. Wenn er auflebte und unsre neue Erziehung betrachtete, was würde der fromme Bischof zu mancher Marketenderei sagen?

Sein Plan ging indes noch weiter. Er sahe, daß keine Erziehungsreform ihren Zweck erreichte, wenn nicht die Geschäfte verbessert würden, zu denen Menschen erzogen werden; hier griff er das Übel in der Wurzel an. Er schrieb eine »Panegersie,« einen allgemeinen Aufruf zu Verbesserung der menschlichen Dinge, in welchem ihm St. Pierre an Ernst und (ich möchte sagen) an heiliger Einfalt selbst nachstehen möchte. Er ladet aufs menschlichste dazu ein, meint, es sei ja Unsinn, Glieder heilen zu wollen, ohne den ganzen kranken Leib zu heilen, ein gemeinschaftliches Gut sei eine Gemeinfreude, gemeine Gefahr fodre auch gemeinschaftliche Sorge, und schlägt Mittel zur Beratschlagung vor. Die menschlichen Dinge, die er für verderbt hält, sein Wissenschaften, Religion und Staatseinrichtung. Ihrer Natur nach bezeichneten sie den Charakter unsres Geschlechts (Humanität), mithin die eigentliche[287] Menschheit, indem Wissenschaft den Verstand, Religion den Willen, die Regierung unsre Fähigkeit zu wirken bestimmen und bessern sollte. Aller Menschen Bestreben gehe dahin; denn jeder wolle wissen, herrschen und genießen; edlere Seelen sei'n nach der edelsten Macht, der wahren Wissenschaft und einer unzerstörlichen Glückseligkeit begierig; sie zu befördern, opferten sie Kräfte, Mühe, ihr Leben selbst auf. In uns liegen also ewige Wurzeln zu einem Baume der Wissenschaft, der Macht und des Glücks; Philosophie solle uns Weisheit, politische Einrichtung den Frieden, Religion innere Seligkeit geben; diese drei Dinge sei'n nur eins; sie könnten nie voneinander, nie vom Menschen gesondert werden, ohne daß er ein Mensch zu sein aufhöre. Sie ziemten ihm allerwege und allenthalben. –

Jetzt zeigt Comenius, wie und wodurch alle drei verderbt sein Der Verstand werde von wenigen wenig gebraucht; der Wille unterliege den Begierden; man suche Reichtum, Ehre, Lust, Eitelkeiten, Schatten der Dinge; man suche sich außer, nicht in sich selbst. Man wisse nicht, was man wollen, tun, wissen solle; man teile sich in philosophische, politische Religionssekten; man streite, ohne einander zu überzeugen, und doch sei es das einzige Zeichen, daß man selbst weiß, wenn man andre überzeuget. Die Weisheit werde in Bücher gekerkert, nicht in der Brust getragen; unsre Bücher sein also weise, nicht wir. Selten habe man bei der Wissenschaft einen wahren Zweck; man lerne, um zu lernen, oder noch zu törichtern Absichten. Das Band der Sprache sei zerrissen, und noch habe keine einzige Sprache ihre Vollkommenheit erreicht. Die Gebrechen, deren er die Religion zeihet, führt er nur kurz und mit Bedauern an, da sie zu offen am Tage liegen. In der Politie meint er: nichts könne regieren als das Rechte, niemand andre regieren, als der sich selbst zu regieren weiß. Menschenregierung sei die Kunst der Künste, ihr Zweck sei Friede. Mithin zeugen alle Kriege und Unordnungen der menschlichen Gesellschaft, daß diese Kunst noch nicht da sei; weder zu regieren, noch regiert zu werden wüßten[288] die Menschen – von welchen Verderbnissen er sowohl die Ursachen als die Schändlichkeit und den Schaden klar vorlegt. –

Von jeher, fähret er fort, sei das Bestreben der Menschen dahin gegangen, diesen Übeln abzuhelfen, und zeigt mit großem Verstande, sowohl was man bisher dazu getan und auf welchen Wegen man's angegriffen habe, als auch weshalb diese Mittel unhinreichend oder unwirksam geblieben. Indessen sei der Mut nicht aufzugeben, sondern zu verdoppeln. Manche Krankheiten tilge die Zeit; in der verdorbenen Menschheit sei der Trieb zu ihrer Verbesserung unaustilgbar und auch in den wildesten Abwegen wirksam. Nur müsse die Menschheit ihr wahres Gute, so wie die Mittel dazu, ganz und rein kennenlernen; sie müsse von den Ketten böser Gewohnheiten befreiet werden und nicht eher nachlassen, bis sie in einer Allgemeinheit zum Zweck gelange. Zu dieser Harmonie wirke selbst der Haß der Sekten, ihre bittre Verfolgungen und Kriege gegeneinander in Wissenschaften, Religion und Regierungsanstalten; alles zeige, daß eine große Veränderung der Dinge im Werk sei. Ohne uns könne diese Veränderung keine Verbesserung werden; wir müßten zu ihr, und zwar auf bisher unversuchten Wegen, auf dem Wege der allgemeinen Einheit, Einfalt und einer freien Entschließung (Spontaneität) mitwirken. Der Zweck der Einheit und allgemeinen Verbindung liege in unserm Geschlecht; nur durch Einfalt könne unser Verstand, Wille und Handlungsweise von ihren Verderbnissen loskommen; dahin wiese die einträchtige Norm unsrer gemeinen Begriffe, Fähigkeiten und Instinkte; mittelst dieser, und dieser allein, käme man ohne alle Sophisterei zum reinen Gute der Wahrheit. Freiheit des Willens endlich sei der Charakter des Göttlichen in uns; Gott zwinge nicht und wolle nicht, daß Menschen gezwungen sondern gelehrt, geleitet, unterstützt werden. Soweit wir vom Wege der Einigkeit, Einfalt und Sinnesfreiheit abgewichen sein, so sei eine Rückkehr dahin möglich, sobald wir uns mir vornähmen, ohne Ausschließung alles, für alle, auf alle[289] Art und Weise zu verbessern. In diesen drei Worten liege das ganze Geheimnis (omnia, omnibus omnimode esse emendanda), denn alle bisherige Vereitelung guter Bemühungen sei bloß daher gekommen, daß man nicht alles, nicht für alle, nicht auf alle Weise habe verbessern wollen, sondern zurückbehalten, geschont, geschmeichelt und dadurch das Böse oft ärger gemacht habe. Das Studium zu partikularisieren sei die ewige Grundlage der Verwirrung; jeder rate, sorge für sich, für alle niemand. Man schaue gewöhnlich auch nicht ringsumher, sondern dieser auf dies, jener auf jenes; dafür sei er entbrannt und vergesse, hindere, verachte alles andere. Am wenigsten habe man den ganzen Apparat von Kräften und Mitteln angewandt, dessen die Menschheit fähig ist, ja den sie wirklich im Besitz hat. Sehr ernstlich begegnet Comenius den Einwürfen, daß eine allgemeine Verbesserung unmöglich sei und ein Unternehmen der Art zur Zerstörung aller bisherigen Einrichtungen gereichen würde. Möglich sei sie allerdings; das zeigte die Haushaltung der Natur, der Begriff der Kunst, die Identität der Menschheit; auf dem Wege der Einfalt werde man die Möglichkeit einer solchen Verbesserung wohl finden; denn sie liege allenthalben vor uns, und die Einfalt selbst sei das wirksamste Gegengift aller Verwirrung. Auch den freien Willen der Menschen glaubt Comenius auf seiner Seite zu haben, sobald man sie nur nicht täuschte, sondern in allem für alle rein sorgte. Nichts als das Schlechte würde zerstört; nur das Überflüssige würde hinweggetan; das Gute bliebe, mit unendlich vielem, neuen Guten vermehrt, verstärkt, vereinigt. Hiezu ladet er nun in der einfältigsten Herzenssprache die Menschen ein; der Bischof spricht zur gesamten Menschheit wie zu seiner Gemeine. –

Glauben Sie nicht, daß dergleichen utopische Träume, wie man sie zu nennen pflegt, nutzlos sein: die Wahrheit, die in ihnen liegt, ist nie nutzlos. Dem Comenius konnte man sagen, was der Kardinal Fleury dem St. Pierre sagte, da dieser ihm sein Projekt des ewigen Friedens und des europäischen Reichstages überreichte: »Ein wesentlicher Artikel ist darin[290] vergessen, die Missionarien nämlich, die das Herz der kontrahierenden Fürsten zu diesem Frieden und zu diesem Reichstage disponieren«; allein, wie St. Pierre sich bei seinem Projekt auf den großen Missionar, die allgemeine Vernunft, und ihre Dienerin, die Zeit oder allenfalls die Not, verließ, so wahrscheinlich auch Comenius. Er schrieb eine Konsultation (ich weiß nicht, ob er sie umhergesandt habe), die sogar erst dreißig Jahre nach seinem Tode gedruckt ward.45 Da sie wenige Bogen enthält, wünschte ich, daß sie übersetzt erschiene, wenn auch nur zum Zeichen, wie anders man damals über die Verbesserung der Dinge schrieb, als man jetzt zu schreiben gewohnt ist, Fromme Wünsche der Art fliegen nicht in den Mond; sie bleiben auf der Erde und werden zu ihrer Zeit in Taten sichtbar. Es schweben nach Ariostos schöner Dichtung immerdar einige Schwäne über dem Fluß der Vergessenheit; einige würdige Namen erhaschen sie, ehe diese hineinsinken, und schwingen sich mit ihnen zum Tempel des Andenkens empor. –

Ich lege Ihnen einen Aufsatz bei, der mir namenlos zukam; teilen Sie ihn unsern Freunden mit, Er ist nicht mit Comenischem Geist geschrieben; es läßt sich aber manches darüber sagen.


Haben wir noch das Publikum und Vaterland der Alten?
I.

Haben wir noch das Publikum der Alten?

[291] Um eine vorgelegte Frage zu beantworten, muß man sie erst verstehen. Also:

Was ist Publikum? Ein sehr unbestimmter Begriff, der, wenn man alle Eigenheiten des einzelnen Gebrauchs und Mißbrauchs seiner Benennung absondert, ein allgemeines Urteil, wenigstens eine Mehrheit der Stimmen in dem Kreise, in welchem man spricht, schreibet oder handelt, zu bezeichnen scheinet. Es gibt ein reales und ideales Publikum: jenes, das gegenwärtig um uns ist und uns seine Stimme, wo nicht zukommen läßt, so doch zukommen lassen kann; das ideale Publikum ist zuweilen so zerstreut, so verbreitet, daß kein Lüftchen uns, aus der Entfernung oder aus der Nachwelt, den Laut seiner Gedanken zuführen mag. Bei jeder Gattung des Publikums aber denket man sich ein verständiges, moralisches Wesen, das an unsern Gedanken, an unserm Vortrage, an unsern Handlungen teilnimmt, ihren Wert und Unwert zu schätzen vermag, das billiget oder mißbilliget, das wir also auch zu unterrichten, eines Bessern zu belehren, in Ansehung seines Geschmacks zu bilden und fortzubilden uns unterfangen dürfen. Wir muntern es auf, wir warnen; es ist uns Freund und Kind, aber auch Lehrer, Zurechtweiser, Zeuge, Kläger und Richter. Belohnung hoffen wir von ihm nicht anders als durch Beifall, in Empfindungen, Worten und Taten.

Unter den Alten verstehet man in Ansehung der Kunst die Griechen, in Ansehung der Literatur Griechen und Römer, in Ansehung alles dessen aber, worüber das Publikum gefragt oder belehrt werden kann, jede Nation, die in früheren Zeiten auf uns gewirkt hat, mit der wir uns hier oder dort in Ansehung gefällter Urteile zu vergleichen, zu messen[292] haben. Man siehet, daß in diesem Gesichtspunkt sowohl die Hebräer als die sogenannten Barbaren des Mittelalters von unsern Alten nicht ausgeschlossen sind; denn diese haben viele Meinungen unsres Publikums und in manchem seinen ganzen Geschmack konstituieret.

Wer sind nun die Wir, die sich mit diesen Alten vergleichen? Im ganzen möchte man die jetzige Generation der Menschen darunter verstehen. Da diese doch aber in einen Gesichtskreis oder gleichsam in einen großen Saal beschränkt werden muß, um Zuschauerin, Hörerin, Urteilerin, Richterin zu werden, so wird dieser Kreis bald sehr weit, bald sehr enge genommen; ja vom weitesten Kreise, den unsre Einbildung kaum fassen mag, wird oft behauptet, was nur dem engesten, einem sehr auserlesenen Kreise gebühret. Aus Erfahrungen seiner Landes- und Stadtwelt spricht man gemeiniglich für die Christenheit, für Europa, für Welt und Nachwelt, an denen man sich immer eine mystische Person oder Versammlung, eine aufgeklärte oder aufzuklärende Gemeinheit denket. Um allen aus dieser Verwirrung entspringenden Mißverständnissen zu entweichen, wird's also nötig sein, jedesmal den Gesichtskreis zu bestimmen und in Absicht jeder Frage, die an ein Publikum gelangt, Zeiten und Völker zu unterscheiden.


1. Vom Publikum der Ebräer


Das ebräische Volk ward von seinem Ursprunge an als ein genetisches Individuum, als ein Volk betrachtet. Der sterbende Stammvater sprach zu seinen Söhnen für die ganze Reihe zukünftiger Zeiten; ja, ehe der Sohn des Stammes geboren war, geschah schon dem ganzen zukünftigen Volk die Verheißung. Als es, in vielen Tausenden um den Berg Sinai gelagert, dastand, sprach der Gesetzgeber im Namen seines Gottes zu ihm als zu einer Person, die dieses Gottes Knecht und gerettetes Kind sei; und da er vor seinem Lebensende dies Gesetz wiederholte, ließ er das Volk als einen Mann[293] geloben. Er foderte von ihm Achtung und Liebe des Gesetzes als von einem moralischen Wesen. So sprachen alle Propheten, denen der Gesetzgeber ausdrücklich Raum zu dieser Stimme ans gesamte Volk als an ein Eigentum Gottes gelassen hatte. So klein der Kreis sein mochte, in dem mancher Prophet sprach oder zu seiner Zeit schrieb, so groß wird er dieser seiner Idee nach. Der Bote seines Gottes spricht zum Sohne Jakob, zum Knecht Israel für alle Zeiten. Daher der hohe, weitschallende Ton des Patriotismus in den ebräischen Psalmen und Propheten. Wo und in welcher Sprache sein Nachhall ertöne, er ergreift das Herz; ein Publikum wird lebendig. Man findet sich in einer Versammlung, in der einer für alle steht, alle für einen. Die Last der Gebote, Segen und Fluch trägt das ganze Volk auf seinen Schultern. Danklieder tönen von allen empor; auch über die kleinsten Begegnisse des Individuum werden sie angenommen, weil dies Individuum zum ganzen Volk gehöret. So trägt in den Bestrafungen der Propheten jeder Israelit die Schuld des andern; der Trost des andern kommt auch ihm zustatten; gemeinschaftliche Wünsche, eine gemeinschaftliche Aussicht erhebt das Herz des freudigen und des gedrängten Volkes. Auch seitdem Israel unter alle Nationen zerstreut ward, ist dieser Prophetenton eines Nationalpublikum nicht verhallet. Alle seine Gesänge und Gebete sprechen noch zu Gott mit der Stimme eines verlornen Kindes, eines gedemütigten Knechtes. Wenn ein Geist der Poesie, der Lehre, der Ermahnung in diesem Volke wieder aufleben sollte, so kann er nicht anders als in solchem Ton zum Volk singen und reden.

Haben wir dies Publikum der Ebräer? Mich dünkt, jedes Volk habe es durch seine Sprache. Diese ist ein göttliches Organ der Belehrung, Strafe und Unterweisung für jeden, der für sie Sinn und Ohr hat. Das Band der Zunge und des Ohrs knüpft ein Publikum; auf diesem Wege vernehmen wir Gedanken und Rat, wir fassen Entschließungen und teilen miteinander Belehrung, Leid und Freude. Wer in derselben Sprache erzogen ward, wer sein Herz in sie schütten, seine[294] Seele in ihr ausdrücken lernte, der gehört zum Volk dieser Sprache. Ich vernehme noch Otfrieds Stimme; die Kern- und Biedersprüche mancher alten Deutschen, die den Charakter meines Volks in sich tragen, sprechen zu mir; Kaisersberg, Luther predigt mir noch; und was auch von andern Nationen in meine Mundart meisterhaft überging, ist die Stimme eines Publikums worden, zu dem auch ich gehöre. Meine Stimme, so schwach sie sei, bewegt auch Wellen dieses ätherischen Weltmeers. Von den Millionen, die deutsch reden und lesen, werden auch mich einige verstehen und hören, wären es nur soviel, als Persius sich anmaßet, aut duo aut nemo; auch diese zwei, lobend oder tadelnd, erregen ihre Wellen weiter. Im Publikum der Sprache hat sogar der Niemand ein Ohr; er lernt von oder an mir und spricht weiter Und dies Publikum breitet sich fort, solange die Sprache, selbst mit Veränderungen, dauret, bis sie verständlich zu sein aufhöret. Kein Gesetz kann diesen Fortgang verbieten, keine Macht ihn aufheben, bis die Sprache vertilgt ist; und ehe diese vertilgt wird, dazu gehören allmächtige Kräfte der Zeiten.

Nicht der Schriftsteller gehöret zu diesem Publikum allein, sondern auch der mündliche Unterweiser, der Gesetzgeber, der Feldherr, der Redner und Ordner. Mittelst der Sprache wird eine Nation erzogen und gebildet; mittelst der Sprache wird sie ordnung- und ehrliebend, folgsam, gesittet, umgänglich, berühmt, fleißig und mächtig. Wer die Sprache seiner Nation verachtet, entehrt ihr edelstes Publikum; er wird ihres Geistes, ihres inneren und äußeren Ruhms, ihrer Erfindungen, ihrer feineren Sittlichkeit und Betriebsamkeit gefährlichster Mörder. Wer die Sprache eines Volks emporhebt[295] und sie zum kräftigsten Ausdruck jeder Empfindung, jedes klaren und edlen Gedankens ausarbeitet, der hilft das weiteste und schönste Publikum ausbreiten oder in sich vereinigen und fester gründen.

Daß unser Deutschland durch seine Sprache sich dies Publikum in solchem Umfange, mit solcher Festigkeit gegründet habe, wie es hätte geschehen mögen, ist sehr zu zweifeln. Ganze Länder sind davon abgerissen; Provinzen und Kreise verstehen einander kaum, nicht nur nicht in Reden, sondern oft selbst nicht in Schriften. Was in manchen Gegenden für Witz gilt, wird in andern als niedriger Scherz verachtet; das Ganze hat so wenig einen gemeinschaftlichen Schritt in der Kultur gehalten, daß schwerlich eine Vorstellungsart zu finden wäre, die auf alle Teile desselben als auf ein gemeinsames Publikum mit gleicher Macht wirkte. Nicht aber nur Provinzen und Kreise, selbst Stände haben sich voneinander gesondert, indem seit einem Jahrhunderte die sogenannten obern Stände eine völlig fremde Sprache angenommen, eine fremde Erziehung und Lebensweise beliebt haben. In dieser fremden Sprache sind seit einem Jahrhunderte unter den genannten Ständen die Gesellschaftsgespräche geführt, Staatsunterhandlungen und Liebeshändel getrieben, öffentliche und vertraute Briefe gewechselt worden, so daß, wer einige Zeilen schreiben konnte, solche notwendig vormals italienisch, nachher französisch schreiben mußte. Mit wem man deutsch sprach, der war ein Knecht, ein Diener. Dadurch also hat die deutsche Sprache nicht nur den wichtigsten Teil ihres Publikums verloren, sondern die Stände selbst haben sich dergestalt in ihrer Denkart entzweiet, daß ihnen gleichsam ein zutrauliches gemeinschaftliches Organ ihrer innigsten Gefühle fehlet. Beide sind auf ihrem getrennten Wege nicht so weit fortgeschritten, als sie in Wirkung und Gegenwirkung aufeinander hätten kommen mögen, indem der eine Teil meistens an Phrasen, an Worten ohne Gegenstand, leer von innerer Bildung, hangenbleiben mußte, dem andern hingegen bei aller Mühe des Fortstrebens ewig und immer eine Mauer entgegengestellt[296] war, an welcher leere Schälle zurückprallten. Ohne eine gemeinschaftliche Landes- und Muttersprache, in der alle Stände als Sprossen eines Baumes erzogen werden, gibt es kein wahres Verständnis der Gemüter, keine gemeinsame patriotische Bildung, keine innige Mit- und Zusammenempfindung, kein vaterländisches Publikum mehr. Entweder bequemt man sich nach der fremden Denkart des andern und buhlt ohne Dank und Kraft um dessen leere Vorstellungsweise wie um einen nichtigen Schatten, oder man spricht und schreibt nicht für ihn; er ist ein totes oder ein hinderndes oft feindlich wirkendes Glied der Gemeine. Wenn die Stimme des Vaterlandes die Stimme Gottes ist, so kann diese zu gemeinschaftlichen, allumfassenden und aufs tiefste greifenden Zwecken nur in der Sprache des Vaterlandes tönen; sie muß von Jugend auf, durch alle Klassen der Nation, an Herz und Geist erklungen sein; so nur wird durch sie ein Publikum, verständig und verstanden, hörend und hörbar. Jede fremde bleibt eine entzweiende Samaritersprache.


2. Publikum der Griechen


Daß dem also sei, wollen wir schöner an den Griechen lernen. Wahrscheinlich war ihre Sprache anfangs so ungebildet als jede Volkssprache in rohen Zeiten; da stieg Kalliope, da stiegen Götter vom Himmel hernieder. Merkur erfand die Lyra; die Zither begleitete Apollo mit herzerweckendem Gesange; mehreren Söhnen der Muse folgte Baum und Fels, es horchten ihnen Ströme; kurz (ohne Fabel zu reden), Poesie, mit Musik begleitet, erschuf und bildete sich ein griechisches Publikum in einer feinern Sprache und einer feineren Gedankenweise. Die Fabelnamen Orpheus, Linus, Musäus sind in Absicht der Wirkung, die sie hinterließen, keine Fabelnamen; die Form ihrer Götter- und Menschengestalten, die Melodie ihrer Weisheitsprüche und Lehren, der rhythmische Gang ihrer Empfindungen und Bilder ward dem Ohr, dem Gedächtnis der Hörenden eingepräget und ging von[297] Munde zu Munde, endlich auch in Schriften und Gebräuchen auf die spätere Nachwelt. Die Gesänge, die Homer und andre Rhapsoden in kleineren Kreisen sangen, waren nicht verhallet; sie kamen gesammlet nach Athen, sie erklangen am panathenäischen Feste. Die Hymnen der Homeriden, Lieder und Chorgesänge der verschiedensten Art, dichterische und musikalische Wettstreite zierten und kränzten jede Volksversammlung, jedes öffentliche Spiel, jede feierliche Religions- und Staatshandlung. So ward ein Publikum der Griechen für Poesie, bald auch für Prose. Herodot las seine Geschichte dem versammleten Griechenlande, wie so viele Dichter vor ihm ihre Gedichte größeren oder kleineren Kreisen gesungen hatten; denn selbst die Gastmahle der Griechen hatten eine Art fröhlicher Publizität und waren nicht ohne Musen. Auf diesem Wege entstand das griechische Schauspiel, das allen seinen Teilen nach ein Publikum voraussetzte und ein Publikum vergnügte. Auf diesem Wege gelangte die griechische Kunst zu ihrer Höhe; die Muse, die dem Künstler seine reinen, hohen Ideen eingab, hatte sich auch Gelegenheiten, Örter und Plätze geheiligt, wo sie solche mit Würde zeigen und einem dazu gestimmten Volk sichtbar machen konnte. Selbst in die Beratschlagungen und Zänkereien vor Gericht ging Redekunst als ein Haupterfordernis über. Indem alles vorm Publikum verhandelt wurde, so ward dies Publikum durch Rede gefesselt, durch Kunst der Rede geführt und gelenket.

Haben wir dies Publikum der Griechen? Nein, und in mehreren Stücken ist's vielleicht gut, daß wir es nicht haben. Wo über Krieg und Frieden, über Leben und Tod der Beklagten, über Verdienst und Belohnung die Kunst der Rede gebieten darf, wie vielen Verleitungen ist und bleibt die Seele eines unerzogenen Volks ausgesetzt, die mit ihrem ganzen Urteil im Ohre wohnet! Die Geschichte der griechischen Republiken, insonderheit Athens, zeigt uns davon eine große Galerie fürchterlich-schön gemalter Beispiele, bei deren Überblick mancher Nordländer oft mit frohem Schauder[298] sagen wird: »O der leichtsinnigen Griechen! Wohl uns! diese Zeiten sind vorüber!« Ein Gleiches wird er vielleicht von den Religions- und Staatsfeierlichkeiten, den öffentlichen Spielen, Tänzen, Übungen und Wettkämpfen, vielleicht auch vom ganzen Theater in Athen sagen. Und allerdings gehört alles dorthin und in jene Zeiten.

Aber warum hätten wir denn ein Theater, wenn wir kein Publikum fürs Theater haben mögen? Warum hätten wir Kunst, wenn es nicht die griechische sein kann? Warum unterfingen wir uns, Vergnügungen des Geschmacks zu haben, wenn es kein Publikum des Geschmacks geben soll? Warum endlich spielen wir mit Musik, Redekunst, Poesie und Sprache, wenn diese nicht zu Zwecken angewandt werden, zu denen sie, allein und verbunden, eigentlich bestimmt und geschaffen sind? Ihrer Natur nach erfordern sie ein Publikum; ohne solches sind sie tot und begraben.

Ein Hymnus z.B. gehört seiner Natur nach für eine Versammlung. Der Dichter, der diese nicht um sich erblicket, nimmt Himmel und Erde, Wälder und Felsen zu seinen Zuhörern und Zeugen. Die Stimme eines lyrischen Dichters rufet ein Publikum an und auf. Der Sänger, ja selbst der Geschichtschreiber großer Begebenheiten fodert einen Kreis von Männern, Weibern, Jünglingen und Kindern um sich her, denen seine Begebenheiten in Ohr und Seele tönen. Sie öffnen ihm nicht etwa nur eine Bühne, auf der er in ihrem Beifall seinen ganzen Ruhm ernte, sondern ihre Gemüter selbst sind seine Arena, der Schauplatz, das Ziel, das Maß seiner Wirkung. Die Szene, die der epische Dichter nicht also beschreibt, daß sie den Augen des Zuhörers sichtbar wird, also daß auch in der Seele der Handelnden mit gehaltenem Interesse alles vor seinen Augen vorgehet, ist keine epische Szene; die Begebenheit, die der Geschichtschreiber im Zusammenhange ihrer Folgen, womöglich auch ihrer Ursachen, nicht also gegenwärtig zu machen weiß, daß dem Zuhörer sein eignes klares Urteil darüber reifet, ist eine mangelhaft erzählte Geschichte. Der lyrische Dichter, der mit seiner Kunst[299] in der Seele des Hörenden nicht den Grad von Teilnehmung trifft, auf den seine Kunst als auf den Punkt ihrer Vollkommenheit rechnet, hat auf ein Nichts gearbeitet und verfehlt seine Wirkung Alle diese Produktionen also wollen ein Publikum, aus welchem sie gleichsam hervor-, auf welches sie zurückgehen, aus welchem sie die Regel ihrer Kunst nahmen.

Wo sind nun in Deutschland die Odeen unsrer Geschichtschreiber, unsrer lyrischen und epischen Dichter? Wo sind die Schulen, in denen man die edelsten Gesänge den Jünglingen ans Herz legt und sie nebst den schönsten klassischen Stellen der Alten nicht etwa bloß deklamiert, sondern in die Seelen schreibet? Nur was selbst Gestalt hat, kann Gestalt geben; nur Flamme kann Flamme verbreiten. Ein Atem aber kann auch aus Funken eine Flamme wecken und viele tote Kohlen entzünden. An glühenden Funken hat es Deutschland nicht gefehlet; sie sind aber nie zur Flamme angefacht worden. Der sogenannte Minnegesang war Hofgeschmack; er ging vorüber. Die Zeiten der Reformation brachten flehende Gefahr-, dankende Lobgesänge in den Mund vieler; sie gingen mit der Gefahr vorüber. Der Dreißigjährige Krieg weckte Stimmen mancher Art für beide Parteien; die Feldherrn der Ligue wurden ebensowohl als die Feldherrn und Retter der Union gepriesen, und unter den letzten sind die Namen eines Ernst von Mansfeld, Christian von Anhalt, Johann Ernst und Bernhards von Weimar, Gustav Adolfs, Georgs von Baden der deutschen Muse nicht fremde geblieben. Leider aber ist diese keine Tochter Mnemosynens, oder sie ist von ihr zwischen Schlaf und Wachen erzeuget. Nach dem Westfälischen Frieden vergaß man aller Gefahr und hat über hundert Jahre, dann und wann unsanft aufgerüttelt, sanft geschlafen. Alle weckende Stimmen, leise und lauter, sind vergebens gewesen; unsre Dichter waren oder hießen Versmacher, Reimschmiede; seit einem halben Jahrhundert las man Voltaire und ließ die deutsche Geschichte erröten und schweigen. Sie schweigt noch und darf an eine Geschichte[300] des deutschen Geschmacks, der deutschen Kultur, der deutschen Festivitäten und Lustbarkeiten nicht ohne Beschämung denken.

Auf dem Theater wird ein Publikum oder ein Teil desselben einem andern Publikum zur Schau vorgestellt; offenbar war dies die Idee der Griechen, im Trauerspiel mit dem Chor, im Lustspiel mit dem einzeln oder in Masse personifizierten Volke. Theater und Zuschauer hingen also wie Bild und Abbild, wie Seele und Körper zusammen; sie wirkten an- und gegeneinander; eins wurde durch das andre gehoben und belebet. In Italien und Frankreich (England kenne ich nicht) ist dies auf den besten Bühnen auch also; daher der Theatergeschmack in diesen Ländern so lang umherirrte, bis er einen Punkt der Vereinigung mit seinem Publikum fand und sich entweder durch musikalisches oder durch dramatisches Spiel in eine Mitte des Gebens und Nehmens, des gegenseitigen Genusses und Belehrens setzte. Ich zweifle, ob dies in Deutschland, wenige Charaktere und Szenen ausgenommen, je der Fall gewesen. Daß man es wenigstens auf die Vereinigung und gegenseitige Ausbildung des Geschmacks der Bühne und des Publikums sehr spät und äußerst selten angeleget hat, ist aus der Geschichte des deutschen Theaters klar. Außer den alten Mysterien, Klosteragenden oder Marionetten kam die Bühne als Hoffeierlichkeit nach Deutschland; das Volk ward hinzugelassen, sich an diesen prächtig gekleideten Hof- und Staatsrevolutionen, die hinter den Lichtern vorgingen, als Pöbel zu erbauen. An manchen Orten Deutschlands hat die Bühne diese Hoftheatergestalt und Verwaltung beibehalten und stehet also ganz außer dem Gebiete der Kunst, weil sie zum Hofetiquette gehöret. In andern Provinzen ziehen Banden umher (wie man die Schauspieler mit dem alten deutschen Heldennamen zuweilen noch jetzt nennet); sie gehen, wie es die Deutschen von jeher gern taten, aus Bande in Bande und nehmen Dienste, nachdem sie bezahlt und gedungen werden; wäre es nicht unvernünftig und grausam, von ihnen ein Ideal der Kunst, ein korrespondierendes[301] Publikum zu fordern? Einzelne Dichter und Schauspieler haben sich, ich möchte sagen, über das Mögliche hinaufgeschwungen; sie konnten aber keine neue Welt um und vor sich schaffen; diese müssen aufführen, was jene geben, wie sie es mit andern aufführen können und wie am Ende ihr Publikum gebietet. Da ich hier keine Kritik des Theaters schreibe, so bemerke ich nur eins, daß bei uns, wie mich dünkt, durchs Theater das Publikum gebildet werden müsse, nicht aber durchs Publikum das Theater. Fürs Theater haben wir noch kein richtendes Publikum, eben weil die theatralische Kunst im Sinne der Griechen die Kunst der Künste ist, von der selbst nicht jeder Dichter, noch weniger jeder Liebhaber, am wenigsten endlich der sich belustigende Pöbel Begriff hat. Schmeichelt man dessen Gaum und belustiget sich an seinem Beifall, so ist man am Rande; man verdirbt und verderbet. Welche Räume aber haben wir noch auszumessen, ehe nicht an ein gebildetes Publikum, sondern nur an die Bildung dieses Publikum nach deutscher Sitte und Lage zu gedenken ist! Und doch gibt es außer einem mit Sinn und Wohlgefallen belebten Schauspiel kein Schauspiel; es wird ein Haus voll Puppen, oder wir sind in schlechter Gesellschaft.

Soll eine Nation keine Einbildungskraft haben, so wolle man diese auch nicht wecken; sie schlummere. Wecket man sie, so bilde man sie auch aus; man lasse nur Stücke, die für sie sind, und diese auf eine Weise aufführen, daß man vom bösen Geschmack des Publikums nicht abhange, sondern diesen Geschmack ausrotte oder ihn zum Guten lenke. In Athen entstand das Theater zu Äschylus' Zeit aus dem hohen Gefühl der Freiheit und des Sieges über den großen König; dies Gefühl stimmte die Seele zum Anblick andrer großen Begebenheiten, die tragisch vorgestellt wurden. In Frankreich und England ist das Theater (die Modifikationen der Zeit abgerechnet) auf ähnliche Weise entstanden; denn wenn man von großen Begebenheiten seiner Zeit hört oder lieset, so will man diese auch, durch Kunst bearbeitet und von ihr vorgestellt, sehen. Das Publikum der Welt wird sodann von[302] selbst ein Publikum des Theaters. Gleichergestalt fodert die Komödie, die Charaktere und Sitten vorstellt, eine anschauende Kenntnis der Nation, eine leichte Existenz, eine sich selbst bestimmende moralische Freiheit. Der dürftige Knechtessinn ist eine mephitische Luft, in der jede Flamme erstickt wird.


Die Philosophie der Griechen hatte eigentlich kein Publikum wie die Künste; ihrer Natur nach hatte sie dessen auch nicht nötig.

Die ältesten Weisen der Griechen waren Gesetzgeber; und wohl dem Volk, dessen Gesetzgeber Weise sind. Sokrates erschien in einer bedrängten Zeit: sein Publikum waren Privatgesellschaften oder einzelne Personen; seine Methode war auf die Entwickelung der Grundsätze des Wahren, Guten und Schönen in diesen einzelnen Personen berechnet. Und dieses, dünkt mich, sei der Zweck der wahren Philosophie: Selbstbildung. Der Lehrer kann und will dabei nur eine Hebamme unsrer Gedanken, ein Mithelfer unsrer eignen, arbeitenden Kräfte werden. Sokrates hatte seinen eignen Genius, der nachher nicht oft, aber doch hie und da, z.B. in Montaigne, Addison, Franklin u.a., wieder erschienen ist und die eigne Bearbeitung des menschlichen Geistes und Willens zum Zweck hatte. Von der Stimme des Publikums hängt diese nicht ab; vielmehr wird sie oft durch solche behindert, daher Sokrates mit den Sophisten, die das Publikum stimmten und mißstimmten, fast immer im Streit lag.

Die Sokratische Philosophie gedieh zu mehreren Schulen; in diesen gab's exoterische und esoterische Zuhörer – abermals ein Unterschied, den die Natur der Sache billigt. Ein großes, unausgesondertes Publikum, das Metaphysik spricht und über Metaphysik entscheidet, ist ein Ungeheuer; und wenn man von einer Nation sagen könnte, sie habe nie für etwas als für Metaphysik Enthusiasmus gezeiget, so sagte man dieser Nation nicht viel Gutes nach. Xenophon und Plato behandeln die Philosophie sehr vernünftig; allenthalben[303] locken sie solche als eine Blüte des menschlichen Geistes und menschlicher Geschäfte hervor. Der Denker Aristoteles schrieb für kein anderes Publikum als für seine Schule, daher die ganze Form seiner Schriften. Epikur und Zeno gingen mit veränderten Grundsätzen auf gleichem Wege; jedem ihrer Schüler blieb es frei, die Metaphysik ihrer Sekte an Stelle und Ort zu lassen, dagegen aber die wahre, die praktische Philosophie für Leben und Publikum desto kräftiger anzuwenden. Dies ist der wahre Sokratismus.

Wenn eine philosophische Schule als solche aufs Publikum wirken wollte und auch hie und da mächtig gewirkt hat, war's der Pythagoreismus; wir wissen aber, wie es ihm erging. Und was damals in kleinen zubereiteten Kreisen nicht geschah, wenn wird es erfolgen? Ein philosophisches Publikum ist ein höchstes Bild, zu welchem man streben kann, das man aber ja nirgend ganz und realisiert zu erblicken glaube. Wo also die Griechen standen, stehen wir in Ansehung des Publikums mehr und minder mit der Philosophie noch jetzt; jeder, der es sein kann und werden will, muß sich selbst zum Philosophen bilden. Der Lehrer hält ihm die Wahrheit vor, damit er sich solche autonomisch zueigne; denn Weisheit läßt sich sowenig als Tugend und Genie von andern lernen.

Die Schulen der Philosophie indessen, bloß als Handleiterinnen betrachtet, mit welcher erstaunlichen Macht können sie aufs Publikum wirken! Ein Lehrer der Philosophie, wie er sein soll, hat ein Reich über menschliche Seelen, in welchem er mächtiger als ein König gebietet. Er pflanzt Grundsätze, er gibt Ideen, er stellt Ideale fest, die nachher auf tausend Gedanken und Handlungen seiner Zuhörer, ja aller derer, auf welche sie wirken, erkannten und unerkannten Einfluß haben. Unsägliche Wirkungen z.B. hat die stoische Philosophie, der Epikureismus, Platonismus, Pythagoreismus in der Reihe der Dinge hervorgebracht und wird sie hervorbringen, wenn auch unter neuen Namen, mit andern Modifikationen und Formen. Solange es Vernunft und Willen im Menschen gibt, solange wird es ein verborgenes,[304] stilles Publikum für Philosophie geben; nur erwarte man dieses nie sichtbar auf einem Markt oder in einer Schule.

Fassen wir, was gesagt ist, zusammen (denn vom politischen Publikum der Griechen wollen wir nicht reden), so ergibt sich, daß in Ansehung der Sprache, der Kunst und des Geschmacks gegen die Griechen, wie wir sie jetzt nehmen, wir eigentlich noch gar kein Publikum haben und gehabt haben. Mit Wohlgefallen haben wir uns eine Kultur andichten lassen, von der ganze Stände und Provinzen durchaus nichts wissen, und schlummern auf diesem erträumten Ruhme. Ich fürchte und hoffe, daß uns die Zeit aus diesem Schlummer wecken werde. Unsere Nation kennet sich schwerlich, bald ist es Religions-, bald politische Partei, bald die unübersteigliche Grenze eines Standes und Ständchens, was die Stimme, ja sogar nur den Gedanken an ein teilnehmendes Publikum, selbst in Sachen des Geschmacks und der Bildung, geschweige des allgemeinen Interesse, teilet und aufhält. Welche Werke der Wissenschaft, des Fleißes, der Verteidigung Deutschlands oder irgendeines allgemeinen Nutzens sind zustande gekommen, zu denen der Beitritt eines ansehnlichern und reicheren Publikums aus mehreren oder allen Provinzen nötig war? Die reichern Stände sind dabei jederzeit am unteilnehmendsten geblieben; und jene alten Einrichtungen, die eigentlich doch für Wissenschaften und Kultur der Nation bestimmt sind, Domkapitel und Stifte, waren samt dem ganzen Teile der Nation, der die französische Kultur liebte, für deutsche Wissenschaften gewöhnlich ganz tot; daher wir denn, trotz alles Privatfleißes, trotz mancher kühner Unternehmungen voll guten Zutrauens, das dafür büßen mußte, an Dingen dieser Art unsern Nachbarn, Briten und Franzosen, ja selbst Dänen und Schweden, weit nachstehn. Die deutsche Literatur, eine rüstige Arbeiterin und Dienerin des Wissens, erscheint in einem Bettlermantel von Makulatur; sie richtete selten etwas mehr aus, als wohin – Privatfleiß, einzelnes Genie reichet. Die unschätzbaren Sammlungen der Kunst, die in vorigen Jahrhunderten ein vorübergegangner[305] Hofgeschmack zusammengebracht hat, stehen oft unter harten Gesetzen der Klausur als Heiligenbilder da, anschaubar, nicht immer brauchbar, noch weniger weckend, am wenigsten begeisternd. Über den Wert unsrer besten Produktionen haben sich die Stimmen unsres Publikums nach Jahren und Jahrhunderten noch so wenig vereiniget, daß, wenn nicht Ausländer den Ton angegeben und mit Gewalt festgesetzt hätten, selbst über Leibniz' Verdienst Deutschland noch in der größesten Unsicherheit wäre. Indessen geht der Weg der stillen Bildung fort. Was uns nicht genommen werden konnte, ist deutsche Sprache, deutscher Verstand und guter Wille; diese werden, wenn und sobald sie es vermögen, einmal ein deutsches Publikum bilden. Die Vernunft geht auch ihres Weges fort und ist in allen Zeiten und Erdräumen nur eine. Der Geschmack endlich ist eine Nationalpflanze; wo sie nicht gepflegt wird oder des Bodens und Klima wegen nicht anders als in schlechten Treibhäusern aufkommen kann, da gehet sie durch Unfreundlichkeit des Himmels unter. Have!


3. Publikum der Römer


Von diesem werde ich nur wenig sagen dürfen. Was in ihm Kunst und Geschmack war, stammte von den Griechen her, die meistens auch seine Mithelfer blieben. Als Überwinderin sammlete Rom; sie erfand aber nichts Neues. Auch die Sprache der Römer bildete sich nur durch die Griechen zu einer reinen und ewigen Sprache.

Das Publikum also, das für die klassische Denkart in Rom blühete, war ein erbeutetes, künstliches Publikum; die Einrichtung der Stadt selbst war von einer Art, daß vielleicht keine Reichsstadt sie sich auf daurende Zeiten wünschen möchte Weder das Volk noch der Senat verdienen, außer der Rücksicht, daß sie Herren der Welt werden wollten und waren, absolute Hochachtung; einen Populus Romanus, der mit römischer Anmaßung für seine Stimme Brot und zirzensische[306] Spiele begehret, wünschten wir uns auch nicht. Ebensowenig Klienten und Kandidaten nach römischer Weise. Also das Forum und den Senat an seine Orte gestellt, blieb denen Römern, die ein daurendes Publikum suchten, nichts als was auch wir haben, der Beifall und die Stimme der erlesensten edlen Römer. Diese hörten ihren Vortrag oder kauften ihre Rolle; sie billigten und mißbilligten, wie es ihnen gutdünkte. Daß aber in den bessern Stellen ihrer Gedichte Lukrez und Catull, Horaz und Virgil, Ovid, Tibull, Properz u.a. so klassisch ausgearbeitet, vollendet und schön geschrieben, zeigt, daß sie sich feinere Vorbilder, schärfere Leser und ein höheres Publikum dachten, als viele unsrer Dichter und Schriftsteller zu denken gewohnt sind. Ihre eigne Bildung und die Höhe, auf welcher Rom stand, trug dazu bei. Der Geschichtschreiber Roms schrieb die Geschichte der Weltmonarchin; ihre Dichter sangen in der römischen Sprache; in dieser stellten ihre Rechtsverständigen Urteile aus, als die Stimme ihrer großen Redner dahin war. – Mit dem allen können wir uns nicht gleichen. Wenn aber unsre Sprache eine Schwester der griechischen ist, da die römische nur die angenommene Tochter derselben war, so hätten wir, sobald wir uns zur römischen Denkart erheben könnten, eine weitere Laufbahn vor uns als jene. Überwinder der Welt wollen wir nicht werden; was aber in uns römischen oder (wenn dieser einst größere Name noch einen Wert hat) deutschen Charakter enthält, warum sollten wir das einer Sprache nicht geben können, die einst in viel roherem Zustande auch eine Herrin der Welt war? Dichter und Geschichtschreiber, Rechtslehrer und Gesetzgeber, warum wurdet ihr zu solcher Zeit nicht auch wie jene für ein fortdaurendes Publikum Herren der Erde?


4. Publikum des Christentums


Als der Urheber des Christentums seine Stimme erhob, verbreitete er mit derselben ein Publikum über die Völker. Er kündigte ein ankommendes Reich an, zu dem alle Nationen[307] gehören und das nicht in äußerlichen Zerimonien, sondern in Übungen des Geistes, in Vollkommenheiten des Gemüts, in Reinheit des Herzens, in Beobachtung der strengsten Billigkeit und einer verzeihenden Liebe unter den Menschen blühe. Dahin zielen seine Reden, dazu rüstete er andre aus, und das Gebet, das er seine Schüler lehrte, ist darüber ein bittendes Bekenntnis. »Es soll ein Reich zu uns kommen, in dem alles Ehrwürdige geehrt, jede heilige Pflicht getan und der Wille Gottes auf Erden so willig und vollkommen vollbracht werde, wie ihn die seligen Geister ausüben.« Seine Stimme, die Stimme seiner Boten in Lehren und Schriften erklang; es entstand eine Gemeine, ein christliches Publikum unter mehreren Nationen, das sich zu dieser Lehre, Pflicht und Hoffnung bekannte.

Haben wir noch dies Publikum? Allerdings; die kleinste christliche Versammlung ist ein Symbol der einen allgemeinen Kirche, die unter hundert Völkern der Erde lebet. Diese war und ist hie und da mit Mißbräuchen bedeckt, mit Mißverständnissen umnebelt; der reine klare Sinn der Stiftung dieser Geistesversammlung, ihr auf alle Zeiten und zum Gebäude der gesamten Menschheit wirkender Zweck bleibt aber unverkennbar. Nicht in der Prachtgestalt eines drückenden, stolzen Gesetzes, in der aufmunternden, sanften Gestalt einer tröstenden Friedensbotschaft wirkt dies moralische Institut auch zu den strengsten Pflichten. Wo zwei oder drei versammlet sind, lebt der Stifter dieser Versammlung; im Inhalt seiner Lehre selbst liegt ihr Zweck, die Auferbauung eines moralischen Gebäudes, bis zum Ende der Zeiten.

Es ist traurig, wenn dieser Zweck, auf ein seiner Natur nach fortgehendes ewiges Publikum zu wirken, hie und da verkannt wird, indem man entweder Partikularmeinungen, sogar Spekulationen ins Christentum mischte, die dazu durchaus nicht gehören, oder den toten Buchstaben totbuchstäblich behandelt. Jedem Denkenden bleibe seine Privatmeinung über dies und jenes; jeder spekulative Kopf schmücke sein Lehrgebäude mit seiner besten Spekulation aus; nur die Christenheit, [308] als Publikum betrachtet, bleibe damit verschonet. Die Lehre und der Zweck des Stifters sei oder werde ein reiner Strom, der, was ihm von National- und Partikularmeinungen wie ein trüber Bodensatz anhing, mehr und mehr niederschlägt und absetzt. So taten es schon die ersten Boten des Christentums mit ihren jüdischen Vorurteilen, je mehr sie in die Idee eines christlichen Publikums, eines Evangeliums für alle Völker eintraten; und es kann nicht fehlen, daß diese Läuterung des Christentums durch sanfte oder rauhe Mittel nicht mit den Jahrhunderten fortgehen sollte. Es ist sehr lehrreich, die Folge zu bemerken, mit der sich in der sogenannten Kirchengeschichte die harte Hülse des Christentums gebildet, hie und da aufgelöset und jedesmal einen reicheren Kern, einen feineren Samen der Fortpflanzung gewährt hat; so wird das Werk, mit oder ohne Namen des Urhebers, fortgehen bis ans Ende der Zeiten. Manche Formen sind zerbrochen, andre werden sich auflösen, nicht durch äußere Gewalt, sondern durch den innern treibenden Keim selbst, den die Sonne ruft, dem die ganze Natur ihre Stärke zuhauchet. Glücklich, wenn man in ein Publikum tritt, an welches diese Stimme in reinem Klange tönet. Sie umfaßt alle Stände, dringt durch alle Gewölbe und trifft den wesentlichen Punkt der Menschheit. Über augenblickliche, enge Verhältnisse, selbst über die Schranken der Fassungskraft dieser einzelnen Versammlung hinweggerückt, ahnet man ein fortgehendes erlesenes Publikum und atmet die Aura einer reinmoralischen Zukunft.


5. Publikum der Literatur


Das Christentum hatte ein Band unter Völkern geknüpft, wie es durch die Eroberungen Alexanders, der Römer und Hunnen nie geknüpft worden; seinem Zweck nach ein friedenstiftendes Band, so oft es auch zu Streit und Händeln Gelegenheit gab oder gemißbraucht wurde. In den Händen der Vorsehung ward es zugleich ein Band der Kultur, einer [309] gemeinschaftlichen Kultur der Völker. Wechselseitige Rechte und Pflichten kamen dadurch zwar nicht in bleibenden Gebrauch, doch aber in ein anerkanntes Licht, in eine immer neu angefangene Übung. Die Völker Europens wurden sich nicht nur bekannter, sondern auch durch gegenseitige Bedürfnisse, bei gemeinsamen Zwecken und Bestrebungen einander unentbehrlich; ihre Tendenz ward immer mehr und mehr auf einen Punkt gerichtet. Erfindungen kamen hiezu, die bei diesen gemeinschaftlichen Bedürfnissen ein Volk vom andern borgte, worin eins dem andern vorzueilen suchte; es entstand in ihrer Vervollkommnung ein Wetteifer unter den Nationen. Nun konnten nicht so leicht mehr Gedanken, Versuche, Entdeckungen, Übungen untergehen, wie in Zeiträumen der einst voneinander getrennten Völker; das Samenkorn, das hier und jetzt keine Wurzel fand, trug ein günstiger Zephyr auf einen mildern Boden, wo es vielleicht unter neuem Namen gedeihete. Im Druck der Zeiten und des Klima schlossen sich Zünfte zusammen, die mit gemeinsamer, oft etwas roher Hand dem Fleiß, der Tätigkeit, allmählich auch der Erfindung und dem Geist der Menschen Schutz und Dauer verschafften, die also, wiewohl sie durch Privatleidenschaften und drückende Verhältnisse das Werk der Vorsehung oft zu hindern schienen, zuletzt dasselbe doch fördern mußten Durch alles Reiben der Völker, der Gesellschaften, Zünfte und Glieder untereinander erwuchs immer ein größeres oder feineres Publikum, das in Streit und Friede, in Liebe und Leid einander teilnahm. Auf diesem Wege bekam die rohe Kunst, der vom Bedürfnis erpressete Fleiß der Einwohner Europens nicht nur diesen ganzen Weltteil, sondern durch ihn auch alle Weltteile zum gemeinschaftlichen Boden. Was für den Krieg und Handel, für die Seefahrt und den Luxus erfunden und ausgeübt ward, verbreitete seine guten und schädlichen Wirkungen auf alle Weltteile unsrer bewohnten Menschenerde; alle Völker Europas greifen hiebei ineinander und halten unsern Erdball für das Publikum, worauf sie zu wirken haben.[310]

Von frühen Zeiten her sind Schulen und Universitäten ein Mittel gewesen, für Kenntnisse und Wissenschaften ein Publikum zu verbreiten; ja sie sind es noch. Selbst die Scharfsinnigen in mehreren geistlichen Orden flüchteten sich hinter ihre Schutzmauern und breiteten von da aus ihre Meinungen weit umher. Was man nicht lehren durfte, darüber disputierte man nach akademischen Gesetzen und übte die Denkkraft der Menschen. Wiclef und Luther Schützte die Universität, und auch Huß hätte sie geschützt, wenn er sich nicht auf das treulose Wort eines Kaisers verlassen hätte. Mehr noch aber als Schutz gab die Universität den Meinungen ihrer Lehrer: auch Gewicht, Stärke, Ausbreitung. Tausende junger Leute aus verschiedenen Ländern, in Jahren, da die Seele alles mit Liebe erfaßt, da Jünglinge den Lehrer nicht ohne Begeisterung ansehen, hörten ihre Stimme und trugen ihr Wort jeder in sein Vaterland, zu seinem Geschäfte. Jahre nach Jahren wechseln diese Zöglinge der Universitäten; als Scharen von Zugvögeln kommen sie, rauben das Wort des Lehrers und fliegen damit in ihre Lande. Ein großes achtungswürdiges Publikum! das bildsamste, wirkungsreichste, dessen die Menschheit in ihrem jetzigen Zustande fähig ist und welches noch lange, in immer verbesserter Gestalt, dauren möge. Die Jahre des Jünglinges auf der Akademie sind ihm zeitlebens die liebsten Jahre; was er da mit Lust zur Wissenschaft, im ersten Feuer der Begeisterung, noch unbekannt mit Lasten und Hinderungen des Lebens, oder mit jugendlichem Mut diese verachtend, als Beute des Wissens, als Regel der Übung annahm, das bleibt ihm lang oder immer ein froh erworbener Schatz, eine heilige Regel.

Haben wir noch dies Publikum der Schulen und Universitäten? Wir haben's noch, und es hat sich (was man auch sagen möge) nicht verschlimmert, sondern verbessert. Seltner treten jetzt die rohen Heere erwachsener Streiter auf dieses Feld des Wissens und Lernens; zartere Jünglinge sind es, in denen das Wort des Lehrers auch zartere, deshalb aber nicht unkräftigere Wurzeln schlägt. Wenn sie es nicht mit der[311] Klinge behaupten, so hangen sie ihm desto gewissenhafter an; der Lehrer sprach für sie selbst jugendlicher und weckte ihr eignes Nachdenken, ihre mit ihm wirkende Kräfte. Einst lernte man und behauptete; er kultiviert und bessert. Statt des ehemaligen Sekten- und Raufgeistes nehmen mehrere Universitäten eine feinere Tendenz an, Gesellschaften der Wissenschaft, pythagorische Schulen zu werden, in denen sich die erlesensten Jünglinge nicht zum Wissen der Diktaten, sondern zur Wissenschaft, zur Übung und Kunst ihres Lebens oder Geschäfts bilden. Ein schönes Publikum, wenn der Lehrer den Wert seines Geschäfts fühlet. Glaube niemand, daß mit Wiclef, Huß, Luther diese große Wirkung der Universitäten vorüber sei; die Reformation auf ihnen in jeder Wissenschaft, Falkultät und Lehre ist noch nicht stillgestanden, ja, sie wird und kann nicht stillstehen, solange Universitäten da sind. Mehrere Lehrer einer Fakultät, mehrere Fakultäten, mehrere Universitäten gegeneinander sind gemeiniglich in Wettstreit; dieser Wettstreit muß mit den Jahren nicht abnehmen, sondern wachsen Je mehr die Handwerkshindernisse geschwächt werden (dies müssen sie notwendig), je mehr das Werk der Akademien ein Werk des Geistes und einer freien Übung wird, desto mehr entzündet sich der Wetteifer mit reinerer Flamme. Universitäten sind Wacht- und Leuchttürme der Wissenschaft; sie spähen aus, was in der Ferne und Fremde vorgeht, fördern es weiter und leuchten andern selbst vor. Universitäten sind Sammlungs- und Vereinigungsplätze der Wissenschaft; aus ihrer Zusammenstellung und gegenseitigen Befehdung oder Befreundung entspringen dort und dann neue Resultate. Universitäten endlich sollten die letzten Freistätten und eine Schutzwehr der Wissenschaften sein, wenn solche nirgend eine Freistatt fänden. Was allenthalben verkannt würde, was im Geschäft hie und da seine Stimme wehrlos erhübe, sollte hier einer unparteiischen Aufmerksamkeit und eines Beistandes genießen, der von keinem Einfluß gestört würde. Irre ich nicht, so ist dies mehrmals geschehen; die Ratschläge der Lehrer haben Verfolgungen[312] aufgehalten, die die Ratschläge der Staatsweisen nicht unterdrücken mochten; und so sehe ich auch für die Zukunft Ratschläge der Lehrer auf Universitäten hervorgehen, denen die Ratschläge blöder Weisen kaum bestehen mögen. Bis also die Universitäten sich selbst unnot machen, unterstütze man ihren Wert; ihr Publikum wird noch lange durch ein besseres nicht ersetzt werden. Zunächst gilt dieses von den Universitäten Deutschlands; fast sind sie die einzige Gattung deutscher Institute, die jedes Ausland mit Recht ehret.

Ein noch größeres Publikum hat uns die Buchdruckerei verschaffet; es ist sehr gemischt und fast unübersehlich. Welche Mühe kostete es in ältern Zeiten, Bücher zu haben, mehrere zu vergleichen und über einen Inbegriff von Wissenschaft zu urteilen. Jetzt überschwemmen sie uns, eine Flut Bücher und Schriften, aus allen für alle Nationen geschrieben. Ihre Blätter rauschen so stark und leise um unser Ohr, daß manches zarte Gehör schon jugendlich übertäubt wurde. In Büchern spricht alles zu allem; niemand weiß, zu wem. Oft wissen wir auch nicht, wer spreche; denn die Anonymie ist die große Göttin des Marktes. Von einem solchen Publikum wußte weder Rom noch Griechenland; Gutenberg und seine Gehülfen haben es für die ganze Welt gestiftet.

Was ist darüber zu sagen? Dies, daß es, ohngeachtet aller und der schnödesten Mißbräuche, ein großes Geschenk, ein unwiderrufliches Privilegium für die menschliche Gesellschaft und ein ungeheures Mittel der Vorsehung sei, dessen Wirkungen und Folgen noch nicht vor unserm Auge liegen. Was geschehen ist, können wir nicht zurücknehmen; die Buchdruckerei ist da, nicht nur als Nahrungszweig für Handel und Arbeit, sondern als eine Tuba der Sprache, so weit dies oder jenes Produkt reichet. Alle Monarchen der Welt, wenn sie mit vereinten Kräften für jede Druckerstube träten, könnten die arme Familie dieses Letternkastens, das Asyl und den Telegraf menschlicher Gedanken nicht zerstören. Ja, wer wollte es zerstören, da es, nebst einigem Bösen, so unsäglich viel Gutes gestiftet hat und seiner unschuldigen, aber kräftigen[313] Natur nach notwendig noch stiften wird. Der Redner übertäubt mich; der Schriftsteller spricht leise und sanft; ich kann ihn bedächtig lesen. Der Redner blendet mich mit seiner Gestalt, mit seinem Gefolg und Ansehn; der Schriftsteller spricht unsichtbar, und es ist meine Schuld, wenn ich mich von seinem Wortprunk hintergehen oder mir von seinem Geschwätz die Zeit rauben lasse; ich soll ihn prüfen, ich darf ihn wegwerfen. Gegenseits ist auch freilich das Irrsal und die Verführung des Redners vorübergehend und in einem Kreise beschlossen; das Gift und Irrsal des Schriftstellers, seine Ehre und Schande dauret. Er selbst kann sie nicht als etwa durch Besserung, durch Widerruf zurückrufen; und auch dadurch wird, was geschehen ist, nicht ungeschehen. Wer weiß, ob dies Blatt des Widerrufs oder der Widerlegung in die vorige Hand kommt oder ob es dem Irrtum gleich wirket? Das Publikum der Schriftsteller ist also von eigner Art, unsichtbar und allgegenwärtig, oft taub, oft stumm und nach Jahren, nach Jahrhunderten vielleicht sehr laut und regsam. Verloren und doch unverloren, ja unverlierbar ist, was man in seinen Schoß schüttet. Man kann nie mit ihm abrechnen; sein Buch ist nie geschlossen, der Prozeß vor und mit ihm wird nie beendet; es lernt immer und kommt nie zum letzten Resultat.

Man hat diesem Ewig-Unmündigen Vormünder setzen wollen, die Zensoren, aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, mit fruchtloser Mühe und meistens mit dem widrigsten Erfolg. Der Unmündige kostet am liebsten, was man ihm versagte; er suchet auf, was man ihm hinterhalten wollte; das Verbot eines Vortrages an dies Publikum ist gerade das Mittel, selbst einem unnützen Wort Ansehen, Gewicht und Aufmerksamkeit zu geben. Und welcher bescheidne Mann wird ein Vormund des gesamten Menschenverstandes, des Publikums aller Zeiten und Länder zu sein wagen? Laß jeden Weisen und Toren schreiben nach seiner Weise, wenn er in zweifelhaften Fällen nur sich nennet und niemand persönlich beleidiget.

Es sei mir erlaubt, mich hierüber zu erklären. Der weiseste[314] Zensor, wenn er auch die Stimme eines ganzen, ja des aufgeklärtesten Staates vorstellt, kann in dem, was Lehre und Meinung betrifft, schwerlich die Stimme des Publikums, der sich ein Schriftsteller freiwillig unterwirft, auf- oder überwiegen wollen. Wenn sein Urteil auch die Weisheit Salomos wäre, wenn es die Klugheit aller vergangenen Jahrhunderte enthielte und dem geprüften Verstande einer großen Zukunft voreilte, so fehlt ihm doch eins, die Legitimation hiezu; denn weder die Vor- noch Nachwelt hat ihn darüber beurkundet. Der Schriftsteller wird also gegen ihn immer die Einrede haben, daß er dem Urteil der Welt vorgreife, daß er sich unbefugt eine Entscheidung anmaße, die nur dem Publikum im weitesten Sinne des Worts gebühret; er wird von diesem Papst eines kleinen Staates an das allgemeine Concilium appellieren, das allein, und zwar nur in immer fortgehenden Stimmen, ein Richter des Wahren und Falschen sein könne. Wahrscheinlich werden ihm viele Stimmen beitreten; und bei dem größesten Recht wird der Zensor, der Form nach und um der Folgen willen, unrecht behalten. Ich darf nicht wiederholen, was man, wo es Wahrheit gilt, über Freiheit der Meinungen, die nur widerlegt, nicht aber unterdrückt werden dürfen, so oft und viel gesagt hat.

Wenn man also dem Publikum keine, auch nicht die tollesten Meinungen rauben darf, indem der Staat, wo sie ihm falsch oder gefährlich scheinen, lieber ihre offne Widerlegung veranlassen mag, damit zum Vorteil der Welt die Finsternis vom Lichte besiegt werde, so darf bei dieser ungebundnen Freiheit, bei der Achtung, die der Staat selbst dem Publikum erweiset, da er ihm nichts vorenthält, was irgendein Schriftsteller ihm darbringt, der Staat wohl auch fodern, daß jeder Schriftsteller sich nenne, der dem Publikum etwas darzubringen gut findet. Und zwar dies in allen Schriften, über jeden Gegenstand, Rezensionen fremder Bücher nicht ausgenommen. Denn wie hätte ich ein Recht, Anonymie zu verlangen, wo ich mich vors Publikum dränge und zu ihm meine Stimme erhebe? Einen freiwilligen Lehrer der Welt und Nachwelt muß man[315] kennen; er muß sich, wenn ihm Pflicht, Recht und Wahrheit lieb ist, nicht verbergen. Ein Mann, der öffentlich spricht, stehet für sein Wort; sonst nennet man ihn einen Feigen oder Lügner. Mit diesem einzigen leichten, wie mich dünkt, nicht ungerechten Mittel, wie mancher Keckheit, wie mancher Verleumdung würde vorgebeugt, die jetzt bloß hinter der Anonymie Schutz sucht. Wie vorsichtiger, überdachter und gehöriger würde man zum Publikum sprechen, wenn man wüßte, daß man nicht ohne eigne Ehre oder Schande zu ihm sprechen könnte! Und verdient das Publikum, der ehrwürdigste Name, der genannt werden kann, die Gesellschaft aller Guten und Edlen, nicht diese Achtung? Jeder Schriftsteller würde veranlaßt, in der würdigsten Gestalt vor ihm zu erscheinen, seine Stimme vor diesem großen Tribunal bescheiden hören zu lassen, dagegen aber auch, was er weise behauptet, standhaft zu verteidigen, ein ehrlicher Bekenner zu sein der von ihm dem Publikum gemeldeten Wahrheit. Jene Winkelträgereien, aufgefangene Gerüchte, erstohlne Personalitäten verlören sich von selbst; kein Ehrliebender wollte mit solcher Ware öffentlich am Markt stehn, die schändlich ist und fürs Publikum nicht gehöret. In Griechenland und Rom schämte sich kein Schriftsteller seiner Werke; auch unter uns darf sich kein Stand einer Schrift, wenn sie gut ist, schämen; dem höchsten wie dem niedrigsten Stande sollte Anonymie nicht erlaubt sein und über haupt dieselbe für das, was sie ist, für Hinterlist, Schimpf, niedriges Gewerbe und Feigheit gelten. Wer zum Publikum spricht, spreche als ein Teil des Publikums, also öffentlich, mit seinem Namen.

Noch ein viel Mehrers wäre über das Verhältnis des Schriftstellers zum Publikum zu reden. Jede Gattung der Skribenten schreibt für ihre Gattung Leser, die sie ihr Publikum, ihre Welt nennen Aus fröhlichen oder traurigen Erfahrungen, welche Schriften am meisten gelesen werden, kann man also auf den Geschmack, auf das Maß der Bildung des Publikums schließen, dem diese Schriften vor andern oder ausschließend wohltun. Die mittelmäßigen, die leichten, üppigen, lüsternen[316] finden natürlich die meisten Leser; viele gerühmte Schriftsteller haben nur durch Zeugnisse anderer ihren Ruhm erlangt und stehn auf guten Glauben, ungelesen, in den Bibliotheken. Das Publikum hallet nur ihre Namen wider. Deshalb aber wird kein guter Kopf, wenn er es nicht des Bauchs wegen tun muß, sich unwürdig (wie man sagt) zum Publikum herabstimmen oder seinem lüsternen, falschen Geschmack frönen. Der Schriftsteller soll das Publikum, nicht dies den Schriftsteller bilden. Delila schnitt Simson das Haar ab und übergab ihn kraftlos den Philistern; sie verspotteten ihn, und er mußte vor ihnen spielen.

Nicht die Blätter des Baums, die Keime, Blüten und Früchte sind sein edelstes Erzeugnis. Nicht das zahlreichste, sondern das verständigste Publikum ist mit seinem Beifall die Ehre des Schriftstellers, sein Zweck und Lohn. Das Urteil dieser vielleicht wenigen Leser dauert fort und wirkt weiter. Oft findet ein Schriftsteller diese Leser nur nach seinem Tode; Minos und Aeacus sind's, die unparteiisch über ihn richten. Dem Homer schaffte Lykurg und die Pisistratiden ein größeres, ein attisches Publikum, dem Milton Addison, Garrick dem Shakespeare u.f. Nichts ist angenehmer, als einem verdienten Toten Gerechtigkeit zu erweisen und über seinem Grabe die Stimme eines besseren, dankbaren Publikums zu werden. So hat Rousseau nach seinem Tode die Ehre mit Wucher genossen, die Voltaire bei seinen Lebzeiten sich zuzueignen wußte; und so gibt's bei allen Nationen andre Autoren, die berühmt sind, andre, die es zu sein verdienen.

An Liebe und Achtung gegen seine besten Schriftsteller (wenige ausgenommen) stehet Deutschland seinen kultivierten Nachbarn, Franzosen, Engländern, Italienern, nicht vor, sondern nach; der größere Teil des Publikums kennet sie nicht und trägt wenigstens sie nicht eben in Herz und Seele.

Haben wir also hierin (ich will nicht sagen, das Publikum der Alten, sondern nur) das Publikum der Franzosen, Engländer, Italiener? Wer diese Länder kennet und Deutschland kennet, antworte. An den Schriftstellern liegt es schwerlich;[317] sie taten, was sie konnten, manche vielleicht zuviel. An Charakter und an der Verfassung der Nation liegt es, an der Unkultur und der Unkultivierbarkeit (wenn mir zu Bezeichnis eines Barbarismus ein barbarisches Wort erlaubt ist), am falschen Geschmack und der genetischen Roheit mancher Stände und Lebensarten. Bei weitem ist unsre Sprache noch nicht so gebildet, jedem Vortrage, jeder Art des Wissenswürdigen so zugebildet als die Sprachen unsrer Nachbarn; vielmehr haben wir mit einer benachbarten Nation zu kämpfen, daß ihre Sprache die unsere nicht ganz vertilge. Erwache also, du schlafender Gott, wenn du nicht etwa dichtest oder über Feld gegangen bist; erwache, deutsches Publikum, und laß dir dein Palladium nicht rauben. Aus dem trägen Schlummer, aus dem niedrigen Stolz, der das Beste wegwerfend verachtet, aus der Anmaßung, die dem Schlechtsten das Privilegium des Besten erteilen zu können glaubt, aus der nie teilnehmenden Kälte, aus der völligen Seelenentfremdung, glaube mir, wird nichts und kann nichts werden. Die Zeit, da das alles galt, ist vorüber. Unsanft aus dem Schlafe gerüttelt, erwache und zeige, daß du kein Barbar bist, damit man dir nicht als einem Barbaren begegne. Deine Sprache, die Schwester der griechischen, die Königin und Mutter vieler Völker, für ganz Europa hast du zu sichern, auszubilden, zu bewahren.

Sollten wir aber bloß in Reden und Schriften, in Lehren und Hören ein Publikum haben? keins für unsre Handlungen? keins für unser ganzes Dasein? Kein Publikum, das auf uns wirkte, worauf wir durch unser Beispiel, durch unser Vorbild schweigend wirken? Zweifle daran niemand, ja auch daran niemand, daß diese stille Wirkung in einem kleinen Kreise von mächtiger Wirkung sei. Sie ist reell; in ihr ist nichts Schein und Schminke. Der Kreis, in dem du lebest und dein Geschäft treibest, ist dein Publikum; sei dies klein oder groß, du prägst in dasselbe das Bild deiner Existenz, deiner Denk- und Handlungsweise. Hiemit wirkst du unvermerkt oder bemerket auf die Deinen, die nach deinem Muster oder mit Einflüssen von dir fortwirken, auf deine Mitarbeiter,[318] Untergebene oder Vorgesetzte. Leise oder stürmisch verbreiten sich also Wellen und Wogen mit und ohne deinen Namen auf deine Zeitgenossen und die Nachwelt fort. So haben zu allen Zeiten die würdigsten Männer auf ihr Publikum gewirket; sie sprachen mit der starken Stimme ihres tätigen Beispiels und dachten nicht daran, daß im größeren Publikum ihr Name genannt würde. Das schärfste und edelste Publikum waren sie sich selbst, der Aufmunterer, Zeuge und Richter ihrer Handlungen, ein Gesetz, das in ihnen lebte. Wohl uns, wenn wir uns dies Publikum sind; wir haben sodann die laute, oft sehr unsichre und unreine Stimme der größeren Welt nicht nötig.


II.

Haben wir noch das Vaterland der Alten?

Griechen und Römern war das Wort Vaterland ein ehrwürdig-süßer Name. Wem sind nicht Stellen aus ihren Dichtern und Rednern bekannt, in denen Söhne des Vaterlandes ihm als einer Mutter kindliche Liebe und Dankbarkeit, Lobpreisungen, Wünsche und Seufzer weihen? Der Entfernete sehnet sich darnach zurück, hoffnungsvoll oder klagend schauet er zur Gegend desselben hin, empfängt die Lüfte, die daher wehen, als Boten seiner Geliebten. Wiedergegeben dem Vaterlande, umfängt er es und küsset seinen Boden mit Tränen. Der in der Entfernung Sterbende vermacht ihm noch seine Asche; auch nur ein leeres Grabmal des Andenkens wünschet er sich bei den Seinen. Fürs Vaterland zu leben hieß ihnen der höchste Ruhm, fürs Vaterland zu sterben der süßeste Tod. Wer mit Rat und Tat dem Vaterlande aufhalf, wer es rettete und mit Kränzen des Ruhms schmückte, erwarb sich einen Sitz unter den Göttern; Himmels- und Erdenunsterblichkeit war ihm gewiß. Dagegen wer das Vaterland beleidigte, es durch seine Taten entehrte, wer es verriet oder bekriegte, in den Busen seiner Mutter hatte der das Schwert gestoßen, er war ein Vater-, ein Kinder-, ein Freundes- und Brudermörder. »Cariorem decet esse patriam nobis quam[319] nosmet ipsos.« »Dulce et decorum est, pro patria mori« u. f. Haben auch wir dies Vaterland der Alten? Und welches sind die geliebten Bande, die uns daran fesseln?

Der Boden des Landes, auf dem wir geboren sind, kann für sich allein dies Zauberband schwerlich knüpfen; vielmehr wäre es die härteste aller Lasten, wenn der Mensch, als Baum, als Pflanze, als Vieh betrachtet, eigen und ewig, mit Seele, Leib und allen Kräften dem Boden zugehören müßte, auf welchem er die Welt sah. Harte Gesetze gnug hat es über dergleichen Erbeigentümlichkeit, Eigengehörigkeit u. f. gegeben und gibt es noch; der ganze Gang der Vernunft, der Kultur, ja selbst der Industrie und der Nutzberechnung gehet dahin, diese geborne Sklaven eines Mutterleibes oder der Muttererde mit sanftern Banden an ein Vaterland zu knüpfen und sie von der harten Scholle, die sie im Leben mit ihrem Schweiß, im Tode mit ihrer Asche düngen sollen, allmählich zu entfesseln.

Als noch Nomadenvölker in der Welt umherzogen, wüste Plätze zeitenlang innehatten und in diesen ihre Väter begruben, da gab der Boden des Landes, den diese Völker besaßen oder besessen hatten, Anlaß zum Namen eines Landes der Väter. »An unsrer Väter Gräbern erwarten wir euch,« rief man den Feinden zu, »auch ihre Asche wollen wir schützen und unser Land sichern.« So ist der heilige Name entstanden, nicht als ob Menschen aus dem Boden entsprossen wären. Nur Kinder können das Vaterland lieben, nicht erdgeborne Knechte oder wie Wild gefangene Sklaven.

Was uns im Vaterlande zuerst erquickt, ist nicht die Erde, auf die wir sinken, sondern die Luft, die wir atmen, die väterlichen Hände, die uns aufnehmen, die Mutterbrust, die uns säuget, die Sonne, die wir sehen, die Geschwister, mit denen wir spielen, die freundlichen Gemüter, die uns wohltun.[320] Unser erstes Vaterland ist also das Vaterhaus, eine Vaterflur, Familie. In dieser kleinen Gesellschaft leben die eigentlichen und ersten Freuden des Vaterlandes, wie in einem Idyllenkreise; in Idyllen leibt und lebt das Land unsrer ersten Jugend. Sei der Boden, sei das Klima, wie es wolle, die Seele sehnt sich dahin zurück, und je weniger die kleine Gesellschaft, in der wir erzogen wurden, ein Staat war, je weniger sich Stände und Menschenklassen darin trennten, um so weniger Hindernisse findet die Einbildungskraft, sich in den Schoß dieses Vaterlandes zurückzusehnen. Da hörten und lernten wir ja die ersten Töne der Liebe; da schlossen wir zuerst den Bund der Freundschaft und empfanden die Keime zarter Neigung in beiden Geschlechtern; wir sahen die Sonne, den Mond, den Himmel, den Frühling mit seinen Bäumen, Blüten und damals uns so süßeren Früchten. Der Weltlauf spielte vor uns; wir sahn die Jahreszeiten sich wälzen, kämpften mit Gefahren, mit Leid und Freude – wir sommerten und winterten uns gleichsam in die Welt ein. Diese Eindrücke, moralisch und physisch, bleiben der Einbildungskraft eingegraben; die zarte Rinde des Baums empfing sie, und ohne gewaltsame Vertilgung werden sie nur mit ihm sterben. Wer hat nicht die Seufzer und Klagen gelesen, mit denen selbst Grönländer sich von ihrem Jugendlande entfernten, mit denen sie aus der Kultur Europas durch alle Gefahren dahin zurückstrebten? Wem tönen nicht noch die Seufzer der Afrikaner ins Ohr, die aus ihrem Vaterlande geraubt wurden? In einfachen kleinen Gesellschaften lebten sie da, in einem Idyllenlande der Jugend.

Die Staaten oder vielmehr Städte der Griechen, denen der Name des Vaterlandes so teuer und lieb war, schlossen sich unmittelbar an diese kleinen Gesellschaften an; die Gesetzgebung begünstigte diese und leitete von ihnen ursprünglich ihre ganze Energie her. Es war das Land der Väter, das man beschützte, es waren Jugendgenossen, Geschwister und Freunde, nach denen man sich sehnte; den Bund der Liebe, den Jünglinge schlossen, billigte und nützte das Vater land. Mit[321] seinen Freunden wollte man begraben sein, mit ihnen genießen, leben und sterben. Und da die edlen Vorfahren dieser Stämme das Gemeinwesen, zu dem sie gehörten, unter dem Schutz der Götter errichtet, mit ihrer Mühe und Arbeit bezeichnet, mit ihrem Blute besiegelt hatten, so ward den Nachkommen der Bund solcher Gesetze als ein moralisches Vaterland heilig; denn höher schätzten die Griechen nichts als das Verdienst der bürgerlichen Einrichtung, dadurch sie Griechen geworden und über alle Barbaren der Welt erhöhet waren. Die Götter ihres Landes waren die schönsten Götter; seine Helden, Gesetzgeber, Dichter und Weise waren in Einrichtungen, Liedern, Denkmalen und Festen unsterblich; hiemit prangten ihre öffentliche Plätze und Tempel; der Sieg der Griechen über die Perser allein machte ihnen ihr Land, ihre Verfassung, ihre Kultur und Sprache zur Krone des Weltalls. Im Äther solcher Ideen schwammen die Griechen, wenn sie den Namen des Vaterlandes oft edel gebrauchten, oft auch mißbrauchten. Mehrere Städte teilten diesen Ruhm, jede auf ihre Weise. Und was Rom sich an seiner Weltbeherrscherin, dem Sammelplatz alles Sieges und Ruhms, dachte, davon zeigt die römische Geschichte.

In die Zeiten Griechenlands oder Roms sich zurückwünschen wäre töricht; diese Jugend der Welt sowie auch das eiserne Alter der Zeiten unter Roms Herrschaft ist vorüber; schwerlich dürften wir, wenn auch ein Tausch möglich wäre, in dem, was wir eigentlich begehren, bei dem Tausche gewinnen. Spartas Vaterlandseifer drückte nicht nur die Heloten, sondern die Bürger selbst und mit der Zeit andre Griechen. Athen fiel seinen Bürgern und Kolonien oft hart; es wollte mit süßen Phantomen getäuscht sein. Die römische Vaterlandsliebe endlich ward nicht für Italien allein, sondern für Rom selbst und die gesamte Römerwelt verderblich. Wir wollen also aufsuchen, was wir am Vaterlande achten und lieben müssen, damit wir es würdig und rein lieben.

1. Ist's, daß einst Götter vom Himmel niederstiegen und unsern Vätern dies Land anwiesen? Ist's, daß sie uns eine[322] Religion gegeben und unsre Verfassung selbst eingerichtet haben? Überkam durch einen Wettkampf Minerva diese Stadt? Begeisterte Egeria unsern Numa mit Träumen? – Eitler Ruhm; denn wir sind nicht unsre Väter. Sind auf Minervas heiligem Boden der großen Göttin wir unwert, reimen sich Numas Träume nicht mehr mit unsern Zeiten, so steige Egeria wieder aus der Quelle, so lasse Minerva zu neuen Begeisterungen sich vom Himmel hernieder.

Ohne Bilder zu reden, es ist für ein Volk gut und rühmlich, große Vorfahren, ein hohes Alter, berühmte Götter des Vaterlandes zu haben, solange diese es zu edeln Taten aufwecken, zu würdigen Gesinnungen begeistern, solange die alte Zucht und Lehre dem Volke gerecht ist. Wird sie von diesem selbst verspottet, hat sie sich überlebet oder wird gemißbraucht: »Was hilft dir (ruft Horaz seinem Vaterlande zu), stolzer pontischer Mast, was hilft dir deine vornehme Abkunft? was helfen dir die gemalten Götter an deinen Wänden?« Ein müßig-besessener, von unsern Vorfahren trägeererbter Ruhm macht uns bald eitel und unsrer Vorfahren unwert. Wer sich einbildet, von Hause aus tapfer, edel, bieder zu sein, kann leicht vergessen, sich als einen solchen zu zeigen. Er versäumt, nach einem Kranze zu ringen, den er von seinen Urahnen an schon zu besitzen glaubet. In solchem Wahn von Vaterlands-, Religions-, Geschlechts-, Ahnenstolze ging Judäa, Griechenland, Rom, ja beinah jede alte mächtige oder heilige Staatsverfassung unter. Nicht was das Vaterland einst war, sondern was es jetzt ist, können wir an ihm achten und lieben.

2. Dies also kann, außer unsern Kindern, Verwandten und Freunden, nur seine Einrichtung, die gute Verfassung sein, in welcher wir mit dem, was uns das Liebste ist, gern und am liebsten leben mögen Physisch preisen wir die Lage eines Orts, der bei einer gesunden Luft unserm Körper und Gemüt wohltut; moralisch schätzen wir uns in einem Staat glücklich, in dem wir bei einer gesetzmäßigen Freiheit und Sicherheit vor uns selbst nicht erröten, unsre Mühe nicht verschwenden, uns und die Unsrigen nicht verlassen sehen, sondern als[323] würdige, tätige Söhne des Vaterlandes jede unsrer Pflichten ausüben und solche vom Blicke der Mutter belohnt sehen dürfen. Griechen und Römer hatten recht, daß über das Verdienst, einen solchen Bund gestiftet zu haben oder ihn zu befestigen, zu erneuen, zu läutern, zu erhalten, kein andres menschliches Verdienst gehe. Für die gemeinschaftliche Sache nicht der Unsern allein, sondern der Nachkommenschaft und des gesamten, ewigen Vaterlandes der Menschheit zu denken, zu arbeiten und (großes Los!) glücklich zu wirken: was ist hiegegen ein einzelnes Leben, ein Tagewerk weniger Minuten und Stunden?

Jeder, der auf dem Schiff in den flutenden Wellen des Meeres ist, fühlet sich zum Beistande, zur Erhaltung und Rettung des Schiffs verbunden. Das Wort Vaterland hat das Schiff am Ufer flottgemacht; er kann, er darf nicht mehr (es sei denn, daß er sich hinausstürze und den wilden Wellen des Meers überlasse) im Schiff, als wär er am Ufer, müßig dastehn und die Wellen zählen. Seine Pflicht ruft ihn (denn alle seine Gefährten und Geliebten sind mit ihm im Schiffe), daß, wenn ein Sturm sich empört, eine Gefahr droht, der Wind sich ändert oder ein Schiff hinanschleudert, sein Fahrzeug zu übersegeln, seine Pflicht ruft ihn, daß er helfe und rufe. Leise oder laut, nachdem sein Stand ist, dem Bootsknecht, Steuermann oder dem Schiffer, seine Pflicht, die gesamte Wohlfahrt des Schiffes ruft ihn. Er sichert sich nicht einzeln; er darf sich nicht in den Kahn einer erlesenen Ufergesellschaft, der ihm hier nicht zu Gebot stehet, träumen; er legt Hand an das Werk und wird, wo nicht des Schiffes Retter, so doch sein treuer Fahrgenoß und Wächter.

Woher kam es, daß manche einst hochverehrte Stände allmählich in Verachtung, in Schmach versanken und noch versinken? Weil keiner derselben sich der gemeinen Sache annahm, weil jeder als ein begünstigter Eigentums- oder Ehrenstand lebte; sie schliefen im Ungewitter ruhig wie Jonas, und das Los traf sie wie Jonas. O daß die Menschen bei sehenden Augen an keine Nemesis glauben! An jeder verletzten[324] oder vernachlässigten Pflicht hangt nicht eben eine willkürliche, sondern die notwendige Strafe, die sich von Geschlecht zu Geschlecht häufet. Ist die Sache des Vaterlandes heilig und ewig, so büßet sich seiner Natur nach jedes Versäumnis derselben und häuft die Rache mit jedem verdorbneren Geschäft oder Geschlechte. Nicht zu grübeln hast du über dein Vaterland, denn du warest nicht sein Schöpfer; aber mithelfen mußt du ihm, wo und wie du kannst, ermuntern, retten, bessern, und wenn du die Gans des Capitoliums wärest.

3. Sollte uns also nicht, eben im Sinne der Alten, die Stimme jedes Bürgers, gesetzt, daß sie auch gedruckt erschiene, als eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges Scherbengericht gelten? Der Arme konnte vielleicht nichts tun als schreiben, sonst hätte er wahrscheinlich etwas Besseres getan; wollet ihr dem Seufzenden seinen Atem, der ins wüste Leere hinausgeht, rauben? Noch werter aber sind dem Verständigen die Winke und Blicke derer, die weiter sehen. Sie muntern auf, wenn alles schläft; sie seufzen vielleicht, wenn alles tanzet. Aber sie seufzen nicht nur; in einfachern Gleichungen zeigen sie, vermöge einer unzweifelhaften Kunst, höhere Resultate. Wollet ihr sie zum Schweigen bringen, weil ihr bloß nach der gemeinen Arithmetik rechnet? Sie schweigen leicht und rechnen weiter; das Vaterland aber zählte auf diese stille Rechner. Ein Vorschritt, den sie glücklich angaben, ist mehr als zehntausend Zerimonien und Lobsprüche wert.

Sollte unser Vaterland dieser Rechenkunst nicht bedürfen? Sei Deutschland tapfer und ehrlich; tapfer und ehrlich ließ es sich einst nach Spanien und Afrika, nach Gallien und England, nach Italien, Sizilien, Kreta, Griechenland, Palästina führen; unsre tapfren und ehrlichen Vorfahren bluteten da und sind begraben. Tapfer und ehrlich ließen die Deutschen innerhalb und außerhalb ihrem Vaterlande sich, wie die Geschichte zeigt, dingen gegeneinander; der Freund stritt gegen den Freund, der Bruder gegen den Bruder; das Vaterland ward zerrüttet und blieb verwaiset. Sollte also außer der[325] Tapfer- und Ehrlichkeit unserm Vaterlande nicht noch etwas anders not sein? Licht, Aufklärung, Gemeinsinn; edler Stolz, sich nicht von andern einrichten zu lassen, sondern sich selbst einzurichten, wie andre Nationen es von jeher taten; Deutsche zu sein auf eignem wohlbeschützten Grund und Boden.

4. Der Ruhm eines Vaterlandes kann zu unsrer Zeit schwerlich mehr jener wilde Eroberungsgeist sein, der die Geschichte Roms und der Barbaren, ja mancher stolzen Monarchien wie ein böser Dämon durchstürmte. Was wäre es für eine Mutter, die (eine zweite, ärgere Medea) ihre Kinder aufopferte, um fremde Kinder als Sklaven zu erbeuten, die ihren eignen Kindern über kurz oder lang zur Last werden? Unglücklich wäre das Kind des Vaterlandes, das, hingegeben oder verkauft, ins Schwert laufen, verwüsten, morden müßte, um eine Eitelkeit zu befriedigen, die niemanden Vorteil gebieret. Der Ruhm eines Vaterlandes kann zu unsrer Zeit und für die noch schärfer richtende Nachwelt kein andrer sein, als daß diese edle Mutter ihren Kindern Sicherheit, Tätigkeit, Anlaß zu jeder freien, wohltätigen Übung, kurz, die Erziehung verschaffe, die ihr selbst Schutz und Nutz, Würde und Ruhm ist. Alle Völker Europas (andre Weltteile nicht ausgeschlossen) sind jetzt im Wettstreit, nicht der körperlichen, sondern der Geistes- und Kunstkräfte miteinander. Wenn eine oder zwei Nationen in weniger Zeit Vorschritte tun, zu denen sonst Jahrhunderte gehörten, so können, so dürfen andre Nationen sich nicht Jahrhunderte zurücksetzen wollen, ohne sich selbst dadurch empfindlich zu schaden. Sie müssen mit jenen fort; in unsern Zeiten läßt sich's nicht mehr Barbar sein; man wird als Barbar hintergangen, untertreten, verachtet, mißhandelt. Die Weltepochen bilden eine ziehende Kette, der zuletzt kein einzelner Ring sich widersetzen mag, wenn er auch wollte.

Vaterländische Kultur gehört hiezu und in dieser auch Kultur der Sprache. Was ermunterte die Griechen zu ihren rühmlichen und schwersten Arbeiten? Die Stimme der Pflicht und des Ruhmes. Wodurch dünkten sie sieh vorzüglicher als[326] alle Nationen der Erde? Durch ihre kultivierte Sprache und was mittelst derselben unter ihnen gepflanzt war. Die imperatorische Sprache der Römer gebot der Welt, eine Sprache des Gesetzes und der Taten. Wodurch hat eine nachbarliche Nation seit mehr als einem Jahrhunderte so viel Einfluß auf alle Völker Europas gewonnen? Nebst andern Ursachen vorzüglich auch durch ihre im höchsten Sinne des Worts gebildete Nationalsprache. Jeder, der sich an ihren Schriften ergötzte, trat damit in ihr Reich ein und nahm teil an ihnen. Sie bildeten und mißbildeten; sie befahlen, sie imponierten. Und die Sprache der Deutschen, die unsre Vorfahren eine Stamm-, Kern- und Heldensprache nannten, sollte wie eine Überwundene den Siegeswagen andrer ziehn und sich dabei noch in ihrem beschwerlichen Reichs- und Hofstil brüsten? Wirf ihn weg, den drückenden Schmuck, du wider deinen eigenen Willen eingezwängte Matrone, und sei, was du sein kannst und ehemals warest, eine Sprache der Vernunft, der Kraft und Wahrheit. Ihr Väter des Vaterlandes, ehret sie, ehret die Gaben, die sie, unaufgefordert und unbelohnt und dennoch nicht unrühmlich, darbrachte. Soll jede Kunst und Tätigkeit, durch welche mancher dem Vaterlande gern zu Hülfe kommen möchte, sich erst wie jener verlorne Sohn außerhalb Landes vermieten und die Frucht seines Fleißes oder Geistes einer fremden Hand anvertrauen, damit ihr solche von da aus zu empfangen die Ehre haben möget? Mich dünkt, ich sehe eine Zeit kommen –

Doch lasset uns nicht prophezeien, sondern hinter allem nur bemerken, daß jedes Vaterland schon mit seinem süßen Namen eine moralische Tendenz habe. Von Vätern stammet es her; es bringet uns mit dem Namen Vater die Erinnerung an unsre Jugendzeiten und Jugendspiele in den Sinn; es weckt das Andenken an alle Verdiente vor uns, an alle Würdige nach uns, denen wir Väter werden; es knüpft das Menschengeschlecht in eine Kette fortgehender Glieder, die gegeneinander Brüder, Schwestern, Verlobte, Freunde, Kinder, Eltern sind. Sollten wir uns anders auf der Erde betrachten?[327]

Müßte ein Vaterland notwendig gegen ein andres, ja gegen jedes andre Vaterland aufstehn, das ja auch mit denselben Banden seine Glieder verknüpfet? Hat die Erde nicht für uns alle Raum? Liegt ein Land nicht ruhig neben dem andern? Kabinette mögen einander betrügen; politische Maschinen mögen gegeneinander gerückt werden, bis eine die andre zersprengt. Nicht so rücken Vaterländer gegeneinander, sie liegen ruhig nebeneinander und stehen sich als Familien bei. Vaterländer gegen Vaterländer im Blutkampf ist der ärgste Barbarismus der menschlichen Sprache.


58.

Leibniz' Weissagung ist eine alte, bewährte Wahrheit.46 Eine Gemeinheit ohne Gemeingeist kranket und erstirbt; ein Vaterland ohne Einwohner, die es lieben, wird zur Wüste, und ein Haus, am Meeresufer auf Sand gebauet, als ein Platzregen fiel und ein Gewässer kam und weheten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tät einen großen Fall, sagt Christus.

Daß diese Gebrechlichkeit zu Leibniz' Zeiten nicht angefangen, sondern sich nur merklicher gemacht habe, bewährt die deutsche, ja, nach Verschiedenheit der Völker, Verfassungen und Länder, alle Geschichte. Lesen Sie, was Schmidt vom Zustande der deutschen Nation vorm Anfange des Dreißigjährigen Krieges sagt47 und mit Zeugnissen beleget; nach dem Westfälischen Frieden ward die Sache gewiß nicht besser. In Sitten und Grundsätzen, politisch und moralisch, ging alles mehr und mehr nicht zu einer größeren Konsistenz, sondern zu einer Auflösung hin, die auch von Moment zu Moment folgte. Daß aber durch dieses schleichende Fieber eine neue Gesundheit, wenngleich auf Kosten leidender oder[328] abgestorbener Glieder, bereitet werde, dies ist ein des großen Leibniz würdiger Gedanke. Das menschliche Geschlecht ist ein Phönix; auch in seinen Gliedern, ganzen Nationen, verjünget es sich und steht aus der Asche wieder auf.

Sehr übel ist's, daß wir in der Geschichte die Meinungen und Grundsätze der Völker, die dort und dann herrschten, so wenig bemerkt finden. Man sieht Erfolge, oft späte Erfolge, und muß die vielleicht längst im Verborgenen wirkende Triebfeder trüglich erraten. Noch seltner werden in ihr dergleichen herrschende Meinungen und Grundsätze in ihrer Abstammung und Fortpflanzung genealogisch verfolgt; man sieht sie hie und da wie Ströme aus der Erde brechen und sich, indes ihr Lauf unter der Erde fortgeht, dem Auge verlieren. Am seltensten sind Geschichtschreiber mit wirklich moralischem Blick über Vorfälle und Personen. So oft man von einem ägyptischen Totengericht über vergangene Zeiten spricht, so selten übt man es aus, weil vielen Beschreibern die Biegsamkeit des Geistes, sich in vergangene Zeiten zu setzen, andern die Waage des Urteils, der moralische Sinn, fehlet. Und fehlet dieser, oder ist er schief und verdorben, so wird die Geschichte selbst verderblich Ihr Urheber siehet mit falschem Blick, er wägt mit betrügerischen Gewichten.

Beispiele davon anzuführen, erlassen Sie mir: über Juden, Griechen und Römer, über Christen und Barbaren, über unsre und fremde Nationen sind dergleichen in Menge vorhanden. Je täuschender geschrieben, desto verderblicher; und oh, wer mag den unmoralischen und unmenschlichen Stumpfsinn nennen, mit dem man Helden, Taten, Begebenheiten und Revolutionen unter Alten und Neuen so oft knechtisch anstaunte, Lob und Tadel wie ein gedungener Elender austeilte und die unschuldig Verfolgten zuweilen noch im Grabe verfolget. Eine Geschichte der Meinungen, der praktischen Grundsätze der Völker, wie sie hie und da herrschten, sich vererbten und im stillen die größesten Folgen erzeugten, diese Geschichte mit hellem, moralischen Sinn, in gewissenhafter Prüfung der Tatsachen und Zeugen geschrieben, wäre eigentlich der[329] Schlüssel zur Tatengeschichte. Wegelin, ein denkender Geschichtforscher, hat diesen Gesichtspunkt oft im Blick; weil er aber zu systematisch denket, so verlieret er sich auf der ungeheuren Bahn meistens in dunkeln, zu allgemeinen Maximen.48

Und doch hängt von diesem scharfgehaltenen Augpunkt aller Nutzen der Geschichte ab; die Figuren des Gemäldes werden untreu, verworren und dunkel, wenn man ihnen dies Licht raubet. Wieviel z.B. ist über Machiavells »Fürsten« gesagt worden, und doch zweifle ich, ob mit ausgemachtem Resultate, indem einige dies Buch für eine Satire, andre für ein verderbliches Lehrbuch, andre für ein wankendes, schwachköpfiges Mittelding zwischen beiden halten. Und ein Schwachkopf war wahrlich Machiavell nicht; er war ein Geschicht- und Welterfahrner, dabei ein redlicher Mann, ein feiner Beobachter und ein warmer Freund seines Vaterlandes. Daß er den Wert und die Form von mancherlei Staaten gekannt habe, davon zeugen seine »Dekaden über den Livius,« und daß er kein Verräter der Menschheit werden wollte, beweiset jede Zeile seiner andern Schriften Sowie bis zum Alter hinan sein geführtes Leben. Woher nun das Mißverständnis dieser Schrift eines Schriftstellers, der so bestimmt, rein und schön zu schreiben wußte? Woher, daß dies Mißverständnis sich zwei Jahrhunderte erhalten und den feinsten Köpfen mitgeteilt hat, so daß ihm selbst der große Verfasser des »Anti-Machiavells« nicht entkommen mochte? Und doch ging das Buch zweiundsiebenzig Jahre umher, gebilligt und gelesen; niemand fand darin Arges. Machiavell hatte es einem Fürsten aus einem von ihm geliebten Hause, dem Neffen eines Papstes, zugeschrieben, der ihn hochhielt, dem er damit gewiß keine Schande machen wollte. Mich dünkt, das ganze[330] Mißverständnis rühre daher, daß man den Punkt nicht bemerkt, auf welchem damals das Verhältnis der Politik und Moral stand.

Beide hatten sich sichtbar und völlig getrennet. Die Zeiten Alexanders VI. und Cäsar Borgia waren zwar vorüber, aber auch Julius und Leo, Frankreich und Spanien, Florenz und die kleinen Tyrannen von Italien, ja jenseit der Alpen wollte niemand als Regent und Politiker Moralist sein. Man lachte die Tramontaner aus, die ins Regierungswesen so enge Begriffe brachten; denn von Erlangung oder Erhaltung der Macht und von den Mitteln dazu, insonderheit von Verschmitztheit und Klugheit, sei, glaubte man, hier die Rede, nicht aber von Güte und Weisheit. Die Religion, von der Moral ganz abgesondert, war selbst Politik, deren Hauptgesetz überhaupt die Staatsräson (la ragione del stato), deren Hauptmaxime es war: »die Dinge, jedes zu seiner Zeit, im Punkt seiner Reife nutzen zu können« (conocer las cosas en sa piato, en sa sazon, y saber las lograr). Eine solche Politik brachte Karl V. nach Deutschland; daher er auch die Reformation nie anders anzusehen vermochte; eine solche übten Könige, Fürsten, Staatsminister. In allen politischen Schriften war sie anerkannt; fast jede Stadt Italiens war jahrhundertelang ihr Schauplatz gewesen und war es noch. Hier schrieb Machiavell seinen »Principe,« ganz in den Begriffen seiner Zeit, ganz nach Vorfällen, die damals jedermann in Andenken waren. Aus diesen hatte er eben seine politischen Sätze abgezogen und belegte jeden derselben mit Beispielen begangener Fehler. »Wenn dies euer Handwerk ist,« sagt er gleichsam, »so lernt es recht, damit ihr nicht so unselige Pfuscher bleibet, als ich euch zeige, daß ihr seid und waret. Ihr habt keinen Begriff als von Macht und Ansehn; wohl, so braucht wenigstens die Klugheit, die euch zur sichern Macht und Italien endlich einmal zur Ruhe leitet. Ich habe euch euer Werk nicht angewiesen; treibt ihr's aber, so treibet es recht.« Daß dies die Haltung der Gedanken in Machiavells ganzem Buche sei, wird jeder Unparteiische fühlen.[331]

Damit wird es nun weder Satire noch ein moralisches Lehrbuch, noch ein Mittelding beider; es ist ein rein politisches Meisterwerk für italienische Fürsten damaliger Zeit, in ihrem Geschmack, nach ihren Grundsätzen, zu dem Zwecke geschrieben, den Machiavell im letzten Kapitel angibt, Italien von den Barbaren (gewiß auch von den ungeschickten Lehrlingen der Fürstenkunst, den unruhigen Plagegeistern Italiens) zu befreien. Dies tut er ohne Liebe und Haß, ohne Anpreisung und Tadel. Wie er die ganze Geschichte als eine Erzählung von Naturbegebenheiten der Menschheit ansah, so schildert er hier auch den Fürsten als ein Geschöpf seiner Gattung, nach den Neigungen, Trieben und dem gesamten Habitus, der ihm beiwohnet. Nicht anders hatte er in seinen »Dekaden« jede andre Regierungsform beäuget; nicht anders hatte er seine sechs Bücher von der »Kriegskunst,« seinen »Goldnen Esel,« den »Belphagor« aus der Hölle, der auf Erden ein Weib nahm, seine »Clitia« und »Mandragola« geschrieben; er ließ jedes Ding in seiner Art sein, was es war oder sein wollte. Wären Sie hiemit noch nicht befriedigt, so soll meinen redlichen Staatssekretär ein Heiliger rechtfertigen, der das, was jener mit einer feinen Reißfeder entwirft, mit einem Kirchenpinsel ausmalet. Also spricht der h. Thomas von Aquino; – Doch ich mag meinen Text mit den barbarisch-kräftigen Worten des Kirchenvaters nicht entweihen. Lesen Sie solche in Naudé, »Considérations politiques sur les coups d'état,« gleich im ersten Kapitel. Ich wollte, daß diese kleine Schrift des Naudé, die nach seiner Gewohnheit voll Gelehrsamkeit ist, übersetzt und mit dem zu ihr gehörigen historischen Kommentar, den eine spätere Ausgabe schon besitzt, begleitet erschiene. Ohne sarkastische Anmerkungen, mit dem ruhigen Blick, mit welchem Machiavell den Livius oder Barbeirac die Moral der Kirchenväter ansah, müßten auch Naudés »Betrachtungen über die Staatsstreiche« beäugt werden. Man blickte damit in welchen dunkeln Abgrund der Zeiten!


59.

[332] Nun änderten sich aber viele Dinge jenseit und diesseit der Alpen. Die Reformation entstand; sie entlarvte den Unfug der kirchlichen Politik so schrecklich, daß immer auch einige, obgleich wenige Strahlen auf die Staatspolitik fallen mußten. Jesuiten entstanden, die ein feineres Gewebe zu spinnen und die Kabinette schlauer zu regieren wußten. Karl IV. machte in Italien Ordnung; es kristallisierten sich die kleineren Staaten, und nur den größeren, einer Katharina von Medicis, Heinrich VIII., Karl V., Philipp II., stand es frei, in der alten großen machiavellischen Manier zu verfahren. Da endlich stand ein Jesuit auf, klagte das Buch an, und es wurde verdammt, 72 Jahr nach seiner Erscheinung. Machiavells System ward verdammt, weil es von den Staaten zu grob, von den Jesuiten jetzt feiner ausgeübt ward: man wollte den alten Meister nicht mehr anerkennen, der diese Grundsätze zu klar exponiert hatte, und war überzeugt, der Jünger sei jetzt über den Meister. Nicht ohne; diese Politik aber stürzte sowohl den Jünger als den Meister, und o wäre sie für unser Menschengeschlecht endlich begraben! – Was ist ein Principe Machiavells seiner Natur und Gattung nach? Der königliche Jüngling, der einen »Anti-Machiavell« schrieb hätte einen Anti-Principe schreiben sollen, wie er ihn auch nachher (außer vielleicht in Fällen der dringenden Not oder der Konvention) für Welt und Nachwelt rühmlich gezeigt hat. »Vivre et mourir en Roi,« war sein großes Wort der Pflicht und Ehre.

Zu deinem Grabe wallfahrtete ich einst, mein Anti-Machiavell, Hugo Grotius. Du schriebst kein »Recht des Krieges und Friedens,« denn du warest kein Prinz; du schriebst »vom Rechte des Krieges und Friedens«. Und zwar sammletest du dazu nur Kollektaneen, nicht aus Italien und deiner Zeit allein, sondern vorzüglich aus den guten Alten, aus den Gesetzen der Vernunft und Billigkeit, aus der Religion selbst,[333] woraus denn allmählich ein Recht der Völker erwuchs, wie man in den barbarischen Zeiten es nicht hatte erkennen mögen. Laß dich das Ungemach nicht gereuen, heilige Seele, das du deiner guten Grundsätze und Bemühungen wegen hier erduldetest. Religionen hast du nicht vereinigen können, wie du es wolltest; aber Grundsätze der Menschen hast du vereiniget, und auch Völker werden sich einst zu ihnen verbinden.

Bei Gustav Adolf fand man, als er in einem Ausritt meuchelmörderisch gefallen war, Grotius, Buch im Zelte auf seinem Tisch aufgeschlagen; die edelsten Männer in Schweden, Frankreich, Holland, Deutschland liebten und ehreten ihn; die ganze europäische Nachwelt ist seine Verbündete und Verbundne worden. Was seitdem über Recht der Völker, über Natur- und Vernunftrecht geschrieben worden, gehet auf Grotius' Bahn.

Nach so ungeheuren Fortschritten der Zeit konnte man freilich auch mit Institution der Prinzen nicht auf Machiavells Wege bleiben. Er selbst wäre bei veränderten Zeitumständen nicht darauf geblieben; und o hätten wir von Machiavell das Bild eines Fürsten für unsre Tage! Außer den Jesuiten, die eine Politica de Dios noch lange trieben, standen andere Prinzenlehrer, la Motte le Vayer, Nicole, Bossuet, Fénelon, auf; wie ihre Grundsätze befolgt sind, zeigt die Geschichte. Nach den stürmischen Zeiten, in denen Languet, Milton, Hobbes schrieben, gaben Algernon Sidney, Locke, Shaftesbury, Leibniz mildere Grundsätze an, bis in unsern Tagen Rousseaus »Contrat social« Wirkungen erregt hat, an die sein Verfasser schwerlich dachte. Wie gern kehrt man aus dem Tumult dieser Zeiten zu den friedlichen Geistern Grotius, Locke, Leibniz zurück!

»Heil den Predigern der Menschenrechte,« sagt ein neuerer Lehrer des Staatsrechts; »aber versäumen Sie ja nicht, vorher Menschenpflichten zu lehren. Um jene in ihrem ganzen heiligen[334] Umfange einzuführen, müssen wir erst eine Majorität von Menschen haben, die fähig sind, diese in ihrem ganzen Umfange auszuüben.« – Ich lege Ihnen das kleine Buch bei,49 aus dem diese Stelle genommen ist; Sie werden in ihm noch weit mehrere dieser Art finden. Sein Verfasser verspricht uns noch drei Bändchen dieser Art; wir wollen ihn bei seinem Wort halten.


60.

Auch Leibniz unter den Propheten?50 Was es mit den gewöhnlichen politischen Prophezeiungen für eine Bewandtschaft habe, wußte der scharfsinnige Mann besser als jemand. »Auf Ausrechnungen für die Zukunft,« sagt er in einem Briefe51, »gebe ich nichts. Jene Prophezeiungen, die man in alten Büchern gefunden haben will, sind von denen geschrieben, die die alten Kriege zwischen Frankreich und England im Sinne hatten; die Erfahrung aber lehrt, daß alle, die sich an so etwas gewagt haben, getäuscht wurden. Zuweilen können dergleichen Prophezeiungen nützlich sein, dem Pöbel, wie man es nennt, durch einen frommen Betrug Mut zu machen; bei Verständigen aber haben sie so wenigen Wert, daß sie vielmehr dem Ansehen und dem guten Ruf des Propheten Nachteil bringen, indem sie keinen gründlichen Beweis zulassen, ohne welchen doch ein redlicher Mann, der seine Pflicht verstehet, nicht so leicht etwas behauptet. Gewisser möchte ich,« fährt er fort, »das voraussagen, daß, wenn in Deutschland die Dinge nicht besser gemacht werden, . . . einen längern Widerstand leisten werde, als wir uns einbilden. Wir Deutschen brauchen unsre Kräfte nicht gnug. – Statt also uns mit schmeichelnden Prophezeiungen einzuschläfern, ist guter Rat nötig, daß wir unsre Nerven anspannen und mit[335] Beiseitsetzung jeder Privatbehaglichkeit fürs gemeine Beste sorgen.«

An andern Orten indes spricht er von den Voraussagungen kluger Männer anders. »In meiner Jugend,« sagt er52, »wollte ich eine Abhandlung davon schreiben,« wobei er Seneca, Tacitus, Machiavell, Conring, Lotichius, Dach zum Beispiel anführet. Wir tun ihm also nicht unrecht, wenn wir noch einige Blicke seiner Übersicht über die Dinge um ihn auszeichnen. Er blickte weithin, er sahe scharf und ohne Galle, er war frohmütig und redlich.

»Sooft ich,« sagt er53 zu seinem Freunde Ludolf, »den gefährlichen Zustand der Dinge um uns her und dabei unsre Trägheit, unsre verkehrten Ratschläge betrachte, sooft schäme ich mich unser vor den Augen der Nachwelt. Offenbar geht es dahinaus, daß in Europa sich alles drüber und drunter kehre, und doch beträgt man sich, als ob alles in höchster Sicherheit sei und als ob wir Gott selbst zum Gewährsmann unsrer Ruhe hätten. Über Kleinigkeiten streitet man, ums Große bekümmert sich niemand, so daß es Ekel und Überdruß macht, an die Geschichte der gegenwärtigen Zeit nur zu denken. So gar sehr bestätigen wir Deutschen die ungünstigen Urteile der Ausländer von uns durch unser Betragen.«

»Im Felde der Wissenschaften stecken wir noch in den ersten Wegen. Ein Schicksal verhindert uns, daß wir die Schätze der Natur nicht sorgfältiger aufspähen und größern Nutzen daraus ziehen. Ich bin der Meinung, daß die Menschen fast unglaubliche Dinge zustande bringen könnten, wenn sie mehreren Fleiß anwendeten. Um ihre Augen aber ist eine Binde gezogen, und man muß die Zeit erwarten, da alles reif sei.«54

»Wie die englische Sozietät Naturversuche zusammenträgt, so sollte eine andre sein, die Regeln des Lebens, nützliche[336] Bemerkungen und versteckte Vorschläge, wie der Zustand der Menschen zu verbessern sei, zusammentrüge.«55

»Aus den Schriftstellern sollte man ausziehen, nicht nur was irgend nur einmal, sondern von wem es zuerst gesagt sei. Hier muß man von den ältesten Zeiten anfangen, doch aber nicht alles erzählen, sondern was zum Unterricht des menschlichen Geschlechts dienet, auswählen. Wenn die Welt noch tausend Jahre steht und so viel Bücher wie heutzutage fortgeschrieben werden, so fürchte ich, aus Bibliotheken werden ganze Städte werden, deren viele dann durch mancherlei Zufälle und schwere Zeitumstände ihr Ende finden werden. Daher wäre es nötig, aus einzelnen, und zwar den Originalschriftstellern, die andre nicht ausschrieben, Eklogen wie Photius zu machen und ihr Merkwürdiges mit den Worten des Schriftstellers selbst zu sammeln. Was aber merkwürdig sei, kann, bei der großen Verschiedenheit der Köpfe und der Wissenschaften, freilich nicht jeder beurteilen.«

»Ich glaube, daß es bei euch viele geschickte Männer gibt.56 Indessen mache ich einen großen Unterschied zwischen gründlichen Kenntnissen, die den Schatz des menschlichen Geschlechts vermehren, und zwischen der Notiz von Tatsachen, die man gemeiniglich Gelehrsamkeit nennet. Ich verachte diese Gelehrsamkeit nicht, deren Wert und Nutzen ich einsehe; dennoch aber wünschte ich, daß man sich mehr an das Gründliche hielte; denn es gibt allenthalben zu wenig Personen, die sich mit dem Wichtigsten beschäftigen. Nichts ist so schön und so befriedigend, als eine wahre Kenntnis vom System der Natur zu haben. Würden viele dies Studium liebgewinnen, so würde man weit gelangen, nicht nur in Rücksicht auf Bequemlichkeiten des Lebens und der Gesundheit, sondern in Rücksicht auf Weisheit, Tugend und Glück, statt dessen, daß man sich jetzt mit Kleinigkeiten abgibt, die uns ergötzen, aber nicht vervollkommnen und veredeln.[337] Unter Vollkommenheiten rechne ich nichts, als was uns auch nach diesem Leben bleiben kann; die Kenntnis von factis ist wie die Kenntnis der Straßen in London. Sie ist gut, solange man dort ist.«

»Das göttliche Naturlicht in uns zu vermehren, hat man dreierlei zu tun nötig.57 Zuerst sammle man eine Kenntnis der vortrefflichen Erfindungen, die schon gemacht sind; sodann erforsche man, was noch zu entdecken ist; endlich bringe man beides, das Erfundne und noch zu Erfindende in Lobgesänge an den Urheber der Natur, zu Erweckung der Liebe zu ihm und zu den Menschen. Wären die Sterblichen so glücklich, daß ein großer Monarch diese drei Dinge einmal für sein Werk ansähe, in zehn Jahren würde zur Ehre Gottes und zum Wohl des Menschengeschlechts mehr bewirkt werden, als wir sonst in vielen Jahrhunderten ausrichten möchten.«

»Ich hatte im Sinn, mancherlei Gedanken, die das Wohl des Kaisers und des Reichs betreffen, unter dem Name ›Deutsche Ratschläge‹ ans Licht zu stellen; es ist aber verdrießlich, Worte in den Wind zu verhauchen und nach Art der Deklamatoren, die in Schulen über die beste Form der Republik zu Athen oder Karthago reden, Dinge vorzutragen, die niemand anwendet. Die besten Gedanken werden verächtlich, wenn man sie öffentlich hinstellt; unsre Feinde werden dadurch mehr gewarnt als gebändigt. Indessen besitze ich manches Überdachte, das auch großen Männern wichtig geschienen hat und in unsern Zeiten dem Ganzen sehr nützlich sein könnte. Vor allem bin ich mir der Treue bewußt und der Liebe zum allgemeinen Besten.«58

Gewiß verzeihen Sie mir, daß ich von Leibniz, Weissagungen so bald auf seine Vorschläge übergegangen bin; eines klugen Mannes Weissagungen sind Vorschläge des Bessern. Nicht auf Visionen, sondern auf Erfahrungen und auf jene dauerhafte Vernunftprinzipien sind sie gebauet, die auch in[338] die fernste Zukunft reichen. Da glücklicherweise die Akademie der Wissenschaften, deren ruhmwürdiger Stifter Leibniz war, in manchem schon zum ersten Plan desselben zurückgekehrt ist, so wäre es vielleicht gut, daß sie in allem dahin zurückkehrte und aus Leibniz, Schriften und Briefen sämtliche Vorschläge sammlen ließe, die er zur Erweiterung der Wissenschaften und zum Wohl des menschlichen Geschlechts seinen Freunden oder der Welt offenbarte. Ungeheuer vieles ist seitdem noch nicht geschehen, was er zu tun sich vornahm oder von außen ausgeführt wünschte; er ist uns in diesem allen der nähere Baco, der mit genauerer Kenntnis der Sache, als der Engländer besaß, die Lücken der Wissenschaften, die Mängel unsrer Erkenntnisse und Bemühungen ansah und seine Entwürfe, mit Gründen unterstützt, zuweilen sehr vollständig detailliert hat. Jungen Männern würde ich daher seine Briefe und Schriften nicht nur als eine reiche Fundgrube von Gedanken, sondern auch als ein Direktorium ihrer Bemühungen anpreisen, wohin sie streben sollen, was allenthalben für die Menschheit noch zu tun sei. Glücklich ist, wer einen solchen Wegweiser frühe gebrauchet.


61.

Oft habe ich zu unsern Zeiten gedacht: Wenn Leibniz lebte! Er lebt indessen in seinen Schriften, und wir können aus seinen muntern Urteilen, die sich auf alles Merkwürdige seiner Zeit erstreckten, auch für jetzt viel Nutzen ziehen.

Sie wissen, mit welchem Eifer Leibniz sich um die Vereinigung der Religion bewarb und verwandte. Für die damalige Zeit blieb seine Mühe fruchtlos; indessen selbst das Fruchtlose seiner Vorschläge, die allenthalben voll Verstandes waren, ist für uns lehrreich. Ein damaliger Regent wollte die Sache kürzer angreifen und eine Vereinigung der Sekten, nicht in Lehren, sondern in Gebräuchen, nicht mit gutem Willen beider Teile, sondern durch Befehle, durch Zwang[339] bewirken. Ein untüchtiger Ratgeber schrieb zu Beschönigung dieser Mittel ein Arcanum Regium in pietistischer Form. Lesen Sie, wie sich die großen Friedensbeförderer Leibniz und Molanus darüber erklären;59 das Gutachten endigt also: »Der neuen Regel, daß ein evangelischer Fürst Papst in seinem Gebiet sei, muß man nicht mißbrauchen. Bei den verständigen Katholischen selbst ist ein allgemeines Concilium der Kirche, wo nicht über, doch nicht unter dem Papste.«

Hören Sie, was Leibniz von Spielen urteilt: »Ich wünschte, daß jemand alle Arten von Spiel mathematisch behandelte und sowohl die Gründe ihrer Regeln und Gesetze als ihre vornehmsten Kunststücke angäbe. Unsäglich viel zur Erfindungskunst Brauchbares liegt in den Spielen. Und dieses daher, weil die Menschen im Scherz sinnreicher als im Ernst zu sein pflegen; denn überhaupt geht uns besser von der Hand, was wir mit Lust verrichten.60

Es könnte ein Spiel ausgedacht werden, das man das Spiel der Vorsorge oder der Zufälle nennen könnte: wenn das geschiehet, was könnte sich zutragen? Weil diese Zufälle zum Teil allgemein und auf vieles anzuwenden sind, müßte ein Gesetz sein, solche bei einer neuen Frage nicht wieder zu gebrauchen, oder man könnte die allgemeinen Zufälle gar ausschließen – und das Gesetz machen, daß man nur Zufälle anführe, die vermieden werden können, ohne daß die Handlung selbst unterbleibe. Den möglichen Zufall könnte der eine, das Mittel dagegen sein Nachbar sagen u. f.

Man hatte vormals ein Fragspiel, ›Wozu ist das Stroh gut?‹ Man könnte es das Spiel der Effekte oder cui bono nennen. So könnte ein Spiel der Ursachen oder Mittel eingeführt werden, z.B. womit kann dies oder das getan werden? Solche Spiele schärfen den Verstand und führen zu Ernsthaft-Gutem, da andre Possen nur zu Ernsthaft-Bösem führen.[340]

Man hat ein Gedächtnisspiel, da man sich übt, etwas Auswendiggelerntes, schwer Auszusprechendes mit wachsender Rede herzusagen; dergleichen Spiele könnten noch mehr erfunden werden, nicht zu Vermehrung der Seelenkräfte allein, sondern auch zu Übung der Tugenden. In manchen Spielen ist Bescheidenheit, Mäßigung nötig, wie im Königsspiel u. f. Ich wollte, daß Comenius daran gedacht hätte, da er sein Buch ›Die Schule ein Spiel‹ herausgab.«62

Bei unsern fürchterlich-großen Zeit- und Menschenspielen sind Ihnen diese Leibnizische Gedanken nicht bisweilen eingefallen: Wenn das geschieht, was könnte sich zutragen? Wie kann es vermieden werden, und wenn es sich zuträgt, was hilft dagegen? Ferner: Wozu ist das Stroh gut? cui bono: dies oder jenes? Das ganze Leben der Menschen ist ein Spiel; wohl dem, der es froh und mit Verstande spielet.

Von Spielen zur Philosophie. Die Urteile, die Leibniz nicht nur über die Alten, sondern auch über die Scholastiker und die Reformatoren der Philosophie, über Jordanus Brunus, Campanella, Baco, Hobbes, über Grotius, Locke, Cartes, Pufendorf, Shaftesbury u. f. fället, sind, obwohl immer in seinem eignen Gesichtskreise, mit einer Unparteilichkeit, einer Milde und so allgemeinen Teilnehmung entworfen, daß ich dieses großen Gemüts wegen Leibniz gern zum Schutzgeist der gesamten Philosophie wünschte. Von hundert merkwürdigen Äußerungen hierüber hören Sie eine über Cartes:63

»Ich wünschte, daß treffliche Männer die leere Hoffnung, Oberherren im Reich der Philosophie sein zu können (arripiendae tyrannidis in imperio philosophico), aufgäben und den Ehrgeiz, eine Sekte stiften zu wollen, fahrenließen; denn eben hieraus entspringen jene ungeschickte Parteilichkeiten, jene leere und eitle Bücherkriege, die der Wissenschaft und dem Gebrauch der kostbaren Zeit so sehr schaden. In der Geometrie kennt man keine Euklidianer, Archimedianer,[341] Apollinianer; alle sind von einer Sekte, der Wahrheit zu folgen, woher sie sich anbieten möge. Auch wird niemand geboren werden, der sich das ganze Patrimonium der Gelehrsamkeit zueigne, der das ganze Menschengeschlecht an Geist übertreffe und alle Sterne um sich her auslösche wie die ätherische Sonne. Wir wollen den Descartes loben, ja gar bewundern; deshalb aber wollen wir andre nicht vernachlässigen, bei denen sich viele und große Dinge finden, die jener nicht bemerkt hat. –

Nichts stehet dem Fortkommen der Wissenschaft so sehr entgegen als jener Knechtsdienst, in der Philosophie eines andern Gedanken zu paraphrasieren; und eben diese Paraphrasierkunst halte ich für die Ursache, warum von den Bloß-Cartesianern ebensowenig Neues und Ausnehmendes geleistet werde, als von den Aristotelikern geleistet worden, nicht aus Mangel des Genies, sondern des Sektengeists, der Parteisucht halben. Wie nämlich unsre Einbildungskraft, wenn ihr eine Melodie allein vorschwebt, schwerlich und mit Mühe zu einer andern übergeht, wie der, der unablässig einer geschlagenen Straße folgt, keine neuen Wege entdecken wird, so sind auch die, die einem Autor sich einverleiben, leibhafte Knechte dieses Autors, die er durch Gewohnheit in Dienst und Besitz hat; zu etwas Neuem und Verschiednem können sie ihr Gemüt nicht erheben. Und doch ist bekannt, daß den Wissenschaften nichts so sehr fortgeholfen hat als die Verschiedenheit der Wege, auf denen man die Wahrheit gesucht hat.«

Nichts verehre ich an Leibniz mehr als diese große, unparteiische Jugendseele, die bis ans Ende seiner Tage alles mit Freuden aufnahm, was irgend der Wissenschaft diente. Keine Form wies er verächtlich ab; in allem suchte er das Beste. Von ausschließenden Leibnizianern hatte er so wenig Begriff, daß vielmehr seine Schriften und Briefe darauf arbeiten, in Zukunft alle Sekten zu vernichten, aus Alten und Neuen die Wahrheit zu lernen und auch einer sonst schlechten Schrift den Beitrag nicht abzuleugnen, den sie dem Gemeingute[342] der Menschheit liefert. Ich wünschte, daß seine Gedanken, seine Urteile über die verschiedensten Schriftsteller in ihrer ganzen großen Unparteilichkeit für Jünglinge ausgehoben und als Leibniz' Geist, als die einzige, immer frische und neuströmende Quelle der Wissenschaft dargestellt würde. Vor einigen Jahren erschien, wie mich dünkt, eine Schrift, die der »Geist des Herrn von Leibniz« hieß; wahrscheinlich aber ist's nicht der rechte Geist gewesen, denn er ist ohne Wirkung bald verschwunden. Doch was sage ich Wirkung? Hat Leibniz auf die deutsche Nation gewirkt? Sogar seine Schriften sind von uns noch nicht gesammlet; und nachdem ein Ausländer sie für uns zu sammlen die Mühe nahm, haben wir sie noch nicht einmal ergänzet.


62.

Wollen Sie sich Überzeugen, daß Leibniz auch bei seinen Lebenszeiten in Deutschland eine ziemlich fremde Pflanze gewesen, so lesen Sie das Leben, das sein nächster Bekannter, Eckardt, von ihm geschrieben; seine Bekanntmachung haben wir dem gelehrten Murr zu danken.64 Die blühende Aloe sandte reiche Gerüche um sich her; allenthalben wollte sie Wurzeln schlagen und neue Absenker pflanzen. Es gelang ihr hie und da, ohngeachtet des sträubigen Erdbodens; und wäre Leibniz die Stiftung einer Akademie der Wissenschaften zu Wien und Dresden so geglückt, wie ihm die Akademie zu Berlin glückte, welche unnennbar gute Folgen hätten sich seitdem verbreitet! Sein Geist lebte in einer idealischen Welt, im Reich aller denkenden, fürs Wohl der Menschheit wirkenden Geister. Für diesen großen Staat schrieb er seine Aufsätze, meistens auf Veranlassung fremder Äußerungen, und unterhielt einen so ungeheuren Briefwechsel, daß man ihn einen Mitarbeiter und Präsidenten der Gesamt-Akademie[343] aller europäischer Wissenschaften nennen könnte. In seinen näheren Verhältnissen aber war er hier Kanzleirevisionsrat, dort Geschichtschreiber des fürstlichen Hauses; hier schrieb er für einen Pfalzgrafen, der König von Polen werden, dort für deutsche Fürsten, die Gesandte beim Friedensschluß haben wollten, u. f. Er unterhielt die Fürsten mit Curiosis (wenn es auch nur ein wunderbar gestalteter Rehbock sein sollte), Fürstinnen mit sinnreichen philosophischen Gedanken, Neugierige mit dem, was sich in andern Ländern zutrug, erfand für den Bergbau Werkzeuge, Maschinen, Windmühlen und tat doch nicht zur Gnüge. Zwei Jahre vor seinem Tode ward dem alten Mann nachdrücklich befohlen, »die Historie des Hauses vor allen Dingen fertig zu machen,« und als er begraben ward, »war das einzige zu verwundern (sagt sein getreuer Amanuensis und Kollege, Eckardt), daß, da der ganze Hof ihm zu Grabe zu folgen invitiert war, außer mir kein Mensch erschienen, so daß ich dem großen Mann die letzte Ehre einzig und allein erwiesen«.65 Im Jahr 1695 schrieb er an Burnet: »Unbequem ist mir's, daß ich nicht in einer Stadt wie Paris oder London lebe, wo viele gelehrte Männer sind, deren Hülfe man sich bedienen, von denen man lernen kann; denn viele Dinge sind von der Art, daß ein Mensch allein sie nie zustande bringen mag. Hier findet man kaum jemand, mit dem zu sprechen ist, oder vielmehr es ist hierzulande nicht hofmännisch, sich von gelehrten Dingen zu unterhalten.« Noch das Jahr vor seinem Tode hatte er sich vorgenommen, nach Paris zu reisen und da sein Leben zu beschließen.[344]

»Weil er nicht zum Abendmahl ging,« sagt Eckardt, »schalten die Prediger oft öffentlich auf ihn; er blieb aber bei seiner Weise. Gott weiß, was er vor Motiven dazu gehabt, die gemeinen Leute hießen ihn daher insgemein auf plattdeutsch Lövenix, welches qui ne croit rien heißet.« Aus seinen Schriften und Bemühungen für die Vereinigung der Kirchen kennen wir seine reinen und aufgeklärten Religionsgrundsätze gnugsam; gewiß kann man ihm nicht den Vorwurf machen, daß er zuwenig geglaubt habe.

»Kurz vor seinem letzten Augenblick wollte er noch etwas aufschreiben. Als ihm Papier, Tinte und Feder gereicht wurde, fing er an zu schreiben, das er aber nicht mehr lesen konnte, als er es bei dem Licht durchsehen wollte. Er zerriß das Papier, warf es weg und legte sich zu Bette. Er versuchte nochmals zu schreiben, verhüllte sich die Augen in seine Schlafmütze, legte sich auf die Seite und entschlief sanft, nachdem er sein ruhmvolles Alter auf 70 Jahre, 4 Monate und 24 Tage gebracht hatte.« Lesen Sie Eckardts Lebensbeschreibung; das »barbarus hic ego sum« wird Ihnen manche Seite ins Ohr flüstern.

Fontenelle sagt in seiner Lobschrift gar artig: ›Aus vielen Herkules habe das Altertum nur einen Herkules gemacht; er sehe keinen andern Rat, als den einen Leibniz in viele Gelehrte zu dekomponieren; denn sonst würde bei dem beständigen Übergange von Schriften des verschiedensten Inhalts, alle zu einer und derselben Zeit geschrieben, diese unaufhörliche Mischung von Gegenständen, die in Leibniz, Kopf seine Ideen nicht verwirrte, eine Verwirrung und ein embarras in sein Eloge bringen.‹ Und doch wünschte ich fast, daß Leibnizens Vaterland diesen embarras, diese passages brusques et fréquens d'un sujet à un autre tout opposé, qui[345] ne l'embarrassoient point, in Leibnizens Arbeiten nicht gebracht hätte, um den einen Herkules in mehrere Herkules zu dekomponieren. Wie anders konnte Newton in England seine Werke vollenden!

Sie wissen, daß Leibnizens Verlassenschaft in der landesherrlichen Bibliothek zu Hannover aufbewahrt wird, und es ist zu erwarten, daß die Regierung, die für alle und allerlei Wissenschaften mehr als irgendeine andre in Deutschland tut und getan hat, einem dazu tüchtigen Manne, unter gegebner bürgerlichen Treue, die Bekanntmachung des Inhalts derselben auftrage. Der einzige Band, den Raspe mit Kästners Vorrede von daher ans Licht stellte, ist vielleicht mehr wert als Leibnizens »Theodizee« selbst, und wer unternähme es, für den kleinsten Zettel Leibnizens in Ansehung der Idee verantwortlich zu werden, die er darauf nur hinwarf?

Dankbar erkenne ich jede Blume, die eine würdige Hand nicht auf Leibniz, verscharrte Asche, sondern dem ewigen Ehrenmal streuet, das er sich selbst errichtet hat. Die Wolffische Schule, so ungleich sie seiner Denkart war, hat ihm gleichsam ein Kenotaphium gebauet; durch sie ist eine Klarheit der Begriffe und eine Präzision des Ausdrucks in unsre Sprache gebracht worden, die ihr vorher unbekannt waren. Sollte, da ihre Periode vorüber ist, jemand noch jetzt Bedenken tragen, Leibnizens Briefwechsel mit Wolff herauszugeben, der, was er auch enthielte, dem letztern nicht anders als zur Ehre gereichen könnte?

Auch außer dieser Schule, wie jugendlich lieb ist mir alles, was Leibniz ehret und in sein Licht stellt! Jede Zeile, die Kästner, in mancherlei Art und Form, zur Ehre und zum Verständnis seines Landsmannes schrieb; von Cochius jede kleine Abhandlung in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin (wären doch von ihm noch ungedruckte Abhandlungen vorhanden!) sind mir schöne Reste von Philosophen der alten Zeit.[346]

Hören Sie, was Leibniz von seinem Zensorgeist saget: »Niemand hat weniger Zensorgeist, als ich habe. Sonderbar ist's, aber mir gefällt das meiste, was ich lese. Da ich nämlich weiß, wie verschieden die Sachen genommen werden, so fällt mir während dem Lesen meistens bei, womit man den Schriftsteller verteidigen oder entschuldigen könnte. Sehr selten ist's, daß mir im Lesen etwas ganz mißfällt, obgleich freilich dem einen dies, dem andern das mehr gefallen möchte. – Ich bin einmal so gebauet, daß ich allenthalben am liebsten aufsuche und bemerke, was lobenswert ist, nicht was Tadel verdienet.« Könnte der Geist der Philanthropie selbst billiger und milder denken?

Und doch, warum erfuhren eben die friedliebenden, die billigsten Gemüter, Erasmus, Grotius, Comenius, Leibniz, so manchen übeln Dank ihrer Zeitgenossen? Die Ursache ist leicht zu finden: weil sie parteilos und jene mit Vorurteilen befangene streitende Parteien waren. Diesen gaben Unwissenheit, Eigennutz, blindes Herkommen, gekränkter Stolz und zehn andre Furien das Streitgewehr oder den Dolch der Verleumdung in die Hände; jene kämpften friedlich hinter dem Schilde der Wahrheit und Güte. Der goldene Schild der Wahrheit und Güte bleibt; ihre Streiter können persönlich fallen, aber ihr Sieg ist wachsend und unsterblich.[347]

40

Briefe zu Beförderung der Humanität. Samml. 1, Br. 5.

41

Winterthur 1791, 1793. Von J. G. Müller.

42

Lemgo 1774–1778.

43

Mémoires pour la vie de Petrarque, Amsterdam 1764, 3 Quartbände. Ihre Übersetzung, Lemgo 1774–1778, ist sehr gut und zweckmäßig. A.d.H.

44

Müllers »Bekenntnisse merkwürdiger Männer,« Band 2, S.169 u f.

45

»Comenii Hist. fratrum Bohemorum. Accedit ei Panegersia de rerum humanar. emendatione. Edid. Buddeus, Halae 1702«. Rieger in seiner »Geschichte der böhmischen Brüder« führt an, daß in der Waisenhausbibliothek zu Halle noch mehrere Handschriften von Comenius da sein sollen; wären nicht einige davon für unsre politisch-pädagogischen Zeiten des Drucks wert? A. d. H.

46

Vgl. das Ende des 54. Briefes.

47

Schmidt, »Neuere Geschichte der Deutschen,« Buch 4, Kapitel 9 u. f.

48

Wegelin ist seitdem gestorben. Er ruhe sanft! Sein Geist hat viel gedacht, viel kombinieret. Ich wünschte nicht, daß seine hinterlassenen Schriften untergingen; jeder seiner Aufsätze ist eine Sammlumg unverarbeiteter Gedanken, die wenigstens immer eigne Gedanken veranlassen oder verbessern und bestärken. Der große König selbst hat seine Schriften gelesen und geehrt. A. d. H.

49

Schlözer, »Allgemeines Staatsrecht,« Göttingen 1793.

50

Beziehet sich auf das Ende des 54. Briefes.

51

Felleri, »Otium Hannov.,« S. 108.

52

Epist. Leibnit. edit. Korthold, Teil 1, S. 366; Feller, »Ot. Hannov.,« S. 217.

53

Feller, S. 121.

54

Feller, S. 412.

55

Feller, S. 147.

56

Feller, S. 27, an einen Engländer.

57

Feller, S. 19.

58

Feller, S. 4f.

59

Korthold epist. Leibnit. Teil 1, S. 88.

60

Feller, »Ot. Hannov.,« S. 165.

62

Korthold. epist. Leibn. Teil 3, S. 278.

63

Korthold. epist. Leibn. Teil 3, S. 392.

64

»Murrs., Journal zur Kunstgeschichte,« Teil 7, S. 123 u. f.

65

Zur Erläuterung dieses Umstandes wird in den schätzbaren Zusätzen zu Eckardts Lebensbeschreibung folgendes angegeben »Der König war damals nicht mehr in Hannover. Der Monarch stand eben nicht allzu wohl mit dem Wiener Hofe, und es mißfiel ihm, daß Leibniz 1713 ohne Erlaubnis nach, Wien gegangen und über anderthalb Jahre außen blieb, auch die Reichshofratsstelle angenommen hatte. Se. Majestät sagten daher einstmals, da ein Hündchen, welches verlorengegangen, zu Hannover ausgetrommelt wurde, halb im Scherz, halb im Ernst: ›Ich muß wohl meinen Leibniz auch austrommeln lassen, um zu erfahren, wo er stecken mag.‹« – Eine merkwürdige Erläuterung.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1971, S. 271-349.
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