IV

Reiche der Sachsen, Normänner und Dänen

[368] Die Geschichte der deutschen Völker mitten im festen Lande hat etwas Einförmiges und Unbehülfliches an sich. Wir kommen jetzt zu den deutschen Seenationen, deren Anfälle schneller, deren Verwüstungen grausamer, deren Besitztümer Ungewisser waren; dafür werden wir aber auch, wie unter Meeresstürmen, Männer vom höchsten Mut, Unternehmungen der glücklichsten Art und Reiche erblicken, deren Genius noch jetzt frische Meeresluft atmet.

Schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts zogen von der nördlichen Küste Deutschlands die Angelsachen, die zur See und zu Lande lange das Kriegs- und Räuberhandwerk getrieben hatten, den Briten zu Hülfe. Hengist und Horsa (Hengst und Stute) waren ihre Anführer; und da sie mit den Feinden der Briten, den Pikten und Kaledoniern, ein leichtes Spiel hatten und ihnen das Land gefiel, zogen sie mehrere ihrer Brüder hinüber; sie ruheten auch nicht, bis nach 150 Jahren, voll der wildesten Kriege und der abscheulichsten Verwüstung, Britannien bis an die Ecken des Landes, Cornwallis und Wales ausgenommen, das ihrige war. Nie ist den Kymren, die in diese Länder gedrängt wurden, das gelungen, was den Westgoten in Spanien gelang, aus ihren Gebürgen[368] hervorzugehn und ihr altes Land zu erobern; denn die Sachsen, ein wildes Volk, wurden als katholische Christen in ihrem geraubten Besitztum gar bald gesichert und gefirmelt.

Nicht lange nämlich nach Anrichtung des ersten sächsischen Königreichs Kent hatte die Tochter eines rechtgläubigen Königes zu Paris ihren heidnischen Gemahl Ethelbert (Adelbert) zum Christentum bereitet, und der Mönch Augustin führte solches mit dem silbernen Kreuz in der Hand feierlich in England ein. Gregor der Große, damals auf dem Römischen Stuhl, der vor Begierde brannte, das Christentum insonderheit durch Gemahlinnen mit allen Thronen zu vermählen, sandte ihn dahin, entschied seine Gewissensfragen und machte ihn zum ersten Erzbischof dieser glücklichen Insel, die vom Könige Ina an dem heil. Petrus seinen evangelischen Zinsgroschen reichlich ersetzt hat. Kaum ist ein andres Land in Europa mit so vielen Klöstern und Stiftungen bedeckt worden als England, und doch ist aus ihnen für die Literatur weniger geschehen, als man erwarten möchte. Das Christentum dieser Gegenden nämlich sprossete nicht, wie in Spanien, Frankreich, Italien, ja selbst in Irland, aus der Wurzel einer altapostolischen Kirche; neurömische Ankömmlinge waren es, die den rohen Sachsen das Evangelium in einer neueren Gestalt brachten. Desto mehr Verdienst hatten diese englische Mönche nachher in auswärtigen Bekehrungen und würden solche auch, wenigstens in Klosternachrichten, zur Geschichte ihres Landes haben, wenn diese den Verwüstungen der Dänen entronnen wären.

Sieben Königreiche sächsischer Barbaren, die auf einer mäßig großen Halbinsel in ungleichen Grenzen neben- und miteinander heidnisch und christlich kämpfen, sind kein erfreulicher Anblick. Und doch dauerte mehr als 300 Jahre dieser chaotische Zustand, aus welchem nur hie und da Stiftungen und Satzungen der Kirche oder die Anfänge einer geschriebenen Gesetzgebung, wie z.B. Adelberts und Inas, hervorschimmern. Endlich kamen unter König Egbert die sieben Königreiche zusammen; und mehr als ein Fürst derselben[369] würde. Mut und Kraft gehabt haben, ihre Verfassung blühend zu machen, hätten nicht die Streitereien der Normänner und Dänen, die mit neuer Raubbegierde auf die See gejagt waren, sowohl an Frankreichs als Englands Küsten über zwei Jahrhunderte lang alles daurende Gute gehindert. Unsäglich ist der Schade, der durch sie gestiftet, unaussprechlich die Greuel, die durch sie verübet wurden; und wenn sich Karl an den Sachsen, wenn sich die Angeln an den Briten und Kymren grausam vergangen hatten, so ist das Unrecht, das sie diesen Völkern taten, an ihren Nachkommen so lange gerächet worden, bis gleichsam die ganze Wut des kriegerischen Nordens erschöpft war. Wie aber eben im heftigsten Sturme der Not sich die größesten Seelen zeigen, so ging England unter andern sein Alfred auf, ein Muster der Könige in einem bedrängten Zeitraum, ein Sternbild in der Geschichte der Menschheit.

Vom Papst Leo IV. schon als Kind zum Könige gesalbet, war er unerzogen geblieben, bis die Begierde, sächsische Heldenlieder lesen zu können, seinen Fleiß dergestalt erweckte, daß er von ihnen zum Lesen lateinischer Schriftsteller fortschritt, unter denen er noch ruhig wohnte, als im 22. Jahr ihn der Tod seines Bruders zum Thron und zu allen Gefahren rief, die je einen Thron umringt haben. Die Dänen hatten das Land inne, und als sie das Glück und den Mut des jungen Königes merkten, nahmen sie in vermehrten Anfällen ihre Kräfte dergestalt zusammen, daß Alfred, der ihnen in einem Jahr acht Treffen geliefert, der sie mehrmals den Frieden auf heilige Reliquien hatte beschwören lassen und als Überwinder ebenso gütig und gerecht wie vorsichtig und tapfer in der Schlacht war, sich dennoch endlich dahin gebracht sah, daß er in Bauerkleidern seine Sicherheit suchen mußte und dem Weibe eines Kuhhirten unbekannt diente. Doch auch jetzt verließ ihn sein Mut nicht; mit wenigen Anhängern bauete er sich in der Mitte eines Sumpfs eine Wohnung, die er die Insel der Edeln nannte und die jetzt sein Königreich war. über ein Jahr lang lag er hier, ebensowenig müßig als entkräftet.[370] Wie aus einem unsichtbaren Schloß tat er Ausfälle auf die Feinde und nährte sich und die Seinen von ihrer Beute, bis einer seiner Treuen in einem Gefecht mit ihnen den Zauberraben erbeutet halle, die Fahne, die er als das Zeichen seines Glücks ansah. Als Harfenspieler gekleidet, ging er jetzt ins Lager der Dänen und bezauberte sie mit seinem lustigen Gesänge; man führte ihn in das Zelt des Prinzen, wo er allenthalben ihre tiefe Sicherheit und räuberische Verschwendung sah. Jetzt kehrte er zurück, tat durch geheime Boten seinen Freunden kund, daß er lebe, und lud sie an die Ecke eines Waldes zur Versammlung ein. Es kam ein kleines Heer zusammen, das ihn mit Freudengeschrei empfing, und schnell rückte er mit demselben auf die sorglosen, jetzt erschrockenen Dänen, schlug sie, schloß sie ein und machte aus Kriegsgefangenen seine Bundsgenossen und Kolonisten im verödeten Northumberlande und Ostangeln. Ihr König ward getauft, von Alfred zum Sohne angenommen und der erste Schimmer von Ruhe gleich darauf gewandt, daß er Platz gegen andere Feinde gewinnen möchte, die in zahlreichen Schwärmen das Land aussogen. Unglaublich schnell brachte Alfred den zerrütteten Staat in Ordnung, stellete die zerstörten Städte wieder her, schuf sich eine Macht zu Lande, bald auch zur See, so daß in weniger Zeit 120 Schiffe die Küsten umher bewachten. Beim ersten Gerücht eines Überfalls eilte er hülfreich herbei, und das ganze Land glich im Augenblick der Not einem Heerlager, wo jedweder seinen Platz wußte. So vereitelte er bis ans Ende seines Lebens jede räuberische Mühe des Feindes und gab dem Staat eine Land- und Seemacht, Wissenschaften und Künste, Städte, Gesetze und Ordnung. Er schrieb Bücher und ward der Lehrer der Nation, die er beschützte. Ebenso groß in seinem häuslichen als öffentlichen Leben, teilte er die Stunden des Tages wie die Geschäfte und Einkünfte ein und behielt ebensoviel Raum zur Erholung als zur königlichen Milde. Hundert Jahre nach Karl dem Großen war er in einem glücklicherweise beschränkteren Kreise vielleicht größer als er; und obgleich unter seinen Nachfolgern die[371] Streifereien der Dänen, nicht minder aber die Unruhen der Geistlichkeit mancherlei Unheil verursachten, weil unter ihnen im ganzen kein zweiter Alfred aufstand, so hat es England doch, bei der guten Grundlage seiner Einrichtung von frühen Zeiten, an trefflichen Königen nicht gefehlet; selbst die Anfälle ihrer Seefeinde hielten sie munter und gerüstet. Adelstan, Edgar, Edmund Eisenseite gehören unter dieselbe, und nur der Untreue der Großen war's zuzuschreiben, daß England unter dem letzten den Dänen lehnpflichtig ward. Knut der Große ward zwar als König erkannt, aber nur zwei Nachfolger hatte dieser nordische Sieger. England machte sich los, und es war vielleicht zu dessen Unglück, daß dem friedfertigen Eduard die Dänen Ruhe ließen. Er sammlete Gesetze, ließ andre regieren; die Sitten der Normänner kamen von der französischen Küste nach England hinüber, und Wilhelm der Eroberer ersah seine Zeit. Eine einzige Schlacht hob ihn auf den Thron und gab dem Lande eine neue Verfassung. Wir müssen also die Normänner näher kennenlernen: denn ihren Sitten ist nicht nur England, sondern ein großer Teil von Europa den Glanz seines Rittergeistes schuldig.


Schon in den frühesten Zeiten waren nördliche deutsche Stämme, Sachsen, Friesen und Franken, auf der See rege; Dänen, Norweger und Skandinavier taten sich unter mancherlei Namen noch kühner hervor. Angelsachsen und Jüten gingen nach Britannien über; und als von den fränkischen Königen, am meisten von Karl dem Großen, die Eroberung nordwärts verbreitet ward, warfen sich immer mehr kühne Haufen aufs Meer, bis zuletzt die Normänner ein so furchtbarer Name zur See wurden, als es zu Lande jene verbündeten Krieger, Markomannen, Franken, Alemannen u.a., kaum gewesen waren. Ich müßte hundert berühmte Abenteurer nennen, wenn ich aus den nordischen Gedichten und Sagen ihre gepriesene Seehelden aufzählen wollte. Die Namen derer indessen, die durch Entdeckung der Länder oder durch Anlagen zu Reichen sich ausgezeichnet, sind nicht zu übergehen,[372] und man erstaunet über die weite Fläche, auf welcher sie sich umhergeworfen haben. Dort stehet ostwärts Rorik (Roderich) mit seinen Brüdern, die in Nowgorod ein Reich stifteten und dadurch zum Staate Rußlands den Grund legten; Oskold und Diar, die in Kiew einen Staat gründeten, der sich mit jenem zu Nowgorod vereinte; Ragnwald, der sich zu Polotzk an der Düna niederließ, der Stammvater der litauischen Großherzoge. Nordwärts ward Naddodd im Sturm nach Island geworfen und entdeckte diese Insel, die bald ein Zufluchtsort der edelsten Stämme aus Norwegen (gewiß des reinsten Adels in Europa), eine Erhalterin und Vermehrerin der nordischen Lieder und Sagen, ja über dreihundert Jahre lang der Sitz einer schönen, nicht unkultivierten Freiheit gewesen. Westlich waren von den Normännern die Färöes-, Orkneys-, die schettlandischen und westlichen Inseln oft besucht, zum Teil bevölkert, und auf mehreren derselben haben nordische Jarle (Grafen) lange regieret, so daß auch in ihren äußersten Ecken die verdrängten Galen vor deutschen Völkern nicht sicher waren. In Irland ließen sie sich schon zu Karls des Großen Zeiten nieder, wo Dublin dem Olof, Waterford dem Sitrik, Limmerik dem Ywar zuteil ward. In England waren sie unter dem Namen der Dänen furchtbar; nicht nur Northumberland haben sie, untermischt mit sächsischen Grafen, 200 Jahre lang teils eigenmächtig, teils lehnpflichtig besessen, sondern das ganze England war ihnen unter Knut, Harold und Hardyknut unterworfen. Die französische Küsten beunruhigten sie seit dem sechsten Jahrhundert; und die böse Ahnung Karls des Großen, daß seinem Lande durch sie viele Gefahr bevorstehe, traf bald nach seinem Tode fast zu reichlich ein. Unsäglich sind die Verwüstungen, die sie nicht etwa nur am Meere, sondern, die Ströme hinauf, mitten in Frankreich und Deutschland ausgeübt haben, so daß die meisten Anlagen und Städte, die teils noch von den Römern, teils von Karl herrührten, durch sie ein trauriges Ende nahmen, bis endlich Rolf, in der Taufe Robert genannt, der erste Herzog der Normandie und der Stammvater mehr als eines Königgeschlechtes ward.[373]

Von ihm stammte Wilhelm der Eroberer ab, der England eine neue Verfassung brachte; durch Folgen seiner Anlage wurden England und Frankreich in einen 400jährigen Krieg verwickelt, der beide Nationen auf eine sonderbare Weise an- und durcheinander übte. Jene Normänner, die mit fast unglaublichem Glück und Mut den Arabern Apulien, Kalabrien, Sizilien, ja auf eine Zeit Jerusalem und Antiochien abdrangen, waren Abenteurer aus dem von Rolf gestifteten Herzogtume, und die Nachkommen Tankreds, die zuletzt Siziliens und Apuliens Krone trugen, stammeten von ihm her. Wenn alle kühne Taten erzählt werden sollten, die auf Pilgrimschaften und Wallfahrten, im Dienst zu Konstantinopel und auf Reisen, fast in allen Ländern und Meeren, bis nach Grönland und Amerika hin von den Normännern begonnen sind, würde die Erzählung selbst ein Roman scheinen. Wir bemerken also zu unserm Zweck nur die Hauptfolge derselben aus ihrem Charakter.

So rauh die Bewohner der nordischen Küsten ihrem Klima und Boden, ihrer Einrichtung und Lebensweise nach lange bleiben mußten, so lag doch in ihnen, vorzüglich bei ihrem Seeleben, ein Keim, der in mildern Gegenden bald sehr blühende Sprossen treiben konnte. Tapferkeit und Leibesstärke, Gewandtheit und Fertigkeit in allen Künsten, die man späterhin die ritterlichen nannte, ein großes Gefühl für Ehre und edle Abkunft, samt der bekannten nordischen Hochachtung fürs weibliche Geschlecht als den Preis des tapfersten, schönsten und edelsten Mannes, waren Eigenschaften, die den nordischen Seeräuber in Süden sehr beliebt machen mußten. Auf dem festen Lande greifen die Gesetze um sich: jede rohe Selbsttätigkeit muß unter ihnen entweder selbst zum Gesetz werden oder als eine tote Kraft ersterben; auf dem wilden Element des Meeres, wohin die Oberherrschaft eines Landköniges nicht reichet, da erfrischet sich der Geist. Er schweift nach Krieg oder nach Beute umher, die jener Jüngling seiner daheimgelassenen Braut, dieser Mann seinem Weib und Kindern als Zeichen seines Werts nach Hause bringen wollte;[374] ein dritter sucht im fernen Lande selbst eine bleibende Beute. Nichtswürdigkeit war das Hauptlaster, das in Norden, hier mit Verachtung, dort mit Qualen der Hölle, gestraft wird; dagegen Tapferkeit und Ehre, Freundschaft bis auf den Tod und ein Rittersinn gegen die Weiber die Tugenden waren, die beim Zusammentreffen mehrerer Zeitumstände zu der sogenannten Galanterie des Mittelalters viel beitrugen. Da Normänner sich in einer französischen Provinz niederließen und Rolf, ihr Anführer, sich mit der Tochter des Königes vermählte, da viele seiner Waffenbrüder diesem Beispiele folgten und sich mit dem edelsten Blut des Landes mischten, da ward der Hof der Normandie gar bald der glänzendste Hof des Westlandes. Als Christen konnten sie, mitten unter christlichen Nationen, die Seeräuberei nicht ferner treiben; aber ihre nachziehenden Brüder dorften sie aufnehmen und kultivieren, also daß diese Küste in ihrer schönen Lage ein Mittelpunkt und Veredlungsort der seefahrenden Normänner ward. Da nun, von den Dänen verdrungen, die angelsächsische Königsfamilie zu ihnen floh und Eduard der Bekenner, bei ihnen erzogen, den Normännern zu Englands Thron selbst Hoffnung machte, als Wilhelm der Eroberer durch eine einzige Schlacht dies Königreich gewann und fortan die größesten Stellen desselben in beiden Ständen mit Normännern besetzte, da ward in kurzem normännische Sitte und Sprache auch Englands feinere Sitte und Hofsprache. Was diese einst rohen Überwinder in Frankreich gelernt und mit ihrer Natur gemischt hatten, ging bis auf eine harte Lehnverfassung und Forstgerechtigkeit nach Britannien über. Und wiewohl in der Zukunft viele Gesetze des Eroberers abgeschaffet und die alten, milderen angelsächsischen zurückgerufen wurden, so konnte dennoch der mit den normannischen Geschlechtern der Nation eingepflanzte Geist aus Sprache und Sitten nicht mehr verbannt werden; auch in der englischen grünet daher ein eingeimpfter Sprößling der lateinischen Sprache. Schwerlich wäre die britische Nation geworden, was sie vor andern ward, wenn sie auf ihrem alten Hefen ruhig geblieben wäre; jetzt beunruhigten[375] sie lange die Dänen; Normänner pflanzten sich ihr ein und zogen sie über das Meer hin zu langen Kriegen in Frankreich. Da ward ihre Gewandtheit geübt: aus überwundenen wurden Überwinder, und endlich kam, nach so mancher Revolution, ein Staatsgebäude zum Vorschein, das aus der angelsächsischen Klosterhaushaltung wahrscheinlich nie entstanden wäre. Ein Edmund oder Edgar hätte dem Papst Hildebrand nicht widerstanden, wie Wilhelm ihm widerstand, und in den Kreuzzügen hätten die englischen mit den französischen Rittern nicht wetteifern mögen, wenn durch die Normänner ihre Nation nicht gleichsam von innen aufgeregt und durch mancherlei Umstände auch gewaltsam wäre gebildet worden. Einimpfungen der Völker zu rechter Zeit scheinen dem Fortgange der Menschheit so unentbehrlich als den Früchten der Erde die Verpflanzung oder dem wilden Baum seine Veredlung. Auf einer und derselben Stelle erstirbt zuletzt das Beste.

Nicht so lange und glücklich besaßen die Normänner Neapel und Sizilien, deren Erwerb ein wahrer Roman ist von persönlicher Tapferkeit und Abenteurertugend. Auf Wallfahrten nach Jerusalem lernten sie das schöne Land kennen, und vierzig bis hundert Mann legten durch Ritterhülfe gegen Bedrängte den Grund zu allem weitem Besitz. Rainolf ward der erste Graf zu Aversa, und drei der tapfern Söhne Tankreds, die auch auf gutes Glück hinübergekommen waren, erwarben sich nach vielen Taten gegen die Araber den Ritterdank, daß sie Grafen, nachher Herzöge zu Apulien und Kalabrien wurden. Mehrere Söhne Tankreds, Wilhelm mit dem eisernen Arm, Drogo, Humfried, folgten; Robert Guiscard und Roger entrissen den Arabern Sizilien, und Robert belieh seinen Bruder mit dem erworbnen schönen Königreiche. Roberts Sohn Boëmund fand in Orient sein Glück, und als ihm sein Vater dahin folgte, ward Roger der erste König beider Sizilien, mit geist- und weltlicher Macht versehen. Unter ihm und seinen Nachfolgern trieben die Wissenschaften an dieser Ecke Europens einige junge Knospen: die Schule zu Salerno hob sich, gleichsam[376] in Mitte der Araber und der Mönche zu Cassino; Rechtsgelehrsamkeit, Arzneikunst und Weltweisheit zeigten nach einem langen Winter in Europa hier wieder Blätter und Zweige. Tapfer hielten sich die normannischen Fürsten in ihrer gefährlichen Nähe am päpstlichen Stuhl; mit zween Heiligen Vätern schlössen sie Frieden, als diese in ihrer Gewalt waren, und übertrafen hiebei an Klugheit und Wachsamkeit die meisten deutschen Kaiser. Schade, daß sie mit diesen sich je verschwägert und ihnen dadurch das Recht zur Folge gegeben hatten, und noch mehr schade, daß die Absichten Friedrichs, des letzten schwäbischen Kaisers, die er in diesen Gegenden auszuführen gedachte, so grausam vereitelt wurden. Beide Königreiche blieben fortan ein wildes Spiel der Nationen, eine Beute fremder Eroberer und Statthalter, am meisten eines Adels, der noch jetzt alle bessere Einrichtung dieser einst so blühenden Länder hindert.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 2, Berlin und Weimar 1965, S. 368-377.
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