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[63] Wenn ich des Morgens meine Zeitungen in die Hand nehme und ewig und ewig darin angekündigt finde:
Schillers sämtliche Werke, das Bändchen 27 kr.,
Thümmels sämtliche Werke, das Bändchen 27 kr.,
[64] Klopfstocks sämtliche Werke,
Lessings Werke,
wenn müßige Köpfe selbst Langbein, Gellert und Rabener dem Publikum in neuen Ausgaben vorlegen, so bemächtigt sich meiner ein halb wohltuendes, halb unheimliches Gefühl ob dieser Hast, unser geistiges Vermögen, so schnell als nur immer geschehen kann, gleichsam unter sicheres Dach und Fach zu bringen. Ich habe auch hier, wie überall, den Fortschritt und die Zukunft vor Augen, und ich gestehe, ich werde hinsichtlich des ersten im höchsten Grade beruhigt und blicke mit Freuden in die kommenden Jahre unserer Literatur.
Diese wohlfeilen Ausgaben der besten deutschen Autoren bürgen mir dafür, daß die Intelligenz, der Sinn für Poesie und das Edle und Schöne überhaupt sich nach und nach auch in den niederen Sphären des unbefangenen Volkes verbreiten und dasselbe mit der Zeit vielleicht zu großen Taten fähig machen wird. Wenn die Werke des deutschen Genius, wie die Bibel, in jedem Hause zu finden sind, dann wird sich die Zaubermacht dieser Geister, die bisher mehr im stillen fortgewirkt hat, laut auf öffentlichen Markte, im Angesicht der Welt, durch hohe Taten, durch hohe Gesinnungen beurkunden.
Ich bin jung, ich leugne nicht, ich möchte einst einige Teilnahme erwecken bei meiner Nation, vorzüglich aber und zunächst möchte ich ihr Herz gewinnen für die Herrlichen, die ich in der Nähe und Ferne heranblühen sehe. O ich weiß manch sinnendes Haupt, das trotz einer hämischen und neidischen Kritik getrost und freudig seine Nächte durchwacht, um seinem Volke ein Vermächtnis zu hinterlassen, das es seinem Andenken teuer macht. Ich will nicht tadeln, daß es seine Anerkennung noch nicht gefunden – wozu stünde es über der Masse, wenn es ihr nicht auch voraus wäre? Aber bitten will ich, die Nischen unseres Pantheon nicht alle auszufüllen mit Schiller und Goethe, mit Lessing und Jean Paul, sondern noch einige frei zu lassen für unsere literarische, poetische Zukunft.
Es ist etwas Eigenes, gewissermaßen Großes um die gegenwärtige Nationalisierung unserer Schriftsteller durch die ungemein billigen Ausgaben; es kommt mir fast vor, als wollte der Weltgeist selbst die gewöhnlichste buchhändlerische Spekulation zu seinem Dienste verwenden. Wenn die Vertreter des Volkes zürnend sich von ihm abwenden, wenn sie müde und matt die begeisterten Lippen schließen, dann müssen die Toten statt der Lebendigen wirken und die Gräber die Freiheit predigen. Es fehlt[65] uns nicht an der tiefsten geistigen Erregung, und es ist rein unmöglich, daß wir einschlafen. Schweift der Blick auch ab von den nächsten Interessen, von den dringendsten Bedürfnissen der Gegenwart, laßt die hübschen Sätze unserer Klassiker nur erst in Fleisch und Blut des Volkes übergehen, es wird nicht ermangeln, ihnen einst ihre spezielle Deutung zu geben und die glänzenden Theorien ins Leben einzuführen.
Die Kenntnis der literarischen und poetischen Vergangenheit wird das Volk urteilsfähig machen über die Gegenwart und unsre jungen Hoffnungen. Es wird das Schönste von den Toten lernen, die Lebenden nicht von sich zu stoßen.
Was werden wir beginnen, wenn wir die goldenen Früchte unserer teuersten Genien eingeheimst haben? Werden wir Türen und Fenster verschließen der frischen Luft des anbrechenden Morgens und ewig brüten über dem Testamente der Vergangenheit? Wird in den Fächern unserer Bibliotheken kein Raum mehr übrigbleiben, um die Werke der Lebendigen darin aufzustellen? Doch – ja! Ich will es glauben und mich trösten über die gegenwärtige Gleichgültigkeit gegen die letztern. Das Volk wird immer geistiger Nahrung bedürfen, und so schöpfe ich aus dem scheinbar Niederschlagendsten den größten Mut. Die Zeit wird auch kommen für die neue Literatur und ein wohl vorbereitetes Geschlecht wird ihr seine Liebe zuwenden. Wir wollen nicht ablassen, in dieser Hoffnung unverzagt weiter zu wirken, um, wie mir ein edler Freund schreibt, die jämmerliche Gegenwart den Menschen einigermaßen erträglich zu machen, bis der Tag kommt, wo uns das Schicksal ablöst und Taten spendet statt unserer Worte.[66]