|
[138] Eine Literaturgeschichte um die andere – warum nicht auch einmal eine Geschichte des Buchhandels? Es tut so not, den Herren Verlegern einen Spiegel vorzuhalten, ehe der letzte Funken von Ehrgeiz, der noch in ihnen glimmt, völlig erloschen ist! Daß ich's gestehe, eine unwürdigere Stellung, als im gegenwärtigen Augenblicke, hat der deutsche Buchhandel noch nie behauptet. Die Mehrzahl der Buchhändler von heute steht auf einem Riveau mit dem Krämer, der seinen Tabak und Käse auswiegt, und man lacht euch aus, wenn ihr bei ihnen etwa ein Wort von der Bedeutung, die sie für die Literatur haben könnten, von den geistigen Beziehungen, die sie zu derselben haben sollten, fallen lasset. Ich verlange keineswegs, die Buchhändler sollen sich alle auf einer Höhe halten – Geld und Talent finden sich auch nicht überall beisammen –; ich verlange nicht, die Buchhändler sollen alle nur den Verlag einer zeitgemäßen literarischen Richtung übernehmen – sie würden ihre Rechnung schlecht dabei finden; aber sie sollen wenigstens[138] durch ihren Verlag, er sei welcher er wolle, ein mehr als kaufmännisches Interesse an der Literatur beurkunden. Es ist so erfreulich, dies bei den ehrenwerten Buchhandlungen zu beobachten. Da ist Cotta mit seinem klassischen Verlage, da sind Winter und Mohr, da ist Reimer mit seinem romantischen, dort Hoffmann und Campe mit ihrem modernen, revolutionären, hier Brockhaus mit seinem doktrinären, zwischen den beiden letzteren Hammerich, Engelmann, Hallberger, Wigand, der Verlag der Klassiker usw., Fleischer und Perthes mit ihrem wissenschaftlichen Verlage nicht zu vergessen; überhaupt suche man in Norddeutschland, was ich buchhändlerischen Charakter nennen möchte.
Dagegen, welche Gesunkenheit des Buchhandels im Augenblicke in einem großen Teile Süddeutschlands, welche Gesunkenheit desselben namentlich in der Stadt, aus welcher in der Person des Herrn Wolfgang Menzel in den letzten Jahren aller literarischer Jammer hervorging, in Stuttgart, wo vorzugsweise die Schillerfabrik ist. Hier ist der Sitz der Übersetzungsindustrie, der Sitz der Industrieritter, der Übersetzer. Der Buchhandel geht mit der Kritik Hand in Hand; beide sind reaktionär. Der Geist einer vielleicht unbewußten Reaktion hat neben dem Wuchergeiste dieser Übersetzungen großer Toten, die eine klassische Phalanx gegen die jungen Autoren bilden sollen, hervorgerufen. Wer sich noch keine gesicherte Existenz errungen hat, übersetzt; wer nicht Mut genug in sich fühlt, um in die schlaglustigen Reihen der jungen Literatur einzutreten, übersetzt; wer zu bequem ist, um von seinem eigenen Pfunde zu zehren, übersetzt. Ich war selbst so unglücklich, und habe über setzt, doch gewiß nicht als reaktionär oder auf die Inspiration des Herrn Menzel hin.
Mein Gott – und wie wird übersetzt? Da ist die Buchhandlung Karl Hoffmann rühmlichst bekannt durch den Verlag der Rotteckschen und Okenschen Werke; ihre ganze neue Tätigkeit beschränkt sich aber gleichfalls auf Übersetzungen. Schiller-Byron, Schiller-Sterne, Schiller-Tasso, Schiller-Dante, Schiller-Ariosto, und, was weiß ich alles noch. Tasso und Ariost sind von Gries unübertrefflich übersetzt, die Ausgaben auch ziemlich wohlfeil – warum dem Publikum also eine weit geringere Übersetzung aufschwatzen? Von Byron hat man die meisterhafte Übersetzung Böttgers, die sehr gute Gustav Pfyzers – wozu eine neue? Weil die alten zu teuer sind. Abgesehen davon, daß z.B. die von Böttger, die, glaube ich, noch nicht vollständig erschienen ist, bloß zwei oder drei Taler kostet – ist[139] der billigere Preis eine Entschuldigung für eine Fabrikarbeit? Die Übersetzung Don Juans durch Rottenkamp (warum übersetzt Rottenkamp?) ist schön. Ganz recht! Nun nehme man einmal die lyrischen Gedichte Byrons in dieser Ausgabe zur Hand. Byron und Ernst Ortlepp! Wie kommt Saul unter die Propheten? Ohne Titel wären die Byronschen Lieder Ortlepps ganz unkenntlich geworden. Das Publikum ist betrogen, schmählich betrogen, wenn es der Meinung ist, es lese im Schiller-Byron Byronsche Lieder. – Und mit solchem Quark wird dem Guten der Platz versperrt! –
Das Übersetzen wird auf eine köstliche Weise betrieben. Wo man in Stuttgart hinblickt, nichts als Übersetzungen. Schiller-Shakespeare, Schiller-Viktor Hugo, Schiller-Lamartine, Schiller-Calderon. Alle miteinander ganz schlecht, schlecht, mittelmäßig. Jeder Band soll in einem Monat fertig sein, damit kein anderer Buchhändler zuvorkommt. So habe ich denn Lamartine treu, aber keineswegs schön übersetzt. Der unendliche Wohlklang seiner Verse ging durchaus verloren. Man hat Lamartine, aber seinen Rhythmus nicht, der vielleicht das Beste an ihm ist.
Werden die Stuttgarter Buchhändler ewig mit ihren Übersetzungen fortfahren, ewig den Interessen der Literatur sich verschließen? Wird keine geniale Produktion mehr aus ihren Offizinen hervorgehen? Soll Norddeutschland allein der Ruhm bleiben?[140]