IV. Wie Tosca ermordet wurde.


Zwei Tage bereits war der Graf St. Aignan ein Gefangener in dem alten Hause, das Don Gormas gehörte. Er wußte nicht in welcher Gegend Spaniens er sich befand, er hatte keine Mittel zur Flucht in einem festverwahrten Zimmer, drei Stock hoch. Zwei Mal am Tage brachten ihm zwei Diener eine reichliche Mahlzeit erwiederten aber alle seine Fragen in einem Jargon, den er nicht verstand. Es waren furchtbare Stunden, die St. Aignan in der Einsamkeit dieser beiden Tage verlebte, allein mit dem Bewußtsein seiner Verbrechen. Nichts zerstreute ihn, denn kein Geräusch schlug an sein Ohr und auch der Blick zum Fenster hinaus gewährte ihm keine Unterhaltung, denn er sah in eine von Klippen dicht umschlossene Meeresbucht, in der nicht einmal ein Fischerkahn, geschweige denn ein Schiff erschien, um die tödtliche Monotonie seiner Gefangenschaft zu beleben. Tiefe Stille und das dumpfe, ferne Rauschen der Meereswogen. St. Aignan[107] hätte verzweifeln mögen, er wollte sich morden, er hätte es leicht gekonnt, er brauchte sich nur mit dem Messer, das man ihm ließ, die Kehle abzuschneiden, er brauchte sich nur zum Fenster hinauszustürzen, er wäre sicher von den Klippen zerschmettert eine unkenntliche Leiche hinabgerollt in die Wogen, die sich schäumend an der steinigen Sohle des Landes brachen, aber – Bösewichter sind feige – St. Aignan begnügte sich zu fluchen, zu brüllen, mit den Fäusten an die Thür zu trommeln, in den Abgrund unter seinen Fenstern hinabzublicken und endlich schaudernd und schwindelnd zurückzutreten.

Am Abend des zweiten Tages hatte sich St. Aignan bereits auf seine Matte geworfen, um einen Schlaf zu suchen, der ihn hartnäckig floh, als er den Riegel an der Thür rasseln hörte; er freute sich darüber, denn er freute sich über Alles, weil er sich vor sich selbst, vor dem Alleinsein mit sich, fürchtete; dennoch stellte er sich schlafend. Die beiden Vettern Don Gormas und Don Juan von Aurinia traten in's Zimmer, ein Diener bepflanzte den Tisch mit Lichtern und entfernte sich dann wieder.

Don Juan setzte sich ruhig hinter den Tisch, während Don Gormas zu St. Aignan trat, den sich schlafend[108] stellenden weckte und ihn höflich ersuchte aufzustehen, da Don Juan mit ihm zu reden habe. Der Sohn Rafaëla's nahm Platz vor seinem Großvater, konnte aber den Blick des alten Mannes nicht ertragen, sondern senkte verwirrt seine Augen.

»Er hat auch nicht einen Zug der schönen Rafaëla!« murmelte Don Gormas.

»Junger Mann, Ihr nennt Euch Graf St. Aignan,« fragte Don Juan ernst, »habt Ihr ein Recht diesen Adelstitel zu führen?«

»Habt Ihr ein Recht mich zu fragen, alter Verschwörer?« lautete die trotzige Gegenfrage St. Aignan's.

»Ihr vergeßt,« sprach Don Juan, ohne sich irren zu lassen, »junger Mann, Ihr seid hier in meiner Gewalt, ich kann Euch in dem tiefsten Kerker verhungern und verfaulen lassen; ich kann Euch von meinen Dienern hier zum Fenster hinaus in's Meer werfen lassen, wenn's mir beliebt, glaubt Ihr, daß ein Hahn nach Euch kräht?«

St. Aignan sah den alten Granden fragend an.

»Ich werde das nicht thun, junger Mensch, ich werde Euch sogar eine sehr bedeutende Geldsumme geben und nach Frankreich zurückkehren lassen, wenn Ihr zwei Bedingungen eingehen wollt.«[109]

»Diese Bedingungen?«

»Sind erstlich: Ihr gebt das ehrlose Gewerbe eines Spions auf, meine Euch zugesicherte Geldsumme wird Euch die Mittel geben ohne Sorge zu leben.«

»Zugestanden.«

»Zweitens erzählt Ihr, so weit Ihr irgend im Stande seid, Eure Lebensgeschichte.«

»Und wenn ich das nicht thue?« fragte St. Aignan mit ängstlichem, halb aber auch trotzigem Blick.

»So laß ich Euch in den trockenen Brunnen im Hof unten setzen, bis Euch der Hunger zum Geständniß nöthigt!« sprach Don Gormas etwas ungeduldig.

St. Aignan erbleichte; Bösewichter sind stets Feig linge.

»Was bürgt mir dafür, daß Ihr Eure Versprechungen haltet, wenn ich geredet habe?« fragte er zagend.

»Mein Wort, als spanischer Grande, als Officier!« versetzte Don Juan ernst.

»Und das Meinige!« setzte Don Gormas hinzu.

»Zwei Worte, pah!« erwiederte St. Aignan.

»Knabe!« rief Don Gormas, »hüte Dich an dem Worte eines spanischen Edelmanns zu zweifeln; wähle den Brunnen, oder Bekenntniß!«[110]

»Ich will reden, ich will Euch trauen!«

»So enthalte Dich aller Lügen!« warnte Don Juan ernst.

St. Aignan besann sich eine Weile, er überlegte, er sah ein, daß er dem Wort der beiden ehrenfesten Edelleute trauen könne, er beschloß rücksichtslos zu bekennen und Don Juan durch seine Bekenntnisse so tief als möglich zu verletzen; es lag ein furchtbarer Hohn auf seinem bleichen Gesichte als er begann: »Ich habe ein treffliches Gedächtniß, meine Herren; soll ich von vorn anfangen? von der Zeit, wo meine Pflegemutter in der Rue Rebetonge mich mit ihrem Sohne erzog, wo ich in ihrer Abwesenheit die Geschirre zerbrach und mich dann königlich freute, daß mein Milchbruder deßwegen geruthet wurde

»Wie hieß Eure Pflegemutter?« fragte Don Juan.

»Madame Tetonne.«

»Gut, jetzt fangen Sie da an, von der Zeit beginnen Sie, in der Sie die Erziehungsanstalt des Herrn Menestrier in Paris verließen und die Nachricht erhielten, daß Sie der Sohn des Cornelius van der Valcke seien.«

»Ich weiß nur, ein Herr Cornelius van der Valcke schrieb mir, ich sei sein und einer schönen Spanierin[111] einziges Kind, sendete mir zweimal im Jahre bedeutende Wechsel und schrieb mir oft, in jedem Briefe aber forderte er mich auf, ihn und meine arme Mutter zu rächen, die namenlos unglücklich sei durch die tyrannische Härte ihres Vaters, durch Ihre beispiellose Grausamkeit, Don Juan; jeder Brief enthielt eine Aufforderung zur Rache. Um mich an Ihnen rächen zu können, Don Juan, wurde ich Policeispion; um von Ihnen Nachricht zu erhalten, schlich ich durch die legitimistischen Cirkel, machte Reisen, wendete Jahre meines Lebens auf – ich war ein Bastard, Sie aber waren es, der mich zum Bastard gemacht hatte, ohne Ihre Grausamkeit gegen meine Aeltern wäre ich ein ehelich geborner Sohn und wahrscheinlich ein würdiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft; so warfen Sie, Sie Don Juan, Sie warfen mich hinaus in die Welt, mit der Bastardschaft gebrandmarkt; sollte ich Sie nicht hassen? Ich kam nach Deutschland, ich sah meine Mutter und sie war wahnsinnig; mein Vater ließ mich Rache schwören, ich that es willig und ich habe meinen Schwur treu gehalten. In Deutschland erfuhr ich mehr von Ihnen, ich brachte in Erfahrung, daß Sie in Amerika – dorthin konnte ich Ihnen nicht folgen, morden wollte ich Sie auch nicht, denn die Rache wäre zu gering[112] gewesen; ich wußte, daß eine Tochter von Ihnen in Deutschland bei ihrem Großvater lebe; die Tochter wollte ich verderben, wie Sie meine Mutter und meinen Vater elend gemacht hatten; ich durchkreuzte Deutschland nach allen Richtungen, endlich fand ich den Professor Klingsohr; wochenlang beobachtete ich sein Haus, Tag und Nacht, die Rache ließ mich nicht ermüden. Ihre Tochter reis'te nach Berlin, ich folgte ihr; mein Plan war gemacht. In meines Vaters Händen waren Briefe von Ihnen, ich verstehe mich trefflich auf das Nachahmen von Handschriften, als spanischer Edelmann kam ich nach Berlin, suchte sie auf, überbrachte ihr ein Schreiben von Ihnen, in dem Sie Ihre Tochter baten, sogleich nach Ostende zu kommen, Sie seien soeben aus Amerika angekommen. Ich war in dem Briefe genannt, sie sollte sich ganz auf mich verlassen, und Ihre Tochter Toska that es, denn sie konnte keinen Verdacht haben, ich erzählte ihr so viel von Ihnen, daß sie mich für Ihren vertrauten Freund halten mußte. Ferner gab ich vor, daß ich sie zuerst bei Professor Klingsohr aufgesucht und an diesen ebenfalls einen Brief abgegeben habe, er ließe ihr glückliche Reise wünschen und werde ihren Koffer mit Wäsche nach Ostende senden. Das bethörte Mädchen brannte vor Begierde, ihren[113] Vater zu sehen, sie trieb zur Abreise und schrieb nur noch einige Briefe, die ich selbst zur Post besorgte, d.h. unterschlug und einen andern dafür absendete, in dem Toska erklärte, sie sei mit ihrem Liebhaber davon gegangen. Wir reis'ten schnell, bald mit Extrapost, bald mit Lohngeschirr; in der Gegend von Mühlhausen beschloß ich meine Rache zur Ausführung zu bringen. Ich muß Ihnen noch sagen, daß ich unterwegs dem bereits alternden Mädchen sehr die Cour machte, was sie nicht ungern geschehen ließ; mich hatte ihre tadellose Figur, ihre angenehme Fülle gereizt, ich wollte eigentlich Ihre Tochter erst verführen, ehe ich sie mordete.«

»Teufel!« murmelte Don Gormas zornig; Don Juan war still.

»Indeß kam es nicht dazu und, seltsam, meine Mordlust wurde immer stärker, je mehr meine Sinne durch Toska's Reize entflammt wurden. Wir fuhren eines Abends, bis tief in die Nacht hinein, in einem Wägelchen, das ich gekauft hatte, endlich gelangte ich an eine Stelle, die mir passend schien. Toska schlief, ich schnitt ihr rasch die Kehle ab, sie war auf der Stelle todt. Nun hielt ich mein Pferd, es war etwas sternhell, warf den Leichnam aus dem Wagen, entkleidete ihn ganz, er war noch warm, und wollte ihn in[114] eine Kiste legen, die ich an demselben Tage in einer Schenke bei Mühlhausen gekauft hatte; die Kiste war zu klein, ich nahm mein Besteck und löste kunstmäßig der Leiche die Beine ab; dann nahm ich ein Bettkissen, das ich im Wagen hatte, um Toska's Füße zu wärmen, legte es auf einen Stein, die nackten Füße kreuzweis darauf, und warf Laub darüber. Den verstümmelten Leichnam that ich in die Kiste, vernagelte dieselbe und nahm sie zu mir in den Wagen, dann fuhr ich im Galopp davon. Die ganze Sache hatte etwa eine Stunde gedauert. Im nächsten Ort, den ich mit Anbruch des Tages erreichte, fand ich vor dem Thor einen meiner geheimen Agenten, Sie kennen ihn, Don Juan, er war Ihr Kammerdiener, durch ihn ließ ich die Kiste nach Ostende addressiren – ich wollte doch mein Wort halten und Toska nach Ostende bringen – und nach der nächsten Eisenbahnstation bringen; der aber fürchtete sich und miethete sich einen stummen Bauer dazu. So wurde die Sache eigentlich viel zu zeitig entdeckt. Sie haben wohl gehört von dem Bletry'schen Prozeß? Nun wohl, der Mann ist ganz unschuldig; der unbekannte, verstümmelte Leichnam, den man auf der Eisenbahn fand, ist der Ihrer Tochter Toska. Indeß hatte ich bereits die Kleider Toska's verbrannt und[115] den Wagen, der sorgfältig von jeder Blutspur gereinigt war, zusammt dem Pferde, an einen Bauer im Würtembergischen verkauft. Hierauf ging ich nach Paris und dann wieder nach Hamburg, wo ich den Brief schrieb, durch den Sie mir auf die Spur kamen. Wie ich Sie aus Frankreich entfernte, wie ich Ihre carlistischen Bemühungen zu vereiteln suchte u.s.w. wissen Sie; ich bin aufrichtig gewesen, die Rache habe ich erfüllt, meinen Schwur gehalten, Vater und Mutter sind gerächt, auf Sie, Don Juan, auf Ihre Grausamkeit wälze ich Alles, was ich gethan!« –

Die beiden Spanier sprachen kein Wort, Schmerz und Empörung hießen sie schweigen. St. Aignan freute sich des Eindrucks, den seine Rede, sein Bekenntniß voll Scheußlichkeit gemacht.

Endlich schien Don Juan wieder Herr seiner Gefühle zu werden und langsam fragte er: »Wissen Sie vielleicht, wo der Sohn Ihrer Pflegemutter, der Madame Tetonne, ist?«

»O ja!« entgegnete St. Aignan etwas verwundert über diese Frage. »Der Tischler Tetonne wohnt rue des deux anges Nr. 2. in Paris.«

»Nun, junger Mensch, nun will ich Ihnen eine Eröffnung machen,« nahm Don Juan sehr ernst das[116] Wort; »Sie sind nicht der Sohn meiner Tochter Rafaëla, nicht der Sohn des armen Cornelys van der Valcke und Sie haben es gewußt, daß Sie es nicht sind; Sie haben meine Tochter gemordet, nicht aus Rache, sondern aus gereizter Sinnlichkeit, aus Wuth über eine fehlgeschlagene Geldspeculation; Sie sind nichtswürdiger und schlechter als sich sagen läßt!«

Todtenblaß sank St. Aignan in seinen Sessel zurück.

»Höre mich, Du Teufel in Menschengestalt!« rief Don Juan außer sich, »Du Mörder meiner armen Toska, ich will Dir die Geschichte, die Du uns erzählt hast, etwas anders erzählen; unser Vertrag ist gebrochen, denn Du hast uns belogen. Höre: vor drei Jahren war es, da trat eine Frau in Deine luxuriöse Pariser Wohnung, ein Bettelweib trat in Deine Wohnung und bat Dich demüthig um ein Almosen; Du wolltest die Bettlerin von Dir jagen, da rief sie Dir zu: ›Karl, kennst Du mich nicht mehr?‹ Es war Madame Tetonne, die in Armuth gerathen war; Du warfst ihr einige Sousstücke hin, nicht aus Mitleid, sondern nur um die lästige Bettlerin los zu werden. Die arme Frau aber ging nicht, sie wollte mehr; sie sagte Dir: ›ich bin ein Bettelweib geworden, weil ich schwer gesündigt habe, und ich habe gesündigt aus Liebe zu Dir. Karl, Du[117] bist mein Sohn; jener arme Tischlergesell, der mit mir hungert, ist der Sohn des reichen Herrn, den Du Vater nennst, der Dir große Summen giebt; laß Deine Mutter nicht hungern und betteln, Karl!‹ Was thatest Du? Du tratest Deine Mutter wüthend mit Füßen und ließest sie von den Bedienten die Treppe hinunterwerfen; Du thatest das, hörst Du, Mensch? Deine eigene Mutter! Aber die Sache reute Dich, denn das Weib konnte Dir ein schlimmes Spiel machen; Du suchtest sie auf, Du fandest sie nach drei Tagen, Du kamst zu spät, in sichere Hände hatte Deine Mutter bereits das schriftliche Bekenntniß ihrer Kindervertauschung niedergelegt – Du sorgtest für den Tischler, den Du um Vater und Mutter und Vermögen betrogen, mit einigen hundert Franks; Deine Mutter starb in Folge der von Dir erlittenen Mißhandlungen und längst bereits wärest Du entlarvt worden, wenn die Person, der Deine Mutter ihr Sündenbekenntniß anvertraut hatte, den mit Dir und durch Dich betrogenen Herrn van der Valcke zu finden gewußt hätte. Du bist nicht der Sohn meiner Rafaëla und ich danke Gott dafür, Du bist nichts als der nichtswürdige, verruchte Mörder meiner Toska, die Du nicht nur gemordet, sondern auch schaamlos beraubt hast, gestehe Deine gemeine[118] Raubsucht, Du hast ihr für 100,000 Fr. Juwelen gestohlen, suche sie nicht durch das Gefühl der Rache zu beschönigen, aus Geldsucht, nicht aus Rache hast Du meine Tochter gemordet, aus Geschlechtsbrutalität, nicht aus Rache hast Du meines Kindes Leichnam verstümmelt, o ich kenne Dich durch und durch, elender Bastard einer Pariser Courtisane; Mörder, mehrfacher Mörder, ich danke Gott, daß ich Dich in meiner Gewalt habe.«

Erschöpft hielt Don Juan inne, mit dem tiefsten Abscheu blickte er den vernichteten Sünder an, der sich bei den letzten Worten Don Juan's, die er falsch deutete, heulend auf die Kniee warf und flehentlich um sein Leben hat.

»Erbärmlicher Mensch!« antwortete der Grande auf diese Bitten, »Du zweifelst an meinem Wort; hier nimm diese Börse, geh wohin Du willst, Don Juan von Aurinia hat nicht Lust dem Henker in's Handwerk zu pfuschen, Du entgehst der Guillotine nicht.«

»Verlaßt auf der Stelle dieses Haus, Ihr sollt es nicht verpesten mit Eurer Gegenwart!« setzte Don Gormas hinzu. »Verlaß dieses Haus und das Bewußtsein Deiner Verbrechen jage Dich ruhelos von Ort zu Ort,[119] bis Du dem Henker in die Hände fällst, dem Du längst gehörst!«

St. Aignan, oder, wie wir ihn nun nennen müßten, Charles Tetonne, raffte die Börse auf und rannte die Treppe hinab, durch die Hausflur, durch die offene Thür und lief spornstreichs dem innern Lande zu. Es war tiefe Nacht bereits, dennoch fand Aignan leicht seinen Weg, es war eine ziemlich breite Heerstraße auf der er sich befand. Nachdem er etwa eine Viertelstunde gelaufen war, begann er langsamer zu gehen; »Narren,« sagte er, »Narren, laßt mich nur nach Paris kommen, ich will Euch für Eure verdammte Großmuth bezahlen, Euch den heutigen Abend mit Zinsen wiedergeben.«

Mit solchen erbaulichen Gedanken und Vorsätzen erreichte Aignan einen Kastanienwald, der sich rechts und links an der Heerstraße hinzog; der Nachtwind rauschte in den dunkeln Wipfeln der Bäume, er spielte mit den Blättern und jagte die Wolken am Himmel schwarzgrau drüber her. Dem Mörder Toska's begann es ganz eigenthümlich zu Sinne zu werden, immer lauter begann sein Herz zu klopfen, immer drohender, glaubte er, tönte das Rauschen der Blätter, Er wollte fingen vor Furcht, er konnte nicht, nur einige[120] unartikulirte Töne entrangen sich seiner gepreßten Brust. Er blieb stehen, schaute sich scheu ringsum und sagte zu sich selbst: »Beruhige Dich doch, der Wind rauscht in den Blättern, es ist nichts!« Aber er sprach vergebens, immer ängstlicher wallte das Blut nach seinem Herzen, er begann zu laufen, er lief lange und sinneverwirrend umrauschten ihn Blätter des Waldes rechts und links; der Wind faßte einen Büschel seines Haars, das sich zu sträuben begann und schaudernd fuhr der Mörder zusammen, scheu blickte er sich um, aber er sah nichts, indeß die Blätter rauschten, und dieses furchtbare Rauschen in stiller Nacht auf einsamen Pfade hetzte ihn wieder vorwärts; plötzlich stutzte der Mörder mitten im Lauf und prallte mit einem schnellen Schreckensruf einen halben Schritt zurück, seine Augen starrten vorwärts, seine Hände waren abwehrend nach vorn ausgestreckt, die Haare sträubten sich auf seinem Scheitel, er stand fest, regungslos – er glaubte im Wege eine weiße Gestalt liegen zu sehen, eine weiße Gestalt – er sah besser hin, seine Augen brannten fieberisch vom Hinstarren, sie traten aus ihren Höhlen – ja, da lag ein weißer Leichnam, ein weißer, weiblicher Leichnam; ein weißer, weiblicher Leichnam mit einer furchtbar klaffenden Halswunde, der[121] Leichnam Toska's; da lagen ja auch die beiden weißen Beine, die er abgeschnitten von der Leiche, als sie noch warm war – ha! – wo kommt der Leichnam hierher? hierher, so weit vom Rhein nach der Peninsula – ein schauriger Anblick, der Mörder entsetzt neben dem Leichnam der Gemordeten; wohl fünf Minuten stand Aignan so da, in furchtbarster Qual, mit dem Vorsatz zu fliehen, doch ohne die Kraft dazu. Plötzlich rauschte es stärker in den Zweigen: »Werda!« schrie eine dunkle Gestalt, die aus den Büschen sprang und ihre Hand auf die Schulter Aignan's legte. »Werda!« wiederholte der bleiche Mörder, entzückt, sich in menschlicher Gesellschaft zu finden, warf aber trotz dem immer noch scheue Blicke auf den vermeinten Leichnam Toska's.

»Werda, woher des Weges?« fragte der finstere, spanische Bauer noch einmal und schüttelte den Mörder, ihn zugleich mit seinen blitzenden Augen fast durchbohrend. »Gut Freund!« antwortete St. Aignan sich ermannend, »führt mich in den nächsten Ort, einige Silberrealen habe ich noch für Euch!«

»Seid Ihr für den absoluten König, oder für die verdammten Negros, die im Namen der Infantin Isabel befehlen?«[122]

St. Aignan lächelte im Stillen; möchte den auch sehn, der Lust hätte für die verdammten Negros zu sein mitten im Wald um Mitternacht, wenn ein spanischer Bauer mit blanker Axt solche Fragen thut. »Es lebe der absolute König!« erwiederte er schnell, »und die heilige Religion!« setzte der Bauer, sich bekreuzend hinzu.

»Wollt Ihr mich in den nächsten Ort führen, wo ich mich ausruhen kann, guter Freund?«

»Por todos muertos!« entgegnete der Baske, »ich bin Sein guter Freund nicht, ich bin ein Caballero; geh Er nur fort, Er ist kaum hundert Schritt von einem Ort.« Mit diesen Worten sprang der Bauer in das Dickigt zurück und ließ den Franzosen allein im Wege.

St. Aignan schritt jetzt beherzt, da er lebendige Wesen in seiner Nähe wußte, auf den vermeinten Leichnam zu und lachte über sich selbst, als er einen weißen Sandstein fand, der als Brücke über einen kleinen Graben diente, in welchem friedlich ein kleines Wässerchen faulte, denn es floß nicht, sondern stand still.[123]

Nach einer Viertelstunde hatte St. Aignan die Posada des nahen Dörfchens erreicht, war willig von dem Wirthe aufgenommen worden und hatte sich behaglich gelagert neben dem Heerde unter einer Gesellschaft von Eseltreibern.[124]

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 3, Altenburg 1846, S. 105-125.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon