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Vancouver, August 1899.


Ihr Brief hat mich unendlich erfreut – vor allem, weil er weniger traurig klingt, als ich gefürchtet hatte. Es wäre mir ja beinahe beschämend, wenn Ihnen Peking ohne mich nicht ein bisschen grauer und öder erschiene, und ich möchte etwas von Ihnen vermisst werden – aber nicht zu sehr. Es ist alles eine Frage von Nüancen, und Sie haben, vielleicht durch das jahrelange Studium alter chinesischer Brokate und Porzellane, ein merkwürdig feines Verständnis für Nüancen, und haben genau diejenige getroffen, die mir wohltuend sein musste.

Haben Sie also Dank für Ihren Brief, wie für so manches andere!

Unsere kurzen Ferien in Japan sind mit jener erschreckenden Geschwindigkeit vergangen, die den guten Zeiten nun einmal eigen ist. Ich will Ihnen[5] keine nachträgliche Reisebeschreibung schicken, kennen Sie doch Madame Chrysanthêmes Heimat so viel besser als ich; ich will Ihnen nur sagen, dass ich dort viel an Sie gedacht habe, denn durch alles, was Sie mir erzählt, und durch die Bücher, die Sie mir darüber geliehen, kannte ich Japan schon, als ich hinkam. Es war mir, als fände ich dort lauter alte Bekannte wie der; in den Teehausmädchen, die unsern Rickshaw-Kulis mit derselben Grazie und Höflichkeit wie uns selbst Tee servierten, wie in den Landarbeitern, welche, hoch aufgeschürzt, oft bis an die Kniee in den sumpfigen Reisfeldern versanken und sich bei Regenwetter Strohdecken überbanden, deren abstehende Halmenden ihnen das Aussehen riesiger, emsiger Igel verliehen. Sie alle erschienen mir wie Gestalten aus einem wohlbekannten Bilderbuch, denen man zunickt: sieh da, sieh da, da seid ihr ja alle.

Das erfreulichste Wiedersehen feierte ich aber in Japan mit den vielen Blumen, die ich daheim und anderswo als japonica oder japonicum kennen gelernt hatte, und die ich nun in ihrer Heimat wiedersah, nur viel schöner und duftender; wie ja auch wahrhaft nette Menschen meist am nettesten in ihrem eigenen Hause sind.

Japan ist das erste und einzige aussereuropäische Land, in dem ich mich ankaufen und »for good«[6] bleiben möchte; oder vielmehr »for better for worse«, was ja ein so viel grösseres Versprechen und Zeichen von Vertrauen enthält.

An unserem letzten Morgen in Yokohama hatten wir noch zwei Erlebnisse, ohne die Japan nicht recht Japan gewesen wäre: wir wurden früh durch ein Erdbeben geweckt, und wir sahen den Fusiyama. Der hohe weisse Herr hatte sich bis dahin übellaunig hinter einer Wolkenkappe verborgen, was ich den hohen, einsamen Bergesgipfeln nie verdenke, denn auch jüngeren, geringeren Wesen ist der Anblick der Welt ja oft verdriesslich genug. Als wir schon im Boot sassen, um hinaus an unseren Dampfer zu fahren, ward es plötzlich lichter, und wir sahen die schneeweisse Kuppe, die in Wirklichkeit ganz ebenso unwahrscheinlich aussieht wie auf ihren zahllosen Abbildungen. Es war mir gesagt worden, dass wer am Tage der Abfahrt den grossen Herrn Fusi sieht, sicher nach Japan zurückkehrt. Sie wissen, dass ich, faute de mieux, ziemlich abergläubisch bin – nun wollen wir sehen, ob mich mein Nomaden-Schicksal noch einmal nach dem Lande des Lächelns und der Blumen zurückführen wird.

Der erste Mensch, den wir auf dem Dampfer trafen, war Bartolo, der grosse Konzessionenjäger, der so viele Monate im Hotel de Pékin sass, während[7] Sie gerade eine Ihrer geheimnisvollen Reisen in das Innere Chinas unternommen hatten. Damals wollte Bartolo zuerst die nicht vorhandene chinesische Armee mit einem von ihm selbst erfundenen Gewehr versehen, später versuchte er dann einen Plan zur Bewässerung der Wüste Gobi an die chinesische Regierung zu verkaufen. – Wer alle Projekte gehört, die Bartolo und ausser ihm so viele andere zur Beglückung der Chinesen ersannen, der kann das tiefe Mitleid begreifen, mit dem Sie »pauvre, pauvre Chine« zu sagen pflegten. Viel weniger Mitleid hatten Sie für die armen Gesandten, die alle einige Bartolos besassen, von denen sie gedrängt wurden, ihre Wünsche nach phantastischen Konzessionen mit politischer Pression zu unterstützen und nach deren Ansicht die Gesandten nie genug taten, was sich bisweilen in Zeitungsangriffen oder parlamentarischen Interpellationen äusserte.

Bartolo erzählte uns gleich strahlend, er hätte seine letzte Konzession erlangt, nicht die von der Wüste Gobi, sondern eine allerletzte, zur Ausbeutung von Rubinminen. Anfänglich sei er nicht recht sicher gewesen, für welche Provinz er die Konzession erbitten solle, ob Kwangsü oder Kwangtung, da er ja beide nicht persönlich kannte und nicht wisse, ob es dort Rubinen gäbe. Schliesslich habe er sich für Kwangtung entschieden,[8] nachdem er etwas im Richthofen nachgeschlagen, diesem Evangelium aller Jünger des neuen Glaubens »Heil durch China«.

Mein Bruder und ich waren etwas erstaunt, dass Bartolo diese Konzession so rasch erlangt haben will, um so mehr als die Chinesen ja gerade eine Minenbehörde ernannt haben, deren Hauptaufgabe darin besteht, derartige Angelegenheiten zu verschleppen. Bartolo erzählte uns aber, in dieser Behörde sässen als einflussreichste Mitglieder der alte Tsü und der junge Tsi – dem jungen Tsi habe er in Tientsin die Bekanntschaft einer ebenso gefälligen wie schönen Amerikanerin vermittelt, und der »Nebenfrau« des alten Tsü habe er nächtlicherweile ein goldenes Teeservice zugesandt. Von da ab seien seinem Anliegen in der Kommission von den Chinesen nur noch pro forma ein paar kleine Schwierigkeiten gemacht worden.

Bartolo ist nun auf dem Wege nach London, um eine Aktiengesellschaft zu gründen zur Ausbeutung seiner Rubinminen, von denen er sich Millionen verspricht. Er hatte sich für die Überfahrt mit einer Menge Konserven und Delikatessen versehen, von denen er all seinen Bekannten auf dem Schiffe bei jeder Mahlzeit reichliche Portionen zusandte. Da er eigentlich ein sehr gutmütiger Mensch ist, wollte er hierdurch schon jetzt alle[9] gewissermassen an seinen Zukunftsschätzen teilnehmen lassen.

Ich werde immer ganz traurig über die schönen Illusionen, wenn ich Menschen so reden höre von all den Reichtümern, die sie in China erwerben wollen, und mich dabei der unendlichen, herzbeklemmenden Armut erinnere, die ich dort, ärger als irgend sonst wo, gesehen habe. Wo sollen nur die Reichtümer herkommen? Ich mag mich aber irren, denn ich kenne ja nur den trostlosen Norden Chinas, und vielleicht liegen wirklich Rubinen auf den Strassen in Kwangtung, wo ich so wenig wie Bartolo je gewesen bin.

Ich muss meinen heutigen Brief schliessen, denn wir wollen hinaus in den Wald, aber ich werde Ihnen noch von hier weiter schreiben, da wir einige Tage hier bleiben wollen, um uns von der bisherigen für die weitere Reise zu erholen. Dieser erste Gruss soll Ihnen nur sagen, dass ich jenseits des grossen Wassers gut angelangt bin. Nun schlage ich in Gedanken eine grosse Brücke darüber, deren eines Ende hier ruht, während das andere in der Gegend von Pei-ta-ho die Erde berührt, und über diese Brücke eilen tausend herzliche Gedanken freundschaftlichen Erinnerns zu Ihnen.[10]

Quelle:
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten, Berlin 521903, S. 5-11.
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