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[236] New York, den 6. Juli 1900.


Diese entsetzlichen Nachrichten in den Zeitungen – ein Martyrium, sie lesen zu müssen. Die schauerlichsten Einzelheiten, die auf dunklen Wegen über die letzten Kämpfe in Peking bekannt geworden, werden herausgegriffen und dann in riesigen Lettern fett gedruckt als Überschriften, die Leiden all der Unglücklichen zur geschäftlichen Spekulation ausgenutzt, die auf das Sensationsbedürfnis der Menge rechnet. Und nicht nur die Gleichgültigen lesen das, nein auch die, denen es an die innersten Wurzeln alles Lebens und Empfindens greift. Sie sehen all die furchtbaren Bilder vor den inneren Augen, Tag und Nacht! Wird nichts sie je mehr verwischen?

Und sie müssen auch lesen, dass man die Gesandtschaften als verloren aufgegeben und sich damit abgefunden hat. Es sei überflüssig, heisst es,[236] nochmals Leben zu riskieren, um ihnen zu Hilfe zu eilen, da doch alles längst vorbei sein müsse. Man spricht sogar davon, Tientsin zu räumen. Im Herbst, wenn Hitze und Regenzeiten vorüber, solle dann ein schöner, grosser Strafzug ausgeführt werden.

Was liegt uns an Strafe, die wir um unsere Liebsten bangen! wir wollen Rettung!

Quelle:
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten, Berlin 521903, S. 236-237.
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Der Tag anderer. Von der Verfasserin der, Briefe, die ihn nicht erreichten