Fünfte Scene.


[404] Vorige. Der Wirth öffnet die Thüre, man sieht die Mutter und Rose draußen im Flur stehen.


NETTELBECK.

Nur immer näher,

Gevattrin! Hier sind lauter gute Freunde.

Nur näher, Kind!

MUTTER eintretend.

Die Herrn verzeihn, wir haben

Herrn Nettelbeck gesucht. Die Rose ließ

Mir keine Ruhe.[404]

GRÜNEBERG.

Schönen guten Abend,

Frau Blank. Was bringt Ihr uns?


Die Bürger lassen die Frauen in den Vordergrund treten.


NETTELBECK Rose bei den Händen fassend.

Kind, bist du da?

Ich hab' auf dich geharrt, wie Vater Noah

Auf seine Taube. Rede: bringst du uns

Ein grünes Blatt? Komm, sag mir's hier beiseite.

Doch nein! es geht ja doch uns Alle an.

Wißt ihr, woher sie kommt? Von Memel kommt sie,

Von unserm Herrn und König!

GRÜNEBERG.

Herr, du mein –!


Bewegung unter den Bürgern.


NETTELBECK.

Du hast ihn doch gesprochen?

ROSE nickt.

Lieber Pathe,

Laßt es mich Alles in der Ordnung sagen,

Wie ich's erlebt.


Die Bürger drängen sich um sie.


Als wir nach Memel kamen,

Bat ich den Arndt, mich gleich zum Schloß zu führen,

Denn kostbar schien mir jeder Augenblick.

Das that er denn und ließ mich unten stehn,

Indessen er hinaufging, anzufragen.

Wie klopfte mir das Herz, als ich so stand

Und mich besann! Ach, Alles, was ich mir

Dem Herrn zu sagen tausendmal bedacht,

Aus meinem Kopfe war's wie weggeweht!

MUTTER.

Das arme Kind!

ROSE.

Dann kam der Arndt zurück,

Ein Offizier mit ihm, der fragte mich

Sehr höflich, was ich an den König hätte.

Und ich: dies könn' ich nur ihm selbst vertrau'n.[405]

Da hieß er mich ihm folgen, und ich stieg

Getrost die Treppen neben ihm hinauf

Und hatte keine Furcht mehr. Wie ich aber

Eintrete droben, und mein Führer sagt:

Dort steht der König! – und ich ihn nun wirklich

Umringt von seinen Generalen sah,

Er ganz allein in schlichter Uniform –

Es schien, ein wicht'ger Rath ward abgehalten –

Da stockte mir der Athem in der Brust.

Der König aber, freundlich wie ein Vater,

Bot mir die Hand und sprach mir gütig zu:

Von Colberg käm' ich; was ich Gutes brächte

Aus seiner treuen Stadt? – Und plötzlich fühlt' ich

Das Band, das meine Zunge hielt, gelös't,

Daß ich die Worte nicht zu suchen brauchte;

Sie strömten frei und leicht. Ich sagt' ihm Alles,

Wie sich die Stadt des Traurigsten versehe,

Wenn er nicht Hülfe sende, einen Mann,

Der Kopf und Herz hab' auf dem rechten Fleck

Und gleich der Bürgerschaft entschlossen sei,

Die Stadt zu halten bis zum letzten Hauch.

Ganz still war's, wie ich sprach. Der König nickte

Nur dann und wann sehr ernsthaft vor sich hin;

Und, Pathe, als ich Euren Namen nannte,

Sagt' er: Ein wackrer Mann, der Nettelbeck!

Sein Vater schon war Bürgeradjutant

Beim alten Heyden. Er muß auch schon alt sein.

Sehr brave Bürger das und gute Preußen!

NETTELBECK ergriffen.

Mein König!

ROSE.

Dennoch, Majestät, versetzt' ich,

Hat ihm der Kommandant Arrest gegeben.

NETTELBECK eifrig.

Das hättest du nicht sagen sollen, Kind!

Ich ward ja auch schon andern Tages frei.[406]

ROSE.

Es kam mir so. Der König aber sagte

Kopfschüttelnd etwas, das ich nicht verstand.

Da schwieg ich, und er sprach: Ich muß dich noch

Zur Kön'gin bringen; wird ihr Freude machen.

Komm mit! – Und so an seiner eignen Hand,

Hindurch durch all die blanken Uniformen,

Führt er mich in ein kleineres Gemach.

Da saß –

NETTELBECK.

Die Kön'gin?

MUTTER.

Du glücksel'ges Kind!

ROSE.

Ja wohl, beseligt für mein ganzes Leben

Durch diese Stunde. Könnt' ich's euch nur schildern,

Wie mir die hohe Frau, die einzige,

Erschienen ist. Was man von Engeln spricht,

Bleibt hinter ihrem Anblick weit zurück.

Denn die sind kummerlos. Es muß ein Abglanz

Der Himmelsfreuden ihre Stirn umspielen.

Doch diese Stirn! Mir war, ich sähe dran

Die dunkle Spur von einer Leidenskrone,

Und diese Augen hatten viel geweint.

Mich aber lächelten sie an – so edel,

Wie ich kein irdisches Auge lächeln sah.

Hier bring' ich dir, Louise, sprach der König,

Ein braves Mädchen, ein Colberger Kind.

Sie wird dir sagen, was du gerne hörst;

Ich lasse sie dir hier, hab' noch zu thun.

Du aber, Rose Blank, grüß mir mein Colberg.

Sie sollen treu ausharren, wie's auch komme;

Der Treue wird der Sieg. – Dann gab er mir

Die Hand, er war sehr ernst und feierlich,

Und in der Thür blieb er noch einmal stehn

Und sagte: Grüß mir auch den Nettelbeck,

Hörst du? und Gott mit dir! – So ließ er uns.[407]

Da mußt' ich der Frau Kön'gin Viel erzählen

Und leicht und freudig ward mir's um Brust,

Wie wenn man all sein Leid dem Himmel klagt.

Als dann die Kammerfrau ins Zimmer trat,

Merkt' ich, wie lang ich schon geblieben, stand

Erschrocken auf und bat, mich zu entlassen.

Da streifte die erhabne Frau vom Finger

Sich einen Ring – hier diesen –, küßte mich

Und sprach: »Trag ihn zu meinem Angedenken.

Es ist kein reicher Schmuck; denn, liebes Kind,

Ich selbst bin eine arme Frau geworden.

Doch hab' ich noch Juwelen, köstlicher

Als manche Fürstin: meiner Landeskinder

Unschätzbar echte Lieb' und goldne Treue.

Grüß mir die theure Stadt, grüß deine Mutter,

Und gebe Gott, daß wir in froh'rer Zeit

Uns wiedersehn! – Da stürzten mir die Thränen,

Als ich mich neigte, ihre Hand zu küssen,

Und so in Schmerz und Glück verließ ich sie.


Pause.


NETTELBECK.

Und dann?

ROSE.

Vier Tag' im Gasthof wartet' ich,

Und keinen Heller ließ man mich bezahlen.

Es hieß: das sei besorgt vom Hofkassier.

Auch kam ein Hoffräulein der Königin,

Nach mir zu fragen. Doch sie selber sah ich

Kein zweites Mal, den König nur von fern,

Und als der Adler unter Segel ging,

Mußt' ich nach Hause kehren, schweren Herzens,

Unwissend ob ich Hoffnung mit mir brächte!

NETTELBECK wirft sich in plötzlicher Niedergeschlagenheit auf den Sessel und läßt den Kopf sinken.

Es ist am Tag: zu helfen ist nicht mehr;

Colberg ist eine aufgegebne Stadt![408]

Nichts bleibt, als ehrenvoller Untergang,

Wo jede Hoffnung hin ist.

GNEISENAU der sich indessen mehr und mehr genähert hat, plötzlich vortretend, mit ruhigem Ton.

Wahr gesprochen,

Herr Nettelbeck! Wo nicht zu helfen ist,

Bleibt nur ein ehrenvoller Untergang.

NETTELBECK betroffen aufblickend.

Nicht mehr zu helfen? Ha, wer sagt das, Herr?

GNEISENAU.

Ihr selbst in diesem Augenblick.

NETTELBECK.

Das hätt' ich

Gesagt? ich selbst? So hab' ich – Gott verzeih' mir's! –

Gefaselt wie ein Schwachkopf und ein Schurk'.

Nicht mehr zu helfen? Stehn nicht Wall und Mauern

Noch unversehrt? Sind nicht von Korn die Speicher,

Von Munition die Magazine voll?


Aufstehend.


Wer ist denn überhaupt der kluge Mann,

Der hier dreinredet?

WÜRGES zuckt die Achseln, halblaut.

Brünnow führt' ihn ein.

Er hat mir gleich nicht recht gefallen wollen.

ROSE rasch zu Nettelbeck.

Pathe, der Offizier kam mit dem Adler.

Ein Boot aus Danzig bracht' ihn uns an Bord.

NETTELBECK.

Aus Danzig? Hm! – Nun, mein sehr werther Herr,

Wenn Ihr so klug seid, sagt doch, wo es fehlt,

Daß sich die Stadt, wie gegen Schwed' und Russen,

Nicht gegen die Franzosen halten sollt'?

GNEISENAU.

Damals geschah der Hauptangriff zur See.

Da ward die Schwäche der Befestigungen

Natürlich minder fühlbar. Jetzt – ich habe

Die Werke heut bei einem raschen Rundgang[409]

Geprüft und muß nach Ueberzeugung sagen:

Sie widerstehen keinem ernsten Sturm.

Es fehlt an Schanzen, an bedeckten Wegen,

An Werken außerhalb. Was an Geschützen

Vorhanden, ist gering, schwach das Kaliber,

Die Eisenröhren, fürcht' ich, springen uns

Beim zehnten Schuß, verfault sind die Laffetten,

Und somit –


Zuckt die Achseln.


HEINRICH rasch einfallend.

Sagt' ich's nicht? Ein Tollwahn ist's,

Die Stadt zu halten!

NETTELBECK.

Schweig! Das fehlte noch,

Daß solch ein grüner Junge Recht behielte.

Ihr aber, mein Herr Fremder, könntet auch

Was Klügres thun –

GNEISENAU.

Wahrheit muß Wahrheit bleiben:

Die Festung, wie sie ist, steht keinem Sturm.

NETTELBECK sich erhitzend.

Hört nicht auf ihn, ich bitt' euch, Freund' und Nachbarn,

Laßt nicht so jämmerlich die Flügel hängen!

Das ist so einer von den Alleswissern,

Die, kaum die Nase wo hineingesteckt,

Drauf los orakeln: dies ist so und so,

Und so wird's bleiben. – Herr, ich bin ein Seemann,

Das aber, mit Verlaub, muß ich Euch sagen:

Was Ihr da redet, hat nicht Hand noch Fuß.

Zu Wasser wie zu Lande giebt den Ausschlag

Das Herz, das hinter Bord und Mauer klopft,

Das Herz im bunten wie im schwarzen Rock,

Das Herz, mein Herr Major, das dreimal schon

Die Stadt vor Feindes-Uebermacht gerettet,

Und das Ihr nie gekannt habt, wenn Ihr meint,

Es sei nicht mehr das alte Preußenherz

Und Colberg müsse fallen![410]

GNEISENAU.

Sagt' ich das?

Verhüte Gott, daß ich so Schnödes dächte!

Das aber mein' ich und behaupt' es fest:

Nicht hinter Wall und Mauern, wackrer Freund,

Ist diese Festung zu vertheid'gen. Nein:

Das Herz, das hoch schlägt für sein Vaterland,

Muß Colberg's Thore sprengen, vor den Wällen

Den Feind in Athem halten, bis wir Zeit

Gewonnen, unsre Stadt so auszurüsten,

Daß sie dem Sturme kann die Zähne weisen.

NETTELBECK.

Herr meines Lebens! Das sind Mannesworte!

Verzeiht, daß ich vorhin – o seht, wie mir

Der freud'ge Schrecken, daß ich mich in Euch

Getäuscht, in alle Glieder fuhr. Wer seid Ihr?

Wär's möglich? Ihr – von Danzig – auf Befehl

Des Königs –?


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 404-411.
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Dramatische Dichtungen: Bändchen 5. Colberg
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