Zehnte Scene.


[456] Gneisenau setzt sich an den Tisch und schreibt. Nettelbeck der sich schon nach der Thür gewendet hat, bleibt wieder stehen.


GNEISENAU.

Nun, Alter?

NETTELBECK.

Herr Major –[456]

GNEISENAU.

Noch nicht zufrieden?

NETTELBECK.

Hm! – Ja! – Nu, wie man's nimmt.

GNEISENAU fortschreibend.

Ihr nehmt es schwer.

NETTELBECK.

Und Ihr, weiß Gott, macht's einem auch nicht leicht.

Der arme Junge – doch ich will nichts sagen,

Will meinen Kummer still hinunterwürgen.

Mir altem Seehund kann es besser scheinen,

Mehr Mensch zu sein und weniger Soldat.

Ihr aber – werdet Eure Gründe haben.

GNEISENAU aufstehend.

Ich denke wohl. Denn, Freund, die Gnad' ist gut,

Doch auch das Recht muß seine Würde wahren.

Und sagt doch selbst: was diesen Ehrenmännern

Als höchstes Kleinod gilt, ein freier Tod,

Das sollt' ich so geschwind, als stünde mir's

Nicht eben hoch im Preis, an den Verbrecher

Verschenken?

NETTELBECK.

Freilich – wenn man's so betrachtet!

Obschon ich –


Weber tritt ein.


WEBER.

Herr Major, ich muß nur melden,

Daß noch nicht zwanzig Schritte von der Hausthür

Der Arrestant uns richtig echappirt ist

Und wir, nach Ordre, ihn auch laufen ließen.

GNEISENAU.

's ist gut. Hier dies an den Parlamentär.


Weber ab nach rechts.


NETTELBECK der sich bemüht, seiner Bewegung Herr zu bleiben.

Hört, Gneisenau, ich bin ein alter Kerl,

Und der Franzos, der heut das Licht mir ausbläs't,[457]

Verdient sich einen Gotteslohn an mir,

Denn diese Welt hier unten hab' ich satt.

Nur einen Wunsch noch hätt' ich –

GNEISENAU.

Den ich Euch

Erfüllen könnte?

NETTELBECK nickt.

Lacht mich immer aus!

Ich hab' vorhin den Rector sehr beneidet,

Daß Ihr ihn – nu, daß Ihr ihn embrassirt habt.

Wie wär's – wenn Ihr mich nur ein einzig Mal

Du nennen wolltet, und dann könnte man –

Wie man's bei Brüderschaft zu halten pflegt –

GNEISENAU gerührt.

Komm an mein Herz, mein Alter!

NETTELBECK ihn umarmend.

Bruder! – Sohn!

Nun, Herr mein Gott, kann ich in Frieden fahren,

Da ich dies Heldenherz an meins gedrückt.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 456-458.
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