Chi bella non è ...

[406] Ich sah im Olivenwalde

Ein Mägdlein wandeln durchs Gras,

Das Beeren, zerstreut auf der Halde,

Gebückt in ihr Schürzchen las

Und sang, als ob ihr groß Leid geschah:

Chi bella non è, fortuna non ha!


Es klang so traurig und trübe

Von einsamer Todesstund',

Als klagt um verlorene Liebe

Ein nimmergeküßter Mund:

Die Häßlichen sterben allein, ach ja!

Chi bella non è, fortuna non ha!


Da blickte sie auf, und mit Staunen

Gewahrt' ich ein reizend Gesicht.

Es lacht aus den Augen, den braunen,

Ein schalkhaft blitzendes Licht.

Mit solchen Augen, wer klagte da:

Chi bella non è, fortuna non ha!


Die Schelmin sah mit Erröten,

Wie sehr sie den Fremdling behext,[406]

Fand gleichwohl nicht vonnöten,

Zu ändern den seufzenden Text,

Und sang mit Lachen, so lang sie mich sah:

Chi bella non è, fortuna non ha!

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 406-407.
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