In such a night ...

[255] (Kaufmann von Venedig V)


In der Veranda. Durch den Garten weht

Die Sommernacht. Der Vollmond glänzt im Blau,

Daß jeder Busch und Baum versilbert steht.


Mit leisem Rieseln sprüht herab der Tau,

Die Nachtviolen duften. Träumend ruht,

Das Haupt zur Brust geneigt, die holde Frau.


Sie späht, wie der Johanniskäfer Brut

Im Grase funkelt, das Gesicht, das blasse,

Sanft überflogen von der roten Glut


Des Lämpchens auf den Tisch. Drauß' auf der Gasse

Verhallt der Lärm. Ihr gegenüber sitzt

Ihr Mann, versonnen heut im Übermaße,


Die Stirn nachdenklich in die Hand gestützt.

Die Zeitung, die er las, liegt auf den Knieen,

Der Funke, der an der Zigarre blitzt',


Erlosch. Als lausch' er fernen Melodieen,

Hat er den Blick zu Boden still gesenkt,

Und wie aus magischer Laterne ziehen


Bilder an ihm vorbei. Da endlich fängt

Sie an: Was ist's, das dich so schweigsam macht?

Ich möchte wissen, was mein Liebster denkt.
[255]

Und er: Ja, Kind, woran ich jetzt gedacht –

Lang, lang ist's her. Im Frühling war's und eben

So mondhell wie in dieser Sommernacht.


Du hattst an jenem Abend dich fürs Leben

Mir angelobt und, da ich von euch ging,

Zur Treppe noch mir das Geleit gegeben,


Wo scheidend ich noch einmal dich umfing.

Dann, wie im Rausch, schwankt' ich hinab die Stiege,

Den Kopf zurückgewandt. Mein Auge hing


Entzückt an deinem Antlitz, dessen Züge

Der Kerze Schein mir zeigte wie verklärt,

Ganz so wie jetzt. Und in mir war's, als früge


Mich mein Gewissen: bist du's denn auch wert,

Daß dies holdsel'ge Wesen dir zu eigen

Sich geben will, dir, dem das Herz beschwert


So manch Erinnern? Wenn die Schatten steigen

Aus ihrer Gruft, wird sie's nicht traurig machen?

Da sah ich grüßend dein Gesicht sich neigen,


Die Augen strahlend mir entgegenlachen

Und hört' ein letztes süßes Liebeswort

An deinem jungen roten Mund erwachen,


Ein letztes »gute Nacht!« – Dann stürmt ich fort,

Ein heiliges Gelübd' in mir, auf Händen

Zu tragen das geliebte Leben dort.


Und jetzt – auf einmal war es mir, als fänden

Wir uns beisammen wie in jener Nacht,

Und konnte nicht von dir das Auge wenden.


Doch während Zeit und Schicksal ihre Macht

An deinem Reiz verloren, mußt' ich zagen:

Was damals ich gelobt, hab' ich's vollbracht? –
[256]

Und sanft errötend sprach sie: Kannst du fragen

Und überschätzest wie ein Bräutigam

Mich heut noch, wie in unsern jungen Tagen?


Ja, manchmal dünkt mich's selber wundersam,

Daß ich noch nicht gebeugt durchs Leben schreite,

Da so viel schweres Leid uns überkam.


Hätt' ich's gekonnt, wenn du an meiner Seite

Mit einem Hauch nur das Gelübde brachst?

Komm, laß dich küssen, noch viel wärmer heute,


Da du so töricht-liebe Worte sprachst!

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 255-257.
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