3.

[206] Ich will mir meinen Freund nicht schelten lassen,

Den einz'gen, der mich schmeichelnd nie betrog,

Und den ich liebe, mag die Welt ihn hassen.

O Schmerz, du weiser, treuster Pädagog,

Noch nicht entwuchs ich deiner Zucht und Lehre,

Die mich mit rauher Hand zum Mann erzog.

Mich, der ich gern im Traum geblieben wäre,

Hast du erweckt, unsanft nach deiner Art:

Steh auf, und diesen Morgenbecher leere!

Ich trank. Da schüttelte mich Frost. Doch ward

Mein Auge wacker, diese Welt zu schauen,

So wie sie ist. Auf Wegen steil und hart[206]

Der Kraft, die du mir gabst, lernt' ich vertrauen

Und wünschte mir kein Märchenflügelpaar,

Zu schwanken wahngewiegt im Ätherblauen.

Durch schwarze Gläser lehrtest du mich klar

Den Quell des Lichtes prüfen und erkennen,

Daß er so herzlos wie die andre Schar,

Die wir mit liebevollen Namen nennen,

Daß die erhabnen Sterne sonder Lust

Und Mitleid über unsern Qualen brennen.

Das aber trägt nur eine tapfre Brust,

Und darum haßt die Menge dein Ermahnen,

Den strengen Weckruf: Wolle, denn du mußt!

Du lässest sie den dunklen Urgrund ahnen,

Aus dem des All und Eins Grundwasser quellen,

Geheimnis allen tändelnden Profanen.

Und dennoch: wenn das Licht uns soll erhellen,

So müssen wir des Brennens Angst und Pein

Erdulden, ohn' uns weibisch anzustellen.

Nichts, was wir nicht erkämpft, wird unser sein;

Mit Lebensschätzen aus dem eignen Mark

Bezahlen wir des Wissens Dämmerschein.

Doch so sich läuternd wird die Seele stark,

Den Glanz der höchsten Wonnen auch zu tragen,

Daran fürwahr kein Heldenleben karg.

Ahnt ihr den Tiefsinn nicht der alten Sagen,

Wie jener Heros erntet' Himmelsruh',

Der durch Lernäas Sümpfe sich geschlagen?

O mein Befreier, Freund und Meister du,

Der mir vom Auge nahm des Wahnes Binden,

Ich jauchze dir in düstern Nächten zu.

Du, wenn mir alle Taggenossen schwinden,

Hältst bei mir aus, in Schlummer singst du mich,

Und selbst im Traum muß ich dich wiederfinden.

Und wenn die letzte Sonne mir erblich,

Die letzte Nacht die Flügel um mich breitet,

Dann neben meinem Lager find' ich dich,

Der mich an treuer Hand zum Frieden leitet.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 206-207.
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