[135] Die Landstraße vor Dahlsjös Haus. Links steigt die Straße in einem steilen Hohlweg den bewaldeten Berg empor. Rechts setzt sie über eine kleine Brücke talab. Den Hintergrund nimmt das Haus ein, mit Stall und Schuppen, in den Berg eingebaut. Rechts schließt ans Haus ein freundlicher bäurischer Garten, den das tiefe Bette des Baches durchschneidet. Rechts von der Haustür läuft unter den ebenerdigen Fenstern ein Rasenstreif mit blühenden Georginen. Ein an Gitterwerk gezogener Obstbaum greift an der Wand bis unter den hölzernen freien Gang, der in Stockhöhe ums Haus läuft.
Abendsonne.
Anna und die Großmutter treten aus dem Pförtchen im Gartenzaun auf die Landstraße heraus.
ANNA.
Riechst du den guten Duft vom frischgeschlagnen Holz?
Spürst du, wies kühl vom Wald herüberkommt?
Dort dämmerts schon, hier atmets noch im Licht,
Du, ich, die Georginen, unser Bach,
Und alles glänzt so sehr.
GROSSMUTTER.
Ich spür schon etwas Welkes in der Luft:
Es muß jetzt bald ein Jahr sein, daß der Christian
Fort ist von uns.
ANNA.
Und weißt du noch, Großmutter,
Den gleichen Tag – ist das nicht wunderbar? –
Den gleichen Tag wars, daß der Elis kam.
Eine kleine Pause.
Ich kanns kaum denken: heut vor einem Jahr,
Da kannten wir den Namen noch gar nicht.
Wie alles zugeht!
Eine kleine Pause. Anna heraußen, die Großmutter ruht am Gartenzaun aus.
Alles ist so schön.
Nun wird es Nacht, nun kommen sie bald heim![135]
Da fliegt die Schwalbe in die Stalltür, siehst du?
Ach nein, du kannsts nicht sehen, sei nicht bös!
Allein wenn dann die vielen Sterne aufziehn
Und du die Hände ausstreckst, spürst du auch
Ihr feines Licht herniederrieseln, nicht wahr?
Und wenn der Mond ums Haus geht und den Glanz
Zwischen den wilden Wein legt und die Laube
Mit weichem Schatten anschwillt und der Bach
In halbem Schlaf so rauscht und wieder wegsinkt
Und wieder stärker rauscht, und über einem
Gehn Schritte in der Kammer – Großmutter,
Was sinnst du so und schaust so her auf mich?
Großmutter schweigt.
ANNA.
Ich bin so froh, daß über mir die Kammer
Nicht eine einzige Nacht hat leerstehn müssen.
Denn wie der Christian fortging, hab ich mich so sehr
Gefürchtet: ich wars so gewohnt, ihn gehn
Zu hören, so unheimlich wärs gewesen!
Da kam der Elis und wohnt seitdem drin.
Eine kleine Pause.
Sag mir, woran du denkst?
GROSSMUTTER.
Ich hör dich reden,
Und denk mir, wie du aussiehst, daß die Stimme
So anders klingt.
ANNA.
Wie denn?
GROSSMUTTER.
So anders, anders
Als früher. Sonst wars so ein kleines Ding,
Das lief umher und sprach.
ANNA.
Und nun, Großmutter?
Ich bin nicht anders worden, geh, Großmutter.
Eine kleine Pause.
Großmutter, hörst du nichts? Du hörst doch gut.
Sie kommen.
GROSSMUTTER.
Wer?
ANNA.
Sie kommen aus dem Berg.
's ist Feierabend. Willst du, gehen wir
Hinauf: sie sehn uns nicht, wir sehen alle[136]
Und hören, was sie sprechen. Ja, Großmutter?
Anna und Großmutter treten durch das Pförtchen zurück und verschwinden im Garten.
DAHLSJÖ tritt mit dem Knecht aus der Stalltür.
Ein schöner Kerl, der neue Hengst. Was, Karl?
Der Spiegelglanz am Hals, die starke Krupp:
Sie haben keinen solchen in der Landschaft.
Dahlsjö kommt nach vorne, der Knecht ist in den Stall zurück.
Herr Gott, wär jetzt der Christian noch heim,
Wie schön stünd mir mein Haus da!
Sieht mit beschattetem Aug nach rechts in die Weite.
Ich bau dem Bach ein neues Wehr, und längshin
Setz ich Birnbäume an, und wenn ich alt bin,
Wie jetzt die Mutter, eß ich ihre Frucht
Und denk an das merkwürdige Jahr des Glücks.
Wendet sich gegens Haus zu.
Du altes Dahlsjö-Haus, nun siehst du nicht mehr
Mit stillem Vorwurf auf mich her, nun glänzt
Dein alter First, und aus den Fenstern dämmernd
Drängt sichs wie liebe Seelen still hervor.
Seid ihr da droben, ihr!
Anna und die Großmutter sind oben sichtbar, Anna am Geländer vorgelehnt, die Großmutter dahinter, im Halbdunkel.
ANNA von oben.
Vater, mir hat heut nacht vom Christian geträumt!
DAHLSJÖ.
Was denn?
ANNA.
Es ging ihm gut.
DAHLSJÖ.
Das gebe Gott.
Tritt näher hinzu, spricht zu ihr hinauf.
In mir will manchesmal solch ein Gedanke
Nicht schweigen, als ob sichs an ihm da draußen
Müßt strafen, daß es uns hier allzu gut geht.
Als müßt ers zahlen irgendwie, Gott weiß,
Daß uns der Elis solch ein Glück ins Haus bringt.
ANNA.
Geh Vater, sicher kommt ein Brief bald wieder.
Was du dich quälst! Komm doch herauf zu uns.[137]
DAHLSJÖ.
Ich muß was schreiben, dann komm ich zu euch.
Tritt ins Haus.
ANNA abwechselnd vornübergeneigt, dann zur Großmutter zurücksprechend.
Jetzt kommen unsre Bergleut schon, Großmutter.
Der Vater? Nein, der ist ins Haus gegangen.
Es kommt ein Trupp Bergleute den Hohlweg herunter und am Haus vorbei. Dann noch ein paar einzelne.
ANNA.
Der Elis ist noch nicht da. Da! ich seh ihn!
Jetzt decken ihn die Bäume zu, Großmutter.
Wenn ich nur wüßt, wie du ihn dir vorstellst!
Wie du dir vorstellst, daß er aussieht. Wie?
Jetzt seh ich ihn schon deutlich. Wie die Menschen
Sich an ihn hängen! Immer, alle drängen
Ihm nach, wo er nur geht und steht. Ein Alter!
Was will denn der von ihm? Er hält ihn auf.
Nein, eine arme Frau ist das: er spricht
Mit ihr, jetzt streichelt er das Kind. Großmutter,
Die Kinder hängen alle so an ihm!
Jetzt könnt er hier sein! Jetzt ist er schon da:
Da treten wieder zwei ihm in den Weg!
Elis tritt links aus dem Hohlweg hervor.
Der Handwerksbursch und sein Bruder treten aus dem Gebüsch ihm in den Weg. Der Handwerksbursch hat rotbraun struppiges Haar und Bart, vorgequollne Augen. Sein Bruder hält sich hinter ihm, ist hager, jung, bartlos, von scheuem Ausdruck, mit dunklen Augen.
HANDWERKSBURSCH.
Herr Fröbom!
ELIS.
Woher weißt du meinen Namen?
HANDWERKSBURSCH.
O den weiß hier herum ein jedes Kind.
Ihr seid es doch, der Sonn und Regen macht
Im Bergbetriebe hier.
ELIS.
Was solls? was solls?[138]
HANDWERKSBURSCH.
Wir möchten Arbeit haben hier bei Euch.
Im Förderschacht etwa.
ELIS.
Seid ihr vom Handwerk?
HANDWERKSBURSCH.
Ich bin ein Hufschmied.
ELIS.
Was dann suchst du hier?
HANDWERKSBURSCH.
Ihr war't auch kein Gelernter, Herr, ich weiß wohl:
Matros war't Ihr.
ELIS.
Ei ja, und da meinst du,
Du mußt mirs nachtun, mußt vom Handwerk laufen ...
HANDWERKSBURSCH.
Man geht halt hin, wo man sich besser steht.
ELIS.
Meinst du? Ich aber mein, man liebt sein Handwerk
Und freut sich dran: denn auf der weiten Erde
Dem Manne bleibt nichts Bessres, sich zu freuen.
Und wie er viel sich müht und sich sein Leib
In dumpfer Glut fast löst in den Gelenken
Und ihn Vergessen seiner selbst befällt –
Da regt sichs im Gestaltlosen um ihn,
Das Mächtige gibt auf den Widerstand,
Und er ... Auf Euch gehts nicht, was ich da red.
Allein seit sichs verbreitet hat im Land,
Es geht uns wohl, wir fördern viel, und Gott
Mag wissen was auch sonst für Lügenrede,
Seitdem da schwankts und schlürfts und stolperts her.
Wer hieß Euch hier heraufgehn, ich hab Bergleut
So viel ich brauch. Geht Eurer Wege, Mensch.
HANDWERKSBURSCH.
Es werden auch nicht lauter Heilige
In Euren Gruben schürfen.
Er geht widerwillig die Straße rechts ab.
ELIS zu dem Jüngeren, der sich anschickt, langsam fortzugehen.
Und du, wer bist denn du?
DER BURSCH.
Ich bin sein Bruder.[139]
ELIS.
Und wolltest?
DER BURSCH.
Ihr habts schon gehört! Ich geh.
Wendet sich zum Gehn.
ELIS tritt auf ihn zu.
Bleib stehn. Du wolltest Arbeit haben hier?
DER BURSCH.
Ihr gebt mir keine und ich geh. Gleichviel.
Es ist ganz gleich.
Sieht immer zu Boden.
ELIS.
Kannst du dein Aug nicht heben?
DER BURSCH.
Ich sag Euch, laßt mich lieber gehen, Herr.
Ich bring kein Glück ins Haus.
ELIS.
Bist du so bitter?
Willst du dem Bruder nach?
DER BURSCH.
Der mag auch gehn
Wohin er will. Denn mir ist nichts gemein
Mit ihm.
ELIS.
So bist du ganz allein?
DER BURSCH.
Freuts Euch,
So viel zu fragen? Oder kann ich gehn?
ELIS.
Nein, denn ich heiß dich bleiben, denn ich will
Dich so anfassen, daß du dich ermannst,
Und diese Starrheit will ich von dir schütteln.
Komm, armer Bursch, komm.
DER BURSCH.
Nun, Herr, wenn Ihr wollt.
Elis geht an das Fenster rechts neben der Haustür, klopft an die Scheibe.
DAHLSJÖH indem er das Fenster halb aufmacht, von drinnen.
Ich schreib was, Elis, gleich komm ich hinaus.
Schließt wieder.
Elis setzt sich auf die Bank links von der Haustür.
Der Bursch steht scheu mit niedergeschlagenem Blick vor ihm.
ANNA oben.
Ich kann nicht hören, was er spricht mit diesem.[140]
ELIS halb für sich.
Da steht so einer da und starrt in Boden
Und beißt die Zähne zu und will nichts von der Welt.
Glaub mir, es löst sich auch der schwerste Krampf,
Und auch der tiefste Kerker tut sich auf.
Dann bist dus und erkennst dich selber kaum,
Im Duft von Nacht und Schauder, der um dich
Verfließt im Tag, dein Aug ist dir gelöst,
Du weißt nicht, wie du herkamst, doch es ist
Als wär zu atmen dir nur hier gegeben!
Zwar: hier ... vielleicht auch anderswo, allein
Wos ähnlich ist, wie hier. Wos hell und still ist,
Wo solch ein Bach ist, solch ein kleiner Garten
Sich an die Schwelle schmiegt von einem Haus,
Und wo du sitzen darfst am Abend, hören,
Wie sie drin auf- und niedergehn und droben,
Und wo der Hund dann herkommt, sich an dir
Zu wärmen, weil er weiß, du bist vom Haus:
Nicht fremd und flüchtig, wie das wilde Wasser,
Nicht starr und finster, wie der Fels da drüben!
Dahlsjö tritt aus der Haustür.
ELIS vor ihm aufstehend.
Herr Dahlsjö, ich hab einen neuen Knappen
Auf sein Gesicht gedungen, scheltet Ihr?
Der Bursch da ists.
DAHLSJÖ.
Es war nicht anders, Elis,
Daß ich dich selber nahm. Kann ich da schelten?
Zu dem Burschen.
Geh hier ins Haus und setz dich zum Gesinde.
Der Bursch tritt ins Haus. Dahlsjö legt seinen Arm um Elis' Nacken. Sie kommen nach vorne gegangen.
ELIS.
Es kommen ihrer viel jetzt hergestrichen.
Man muß sich wahren. Der war jung und scheu.
Ich weiß nicht, was mich trieb. Er gab kaum Antwort.
DAHLSJÖ.
Es ist wie meine Mutter immer sagt:
Acht auf den Fremden, der die Schwelle tritt:[141]
Es ist ein Baum, darauf von Höll und Himmel
Dir Früchte wachsen können.
ELIS nachdenklich.
Sagt sie das?
ANNA oben, zurücktretend.
Großmutter, ist dir kühl? Wir gehn hinein.
Anna und Großmutter verschwinden.
Es dunkelt merklich.
ELIS.
Ich wußte nicht, daß Eure Tochter hier war!
DAHLSJÖ indem er einen Blick hinaufwirft.
Mir gibt es einen Stich, wenn ich dran denk,
Daß die Zeit kommt, wo ichs auch lernen muß,
Die Stimme zu entbehren.
ELIS.
Wie, Herr Dahlsjö?
DAHLSJÖ indem er von dem lebendigen Gartenzaun Raupen abnimmt, sich hie und da gegen Elis umwendet.
Es kommt doch wohl der Tag, daß ich sie muß
Vermählen wo im Land. – Ein Raupenjahr!
Da hängen sie in ganzen Nestern gleich. –
Es müßte denn sich manches seltsam fügen,
Wie sich schon manches seltsam hat gefügt.
Eine kleine Pause.
Seht Ihr, da drüben will ich Birnen setzen.
Eine kleine Pause.
Man muß die Maulwurfsfallen wieder stellen,
Ist alles aufgewühlt.
Eine kleine Pause.
Doch meine Art
Ists nicht, zu lauern.
Man muß die Menschen lassen, wandelt doch
Gerad ihr Gutes wie im Traum dahin.
ELIS.
Herr Dahlsjö, sind die Worte, die Ihr redet,
Ein Hauch nur, den die Ruh des schönen Abends,
Der Anblick Eures Gartens und der Zufall
In Euch aufweckt, so bitt ich, heißt mich fortgehn!
Denn meine Ohren saugen sich an ihnen
Mit einem Etwas voll, das schwindeln macht.
Das war die Meinung nicht, nicht wahr, Herr Dahlsjö?[142]
DAHLSJÖ immer an dem Zaun geschäftig.
Siehst du, ich kenn mein Kind, und kenn sie nicht.
Auch ist es mir so widrig und verhaßt,
Wenn man nichts unberedet lassen kann:
Als hätt nicht grad das Beste auf der Welt
Gar keinen Namen, weils zu körperlos.
Wir wollen nun zum Essen gehn, nicht, Elis?
Es war mein ewig sorgend sinnend Herz,
Das anhub, vor dir von dem Kind zu reden.
Und wie gesagt, ich kenn sie, kenn sie nicht ...
ELIS vertritt ihm den Weg.
Und mich?
Wißt Ihr denn, wer ich bin?
DAHLSJÖ legt ihm die Hand auf die Schulter.
Ich denk, ich weiß es, Elis.
ELIS.
Der Unstete bin ich, der Heimatlose,
Der eines Abends eintrat hier zu Euch,
An Zeichen her sich tastend, was für Zeichen!
Der lang sein Brot an Eurem Tische brach
Und keinem wagte ins Gesicht zu schaun,
Im Innern grauenvolle Zwiesprach führend.
Der Finstre, dem der Hofhund winselnd auswich ...
DAHLSJÖ.
Nun aber folgt er dir und weint um dich,
Wenn du nicht da bist. Sind das deine Zeichen?
ELIS.
Was aber trieb mich her? welch ein Geschäft?
DAHLSJÖ.
Wärs zu verhehlen, riefst du es nicht auf!
Es kommt der Tag, da du es gern erzählst.
ELIS zur Seite sehend.
Der Tag kommt nicht. Zumindest lang noch nicht.
DAHLSJÖ lächelnd.
Du findest etwa hier, was dich vergessen lehrt.
Wie, oder nicht?
ELIS.
Herr Dahlsjö, habt Erbarmen![143]
DAHLSJÖ.
Wir wollens haben mit den warmen Speisen,
Die brennen wohl schon an. Komm, Elis, komm.
Es ist fast völlig dunkel geworden.
ELIS.
Hinein? zu ihnen, in die stille Stube?
Mir geht die Brust als ob sie springen sollte,
Und mich hinsetzen? reden dies und das?
DAHLSJÖ lächelnd.
Ist doch ein Abend wie die andern alle.
ELIS.
Oh, nun nicht mehr! Es wuchs in mir, es wuchs,
Und drunten bei der schweigend dunklen Arbeit,
Da fiels mich an, da ward mir heiß, da warf ich
Den Mantel ab, vom innern Feuer glühend.
Seht Ihr: ich hab ihn nicht. Auch heut! noch heut!
Und nun brauch ichs zu bändigen nicht in mir,
Darfs nennen vor mir selbst, vor Euch, vor ihr!
Ich kann jetzt nicht hinein, laßt mich den Weg
Dort laufen, Worte ohne Sinn hinstammeln,
Die Augen, prahlend wie ein Trunkner tut,
Aufwerfen zu den Sternen! Ich will gleich,
Gleich wieder da sein. Ich find einen Grund:
Ich sag: ich lief mir meinen Mantel holen,
Wahrhaftig ja, das tu ich, er liegt dort
Wo wir das Werkzeug bergen, sicherlich,
Dort liegt er, und ich find ihn schnell, und schneller
Spring ich zurück, denn ich bin federleicht!
Springt weg, den Hohlweg aufwärts. Dahlsjö tritt ins Haus. Eine Pause. Übers Dach fällt Mondlicht auf die Straße.
ANNA kommt aus dem Garten.
Kommt ihr noch nicht herein? Sie sind nicht da!
Sieht sich um, ist unschlüssig, ob sie ins Haus gehen soll, tut ein paar Schritte gegen den Stall, singt vor sich hin.
Er sah ihr in ihr Herz hinein:
Willst du mir ganz leibeigen sein?
Den Willen mach dem meinen gleich,
So wird dein Herz so freudenreich!
[144] Bleibt stehen.
Das Lied hab ich vom Christian. Wo der ist?
Und auch das Lied kommt mir verändert vor,
Als wie ein Kind, das recht gewachsen wär.
Ja so, ja so! ich denk doch nichts: das heißts:
Mit völlig verändertem Ton.
Den Willen mach dem meinen gleich,
So wird dein Herz so freudenreich!
DAHLSJÖ STIMME aus dem Hause.
Anna!
ANNA vor sich.
Das will das Lied! Wie oft hab ichs gesungen
Und nicht verstanden: nun versteh ichs gut,
So gut, nun sing ichs nur, wenn ich allein bin.
Ich schäm mich fast: 's ist so herausgesagt.
DAHLSJÖ tritt aus dem Hause.
ANNA.
Vater, seid ihr schon drin, du und der Elis?
DAHLSJÖ.
Der Elis ist noch einen Sprung in Berg.
ANNA.
Im Berg? allein? jetzt bei der Nacht? im Berg?
DAHLSJÖ.
Zum Eingang nur vom Stollen. Seinen Mantel
Will er sich holen und ist gleich zurück.
Gehn wir hinein?
ANNA schmeichelnd.
Nein, Vater, hier ists gut.
Spürst du schon etwas Welkes in der Luft?
Die Großmutter sagt, daß sies spürt. Ich nicht.
DAHLSJÖ hat sich auf die Bank vor dem Haus gesetzt.
Eine kleine Pause.
ANNA die ungeduldig nach dem Hohlweg späht.
Da!
DAHLSJÖ.
Was denn?
ANNA.
Nein, das war ein Schatten überm Weg,
Und nicht der Elis. Wie der Weg herleuchtet
Zwischen den Bäumen. Vater, komm ein Stück:
Wir gehen ihm entgegen![145]
DAHLSJÖ.
Ei, er kommt schon.
ANNA.
Wo? Siehst du ihn?
DAHLSJÖ.
Er weiß doch, was die Zeit ist.
Wir sprachen eben was, da sprang er fort,
Und rief: »Gleich bin ich wieder da!«
ANNA.
Nun, siehst du,
Und ist nicht da! Man sieht ja fast bis hin!
Und er kommt nicht! Das war noch keinen Abend.
DAHLSJÖ lächelnd.
Vielleicht liegt ihm was andres heut im Sinn
Als andre Abende.
ANNA.
Weißt du, was, Vater,
Sag!
DAHLSJÖ.
Bist du so neugierig?
ANNA.
Vater, sag mir,
Sprachst du das nur so hin?
Nach einer Pause.
Er kommt nicht, kommt nicht!
Im Stollen ruhts doch jetzt, was tut er dort?
Wir gehen ihm entgegen, Vater, ja?
Und zeigen ihm, daß es besorgt uns macht.
Er tuts dann einen andern Abend nimmer!
DAHLSJÖ.
Doch bin ich nicht besorgt.
ANNA.
So bin denn ichs.
DAHLSJÖ.
Und zeigst ihms so?
ANNA.
Wozu denn ihms verbergen?
DAHLSJÖ aufstehend, zu ihr gehend.
Bist du so weit mit ihm?
ANNA.
Wie meinst du, Vater?
DAHLSJÖ.
Verstehst du nicht, wie ich das meine, Anna?
ANNA.
Ich glaub wohl, ich versteh dich: du meinst so:
Da ich ein Mädchen bin, kein Kind doch mehr,
Und ohne Mutter, so für mich allein,
So müßt ich ... Ich hab oft schon nachgedacht,[146]
Wie andre Mädchen sind: die sind wohl anders.
Ich kanns nicht finden, wie ichs halten müßt.
Es quält mich oft. Allein, wenn ich um ihn
Mich ängstige, verbergen sollt ichs? tuen,
Als wär mir nichts? Und dreht sich mir doch alles,
Wenn ich den Weg dort seh und seh ihn nicht!
DAHLSJÖ sieht ihr in die Augen.
So seid ihr – Anna, ich bin ja nicht bös,
Sags nur! – so seid ihr beiden einverstanden?
ANNA.
Vater, du meinst, ich rede was mit ihm
Von solchen Dingen? meinst, ich red mit ihm,
Wie ich zu ihm steh? Aber, Vater, nein,
Nein, nein. Wie ich mich das getraute, Vater!
Allein ich seh ihn doch und früh und spät
Denk ich an ihn. Wenn er nicht da ist, hör ich noch,
Was er geredet hat, ich lauer wo
Und sehe was er tut, und der Großmutter,
Die ihn nicht sehen kann, erzähl ichs dann.
Weil er den Pflock dort einschlug an der Brücke,
Sitz ich gern dort und lehn den Kopf daran.
Seitdem er ober mir wohnt in der Kammer,
Hab ich das ganze Haus viel lieber, nachts
Horch ich manchmal wie die Großmutter atmet
Und freu mich, daß sie lebt, und in der Früh
Seh ich der Schwalbe zu, die hat ihr Nest
Von außen an der Wand, an der er schläft.
Ich acht, wie er mit allen Leuten spricht,
Danach sind sie mir mehr und minder lieb,
Und du und alles – Vater, alles, alles
Erzähl ich dir, so viel du willst, nur jetzt –
Ich kann nicht denken, ich seh immer nur
Die Bäume, zwischen denen er nicht kommt!
Tu mirs zulieb, wir gehen beide, beide
Entgegen, und bevor wir völlig dort sind,
Begegnet er uns schon, nicht wahr? Komm, Vater!
Siehst du, er kommt ja nicht, hab Mitleid, Vater!
DAHLSJÖ bei ihr.
Mit deiner Angst! Das kenn ich nicht an dir![147]
Er ist ein Mann, kennt jeden Schritt und Tritt!
Wär er im Berg, was sollt ihm denn geschehn?
ANNA.
Das Fürchterliche, Vater, das was ich
Nicht weiß und immer spür, komm, Vater, komm!
DAHLSJÖ.
Du Kind!
ANNA fieberhaft erregt.
Den ersten Abend, wie er kam ...
DAHLSJÖ schnell.
Er war verstört, ihn schüttelte ein Fieber.
ANNA.
Nein, nein. Du weißt es nicht. Wir standen da
Im Dämmer und da faßte er mich an
Und sprach: »Wenn sie an einem Abend kämen
Und brächten dir die Botschaft hier herein:
Er kommt nie mehr zurück, nie, nimmer, nie!«
Dort drinnen wars, am ersten Abend, Vater,
Sprach ers zu mir, mir war er fremd, ich wußte
Noch seinen Namen nicht, da griff ein Etwas
In mich und tat mir heimlich einen Schmerz an,
Und davon hab ich etwas Dumpfes, Wehes
Nie aufgehört zu spüren, aber heut
Greift es in mich hinein wie eine Hand.
Weißt du denn nicht mehr, Vater, wie er herkam?
Siehst du, ich trag ihn ganz in mir und kann
Nichts, nichts vergessen, wollt ich noch so gerne!
Da war ein Etwas, das sich um ihn wob,
Das sich anzeigte, das im Dunklen winkte:
Vater, wenn sie ... und klopften an die Tür,
Und wir, wir wüßten: er kommt nicht zurück!
Vater, wir müssen schnell gehn, alle Leute,
Die wir begegnen, müssen mit, die schlafen,
Die müssen aufstehn, alle müssen leuchten
Und rufen alle, damit wir ihn finden!
Vater, ich seh ihn noch nicht! Vater, Vater!
Sie zieht in ihrer fieberhaften Hast den Vater hinter sich her, den Hohlweg hinauf.
[148] Schnelle Verwandlung
Ein Stollen im Bergwerk, gestützt mit gewaltigen Balken, auf die eine ungeheure Wucht finsteren Gesteins von allen Seiten hereinzudrängen scheint. Der Stollen verläuft nach rechts hin in undurchdringliches Dunkel. Links mündet ein anderer, um einige Stufen höher geführter Querstollen. Alles niedrig, luftlos, in Finsternis gehüllt.
ELIS kommt die Stufen herab, in der Hand sein Grubenlämpchen, dessen unsicherer Schein über die finster lastenden Wände hinhuscht. Seiner Stimme Ton ist harmlos fröhlich.
He, Grubenwächter! hört mich niemand rufen?
Ich möchte meinen Mantel, ich hab nicht
Viel Zeit, im Finstern hier herumzukriechen!
Heda, ihr die nicht schlafen dürft! he! auf!
Mantel, wo steckst du? Mantel, Mantel, Mantel!
Er späht herum.
Aus dem Dunkel rechts schiebt sich, vom Hals bis über die Knöchel in den dunklen Mantel gehüllt, eine Gestalt hervor, deren helles Haupt Annas Züge
trägt: der Knabe Agmahd.
ELIS.
Herr Gott! du dort im Mantel, wer bist du?
Wer bist du, der so lautlos auf mich zukommt?
Nun bleibst du stehn, nun schütt ich dir mein Licht
In dein Gesicht. Du, du, du! Anna! Anna!
Herr meiner Seele, wie kommst du hierher?
Du, Anna, Liebste, Kind, was kommst du her?
Stehst da, von scheuer Schönheit blaß und funkelnd,
In meinen finstern Mantel eingewickelt,
Stumm wie ein Bettelkind, du Süße, Liebe!
Nein, du hast recht, gib mir nicht Antwort, nicht
Wie immer dus erklärst, ob dus dem Vater
Hast abgeschmeichelt, ob dich heimlich her-
Gestohlen wie ein kleines Kätzchen, nichts
Ist so, wie daß du da bist, wundervoll!
So weißt du, Liebste, alles ohne Worte
Und drängst dein Alles, weils zu viel für Worte,
Zusammen in dies lieblich süß wortlose[149]
Dastehen, in dies unbegreifliche!
Weißts immerfort und tatest keinen Blick
Und keinen Wink, der zeigte, daß dus wußtest?
Weißt, daß um dich in diesen kalten Klüften
Glutwell um Well durch meinen Leib sich wühlend
Wie Fieber mich aus diesem Mantel trieb,
Und nimmst ihn auf und bringst in ihm mir dar
Dein Selbst, den jungen seelenfrischen Leib,
Vielmehr die Seele, die vor Staunen bebt
Ob ihrer eignen nackten Lieblichkeit,
Und zuckt im Licht, und schwankt, und Finsternis
Mit beiden Armen fester um sich wickelt.
Wie er dichter an die Gestalt herantritt, weicht diese lautlos zurück.
ELIS.
Weich nicht zurück! Nur wie der Mantel dich
Umschlägt, so schauert Langgebändigtes
Aus mir wie dunkles Feu'r um deine Glieder.
Weich nicht zurück, bieg mir dein Antlitz her,
Nicht meinen Lippen, meinen Augen nur!
Licht, zuck nicht so, sei ruhiger als ich!
Nun, Anna, sprich ein Wort, nun doch, dies Flackern
Entzieht dem Auge alles was es gab:
Du schwankst mir so, sprich nur ein Wort, das Ohr
Ist solch ein treuer Sinn und bringt so liebe Botschaft!
Willst du nicht sprechen, Anna? Du erbleichst mir!
Soll ich dich halten? Nicht daß ich den Arm
Um dich will legen, aber sag doch, Anna!
Die Gestalt hält ihm einen Schlüssel hin.
ELIS.
Dies soll ich nehmen? dies? den Schlüssel da?
Wie gern! Sind deine Hände auch so kalt,
Wie der? Er schaudert mich. So sprich doch, Anna.
Du weichst ins Dunkle? Sprich doch, hat die Angst
Dich überkommen, schwindelt dich auf einmal
Vor deinem süßen unerhörten Tun?
Dein Antlitz ist wachsbleich, hörst du mich nicht?
Soll ich weggehen und die Lampe hier
Dir stehen lassen, daß du ruhen kannst?[150]
Ists Scham, die dir das Blut treibt aus dem Herzen?
Ich möchte bitten, flehen: Schäm dich nicht ...
Doch wag ichs nicht! So soll ich gehen, Anna?
Du sinkst mir ja!
Er läuft hin, die Gestalt sinkt rechts an der dunklen Wand zusammen.
ELIS.
Blendwerk und Grausen! Niemand!
Der Mantel leer! Das war der Knabe Agmahd,
Das wesenlose greuliche Gebild,
Auf den goß ich die süßen ersten Worte,
Die lieblichen, die niemals wiederkehren.
Mir grausts vor mir! Schlag, Finsternis, herein!
Seine Lampe erlischt.
Bist du schon da! So kommt ihr alle, alle,
Umstrickt mich wieder! Wer rief euch? wer? wer?
Ich war euch los, von Leib und Seele hatt ich
Euch weggeschüttelt.
Der Schlüssel in seiner Hand zuckt und leuchtet.
Bin ich nicht allein?
Was streicht Lebendiges so an mir hin,
Drückt mir die Hand? Ei du, was treibst du, Schlüssel,
Was drängst du mir für Unruh in den Arm!
Ich will dich von mir werfen und ich tus nicht,
Ich kanns nicht, er schlägt Wurzel ja in mir
Und ist ein Teil von meinem Selbst und drängt und glüht,
Ganz durch mich wühlt sichs hin, es hat mich wieder!
Aus einem Spalt im Gestein, nicht größer als ein Schlüsselloch, im Hintergrund, bricht ein starker Lichtstrahl.
ANNAS STIMME aus großer Entfernung, von oberhalb.
Elis!
ELIS.
Sie rufen droben, meine Erdenträume!
Mich aber reißts, den Zauberer, den funkelnden,
An eine Tür, da! da! und da der Schlüssel!
ANNAS STIMME näher.
Elis!
Elis zieht es nach dem Lichtstrahl, an die geheimnisvolle Tür. Er schlägt den Schlüssel ein. Die Tür springt auf. Blendender Glanz schlägt heraus.
[151]
ANNAS STIMME sehr nahe, flehend.
Elis!
ELIS an der leuchtenden Schwelle der Tür, zurückhorchend.
Wer? Einmal noch es hören! und dann fort!
Die Tür schlägt zu, ein fahler Blitz zuckt durch den Raum hin.
Elis liegt am Boden. Völliges Dunkel.
DAHLSJÖS STIMME aus dem Querstollen, gleichzeitig von dort Schein von Fackeln.
Zurück die Fackeln! Schlagend' Wetter sinds!
ANNA die Stufen herabsteigend.
Nein! her die Fackeln! Ich will sehen! sehen!
Tastet sich vorwärts.
Ich tret auf ihn, er liegt! Hier! Vater! Vater!
DAHLSJÖ und Bergleute mit Grubenlampen.
Mein Kind, er atmet!
ANNA Elis' Kopf aufrichtend.
Aber wie, wie schwer!
Er schlägt die Augen auf!
ELIS schlägt die Augen auf.
Nicht dieses Blendwerk –
Geh weg, du gräßlich spiegelndes Gebild!
Laßt jeder Welt, was ihr gehört! Nehmt mich!
Läßt seinen Kopf sinken.
ANNA bei ihm kniend.
Er schließt die Augen, er will mich nicht sehen!
Doch hält er meine Hand mit seinen Fingern –
Wie fest!
ELIS matt, halbaufgerichtet.
Bist dus denn wirklich, diesmal wirklich?
DAHLSJÖ.
Er redet irr! Hinauf, nur schnell, nur schnell!
ANNA.
Faßt ihn nicht heftig!
ELIS indem die Bergleute ihn aufheben, Dahlsjö leise anfassend, mit weitaufgerissenen Augen.
Das war kein Abend wie die andern alle!
Sie tragen ihn, Anna geht an ihn geschmiegt.
Vorhang.
[152]
Ausgewählte Ausgaben von
Das Bergwerk zu Falun
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