Dreizehnte Szene

[435] CRESCENCE. Aber so sag mir doch nur ein Wort! So erklär mir nur –

HANS KARL. Da ist nichts zu erklären. Wie ich aus dem Kasino gegangen bin, war ich aus bestimmten Gründen vollkommen entschlossen, morgen früh abzureisen. Das war an der Ecke von der Freyung und der Herrengasse. Dort ist ein Café, in das bin ich hineingegangen und hab von dort aus nach Haus telephoniert; dann, wie ich aus dem Kaffeehaus herausgetreten bin, da bin ich, anstatt wie meine Absicht[435] war, über die Freyung abzubiegen – bin ich die Herrengasse heruntergegangen und wieder hier hereingetreten – und da hat sich die Helen –


Er streicht sich über die Stirn.


CRESCENCE. Aber ich laß Ihn ja schon.


Sie geht zu Stani hinüber, der sich etwas im Hintergrund gesetzt hat.


HANS KARL gibt sich einen Ruck und geht auf Hechingen zu, sehr herzlich. Ich bitt mir alles Vergangene zu verzeihen, ich hab in allem und jedem unrecht und irrig gehandelt und bitt, mir meine Irrtümer alle zu verzeihen. Über den heutigen Abend kann ich im Detail keine Auskunft geben. Ich bitt, mir trotzdem ein gutes Andenken zu bewahren. Reicht ihm die Hand.

HECHINGEN bestürzt. Du sagst mir ja adieu, mein Guter! Du hast Tränen in den Augen. Aber ich versteh dich ja, Kari. Du bist der wahre, gute Freund, unsereins ist halt nicht imstand, sich herauszuwursteln aus dem Schicksal, das die Gunst oder Nichtgunst der Frauen uns bereitet, du aber hast dich über diese ganze Atmosphäre ein für allemal hinausgehoben –

HANS KARL winkt ihn ab.

HECHINGEN. Das kannst du nicht negieren, das ist dieses gewisse Etwas von Superiorität, das dich umgibt, und wie im Leben schließlich alles nur Vor- oder Rückschritte macht, nichts stehenbleibt, so ist halt um dich von Tag zu Tag immer mehr die Einsamkeit des superioren Menschen.

HANS KARL. Das ist ja schon wieder ein kolossales Mißverständnis!


Er sieht ängstlich nach rechts, wo in der Tür zum Wintergarten Altenwyl mit einem seiner Gäste sichtbar geworden ist.


HECHINGEN. Wie denn? Wie soll ich mir diese Worte erklären?

HANS KARL. Mein guter Ado, bitt mir im Moment diese Erklärung und jede Erklärung zu erlassen. Ich bitt dich, gehen wir da hinüber, es kommt da etwas auf mich zu, dem ich mich heute nicht mehr gewachsen fühle.

HECHINGEN. Was denn, was denn?

HANS KARL. Dort in der Tür, dort hinter mir![436]

HECHINGEN sieht hin. Es ist doch nur unser Hausherr, der Poldo Altenwyl –

HANS KARL. – der diesen letzten Moment seiner Soiree für den gegebenen Augenblick hält, um sich an mich in einer gräßlichen Absicht heranzupirschen; denn für was geht man denn auf eine Soiree, als daß einen jeder Mensch mit dem, was ihm gerade wichtig erscheint, in der erbarmungslosesten Weise über den Hals kommt!

HECHINGEN. Ich begreif nicht –

HANS KARL. Daß ich in der übermorgigen Herrenhaussitzung mein Debüt als Redner feiern soll. Diese charmante Mission hat er von unserm Club übernommen, und weil ich ihnen im Kasino und überall aus dem Weg geh, so lauert er hier in seinem Haus auf die Sekunde, wo ich unbeschützt dasteh! Ich bitt dich, sprich recht lebhaft mit mir, so ein bissel agitiert, wie wenn wir etwas Wichtiges zu erledigen hätten.

HECHINGEN. Und du willst wieder refüsieren?

HANS KARL. Ich soll aufstehen und eine Rede halten, über Völkerversöhnung und über das Zusammenleben der Nationen – ich, ein Mensch, der durchdrungen ist von einer Sache auf der Welt: daß es unmöglich ist, den Mund aufzumachen, ohne die heillosesten Konfusionen anzurichten! Aber lieber leg ich doch die erbliche Mitgliedschaft nieder und verkriech mich zeitlebens in eine Uhuhütte. Ich sollte einen Schwall von Worten in den Mund nehmen, von denen mir jedes einzelne geradezu indezent erscheint!

HECHINGEN. Das ist ein bisserl ein starker Ausdruck.

HANS KARL sehr heftig, ohne sehr laut zu sein. Aber alles, was man ausspricht, ist indezent. Das simple Faktum, daß man etwas ausspricht, ist indezent. Und wenn man es genau nimmt, mein guter Ado, aber die Menschen nehmen eben nichts auf der Welt genau, liegt doch geradezu etwas Unverschämtes darin, daß man sich heranwagt, gewisse Dinge überhaupt zu erleben! Um gewisse Dinge zu erleben und sich dabei nicht indezent zu finden, dazu gehört ja eine so rasende Verliebtheit in sich selbst und ein Grad von Verblendung, den man vielleicht als erwachsener Mensch im[437] innersten Winkel in sich tragen, aber niemals sich eingestehen kann! Sieht nach rechts. Er ist weg. Will fort.


Altenwyl ist nicht mehr sichtbar.


CRESCENCE tritt auf Kari zu. So echappier Er doch nicht! Jetzt muß Er sich doch mit dem Stani über das Ganze aussprechen.

HANS KARL sieht sie an.

CRESCENCE. Aber Er wird doch den Buben nicht so stehen lassen! Der Bub beweist ja in der ganzen Sache eine Abnegation, eine Selbstüberwindung, über die ich geradezu starr bin. Er wird ihm doch ein Wort sagen. Sie winkt Stani, näherzutreten.


Stani tritt einen Schritt näher.


HANS KARL. Gut, auch das noch. Aber es ist die letzte Soiree, auf der Sie mich erscheinen sieht. Zu Stani, indem er auf ihn zutritt. Es war verfehlt, mein lieber Stani, meiner Suada etwas anzuvertrauen. Reicht ihm die Hand.

CRESCENCE. So umarm Er doch den Buben! Der Bub hat ja doch in dieser Geschichte eine tenue bewiesen, die ohnegleichen ist.

HANS KARL sieht vor sich hin, etwas abwesend.

CRESCENCE. Ja, wenn Er ihn nicht umarmt, so muß doch ich den Buben umarmen für seine tenue.

HANS KARL. Bitte das vielleicht zu tun, wenn ich fort bin. Gewinnt schnell die Ausgangstür und ist verschwunden.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 435-438.
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