Fünfte Szene

[419] Hechingen tritt oben herein, er kommt sehr schnell die Treppe herunter. Antoinette ist betroffen und tritt zurück.


HECHINGEN. Toinette!

ANTOINETTE unwillkürlich. Auch das noch!

HECHINGEN. Wie sagst du?

ANTOINETTE. Ich bin überrascht – das mußt du doch begreifen.

HECHINGEN. Und ich bin glücklich. Ich danke meinem Gott, ich danke meiner Chance, ich danke diesem Augenblick!

ANTOINETTE. Du siehst ein bissl verändert aus. Dein Ausdruck ist anders, ich weiß nicht, woran es liegt. Bist du nicht ganz wohl?

HECHINGEN. Liegt es nicht daran, daß diese schwarzen Augen mich lange nicht angeschaut haben?

ANTOINETTE. Aber es ist ja nicht so lang her, daß man sich gesehen hat.

HECHINGEN. Sehen und Anschaun ist zweierlei, Toinette. Er ist ihr näher gekommen.


Antoinette tritt zurück.


HECHINGEN. Vielleicht aber ist es etwas anderes, das mich verändert hat, wenn ich die Unbescheidenheit haben darf, von mir zu sprechen.

ANTOINETTE. Was denn? Ist etwas passiert? Interessierst du dich für wen?[419]

HECHINGEN. Deinen Charme, deinen Stolz im Spiel zu sehen, die ganze Frau, die man liebt, plötzlich vor sich zu sehen, sie leben zu sehen!

ANTOINETTE. Ah, von mir ist die Rede!

HECHINGEN. Ja, von dir. Ich war so glücklich, dich einmal so zu sehen wie du bist, denn da hab ich dich einmal nicht intimidiert. O meine Gedanken, wie ich da oben gestanden bin! Diese Frau begehrt von allen und allen sich versagend! Mein Schicksal, dein Schicksal, denn es ist unser beider Schicksal. Setz dich zu mir!


Er hat sich gesetzt, streckt die Hand nach ihr aus.


ANTOINETTE. Man kann so gut im Stehen miteinander reden, wenn man so alte Bekannte ist.

HECHINGEN ist wieder aufgestanden. Ich hab dich nicht gekannt. Ich hab erst andere Augen bekommen müssen. Der zu dir kommt, ist ein andrer, ein Verwandelter.

ANTOINETTE. Du hast so einen neuen Ton in deinen Reden. Wo hast du dir das angewöhnt?

HECHINGEN. Der zu dir redet, das ist der, den du nicht kennst. Toinette, so wie er dich nicht gekannt hat! Und der sich nichts anderes wünscht, nichts anderes träumt, als von dir gekannt zu sein und dich zu kennen.

ANTOINETTE. Ado, ich bitt dich um alles, red nicht mit mir, als wenn ich eine Speisewagenbekanntschaft aus einem Schnellzug wäre.

HECHINGEN. Mit der ich fahren möchte, fahren bis ans Ende der Welt!


Will ihre Hand küssen, sie entzieht sie ihm.


ANTOINETTE. Ich bitt dich, merk doch, daß mich das crispiert. Ein altes Ehepaar hat doch einen Ton miteinander. Den wechselt man doch nicht, das ist ja zum Schwindligwerden.

HECHINGEN. Ich weiß nichts von einem alten Ehepaar, ich weiß nichts von unserer Situation.

ANTOINETTE. Aber das ist doch die gegebene Situation.

HECHINGEN. Gegeben? Das alles gibts ja gar nicht. Hier bist du und ich, und alles fängt wieder vom Frischen an.

ANTOINETTE. Aber nein, gar nichts fängt vom Frischen an.[420]

HECHINGEN. Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.

ANTOINETTE. Nein, nein, ich bitt dich um alles, bleib doch in deinem alten Genre. Ich kanns sonst nicht aushalten. Sei mir nicht bös, ich hab ein bissl Migräne, ich hab schon früher nach Haus fahren wollen, bevor ich gewußt hab, daß ich dich – ich hab doch nicht wissen können!

HECHINGEN. Du hast nicht wissen können, wer der sein wird, der vor dich hintreten wird, und daß es nicht dein Mann ist, sondern ein neuer enflammierter Verehrer, enflammiert wie ein Bub von zwanzig Jahren! Das verwirrt dich, das macht dich taumeln.


Will ihre Hand nehmen.


ANTOINETTE. Nein, es macht mich gar nicht taumeln, es macht mich ganz nüchtern. So terre à terre machts mich, alles kommt mir so armselig vor und ich mir selbst. Ich hab heut einen unglücklichen Abend, bitte, tu mir einen einzigen Gefallen, laß mich nach Haus fahren.

HECHINGEN. Oh, Antoinette!

ANTOINETTE. Das heißt, wenn du mir etwas Bestimmtes hast sagen wollen, so sags mir, ich werds sehr gern anhören, aber ich bitt dich um eins! Sags ganz in deinem gewöhnlichen Ton, so wie immer.

HECHINGEN betrübt und ernüchtert, schweigt.

ANTOINETTE. So sag doch, was du mir hast sagen wollen.

HECHINGEN. Ich bin betroffen zu sehen, daß meine Gegenwart dich einerseits zu überraschen, anderseits zu belasten scheint. Ich durfte mich der Hoffnung hingeben, daß ein lieber Freund Gelegenheit genommen haben würde, dir von mir, von meinen unwandelbaren Gefühlen für dich zu sprechen. Ich habe mir zurechtgelegt, daß auf dieser Basis eine improvisierte Aussprache zwischen uns möglicherweise eine veränderte Situation schon vorfindet oder wenigstens schaffen würde können. – Ich würde dich bitten, nicht zu übersehen, daß du mir die Gelegenheit, dir von meinem eigenen Innern zu sprechen, bisher nicht gewährt hast – ich fasse mein Verhältnis zu dir so auf, Antoinette – langweil ich dich sehr?

ANTOINETTE. Aber ich bitt dich, sprich doch weiter. Du hast[421] mir doch was sagen wollen. Anders kann ich mir dein Herkommen nicht erklären.

HECHINGEN. Ich faß unser Verhältnis als ein solches auf, das nur mich, nur mich, Antoinette, bindet, das mir, nur mir eine Prüfungszeit auferlegt, deren Dauer du zu bestimmen hast.

ANTOINETTE. Aber wozu soll denn das sein, wohin soll denn das führen?

HECHINGEN. Wende ich mich freilich zu meinem eigenen Innern, Toinette –

ANTOINETTE. Bitte, was ist, wenn du dich da wendest?


Sie greift sich an die Schläfe.


HECHINGEN. – so bedarf es allerdings keiner langen Prüfung. Immer und immer werde ich der Welt gegenüber versuchen, mich auf deinen Standpunkt zu stellen, werde immer wieder der Verteidiger deines Charme und deiner Freiheit sein. Und wenn man mir bewußt Entstellungen entgegenwirft, so werde ich triumphierend auf das vor wenigen Minuten hier Erlebte verweisen, auf den sprechenden Beweis, wie sehr es dir gegeben ist, die Männer, die dich begehren und bedrängen, in ihren Schranken zu halten.

ANTOINETTE nervös. Was denn?

HECHINGEN. Du wirst viel begehrt. Dein Typus ist die grande dame des achtzehnten Jahrhunderts. Ich vermag in keiner Weise etwas Beklagenswertes daran zu erblicken. Nicht die Tatsache muß gewertet werden, sondern die Nuance. Ich lege Gewicht darauf, klarzustellen, daß, wie immer du handelst, deine Absichten für mich über jeden Zweifel erhaben sind.

ANTOINETTE dem Weinen nah. Mein lieber Ado, du meinst es sehr gut, aber meine Migräne wird stärker mit jedem Wort, was du sagst.

HECHINGEN. Oh, das tut mir sehr leid. Um so mehr, als diese Augenblicke für mich unendlich kostbar sind.

ANTOINETTE. Bitte, hab die Güte –


Sie taumelt.


HECHINGEN. Ich versteh. Ein Auto?

ANTOINETTE. Ja. Die Edine hat mir erlaubt, ihres zu nehmen.[422]

HECHINGEN. Sofort. Geht und gibt den Befehl. Kommt zurück mit ihrem Mantel. Indem er ihr hilft. Ist das alles, was ich für dich tun kann?

ANTOINETTE. Ja, alles.

KAMMERDIENER an der Glastür, meldet. Das Auto für die Frau Gräfin.


Antoinette geht sehr schnell ab.

Hechingen will ihr nach, hält sich.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 419-423.
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