Vierte Szene

[456] GENERAL kommt sofort, wie er die Baronin allein sieht, herein. Amelie! Sie ärgern sich –

BARONIN. Ich ärgere mich nicht, meine Dienstleute ärgern mich! Der Theodor hat mir am Ersten gekündigt! Heute ist der vierzehnte Tag, und er hat seine Kündigung bis zu dieser Stunde nicht zurückgenommen und sich obendrein krank gemeldet.

GENERAL. Der Theodor! Das ist ja –


Er bleibt stehen.


BARONIN. Das ist von allen Dingen auf der Welt, die hätten passieren können, ungefähr das einzige, mich vollkommen aus der Fassung zu bringen. Wenn es das ist, was Sie sagen wollen, Ado – dann haben Sie das Richtige zu sagen vorgehabt.

GENERAL. Ja, wie ist denn das möglich! Das kann sich ein Dienstbote nicht unterstehen.

BARONIN. Sie wissen sehr genau, Ado, daß der Theodor kein Dienstbote ist, sondern eben – der Theodor. Und außerdem hab ich ihm bei einem gewissen Anlaß vor zwei Jahren schriftlich gegeben –

GENERAL. Sie sind zu gut, Amelie!

BARONIN. – daß er jederzeit berechtigt sein soll, den Wunsch erkennen zu geben, sich auf seinen Ruhesitz zurückzuziehen, das kleine Anwesen mit der Mühle, das er von seiner Großmutter geerbt hat in seiner Heimat irgendwo in den Waldkarpathen, wo sich die Wölfe gute Nacht sagen.

GENERAL. Ja, und dieser Kerl hat nicht so viel Herz, so viel Anhänglichkeit an Sie –

BARONIN geht auf und nieder. Ich bin ihm genau so gleichgiltig, wie allen Menschen eine Frau meines Alters ist.

GENERAL. Amelie, das sagen Sie mir!

BARONIN. Alte Frauen sind fremden Menschen langweilig, ihren Angehörigen lästig und ihren Enkeln ein Schrecken. Ich weiß das.

GENERAL leise. Ich existiere nur in Ihnen.

BARONIN. Sie sind sentimental, Ado, und sentimentale Menschen sind kritiklos und wissen selbst nicht, was in ihnen vorgeht. [456] Boshaft wie ein verwöhntes Kind. Wenn man mir aber zumutet, von heut auf morgen den einzigen Domestiken zu entbehren, dessen Umsicht und Verläßlichkeit mir noch ermöglicht, in dieser odiosen Welt eine einigermaßen erträgliche Existenz zu führen, wenn man mir die Krücke aus der Hand windet, Sie stößt mit dem Stock auf den Boden. an der ich noch mit einem Rest von Dezenz durch das Leben humple –

GENERAL mit einer fliegenden Röte, die sein Gesicht plötzlich sehr jung macht. Ich werde selbst den Theodor in seinem Zimmer aufsuchen. Er war vor siebenundzwanzig Jahren Ulan in meiner Schwadron – er hat noch militärischen Geist in sich. Er hält ja heute noch Rapporte mit der Dienerschaft.

BARONIN. Nur um Gottes willen keinen martialischen Ton, Ado. Sie kennen seine krankhafte Empfindlichkeit! – Aber vielleicht, daß wieder irgendwelche außerordentliche Konzessionen –

GENERAL. Zu denen Sie also bereit wären?

BARONIN. Zu jeder!

GENERAL. Ich gehe – Amelie.


Er bleibt aber stehen.


JAROMIR kommt über die Terrasse, tritt durch die Glastür ein. Wohin denn, Ado?

GENERAL im Abgehen. Ich habe eine Mission.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 456-457.
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