Es treten vor den noch herabgelassenen Vorhang der Dichter und sein Freund: Der Dichter trägt gleich den Personen seines Trauerspiels die florentinische Kleidung des fünfzehnten Jahrhunderts, völlig schwarz mit Degen und Dolch, in der Hand hält er den Hut aus schwarzem Tuch mit Pelz verbrämt; sein Freund ist sehr jung, hoch gewachsen und mit hellem Haar, er trägt die venezianische Kleidung der gleichen Zeit, als einzige Waffe einen kleinen vergoldeten Dolch rückwärts über der Hüfte, am Kopf eine kleine smaragdgrüne Haube mit einer weißen Straußenfeder; sie gehen langsam längs des Vorhanges, schließlich mag sich auch der Dichter auf einer kleinen im Proszenium vergessenen Bank niederlassen, sein Freund zuhörend vor ihm stehenbleiben. Ihr Abgang ist, ehe der Vorhang aufgeht, in die vorderste Kulisse.
DER DICHTER.
Nein, im Bandello steht sie nicht, sie steht
Woanders, wenn du einmal zu mir kommst,
Zeig ich dir, wo sie steht, die ganz kleine
Geschichte von Madonna Dianora.
Sie ist nicht lang, sie wird auch hier nicht lang:
Geschrieben hab ich grad drei Tage dran,
Drei Tage, dreimal vierundzwanzig Stunden.
Bin ich nicht wie ein Böttcher, der sich rühmt,
Wie schnell er fertig war mit seinem Faß?
Allein ich lieb es, wenn sich einer freut,
Weil er sein Handwerk kann; was heißt denn Kunst?
Auf ein Geheimes ist das ganze Dasein
Gestellt und in geheimen Grotten steht
Ein Tisch gedeckt, der einzige, an dem
Nie ein Gemeiner saß: da sitzen alle
Die Überwinder: neben Herakles
Sitzt einer in der Kutte, der mit Händen
Von Wachs und doch von Stahl in tausend Nächten[327]
Den Thron erschuf, in dessen Rückenlehne
Aus buntem Holz die herrlichsten Geschichten
Zu leben scheinen, wenn ein Licht darauf fällt.
Und neben diesem Zaubrer wieder sitzt
Ein längst verstorbner Bursch aus einem Dorf:
Er war der schönste und der gütigste;
Die Furche, die er zog mit seinem Pflug,
War die geradeste, denn mit der Härte
Des unbewußten königlichen Willens
Lag seine Hand am Sterz des schweren Pfluges.
Und noch ein schwacher Schatten seiner Hoheit
Lebt fort in allen Dörfern des Geländes:
Wer König ist beim Reigenspiel der Kinder,
Dem alle nachtun müssen was er tut
Und folgen wenn er geht, den nennen sie,
Und wissen nicht warum, mit seinem Namen
Noch heute, und so lebt sein Schatten fort.
Und neben diesem sitzen große Könige
Und Heeresfürsten, die mit einer Faust
Den Völkern, die sich bäumten, in die schaum-
Bedeckten Zäume greifend und zu Boden
Die wilden Nüstern zwingend in den Sattel
Den eigenen goldumschienten Leib aufschwangen,
Und andre, Städtegründer, die, den Lauf
Der Flüsse hemmend, von getürmten Mauern
Mit ihrer Gärten Wipfeln nach dem Lauf
Der niedern Sterne langten, und mit Schilden,
Darauf die Sonne fiel, hoch über Länder
Und heilige Ströme hin, die Zeichen tauschten
Mit ihren Wächtern in den Felsenburgen,
Verächter dessen, was unmöglich schien.
Und zwischen diesen Fürsten ist der Stuhl
Gesetzt für einen, der dem großen Reigen
Der Erdendinge, wandelnd zwischen Weiden,
Zum Tanz aufspielte abends mit der Flöte,
Der Flügel trug von Sturm und dunkeln Flammen.
Und wieder ist ein Stuhl gesetzt für den,
Der ging und alle Stimmen in der Luft[328]
Verstand und doch sich nicht verführen ließ
Und Herrscher blieb im eigenen Gemüt
Und als den Preis des hingegebenen Lebens
Das schwerlose Gebild aus Worten schuf,
Unscheinbar wie ein Bündel feuchter Algen,
Doch angefüllt mit allem Spiegelbild
Des ungeheuern Daseins, und dahinter
Ein Namenloses, das aus diesem Spiegel
Hervor mit grenzenlosen Blicken schaut
Wie eines Gottes Augen aus der Maske.
Für jeden steht ein Stuhl und eine Schüssel,
Der stärker war als große dumpfe Kräfte:
Ja von Ballspielern, weiß ich auch, ist einer,
Der Zierlichste und Stärkste, aufgenommen,
Dem keiner je den Ball zurückgeschlagen,
Auch nicht ein Riese, und er spielte lächelnd
Als galt es Blumenköpfe abzuschlagen.
Doch hab ich einen Grund, nicht zu vergessen,
Daß ich dies kleine Ding in einem Fenster
In zweiundsiebzig Stunden Vers auf Vers
Zu Ende trieb mit heißgewordenem Griffel.
In einem fahlen Lichte siehst du Tage
Wie diese drei in der Erinnerung liegen
Dem Lichte gleich, in dem die Welt daliegt,
Wenn du vor Tag aufwachst, ein leichter Regen
Aus schlaffen Wolken fällt und deine Augen
Noch voller Nacht und Traum das offene Fenster
Und diese Bäume ohne Licht und Schatten
Zu sehn befremdet und geängstigt sind
Und doch sich lang nicht schließen können, so
Wie wenn sie keine Lider hätten. Wenn du
Zum zweiten Mal im hellen Tag erwachend
Aus allen Spiegeln grün und goldnen Glanz
Bewegter Blätter und den Lärm der Vögel
Entgegennimmst, dann ist es sonderbar,
Sich jener bleichen Stunde zu entsinnen:
So waren diese zweiundsiebzig Stunden,
Und wie der Taucher aus dem fahlen Licht[329]
Ans wirkliche, so tauchte ich empor
Und holte Atem und berührte mit
Entzückten Fingern einen frischen Quell,
Den Flaum auf jungen Pfirsichen, die Köpfe
Von meinen Hunden, die sich um mich drängten.
Und da ich die Erinnrung an die drei
Dem Leben fremden Tage nun nicht liebte,
Versank sie und die Wellen trugen mich
Du weißt wohin ... Es trugen wirklich mich
Die Wellen hin, denn weißt dus oder nicht:
Sie können von der unteren Terrasse
Mit Angeln fischen, aus den Zimmern selber,
Und steigst du aus den oberen Gemächern,
Trägt dich ein Hügel, Bergen angegliedert.
Dort gingen mir die schönen Tage hin
Und nahmen einer aus des andren Händen
Den leichten Weinkrug und den Ball zum Spielen.
Bis einer kam, der ließ die Arme sinken
Und wollte nicht den Krug und nicht den Ball,
Und schmiegte seinen Leib in ein Gemach,
Die Wange lehnend an die kühlste Säule
Und horchend wie das Wasser aus dem Becken
Herunter fällt und über Efeu sprüht.
Denn es war heiß. Wir hatten ein Gespräch,
Aus dem von dunkeln und von hellen Flammen
Ein schwankes Licht auf viele Dinge fiel,
Indes der heiße Wind am Vorhang spielend
Den grellen Tag bald herhielt, bald versenkte.
Und unter diesem schattenhaften Treiben
Las ich mein Stück, sie wolltens, ihnen vor,
Und mit den bunten Schatten dieser Toten
Belud ich noch die schwere schwüle Luft.
Und als ich fertig war und meine Blätter
Zusammennahm, empfand ich gegen dies
Wie einen dumpfen Zorn und sah es an,
Wie der Ermüdete die Schlucht ansieht,
Die ihm zuviel von seiner Kraft genommen
Und nichts dafür gegeben: denn sie war[330]
Gestein und Schatten von Gestein, sonst nichts,
Darin er klomm, und wußte nichts vom Leben.
Dann gingen, nur ein Zufall, alle andern
Aus diesem Zimmer, irgendwas zu holen,
Vielmehr hinunter nach dem See, ich weiß nicht,
Genug, ich blieb allein und lehnte mich
In meinem Stuhl zurück und unbequem,
Allein den Nacken doch an kühlen Stein
Gelehnt und grüne Blätter nah der Stirn,
Schlief ich auf einmal ein und träumte gleich.
Dies war der Traum: Ich lag ganz angekleidet
Auf einem Bett in einer schlechten Hütte.
Es blitzte draußen und ein großer Sturm
War in den Bergen und auf einem Wasser.
Ein Degen und ein Dolch lag neben mir,
Ich lag nicht lang, da schlug es an die Tür,
Wie mit der Faust, ich öffnete, ein Mann
Stand vor der Tür, ein alter Mann, doch stark,
Ganz ohne Bart mit kurzem grauem Haar;
Ich kannte ihn und konnte mich nur nicht
Besinnen, wo ich ihn gesehn und wer
Es war. Allein das kümmerte mich nicht.
Und auch die Landschaft,
Die jeden Augenblick einen Blitz auswarf,
Mir völlig fremd und wild mit einem Bergsee,
Beängstigte mich nicht. Der alte Mann
Befahl mir, wie ein Bauer seinem Knecht:
Hol deinen Dolch und Degen, und ich ging.
Und als ich wiederkam, da hatte er
Im Arm, gewickelt in ein braunes Tuch,
Den Leib von einer Frau, die fester schlief
Als eine Tote und mir herrlich schien.
Nun ging der Mann mit seiner Last voran
Und ich dicht hinter ihm herab zum See,
Durch einen steilen Hohlweg voll Gerölle.
Bald kamen wir ans Wasser, stampfend hing
Dort eine schwere Plätte in dem Dunkel,
Ich wußte, solche Plätten haben sie[331]
Hier in der Gegend, die gebrochenen Steine
Aus dem Gebirg herabzuführen, weil
Der See sich dann als Fluß hinab ergießt.
Ich sah beim Blitz, woran die Plätte hing:
Zwei Knechte hielten mit entblößten Armen
Mit aller Kraft die wilden nackten Wurzeln
Der großen Ufertannen fest, die Plätte
Ging auf und nieder, doch ich konnte hören
Am Niederstampfen, daß sie furchtbar schwer war.
Der Alte stieg hinein, dann ich, er ließ
Die Schlafende zu Boden gleiten, schob
Das Tuch ihr untern Kopf, ergriff die Wurzeln
Und schwang sich auf und stieß mit seinem Fuß
Mit ungeheuerer Kraft das Schiff ins Freie.
Die Knechte hingen schon mit ganzem Leib
Am Steuerruder, dann bemerkte ich
Das sonderbare Kleid der jungen Frau:
Es war die braune Kapuzinerkutte,
Nur um den Hals ein breiter weißer Kragen
Von feinen Spitzen und ein schöner Gürtel
Mit goldenen Schildern um den schmalen Leib.
Und augenblicklich wußte ich, das ist
Die Tracht, wie sie sie noch in sieben Dörfern
Jenseits des Waldes tragen müssen wegen
Des Pestgelübdes. Aber ihr Gesicht
War wundervoll gemischt mich zu ergreifen:
Mit Lidern, die ich kenne, deren Anblick
In mir Erinnerungen löste, wie
Ein Licht in einem Abgrund, oder Lippen
So fein gezogen, doch so süß geschwellt
Wie ich sie nie gesehen und über alles
Verlangend wär zu sehn, auch nur zu sehen!
Ich konnte alles sehn, die Blitze kamen
So oft wie einer mit den Wimpern zuckt.
Mit dieser war ich nun allein, doch nicht
Allein, drei Schritte hinter meinem Rücken
Stand mit der Kette um die dicken Hörner,
Mit wilden Augen, ungeheurem Nacken[332]
Ein Stier, die Kette hielt ein Knecht dreimal
Um seinen Arm gewunden. Dieser Knecht
War klein und stämmig und mit rotem Haar.
Und weiter vorne, wo die schwere Plätte
Mit unbehau'nen Platten roten Steins
Beladen war, saß noch ein andrer Gast:
Erinnerst du dich des blödsinnigen
Zerlumpten Hirten, der einmal beim Reiten
Mit gellendem Geschnatter aus der Hecke
Vorspringend uns die Pferde so erschreckte?
Der wars, nur noch viel größer und viel wilder,
Und von den Lippen floß ihm so wie jenem
Die wirre Rede wie ein wütend Wasser
In einer Sprache, deren Laute gurgelnd
Einander selbst erwürgten. Und ich wußte –
Ich wußte wieder! – Rätisch redet der,
Ist aus den Wäldern, wo sie Rätisch reden,
Und immerfort verstand ich was er meinte.
Er gab mir Rätsel auf, er schrie: Wo sind
Die tausend Jungfern, mehr als tausend Jungfern,
Weihwasser geben sie einander, wo?
Und sonderbar, in diesem Augenblick
Triebs uns am Ufer hin, dort hing ein Haus
Mit fahlen Mauern hart am jähen Ufer,
Von dessen steilem Schindeldach der Regen
Herunterschoß, da wußte ich sogleich:
Die Schindeln meinte er. Dann fing er an
Und sprach die Zaubersprüche, die sie haben
Ihr Vieh zu schützen, doch ich hörte ihm
Schon nicht mehr zu und könnt ihn auch nicht sehen.
Die Blitze hatten aufgehört, der Sturm
War nicht so laut, doch nunmehr trieben wir
Mit einer so entsetzlichen Gewalt,
Daß nicht mehr Stampfen, nur das dumpfe Schleifen
Durchs Wasser hin zu hören war, und plötzlich
Sah ich vor uns aus der pechschwarzen Nacht
Ein graues riesiges Gebild, ich wußte,
Es waren Wolken, aber gleich dahinter[333]
Die Klippen, wußte, Wirbel sind zur Linken,
Die Spitze aber rechts, hier wendet sichs,
Weil sich der See verengt und in das Bette
Des Flusses wild hinunter will. Ich schrie:
Nach links! Die Knechte lachten, kam mir vor.
Ich warf den Dolch nach ihnen, pfeifend flog er
Und schnitt dem einen hart am Ohr vorbei,
Sie stemmten sich nach rechts, das Schiff ging links
Und fing zu drehen an, da hub der Stier
Zu stampfen an und schlug mit seinen Hufen
Den Rand des Schiffes und er brüllte dröhnend,
Indes der Hirt ein wunderliches Lied
Anfing mit einem Abzählreim, so wie's
Die Kinder machen, und der Reim ging aus
Auf mich. Indessen weiter trieben wir
Und es war heller, kam mir vor, wir trieben
In einem tiefen eingerißnen Tal,
Ich fühlte, daß es nur der Anfang war ...
Was jetzt kommt ging in einem, schneller als
Ich es erzählen kann, ging alles dies
Und tausend Dinge mehr noch durcheinander
Und dauerte doch endlos lang, begann
An jeder Klippe, jeder Biegung neu;
Ich wußte immerfort, das Gleiche war
Ja schon einmal, das hab ich schon erlebt
Und dennoch warfs der Abgrund immer neu
Und immerfort verändert wieder aus.
Die Strömung riß uns hin, zuweilen kam
Aus einem Seitental ein jäher Wind
Und immer schneller lief es zwischen Felsen.
Mit welchen Sinnen ich den Weg erriet,
Die Plätte in dem tiefen Streif zu halten,
Kaum breiter als sie selbst, das weiß ich nicht,
Denn alle Sinne waren überwach,
So überschwemmt vom Leben wie ichs nicht
Dir sagen kann ...
Ich konnte mit geschlossenen Augen fühlen
Den Weg im Wasser, den wir nehmen mußten.[334]
Ich wußte, welchen feuchten Pfad die Aale
Hinglitten, wenn sie sich aus dem Getöse
Zu flüchten eine still geschloßne Bucht
Mit flachem Ufer suchen. Alle Schwärme
Der schattenhaft hingleitenden Forellen
Fühlt ich hinan die klaren Bäche steigen
Bis an die Falten des Gebirges, fühlen
Könnt ich ihr Gleiten über freigespültes
Hier rot hier weißlich schimmerndes Gestein ...
Die Lager wußt ich, tiefer als die Wurzeln
Der starken Eichen, wo im weichen Ton
Ein Glimmerndes mit funkelnden Granaten
Im tiefen Bette eingewühlt da liegt,
Wie schöne Mäntel eingesunkener Schläfer.
Dem Wind, wenn er mich anblies, fühlt ich an,
Ob er hervorgeflogen aus dem Dickicht
Der Lärchen war, ob von den leeren Halden
Und weißen Brüchen nackter harter Steine.
Und unaufhörlich, wenn bei mir im Schiff
Der Stier mit vorgestreckten Nüstern brüllte,
So spürte ich, wie auf den fernen Triften
Im dunkelsten Gebirg die jungen Kühe
Sich auf die Knie erhoben, völlig dann
Auf ihre Füße sprangen und durchs Dunkel
Hinliefen und die Luft der Nacht einsogen.
Indessen war der Fluß, auf dem wir fuhren,
Breiter geworden und ein Tag brach an
Von so ersticktem Halblicht wie der Tag
Aussehen mag am Grund von tiefem Wasser.
Am Ufer waren Bauten: starke Mauern
In breiten Stufen, welche Bäume trugen.
Von diesen wußt ich alles: jeden Stein,
Wie er gebrochen war und wie gefügt,
Und spürte, wie die andern auf ihm lagen,
Und wie du deine Hände spürst, wenn du sie
Ins Wasser hältst, so spürte ich die Schatten
Der Tausende von Händen, die einmal
Hier Steine schichteten und Mörtel trugen,[335]
Von Tausenden von Männern und von Frauen
Die Hände, manche von ganz alten Männern,
Von Kindern manche, spürte wie sie schwer
Und müde wurden und wie eine sich
Schlafsüchtig öffnete und ihre Kelle
Zu Boden fallen ließ und dann erstarrte
Im letzten Schlaf. Und unter meinen Füßen
Die Fische und auf ihren feuchten Triften
Die jungen Kühe, die den Boden stampften,
Auf stundenweiten Triften, und der Wind,
Von dem ich wußte wie er kam und ging,
Und neben mir der Narr mit wildem Mund!
Er schwieg nicht einen Augenblick: Ja ja,
Schrie er einmal, die Frauen und die Pferde,
Die wissen nicht, wo sich die Grube heben,
Ein Mann der weiß sein Grab, der weiß sein Grab.
Dann kam viel vor vom Volk und Zorn des Volkes
Und tausend andres und ich wußte alles,
Und immerfort bei allen seinen Reden,
Dem fremden wirren Zeug, war mir, als ob sichs
Auf mich bezöge und mein Leben. Und
Auch jene namenlosen andern Dinge
Im Wasser, an den Ufern, in der Luft
Bezogen sich auf mich und diese Frau,
Die mir zu Füßen schlief, und wie ihr Anblick
Mir durch den Leib schnitt gleich sehnsüchtger Lust,
So griffen unaufhörlich diese Reden
Des Narren, ja die Fische, die sich schnellten,
Die schattenhaften Hände, die dort bauten,
Die Tiere, die verlangend brüllten, in mich
Hinein und lösten dunkle Teile los
In meinem Innern und entbanden Schauer
Völlig vergessener Tage, schwankende
Durchblicke, namenlose Möglichkeiten. –
Dich schwindelt schon, und doch, indem ich rede,
Fühl ich als rieselte es ab von mir,
Und wenig ist es, unaufhörlich gehts
Verloren, ist fast nichts, was ich erzähle![336]
Wie wenn sich einer, aus den stärksten Wellen
Des wilden Bades tauchend, einen Zweig
Umklammernd schnell ans Ufer hebt und steht
In Wind und Sonne, so ist es mit dem
Verglichen, was ich träumte.
Wie lang dies dauerte, das weiß ich nicht;
Nur unaufhörlich wars, wie aus dem Berge
Ein Wasserfall. Wir legten dann einmal
An einem öden Ufer an und dort
So gegen Abend stieg der mit dem Stier
Hinaus und trieb sein Tier hinein ins Land,
Doch weiß ich nicht, war dies am ersten Abend,
Denn eine zweite Nacht kam jedenfalls
Noch wunderbarer als die erste, denn
Der Wind fing wieder an, doch zwischen Wolken,
Seltsamen Wolken, hingen da und dort
Die Sterne, und durch dies Gewebe bebte
Ein sanftes Blitzen von grüngoldnem Licht.
Auch der verrückte Hirte muß uns dann
Verlassen haben, denn am Ende, weiß ich,
War er nicht da und auch die Knechte nicht,
Das Schiff glitt lautlos hin, ich hatte leicht
Die eine Hand am Steuerruder liegen,
So trieben wir noch einen solchen Tag
Mit halbem fahlem Licht wie unterm Wasser,
Und immer bebten meine Pulse voll
Mit allem Lebenden der ganzen Landschaft.
Dann kam ein Abend ... oder wars ein Morgen?
Rings lag ein Nebel, doch ein lichter Nebel,
Ein Morgen muß es doch gewesen sein,
Da bog der Fluß sich um und eine Mulde
Lag an dem einen Ufer und ein Gitter
Von einem Garten lief bis an das Wasser,
Und ungewiß im Nebel wie der Eingang
Zu einer Höhle tat der runde Mund
Von einem großen Laubengang sich auf.
Im Nebel gingen Menschen hin und her,
Ein Diener lief herab und schrie: Er ists![337]
Die andern kamen, Freunde, alle Freunde,
Auch du, auftauchend aus dem dichten Nebel
Wie Schwimmer und dahinter liebe Bäume,
Die Bäume meines Hauses und der Gang,
Der offne Bogengang von meinem Haus,
Und wie sich alle diese lieben Hände
Vom Ufer auf den Rand der Plätte legten,
Da dehnte sich die liebliche Gestalt,
Die mir zu Füßen lag, so wie ein Kind
Vor dem Erwachen; ja sie hatte sich
Die letzte Nacht gewendet, daß sie jetzt
Mit dem Gesicht auf beiden Händen lag.
Nun fühlte ich mit einem grenzenlosen
Entzücken, wie der starre Schlaf sie ließ,
Das Leben fühlte ich durch zarte Schultern
Zum Nacken hin und in die Kehle fließen
Und wie es nach den Hüften niederlief:
Und wiederum war alles dies zugleich: –
Dies Fühlen, das mir ihren jungen Leib
In mich hinein so legte wie in eine
Bewußte fühlende belebte Gruft,
Und wundervolles anderes Bewußtsein
Von eurer Nähe, aller meiner Freunde.
Und wie mein alter Diener neben dir
Mit einer Stimme, die von Regung bebte,
Dies flüsterte: Nach zweiundsiebzig Stunden
Ist er zurück! da fühlte ich das Beben
In meiner eigenen Kehle, und im Innern
Empfand ich dein Gefühl, mit dem dus hörtest,
Und bückte mich mit mehr als trunkenen Händen,
Die Schultern der Erwachenden empor
Zu ziehn, da werd ich selber an den Schultern
Emporgezogen und – bin wach! um mich
Die Freunde, denen ich das Stück gelesen,
Du nicht natürlich, und sie hielten mich,
Denn ich war vorgesunken auf dem Stuhl,
Wie einer, der sich bückt, was aufzuheben.
In meinen Augen war noch zu viel Traum,[338]
In meinen Ohren hatt ich noch das Wort
Von meinem Diener: Zweiundsiebzig Stunden,
Und fragte nur: So seid ihr schon zurück?
Sie waren noch nicht fortgewesen, nur
Im Nebenzimmer wieder umgekehrt,
Mich mitzunehmen. Nicht so viele Zeit
Als einen Krug zu füllen unterm Brunnen,
Und diese Fahrt! Ich nahm es für ein Zeichen,
Für eine dumpfe Widerspiegelung
Des andern traumerfüllten Einsamseins,
Das wirklich zweiundsiebzig Stunden währte.
Zwar wirklich? haben wir ein Maß für wirklich? ...
Du meinst, es war auch ein Bild im Einzelnen?
Ein großes Gleichnis? Nun, kann sein, auch nicht!
Gleichviel, bei solchem Treiben der Natur
Ist eine tiefre Bildlichkeit im Spiel,
Denn ihr ist alles Bild und alles Wesen.
Allein es war ein Wink: sie gibt das Leben
Von tausend Tagen wenn sie will zurück,
Indessen du dich bückst um eine Frucht.
Nun müssen wir wohl gehn, ich hör schon rückwärts,
Wie sie zusammenstellen Haus und Garten
Aus Holz und Leinwand, Schatten eines Traumes! –
Es war mir beinah lieber, wenn nicht Menschen
Dies spielen würden, sondern große Puppen,
Von einem ders versteht gelenkt an Drähten.
Sie haben eine grenzenlose Anmut
In ihren aufgelösten leichten Gliedern
Und mehr als Menschen dürfen sie der Lust
Und der Verzweiflung selber sich hingeben
Und bleiben schön dabei. Da müßte freilich
Ein dünner Schleier hängen vor der Bühne.
Auch anderes Licht. Doch komm, wir müssen gehen.
[339]
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