[354] Unterirdische Gewölbe, durch eine querlaufende dicke Mauer in zwei Kammern geteilt. In der rechten wird Barak sichtbar, in düsterem Brüten auf dem harten Stein sitzend; zur Linken die Frau, in Tränen, mit aufgelöstem Haar. Sie wissen nicht voneinander, hören einander nicht. Die Frau zuckt zusammen.
Im Orchester ertönen die Stimmen der ungeborenen Kinder, wie im ersten Aufzug.
DIE FRAU.
Schweiget doch, ihr Stimmen!
Ich hab es nicht getan!!
– – – – – – – – – – –
Barak, mein Mann,
o daß du mich hörtest,
daß du mir glaubtest
vor meinem Tode!
– – – – – – – – – – –
Dich wollt ich verlassen,
o du, den zuvor
niemals ich sah!
Dich wollt ich vergessen
und meinte zu fliehen dein Angesicht:
dein Angesicht,
es kam zu mir –
O daß du mich hörtest,
o daß du mir glaubtest. –
Dich wollt ich vergessen –
da mußte ich dich denken:
und wo ich ging
verbotene Wege,
dein Angesicht ...
es kam zu mir[355]
und suchte mich,
zuvor die Seele die Tat getan!
Ein fremder Mann,
ich zog ihn her,
er war mir nah –
aber nicht völlig –
Barak, Barak,
dich weckt ich doch,
weißt du es nicht?
BARAK vor sich hin.
Mir anvertraut,
daß ich sie hege,
daß ich sie trage
auf diesen Händen
und ihrer achte
und ihrer schone
um ihres jungen Herzens willen!
DIE FRAU teilweise zusammen mit ihm.
Dienend, liebend dir mich bücken:
dich zu sehen!
atmen, leben!
Kinder, Guter, dir zu geben! –
BARAK.
Mir anvertraut –
und taumelt zur Erde
in Todesangst vor meiner Hand!
Weh mir! Daß ich sie einmal noch sähe
und zu ihr spräche:
Fürchte dich nicht.
Eine Stille, dann.
STIMME von oben, auf Baraks Seite.
Auf, geh nach oben, Mann,
der Weg ist frei!
Es fällt zugleich mit der Stimme ein Lichtstrahl von oben in Baraks Verlies; die Stufen einer Wendeltreppe, in den Fels gehauen, werden sichtbar.
Barak richtet sich auf und beginnt hinaufzusteigen.
[356]
DIE FRAU.
Barak, mein Mann!
Strenger Richter,
hoher Gatte!
Schwängest du auch
dein Schwert über mir,
in seinem Blitzen
sterbend noch
sähe ich dich!
Ein Lichtstrahl fällt von oben in ihr Verlies, der Schein in Baraks leerer Kammer ist erloschen.
DIE GLEICHE STIMME auf der Linken.
Frau, geh nach oben,
denn der Weg ist frei.
Die Färberin eilt nach oben.
Das Gewölbe versinkt. Wolken treten vor, teilen sich, enthüllen eine Felsterrasse, jener gleich, die während des Schlafes der Kaiserin sichtbar wurde. Steinerne Stufen führen vom Wasser aufwärts zu einem mächtigen tempelartigen Eingang ins Berginnere. Ein dunkles Wasser, in den Felsgrund eingeschnitten, fließend gegenüber.
Die Tür zum mittleren Eingang offen. Auf der obersten Stufe der Bote, wartend. Dienende Geister rechts und links.
Ein Kahn kommt auf dem Wasser geschwommen, ohne Lenker. Die Kaiserin liegt darin, schlummernd, die Amme kniet neben ihr, hält sie umschlungen, bewegt um sich schauend, wohin der Kahn treibe.
Der Bote hat das Herankommen des Kahnes abgewartet. Der Kahn hält an.
DIENENDE GEISTER.
Sie kommen!
DER BOTE.
Hinweg!
Er tritt ins Innere zurück, die Geister zugleich, die eherne Tür schließt sich hinter ihnen.
Die Kaiserin erwacht.
Die Amme sucht, sie zurückzuhalten, mit dem freien Arm den Kahn vom Ufer wegzustoßen, vergeeblich.
[357] Die Gegend erhellt sich.
Die Kaiserin erhebt sich, blickt um sich, will ans Land.
DIE AMME drückt sie nieder, hastig, aufgeregt.
Fort von hier!
Hilf mir vom Fels
lösen den Kahn!
Leise.
Übermächte
spielen mit uns!
Zum greulichsten Ort
eigenwillig
strebt das Gemächte
aus bösem Holz!
Wär ich nicht gewitzigt,
was würde aus dir!
DIE KAISERIN.
Der Kahn will bleiben –
siehst du denn nicht?
Die Treppe, schau!
DIE AMME gibts auf, den Kahn vom Ufer zu stoßen, treibend, mit fieberhafter Ungeduld.
So laß den Kahn!
Nun fort von hier!
Ich weiß den Weg,
Mondberge sieben
sind gelagert,
dies ist der höchste:
ein böses Bereich!
Geschürzt dein Kleid
und hurtig die Füße:
ich führ dich hinunter,
ich finde hinaus!
DIE KAISERIN ist auf die Treppe hinausgetreten.
Hier ist ein Tor!
Sinnend, suchend.
Einmal vordem
sah ich dies Tor!
Posaunenruf, wie aus dem Innern des Berges.
[358]
DIE KAISERIN.
Hörst du den Ton?
Der lädt zu Gericht
Leise, etwas beklommen.
Mein Vater, ja?
Keikobad? Sag?
Lang sah ich ihn nicht,
doch weiß ich wohl:
er liebt es zu thronen
wie Salomo
und aufzulösen,
was dunkel ist,
Hoch ist sein Stuhl
und abgründig sein Sinn –
Rein und mutig.
doch ich bin sein Kind:
ich fürchte mich nicht.
Die Amme, ängstlich, späht nach der Seite, ob sich ein Ausweg finden ließe.
Die Posaune ruft abermals, stärker.
DIE KAISERIN die Hände erhoben, angstvoll.
Mein Herr und Gebieter!
Sie halten Gericht
über ihn
um meinetwillen!
Was ihn bindet,
bindet mich.
Was er leidet, will ich leiden,
ich bin in ihm,
er ist in mir!
Wir sind eins.
ich will zu ihm.
Wendet sich, hinaufzuschreiten.
DIE AMME angstvoll.
Fort mit uns!
ich schaff dir den Schatten!
So ist es gesetzt
und so geschworen![359]
Du bleibst die gleiche,
Töchterchen, liebes,
und durch deinen Leib
gleitet das Licht –
allein des Weibes
trauriger Schatten,
dir verfallen,
haftet der Ferse!
Ihresgleichen
scheinst du dann
und bist es nicht:
doch du erfüllst,
was bedungen war!
Schmeichelnd.
So hab deinen Liebsten
und herze ihn!
Ich helf dir ihn finden,
ich will es tragen,
daß ich ihn sehe
in deinen Armen
auf Jahr und Tag
und bleibe die Hündin
in seinem Hause!
Resigniert seufzend, nicht heftig.
Wehe mir!
Sehr stark.
Nur fort von hier!
Fort von der Schwelle:
sie zu betreten
ist mehr als Tod!
DIE KAISERIN.
So kennst du die Schwelle?
So weißt du, wohin
dies Tor sich öffnet?
Antworte mir!
DIE AMME dumpf.
Zum Wasser des Lebens.[360]
DIE KAISERIN.
Antworte mir!
Plötzlich erleuchtet.
Zur Schwelle des Todes!
So scholl der Ruf,
Steh mir Rede!
Du weißt das Geheime
und kennst die Bewandtnis.
Antworte mir!
Die Amme schweigt.
DIE KAISERIN.
Schweigst du tückisch?
Willst du mit Fleiß
den Sinn mir verdunkeln?
Hell ist in mir!
Hell ist vor mir!
Leidenschaftlich.
Ich muß zu ihm!
Wasser des Lebens,
ich muß es erspüren,
ihn besprengen –
Wasser des Lebens –
ist es das Blut
aus diesen Adern?
Fließe es hin,
daß ich ihn wecke!
Sie wendet sich entschieden dem Eingang zu.
DIE AMME wirft sich vor sie hin, faßt sie am Gewand.
Hab Erbarmen!
Du verfängst dich:
tausend Netze,
Gaukelspiel,
greulicher Trug!
Wasser des Lebens,
greuliches Blendwerk –
müßt ich darüber
mein Blut hingeben –
halte ich ab[361]
von deiner Seele
und deinem Herzen!
Ein Wasser springt
wirklich im Berge.
Leuchtend steigt es,
goldene Säule,
aus dem Grund:
Wasser des Lebens!
Wer daran
die Lippen legte –
einer der unsern,
von Geistern stammend –,
mehr als Tod,
greulich unsagbar
teufliches Unheil
schlürft er in sich
rettungslos.
DIE KAISERIN ist auf die oberste Stufe getreten.
DIE AMME in höchster Angst.
Hörst du mich nicht?
Fürchterlich
ist Keikobad!
Was weißt du von ihm!
Du bist sein Kind
und hast dich gegeben
in Menschenhand
und dein Herz vergeudet
an einen von den Verwesenden!
Fürchterlich
straft er dich,
wenn du fällst in seine Hand.
Denn er kennt kein Greuel
über diesem,
daß eines spiele
mit den Verhaßten
und sich mische
mit den Verfluchten!
Weh über sie,[362]
die dich gebar,
und Menschensehnsucht
dir flößte ins Blut!
Weh über dich!
DIE KAISERIN verklärt, entschlossen.
Aus unsern Taten
steigt ein Gericht!
Aus unserm Herzen
ruft die Posaune,
die uns lädt. –
Entschieden, die Hand gegen sie ausstreckend, gebietend.
Amme, auf immer
scheid ich mich von dir.
Was Menschen bedürfen,
du weißt es zu wenig,
worauf ihrer Herzen
Geheimnis zielet,
dir ist es verborgen
Sehr feierlich und groß.
Mit welchem Preis
sie alles zahlen,
aus schwerer Schuld
sich wieder erneuen,
dem Phönix gleich,
aus ewigem Tode
zu ewigem Leben
sich immer erhöhen –
kaum ahnen sies selber –
dir kommt es nicht nah.
Ich gehöre zu ihnen,
Mächtig.
du taugst nicht zu mir!
Sie tritt ans Tor, das sich lautlos öffnet, sie tritt hinein, das Tor schließt sich.
DIE AMME will ihr nach, wagt sich nicht in den Bereich, verzweifelnd, auf der Treppe.
Was Menschen bedürfen?
Betrug ist die Speise,[363]
nach der sie gieren.
Betrügt sie selber!
Fluch über sie!
Das ewige Trachten,
vorwärts ins Leere,
der angstvermischte
gierige Wahnsinn –
hinübergeträufelt
in meines Kindes
kristallene Seele!
Fluch über sie!
Es dunkelt, rötlicher Nebel tritt herein.
BARAKS STIMME im Wind.
Ah!
DER FRAU STIMME von der anderen Seite.
Ah!
BARAKS STIMME.
Daß ich dich fände!
DER FRAU STIMME klagend.
O mein Geliebter!
BARAKS STIMME.
Fürchte nichts!
Sieh, so sieh!
DER FRAU STIMME zugleich.
Finde mich,
töte mich!
BEIDE.
Weh, weh, o weh!
DIE AMME.
Menschen! Menschen!
Wie ich sie hasse!
Wimmelnd wie Aale,
schreiend wie Adler,
schändend die Erde!
Tod über sie!
BARAK im Nebel herein, von rechts.
Ich suche meine Frau, die vor mir flieht!
Erkennt die Amme, angstvoll, gepreßt, fast stöhnend.
[364]
Hast du sie nicht gesehn –
O meine Muhme?
DIE AMME zeigt nach links aufwärts.
Dort hinüber!
Dort hinauf!
Sie verflucht dich
in den Tod!
Strafe sie –
räche dich –
schnell!
BARAK ab nach links aufwärts.
Zu ihr! Zu ihr!
DIE FRAU erscheint von links weiter unten.
O du – o du – wo ist mein Mann? O du –
ich will zu ihm!
DIE AMME zeigt nach rechts.
Dort hinüber!
Dich zu töten,
mit seinen Händen.
Rette dich,
flieh!
DIE FRAU eilt nach rechts in den Wind und Nebel, wild entschlossen.
Barak! Hier!
Schwinge dein Schwert.
Töte mich
schnell!
Verschwindet rechts, es dunkelt.
DIE AMME.
Wehe, mein Kind,
ausgeliefert,
Gaukelspiel
vor ihren Augen,
Fallen und Stricke
vor ihrem Fuß!
Sie ist hinein!
Sie trinkt! Das goldne,
flüssige Unheil
springt auf die Lippen,[365]
wühlt sich hinab!
Ihr Gesicht
gräulich zuckt,
ein menschlicher Schrei
ringt sich aus
der wunden Kehle!
Ihr zu Hilfe!
Müßte ich sterben!
Keikobad!
Sie will ans Tor.
BOTE tritt aus dem Tor; ehern.
Den Namen des Herrn?
Hündin, zu wem
hebst du die Stimme?
Fort mit dir
von der Schwelle!
Pack dich, für immer!
DIE AMME wie wahnsinnig vor Erregung.
Mir anvertraut –
du selber, Bote!
drei Tage lang!
ich hab sie gehütet,
ich rang mit ihr –
sie stieß mich von sich –
sie kennt mich nicht mehr –
Keikobad!
Er muß mich hören!
Will an ihm vorbei.
BOTE vertritt ihr den Weg; ehern.
Sie ist vor ihm!
Wer bedarf deiner?
Niemand.
Such dir den Weg!
DIE AMME.
Keikobad!
Deine Dienerin
schreit zu dir –
Strafe sie, aber[366]
verwirf sie nicht
ungehört!
Mir übergeben,
ich steh dir Rede!
Keikobad!
Der Nebel tritt herein, wird immer dichter, Gewitter und Sturm nehmen zu an Heftigkeit. Es dunkelt mehr und mehr. Im Sturm tönen die Stimmen der Färbersleute, die einander vergeblich rufen und suchen. Zugleich.
BOTE gewaltig, mit einem Anflug von Hohn.
Wer bist du,
daß du ihn rufest?
Was weißt du
von seinem Willen,
und wie er verhängt hat
ihr die Prüfung?
Wenn er dich hieß
des Kindes hüten,
wer heißt dich raten,
ob er nicht wollte,
daß sie dir entliefe?
Immer schrecklicher.
Und trotzdem dich
verwirft auf ewig:
daß du nicht vermochtest,
ihrer zu hüten!
BARAK unsichtbar.
O du!
DIE FRAU unsichtbar.
O du!
BARAK.
Wo bist du?
DIE FRAU.
Wo bist du?
BARAK.
Fliehe nicht!
DIE FRAU.
Finde mich![367]
BARAK.
Komm zu mir!
DIE FRAU.
Komm zu mir!
BARAK.
Dich zu sehen – atmen, leben!
DIE FRAU.
Kinder, Guter, dir zu geben!
BARAK.
Weh, verloren!
DIE FRAU.
Weh, vertan!
BARAK.
Diese Hände –!
DIE FRAU.
Weh, so jung!
BARAK.
Dir vergeben, dich erquicken!
DIE FRAU.
Liebend, dienend dir mich bücken!
BARAK.
Weh, verloren!
DIE FRAU.
Hab Erbarmen!
BARAK.
Sterben! Sterben!
DIE FRAU.
Weh, uns Armen!
BARAK.
Mir anvertraut,
daß ich dich hege,
und dich trage
auf diesen Händen.
DIE AMME.
Schlage er mich
mit seinem Zorn!
Ich will zu ihr![368]
BOTE.
Mit seinem Zorn
schlägt er dich,
daß du ihr Antlitz
nicht wiedersiehst!
DIE AMME.
Weh, mein Kind!
Mir verloren!
Fluch und Verderben
über die Menschen –
fressendes Feuer
in ihr Gebein!
BOTE mit Hohn.
Unter den Menschen
umherzuirren,
ist dein Los!
Die du hassest,
mit ihnen zu hausen,
ihrem Atem
dich zu vermischen
immer aufs neu!
DIE AMME wie von Sinnen.
Die ich hasse,
mit ihnen zu hausen,
ihrem Atem
mich zu vermischen
immer aufs neu!
Sie drängt sich dicht an den Boten, will an ihm vorbei.
BOTE faßt sie gewaltig und stößt sie die Treppe hinab.
Auf, du Kahn,
trage dies Weib
Mondberge hinab
den Menschen zu!
DIE AMME.
Fressendes Feuer
in ihr Gebein!
Die Amme stürzt im Kahn zusammen, der Kahn löst sich und treibt jäh hinab. Ihr Schrei, durchdringend, verhallt.
[369]
BOTE ehern.
Verzehre dich!
Dir widerfährt
nach dem Gesetze!
Blitz, Donner, Posaune.
DIE STIMMEN DER FÄRBERSLEUTE.
Sterben, sterben!
Weh uns Armen!
Offene Verwandlung.
Allmählich erhellt sich, aber noch nicht zu völliger Klarheit, das Innere eines tempelartigen Raumes. –
Eine Nische, die mittelste, ist verhängt.
Die Kaiserin, allein, steigt von unten empor.
Dienende Geister, fackeltragend, ihr entgegen, noch im Dunkel.
ERSTER.
Hab Ehrfurcht!
ZWEITER.
Mut!
DRITTER.
Erfülle dein Geschick!
Sie verschwinden.
DIE MENSCHENSTIMMEN tönen von draußen herein, doch schwächer und schwächer, als wären Türen zugefallen.
Weh, verloren!
Hab Erbarmen! –
Sterben! Sterben!
Weh uns Armen!
DIE KAISERIN auf die verhängte Nische zu.
Vater, bist dus?
Drohest du mir
aus dem Dunkel her?
Hier siehe dein Kind!
Mich hinzugeben
hab ich gelernt,[370]
aber Schatten
hab ich keinen
mir erhandelt.
Nun zeig mir den Platz,
der mir gebührt
inmitten derer,
die Schatten werfen.
Ein Springquell goldenen Wassers steigt leuchtend aus dem Boden auf.
DIE KAISERIN einen Schritt zurückgehend.
Goldenen Trank,
Wasser des Lebens,
mich zu stärken,
bedarf ich nicht!
Liebe ist in mir,
die ist mehr.
STIMME VON OBEN.
So trink, du Liebende, von diesem Wasser!
Trink, und der Schatten, der des Weibes war,
wird deiner sein, und du wirst sein wie sie!
DIE KAISERIN.
Jedoch was wird aus ihr?
DIE STIMME DER FRAU draußen.
Barak!
BARAKS STIMME draußen.
Wo bist du?
DIE STIMME DER FRAU.
Wehe, wo?
BARAKS STIMME.
Her zu mir!
DIE STIMME DER FRAU.
Ach, vergebens!
BARAKS STIMME.
Weh! Verloren!
DIE KAISERIN.
Baraks Stimme!
Baraks Blick!
Meine Schuld[371]
hier wie dort,
dort wie hier!
Das Wasser fällt langsam.
Schaudernd.
Sternennamen
rief ich an,
rein zu bleiben
von Menschenschuld!
Blut ist in dem Wasser,
ich trinke nicht!
Das Wasser versinkt gänzlich.
Doch weich ich nicht!
Mein Platz ist hier
in dieser Welt.
Hier ward ich schuldig.
hierher gehör ich.
Wo immer du
dich birgst im Dunkel –
in meinem Herzen
ist ein Licht,
dich zu enthüllen!
Ich will mein Gericht!
Zeige dich, Vater!
Mein Richter, hervor!
Das Licht hinter dem Vorhang wird stärker und stärker, endlich ist seine Kraft so groß, daß der Vorhang zum durchsichtigen Schleier wird. In der strahlend erhellten Nische sitzt auf steinernem Thron der Kaiser. Er ist starr und steinern, nur seine Augen scheinen zu leben.
DIE KAISERIN gesprochen.
Ach! Weh mir!
Mein Liebster starr!
Lebendig begraben
im eigenen Leib!
Erfüllt der Fluch!
Meines Wesens
unschuldige Schuld
an ihm gestraft,[372]
weil er zu sehr
mein Geheimnis geliebt,
um das er mich wählte –
erbarmungslos
dahingeopfert
meinem Geheimnis
sein liebendes Herz!
Ungelöst
meiner Seele Knoten
von Menschenhand –
Starr nun die Hand,
die ihn nicht löste –
Versteinert sein Herz
von meiner Härte!
Mein Geschick
seine Schuld!
Meine Schuld
sein Geschick!
Weh, ihr Sterne,
also tut ihr
an den Menschen!
Sie nähert sich in Verzweiflung dem Versteinerten.
Mit dir sterben,
auf, wach auf!
Aug in Aug,
Mund an Mund
mit dir vereint,
laß mich sterben!
Sie will hervor, den Versteinerten zu umschlingen, und wagt es nicht. Wie sie in Angst vor dem auf sie gerichteten Blick nach der Seite zurückgeht, folgen ihr die Augen des Kaisers nach.
DIE KAISERIN in höchster Qual.
Nicht diesen Blick!
Ich kann nicht helfen,
ich kann nicht!
Sie fällt zusammen, bedeckt die Augen mit den Händen. Die Statue glüht im stärksten Licht, die Augen mit stummer Bitte auf die Kaiserin gerichtet.
[373]
UNIRDISCHE STIMMEN dumpfdröhnend wie aus Abgründen.
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!
Die Statue verdunkelt sich wie Blei. Vor ihren Füßen hebt sich wie früher das goldene Wasser leuchtend empor.
STIMME VON OBEN.
Sprich aus: Ich will! und jenes Weibes Schatten
wird dein!
Und dieser stehet auf und wird lebendig
und geht mit dir!
Und des zum Zeichen neige dich und trink!
DIE KAISERIN in furchtbarem Kampfe auf dem Boden liegend; gesprochen.
Versuch mich nicht,
Keikobad!
Ich bin dein Kind!
Laß mich sterben,
eh ich erliege!
BARAKS STIMME draußen.
Nirgend Hilfe!
DER FRAU STIMME.
Wehe, sterben!
DIE KAISERIN erhebt sich auf die Knie, ihren Lippen entringt sich ein qualvoller stöhnender Schrei, in dessen Intervallen die Worte.
Ich – will – nicht!
hörbar sind. – – Sogleich wie diese Worte hörbar werden, sinkt das Wasser hinab, der Raum, nach einer kurzen Dunkelheit, erhellt sich von oben. – Von der Kaiserin, die sich wie unbewußt vom Boden erhoben hat, fällt ein scharfer Schatten quer über den Boden des Raumes. – – Der Kaiser erhebt sich von seinem Thron und schickt sich an, die Stufen hinabzusteigen.
DER KAISER.
»Wenn das Herz aus Kristall
zerbricht in einem Schrei,
die Ungebornen eilen
wie Sternenglanz herbei.
Die Gattin blickt zum Gatten,[374]
ihr fällt ein irdischer Schatten
von Hüfte, Haupt und Haar.
Der Tote darf sich heben
aus eignen Leibes Gruft –
die Himmelsboten eilen
hernieder aus der Luft!«
So ward mir zugesungen,
da ich im Sterben war.
Nun darf ich wieder leben!
Schon kommt die heilge Schar
mit Singen und mit Schweben –
Das Licht von der Kuppel herab ist stärker und stärker geworden. Nun dringen, von oben her, die Stimmen der Ungeborenen hernieder.
EINZELNE.
Hört, wir wollen sagen: Vater!
ANDERE.
Hört, wir wollen »Mutter« rufen!
EINIGE.
Steiget auf!
ANDERE.
Nein, kommt herunter!
Zu uns führen alle Stufen!
DIE KAISERIN deutet nach oben.
Sind das die Cherubim,
die ihre Stimmen heben?
DER KAISER von der untersten Stufe.
Das sind die Nichtgeborenen,
nun stürzen sie ins Leben
mit morgenroten Flügeln
zu uns, den fast Verlorenen:
uns eilen diese Starken
wie Sternenglanz herbei.
Du hast dich überwunden.
Nun geben Himmelsboten
den Vater und die Kinder,
die Ungebornen, frei!
Sie haben uns gefunden,
nun eilen sie herbei!
[375] Er ist von der untersten Stufe herabgestiegen. Die Kaiserin will ihm entgegen, deutet nach oben, von wo ein immer hellerer Schein herabdringt, ein silbernes Klingen dem Gesang der Ungebornen präludiert, sie sinkt in die Knie. Der Kaiser, der Kaiserin gegenüber, fällt gleichfalls auf die Knie. Die Ungeborenen fangen an zu singen. Die Kaiserin und der Kaiser bergen jedes sein Gesicht in den Händen.
DIE UNGEBORENEN von oben.
Hört, wir gebieten euch:
Ringet und traget,
daß unser Lebenstag
herrlich uns taget!
Was ihr an Prüfungen
standhaft durchleidet,
uns ists zu strahlenden
Kronen geschmeidet!
Der Kaiser und die Kaiserin haben sich, mit Entzücken aufwärts blickend, erhoben.
DIE KAISERIN indem ihre und des Kaisers Hände sich berühren.
Engel sinds, die von sich sagen!
Ihre Stärke will uns tragen!
Ungeboren, preisgegeben,
ohne Anker, ohne Ziel!
Wie sie rufend uns unischweben,
bin ich, bin ich dir gegeben!
DER KAISER.
Nirgend Ruhe, still zu liegen,
nirgend Anker, nirgend Port,
nichts ist da – nur aufzufliegen
ist ein Ort an jedem Ort.
Wie sie rufend uns umschweben,
bist du, bist du mir gegeben!
Sie halten einander umschlungen. Helles Gewölk umschließt sie.
[376] Verwandlung.
Eine schöne Landschaft, steil aufsteigend, hebt sich heraus. Inmitten ein goldener Wasserfall, durch eine Kluft abstürzend. Kaiser und Kaiserin werden über dem Wasserfall sichtbar, von der Höhe herabsteigend.
DIE FÄRBERIN von links auf schmalem Fußpfad.
Trifft mich sein Lieben nicht,
treffe mich das Gericht,
er mit dem Schwerte!
Eilt vor bis an den Abgrund.
BARAK auf der gegenüberliegenden Seite.
Steh nur, ich finde dich.
Schützend umwinde dich,
ewig Gefährte!
Indem sie ihn gewahr wird, ihm die Arme entgegenstreckt, fällt ihr Schatten quer über den Abgrund.
BARAK jubelnd.
Schatten, dein Schatten,
er trägt mich zu dir!
DIE FRAU.
Gattin zum Gatten!
Einziger mir!
DIE UNGEBORENEN von oben.
Mutter, dein Schatten!
Sieh wie schön!
Sieh deinen Gatten
zu dir gehn!
Im Augenblick fällt an Stelle des Schattens eine goldene Brücke quer über den Abgrund.
Barak und die Frau betreten die Brücke, liegen einander in den Armen.
Der Kaiser und die Kaiserin sind oben dicht an den Rand des Absturzes herausgetreten.
Sie wenden sich nach abwärts, die beiden anderen blicken zu ihnen empor.
BARAK.
Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt,[377]
nun will ich schaffen, wie keiner geschafft,
denn durch mich hin strecken sich Hände,
blitzende Augen, kindische Münder,
und ich zerschwelle
vor heiliger Kraft!
DER KAISER weist hinunter auf die beiden, weiter hinunter auf die Menschenwelt.
Nur aus der Ferne
war es verworren bang,
hör es nun ganz genau,
menschlich ist dieser Klang!
Rührende Laute –
nimmst du sie ganz in dich.
Brüder, Vertraute!
DER CHOR unsichtbar, hineinjauchzend.
Brüder, Vertraute!
DIE BEIDEN FRAUEN miteinander.
Schatten zu werfen,
beide erwählt,
beide in prüfenden
Flammen gestählt.
Schwelle des Todes nah,
gemordet zu morden,
seligen Kindern
Mütter geworden!
Schleier vorfallend, die Gestalten und die Landschaft einhüllend.
DIE STIMMEN DER UNGEBORENEN im Orchester.
Vater, dir drohet nichts,
siehe, es schwindet schon,
Mutter, das Ängstliche,
das euch beirrte.
Wäre denn je ein Fest,
wären nicht insgeheim
wir die Geladenen,
wir auch die Wirte!
Vorhang.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Frau ohne Schatten
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