[387] Das »Chinesische Zimmer« Ein nicht zu breiter, mäßig tiefer Raum mit zwei großen Fenstern. Rechts eine kleine, links eine große Tür. Diese letzte von einem schimmernden Perlenvorhang verdeckt, den ein grünliches, grimmig aufgerecktes, grotesk stilisiertes Löwenungeheuer ziert. Die Wand, deren Ecken leicht abgeschrägt sind, ebenso wie die gleichfalls etwas abgeschrägte Ecke, ist mit einer alten, tiefdunkelblau leuchtenden Seide überspannt, in der aus einem gestickten, sich kringelnden Wolkenkranz, der zugleich als Fries dient, ebenfalls gestickt, mit mächtigen, sich kreisrund breitenden Schwingen, ein riesiges, märchenfarbnes Phönixpaar schwebt. Die beiden Türen sind von altem, kostbarem Schnitzwerk umrahmt, dessen ehemalige Buntheit – phantastisch vergoldete Pflanzenornamentik – bereits diskret verblaßt ist. In der Mitte des Raums, auf einem ebenfalls chinesischen Teppich, der den ganzen Boden deckt, ein nicht zu hohes, gestrecktes Postament, auf dem sich, als eigentliches Prunkstück, ein bronzener, »tausendgliedriger« Drachen windet, gezügelt vom bärtigen »Herrscher der Meere«, der nach der kleineren Tür zu drohend seinen Dreizack schwingt. Unmittelbar vor diesem Postament – ebenso wie
dieses aus einer schweren, dunkelbraunen, reich skulpturierten Holzart – dem Zuschauerraum zu ein breiter Armstuhl, und ganz nach vorn, rechts wie links, ein damit harmonierendes Tischchen mit je einem kleinen Hocker. In den abgeschrägten Ecken zwei riesige Stehlampen: durchbrochne, mit hell blutroter Seide hinterlegte Bronzekugeln. An den Wänden außerdem mit allerhand auserlesnem, »östlichem« Bricabrac gefüllte Schränke und Vitrinen und zwischen den beiden Fenstern ein Waffenarrangement. Diese Fenster, auf die beim Aufgehn des Vorhangs prall die Sonne scheint, sind von langen, gelbseidnen Vorhängen verhüllt, in denen sich dunkle Blätterschatten abzeichnen. Die Bühne, nachdem der Vorhang aufgegangen ist, steht einen Augenblick leer. Die ferne Großstadtmusik nur noch ganz diskret und gedämpft.[388]
MARIANNE während die Blätterschatten durch eine plötzlich aufziehende Wolke matt werden und etwas verschwimmen, mit allen Anzeichen innerer Erregung durch die kleine Tür rechts; sie sucht diese, mit vorgedrücktem linken Knie, instinktiv zu verriegeln, findet aber, woran sie in ihrer Eile und Aufregung nicht gedacht, nicht die entsprechende Vorrichtung, eilt hastig zu dem bunten, matt glitzernden Waffenarrangement zwischen den beiden Fenstern, enthakt diesem einen kleinen, geschliffnen Dolch und steht nun, das von den lang herabfließenden Falten ihres Kleides verdeckte Mordinstrument in der krampfhaft geballten Rechten, aufrecht vor dem Mittelpostament, die Augen gespannt auf die kleine Tür geheftet.
UEXKÜLL durch diese Tür; letzte, englische Mode, »tipptopp«, den Hut in der Hand; eleganteste, weltmännische Verbeugung, als ob sich sein unerhörtes Eindringen bis in diesen Raum eigentlich ganz von selbst verstünde. Gnädigste Frau?
MARIANNE deren Augen blitzen. Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie können Sie sich unterstehn ...
UEXKÜLL der sich nach allen Seiten sofort scharf umgeblickt; sein Benehmen ist von größter Sicherheit und Ruhe, zu der nur sehr selten ein auffällig entschlossnes, energisches Zugreifen und ein sich Dienstbarmachen der Situation ganz überraschend kontrastieren; die Augen noch immer lebhaft beschäftigt; im Ton eines entzückten, ganz überraschten Kenners. Ein seltsam ... köstlicher Raum hier!
MARIANNE über seine gelassne, unglaubliche Kaltblütigkeit ganz entsetzt; dann sich sofort wieder fassend und noch gesteigerter als vorhin. Wollen Sie mir, bitte, Aufklärung geben, wie Sie so ... zudringlich sein konnten ... auf fremdem Grund und Boden einer Ihnen gänzlich unbekannten Dame ... bis durch drei Türen zu folgen?
UEXKÜLL von der eigentümlichen Haltung ihrer Rechten, die ihm auffällt, nach dem Arrangement zwischen den Fenstern blickend und wieder zurück. Ich bitte tausendfach um Verzeihung, aber ...
MARIANNE noch erregter. Sie hätten doch schon heute vormittag ... und zwar mit aller wünschenswerten Deutlichkeit ersehn müssen, daß mir Ihre Annäherung ...[389]
UEXKÜLL die »Höflichkeit selbst«. Ich bitte nochmals um Verzeihung ... Ähnlich wie vorhin. aber in jener prachtvollen, alten Armatur ... fehlt ein kleiner, spitzer ... ja, wahrscheinlich sogar sehr spitzer ... Plötzlich schnell auf sie zu und sie fest um das Handgelenk packend. Pardon! Der Dolch gleitet sofort in den Teppich. Gegenstand! ... Sich bückend und ihn aufhebend; das nicht ungefährliche Ding schon in der Hand; fast mitleidig-vorwurfsvoll. Wozu zwischen uns ...? Die Waffe wieder an ihren Platz hängend; zu Marianne bereits zurückgewandt. Gnädige Frau werden mir gütigst nachsehn, wenn ich Sie daran zu erinnern wage, aber ... Bei diesen Worten schon wieder vor ihr. gnädige Frau stehn doch einem Gentleman gegenüber!
MARIANNE bis an das Postament mit großen, starr offnen Augen vor ihm zurückgewichen; schwer atmend. Ich weiß ... überhaupt noch nicht ... wem ich gegenüberstehe!
UEXKÜLL diskret-verbindlich. Gnädigste erinnern sich nicht?
MARIANNE wie vorhin; fast mechanisch. Ich habe Sie, außer heute vormittag ... noch nie ... Abbrechend.
UEXKÜLL jetzt, einen Moment, offenbar selbst ganz verblüfft. Wie kann aus dem Gedächtnis einer Frau ...?
MARIANNE die sich inzwischen etwas gefaßt hat. Vielleicht helfen Sie diesem Gedächtnis ... ein wenig nach?
UEXKÜLL zuvorkommend; liebenswürdig; ganz »Gent«. Es wird mir zwar stets ... ein Vergnügen sein ... mich jeder Ihrer Launen ... und sei es auch der kapriziösesten, zu fügen ...
MARIANNE schnell. Dann bitte!
UEXKÜLL noch in seinem selben Satz weiter. Nur begreife ich wirklich nicht ...
MARIANNE scharf. Darf ich meine Bitte wiederholen?
UEXKÜLL kurzes, noch immer etwas erstauntes Zögern. Wenn Sie es ... wünschen ...?
MARIANNE fest. Ich wünsche es!
UEXKÜLL nach einer kleinen Pause; Wolke noch dunkler; die Blätterschatten vollständig verschwunden. Es war an einem ... Abend ... einem sehr häßlichen, regnerischen Märzabend ...
MARIANNE die sofort, ganz seltsam, aufgehorcht hat. »Märzabend ...?«
UEXKÜLL ihre Frage mit einem leichten Nicken bestätigend. Als eine[390] junge ... auffallend schöne Frau ... die ihr schweres, dunkelgoldkastanienbraunes Haar in ein seltsam schillerndes, indisches Schleiergewebe gehüllt trug ... Abbrechend; wie in der Erwartung, daß die rekapitulierten Details doch nun hoffentlich bereits vollauf usw. usw.
MARIANNE die jedes seiner Worte fast »verschlungen«. Sprechen Sie! ... Sprechen Sie weiter!
UEXKÜLL mit Augen wie ein Hypnotiseur. Diese junge Frau, von einem entzückend südlichen Typus, mit einem Profil ... Auf eine kurze, unwillig abkehrende, fast wie degoutiert wirkende Geste von ihr. Gut. Ich werde mich also nur noch ... auf das Notwendigste beschränken! ... Nach einer erneuten, ganz kleinen, sehr klug berechneten Steigerungs- und Kunstpause. Diese Dame, wie ich dies später aus gewissen, kleinen, mir verbliebnen Belegstücken habe rekonstruieren können, hatte an jenem Abend ... ich kann Ihnen auch noch sogar ganz genau das Datum sagen, es war an einem Siebzehnten gewesen ... Marianne fast zusammengezuckt. eine auffällige, etwas absonderliche Runde durch eine Anzahl hier im Westen gelegner Apotheken gemacht. Als sie mit diesen ... und ihrer vielleicht nicht zu weit reichenden Ortskenntnis zu Ende war ... muß sie ... ich schätze ungefähr am Magdeburger Platz ... eine Droschke genommen und so ihre merkwürdige Tour fortgesetzt haben. Am Belleallianceplatz, Ecke Wilhelmstraße, weigerte sich der Kutscher, der mir kein schlechter Menschenkenner schien, seine vergeblich dagegen protestierende Insassin ... noch weiter zu fahren. Fünf von diesen »alten Giftbudiken« ... verzeihn Sie, aber so populär-prononciert äußerte sich der Mann ... wären genug! ... Gnädige Frau erkundigten sich dann bei dem Schutzmannsposten Hallesches Tor nach der nächsten Apotheke gegen die Johanniskirche zu und verlangten dann dort ... gnädige Frau hatten in Ihrer Aufregung nicht gemerkt, oder darauf geachtet, daß ich Ihnen gefolgt war ... ein »halbes Dutzend Veronalpulver«. Der etwas ältre, erfahrne Herr mit der unvermeidlichen, deutschen, goldnen Brille verabfolgte Ihnen, vorsichtig, nur eins. Auf der halbdunklen Straße draußen wieder angelangt, ließen gnädige Frau sich durch ein kleines, ärmlich gekleidetes[391] Mädchen, dem gnädige Frau, wie es schien, ein dafür ganz überraschend hoch bemessnes Geldgeschenk verabreichten, nach der abermals nächsten Apotheke führen, und als Sie aus dieser heraustraten, erlaubte ich mir die Kühnheit, mich gnädiger Frau vorzustellen, mit der ergebnen Anfrage, ob gnädige Frau wünschten, noch zu einer weiteren Offizin geführt zu werden. Gnädige Frau ... Gedämpftes, dunkles Auto. blickten mich erschrocken an, als ob ich ein Wesen aus einer andern Welt wäre! ... Zwei reichlich Betrunkne jener Gegend näherten sich uns in diesem Augenblick, und gnädige Frau waren vernünftig und einsichtsvoll genug, mit mir in einen Wagen zu steigen, der grade vom Urban kam.
MARIANNE durch seine Unterbrechung ganz ungeduldig. Weiter!
UEXKÜLL mit derselben Ruhe und Sicherheit, in seiner Bestimmtheit unvermindert, seinen Bericht jetzt schließend. Wir landeten in einem sehr netten Lokal der Friedrichstadt ... in einem kleinen, achteckigen Rokokozimmerchen, das reizend war ... die gefährlichen Medikamente hatte ich unterwegs schon beschlagnahmt ... und so anfänglich gnädige Frau gedrängt hatten, es war bereits gegen Eins geworden, als ein grausames Automobil ... Letzte, raffinierte kleine Kunstpause; langsam; fast jede Silbe unterstrichen. uns unserm Idyll entführte!
MARIANNE der fast der Atem stockt; zu Tode erschrocken. Hierher!
UEXKÜLL beeilt-verbindlich. Leider nein. Ich kann es zwar immer noch nicht ganz begreifen ... warum gnädige Frau ... mich alles dies erzählen lassen ...
MARIANNE kaum fähig, noch zu sprechen; die Augen in diesem Moment geschlossen. Wohin ... hat mich das Automobil ... »entführt«?
UEXKÜLL trotz seiner fast absoluten Selbstbeherrschung in diesem Augenblick doch wieder ganz erstaunt-überrascht. Wenn gnädige Frau ... mir das heute nicht selbst verraten können ...? An der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche war ich auf gnädiger Frau wiederholtesten, dringlichsten Wunsch ausgestiegen, weil Ihr verehrter Herr Gemahl ... Leis ironisch. angeblich Kurfürstendamm sechsundachtzig wohnte, ein neues, baldiges Wiederzusammentreffen war zwischen uns fest verabredet worden, als ich bereits am nächsten Tage ... leider für mich zu spät ... dahinter[392] kam, daß mich gnädige Frau ... Abbrechend und sofort weiter. Wären gnädige Frau ... nicht von einer so bestrickenden Liebenswürdigkeit gewesen, von einem so ... kaptivierenden, Sie dürfen mir das im Moment jetzt wirklich nicht verübeln, Verstellungsraffinement ... gnädige Frau hätten mich zu einer solchen Dummheit nie ... Nachträgliches Mißvergnügen und unverhohlenster Unmut über sich selbst. Die einzige, leichtfertige Vertrauensseligkeit meines Lebens!
MARIANNE nach einer kleinen Pause; wieder matte Blätterschatten; mit aller Kraft sich sammelnd. Und wenn ich nun ... die ... die Sie nach so langer Zeit ... endlich wiedergefunden zu haben glauben ... nicht wäre?
UEXKÜLL unterdrückt-leidenschaftlich; veränderter Tonfall. Warum ... peinigen Sie mich so? Warum quälen Sie mich? Daß ich an jenem Abend im Aufruhr meiner Leidenschaft für Sie ... mich in einem kurzen, unbewachten Augenblick von Ihrem berückenden Zauber habe überwältigen und hinreißen lassen ...
MARIANNE die sich kaum noch auf ihren Füßen hält. Schweigen Sie!
UEXKÜLL noch gesteigerter als vorhin. Nicht eine Stunde, nicht eine Sekunde habe ich Sie vergessen können! Schon damals hatte ich halb Berlin durchsucht! Und als ich Sie dann heute endlich ...
MARIANNE fast verzweifelt. Sie hören doch!
UEXKÜLL über ihre Worte hinweg. Dieser blöde, greuliche Unfall vor noch nicht drei Stunden am Kemperplatz hätte Sie mir fast abermals entrissen, wenn mich nicht mit einemmal ... nachdem ich alle Hoffnung schon so gut wie aufgegeben ... ein dunkler, vager Instinkt hier eben auch noch den Kanal entlang geführt hätte, wo ich plötzlich ... das große, mir auch jetzt noch unfaßbare Glück hatte, Sie durch ein wundervoll verschlungnes Gitter in einem blühenden Laubengang zu entdecken!
MARIANNE nochmal; mit letzter, in diesem Moment voll wieder- und zurückgewonnener Macht und Kraft. Ich habe Ihnen ... die Wahrheit gesagt! Die volle ... strikte Wahrheit! Ich bin nicht die ... die Sie in Ihrer Verblendung ...
UEXKÜLL jetzt wieder vollkommen Herr über sich selbst; leichte, chevalereske Verbeugung; lächelnd; fast mitleidsvoll. Aber meine Allergnädigste![393]
ONKEL LUDWIG in diesem Augenblick an seinem Stock durch die Tür rechts; vor Überraschung ganz starr. Herr ... Baron!!
UEXKÜLL der sich sofort gefaßt hat; scheinbar aufs höchste erfreut. Ah ... teuerster, verehrtester Herr Doktor!!
ONKEL LUDWIG von einem zum andern; noch immer wie verdattert. Ja ... bin ich denn ...?
UEXKÜLL geschmeidig-verbindlich. Da ich durch einen glücklichen Zufall erfahren, daß Sie Ihre Residenz hier wieder in Berlin aufgeschlagen ...
ONKEL LUDWIG zornig; fast drohend. Sie sind es also doch?
UEXKÜLL nach einem schnellen, halb wie fragend sich vergewissernden Blick zu Marianne rüber, die ihre Haltung noch nicht ganz wiedergewonnen hat; »aalglatt«. Ich ... verstehe zwar nicht, ich begreife gar nicht, worauf Herr Doktor anspielen, aber ...
ONKEL LUDWIG zu Marianne; Uexküll beinahe verächtlich messend; noch gesteigert. Dein kurioser Held ... vom Rolandsbrunnen?
UEXKÜLL als sei ihm das allergrößte Unrecht geschehn; bald zu ihm, bald zu Marianne rüber. Ich komme direkt vom Bahnhof Friedrichstraße! Ich bin vor knapp einer halben Stunde erst aus meinem Zug gestiegen! Es scheint hier irgend etwas ... wie eine Verwechslung, oder ein Irrtum vorzuliegen!
MARIANNE durch den Moment dazu gezwungen, diese Lüge nur mit Mühe über die Lippen bringend. Ich habe Herrn Baron ... vor fünf Minuten ... zum erstenmal gesehn!
ONKEL LUDWIG wieder von einem zum andern rüber; noch immer nicht ganz überzeugt. Das ist ... wahr?
UEXKÜLL fast »gekränkt«. Falls Herr Doktor etwa ... die Bestätigung meiner Angaben auch noch durch den Hotelportier wünschen ...
ONKEL LUDWIG widerwillig einlenkend; brummig. Nun, nun!
MARIANNE der für alle Beteiligten nachgrade etwas peinlich gewordnen Situation dadurch endlich ein Ende machend. Ich bitte dich wirklich ... nicht weiter ...
ONKEL LUDWIG zu Uexküll; ihm revozierend die mächtige Pratze bietend; erste Silbe betont. Na, denn ...
UEXKÜLL ihm die Hand ostentativ schüttelnd; draußen hellste Sonne. Es ist mir eine ... aufrichtige ... herzliche Freude!
ONKEL LUDWIG nunmehr ganz mit allem einverstanden; »versöhnlich«. Wußte[394] doch ... daß wir uns noch mal wiedersehn? ... Mit einer wie scheinbar nebensächlich-nachlässigen Handbewegung selbstbewußt-stolz durch den Raum weisend. Hä? ... Überrascht?
UEXKÜLL wie sich erst jetzt umblickend. Entzückend!
ONKEL LUDWIG durch diesen Eindruck »befriedigt«. Zwar schon scheußlich modernisiert, wie überhaupt fast alles hier ... Nach den beiden Lampen hin. sogar neuerdings ... elektrisch Licht, aber ... Das Haus seiner Geburt »erläuternd«. pompöser Kasten aus dem letzten Regierungsjahr Friedrichs des Großen! Erbaut für einen alten, philosophisch angelegten Haudegen seiner ehmalgen Tafelrunde! Nach hinterlassnen Plänen von Knobelsdorff!
UEXKÜLL wie aufs lebhafteste interessiert und überrascht. Was Sie sagen!
ONKEL LUDWIG immer eifriger; das betreffende »Möbel« ihm vordemonstrierend. Glauben Sie etwa miserabler, ganz gewöhnlicher, ixbeliebiger Krückstock? Einzges Pendant zu ihm hier im Hohenzollern-Museum! Dem ersten Inhaber und Besitzer allerhöchsteigenhändigst geschenkt und verliehen von seinem erhabnen, glorreichen, wohlauktionierten Herrn und König!
UEXKÜLL bewundernd. Ja ganz fabelhafte Reliquie!
ONKEL LUDWIG auf seinen Stab sich stützend. Jetzt von mir natürlich bloß benutzt ... »Knax«. huhp!!
MARIANNE besorgt. Du solltest deine Kräfte wirklich ...
ONKEL LUDWIG der sich bereits wieder zusammengeruckt hat; seinen Satz schließend; beruhigend zu Uexküll. Nur so trallala und pro forma ... Zu Marianne. Dir zu Liebe! Dir zu Liebe!
UEXKÜLL ebenso. Herr Doktor erfreuten sich zum Glück stets ...
ONKEL LUDWIG Geste; geschmeichelt abwehrend. Unberufen! Unberufen! »Für alle Fälle« dreimaliges, »dezent« markiertes »Ausspucken«; in seiner »Erläuterung« weiter. Der ganze Krempel von meinem Vater selig achtzehnhundertdreißig um dreiundvierzigtausend Taler Preußisch Courant bar angekauft! Wert heute fünfundzwanzigfach! ... Auf ein unwillkürliches, respektvoll-beifälliges Stutzen Uexkülls. Fünfundzwanzigfach! Halb nach den Fenstern hin. Einzges, noch nicht demoliertes Parkgrundstück in diesem ... ja nun leider auch schon längst passé gewordnen Viertel! ... Entsprechende, verdeutlichende Geste. Drüben, nach dem Tiergarten zu, Anno fünfundsiebzig, während meiner Abwesenheit,[395] zu meinem Kreuz und Leidwesen, von meiner Frau Mutter verschandelt durch einen ganz widerwärtgen, hundsmiserablen Vor- und Vorderbau im abscheulichsten, neumodischen Gründerstil! Pfui Deubel!
UEXKÜLL der unterdessen, von dem mit seiner vertraulich-großtuerischen Auskramerei zu Beschäftigten darin nicht beachtet, immer wieder heimlich Marianne beobachtet hat, die, zum Teil mit zu Boden gesenkten Blicken, trotz ihres inneren Aufruhrs, ihre Haltung zu bewahren versucht, beeilt zuvorkommend zu seinem auf so seltsame Art und Weise plötzlich wiedergefunden, ehemaligen, zeitweiligen Reisekameraden. Den Herr Doktor also doch sicherlich wieder abreißen lassen werden, sobald Herr Doktor ...
ONKEL LUDWIG der ihn bereits verstanden, abwinkend; seiner überragenden Würde sich bewußt. Versteht sich! Versteht sich! Nur der vorhandne Baumbestand und dies alte, ehrwürdige Landhaus bleibt!
UEXKÜLL noch in seinem selben Satz weiter; die beiden letzten Worte unterstrichen betont. Um dann als das eigentliche Sanktuarium ...
ONKEL LUDWIG wie vorhin. Selbstverständlich! Selbstverständlich! ... Zu Marianne. Der Herr Papa noch nich da?
MARIANNE während Uexküll sofort die Ohren gespitzt hat, in seiner Gegenwart durch diese Frage etwas peinlich berührt; den Namen »Georg« absichtlich ziemlich scharf hervorhebend. Ich habe dir bereits gesagt ... daß Georg ausdrücklich ...
ONKEL LUDWIG dessen seelische Epidermis auf allzu große Feinheiten, und nun gar noch in diesem Augenblick, nicht besonders gestimmt ist; seiner Sache sicher. Na denn kommt er noch! Bilde dir doch nicht ein, daß der so lange ...
MARIANNE ihn unterbrechend; mit einem halben, leis ungeduldigen Blick nach Uexküll. Es wäre vielleicht ... richtger ...
ONKEL LUDWIG nachgrollend. Mit der Platzbombe in der Hand! ... Zu Uexküll; veränderter »jovialer« Tonfall; in dem dunklen Gefühl, daß er eben vielleicht doch etwas wie in einen »Fett-Topp« getreten. Erinnern sich noch? Do you remember? Souvenez vous-en? Wie wir uns kennen lernten??[396]
UEXKÜLL einen Augenblick durch diesen kühnen Überfall ganz überrumpelt. Ich ... kann mich im Moment ...
ONKEL LUDWIG seinem Gedächtnis nachhelfend. Pästum?
UEXKÜLL wie nachträglich nicht begreifend, daß er dies weltgeschichtliche Ereignis auch nur eine Sekunde lang usw. Ah! Allerdings! Freilich!
ONKEL LUDWIG triumphierend. Jene alte Rosen-, Ruinen- und Tempelstadt? Als ich auf geheiligter ... dem Poseidon geweihter Schwelle ... Fett- Topp Nummer Zwei. Ihrer schönen Dame Geste. »Wie einst ...«. ein kleines Sträußchen selbstgepflückter Frühlingsmargueriten überreichte? Letzte, altväterischste Grandezza. Amore, more, ore ... re ... firmantur amicitiae!
UEXKÜLL zu Marianne, der Onkel Ludwig, so lieb sie ihn sonst hat, in diesem Moment einfach »schrecklich« ist. Herr Doktor waren damals so gütig, Bereits wieder zu Onkel Ludwig. uns mit Ihrem profunden Wissen ...
ONKEL LUDWIG auf den großen bequemen Mittelsitz zu; dabei nach dem kleinen Hocker links weisend; vertraulich-gemütlich. Setzen sich, lieber junger Freund, setzen sich! ... Durch seinen rechten Seitenschmerz etwas geniert, sich umständlich niederlassend. Ich bin überhaupt der einzge Mensch, der heut noch ... Wieder »Knax«; sich sofort aufrappelnd. äh! ... der heut noch Latein kann!
UEXKÜLL bereits an seinem Tischchen links. Verbindlichsten Dank! ... Zu Marianne rüber. Gestatten? Marianne, von Onkel Ludwig in diesem Augenblick nicht mehr gesehn, blickt ihn nur wie ganz erstaunt von oben herab an, was ihn aber nicht im mindesten hindert, den ihm von Onkel Ludwig angewiesnen Platz, ein ganz klein wenig betont leger, einzunehmen.
ONKEL LUDWIG zu Marianne; halb nach ihr zurückgedreht; nach dem Tischchen rechts weisend. Mariannchen! ... Wieder zu Uexküll, der auf dem Tischchen, vor dem er jetzt sitzt – ebenso, wie auf dem ihm gegenüber, an den sich nun Marianne setzt – eine flache, ziemlich große, ganz dünn geschliffne, milchig-graugrün schimmernde Schale auf einem schwarzen zierlich geschnitzten Holzuntergestell entdeckt hat, die er, wie davon lebhaft interessiert, mit »Kennermiene« betrachtet. Alte, echte Nephritopferschalen[397] aus irgend so 'nem tibetanischen oder südchinesischen Tabernakel! Von mir selbst mitgebracht!
UEXKÜLL dessen entzückter Enthusiasmus diesmal wirklich echt scheint. Wundervoll! ... Anknüpfend zu Marianne rüber. Herr Doktor interessierten sich damals ... Respektvoll zu dem Gefeierten. durch ganz Indien ...
ONKEL LUDWIG jetzt ganz in seinem Element; ihn unterbrechend und in seinem Satz weiter. Für sämtliche okkultistischen Manifestationen, Kundgebungen und Schaustellungen, deren ich überhaupt bloß habhaft werden konnte! Natürlich! Wozu bereist heut 'n halbwegs gebildeter Mensch sonst den Orient?
UEXKÜLL der unterdessen wieder die Gelegenheit benutzt hatte, nach Marianne rüberzublicken; beeilt artig. Gewiß! Allerdings! Aber ganz unbestreitbar!
ONKEL LUDWIG immer mehr und mehr bei seinen »alten Fahrten«. Entsinnen sich? Unsre phantastisch himmelhohe, steile Felsenfakirkrypte in Karli?
UEXKÜLL jetzt verbindlich wieder zu Marianne rüber. Auch mich ... ich muß gestehn ... reizten und fesselten alle diese Dinge ja lebhaft! Einschränkende, skeptische Geste. Wenngleich ...
ONKEL LUDWIG jetzt ebenfalls zu Marianne. Herrn Baron ... Kommentierend zu Uexküll rüber; Fett-Topp Nummro Drei. begleitete damals ein junges ...
UEXKÜLL schleunigst. Haben Herr Doktor, falls ich fragen darf, Ihr auf jener Reise so Jedes Wort, um den Angeredeten möglichst auf ein andres Thema zu bringen, nach Kräften prononciert. so sehnlichst gesuchtes Medium inzwischen ...
MARIANNE auf eine nach ihr wie vorstellend präsentierende Geste Onkel Ludwigs; ganz entsetzt. Onkel!
ONKEL LUDWIG der sich dadurch nicht ans seinem »Konzept« bringen läßt. Papperlapapp!
MARIANNE wie um ihn mit aller Gewalt noch im letzten Moment von seiner mehr als überflüssigen Indiskretion abzubringen. Du hast nicht das Recht ...
ONKEL LUDWIG nochmal wie vorhin; »a« kurz. Da! Fünf Schritt Ihnen gegenüber!
MARIANNE empört aufgestanden. Es ist von dir im höchsten Grade ...[398]
ONKEL LUDWIG noch verstärkt. Mit allen Phänomenen, die sich sonst ... eigentlich bloß vereinzelt finden!
UEXKÜLL der sich jetzt ebenfalls erhoben hat; mit allen Anzeichen höchster Überraschtheit zu Marianne rüber. Ich bin ganz ...
GEORG durch die große Tür links, deren Drücker er noch in der Linken hält, während er mit der Rechten den Perlenvorhang gehoben; mit seinen Augen das Zimmer durchsuchend und dabei den ihm gänzlich Fremden erblickend; unangenehm überrascht; Blätterschatten wieder blässer. Verzeihung!
MARIANNE ganz erstaunt; fast betroffen; unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Du?
GEORG noch ähnlich wie vorhin; nur jetzt lediglich zu Marianne rüber. Ich hätte noch gern ...
ONKEL LUDWIG sitzen geblieben; die Herren von weitem einander vorstellend. Mein Freund, Baron Uexküll ... mein Neffe, Professor Doktor Dorninger! Marianne hinter ihrem Tischchen, auf das sie sich stützt, beide gespannt-angstvoll beobachtend.
UEXKÜLL zu dem federnd näher Getretnen; sofort die Verbindlichkeit selbst. Sehr erfreut ... Habe bereits das große Vergnügen ... wenn auch nur aus ... von fern bewunderten Schriften ...
GEORG dicht vor ihm; ihn scharf messend; dabei sofort mißbilligend-verwundert seinen Hut streifend, den Uexküll bei seinem schnellen, eigenmächtigen Eindringen vorhin weder die Zeit noch die Gelegenheit gehabt, in der Vorhalle abzulegen. »Uexküll«? ... Die gesuchte Erinnrung in seinem Gedächtnis findend. Ostseeprovinzen!
UEXKÜLL durch diese Art sofort auf dem Qui vive; kurz, kühl; aber sich noch halb verbeugend. Ungefähr!
ONKEL LUDWIG noch immer sitzend; seinen Protegee »erläuternd«. Der interessante, junge Mann ... von dem ich dir und unserm lieben Mariannchen ...
GEORG in seinem Satz, den er ihm ungeduldig- rücksichtslos unterbrochen, weiter; den etwas erstaunten Uexküll dabei stehnlassend. Schon so wiederholt und oft ... Sarkastisch. Entsinne mich! ... Bereits im Raumteil rechts; zu Marianne rüber; andrer Tonfall; ohne sie anzublicken. Ich hätte noch gern ... einiges mit dir besprochen![399]
MARIANNE die sich inzwischen wieder gefaßt hat. Wie du wünschst.
UEXKÜLL der sich auf diese Weise plötzlich wie »Luft« behandelt sieht; in Ton und Haltung eines sich Verabschiedenden. Herr Doktor?
ONKEL LUDWIG die Situation allmählich begreifend; schneller, empörter Blick nach Georg rüber, der diesen aber nur in den Rücken trifft. Ach, so! ... Beide »a« kurz, das letzte betont. Jaja! ... Ganz hilflos; nach allen Seiten hin. Eine Temperatur heut ...
GEORG »konstatierend«, trocken; ohne sich in seiner Promenade dadurch stören zu lassen. Noch zwei Stunden, und wir kriegen das schönste Gewitter!
UEXKÜLL der inzwischen wiederholt scharf, wie um sich über ihr beiderseitiges Verhältnis zu orientieren, von Georg zu Marianne geblickt; nochmal. Wenn Sie gestatten ... daß ich mich jetzt empfehle?
ONKEL LUDWIG tolpatschig-taprig; wie ganz verdutzt zu ihm rauf. Sie stören nicht!
GEORG zuklappend wie mit einem Hammerschlag; wieder Blick nach dem Hut. Nicht im geringsten!
UEXKÜLL der diesen Blick wieder nicht grade angenehm empfunden; Georg ignorierend; noch immer zu Onkel Ludwig. Zu gütig.
ONKEL LUDWIG an seinem Stock sich jetzt mühsam hochkräpelnd. Ich muß Ihnen doch noch wenigstens ... unser Haus und ...
GEORG ihn unterbrechend; sehr »deutlich«; mit dem nochmals indirekten Versuch, Uexküll dadurch abzuwimmeln. Du wirst dich überanstrengen!
UEXKÜLL der Onkel Ludwig sofort dienstbereit zur Hilfe gekommen. Sehr liebenswürdig!
ONKEL LUDWIG aus seinem pompösen Armstuhl nun glücklich wieder auf den Beinen. Lassen Sie nur, Barönchen! Lassen Sie nur! Geht schon! Geht schon! ... »Knax«. Hühp?! ... Sich reckend. Mille remerciments! ... Hoheitsvolle, fast »königliche« Geste auf die Tür links. Also dort winkt uns zunächst ... wie der Dichter sagt ... das hohe, schimmernde Atrium dieses alten, ehemaligen, jetzt emeritierten und degradierten Herren- und Edelsitzes ... Von seinem Schützling halb unterstützt, halb begleitet, auf diese Tür zu. da sollen Sie 'n beinah echten Tiepolo sehn ... und wenn ich Ihnen dann ... meine bunten Rabatten gezeigt habe ...[400]
UEXKÜLL bereits an der Tür; zu Georg und Marianne zurück; offiziersmäßig. Herr Professor? ... Meine Gnädigste? ... Vor Onkel Ludwig den Perlenvorhang hebend. Darf ich mir erlauben?
ONKEL LUDWIG bevor er das derangierte Löwenungeheuer passiert; mit nochmaligem Retardement; nicht ohne gewisse, ihn sowohl wie seinen Gast sozusagen rehabilitierende, naive Renommage zu Georg rüber. Seit wir das letztemal ... an den Ufern des Manzanares promenierten ... ist mir in dies alte, fossile Knochengestell ...
UEXKÜLL ihm nun auch noch die Tür selbst öffnend. Bitte?
ONKEL LUDWIG jetzt ebenfalls nochmal zurück. Aber glaubt etwa ja nicht ... daß wir nich wiederkommen!
UEXKÜLL bevor er hinter ihm den Raum verläßt; wie vorhin. Nochmals!
MARIANNE nachdem beide verschwunden; mit aller Energie sich zusammenraffend. Ich hätte nach unserm Abschied ... nicht mehr erwartet ...
GEORG der Uexküll kaum gedankt; stehngeblieben; losplatzend; die Sonne in den Vorhängen ganz erloschen. Wie kommt dieser Mensch ... in unser Haus?!
MARIANNE achselzuckend; den noch immer in ihr tobenden Aufruhr geschickt vor ihm verbergend. Ich kann dir darauf wirklich ...
GEORG mit instinktivem Widerwillen; fast wie schon jetzt seinen Todfeind in ihm witternd; inquirierend. Um Onkel Ludwig, der ihm doch höchstens ... eine bloß mehr oder minder amüsante, oder groteske Globetrotter-Erinnrung sein kann ... auf einmal improvisierte Krankenwärterdienste zu leisten? Oder mir, mit seinem Hut in der Hand, mißglückte Komplimente an den Kopf zu werfen?
MARIANNE ablehnend-ausweichend; mit Gewalt ihre Fassung bewahrend. Du stellst mir Fragen ...
GEORG elementar aus sich heraus; seinen Gang wieder aufnehmend. Der Mensch ist mir widerwärtig! ... Diese kalten ... unverschämten Metallaugen ...! Mit solchen Blicken empfiehlt man sich nicht von einer Dame der Gesellschaft, mit der man nur oberflächlich ... erst einige Worte gewechselt ... und die man noch nie vorher gesehn hat!
MARIANNE die sich nur noch mit Mühe aufrecht hält; gegen die dunkle,[401] unbestimmte Verdächtigung, die aus diesen Worten klingt, sich zur Wehr setzend. Du sprichst ...
GEORG kurz, hart; alles Weitre ihr abschneidend. Ich rede nicht von dir! Ich rede von ihm! ... Nach einer kleinen, verstimmten Pause; noch aufgebrachter und ungehaltner als vorhin; auf seine alte, fixe, verquer unglückliche Sündenbock- und Prügelknabenidee eigensinnig wieder znrückkommend. Da siehst du, wie fahrlässig und verkehrt es von dir damals war ... ein so ausgefallenes, gefährliches Original und Unikum, wie Onkel Ludwig ...
MARIANNE leis ungeduldig-ablenkend; ihn zu beruhigen suchend. Mein Gott, daran ist doch jetzt ...
GEORG erbittert durch die Zähne. Muß einem noch im letzten Augenblick ... Plötzlich; nach ihr umgedreht; mit erneutem, nun noch gesteigertem Unbehagen und Mißtrauen; von draußen, gedämpft, Pferdegetrappel. Wie kam dieser Gent übrigens dazu, dich für eine verheiratete Frau zu halten? Hat Onkel Ludwig dich ihm denn nicht richtig vorgestellt? ...Da er in diesem Augenblick denn doch, und zwar beinahe mit Entsetzen bemerkt, daß sie unter seinen Worten fast wankt. Was ist dir? ... Was hast du? ... Bist du krank?
MARIANNE ganz erschöpft; an ihrem Tischchen sich niederlassend; das von ihm abgewandte Gesicht leicht hinter der aufgestützten Rechten bergend. Du weißt ... ich fühle mich jetzt manchmal plötzlich so elend abgemattet und schwach ...
GEORG wieder auf und ab; durch diesen augenscheinlichen »Anfall«, an dem er sich im letzten Grunde mit selbst die Schuld beimessen muß, sofort um eine erhebliche Anzahl Nüancen milder gestimmt. Es tut mir leid ... und ich bedaure aufrichtig, daß wir deine Kräfte durch diese übermäßigen Sitzungen so unvernünftig haben in Anspruch nehmen müssen! Aber ich durfte die Rücksichtnahme auf deine Person ...
MARIANNE müde, fast apathisch; aber dabei doch in ihrem Innern »froh«, daß der vielleicht allergefährlichste Kelch eben noch so glücklich an ihnen vorübergegangen war. Ich beschwere ... und beklage mich ja auch nicht!
GEORG durch diese provokatorisch taubenblütige Sanftmut, ohne daß[402] er sich eigentlich darüber Rechenschaft ablegen kann warum, doch bereits wieder auf das Empfindlichste gereizt. Nein, nein! Das tust du nie! Das tust du nie! Das kann man dir beim besten Willen ...
MARIANNE mit sehr starker, innerer Überlegenheit. Wirf es mir nur ruhig vor!
GEORG »nervös«. Jedes zweite Wort von mir empfindest du jetzt als Vorwurf!
MARIANNE gelassen. Wenn es ... keiner war ...
GEORG unterdrückt heftig. Es wäre von allem Anfang an ... und zwar schon sofort bei unserm ersten Zusammensein damals ... von dir gescheuter gewesen ... Abbrechend.
MARIANNE ihn groß anblickend. Was?
GEORG ihren Blick nicht erwidernd; beide Fäuste unwillkürlich krampfhaft geballt. »Was«! »Was«!! Diese dumme, gräßliche, lächerliche Kandare, in die man ewig hineinbeißt?
MARIANNE langsam; schwer. Leidest du ... allein drunter?
GEORG kurze Pause; veränderter Tonfall; stockend; einen Moment fast etwas wie »Herz«. Du hast mir ... in der ganzen Zeit ... ich weiß ... Opfer um Opfer gebracht! Und ich habe noch nie etwas getan ... um sie dir auch nur im geringsten ...
MARIANNE leise; warm. Ich ... brachte sie dir gern!
GEORG gepreßt ausholend. Und zum Dank dafür ... verlasse ich dich jetzt! In dieser häßlichen, unangenehmen ... prekären Situation gegenüber deinem Vater ...
MARIANNE die jetzt plötzlich ahnt, worauf er hinaus will; Geste; scheinbar fast unbekümmert- gleichmütig. Er wird sich schon bald beruhigen!
GEORG mit Absicht auf ihren Ton, so durchaus er ihn auch gehört hat, nicht eingehend; sein von ihr unterbrochnes Thema nochmals aufnehmend. Trotz all ... seiner ja sonst unbestreitbaren Konzilianz ... bricht bei ihm erst ... der deutsche Professor durch ...
MARIANNE in ihrer Abwehr jetzt mehr und mehr »deutlich«. Du selbst hast mich davon überzeugt ... daß du hier unmöglich ...
GEORG der sie nicht erst ausreden läßt; wieder stehngeblieben; jetzt direkt auf sein Ziel zu. Ließe es sich nicht einrichten ... ginge es nicht ... und lediglich zu diesem Zweck ... habe ich dich[403] jetzt noch einmal aufgesucht ... ich war schon im Garten und hatte dich dann oben auf deinem Zimmer geglaubt ... wäre es nicht das Allervernünftigste, ich fahre erst nachts, im äußersten Notfall ... sogar erst morgen früh, und wir versuchten es vorher doch noch ... mit unsrer letzten Sitzung?
MARIANNE von seiner Eröffnung wie ganz überrascht; sehr entschieden. Du hattest dir ... felsenfest vorgenommen und mir versprochen ...
GEORG von neuem auf und ab; durch ihren in dieser Form von ihm nicht erwarteten Widerstand ganz erregt. Ich darf im Interesse meiner Arbeit ... auf diesen Abschluß nicht verzichten! Ich kann mein Buch nicht Fragment lassen! Ob ich nun zwölf Stunden früher oder später aufbreche ...
MARIANNE »unbarmherzig«, »mitleidslos«. Du änderst mit einer ... Vehemenz deine Pläne und Entschlüsse ...
GEORG losbrechend; mit jedem Satzteil sich steigernd. Ich muß mir über das Marterndste, das mich noch quält, über dies Unbekannte, das mich nicht losläßt, und über das ich einfach nicht hinwegkomme ... was an jenem siebzehnten Märzabend ...
MARIANNE ihn unterbrechend; ganz entsetzt-empört. Du willst ... an dies abscheuliche Phantom ...
GEORG über ihre Worte hinweg; noch in seinem selben Satz; mit erhobner Stimme ihn schließend und dann, nach kurzer Atempause, sofort mit größter Bestimmtheit weiter. Ich muß mir unbedingt ... darüber Klarheit verschaffen! ... Ja! ... Die Antwort auf meine Frage, so spontan und unüberlegt ... ich sie vor vierzehn Tagen damals auch gestellt hatte ... wurde mir für diese Schlußsitzung zugesichert, ich sehe also nicht ein ...
MARIANNE wieder wie vorhin; nur diesmal fast strafend-vorwurfsvoll. Wie kannst du als ernster ... Wissenschafter und Experimentator ...
GEORG seiner kaum noch mächtig. Setze dafür armer, gepeinigter, schon beinah halb verzweifelter Mensch, und ...
MARIANNE von seiner Qual erschüttert; unter ihr elend fast wie er selbst; aus tiefstem, innerstem Mitleid mit ihm. Ich bitte dich! Ich bitte dich nochmal und flehentlich! Du wirst Geschehnes nicht ungeschehn machen können! Laß das Vergangne ruhn!! Auto.[404] Du wirst jetzt ... Tränen, die ihr bei diesen Worten heimlich aufsteigen wollen, mit aller Gewalt niederkämpfend und zurückhaltend. von hier fortgehn ... alles ... was hinter dir liegt ... allmählich vergessen ... Bereits etwas leichter; die zornig abwehrende Geste, die er bei ihren letzten Worten gemacht hat, nicht beachtend. und dir irgendwo ... sei's in deiner süddeutschen Heimat ...
GEORG schnell, heftig, verbissen. Das gute Land Franken sieht mich nicht wieder!
MARIANNE mühsam; noch in ihrem selben Satz weiter; fast jedes Wort wie ein fallender Tropfen Herzblut. Oder sonst ... ganz ... weit ... weg von uns ...
GEORG wieder stehngeblieben; sie voll anblickend; einen Moment helle Sonne. Marianne!!
MARIANNE seinen Blick erwidernd. Ja?
GEORG von neuem; mit arbeitender Brust; schwer ausholend. Vielleicht ... läge doch noch für uns ... etwas ... wie eine letzte Hoffnung vor! Auf eine stumme, mutlos-verzweifelte Geste von ihr; sich schnell steigernd. Die Motive, die ich mir für Mariettes Untat zusammengegrübelt habe, reichen nicht aus! ... Eine junge Frau von noch kaum Dreiundzwanzig! Reich! Angesehn! Bewundert! Beneidet! Mutter von blühendsten Kindern, und dann ... Die Lider einen Moment geschlossen; wie schaudernd vor sich hin; mit aller Kraft sich zusammenraffend. Selbst, wenn ich für einen Augenblick ... Jäh abbrechend und sofort wieder weiter. Das geht nicht in meinen Kopf! Das will nicht in meinen Verstand! Vielleicht ... Letzte, verzweifeltste, angstvollste Frage; jeder Akzent aus wehstem, qualzerrissenstem Herzen; zum Schluß fast wie wieder aufatmend. ist ihr Tod doch ... kein freiwillig selbstgewählter ... gewesen!
MARIANNE mit finster zusammengezognen Brauen; ihre Augen in seinen; Sonne wieder erloschen. Das, hoffst du ... wirst du zu hören bekommen, wenn du jetzt ... Einen kurzen Moment lang von einem Grauen überlaufen, fast wie von einem Zittern. diese »Afra« ...
GEORG in seinem tiefsten Unterbewußtsein, ohne sich darüber im Augenblick klar zu sein, von ihrem Ton gepackt; mit aller Kraft sich[405] zur Wehr setzend; »gläubig-innig«; einen halben Atemzug lang fast »weich«. Man hofft ... man hört nicht auf zu hoffen ... was man mit allen Fasern ...
MARIANNE die ihn kaum »wiedererkennt«; ganz erschüttert-perplex. Und auf eine solche Antwort ... wenn du sie erhalten würdest ...
GEORG einfallend; noch gesteigerter als vorhin; mit auseinandergebreiteten Armen. Würde ich mich verlassen! ... Inbrünstiger, als ein Christ auf sein Evangelium!
MARIANNE die das mit ihrem »Verstand« nicht »begreift«; kopfschüttelnd. Dieser neue ... plötzliche Glaube von dir ... an eine andre ... höher organisierte, uns geheimnisvoll übergeordnete Welt, zu der unsre ...
GEORG der sich wieder in Bewegung gesetzt hat; veränderter Tonfall; die letzten Worte ätzend bitter. Ein Glaube, den du nicht teilst ... und der dir als Nicht-Mann ... natürlich auch vollkommen gleichgültig ist!
MARIANNE durch die heimliche fast Verachtung, die aus seinen Worten klingt, aufs schmerzlichste in ihrem Innern getroffen. Ich weiß es nicht! Ich weiß ... nur ...
GEORG einen Moment stehngeblieben und wieder nach ihr zurück. Du weißt ... »nur« ...?
MARIANNE in ihrem Satz, wie gequält, weiter. Daß mich dieses Wesen ... das uns bereits von allem Anfang an ... unsichtbar umgab ...
GEORG sich gegen diese doch aber auch durch nichts beweisbare, plötzliche Behauptung von ihr mit aller Energie auflehnend; wieder ungeduldig auf und ab. Wie ... kannst du ...
MARIANNE wie vorhin; nur noch gesteigert. Das dann vor einem Jahr plötzlich ... mir ganz unerklärlich und unfaßbar ... als ich, zum erstenmal bewußtlos ... in diesen seltsam tiefen Schlaf verfallen war ... wie aus Fleisch und Blut vor euch stand ...
GEORG sie wieder ungeduldig unterbrechend. Du irrst! Es hatte geraume Zeit ...
MARIANNE nochmals; wie vorhin. Und das, entgegen aller bisher üblichen Erfahrung auf diesem Gebiet, grade mir sich nie zeigt ...
GEORG ähnlich wie vorhin. Dieses Gebiet ist ein so variables, unsre Erfahrung eine so fluktuierende ...
MARIANNE als hätte er seine richtigstellende Einwendung gar nicht erhoben[406] und vorgebracht; noch immer in ihrem selben Satz weiter. Ich weiß nur ... daß mich jetzt ... schon der bloße Gedanke an diese furchtbare Erscheinung ...
GEORG nochmal und von neuem ihre sich beschwerende Anklage rektifizierend. Sie ist nicht furchtbar. Sie ist ein Wesen ...
MARIANNE erst jetzt ihren langen Satz abbrechend; aus ihrer nur scheinbaren Zustimmung klingt es plötzlich fast wie Eifersucht. Von »bestrickendstem Liebreiz«! So faszinierend-bezaubernd, daß sogar Onkel Ludwig ...
GEORG unwillig; alles eventuell noch Übrige und Weitre nach dieser Richtung sich damit gewissermaßen energisch verbittend. Ich bin für diesen alten Narren, diesen philosophasternden Don Quixote mit seiner lächerlichen, knieenden Verehrung für diese neue Dulzinea aus irgendeinem imaginären, skurrilen, transmundanen Toboso nicht verantwortlich! Dies »Wesen«, diese »Erscheinung«, oder wie du sie betiteln und benennen willst, war für mich dieses ganze Jahr ein rein wissenschaftliches Objekt, ein Substrat für meine Untersuchungen, wie jedes andre, und ich muß es ablehnen ...
MARIANNE die diesen »Ton« von ihm, unter dem sie fast physisch leidet, nicht länger mehr aushält. Wie du mich ... folterst! Wie du mich ... quälst!
GEORG plötzlich mit einem jähen Ruck wieder auf sein eigentliches Haupt- und Zentralthema zurück, das er, durch ihre Unterbrechung abgelenkt, bereits einen Augenblick fallen gelassen hatte, die Hände »ohnmächtig« vor sich hin, als ob er etwas Unsichtbares packen wolle. Wüßte ich nicht ... wüßte ich nicht haarscharf ... daß Mariettes Verstand ... trotz all ihrer weiblichen Unlogik ... und einzelner ... mir oft gradezu unfaßbar gewesner Unglaublichkeiten ... die allerdings ... in letzter Zeit ... immer heftiger und häufiger durchgebrochen waren ... doch ... und zwar, soweit mir kontrollierbar, bis zum Schluß ... der denkbar intakteste geblieben war ... ich hätte nur diese eine Erklärung!
MARIANNE nach einer letzten Selbstüberwindung; so schwer es ihr auch fällt. Vielleicht ... war es so!
GEORG der sich sofort wieder nach ihr zurückgedreht hatte; nachdem[407] er sie einen Moment lang durchdringend angeblickt hat; mit letzter Bestimmtheit. Das ... glaubst du selbst nicht!
MARIANNE die seinem Blick standhält. Mariette ... war stets unberechenbar! Und wenn ich natürlich auch nicht ... direkt sagen kann ...
GEORG als wolle er noch immer im Grunde ihrer Seele lesen; die ersten Worte langsam, dann etwas schneller, lebhaft und steigend nachdrücklich betont. Mir kommt fast vor ... als ob du mich damit plötzlich ... von einem Nachdenken abhalten wolltest ... über einen psychischen Rätselkomplex ... den ich mir unter allen Umständen erst gelöst haben müßte ... bevor ich ... Abbrechend; verächtlich-heftige Geste und Kopfbewegung nach der Tür links; von draußen her Radfahrerklingel. Hast du mit diesem ... Herrn da vorhin ... der sich auf so sonderbare Weise ... wie's scheint, überall mit seinem Hut rumschleppt ... und dem der Abschied von dir so schwer fiel ... Auf eine unwillig- abwehrende Bewegung Mariannes; im Ton noch verstärkt und gradezu drohend schließend. so schwer fiel, auch nur eine Minute allein gesprochen?
MARIANNE unter dem tödlichen Schreck, daß ihr Geheimnis, dessen letzte Spur sie vor ihm schon so gut wie verwischt zu haben glaubte, nun vielleicht doch noch durch irgendeine neue, unglückliche Fragestellung von ihm aus Licht kommen könnte; alle ihre Kräfte in sich zusammenraffend; von ihrem Hockerchen unwillkürlich aufgestanden. Es ist von dir im höchsten Grade unrecht ...
GEORG höhnisch-grimmig; ihren Satz persiflierend fortsetzend und schließend. »Mich danach überhaupt auch nur zu fragen!« Ihr erbittert den Rücken drehend und wieder auf und ab. Dann weiß ich genug!!
MARIANNE ihm ganz entsetzt nachstarrend. Ja, um Gottes Willen was?!
GEORG in heftigster, kaum noch gezügelter Erregung; ohne zu ahnen, wie eigentlich fast haarscharf genau er den von ihm mit so verzweifelter Leidenschaft gesuchten, wirklichen Tatsachenverhalt damit bereits präzisiert und trifft. Daß du jetzt ... oder vielleicht meinetwegen auch schon seit langem ... nach jenem Abend rüber irgendeinen Fühlfaden oder Anhalt hast, und daß dies dein einzger Grund ist ... mir diese Sitzung ... so hartnäckig zu verweigern! In der Furcht ...[408]
MARIANNE ihn unterbrechend; in ihre Worte unwillkürlich so viel Suggestivkraft legend, daß sie im Moment fast selbst dran glaubt. Dein ganzes ... Kombinationsgespinst ist von einer Phantastik ...!
GEORG verächtlich; die Achseln zuckend. Da du einen andern Grund ... einen wirklichen Grund ... absolut außerstande bist ... mir anzugeben ...?
MARIANNE mit letzter Ausflucht; sich kaum noch aufrecht haltend; unruhig durch den Raum und dabei auch nach dem jetzt wieder matt blaugrau auftauchenden Blätterschattenspiel in den Fenstern blickend. Ich weiß nicht, ob es draußen ... an dieser drückenden Schwüle liegt, oder ... ist es bloß ... meine Erschöpftheit ... aber ich habe das Gefühl ... grade heute ... würde die Sitzung ... uns mißlingen!
GEORG noch gesteigerter als vorhin. Wenn der ausschlaggebende Teil es auf ein solches Mißlingen von vornherein abgesehn hat und anlegt ... sind wir übrigen natürlich ...
MARIANNE mit deren Kraft es jetzt fast zu Ende ist; ihr bereits so gut wie gewonnenes Spiel durch eine einzige, ungeschickte Wendung beinahe wieder auf- und preisgebend. Ich kann dir nur wiederholen! Wenn du durchaus drauf bestehst ...
GEORG brüsk, knapp, kalt; mit »allem fertig«. Danke! Verzichte! Die Sache ist für mich erledigt! ... Schnell nach seiner Uhr blickend. Ich reise jetzt schon mit dem Zug sofort ... und werde in dies zukünftge Stift von Onkel Ludwig ... Abbrechend und sofort wieder weiter; noch permanent sich steigernd. Es ist alles Unsinn ... Ob man arbeitet, oder die Hände in den Schoß legt ... ob man sich mit dem Krimskrams beschäftigt oder nicht ... ob man sich an dies oder das hängt ... es ist alles Unsinn!
MARIANNE um die das ganze »chinesische Zimmer« sich fast schon dreht; sich nochmal zusammenraffend. Ist das ... nach diesen drei Jahren deine ganze Philosophie?
GEORG der sie noch immer nicht anblickt; ausbrechend; letzte, verbissenste Wut und Leidenschaft. Ja! ... Und ich werde alles ... was ich über das Zeug niedergeschrieben habe ... sofort, nachdem du es mir, wie verabredet, zurückgestellt haben wirst ... verbrennen!
DUFROY durch die kleine Tür rechts; man merkt ihm an, daß er aufs[409] äußerste aufgebracht, erregt und verstimmt ist, so sehr er sich auch bemüht, seinen Zustand vor sich und den andern zu verbergen; die beiden erblickend. Endlich! Die Tür hinter sich schließend. Also hier sind die Herrschaften! Man findet euch ja nicht im ganzen Haus?!
GEORG über sein Auftauchen noch ganz starr. Du kannst mein Manuskript ... doch unmöglich schon gelesen haben?
DUFROY ihm darauf gar keine Antwort erteilend; zu Marianne, die sich mit aller Kraft beherrscht. Ich bitte dich, heut noch zur Großmutter zu gehn! Sie wird dir das Nötige mitteilen.
GEORG während Marianne, als einzige Antwort, nur einen Blick nach ihm wirft; die Hände leger in den Seiten, das linke Bein etwas vor; das zweite »a« kurz und betont. Aha! ... Nummer Eins ... der zu vollstreckenden Exekution!
DUFROY in dem schmalen Längsraum vor den beiden Fenstern, die Hände ergrimmt umeinanderdrehend, auf und ab. Die Dispositionen, die ich jetzt zu treffen wünsche, sind meine Sache!
MARIANNE zu Georg rüber; leicht zögernd; bereit, den Raum, durch die Tür rechts, schon auf der Stelle zu verlassen. Wenn es dir also ... recht ist ...
GEORG durch den scharfen Ton Dufroys, wie mit einem Ruck, seltsam ruhig und gefaßt. Liebe Marianne ... Geste, die sie wieder sich zu setzen bewegt. tu mir den Gefallen und ... Abbrechend und auf das kleine Tischchen links zu. Noch bist du mein Gast! ... Auf dem Hockerchen dort Platz nehmend; ein Bein übers andre. Darf ich, bester Schwiegervater, fragen, was dich so erbittert?
DUFROY noch immer in seinem Längsteil, die Hände jetzt hinterm Rücken, den Kopf ins Genick, den Blick starr vor sich in die Luft, auf und ab; durch seine Stimme ferne Tubahörner. Ich habe dir dein Manuskript ... du hörst, daß ich mich über dies Elaborat noch sehr respektvoll und höflich ausdrücke ... ich habe dir also dein »Manuskript« ... in deine Bibliothek gelegt!
GEORG über diesen Ton, wenigstens im ersten Moment, doch etwas perplex; dann sofort fast »liebenswürdig«. Sehr nett von dir.
DUFROY Kopf und Stimme womöglich noch erhobner. Ja! Und ich ersuche dich dringend ... mich mit solchen, oder auch nur ähnlichen Allotriis ...[410]
MARIANNE durch diese Form seines Ausbruchs, auf die sie bei seiner sonstigen Urbanität denn doch nicht gefaßt gewesen war, ganz überrascht und erschreckt; fast flehend-vorwurfsvoll. Vater!
GEORG zu ihr rüber; kühl-gelassen; aber dabei doch schon mit einem leisen Unterton bereits aufsteigenden, wenn auch noch zurückgedämmten Grolls. Wie ich es dir prophezeit habe!
DUFROY noch immer vor seinen Fenstern, in denen die Sonne wieder völlig erloschen; jetzt ebenfalls zu ihr rüber. Mich so über dich zu täuschen! ... Das ist nun das Resultat, nachdem ich mir zehn Jahre lang, bei meiner sonstigen Arbeit und Tätigkeit, die große Mühe aufgehalst hatte, deine Erziehung selbst und persönlich zu leiten! Mariette war oberflächlich und leichtfertig! Aber sie war doch wenigstens aufrichtig! ... Plötzlich stehnbleibend und zu ihr direkt. Wie konntest du mir schon in früher Jugend Dinge verbergen, die du, wenn auch schon nicht deinem Vater, so doch mindestens zu mir als dem Arzt hättest sagen müssen?!
MARIANNE durch seine ganze, auch ihr gegenüber auf einmal so veränderte Art aufs schmerzlichste betroffen; es kostet ihr ordentlich Mühe, sich vor ihm zu verteidigen. Selbst ... wenn ich das damals gewollt hätte, es wäre mir nicht ...
DUFROY sie noch immer ganz aufgebracht und erbittert unterbrechend. Man hätte dann doch zeitig Vorkehrungen treffen können!
GEORG mit erheblich zusammengezognen Brauen; im Ton aber noch mit aller Macht an sich haltend. Du solltest jetzt deine Vorwürfe weniger auf Marianne abladen ... als ... Plötzlich, sehr bestimmt; mit der flachen Rechten sich vor die Brust schlagend; von neuem spärliche Sonne. Hier sitzt der Sündge!
DUFROY der ihn kaum der Ehre gewürdigt, einen kurzen Moment nach ihm rüberzublicken; wieder auf und ab; ihn ignorierend und nach wie vor scheinbar lediglich zu Marianne. Ich habe nichts gegen meinen älteren Stiefbruder! Das weißt du am besten! Ich begrüßte es mit Freuden, als er zu euch wieder in dieses Haus einzog! Ich hatte gehofft ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Aber daß er mir, statt dessen, jetzt auch noch diese, gelinde gesagt, allgemeine Übergeschnapptheit zum schließlichen Danaergeschenk gemacht hat ...
GEORG die Rückenfläche seiner Linken, die er gespreizt vor sich hinhält,[411] wie auf einmal lebhaft interessiert, betrachtend. Du drückst dich zwar sehr gewählt ...
DUFROY von neuem; noch wütender. Schon damals, vor einem halben Jahrhundert, jenes blamable, lächerliche »Gelöste Welträtsel«, das bereits meinem Vater den Stark betont. schwersten Stand bereitet hatte, und Noch unterstrichner. nun diese aber auch ganz und gar völlig hirnverlassne, alberne, »apokalyptische Theosophastik«, Nun endlich auch wieder zu Georg rüber. über die du dich zwischen deinen Zeilen ... und zwar sehr deutlich ... selbst belustigst!
GEORG verkappt-ironisch; trocken. Es freut mich ... aus deinem Munde ... diese autoritäre Anerkennung zu hören!
DUFROY als hätte Georg nichts erwidert; trotzdem ihm »quittierend«; erst jetzt seine aufgebrachte Beschwerde schließend. Von solch einem alten, unverbesserlichen Wirrkopf und Phantasten sich ins Schlepptau nehmen zu lassen!
GEORG sehr ruhig. Dein Studium meines ... »Elaborats« ...
DUFROY »giftig«. Deines neuen Credo quia absurdum est!
GEORG seinen »Geusen«-Hohn akzeptierend. Meines »neuen ... Credo quia absurdum est!« ... scheint mir, trotz deines eben von dir geäußerten, mir schmeichelhaften Zitats ... doch ein etwas oberflächliches gewesen zu sein.
DUFROY einen Moment unwillkürlich stehngeblieben; empört zu ihm rüber. In diesem einleitenden Anfangsabschnitt ... Schon wieder bei seiner Promenade. Da irrst du! Grade die ersten dreißig, vierzig Seiten habe ich in meiner üblichen Langmut ...
GEORG ihn unterbrechend. Hättest du auch nur die paar nächsten Seiten in deiner selben »üblichen Langmut« noch mit dazugenommen, so würdest du vielleicht die Entdeckung gemacht haben ...
DUFROY ungeduldig; seinen Satz ihm abnehmend und durch den Schluß, den er diesem selber gibt, ihm beweisend, daß er mit seinen »Insinuationen« ihm gegenüber zehntausend Kilometer vorbeigetroffen. Daß es sogar ganz im Gegenteil deine ursprünglich löbliche Absicht gewesen war, die abstrusen Theoreme Onkel Ludwigs in ihrer ganzen Unsinnigkeit restlos zu widerlegen! Weiß ich! Dazu genügten mir deine ersten vier oder fünf Sätze! Was dich aber dann doch nicht behindert hat ...[412]
GEORG jetzt, als Revanche dafür, mit ihm ähnlich verfahrend; das heißt also seinen Satz ihm ebenfalls abnehmend und ihm durch seinen eignen Schluß nachweisend, wie durchaus er mit seinem Vorgehn damals das methodologisch einzig Mögliche und Richtige getan. Das, was hinter diesen »Theoremen« stand, nämlich eine ganze, große, ungeheure Tatsachenwelt, deren Vorhandensein von eurer heute herrschenden, offiziellen Wissenschaft prinzipiell negiert und geleugnet wird, als vorhanden anzuerkennen, nachdem ich mich von ihrem Vorhandensein überzeugt hatte! Wenn du das »von einem alten, unverbesserlichen Wirrkopf und Phantasten sich ins Schlepptau nehmen lassen« nennst ...
DUFROY halb ein ganz klein wenig jetzt einlenkend, halb nicht ohne einen gewissen Stolz mit seiner »Erudition« prunkend; prallste Sonne; die Blätterschatten ab und zu leis bewegt. Es ist mir ja bekannt, daß man bereits vor einigen Dezennien ...
GEORG markiert-verblüfft; zu Marianne rüber; ironisch. Erst vor »einigen Dezennien«?
DUFROY unwillkürlich wieder stehngeblieben. Ich schrieb damals grade meine »Merkmale niedrer Menschenrassen, Prolegomna zu einer prähistorischen Anthropologie«, und konnte mich daher um den Hokuspokus nicht viel bekümmern! Fragend- ungehalten von einem zum andern rüber. Aber so weit ich darüber informiert bin, ist das Zeug doch seitdem widerlegt worden!
GEORG nach einem schnellen Blick zu Marianne rüber; schärfst, fast grob. Von wem?!
DUFROY nervös-unwirsch. Ja, wie soll ich dir das sagen? Das ist nicht von mir zu verlangen! Das schlägt nicht in mein Fach! Ich weiß es nicht!
GEORG »trocken«; mit scheinbar anteilnehmendstem Bedauern. Schade!
DUFROY als wäre nun alles bereits damit erledigt. Daß du aber damit wieder von neuem anfängst, und nun noch gar hier mitten in Berlin ...
GEORG »unschuldig«; »naiv«; anscheinend ganz »Balduin Bählamm«. Ja, denke dir nur.
DUFROY aus seinem Raum vor dem Fenster, er stand zuletzt rechts, jetzt näher kommend und sich in den großen Armstuhl niederlassend,[413] in dem vorhin Onkel Ludwig gesessen; jetzt bereits, trotzdem alles noch in ihm kocht, wie er glaubt, so »ruhig« geworden, daß ihm eine »sachliche Diskussion« keine »Überwindung« mehr kostet. Willst du mir mal verraten, ob du mir zumutest ... daß ich deine Münchhausiaden überhaupt ernst nehme?
GEORG während Marianne dasitzt und ihre schmerzhaft geschlossen Augen mit der Rechten deckt; noch »ruhiger« als er. Ich bitte darum!
DUFROY aus seiner inneren Brusttasche einen bekritzelten Block ziehend. Auf Seite einundfünfzig ... ich habe mir, meiner Gewohnheit gemäß, während dieser interessanten Lektüre einige kleinere, stenographische Notizen gemacht ... nur ganz flüchtig, Dutzende von Seiten oft überspringend, Haupt- oder Nebensächlichkeiten, wie es sich mir eben grade ergab, denn sonst wäre ich in acht Tagen nicht damit fertig geworden ... auf Seite einundfünfzig behauptest du, du hättest euer sogenanntes »Medium«, also in diesem Falle Entsprechende Geste. meine arme, bedauernswerte Tochter Marianne, auf eine »automatische Wage« placiert, und zwar auf die mir sehr bekannte in deinem Gartenlaboratorium, wo ihr eure sonderbaren Konventikel, Wobei ein entsprechender »Blick« auch wieder auf das arme Opferlamm rechts fällt. ohne daß ich etwas davon zu wissen bekam, mit einer schon mehr »religiös« zu nennenden Inbrunst abhieltet, und diese Wage, die eine Stunde vorher, unter der gleichen Last, noch das genaue Gewicht von fünfundsechzig Komma sieben Kilogramm registriert hatte, zeigte plötzlich eine Differenz von ... Rücksichtsvollst-höflich. entschuldge ... zehn Kilogramm an!
GEORG während Marianne jetzt, die Rechte ums Kinn, beide gespannt-lebhaft beobachtet; entgegenkommend-liebenswürdig; fast freundlich. Ich »entschuldge«.
DUFROY in seiner Würde »gekränkt«; kaum merklich zurückgezuckt. Ist das deine einzge Antwort?
GEORG gelassen. Da du mir doch wohl zutrauen wirst, daß ich die Skala eines so primitiven Instruments fehlerfrei ablesen kann, wüßte ich nicht, was ich dir für eine noch andre Antwort drauf erteilen sollte.[414]
DUFROY mit bereits heimlich siegreichem Triumph. Und wie erklärst du dir das?
GEORG gleichmütig. Ich persönlich durch eine Kraft, deren physikalische Voraussetzung mir die Körperlichkeit des Mediums zu sein scheint, und die, unter bestimmten Bedingungen, sich mit der uns bereits vertrauteren Schwerkraft, deren eigentliches Wesen uns, nebenbei bemerkt, genau so unbekannt ist, entweder verbindet, oder aber ihr entgegenwirkt.
DUFROY erregt-abwehrende Geste. Worte!
GEORG »lapidar«. Wie alle unsre sogenannt »wissenschaftlichen« Erklärungen!
DUFROY ganz empört. Du wirst doch nicht behaupten wollen ...
GEORG ihn unterbrechend und jeden Disput über diesen Punkt mit größter Entschiedenheit ablehnend. Wie alle! ... Im übrigen muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß ich mich in meiner Darstellung begnügt habe, lediglich die Phänomene als solche festzustellen, ohne daß es mir vorläufig eingefallen wäre, auch nur die winzigste Spekulation, Hypothese, oder Theorie daran zu knüpfen!
DUFROY immer wieder nur zu Georg; Marianne, nach der er nur noch ab und zu einen schnellen, halben Blick wirft, scheinbar nicht mehr beachtend. Diese »Phänomene« sind dafür aber auch danach!
GEORG unterstrichen zustimmend. Allerdings!
DUFROY aufbrausend. Du hättest dich ... Unwillkürlich stockend, da er fühlt, daß er mit dem, was es ihn in diesem Augenblick zu sagen drängt, bei Georg eine vielleicht doch noch allzu wehe Stelle berühren könnte.
GEORG dem annähernd Entsprechendes bereits schwant. M?
DUFROY durch diesen fragend-anreizenden Zwischenlaut sich wieder hinreißen lassend und in seinem Satz erregt weiter. Trotz deines ... schon seit jeher ... immer höchst eigenmächtigen Autodidaktentums ...
GEORG ihn ironisch unterbrechend. Für das du früher ...
DUFROY patzig. Ich spreche nicht von früher ... sondern von jetzt!
GEORG damit, wie es scheint, ganz einverstanden. Also von jetzt!
DUFROY verstimmt. Du hättest dich ... wie gesagt, trotzdem ... Erst[415] jetzt mit seinem eigentlichen, von ihm so umständlich verklausulierten Vorwurf rausrückend; Auto. noch vor drei Jahren nie ...
GEORG schnell, scharf; Kopfbewegung nach seinem Block. Bitte dein Register! ...
DUFROY nachdem er diese »Reprimande« erst mit Mühe in sich hat runterschlucken müssen. Mein »Register!« ... In dieses, einen kurzen Moment, wieder hineinblickend. Auf Seite vierundfünfzig legt Marianne sich glühende Kohlen in die Hand, und obgleich diesen Kohlen durch einen kleinen Spitzblasebalg atmosphärische Luft noch extra zugeführt wird ... bleibt der Handteller unverbrannt!
MARIANNE unwillkürlich eifrig nickend. Ja!
DUFROY noch verstärkt; als hätte sie seine indirekte Frage überhaupt erst gar nicht bestätigt. Kurz danach brennen sich diese selben Kohlen ... durch eine Schicht von fünfundzwanzig Bogen Fließpapier durch!
GEORG der Marianne nicht anblickt; zu seinem entrüsteten und durch alle diese angeblichen »Tatsachen« wie persönlich verletzten Schwiegervater rüber; anscheinend ganz unbefangen. Findest du das so wunderbar?
DUFROY auf seinen Ton nicht reagierend. Bereits auf der nächsten Seite ...
GEORG sein Spiel weitertreibend; leicht mokant. Also fünfundfünfzig ...
DUFROY in seinem Eifer diese kleine Anremplung kaum merkend. Jawohl, fünfundfünfzig ... bereits auf dieser nächsten Seite ... Unwillkürlich die betreffende, illustrierende Bewegung. schüttelt ihr ein Glas Wasser um ... und das Wasser ... in Gestalt einer blitzenden Kugelform ... bleibt in der Luft hängen!
MARIANNE während Georg einfach bloß nickt; stark bekräftigend. Gewiß!
DUFROY der wieder seinen Block eingesehn. Es kommt noch schöner! ... Fast bei jeder neuen Nummer wieder in seine Aufzeichnungen blickend. Auf Seite siebenundfünfzig spaziert ein goldnes Zwanzigmarkstück, deutsche Reichswährung, unbeschädigt, quer durch eine drei, drei Viertel Zentimeter starke Eisenplatte, Seite zweiundsechzig verschwindet vor den Augen sämtlicher gespannt Zuschauenden ein eigens zu diesem Zweck isoliert auf den Schmelzofen gestelltes Reagenzgläschen spurlos, um erst[416] nach fünf Minuten aus seinem Nichts sichtbar wiederzuerscheinen, eine Zwischenzeit, die ein Destillierkolben unbotmäßig mißbraucht, um eigenmächtig seinen Standort zu verändern. Während der ganzen Dauer eurer Experimente, auf beliebig niedergelegten Blättern, mit Hilfe von unsichtbaren Materialien, bildet sich »direkte Schrift«, zum Teil in euch völlig unbekannten Idiomen und Alphabeten, und auf Seite neunundneunzig sprießt aus einem ganz gewöhnlichen Kartoffelknollen, zu deutsch Solanum tuberosum, im Zeitraum von fünfundvierzig Minuten, ein hohes, stechapfelartiges Etwas empor, mit weißen, fußlang hängenden Blütentrichtern, das sich nach genauer botanischer Untersuchung als ein natürliches Exemplar Datura fastuosa entpuppt, deren narkotischer Blütenstaub in der malayischen Giftpraxis eine bekannte, misteriöse Rolle spielt, und die ich zum ersten- und letztenmal vor gut dreißig Jahren auf Java selbst gesehn, wo diese Art, meines Wissens, so ziemlich allein heimisch ist! ... Bist du dir darüber klar, was diese Dinge, diese ... Ungeheuerlichkeiten, wenn sie auf Wahrheit beruhten, bedeuten würden?
GEORG der unterdessen mit Marianne, die in steigender Unruhe beide beobachtet, verschiedne »Blicke« getauscht hat; dem Blick seines Schwiegervaters, dessen Augen unter zornig zusammengezognen Brauen jetzt heftig auf ihn gerichtet sind, ruhig begegnend. Vollkommen. Und sie beruhen auf Wahrheit!
DUFROY einen Moment fast seine Fassung verlierend; jäh; nur noch halb Sonne. Das willst du mir aufbinden?! ... Nach einer kurzen Pause, während welcher alle drei untereinander entsprechende Blicke gewechselt; zwar bereits etwas minder heftig, aber doch noch immer sehr stark und energisch; allgemein; den Blick auf keinen mehr gerichtet. Sie beruhen nicht auf Wahrheit! Sie können nicht auf Wahrheit beruhn! Sie stießen sonst unsre Naturgesetze um!
GEORG nach dem kleinen, stummen Zwischenfall jetzt womöglich noch ruhiger als vorhin. Oder sie erweiterten sie! ... Du hast diese Phänomene zwar nie studiert ... du hast dich nie um sie bekümmert ... Imitierendes, leicht wegwerfendes Achselzucken. aber sie existieren nicht![417]
DUFROY die Augen wieder erbittert auf ihn gerichtet; noch elementarer als vorhin; mit der geballten Rechten wütend auf die Armlehne seines Sessels schlagend; fast außer sich. Sie können nicht existieren!!
MARIANNE mit dem Versuch, zwischen beiden zu vermitteln; gehend zu Georg rüber. Georg!
GEORG nachdem er sich wieder bezwungen hat; zu Marianne. Aber ganz gewiß! ... Du hast recht! ... Wieder zu seinem Schwiegervater; als wäre dessen nenerlicher und noch stärkerer Ausbruch gar nicht erfolgt. Und die rund achthundertfünfzig übrigen Seiten meiner Arbeit? Über die du mir noch gar nichts gesagt hast? Deinen Notizblock in Ehren, aber sein bisheriger Widerlegungswert ...
DUFROY mit aller Mühe an sich haltend. Wenn ich mich nicht in diesem Augenblick ... mit aller Energie daran zu erinnern versuchte ... daß hinter dir eine ernsthafte Vergangenheit als makelloser, ehrlicher Forscher liegt ... den ich noch dazu selbst ... Abbrechend; den Block wieder in seine Tasche praktizierend. kurz und gut, ich würde überhaupt ... auch nicht ein einziges Wort mehr an dich verlieren!
GEORG auch diesem dritten Ausbruch gegenüber wieder »unglaublich vernünftig«. Das primärste Prinzip aller Wissenschaftlichkeit, die erste Voraussetzung aller Forschung ... du gestattest, daß ich auf dein eignes Glaubensbekenntnis zurückkomme ... Die Stimme unwillkürlich etwas erhoben. lautet: Über nichts aburteilen, bevor man es nicht untersucht hat!
DUFROY als hätte man von ihm verlangt, daß er den »Mond viereckig« machen solle. Ich ... mich zu solchen Experimenten hergeben?
GEORG vollkommen ruhig; leichte, legere Geste mit der lässig auseinandergespreizten Rechten. Wenn du wünschst, daß uns dein Urteil auch nur von geringstem Wert sein soll ...?
DUFROY der allmählich merkt, daß er gegen diese unerschütterliche Sicherheit Georgs nichts ausrichten kann; sich jetzt endlich auch an Marianne wendend; in seinem Grimm aber noch keineswegs besänftigt; ja sogar eher »ganz im Gegenteil«. Du wirst die unerhörten Lächerlichkeiten, die ich euch eben vorgehalten habe, doch nicht etwa bestätigen wollen?[418]
MARIANNE bei aller schuldigen Achtung und Ehrfurcht vor dem Vater, die sie auch jetzt nicht verlassen haben, doch sehr bestimmt. Ich habe alle diese Dinge, die dir so unglaublich erscheinen ... genau so wie Georg ... und Onkel Ludwig gesehn!
DUFROY jetzt, bei dieser Erwähnung auch noch Onkel Ludwigs, fast in etwas wie eine Belustigung ausbrechend. Onkel Ludwig ist allerdings ... 'n klassischer Zeuge!
GEORG noch immer total selbstbeherrscht. Es steht dir jederzeit frei, sein Zeugnis, je nachdem du dazu in die Lage geraten solltest, entweder zu bewahrheiten ... oder ... es zu rektifizieren!
DUFROY der über diese so »erneut« an ihn gestellte »Zumutung« mit nur schlecht verhehltem Unwillen »hinweggehört« hat; »allgemein«. Ich würde nichts sagen ... wenn es sich bloß ... um diese relativ einfacheren Phänomene handelte! Mit automatisch sich willkürlich verändernden Gewichtsnotifizierungen, mit Phiolen, die auf eigne Faust ihre Regale und Gestelle verlassen, und meinetwegen sogar auch noch mit magischen Kartoffelknollen, aus denen im Handumdrehn alle Zaubergärten der Armida springen, könnte man sich ja allenfalls ... und zur Not ... vorübergehend kompromittieren! Von einem zum andern; sich steigernd; die Vorhänge in den Fenstern wieder sonnenlos. Aber diese sogenannte »Materialisation«? Diese nun aber auch total völlige Übergeschnapptheit?? Dieses vorgeblich »zweite Wesen«, Jetzt nur noch zu Marianne, und zwar, wie er glaubt, gegen diese seinen »letzten Trumpf« ausspielend. das sich nun schon seit über einem Jahr, allwöchentlich zwei- oder dreimal, aus dir als Substanz, etwa wie ein Schmetterling aus der Puppe, oder die Puppe sich aus der Raupe entwickeln soll? ... Da Marianne, die hierauf nichts zu erwidern weiß, nur mit den Achseln zuckt; noch immer sich steigernd; wieder von einem zum andern. Ein leibhaftes Etwas, das Fleisch und Blut besitzt, dessen Pulsschläge gemessen wurden, das sich dreht und bewegt und Rede und Antwort steht ... auf dieses ... Märchen ... Matte Halbsonne. auf diese ... eigentlich schon beinah mehr als bloß Münchhausiade, soll ich mich auch noch einlassen??
GEORG auch durch diese »starken Worte« wieder noch absolut nicht aus seiner Gelassenheit gebracht; ihm nur amüsiert-ironisch seinen[419] rechten kleinen Finger hinhaltend. Nachdem du dem Versucher ...
DUFROY ihn indigniert unterbrechend; erst jetzt seine entrüstete Diatribe schließend. Da ist mir das alte, drollige Homunkulusmännchen von unserm ehmalgen, selgen Kollegen Doktor Faust ...
GEORG der ihn nicht ausreden läßt. Deine Reminiszenz ist zwar falsch ... Abbrechend und seiner Richtigstellung plötzlich eine sehr deutliche, haarscharf geschliffne »Spitze« gebend. Der betreffende, »ehmalge Kollege« von dir nannte sich zufällig Herr Professor Wagner!
DUFROY der in seiner naiven, auch sogar jetzt noch ganz und gar gutgläubigen Selbstüberzeugtheit diese »Spitze« nicht einmal merkt. Na ja also oder Wagner!
GEORG durch diese beschämende »Ahnungslosigkeit« beinahe »entwaffnet«. Da es aber nun den Anschein hat, daß du mit deinem Notizblock jetzt glücklich fertig und zu Ende bist ...
DUFROY fast »starr«. »Zu Ende«? ... Notizblock. Seite dreihundertfünfundsiebzig! ... Eure ... Wieder aufblickend. wenigstens ihrem vorgeblichen Namen nach ... Auto. etwas fragwürdige ... famose Heilige aus der antiken Legende! Letzter, triumphierender Bluffer. Verbrannt unter Diokletian dreihundertvier!
GEORG scheinbar »ersterbendste Hochachtung«. Ein Wissen und eine »Bildung!«
DUFROY von seiner »Akribie« durchdrungen. Ja! Ich habe in meinem alten Brockhaus ...
GEORG mit einem erneuten »Blick« zu Marianne rüber. Ah, sieh da!
DUFROY der diese Unterbrechung gar nicht beachtet hat. Ich habe mir die Mühe gemacht und extra nach dieser Donna nachgeschlagen!
GEORG kaustisch-trocken. Na, da wirst du ja auf schöne Sachen gestoßen sein!
DUFROY von neuem sich steigernd; wieder von einem zum andern. Diese »Schutzpatronin der reuigen Sünderinnen« ... die in Aussehn und Gestalt ... ich muß sagen, skandalöserweise, Zu Marianne jetzt ganz besonders. dir anfangs absolut ähnlich gewesen sein soll ...[420]
GEORG mokant zu ihr rüber. Madam?
MARIANNE unwillig zu ihm zurück. Es ist wirklich nicht der Augenblick ...
DUFROY wie vorhin; von diesem kleinen Intermezzo kaum unterbrochen, noch in seinem selben Satz weiter. Diese bekehrte Venuspriesterin ... mißt, der verläßlichen Angabe Entsprechender »Blick«. dieses vertrauenswürdigen Chronisten zufolge ... Auf einen heftigen Anruck Georgs, in der begründeten Furcht, daß dieser »vertrauenswürdige Chronist« ihn in seinem Redefluß sonst allerenergischst unterbrechen könnte. bitte, laß mich ausreden! ... eines schönen Tages, oder vielmehr spät abends, da ihr ja anders nie, wie ihr dies nanntet, zu »experimentieren« pflegtet, auf schüchtern geäußerte Zweifel an ihrer Identität plötzlich drei Zentimeter mehr als du, ihr Haar ist aus dunklem Kastanienbraun auf einmal tiefblauschwarz geworden und, um die Metamorphose voll zu machen, radebrecht sie schließlich, als ihre angebliche Fraumuttersprache, Altgriechisch!
MARIANNE ausweichend. Ich kann dir da wirklich nicht ...
GEORG der sich den »vertrauenswürdigen Chronisten« – na, warte – gemerkt hat; schnell; einfallend. Selbstverständlich nicht!
DUFROY wieder von einem zum andern; wie nach einer »Entschuldigung« oder »Erklärung« für »alle diese Dinge« suchend. Ich glaube ganz sicher ... mal irgendwie wo gehört oder gelesen zu haben, daß alle Medien ohne Ausnahme unbewußt ...
GEORG während Marianne, wie es scheint, ganz überrascht, sofort aufgehorcht hat. Kostbar! Wie soll Marianne »unbewußt« plötzlich tiefblauschwarzes Haar bekommen und gleichzeitig unter meinem Meßapparat ...
DUFROY sich verteidigend; wie vorhin; fast desolat-kläglich. Aber wenigstens das Altgriechisch stimmt doch damit so einigermaßen!
GEORG amüsiert-ironische Geste; fast verächtlich. Gegen eine solche ... glänzende Art der Beweisführung ...
DUFROY der es vorzieht, ihn wieder nicht erst ausreden zu lassen; Notizblock. Ferner! Noch auf derselben Seite! ... Dies holde Geschöpf aus dem Jenseits ...
GEORG ihn sofort unterbrechend. »Jenseits«? Warum grade Jenseits?
DUFROY ungehalten-unwirsch. Oder sonstwoher! In seinem unterbrochen[421] Satz weiter. Ist mit einem weißen, »wallenden Gewand« behaftet, »leuchtend, wie aus frisch gefallnem Schnee«, du wirst an dieser Stelle sogar poetisch, und mit einer Papierschere ...
GEORG sich »relativistisch« in seinen Satz eingliedernd; die »betrübliche Tatsache« noch unterstreichend. Die du noch dazu selbst mir mal geschenkt hattest ...
DUFROY nickend; wieder »ganz ahnungslos«. Ja. Die ich noch dazu selbst dir mal geschenkt hatte! Von neuem. Mit dieser Papierschere schneidest du aus dem Kostüm der Dame, »Marginal«-Bemerkung; »feinsinnig«. selbstverständlich mit deren Einwilligung ...
GEORG hinter seinem Schwiegervater an »Delikatesse« jetzt, scheinbar, nicht zurückstehend. Versteht sich!
DUFROY durch diese Zustimmung kaum unterbrochen; in seinem neuen Satz weiter und diesen mehr und mehr mit »attischem Salz« würzend. Ein über Hand großes Stück; die liebreizende Tausendkünstlerin, mit einer graziösen Bewegung ihrer feingeformten Rechten, Das Betreffende exekutierend. streicht nur einmal über den Defekt ... Kleine Überraschungspause. und das Gewebe ist wieder ganz!
GEORG scheinbar wie nur zu Marianne rüber; ihn damit gleichzeitig abfertigend; »zwei Fliegen mit einer Klappe«. Worüber du dich natürlich ebenfalls etwas verwunderst.
DUFROY während Marianne wieder nur die Achseln zuckt; Notizblock; Geste. Auch hier kommt's noch besser! Auf Seite dreihundertundneunundsiebzig verschickst du kleine Proben dieses interessanten Stoffs an so ziemlich alle ersten Modewarenhäuser der Welt, und nicht eine einzige dieser Firmen ist imstande, dich über den mysteriösen Ursprung dieses seltsamen Fabrikats aufzuklären!
GEORG gelassen-gleichmütig. Was ich, als das für mich Wahrscheinlichste, auch bereits vorausgesehn hatte!
DUFROY in seinem Rapport weiter. Die so zurückerhaltenen Bruchteilchen verschließt du in eine ovale Metallkapsel, verlötest diese eigenhändig, und als du dann diese Kapsel nach Ablauf von sechs Wochen, Von neuem wieder Notizblock. Seite vierhundertvierundachtzig,[422] wieder öffnest ... Auch jetzt wieder die kleine Pause. ist die Kapsel leer!
GEORG noch immer an sich haltend; so versteckt- drohend es aus seinen Worten auch bereits klingt; Vorhänge wieder dunkel. Und wenn ich nun den Spieß, lieber Schwiegervater, plötzlich umdrehe? Und dir ebenfalls mit einem kleinen Fragezeichen komme? ... Da der »liebe Schwiegervater« ihn nicht sofort »versteht«; noch nachdrücklicher und seinen Wischer von vorhin ihm jetzt mit Zinsen wieder heim- und zurückzahlend. Glaubst du in einem vielleicht jetzt normalen Moment wirklich, daß ich mir meine »verläßlichen Angaben« als »vertrauenswürdiger Chronist« bloß um dich und allenfalls auch noch einige andre Leute deiner Denk- und Anschauungsart zu ärgern, grob deutsch gesagt, aus den Fingern gesogen habe?
DUFROY in die »Luft« vor sich hin; mit den Fingern der Rechten auf der Armlehne seines Sessels trommelnd. Man kann sich täuschen!
GEORG langsam; fast lauernd. Hältst du mich ... für einen ... Scharf wie aus der Pistole. Simpel?!
DUFROY wie vorhin; nur noch verstärkt. Oder auch, wenn dir dies ehrenvoller und respektabler vorkommt, sich täuschen lassen!
MARIANNE schnell; unterdrückt-heftig; ihren Anschuldiger jetzt endlich »stellend«. Durch mich oder durch Onkel Ludwig?
DUFROY aufgebracht-ablehnend. Wie soll ich das wissen?!
GEORG zu Marianne rüber; ihr sekundierend. Aha!
MARIANNE noch entschiedner. Wenn du mit einer ... gelinde gesagt, derartig gewagten Behauptung kommst?
DUFROY »in die Ecke gedrängt«-ausweichend. Es wäre immerhin möglich ... und vielleicht schließlich gar nicht einmal so weit von sich abzuweisen ... daß unter Umständen ... selbst auch noch dieser greise und schon beinah halb irre Fanatiker ...
MARIANNE die ihn nicht ausreden läßt; noch energischer. Also, mit andern Worten, jedenfalls ich, als die dabei Hauptbeteiligte!
DUFROY der sie nicht anblickt; Georg, ihren »Parteigänger«, aber ebensowenig. Ich sage nicht ja und sage nicht nein!
GEORG vor solcher »Taktik« fast »sprachlos«; unwillkürlich; losplatzend. Sehr gut! Wirklich! Ganz ausgezeichnet!
MARIANNE noch immer zu ihrem Vater; als sähe sie eine ganze, große Seite[423] seines Wesens plötzlich zum erstenmal, oder doch wenigstens in einem für sie gänzlich neuen »Licht«. Das ist für dich die einzige Erklärung?
DUFROY heftig; wieder keinen von beiden anblickend. Ich sehe mich bis jetzt vergeblich ...
GEORG ihn unterbrechend; scharf, aber doch mit aller Kraft an sich haltend. Und da doch für gewöhnlich niemand etwas ohne jeden Grund und ohne eine gewisse Absicht tut ... wie denkst du dir ungefähr, in diesem Falle, die Motive deiner Tochter?
DUFROY achselzuckend; noch immer wie vorhin; bereits beinahe mit einem Stich ins Verächtliche. Die Motive einer Frau ...
GEORG zu Marianne rüber; höhnisch, fast schadenfroh. Sieh, sieh!
MARIANNE auch sie noch wie vorhin; dabei aber zwischendurch, einen kurzen Moment, jetzt erregt nach Georg rüberblickend; ihre Stimme hat auf einmal einen fast harten Klang. Du wirst mir doch damit ... hoffentlich ... nicht etwa andeuten wollen ...
DUFROY unbeherrscht; losbrechend; jede Steuerung seiner selbst und überhaupt der ganzen Situation vollkommen verlierend. Was sich seit drei Jahren in diesem Hause hier abgespielt hat ... und noch abspielt ... ihr mögt mir sagen und versichern, was ihr wollt ... ist für mich von einer Unkontrollierbarkeit ...
GEORG seinen Paroxysmus unterbrechend; brodelnder Vesuv mit einer plötzlich zehn Meter dicken, künstlichen Eisschicht über sich. Also, liebe Marianne ... da sich jetzt die ganze Geschichte so angenehm ins Persönliche dreht ...
DUFROY der schnell und sofort wieder »zur Besinnung« gekommen; zurückstoppend. Du darfst meine kleinen Einwände ...
GEORG »kühl«. »Kleine Einwände« ist vorzüglich! ... Wieder zu Marianne rüber, die ihn groß anstarrt. Ich habe mir also unsre Sache ... nun doch wieder anders überlegt! Ich werde meine Papiere weder vernichten, wie ich dies in meinem Unmut ... Abbrechend und sofort wieder weiter. noch, und vor allem ... Letzte, eiserne Entschieden- und Entschlossenheit. Ich werde jetzt dieses Haus nicht verlassen!
DUFROY vor Überraschtheit fast »Salzsäule«. Du ... wolltest ...?
GEORG kurz. Ja. Es war meine übereilte Absicht gewesen, dir aus schwiegerpersönlicher Rücksichtnahme ... Abbrechend. Es war[424] Torheit! ... Von neuem zu Marianne. Du wirst mir die Liebe tun, die besprochne letzte Sitzung ... Auf eine unwillkürliche, fast wie entsetzte Bewegung von ihr; noch verstärkt. jawohl! ... ganz gleich, ob dein Vater nun an ihr teilnehmen will, oder nicht ... mit mir abzuhalten, Jetzt zu seinem Schwiegervater rüber, der, in seinen Sessel zurückgesunken, kaum seinen Ohren traut; wieder hellste Sonne. und ich werde schon morgen die sofortige Wiederaufnahme meiner Vorlesungen ankündigen!
MARIANNE aufgestanden; letzte, zitternde Angst und Freude gleichzeitig in ihrer Stimme; ihren Vater in diesem Augenblick ganz vergessend. Georg!!
GEORG sitzengeblieben; jeden Akzent schärfst betont. Es wäre eine Feigheit von mir sondergleichen, einen Tatsachenverhalt, von dessen realer Existenz mich meine Gott sei Dank noch vollkommen gesunden Sinne überführt und überzeugt haben ...
DUFROY sich jetzt ebenfalls erhebend; mit beiden Händen noch hinter sich auf seinen Armstuhl ge stützt; stammelnd. Bist du ...
GEORG der sich jetzt gleichfalls erhoben; die Rechte auf sein Tischchen gestützt; die Linke leicht in der Seite; zu seinem Schwiegervater rüber; dessen diesem vor innerer Erregung steckengebliebne Frage prompt beantwortend. Ich fühle mich vollständig im Besitz meiner Vernunft und überblicke durchaus die Tragweite dessen ... was ich dir eben eröffnet habe!
DUFROY der ihn noch immer anblickt, seine Worte nur mit Mühe aus sich rauspressend. Von deinem Berliner Lehrstuhl ... als ordentlicher Professor der Chemie und Physik ...
GEORG ihn unterbrechend und in seinem Satz, von sich aus, weiter; jeden Akzent wieder aufs schärfste betont. Unter dem denkwürdigen Rektorat meines schwiegerväterlichen Lehrfreundes, Beschützers und Gönners Professor Doktor Eduard Charles Gaston Dufroy-Regnier, geboren Achtzehnhundertachtundvierzig zu Massana in der Republik Andorra ...
DUFROY unwillig, heftig. Was hat hier die Republik Andorra ...
GEORG durch diese Unterbrechung in seinem »Stiehm« noch gesteigert und erst jetzt seinen Satz zu Ende führend. Werde ich die Stirn und den »herostratischen Mut« haben, inmitten einer trampelnden, oder wenn du willst, auch scharrenden Zuhörerschaft[425] der erstaunten, nördlicheren Hemisphäre diese Riesenbären aufzubinden! Verlaß dich drauf!
DUFROY nachdem er sich von dem Schreck, in den ihn diese Wiederholung der ihm von seinem Gegner gemachten Eröffnung versetzt hat, einigermaßen wieder erholt hat; als ob er ihn plötzlich von einer Art Koller befallen, oder für »gelinde gesagt blödsinnig« hielte. Und zu welchem ... falls ich mich überhaupt noch unterstehn darf, darnach zu fragen ... zu welchem Zweck ... willst du dich in dieser Weise opfern?
GEORG aufrecht, regungslos, fest. Um einer Idee ... die älter ist, als eure ganze, sogenannte moderne Wissenschaft ... einen Streiter mehr zuzuführen!
DUFROY ihm an seinem Platz ebenso aufrecht gegenüber; Schultern und Kopf hochmütig zurückgeworfen; ihn feindselig messend. Und diese »Idee« ... nennt sich, oder ist?
GEORG mit der gleichen, ehernen Ruhe, wie vorhin. Einer armen, gequälten Menschheit, der dies elende, unsinnige, irdische Jammerdasein nicht genügt, und die an ihm verzweifelt, die Unsterblichkeit derselben Seele unwiderlegbar zu beweisen, die ihr unter euern Seziermessern ... nie habt finden können! ... Feurig; seine Stimme noch hebend; mau merkt ihm an, wie er bei seinen Worten »mit ganzem Herzen, mit ganzem Gemüt und mit ganzer Seele« ist. Um dieses höchste Problem ... dem kein andres gleicht ... mit dem an Wert und Wichtigkeit ... sich nichts messen kann ... hinter dem alles zurücksteht ... um das unser Hirn sich müht, seit es denken gelernt ... und gegen das euer ganzer, sich »modern« schimpfender »Fortschritts«-Schwindel ... mit seinen Dreadnoughts, Luftkreuzern und Unterseebombenbooten kaum noch die hohle, blutleere Bedeutung eines nichtigen, müßigen Spielwerks für kleine Kinder hat ... wird ... seit einer Generation bereits ... der entscheidende Kampf gekämpft!
DUFROY höhnisch; ihm noch immer gegenüber. Mit sich drehenden Tischen, mit Musikinstrumenten, die durch die Luft fliegen, und mit aneinandergeschraubten Schiefertafeln, die sich von innen selbsttätig beschreiben!
GEORG unerschüttert. Womit ist gleichgültig. Deine mechanistische[426] Wissenschaft, wenn du dir in dieser linguistischen Blumigkeit gefällst, hat zu Galvanis Zeiten mit zuckenden Froschschenkeln gefochten, zu den Zeiten Newtons mit dem diesem zufällig vor die Nase gefallnen Apfel und in den Tagen Watts mit dessen übergekochtem Teekessel! Der Kampf, von dessen ersten Anfängen du damals, über deinen »prähistorischen Prolegominis«, versäumtest Notiz zu nehmen, Letzte, wuchtigste Steigrung. wird heute in seinem letzten Stadium zum Austrag gebracht, und du darfst jetzt davon überzeugt sein, ich werde in ihm meinen Mann stehn! ... Nach einer kurzen Pause; Radfahrer. Marianne!.. Willst du mir dabei ... als treuer Kamerad ...
DUFROY während sie von Georgs feuriger Begeistrung hingerissen, noch dasteht und ihn mit leuchtenden Augen anblickt. Wähle! ... Nach einer kleinen Pause; noch schwerer; seine Brust arbeitet. Kann dir die Wahl ... und wenn ich dich eben ... auch vielleicht noch so mit Unrecht beschuldigt haben sollte ... überhaupt schwer fallen?
MARIANNE zu Georg, den sie noch immer anblickt; beinahe ekstatisch. Ich bleibe ... wo du bleibst!
DUFROY fast zurückgetaumelt; sie ganz entsetzt anstarrend. Du ... Nicht fähig, seine Frage zu beenden.
GEORG aufgereckt. Nun? ... Halb nach Marianne rüber; Geste. Noch ist die Möglichkeit ...
DUFROY plötzlich wie »um zehn Jahre gealtert«; unwillkürlich, einen Schritt von sich aus nach rechts; den Blick zu Boden, die Linke vor der Stirn; trübe Halbsonne. Das also ...
GEORG einen Moment fast wie Mitleid. Du willst jetzt ... gehn?
DUFROY fast feindselig-scheu zu Marianne rüber; noch immer wie halb gebrochen. Ich ... hätte überhaupt erst nicht ...
MARIANNE leise, weich, zärtlich. Vater!!
DUFROY mit dem Versuch, sich wieder zusammenzuraffen. Ich bedaure ... daß du in solche Hände geraten bist! ... Aber ... so Gott will ... Sich hastig »verbessernd«. Das heißt ... ich hoffe ...
GEORG noch immer aufrecht; eindringlich. Versuchs und überzeug dich! Unwillkürlich betreffende Geste. Ich biete dir noch mal die Hand! Nur so ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Das große[427] Wissensgebiet, das zu betreten du dich weigerst, ist ein so riesenhaftes, über jede seiner Diszipline existieren bereits so umfangreiche Bibliotheken, die lange Ehrenphalanx glänzender, ruhmreicher, exaktester Denker und Forscher, die sich mit ihm beschäftigt haben, ist schon eine so fast unabsehbare, daß die Vogelstraußpolitik, die du treibst ...
DUFROY der so lange, mit sich kämpfend, dagestanden; letzter Versuch, sich noch mal zur Wehr zu setzen. Ich glaube nicht, daß du durch solche Angriffe ...
GEORG ungeduldig, heftig; jeden weiteren Widerstand damit abschneidend. Sich gegen alle diese Dinge heute noch radikal ablehnend zu verhalten, ist nicht mehr »berechtigter Skeptizismus«, sondern einfach glatteste, platteste Unwissenheit!
DUFROY Marianne noch immer nicht wieder anblickend; schwankend, unschlüssig, im letzten und eigentlichsten aber doch schon gewonnen; wieder helle Sonne. Und ... mein Bruder? ... Wenn ich nun wirklich ... mich überwinden ... und an eurer Sitzung teilnehmen wollte ... würde der nicht sofort wieder ...
GEORG verändert-entgegenkommend; halb bereits wie gewandelt. Ich glaube, um diesen Preis ... würde sogar ganz im Gegenteil auch Onkel Ludwig ...
DUFROY sich vergewissernd. Das hältst du wirklich ... für so sicher?
GEORG eifrig, nachdrücklich; das Eisen schmiedend, so lange es noch usw. Ich bin überzeugt, daß auch deine Tochter Marianne ...
MARIANNE einfach, schlicht. Ich denke wie Georg.
DUFROY der sich jetzt endlich »wiedergefunden«. Gut! ... Man soll nicht sagen, daß ich mich kleinlich geweigert hätte ... selbst das mir allerschwerste Opfer zu bringen, wo es den Frieden ...
GEORG einfallend; »aufs höchste befriedigt«. In deiner Familie galt! Gewiß nicht! Zu Marianne rüber; fester Tonfall. Wir werden also unsre Sitzung, und zwar wir alle vier, noch heute abend ...
ONKEL LUDWIG hinterm Perlenvorhang links eben die Tür aufmachend. Kommen Sie nur, Baronchen! ... »Knax«. Eh! ... Kommen Sie!
UEXKÜLL noch draußen. Respektvollsten Dank!
ONKEL LUDWIG den man ebenfalls noch nicht sieht. Werd's schon machen! Sollen zufrieden sein!
GEORG der sofort, ganz erstaunt-ungehalten, aufgehorcht hatte; erst[428] nach der Tür, dann zu den beiden übrigen. Sollte dieses ... enfant terrible ...?
ONKEL LUDWIG durch den Perlenvorhang; einen Moment vor dem Anblick Dufroys ganz starr; erst dann nähertretend; ihn von oben bis unten zornfunkelnd messend; Halbsonne. Wer ist ... das?!
DUFROY durch die Anwesenheit jetzt auch zugleich Uexkülls, der hinter Onkel Ludwig »ehrerbietig« aufgetaucht ist, in der »freien Entfaltung« seines versöhnlichen, stiefbrüderlichen »Entgegenkommens« unwillkürlich etwas behindert. Lieber Bruder ...
ONKEL LUDWIG losplatzend; mit »schwellender Zornader«; erst zu Georg und Marianne rüber, dann zu Dufroy. Ich dachte ... der Scheiterhaufen ...
GEORG ihn unterbrechend; mißbilligend; von Uexküll zu Dufroy. Möchtest du die Güte haben?
ONKEL LUDWIG durch diesen »Supps« wieder zu sich gekommen. Ah so! ... »A« kurz. Ja! ... Natürlich! ... Nachgrollend. Warum nich? ... Beide einander vorstellend. Mein alter Freund Baron Uexküll ... Gemisch aus Stolz, Sarkasmus, Selbstüberhebung und noch verschiednen andern schönen Dingen. Herr Professor Doktor Dufroy-Regnier, Wirklicher Geheimer Rat, Exzellenz, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität, mein Stiefbruder!
UEXKÜLL den Hut nicht mehr in der Hand, so daß er ihn also wahrscheinlich auf Veranlassung von Onkel Ludwig irgendwo draußen abgelegt haben muß; gewandt-korrekt. Hohe Ehre!
DUFROY ohne es zu wollen, unter dem Druck des Moments, etwas steif-frostig. Angenehm.
ONKEL LUDWIG ähnlich wie vorhin; seine alte Feindseligkeit wieder aufnehmend. Also die Exekution ...
DUFROY schnell; ihn unterbrechend; in der Hoffnung, ihn dadurch in ein andres Fahrwasser zu lenken. Georg war so freundlich, mich zu eurer heutigen, Diese Worte lebhaft unterstrichen. letzten Sitzung zu laden!
ONKEL LUDWIG fast wie »vor den Kopf geschlagen«; den betreffenden »Attentäter« anstarrend. Georg?!!
GEORG brüsk. Ja!
DUFROY zu seinem Stiefbruder. Du scheinst ... zu meinem aufrichtigen Bedauern ...[429]
ONKEL LUDWIG noch ganz »gekränkte Leberwurst«; zu sämtlichen drei Beteiligten. Ohne ... mich ...? Ohne vorher mich ...
GEORG eisig. Ja! Denke dir nur dies Majestätsverbrechen!
ONKEL LUDWIG da er fühlt, daß sich in diesem Augenblick gegen seinen »neveu« nicht ankämpfen läßt; von neuem halb nach Dufroy rüber. Und das gesalbte Oberhaupt der Gegenpartei ...
GEORG fast heftig; in Gegenwart Uexkülls für den Angegriffnen energischst eintretend. Ich muß doch bitten!
ONKEL LUDWIG noch ergrimmter; in seinem unterbrochnen Satz weiter. Lehnt natürlich ...
DUFROY wie vorhin; eifrig; nochmal prallste Sonne. Absolut nicht! Mit seiner »Eröffnung« das Gegenteil von unzufrieden; sich unwillkürlich etwas reckend. Ich habe mich, nach allerdings innerm Kampf, entschlossen ....
ONKEL LUDWIG als hätte er nicht recht gehört. »Ent ...?«
DUFROY noch entschiedner; jetzt auch zu Georg und Marianne rüber. Entschlossen, dem von euch behaupteten Tatsachenkomplex ...
GEORG zu Onkel Ludwig. Du hörst!
DUFROY noch in seinem selben Satz weiter. Trotz meiner vorläufig prinzipiellen Stellungnahme gegen ihn ...
GEORG jetzt zu Dufroy direkt. Die dir niemand verübelt!
DUFROY seine Oratio schließend. Doch, behufs ernstafter, eingehender Prüfung, vorurteilslos, näherzutreten!
ONKEL LUDWIG sich mit der Linken flach vor die Stirn fassend; von einem zum andern blickend; noch immer wie verdattert; aber doch bereits ganz andrer Tonfall. Bin ich ... bei Verstand? ... Hab ich ...
MARIANNE die durch das plötzliche Wiederauftauchen Uexkülls wieder in eine merkliche Unruhe verfallen war, jetzt aber, wie es scheint, sich gar nicht mehr um ihn bekümmert; zu ihrem Vater, vermittelnd. Du siehst, wie Onkel Ludwig ...
ONKEL LUDWIG noch gesteigerter als vorhin; betreffende Haltung und entsprechender Blick. Stürzt hier nächstens ... die Decke ein?
DUFROY der jetzt merkt, daß er sein Spiel gewonnen; warm, herzlich; ihm »offen und ehrlich« die Hand bietend. Es freut mich ... daß du als mein Bruder ...
ONKEL LUDWIG ganz wie ausgewechselt; mit ausgebreiteten Armen zwei Schritte[430] vor ihm zurück; wie ein großer Bär. Laß dich mal ... sehn! ... Wie kuckste denn ... überhaupt aus?!
DUFROY etwas geniert-unbehaglich halb zu Uexküll rüber. Herr Baron ... wird zwar etwas verwundert sein ...
GEORG zornigst-mißbilligendes Räuspern; wie um dieser »Familienszene« vor einem so unberufnen Dritten ein möglichst schleuniges Ende zu machen. Hhr ... mm!!
ONKEL LUDWIG fast »empört«, zu ihm und Uexküll rüber. Wenn man nach zwei Menschenaltern ...?
UEXKÜLL »diskret«. Aber ich bitte!
GEORG knapp, kurz. Die Sache ist also abgemacht! Herr Doktor Brodersen hat gegen die Assistenz von Herrn Professor Dufroy nichts einzuwenden, und da die Herren ...
ONKEL LUDWIG aufgeräumt, ihn unterbrechend. Famos! Die »Gelegenheit« am »Zipfel« packend. Herr Baron, der sich für solche Vorführungen lebhaft ebenfalls interessiert ...
UEXKÜLL ihm assistierend; »bescheiden«; zu Georg und Dufroy gleichzeitig. Falls meine Bitte ...
GEORG auffahrend; bei Dufroy und Onkel Ludwig sofort Protest erhebend. Ich möchte da doch ...
DUFROY Geste; ihn beruhigend; aber dabei doch diplomatisch für Onkel Ludwig Partei ergreifend. Auch mir, lieber Georg ... Halb zu Uexküll rüber. wäre die Zuziehung eines gänzlich Unbeteiligten ...
ONKEL LUDWIG unwillkürlich. Bravo!
DUFROY wie vorhin; noch verstärkt. Und also damit gewissermaßen Unparteiischen ...
UEXKÜLL sich verbeugend. Zu gütig!
DUFROY wieder zu Georg; erst jetzt seine »Befürwortung« schließend. Nur lieb!
GEORG nach Marianne hin; scharf; wie von dieser Unterstützung und Hilfe erwartend. Ich weiß aber nicht ...
ONKEL LUDWIG zu Marianne rüber; ahnungslos; wieder »neugeborner Wickelknabe«. Dir ist das doch nich unangenehm?
MARIANNE aufgerichtet; Uexküll jetzt fest anblickend; ihre Worte seltsam betont. Wenn Herr Baron ... sich von dieser Sitzung ... Auto. etwas verspricht?[431]
GEORG dem dieser Tonfall auffällt; schnell; von einem zum andern blickend. »Verspricht«? ... Inwiefern?
UEXKÜLL ihn ignorierend; verbindlich zu Marianne rüber. Tausend Dank!
ONKEL LUDWIG entzückt; unwillkürlich zweimal leicht in die Hände schlagend. Bravissime!
GEORG ungehalten-mißgestimmt. Dann kann ich natürlich als Einzelner ...
UEXKÜLL zu Georg; höflich. Falls aber Herr Professor ...
ONKEL LUDWIG zu Uexküll; ganz »Autorität«; ihm die majestätisch erhobne Rechte fest auf die Schulter legend. Junger Mann ... ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und mein Wort ...
DUFROY jetzt endlich ebenfalls wieder eingreifend; zu Georg und Marianne. Nur noch eine Bedingung ... Rücksichtsvoll zu Onkel Ludwig rüber. Das heißt ...
ONKEL LUDWIG Geste, lebhaft mit beiden Händen. Alles, alles, was du ...
DUFROY zu Georg; sein »Amendement« sehr nachdrücklich betont. Als Raum, würde ich mir dieses Mal erlauben, nicht dein Laboratorium in Vorschlag zu bringen, das ich nun schon seit Jahren nicht mehr betreten ...
GEORG neugierig-ungeduldig. Sondern?
DUFROY jetzt auch noch zu den beiden übrigen. Euren alten Musiksaal!
GEORG der sofort zu Marianne rübergeblickt, die nur wie gleichmütig die Achseln zuckt; trotzdem unangenehm von dieser Forderung überrascht. Das erschwert uns zwar die Sitzung in einer Weise ...
ONKEL LUDWIG ihm, bedenklich, zustimmend. Allerdings! Allerdings!
DUFROY ans seinem Verlangen, das er sich »schuldig« zu sein glaubt, bestehn bleibend. Mag sein! Ich maße mir da nach der Richtung kein Urteil an! Aber ich hätte dann die Garantie ... Abbrechend und sofort wieder weiter. Ihr habt ihn in der Zwischenzeit nicht benutzt, er hat nur die eine, große Tür, die aus dem Gartensaal führt ...
GEORG jetzt innerlich bereits zu seinem Entschluß gekommen. Schön! ... Dann ist es aber vernünftger ... sein Oberlicht kann jederzeit von uns abgestellt und, je nach Bedarf, durch künstliches ersetzt werden, wir warten nicht erst den Eintritt der Dunkelheit ab ...
ONKEL LUDWIG jovial einfallend und ihm seinen Satz von sich aus schließend. Sondern überführen unsre Herren Skeptiker sofort![432]
DUFROY sich unwillkürlich wieder die Hände reibend. Einverstanden!
GEORG nicht lange »fackelnd«; wie einen Moment unbestimmt, ob er den Raum durch die Tür links oder rechts verlassen soll. Dann werde ich gleich ... Sich unterbrechend und noch mal nach der für ihn jetzt »Hauptperson« rüber. Also Marianne?
MARIANNE ruhig, fest; alle Anwesenden überblickend. Ich bin bereit.
GEORG schon an der Tür links; noch mal halb zu rück und betreffende, leichte Kopfbewegung. Vielleicht halten sich die Herren ... so lange im Garten auf!
ONKEL LUDWIG sofort nachdem Georg verschwunden, ebenfalls auf die Tür zu; zu seinem Stiefbruder. Herr Frater?
DUFROY der ihm den Vortritt lassen will. Nach dir, lieber Ludwig! Nach dir!
ONKEL LUDWIG der ihm bereits den Perlenvorhang gehoben. Keine Widerrede!
DUFROY den Perlenvorhang passierend. Nun! Damit du nicht denkst ...
ONKEL LUDWIG nochmal zu Uexküll zurück. Herr Baron? ... Zu Marianne; ihr gelaunt-scherzhaft mit dem Finger drohend. Hn? ... Mariannl?
UEXKÜLL kaum daß nun auch noch Onkel Ludwig verschwunden, sofort bis in die Mitte der Bühne und verhalten-erregt zu Marianne rüber, die ihn hochaufgerichtet, stolz-abweisend und fast verächtlich anblickt; dunkelste Lichtstimmung des ganzen Akts. Gnädigstes Fräulein ... sehn mich noch ganz erschüttert! Hätte mir nicht eben Ihr Herr Onkel selbst ...
MARIANNE die nur noch mit Mühe an sich hält. Sie werden dieses Haus ... unter irgendeinem Vorwand ... sofort und auf der Stelle ...
UEXKÜLL sich schnell und leidenschaftlich steigernd. Vertreiben Sie mich nicht! Verjagen Sie mich nicht! Stoßen Sie mich nicht von sich! Das traurige Geschick Ihrer armen Frau Schwester ...
MARIANNE deren Stimme fast zittert. Ich verbiete Ihnen ...
UEXKÜLL über ihre Unterbrechung hinweg. Sie sind zu grausam zu mir! Sie sind zu hart! Mein ganzes Leben seit jenem glücklich-unglücklichen Abend ist ein einziges Suchen gewesen! Wo ich auch war, wo ich auch weilte, immer wieder hat es mich hierher zurückgezogen! Und nun, wo ich für die Verlorne ...
MARIANNE außer sich. Sie ... wagen es ...
UEXKÜLL noch in seinem selben Satz weiter. Den wunderbarsten, köstlichsten Ersatz gefunden ...[433]
MARIANNE noch gesteigert. Sie besitzen die Stirn ...
UEXKÜLL der sie mit seinen Augen »verschlingt«. Sie sind ja noch tausendmal ...
MARIANNE die sich kaum noch kennt. Sie riskieren es, mir sogar noch obendrein ...
UEXKÜLL plötzlich; einen Schritt zurück; veränderter Tonfall. ... Bitte?
MARIANNE flammend. Sie wollen nicht gehn??
UEXKÜLL ruhig, »kühl«, selbstbeherrscht; als hätte sie ihm mit diesem Verlangen den pursten Irrsinn zugemutet. Durch was ... ich wäre ja sonst ... vor mir der naivste Tor ... könnten Sie mich im Moment dazu zwingen?
MARIANNE ausholend-drohend; jeden Akzent nachdrücklichst betont. Ich ... warne Sie! Hüten Sie sich! Nehmen Sie sich in acht!!
UEXKÜLL sich bereits wieder steigernd. Es wäre das erste Mal in meinem Leben, daß ich vor dem ... entzückenden, anbetungswürdigen ... Haß ... oder Zorn einer Frau ...
MARIANNE noch stärker. Der Mann, den Sie beleidigt haben ... so tief und so tödlich, wie ein Mann einen Mann nur beleidigen kann ...
UEXKÜLL ihre Energie noch überbietend. Sie ... lieben diesen ... Mann!
MARIANNE vor diesem »direkten Sturmangriff« nicht znrückschreckend. Und ... wenn ichs ... täte?
UEXKÜLL noch erregt-leidenschaftlicher. Sie ... lieben ihn!
MARIANNE mit letzter, fast höhnischer Selbstsicherheit und Kraft; sich unwillkürlich noch höher richtend. Seit dem ersten Augenblick ... wo er mir vor acht Jahren ... im Garten dieses Hauses ... gegenübertrat!
UEXKÜLL dessen »Besinnung« jetzt mit ihm »durchgeht«; wieder veränderter Tonfall; »kalte Wut«. Dann ... weiß ich jetzt auch ... aus welchen Gründen ... Pferdegetrappel. Ihre arme, bedauernswerte Frau Schwester an jenem siebzehnten Märzabend ...
MARIANNE ihn unterbrechend; unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Mein ... Herr!!
UEXKÜLL seine Eifersucht nicht mehr zügelnd. Sie ... lieben diesen Mann und ... Allerstärkst; wenn auch, wie überhaupt diese ganze Szene, durch den Moment und die Situation instinktiv etwas gedämpft. Sie betrügen ihn zugleich! ... Ihre ganze, sogenannte, angebliche Mediumschaft ...[434]
MARIANNE zusammengezuckt; heftig. Sie ... erfrechen sich ...
UEXKÜLL von seiner Anschuldigung nichts zurücknehmend; im Gegenteil sie noch unterstreichend; mit »eiserner Stirn«. Ich »erfreche« mich zu bezweifeln, was für mich einem Zweifel überhaupt erst gar nicht unterliegt!
MARIANNE von neuem ausholend; langsam; ihre Worte beginnen einen fast seltsamen, versteckt- warnenden Klangton anzunehmen. Sie ... könnten sich ... täuschen! Ihre Schuld ...
UEXKÜLL ungehalten-unmutig; dieses Wort weit von sich weisend. »Schuld!« »Schuld!« Es gibt keine Schuld!!
MARIANNE noch verstärkt. Ihre Schuld ist eine so erschreckend große ... daß, wenn sie jetzt für uns alle Letzte, beinahe qualvolle Steigrung. frei an den Tag käme ...
UEXKÜLL sie unterbrechend; überzeugteste, weder durch ihre Worte, noch durch ihr Verhalten auch nur im geringsten erschütterte Sicherheit und Bestimmtheit. Sie werden als ... Tochter Ihres Vaters, als ... Schwester Ihrer ... Schwester ... unter keinen Umständen und unter keiner Bedingung den Mut finden ...
MARIANNE ausbrechend; fast verzweifelt. Als ob das ... dann noch in meiner Macht läge! Als ob das ... dann überhaupt noch Sich wieder und noch mal zusammenraffend. Ich warne Sie noch mal ... und zum letztenmal!
UEXKÜLL energisch-äußerste, durch nichts mehr umzustürzende Entschlossenheit. Er ... oder ich! ... Ich oder er! ... Sie werden mich aus diesem Hause ... heute durch nichts mehr verdrängen ... und ich werde meine Augen Drohend. offen halten!
MARIANNE die sich jetzt wieder vollständig gefaßt hat; ihn von oben bis unten messend; ganz »Dame«. ... Sie sind ... kein Gentleman!
UEXKÜLL unter diesem »Peitschenhieb« nicht einmal zurückgezuckt; ihre »Blicke« erwidernd. Weil ich nicht ohne Kampf ... und zwar, falls es nottun sollte, nicht ohne Kampf bis aufs äußerste und letzte ... vor einem Ziel, das ich mir nun mal gesteckt habe ...
MARIANNE höhnisch-verächtlich. Ein ... nettes Ziel!
UEXKÜLL von seiner Leidenschaft einen Moment wieder überwältigt. Das ... herrlichste ... lockendste, das ich mir je ...
MARIANNE an ihm vorüber, ohne ihn anzublicken, und auf die Tür links zu; bevor sie diese ganz erreicht hat, sich noch mal nach ihm[435] umdrehend und ihm elementar ins Gesicht. Ich ... hasse und ... verabscheue Sie! Durch den Perlenlöwen ab.
UEXKÜLL der ihr »ohnmächtig« nachgeblickt; einen Moment, die Hände unbewußt seitlich geballt, mit sich ringend; halblaut, finster vor sich hin. Und wenn es mein ... Plötzlich, mit einem Ruck, sich zusammenraffend und ebenfalls auf die Tür links zu. Verderben ist! Ab durch das Perlenungetüm.
Vorhang.
Ausgewählte Ausgaben von
Ignorabimus
|
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro