[98] Schon bevor der Vorhang hochgeht, ertönt auf einem Harmonium gespielt das Thema des zweiten Satzes aus dem Schubertschen D-Moll-Quartett:
[98] Bei der Wiederholung des zweiten Teils, an der mit einem Kreuz bezeichneten Stelle, teilt sich langsam der Vorhang. An der mit einem Doppelkreuz
bezeichneten Stelle ist er voll auseinander gegangen. Die Bühne stellt ein hohes, geräumiges Atelier dar. Die Hinterwand wird fast ganz von einem einzigen, etwas hoch ansetzenden, dreiteiligen, flachbogigen, großscheibigen Fenster eingenommen. Und zwar haben dessen Seitenteile der Breite nach je drei, der Mittelteil vier Fensterfelder. In der Mitte des Mittelteils führt eine Tür, die mit ihren Scheiben die Breite von zwei Fensterfeldern einnimmt, auf einen langen, aber nur schmalen Balkon, der mit seiner flachen, niederen Eisenbrüstung fast über die ganze Bühne verläuft. Rechts und links dieses Fensters zwei bis auf den Boden reichende, naturleinene Lichtvorhänge, mit denen das Ganze beliebig von der Seite abgedeckt werden kann. Außerdem, den drei Fensterteilen entsprechend, drei weitere solcher Vorhänge, durch die das etwa unterste Drittel noch besonders abdeckbar ist. In den beiden Seitenwänden je eine Tür. Die Tür in der Seitenwand links[99] mehr dem Fenster zu, die in der Seitenwand rechts mehr nach dem Zuschauerraum. Die Tür rechts öffnet sich nach dem Zuschauerraum, vor der Tür links hängt ein tiefweinroter Friesvorhang, der nach dem Zuschauerraum hin zur Seite geschoben werden kann. Hinter diesem Friesvorhang erst ein tieferes Türgerüst. Die Türen, wie das Fenstergerüst,
schwarz. Um den ganzen Raum läuft ein dreieinhalb Meter hoher, steingrauer Paneelanstrich. Darüber die Wände und die Decke weißlich. Die Wände mit gerahmten Bildern bedeckt, die ausnahmslos Berliner Milieus darstellen. Der Boden fast ganz von einem echten, vielfarbig prächtigen Tierteppich eingenommen. An der Seitenwand rechts vor einer Chaiselongue mit ebenfalls tiefweinroter Decke ein halb eingebauter, schwarzer, brennender Gasofen, mit dem unterhalb des Fensters rechts und links der Tür eine steingrau gestrichene Warmwasserheizung korrespondiert. Am Kopfende dieser Chaiselongue nach dem Fenster zu eine leere Staffelei, hinter der mit den Rückseiten nach dem Zuschauerraum ungerahmte Bilder lehnen, Rotten stehen usw. Etwas nach der Hinterwand links auf geschweiften Beinen ein großer, schöner, runder Tisch mit allerhand Malutensilien und Rauchzeug, um den, die Polster wieder tiefweinrot, zwei entsprechende Sessel. Auf der Mitte des Tisches ein mächtiger, silberner, siebenarmiger Rokokoleuchter mit gelben Wachskerzen in roten Schutzschirmen. An der Seitenwand links, ganz nach vorn, ein kostbar geschnitztes, altgotisches Regal mit einer von rotem Tuch überspannten Hockergondel davor im gleichen Stil. Über der Chaiselongue ein kunstvoll gearbeitetes, japanisches Wandschränkchen.
Zwischen dem Regal und der friesverhangenen Tür zwei hohe, altchinesische Vasen. Mehr nach dem Fenster zu, zwischen Tisch und Chaiselongue, auf einem holzskulpturierten, sechseckigen Untersatz ein großer, bunt emaillierter Bronzekranich. Vor dem Regal, in der Tracht und Frisur der heiligen Cäcilie auf dem van Eyckschen Altarflügel, das Haar prachtvollstes venetianisches Rot, La bella Cenci. Auf der vorderen Ecke der Chaiselongue, ganz versunken, Url schlank; bartlos; edles, harmonisches, feindurchgeistigtes Cherubsgesicht; kurzes, apollinisch gelocktes Kastanienhaar; langer, leicht glockenförmig[100] geschnittener Tuchrock aus allertiefstem Violenblau; Hose aus dem gleichen Stoff, dunkle, künstlerische, ziemlich hochgehende Seidenweste; geschmackvolles, selbstgebundenes, von einer Nadel mit einer einzigen schwarzen Perle zusammengehaltenes Plastron unter einem Umlegestehkragen und dünne, feinstgliedrige, um den Hals getragene Golduhrkette. – Durch das große Fenster im Hintergrund, mit verschneiten Dächern, ein weit ausgebreitetes Panorama Berlins. Noch helles Nachmittagslicht.
LA BELLA CENCI während der Vorhang aufgeht und die Melodie immer lichter wird, in ihrer Pose aus dunkler Schwermut sich bis zu aufgelöster Ekstase steigernd. Nachdem die letzten Töne verklungen; die Hände noch auf den Tasten. Nun? ... Sitzen jetzt die sechzig Takte? ... Und meine Pose? ... Nochmal? ... Sich halb nach Url wendend. Oder sind Sie schon zu müde? Url: aus seiner Versunkenheit erwachend; er findet noch keine Worte; irritierte Bewegung, als ob ihm der Halskragen zu eng wäre; rechte Hand nach der Schläfe, La bella Cenci: auf ihrem Hocker jetzt ganz nach ihm umgedreht. Wo ... waren Sie wieder? Überhaupt: was ist Ihnen heute?
URL schwer. Ich hätte ... am vierundzwanzigsten Dezember ... nicht durch die Leipziger Straße gehen sollen.
LA BELLA CENCI im ersten Moment noch ganz perplex. Sie ... hätten ...? Ach, so! Jaja! ... Mit dem Hocker sich ganz nach ihm hindrehend. Bin ich mal wieder n Bähschäfchen! Mit ändern Worten: Sie wünschten, Sie hätten mich nie gesehn!
URL zögernd-schwankend. Ja und ...
LA BELLA CENCI aus seiner »Seele«. »Nein!« Leicht mokant. Delphisch-mystisch wie immer!
URL sich zusammenraffend. Also denn ...
LA BELLA CENCI ihm zuvorkommend. »Ja!«
URL energisch nickend. Ja!
LA BELLA CENCI leis pikiert. Soso! Hmhm!
URL leicht abwehrend. Sie ... dürfen das nicht ...
LA BELLA CENCI fast wegwerfend-achselzuckend. Kostbar! ... Sie sind ein seltsamer Heiliger![101]
URL gequält vor sich hin, die Linke aufs Knie, die Hand vor der Stirn. Wenn ich mir jenen ... sonderbaren ... Moment ... unserer damaligen Begegnung ... so nochmal ...
LA BELLA CENCI überlegen-spitzspöttisch. Gut. Also rekapitulieren wir! Mit einer gewissen liebenswürdigen Unbarmherzigkeit ihn aufziehend, um sich an ihm zu »rächen«. Ein junger ... offenbar den wohlhabenderen Ständen der Bevölkerung angehörender ... besser gekleideter Herr ... der in seinem Zwanzigtausendmarkpelz ...
URL von diesem »Zwanzigtausendmarkpelz« etwas unbehaglich berührt. In ...
LA BELLA CENCI noch unterstrichen betonter. Der in seinem Zwanzigtausendmarkpelz ...
URL in seiner sitzenden Stellung sich aufrichtend, ihrer Kandare sich fügend, in ihrem begonnenen Satz gelassen-ruhig weiter. Und ... mitten im dicksten Weihnachtstrubel ...
LA BELLA CENCI. Ganz versunken ... vor dem großen Spielzeugschaufenster von Wertheim stand. Dazu ... eine nicht ... minder noch junge Dame ... die neben ihm plötzlich ... Fast dämonisch-boshaft triumphierend. »Drehn Sie sich nicht um! Reichen Sie mir Ihren Arm! Führen Sie mich zu einer Droschke!«
URL von ihrer detaillierten Erinnerung, fast wie gegen seinen Willen, »gepackt«. Ihre ersten ...
LA BELLA CENCI noch triumphierender. Worte! Nicht wahr? Die ruckten Sie nicht schlecht zusammen? So etwas war Ihnen noch nie passiert! Letzter »Hieb«.. Is ja auch!
URL noch ganz vorwurfsvoll schmerzlich. Sie rissen mich an jenem Abend ... aus einer Stimmung ...
LA BELLA CENCI in ihrem grausamen Katz-und- Maus-Spiel nicht nachlassend. An unserm Tischchen bei Borchardt habe ich nichts davon bemerkt!
URL. Wenn ich es auch ... selbstverständlich ... für meine Pflicht hielt ...
LA BELLA CENCI ihn lebhaft unterbrechend. Oh! Nicht nur das! Von dem Moment ab, wo ich mich Ihnen als der berühmte, international weltgefeierte, sagen wir ... »Stern von Paramaribo« entpuppt hatte, waren Sie von einer Amüsantheit ... von einer Liebenswürdigkeit,[102] und ... Url: leis abwehrend gequälte Geste. aber ganz unbedingt, ja!
URL leicht zustimmend ironisch. Zweifellos!
LA BELLA CENCI noch in ihrem selben Satz schnell weiter. Und ... versteht sich, bei aller gesitteten Wohlerzogenheit, die für mich noch immer eine Art Gloriole um Ihr Haupt webt ... von einer Laune, daß ich die instinktive Sicherheit, mit der ich meine schnelle Wahl getroffen, im stillen selbst bestaunte!
URL von ihrem Ton angesteckt. Und als ich dann noch gar auf mein kleines Hottehüh-Steckenpferdchen geklettert war, »die moderne Wiedererweckung des antiken Mimodrams« ...
LA BELLA CENCI ihn unterbrechend; in seinem Satz weiter. Von dem herab Sie mir, und zwar in blühendsten Tintorettofarben, diese Sensationsnummer für meinen nächsten Winter improvisierten, jawohl ...
URL. Da blendete ich Sie durch einen »Geist« ...
LA BELLA CENCI zustimmend; in seinem Satz, wie vorhin, weiter. Kaptivierten Sie mich durch einen souveränen Übermut, funkelten Sie von einem Temperament ...
URL erst jetzt seinen Satz schließend. Kein Prestidigitateur hätte spielender Chrysanthemen aus seiner Manschette in die Soffitten schleudern und immer wieder zurückfangen können, als ich damals ... meine spirituellen Einfalle!
LA BELLA CENCI. Gewiß! Mit allen diesen Vorzügen, und wenn Sie sie jetzt auch nachträglich noch so sehr selbst verspotten, waren Sie damals behaftet! ... Seitdem freilich, ich kann Ihnen das ja ruhig sagen, sind Sie zu mir fast nur noch ... von einer wachsenden Wunderlichkeit!
URL ausweichend gequält. Wenn ich Ihnen diese ganze Zeit über wie ein verschrobener Sonderling ...
LA BELLA CENCI. Pardon! ... Nicht erst »diese ganze Zeit über«. Ihre Absonderlichkeit setzte bereits ein, als ich Sie mir nach unsrer zweiten Veuve extra dry über das rote Seidenschirmchen weg aufs Korn nahm und dann plötzlich mit meiner Attacke überrumpelte, mir Ihre so keck sich steigernden Phantasien ... Bei jedem neuen Wort dessen betreffenden Inhalt durch Haltung und Ausdruck unwillkürlich leicht symbolisierend. Venus Coelestica,[103] Venus Genetrix, Venus Nutrix, Venus Perversa, Venus Dolorosa, Venus Ultrix, Venus Pandemos ... doch allerhöchst-eigenhändigst selbst einzustudieren! In dem Augenblick zogen Sie ein Gesicht, einen »Flunsch« ... na! ... So schnell, weltmännisch gefaßt, Sie sich auch wieder aufrappelten; Sie merktens ja: auch mir war der ganze Brei verhagelt! Daß ich mich über meinen Vorschlag mit Ihnen schließlich trotzdem einte, war nur noch ... rein äußerlich! Sie ... »wurden« nicht mehr, und ich ... hatte auch meinen Teil! Wir schieden und waren wohl beide überzeugt, daß sich unsere Wege zum zweitenmal ... nicht mehr kreuzen würden!
URL der unter ihren Worten fast physisch gelitten; gequält. Sie ... ahnten ja nicht ...
LA BELLA CENCI grausam; fast höhnisch. Was Sie ... in jener Sekunde ... gelitten!
URL sie vollst anblickend; letzt schmerzlichst. Nein! Das ... wissen Sie auch noch nicht!
LA BELLA CENCI durch seinen Ton unwillkürlich berührt, jetzt etwas einlenkend. Ich bitte Sie! Wenn ich ... als »Mädchen an sich« auch nicht Psychologie studiert habe so viel »seelisches Einfühlungsvermögen« dürften Sie mir schon zutrauen: daß Sie mir über das Verzweifelte Ihrer Lage nicht gleich reinen Wein eingeschenkt hatten ...
URL ganz überrascht betroffen. Sie scheinen ... anzunehmen ...
LA BELLA CENCI ihm schnell ins Wort; immer wärmer begütigend. Aber nichts war verzeihlicher! Ich begriff und verstand Sie sofort und vollkommen, als am übernächsten Vormittag statt Ihrer Ihr Brief kam.
URL der ihr ganz starr zugehört. Mein ...? Wie in plötzlich halbem Begreifen; die Augen noch auf sie geheftet, unwillkürlich. Ja!
LA BELLA CENCI noch begütigend wärmer als vorhin; zuletzt mit einem Blick durch den Raum. Wem ein so schwerer Schicksalsschlag nicht einmal die eignen vier Wände gelassen, wenn Ihnen auch noch dies Asyl hier bei Ihrem Freunde geblieben war ...
URL der ihrem Blick unwillkürlich gefolgt war. Bei ...
LA BELLA CENCI. Wirklich! Sie sollten sich über eine solche mehr als Entschuldbarkeit nicht noch nachträglich so ...[104]
URL sich mit der Linken, als ob ihm endlich etwas wie ein Verständnis dämmerte, vor die Stirn fassend. Erst jetzt wird mir klar!
LA BELLA CENCI. Um Gottes willen, was denn?
URL ausbrechend. Ich in meiner unglückseligen Verzwicktheit, nie an die gerade allereinfachsten Selbstverständlichkeiten zu denken! Sie mußten ja zu dieser für mich so beschämenden Auffassung gelangen!
LA BELLA CENCI jetzt fast ebenso ratlos wie er vorhin. Auch jetzt noch, ich ...
URL immer erregter. Ein Mensch, der sich prahlerisch mit einer Existenz brüstet, die er schon längst nicht mehr ... führt, und der sich dann auf solchem verdrehten Schwindel ertappt sah ... Ein mich noch peinigenderes Mißverständnis ...
LA BELLA CENCI der seine Erklärungen immer rätselhafter geworden, fast angstvoll. Ja, wie denn? Sie ... schrieben nur doch! Anderer Tonfall. Ihr so glücklich weltabgekehrt einziges, nur von Ihrem ehrwürdig silberhaarigen Turteltäubchen- Dienerehepaar »Philemon und Baucis« rührend unsichtbar betreutes, kleines, sonderbares Grandseigneurtum, in das ich mich schon beinahe halb wie verliebt hatte, existierte nicht mehr, Sie wieder Blick durch den Raum seien hier nur noch ...
URL der ihrem Blick wieder gefolgt war. Haben Sie sich von mir ...
LA BELLA CENCI mit dem Wunsch, ihrem offenbar gegenseitigen Mißverstehen endlich ein Ende zu machen; anderer Tonfall; fast scharf. Wollen Sie mir nun, bitte ... volle Aufklärung geben?
URL mit dem Versuch, seine Erregung so sehr als möglich zu dämpfen; die hauptsächlichsten Worte prononciert betont. Der Fallit meines Vetters Brockenhusen, der Verlust unseres ganzen altererbten Familienvermögens, lag an jenem Abend allerdings ... schon wochenlang hinter mir! La bella Cenci: noch ratloser. Aber noch nicht eine Stunde ... bevor Sie dann so plötzlich ... verschleiert neben mir standen ... hatte mir ... Wieder, wie vorhin, Blick durch den Raum. Herr Hollrieder ...
LA BELLA CENCI die seinem Blick wieder gefolgt war. Herr ...
URL noch nachdrücklicher. Herr Hollrieder ... der einzige Mensch, der sich meiner angenommen, obgleich er mich damals noch kaum[105] kannte ... die niederschmetternde Nachricht bringen müssen ... alle seine Bemühungen, mir wenigstens zu einem leidlichen Arrangement zu verhelfen, seien endgültig gescheitert! In gerechter Selbstverteidigung. Durch mein Haus mit seinen Sammlungen, durch erhebliche Liegenschaften noch von meinem Großvater her, durch allerhand beträchtliche Außenstände, die sich dann ... als illusorisch erwiesen, glaubte ich ganz bestimmt und mit gutem Fug und Recht hoffen zu dürfen ... Sich plötzlich selbst unterbrechend und das letzte zusammenfassende Fazit ziehend. Ich hatte die lächerliche Höhe der Verpflichtungen, die ich in meiner totalen Hilflosigkeit allem Geschäftlichen gegenüber zum Teil auch noch für ganz Wildfremde übernommen hatte, gar nicht übersehn!
LA BELLA CENCI die ihm mit steigernder Überraschung zugehört und sich nun vor einem neuen, ihr um so tieferen Rätsel sehend. Und nach einem ... derartigen Debakel ... sofort hinterher ...
URL immer verinnerlicht-suggestiver, zuletzt ihr sein volles Geständnis ablegend. Daß ich Ihren ... drängenden Worten ... gleich so willenlos gefolgt war ... steht in meiner Erinnerung ... immer noch wie ein Rätsel! Nach einer Verzweiflung, deren Abgründigkeit Sie jetzt ... vielleicht ermessen werden ... nach einem innern Niederbruch sondergleichen ... in einem Zustand und einer Verfassung ohne jedes Hoffen mehr ... war unser Beisammensein ... so kurz und so flüchtig es dauerte ... mir als der letzte Rausch erschienen, den mir das Leben ... noch hatte schenken wollen! ...
LA BELLA CENCI nach einer kleinen, unwillkürlichen Pause; den Kopf etwas zurück, die Augen halb geschlossen; gepackt, das letzte Wort fast flüsternd. Also auf diesem ... Untergrunde!
URL ausholend; von neuem. Ich hatte meinem Wieder Blick durch den Raum. Freunde ...
LA BELLA CENCI die seinem Blick wieder gefolgt war; ganz verständnislos ...?
URL. Er mußte wohl gemerkt haben ... wie es mit mir stand. Seine rauhe Außenseite ...
LA BELLA CENCI aus ihrer halben Erstarrung wie erwacht; wieder unwillkürlicher Blick nach den Bildern; sich innerlich empörend. Seine ... Selbst da noch? In einem solchen Moment?[106]
URL in dem Gefühl, falsch oder wenigstens nicht ganz richtig begonnen zu haben. Nein. Ich hatte mir von ihm ... eine ganz falsche Vorstellung gebildet! Allmählich immer wärmer und eifriger. Hinter dem erbitterten Kunsteiferer, vor dem ich bis dahin eigentlich immer etwas ... wie Scheu empfunden, ja dessen, wie mir damals noch schien, denn doch vielleicht zu übertriebner Wirklichkeitsfanatismus mich oft ... geradezu von ihm abgestoßen hatte, spürte ich jetzt ... zum erstenmal ... den lebendigen Menschen: jene verstehendste Psyche jedes wahrhaft Schaffenden, die ich an ihm deutlich schon längst hätte bemerken müssen, wenn ich nicht durch die wiederholt schiefen Charakteristiken ...
LA BELLA CENCI reserviert abwartend. Hm?
URL leichte, verdeutlichende Geste nach der Tür rechts; in seinem Satz weiter. Eines interessierten Dritten ...
LA BELLA CENCI die seinen Blick und seine Bewegung verstanden; zweite Silbe kurz. Aha! Leicht ironisch-anklagend; jetzt ebenfalls Blick nach der Tür rechts. Der Herr Nachbar! Ich verstehe.
URL der ihr durch melancholisch-schmerzliches Nicken bedauernd beigepflichtet; von neuem in seinem Aufklärungsbericht weiter. Um mich zu trösten ... wie ich wohl fühlte ... offenbarte er mir: seine mürrische Verschlossenheit, seine schroffe Härte, die ihn ... seit Monaten schon ... von jedem Verkehr mit anderen so gut wie isoliert hatte ... sei nur noch ... mühsame Maske! Es sähe in ihm ... wahrscheinlich noch schlimmer aus ... als in mir! Nach länger als zehnjährigem Ringen ... sei er mit seinem Glauben nicht bloß an sich, sondern auch an seine Kunst selbst ... zusammengebrochen! Aber das Leben ...
LA BELLA CENCI ihn hart unterbrechend. Sehr vernünftig! ... Anderer Tonfall. Wie grauenhaft muß man mit allem fertig sein, um ... Abbrechend, wie in einer unwillkürlichen Rückerinnerung.
URL der auf ihre sonderbare Erregung, in diesem Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gar nicht geachtet. Und er überzeugte mich so, er suggerierte mir seine zähe Widerstandskraft derartig, daß ich ihm aus freiem Antrieb ... das feierliche Versprechen gab, das heilige Ehrenwort ...
LA BELLA CENCI die ihm, immer erregter, zugehört; fessellos grausam, in extremster[107] Verdammung. Und dieses »feierliche Versprechen«, dieses »heilige Ehrenwort«, würden Sie dann also noch an demselben Abend gebrochen haben ...
URL fanatisch; in ihrem Satz wie parenthetisch. Ohne jedes Gewissen!
LA BELLA CENCI jetzt, trotz ihrer ihm eben noch erst so elementar-schonungslos ins Gesicht geschleuderten Verurteilung, fast triumphierend. Wenn jener noch nicht sechzigste Teil einer Minute Sie nicht jäh daran erinnert hätte, daß es für Sie inzwischen ...
URL in ihren Satz einfallend und ihn schließend; sich rückhaltlos offenbarend. Dazu schon zu spät geworden war! ... La bella Cenci: aufgestanden und in den Raum links vom Tisch hin. Url: ihr nachblickend. Ja!
LA BELLA CENCI nach kurzer Pause zu ihm zurückgekehrt; scharf; fast zornig. Warum erzählen Sie mir das jetzt? Weshalb haben Sie mir das damals nicht sofort a tempo gesagt?
URL zurückgestutzt, aufgestanden, sie groß anblickend. Ich habe nicht ... gewußt ...
LA BELLA CENCI heftig; seinen Blick sprühend erwidernd. Was Sie sich und mir dadurch verbutterten! Zu den Bildern tretend und ihm den Rücken drehend.
URL ganz perplex konsterniert. Hätte ich ... auch nur im geringsten ...
LA BELLA CENCI abwehrend eisig; nervös nach den Bildern. Bitte! Für künstliche Wiederbelebungsversuche bin ich nicht!
URL der sich immer noch nicht gefaßt hat; noch gesteigerter. Hätte ich geahnt ... Sich, ganz ermattet, wieder setzend.
LA BELLA CENCI wie vorhin; ohne ihn anzublicken. Trösten Sie sich! Es ist auch möglich, daß mir das alles nur so in der Erinnerung scheint! Sie waren damals anders, und ich war anders!
URL aus schwerstem Ringen. Um so schmerzlicher für mich ... die Gewißheit ... daß ich zu jenem befreienden Entschluß ... Unwillkürlich nach dem auf dem Hocker liegengebliebnen Mantel von ihr und dem Regal rüber. nun nie wieder den Mut finden werde!
LA BELLA CENCI von ihrer Betrachtung der Bilder wieder einen kurzen Moment halb nach ihm zurück. Sie sind ... ein Mann! Url unter ihrem[108] Wort leicht zusammengezuckt .... Da scheint mir Ihr Freund ... Nach ihm voll zurückgedreht. Sie sollten dem Leben mehr die Zähne zeigen!
URL bitterst; gegen ihre maßlose Grausamkeit, im tiefsten Herzen verwundet, in ohnmächtiger Wehr. Wo ich doch eben noch erst ... bedauerte ... daß ich damals nicht schon sofort ...
LA BELLA CENCI scharf; fast verächtlich; wieder von ihm weggedreht. Sie reden vom Tod, wie n kleines Mädchen von einem verpaßten Tanzvergnügen!
URL noch gesteigerter als vorhin; fast in letzter Verzweiflung. Wozu ich ... nach allem ...
LA BELLA CENCI. Mein Gott, Sich vom Tisch eine Zigarette ansteckend,. nun blasen Sie doch nicht wieder auf Ihrer alten Verzweiflungsflöte! Über irgend etwas in seinem Leben muß jeder weg! Sie können doch nicht ewig Ihren futschikato gegangenen Kupons nachweinen!
URL. Es ist nicht das Geld, dem ich nachtraure.
LA BELLA CENCI sich in den Sessel links plazierend und eifrig mit ihrer Zigarette beschäftigt. Sondern der hohe, edle, stolze, drolligerweise nie von dem geringsten Gasflämmchen oder gar elektrischen Fadenglühlämpchen profan erleuchtete, immer nur stil- und stimmungsvoll von Ihren Leichte, ironische Bewegung nach dem jetzt letzten dieser »Mohikaner«. vierundzwanzig silbernen, siebenarmigen, echten Rokokoleuchtern feenhaft durchstrahlte, anachoretisch einsame ... sagen wir »Elfenbeinturm« Entsprechende Geste nach dem Fußbelag. mit uralt ehrwürdigen Perser-Tierteppichen, den Sie sich dafür gebaut hatten! Als letztes Geheimsymbol der ganzen Herrlichkeit Kopfbewegung nach dem kleinen Japanschränkchen über der Chaiselongue. Ihre Giftsammlung und hinter einem Florentiner Brokatvorhang als Allerheiligstes Ihre verflossne Geliebte, die Mona Lisa! ... Als ob ich das nicht alles längst auswendig wüßte! Url: leicht hilflos-abwehrende Geste. Andere Leute müssen sich doch auch ihr Brot verdienen! Glauben Sie, ich produziere mich Abend für Abend zu meinem Vergnügen vor einem Parkett in Zylindern als Trikotschönheit? Päh? ...
URL. Wer von früh auf, wie ich, immer bloß in seinem vergoldeten[109] Käfig gesessen, mit instinktivem Grauen vor jeder Wirklichkeit ...
LA BELLA CENCI. Erlauben Sie, wer hat Ihnen denn anvertraut, daß ich nicht auch mal in einem, solchen gesessen? ... Sie können das doch gar nicht wissen!
URL langsam wieder aufstehend. Sie ... sagen es mir jetzt.
LA BELLA CENCI. Ich sage gar nichts. Ich sage nur ... daß Sie nicht so ein Ebenfalls aufstehend. Troddelmops sein sollen. Url, der unter ihrem Wort fast wie unter einem körperlichen Schmerz gelitten, nach dem Fenster zu gegangen. Na ja, wenn Sie einen ... nervös machen. Ein bißchen mehr Hoppsassa hinter der Unken Brusttasche, und einem Intellekt wie Ihrem ... Abbrechend und sich nach rechts in den Vordergrund der Bühne in Bewegung setzend. Vielleicht hat Ihnen Ihr verewigter Herr Vetter mit seinem glorreichen Bankkrach sogar noch den allergrößten Dienst erwiesen! Allein dies eine Programm, das Sie mir geschenkt haben! Url: leicht abwehrende Bewegung; La bella Cenci, vorn in der Mitte der Bühne, stehngeblieben. Jawohl. Geschenkt. Bar geschenkt. Ein neuer Trick ein neuer Hunderttausendmarkschein. Mindestens! Es kann auch das Vier und Fünffache werden! Erst jetzt sollte das eigentliche Leben für Sie beginnen!
URL. Und statt dessen ... La bella Cenci: nervös ungeduldig. Url: sich schmerzlich zurück im Raum umsehend. drücke ich mich hier bei meinem Freunde nun. Bei einem Menschen, der selbst nichts hat!
LA BELLA CENCI wieder nach links. Ich habs Ihnen doch angeboten! Ich brauche eine Kraft! Um Ihre eigne Idee zu lanzieren! Wenn Sie ihr nicht helfen, und zwar permanent weiterhelfen wollen, wie Sie mir schon bei diesem ersten Anfang geholfen: aus sich selbst wird sich die »moderne Wiedererweckung« Ihres »antiken Mimodrams« nicht in die Welt setzen! Oder geniert Sie das? »Impresario einer Brettl-Diva«? Einigen wir uns auf »Sekretär«, und die Sache verliert vielleicht ihren Beigeschmack.
URL noch ganz entschlußlos; mit der Rechten zaudernd am Kranich rumstreichend. Gönnen Sie mir ... noch einige Bedenkzeit.
LA BELLA CENCI. Wenn Sie glauben, daß Ihre Situation sich dadurch ändern wird ... Nach den Vasen hin. Die paar Trümmer, die Sie noch[110] gerettet haben, halten Sie bis an Ihr Lebensende nicht über Wasser. Besonders, wenn Sie Ihr generöses Wirtschaftssystem jetzt noch fortsetzen und alles zum Fenster hinauswerfen. Entweder ich übernehme In der Nähe des Regals. Ihr selten prächtiges, vollendet kunstvoll umgebautes Lieblingsinstrument zu seinem vollen Wert, oder Sie behalten den alten Kasten Auf die Tür links zu. Sie sollten dem Zufall unsrer Begegnung dankbarer sein. Den Friesvorhang links etwas zur Seite hebend. Margot? Die Tür wird geöffnet: »Madame?«. Vergessen Sie doch nicht nachher im Hotel. Der Portier soll streng darauf achten, daß sich niemand mehr mit einem photographischen Apparat einschleicht. »Oui, Madame!« Die Tür wird geschlossen. Ich habe heute einem Unverschämten seine Kamera aus der Hand schlagen müssen.
URL an den Sessel rechts getreten. ... Darf ich ... Sie mal etwas fragen?
LA BELLA CENCI. Wenn es nicht zu neugierig ist?
URL. Kannten Sie den Herrn, vor dessen Zudringlichkeit Sie mich damals ... um Schutz baten?
LA BELLA CENCI durch diese Frage einen Moment fast wie verwandelt; hinterm Sessel links; ihm gegenüber; aus ihrer Stimme klingt plötzlich beinahe etwas wie Angst. Warum ... inquirieren Sie mich?
URL. Weil Sie mir aus diesem einen Punkt her ...
LA BELLA CENCI noch ganz verwirrt. M?
URL. Sie sind doch sonst eine so energische Natur,
LA BELLA CENCI sich mit Mühe fassend. Gott sei Dank!
URL. Ich bin den Eindruck, den Sie damals auf mich machten, gar nicht mehr losgeworden! Sie waren ganz aufgeregt. Sie zitterten ordentlich. Sie müssen es doch ... gewohnt sein, daß Ihnen die Männer auf der Straße nachgehn.
LA BELLA CENCI sich von ihm abwendend; in den Vordergrund nach dem Regal zu. ... Bestien! ...
URL nach einer kleinen Pause; zögernd. Sind Sie mir ... böse?
LA BELLA CENCI ihrer Erregung mehr und mehr Herrin werdend; aber ihre Sicherheit, die ursprünglich eine naive gewesen ist, ist im Grunde nur noch eine nervös markierte. Nein. Denn von einer einzigen Episode abgesehn, die hier nichts zur Sache tut, sind Sie der[111] erste anständige Mensch in meinem Leben. Wenigstens bei dem ich wieder das Gefühl habe, daß er in mir nicht bloß das Weib sieht. Nur ... wie oft soll ich Ihnen denn das sagen? Ich kenne Berlin nicht. Ich bin zum erstenmal hier. Noch den Abend vorher war ich in den Folies-Bergères aufgetreten, kontraktlich am ersten Feiertag früh begann mein Engagement im Wintergarten, ich war also erst vor wenigen Stunden auf dem Potsdamer Bahnhof angekommen. Wieder nach dem Tisch zurück. Oder meinen Sie, daß jener geheimnisvolle Unbekannte, der Sie so überflüssig zu interessieren scheint, mir schon von Madrid oder Petersburg her gefolgt war? ... Lächerlich. Ein alter Beau, wie sie einem überall zu Dutzenden nachscharwenzeln. Mit dem Versuch zu lächeln. Wenns wenigstens ... noch n junger gewesen wäre! ... Ihren Zigarettenrest in den Aschbecher stoßend. Ich begreife Sie gar nicht!
URL auf sie zu. Verzeihn Sie. Ich hätte nur diese Frage ... nicht erlauben sollen.
LA BELLA CENCI. Also? Ihm die Hand reichend. Wenn wir gute Freunde bleiben wollen.
URL der ihr die Hand geküßt hat; sich wieder aufrichtend. Ich habe den Herrn ... gar nicht gesehn.
LA BELLA CENCI nach einem schnellen, mißtrauischen, sich vergewissernden Blick auf ihn. Um so besser. Wieder in den Vordergrund getreten, wo sie den Mantel aufnimmt. »Die sieben Verwandlungen der Venus!« Nummer eins: Die heilige ... Käkilie! Nachdem sie sich den Mantel um die Schultern gehängt hat; sich in ihn einwickelnd; kurzer, gemacht schwärmerischer Augenaufschlag. Virgo Immaculata! Die Jungfrau an sich, oder das verklärte Gänseblümchen! An sich hinuntersehend. Bekleideter kann n Mädchen fürs erste nicht recht sein. Mit einer halben Bewegung nach dem Harmonium hin. Wollen wir fortfahren? ... Oder nein. Ich sehs: Sie sind noch immer in den Mantel zu verliebt. Dieser bunte Lappen hat Sie heute ganz ...
URL in dem der Eindruck, den vorhin ihr verändertes Wesen auf ihn gemacht hat, noch nachklingt; etwa in der vorderen Mitte der Bühne. Er ist herrlich.
LA BELLA CENCI an ihrem Mantel leicht herabblickend. Ich finde auch. Der auf[112] dem van Eyckschen Altarflügel gleißt trotz seiner fünfhundertjährigen Patina kaum seraphischer. Wieder auf den Tisch zu. Na, ich kann ihn ja denn noch n Weilchen Parade tragen.
URL ihr langsam folgend. Ich bin schon ein Lehrmeister.
LA BELLA CENCI sich eine neue Zigarette ansteckend. Wie ich mir einen besseren überhaupt ... Auf eine bescheiden abwehrende Bewegung von ihm; sich in ihren Sessel links setzend. Nun ja! Ein andrer als Sie hätte einen so altehrwürdigen Kunstgroßpapa doch gar nicht zu variieren gewagt. Und dazu noch, um das Sakrileg voll zu machen, als musikalisches Motto Unwillkürlich nach dem Regal blickend. dies Schubertsche G-Moll-Motiv: Sich in den Sessel zurücklehnend; aus tiefer, rührender, klagend-bitterer Schwermut. »Vorüber! ach, vorüber! geh, wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh! Lieber! und rühre mich nicht an.« Sofort anderer Tonfall. Versprechender Anfang!
URL nach seinem Regal blickend. Ja, ich ... weiß wirklich nicht. Mein ... Sich setzend, mit entsprechender. Geste real massiges, schweres, gotisches Regal ... auf Wolken ...
LA BELLA CENCI auf seine plötzlich nachträgliche Bedenklichkeit nicht eingehend; wie als das allerselbstverständlichste von der Welt. Rechts oben, dahinter mit Harfe, Flöte, Kinngeige und Pandore, die vier musizierenden, quinquilierenden, psalmodierenden Weibsengel ...
URL in seiner begonnenen Linie, noch gesteigert, weiter. Dieser blutend rosendurchrankte, einfassende Lilienwald in seinem zierlich maßwerkgekrönten Spitzbogenrahmen nur durch einen spielenden Scheinwerfer flach phantasmagorisch hingezaubert ...
LA BELLA CENCI in unterstrichenem Erstaunen. Nun ja, und?
URL die in ihm aufgestiegenen Zweifel gegen die praktische Durch führbarkeit der von ihm selbst gefaßten Ideen noch immer nicht preisgebend. Gewiß! Allerdings! Als ... visuell bildhaft mitten in einen dunklen Raum vor eine davon überraschte und überrumpelte Menge suggestiv hingehängtes erste Silbe betont Symbolen ... Aber ... rein technisch ... als Ganzes ...?!
LA BELLA CENCI seine Bedenken zu zerstreuen suchend; ein Zigarettenwölkchen energisch in die Luft paffend. Aus Licht und Leinwand läßt sich heute alles machen! Url eine das abermals in Zweifel ziehende[113] Geste. Noch bestimmter. Alles! Verlassen Sie sich: Ihr byzantinisches Goldmosaik, das zu irisieren beginnt, Ihr verblassender Renaissancegobelin, der sich in Nebel löst, Ihr pompejanisches Wandgemälde, aus dem ich vor allem Volke so angenehm dekolletiert ins Meer steige. Nach der Richtung sind wir Ihrem geliebten, altrömischen Pantomimenidol längst überlegen! Und die Hauptsache, die fortschreitende Verinnerlichung, markiert lediglich, wie Ihre treffsichern Berliner sagen würden, durch »Pelle«, ja, da helpt nix: das muß jetzt im Schweiße Ihres Angesichts eben von mir erarbeitet werden. Ich will mir die Welt erobern, und ich werde sie mir erobern!
URL. Die ... haben Sie sich schon erobert.
LA BELLA CENCI überrascht. Seit wann ... verlegen Sie sich aufs Schmeicheln?
URL. Ich glaube ... ich referiere doch wohl nur ... eine Tatsache.
LA BELLA CENCI. Diese ewige »Lebende Statue«! Gräßlich! In prallweißer Seide bis an den Hals, das Gesicht und das Haar voll Kreide, und auf dem hohlen Postament ...
URL. Sie sind die erste gewesen, die dieses Genre als Künstlerin bewältigt hat!
LA BELLA CENCI aufstehend; verächtlich den Rauch ihrer Zigarette von sich stoßend. »Künstlerin«! Nach dem Vordergrund rechts zu; Url unwillkürlich ebenfalls aufgestanden. Wenn ich mich auch, gottseidank, nie an das üblich Abgedroschne hielt, wenn ich auch in meinem kleinen Weibshirn zum Glück noch immer so viel Grips besessen, um mir meine mehr oder minder »verführerischen«, sogenannten »Plastiken«, so im Grunde sie mich auch gleichgültig ließen, wenigstens aus Eigenem zu leisten: ich werde aufatmen, wenn ich das ganze Konditorzeug in der nächsten Saison nicht mehr zu tragieren brauche!
URL der ihr noch immer nachblickt. Sie sollten nur unsre Maler und Bildhauer hören.
LA BELLA CENCI scharf; nach ihm zurückgedreht. Bitte! Mit den Herrschaften ... Mir genügt, was ich von diesen »Edelsten« der Menschheit kennengelernt habe Wieder von ihm weggedreht.
URL durch den gereizt-aggressiven Ton ihrer Worte etwas seltsam berührt. Wo Höhen sind, da sind auch Tiefen.
LA BELLA CENCI Bezweifle ich nicht. Nur grade: weil ich Ihnen Ihre Höhen zu[114] gebe, ohne weiteres, um so ... Besonderer Tonfall. grauenhafter die Tiefen!
URL unwillkürlicher Blick nach beuten Wänden. Ich weiß einen ... für den ich meine Hand ins Feuer legen würde.
LA BELLA CENCI auf die Chaiselongue zu, nach den Bildern rechts hin. Der diese widerwärtigen Bilder gemalt hat.
URL jetzt langsam ebenfalls nach, rechts rüber. Sie sind nicht widerwärtig. Etwas hinter ihr vor diesen Bildern. Sie sind die leidenschaftlichsten Versuche, sich mit einer als Qual empfundenen Umwelt auseinanderzusetzen, denen ich begegnet bin. Dinge, die wir nie sahen, oder doch wenigstens an denen wir täglich vorübersahen, sind hier mit einer Wucht gepackt und wiedergegeben, daß man fühlt: so schmerzvoll empfänglich schwingt nur die Seele eines Autopersönlichsten.
LA BELLA CENCI. Und doch hatten Sie von diesem »Qualvollen«, als Sie noch der verwunschene Glücksprinz waren, Ihrem »Autopersönlichsten« auch nicht ein einziges abgekauft? Während Sie seine pinselnden, meißelnden, kritzelnden ...
URL nicht mehr ganz bei der Sache; leicht irritierter Blick nach der Tür rechts. Machwerke ...
LA BELLA CENCI in ihrem Satz ahnungslos weiter. Herren Konkurrenten und Kollegen ...
URL peinlich abwehrende Handbewegung, Blick die Wand hoch. Die ich mir nie ...
LA BELLA CENCI wie vorhin. Darunter sogar den erbärmlichsten seiner Nachbeter, diesen durchwachsnen, armselig traurigen Tropf Musmann ...
URL unwillkürlich wieder einen schnellen, unruhigen Blick nach der Tür rechts werfend.
LA BELLA CENCI lächelnd. Das hören Sie wohl nicht mehr gern?
URL mit seinen Augen wieder auf den Bildern. Damals ... verstand ich dies alles noch nicht. Wie ich auch ... den Menschen noch nicht verstand.
LA BELLA CENCI. Und jetzt »verstehn« Sie ihn?
URL. Wie ein ... Unfruchtbarer einen Fruchtbaren, wie ein Überflüssiger einen Notwendigen überhaupt verstehn kann.
LA BELLA CENCI unwillig-verwundert; fast fragend. Sie setzen sich in einer Art und Weise vor sich selbst herab ...[115]
URL. Er ist für mich einer jener ganz Wenigen, wie sie vielleicht nur alle paar Generationen mal ...
LA BELLA CENCI parodistisch-respektvoll; gemacht-beifällig. Plötzlich aus der berühmten, mirakulös schöpferischen Tiefe Ihres ... Plötzlich wieder anderer Tonfall. sonst aber und im übrigen von Gott und seinen sämtlichen Heiligen blamabelst verlassenen, sogenannten »Volkes« auftauchen! Summierend. Freuen Sie sich, daß ich kein Talent zur Eifersucht habe!
URL der während ihrer letzten Replik wieder nach der Tür gesehn hat; warm. Sie kennen ihn nicht!
LA BELLA CENCI. Und damit es Sie beruhigt, es ist auch nicht meine Absicht, ihn kennenzulernen!
URL erneute leise Unruhe nach der Tür hin.
LA BELLA CENCI jetzt etwas aufmerksam. Warum Sie nur ...? ...
URL über ihre Frage hinweggehend. Erbitterter mit seiner Kunst hat noch keiner gerungen. Er hat, jetzt schon und heute, und zwar rein aus eigener Kraft, ohne auch nur ein einziges Mal je seinen Fuß in irgendeiner Zeichen oder Malklasse irgendeiner öffentlichen oder Privatakademie gesetzt zu haben, ein Niveau erklommen, daß längst alles neben ihm Zeitgenössische ...
LA BELLA CENCI. Sie haben eine Hochachtung für diesen Mann ...
URL. Für diesen ehemaligen Steinmetz. Ja. Neuer Blick nach der Tür hin.
LA BELLA CENCI die bei dem Wort »Steinmetz« befremdet aufgehorcht hat. Sie sagten ...
URL. Verzeihung. Auf die Tür zu. Ich habe die Empfindung ... Hat die Tür schnell aufgemacht. Aah, Herr Musmann. Da der Ertappte bereits die Flucht ergriffen hat, ihm nachrufend. Wünschten Sie was? ... Die Tür schließend, achselzuckend. Schon um die Ecke.
LA BELLA CENCI. Empörend!
URL wieder etwas auf sie zu. So peinlich mir dieser Zwischenfall auch ist, und so äußerst Sie das vielleicht auch überraschen mag, aber ich muß Ihnen gestehn, ich war auf Ähnliches schon die ganzen Tage gefaßt. Da sein Atelier hier von diesem nur durch meine Kammer getrennt liegt, bin ich überzeugt, sooft Sie bisher den Korridor passierten ...[116]
LA BELLA CENCI. Lauerte dieser edle Dritte in Ihrem Bunde hinter seinem Schlüsselloch. Noch vorn links zu. Ich Schaf! Und in dieser Höhle ...
URL von ihrem scharf-erregten Ton wieder ganz betroffen; sich etwas verlegen zusammenreißend. Es bleibt mir nichts mehr übrig, als Sie um Entschuldigung zu bitten.
LA BELLA CENCI. Wie kann nur Herr Hollrieder, dies Nonplusultrawesen, vor dem Sie ja fast knien ... mit einem nervösen Blick nach der Tür rechts; stehngeblieben Mir ist diese Freundschaft ganz unverständlich!
URL beide jetzt im mittleren Vordergrunde der Bühne. Sie existiert nicht mehr.
LA BELLA CENCI. Aber sie hat doch mal existiert!
URL. Sogar leider bis zu dem Grade, das ihr erstes Bild ein gemeinschaftliches war: »Kameraden«.
LA BELLA CENCI dieses Bild unwillkürlich an den Wänden suchend.
URL der ihrem Blick gefolgt ist. Es ist ihm inzwischen ... so tief zu wider geworden, daß er es längst ... Leichte Kopfbewegung nach der Tür rechts, mit dem er schon jetzt, noch bevor er seinen Satz fortsetzt, andeuten will, daß sich das Bild drüben bei Musmann befindet.
LA BELLA CENCI. Mag es jetzt hängen, wo es Lust hat, das erklärt mir noch nichts! Da Url noch zögert. Wenn Sie aber natürlich vorziehn ...
URL. Nein. Ich sehe jetzt im Interesse meine Freundes keinen Grund mehr. Wenn Herr Hollrieder nicht der traurigen Überzeugung lebte, daß dieser arme Bedauernswerte, wie er ihn nennt und an dem er seit Jahr und Tag in jeder Weise gradezu alles getan, eigentlich nur noch pathologisch zu nehmen sei ...
LA BELLA CENCI die seiner Eröffnung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war. Und dann hat er ihn nicht schon längst von sich abgeschüttelt?
URL. Im Gegenteil. Je mehr sich für ihn die Anzeichen gehäuft haben, daß die Psychose seines früheren Schülers, Schützlings, oder wie Sie sonst wollen, sich immer deutlicher gegen ihn richtet ...
LA BELLA CENCI. Wie ist das nur möglich?
URL. Falls eine solche überhaupt vorhanden sein sollte ... mit Naturnotwendigkeit. Auf ihr erneut fragendes Erstaunen. Er stand ihm am nächsten.[117]
LA BELLA CENCI. Dann ist nicht dieser »arme Bedauernswerte«, sondern Ihr Herr Hollrieder selbst der Narr.
URL. Bis zu einem gewissen Grade leider ja.
LA BELLA CENCI wieder etwas rechts nach dem Tisch zu. Sein Leben mit solchem Ballast behängen! Wie kann man nur! Als ob nicht jeder ... doch wahrhaftig schon grade immer genug mit sich allein zu tun hätte! ... Sich umdrehend. Haben Sie denn gar keinen Einfluß auf ihn?
URL mit machtloser Geste. Ich habe mir mit all meinen gutgemeinten Warnungen bisher ...
LA BELLA CENCI wieder vor den Bildern links. Sie sagten vorhin »Steinmetz«. Wie ist das zu verstehn?
URL langsam zu ihr hin. Wie ich es sagte. Wörtlich. Der erste, der seine Begabung auch als Maler erkannte, und der ihm dann, rein materiell, seine frühsten Anfänge ebnete, war Herr Professor Lipsius. La bella Cenci: plötzlich maßlos überrascht, starrt ihn groß an; Url: dem diese erneute Veränderung in ihrem Wesen auffällt, stehngeblieben. »Deutschlands größter lebender Bildhauer«. Man mag diese Einschätzung überschwenglich finden. Auch über den Menschen braucht man vielleicht nicht einig zu sein. Wenigstens nicht in jeder Beziehung. Der neidloseste Förderer alles Aufstrebenden, der nobelste, hilfreichste Kamerad und Gentleman speziell in diesem Falle steht außer allem Zweifel.
LA BELLA CENCI die kaum auf ihn gehört hat; wieder auf die Bilder starrend. Seltsam. Kleine Pause; ihre Stimme hat nicht mehr ganz den selben Klang. Kommt Herr Professor ... Lipsius manchmal her?
URL. Da ich als Gast meines Freundes erst seit dem ersten Weihnachtstag hier hause, kann ich Ihnen wirklich nicht ... So viel ich weiß, weilt Herr Professor Lipsius jetzt in Italien.
LA BELLA CENCI. Ja. Jetzt!
URL durch das Eigentümliche ihrer Replik etwas befremdet. Wenn ich nicht irre, schon seit Anfang Dezember. Er ist in einem besonderen Auftrage der Regierung für längere Zeit, ich glaube, nach Florenz gegangen.
LA BELLA CENCI. Diese Mitteilung brachte die ganze europäische Presse. Ich habe sie seinerzeit im »Temps« gelesen. Scheinbar sehr für eins der[118] Bilder interessiert. Trotzdem waren der Herr Professor am Vierundzwanzigsten noch in Berlin.
URL überrascht. Sie kennen ihn?
LA BELLA CENCI. Nein. Nur seine Werke. Die ich so abgeschmackt als möglich finde.
URL. Der Mann ist kein Rodin. Seiner ganzen Generation fehlte bei uns vielleicht das letzte original Schöpferische. Aber so viele jüngere ihm auch längst nachdrängen: er ist ganz zweifellos noch immer der verdienstvollste.
LA BELLA CENCI noch immer ihm den Rücken drehend. Und der verlogenste! Mit scharfer Wendung wieder etwas nach dem Vordergrund links zu.
URL in dem ein aufgestiegener Verdacht immer starker wird. In diesem Punkt ... muß ich Ihnen leider widersprechen. Ich erinnere Sie nur an die eine Gruppe: jene Jungfrau, noch fast Kind, die den Drachen tötet. Etwas im tiefsten Sinne Wahreres kann aus Marmor und Bronze nicht geschaffen werden.
LA BELLA CENCI fast wider ihren Willen; stehngeblieben. Ich ... hasse diese Gruppe.
URL unwillkürlich etwas zurückgetreten; nach kurzem Stutzen. Sie ist unter unsern neueren Skulpturen die einzige, für die ich wirkliche Verehrung hege. Diskret weitertastend. Das Stückchen Romantik, das sich an sie knüpft, ist Ihnen bekannt.
LA BELLA CENCI ausweichend. »Romantik«?
URL. Das Modell zu jener Figur ... deren Entstehung jetzt übrigens ... ja, zehn Jahre zurückliegt ... La bella Cenci: fragender Blick. dies Modell.., soll seine einzige Tochter gewesen sein.
LA BELLA CENCI mit einem leicht irritierten Klang in der Stimme. Das ist doch nicht so sonderbar.
URL. Sie entlief ihm.
LA BELLA CENCI kurz. Ah! ... Das allerdings! ... Kröte.
URL. Ich kann darüber wirklich nicht spotten. Sie voll anblickend. Die glänzend Begabte La bella Cenci: unruhig. die an ihrem Vater zärtlich hing, soll von diesem abgöttisch geliebt worden sein. Sie war, wie man sich erzählt, in allem das vollkommene Ebenbild ihrer ganz jung verstorbenen Mutter.[119]
LA BELLA CENCI mit leis anklingender Erbitterung. Sie scheinen diesen Roman bis in alle Details zu kennen.
URL. Nur soweit mein Freund in ihn verstrickt ist.
LA BELLA CENCI schnell. Ihr Freund? ... Mit einem gleitenden, unwillkürlichen Blick über die Bilder. Herr Hollrieder? ... Inwiefern?
URL. Er war damals noch nicht zwanzig. Er hatte seine Lehrzeit grade hinter sich und war eben als Hilfsarbeiter ... Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Professor Lipsius bei seinen Riesenaufträgen ...
LA BELLA CENCI. Ich kanns mir denken.
URL. Er soll auch noch heute immer eine große Anzahl Leute beschäftigen. Die Ateliers lagen in einem alten Garten, der hinten ans Wasser stieß. Mein Freund hatte unter den vielen, zum Teil erst angefangenen Werken seine erste Nachtwache, und da alles um ihn still, und es nach einem außerordentlich heißen Julitag war, plötzlich die Absicht ...
LA BELLA CENCI mit einem scharfen, halb erschreckten, »vorbeugenden« Seitenblick zu ihm rüber. Sie werden sehr ausführlich.
URL der ihr Erschrecken bemerkt hat; um so bestimmt-ruhiger weiter. Es war lichter, heller Vollmond. Er stand ... seiner Kleider grade entledigt, noch im Dunklen ...
LA BELLA CENCI von ihm abgewandt; ihn nervös unterbrechend. Lassen Sie. Ich weiß.
URL nach einer ganz kleinen Pause mit gemachtem Erstaunen. Sie ... wissen?
LA BELLA CENCI halb mit dem Versuch, das eben von ihr eigentlich ganz gegen ihren eigenen Willen Gesagte nachträglich zu vertuschen, halb als ob das, was sie jetzt vorbringt, das im Grunde genommen Allernatürlichste von der Welt wäre. Gott, wie man von so etwas ... hat läuten hören und es dann wieder ... Ich entsinne mich. Jener mißglückte dumme, kindliche Ertränkungs- und Selbstmordversuch des Mädels, und wie sie dann am nächsten Morgen schon verschwunden war. Plötzlich andrer Tonfall; unterdrückte Heftigkeit; rechts vor ihm vorbeigehend. Nur daß allerdings nach der Version, die ich kenne, die wider ihren Willen Gerettete ihren Retter himmelhoch gebeten haben soll, über die Affäre reinen Mund zu halten! ... Zu ihm zurückgedreht[120] stehngeblieben. Was starren Sie mich so an? ... Als ob Sie mich noch nie gesehn hätten! ...
URL alles wieder »zudeckend«. Pardon.
LA BELLA CENCI. Der Verschwiegenste scheint Ihr Herr Freund demnach nicht zu sein.
URL. Mein Freund, für den dieser Vorfall vielleicht der tiefste Ein druck seines Lebens geblieben ist ...
LA BELLA CENCI schnell; zwei Schritte auf ihn zu. Woher wissen Sie das? ... Das wird er Ihnen doch kaum ...
URL mit besonderer Betonung des Doppelsinns. Gewisse Dinge ... errät man. La bella Cenci: sich abwendend; Achselzucken. In keinem Falle würde er sein Wort gebrochen haben, wenn ihm nicht die grenzenlose Verzweiflung des unglücklichen Vaters bereits an jenem nächsten Morgen die Mitteilung des Erlebten einfach zur Pflicht gemacht hätte.
LA BELLA CENCI nachdenklich. Also auf diese Weise! ...
URL. Erst viel später ergab sich, daß die Verschwundne nicht, wie man zuerst angenommen, doch noch Hand an sich gelegt hatte, sondern entflohen war. Nach einem kurzen Stocken. Wie sehr der Vereinsamte unter diesem Geschick auch als Künstler gelitten ...
LA BELLA CENCI wieder vollständig gefaßt; nach dem Tisch zu in Bewegung. Lassen wir ihn. Das Mädel wird ihren Grund gehabt haben. Der Herr Papa interessiert mich nicht. Ihren Zigarettenrest in den Aschbecher werfend; wieder in ihrem Mantel vor dem Regal; die Finger auf den Tasten; den alten Claudiusschen Text rezitierend. »Gib deine Hand, du schön und zart Gebild! bin Freund und komme nicht zu strafen.« Wie abwesend auf die Tasten starrend; aufstehend und den Mantel wieder zurücklassend. Nein! Ich bin nicht mehr aufgelegt. Dieses lächerliche Intermezzo mit Ihrem Herrn Musmann hat mich ganz aus dem Konzept gebracht! ... Sich abermals eine Zigarette nehmend. Beatrice, sich die Zigarette anbrennend. die schöne Zigarettenfresserin!
URL ihr zugewendet; einen Schritt zurücktretend. »Bea ...trice«?
LA BELLA CENCI. Beatrice Cenci. Jawohl! ... Sie sehn, ich paffe Ihren Herrn Freund noch ärmer, als Sies ohnehin schon alle beide sind.
URL sich zusammenruckend. Aber ich bitte.[121]
LA BELLA CENCI nervös auf ein andres Thema; wieder nach dem Regal zu. Wissen Sie auch, daß ich zu unserer ersten Kostümprobe heut meine arme Friseuse fast zwei Stunden lang gequält habe?
URL mit dem Versuch, darauf einzugehn. Dafür sieht man Ihrem Haar auch nicht mehr an ...
LA BELLA CENCI. Daß es gestern noch von sozusagen »strahlendstem Goldblond« war. Mit der Rechten über ihr Haar. Finger, die solche Probleme in fünfzehn Minuten erledigen, gibts doch eigentlich nur in Paris! ... Überhaupt ... Paris! ... Plötzlich, unvermittelt. Ich hätte nie wieder hierher zurückkommen sollen!
URL unsicher einen Schritt zurück. Sie hätten ...?
LA BELLA CENCI ihn voll anblickend. Sagen Sie nichts! Fragen Sie nichts! Denken Sie bei sich, was Sie wollen, nur halten jetzt wenigstens Sie reinen Mund! ... Auf ihn zu und ihm die Hand entgegenstreckend. Versprechen Sie mir das?
URL der ihr die Hand gegeben, seiner Bewegung Herr werdend. Ich verspreche es Ihnen.
LA BELLA CENCI von Url, der ihr nachgeblickt, an die Fenstertür getreten; von ihm abgewandt hinausblickend; langsam. Gibts im Leben ... überhaupt einen Zufall? Url: nicht fähig, ihr zu antworten ... Seit Jahr und Tag bereits. Ich habs gewußt. Irgendwie ... würde es wieder ...auftauchen.
URL unwillkürlich etwas auf sie zu. Noch ... steht es vielleicht in Ihrer Macht ...
LA BELLA CENCI sich wieder ins Zimmer drehend. Ich will nicht! Ich habe einmal A gesagt, ich werde jetzt auch B sagen! Ich muß mit dem ... was hinter mir liegt ... mal endlich und für alle Zeit fertig werden! ... Wieder vor den Bildern links; andrer Tonfall. Wie sind Sie eigentlich miteinander bekannt geworden?
URL der ihrem inneren Kampf so lange teilnehmend gefolgt war; am Tisch. Wunderlicherweise durch das Medium Musmann.
LA BELLA CENCI. Der sich an Sie herangedrängt hatte. Verstehe.
URL. Der immer eifrigst auf seinen Ruhm Bedachte hatte sich mir gegenüber zwar stets als das Originalgenie aufgespielt, als ich dann aber zufällig ...
LA BELLA CENCI ihn unterbrechend; kopfschüttelnd vor einem der Bilder. Wie[122] kann man als Mann nur solche Weiber malen! ... Diese betrunkne Alte, Pfui!
URL. In diese betrunkne Alte ... war er verliebt. La bella Cenci: verständnislos. Wie Franz Hals in Hille Bobbe.
LA BELLA CENCI. Scheußlich! Und diese entsetzlichen jungen Dinger hier! Das ist ja der Abschaum! Und die ... »Jöhrenschaft«! Trostlos! ... Und womöglich noch abschreckender als die Menschen, die Dinge!
URL ihr höflich nicht ganz zustimmend; kurzes »a«. Ja ...
LA BELLA CENCI den Blick nochmals über die Bilder schweifen lassend. Ich begreife nicht! Wie können Sie dieser peinigenden Häufung alles Abscheulichsten auch nur den geringsten Geschmack abgewinnen? ... Sie, grade Sie, der Sie bisher in einer Welt gelebt hatten ...
URL ruhig. In der man sich selbst betrügt. Mit den Augen nach den Bildern. So gewiß dies hier auch noch nicht das Allerletzte sein mag: es genügte, um mir die ganze Leere meiner bisherigen, steril nichtigen Scheinexistenz grausam unbarmherzig ins Bewußtsein zu rücken.
LA BELLA CENCI die ihn kaum gehört hat; den Blick wieder auf den Bildern. Ich ... fasse es gar nicht! ... Wieder zu ihm hin. So mir unbegreifbar respektvoll Sie sich auch über alles dies vorhin äußerten ich frage wirklich: Gibts denn das? Den Blick nochmals auf den Bildern. Soviel Häßlichkeit auf einem Fleck und diese Häßlichkeit immer variiert? Das ist doch gar nicht möglich!
URL. Er malt, was er sieht. Er ist der Entdecker unsrer Berliner Bannmeile. Und wie er seine Entdeckung büßen muß ... zeigt sein Erfolg. Von seiner gesamten Produktion fehlt hier auch noch nicht ein einziges Stück.
LA BELLA CENCI den Blick noch immer auf den Bildern. Kann ihm das denn aber ... Freude ma chen?
URL hinter den Sessel rechts getreten. Ich habe einen Freudlosem noch nicht gesehn.
LA BELLA CENCI hinterm Sessel links. Nein! So etwas ist keine Kunst mehr. Das ist kein Arbeitsraum, das ist eine Folterkammer! ... Besitzen Sie eine neuere Photographie von ihm?
URL auf diese direkte Frage einen Moment nicht imstande, seine[123] Betroffenheit zu verbergen; dann. Eine Photographie ... dürfte von Herrn Hollrieder wohl überhaupt kaum ... existieren.
LA BELLA CENCI sich setzend. Schade! ... Was stellte jenes erste Bild, von dem Sie vorhin andeuteten, daß es jetzt drüben hängt, dar?
URL das Bild sich in seinem Gedächtnis rekonstruierend. Zwei zerlumpte ... jugendliche Arbeitslose, die mit geschnürtem Bündel auf Berlin zu wandern, im Schnee. Der eine ... Sich ebenfalls setzend.
LA BELLA CENCI stutzend und wie sich plötzlich an etwas erinnernd. »Der ...?« ...
URL. Der eine, zu dem der Kopfbewegung nach der Tür rechts rüber. damals noch verehrend zu ihm aufblickende »Gesunde« drüben ihm Modell gestanden hatte, bereits am Wegrand liegengeblieben und der andere, der die Züge ...
LA BELLA CENCI mit jetzt zuversichtlichster Bestimmtheit. Der die Züge von Herrn Hollrieder trägt!
URL bestätigend nickend und seinen Satz schließend. Um ihn bemüht und dabei wie nach Hilfe in die weite Ferne spähend, wo aus violetter, sinkender Dämmrung die erste, vorgeschobne Silhouette der Großstadt taucht.
LA BELLA CENCI die jedem seiner Worte gespannt aufmerksamst gelauscht hat; mit fast aufgeregter Lebhaftigkeit. Das kenne ich! Es hatte mich seinerzeit ... auf einer Reise ...
URL. Es lag mal ... schon vor Jahren ...
LA BELLA CENCI noch aus ihrem, eben von Url unterbrochenen Gedankengang. Ich weiß: es war in Brüssel!
URL seinen Satz endend. Als farbige Reproduktion einer Zeitschrift bei.
LA BELLA CENCI nickend. »Kunst und Künstler«. Ja!
URL. Es hatte in Fachkreisen damals besonderes Aufsehen erregt, weil Schnee noch nie vordem so gemalt worden war.
LA BELLA CENCI von neuem nach den Bildern. Allerdings. Einzelnes ... Abermals vor ihnen; Url ebenfalls aufgestanden. wenn man sich Mühe gibt ...
URL leicht achselzuckend-mißbilligend. »Mühe«?
LA BELLA CENCI. Jedenfalls ... alles Landschaftliche ... und die Luft ... alles mehr Milieuartige ... immerhin! ... Trotz alles Abstoßenden von einer Wahrheit ...[124]
URL ihr Urteil noch steigernd. Von einer Kraft und einem Können ...
LA BELLA CENCI über ihre letzten inneren Widerstände hinweg. In der Tat! Ich ... muß Ihnen da ...
URL mit letzter, ihr zuredender Bestimmtheit. Aber ganz und gar zweifellos und unleugbar!
LA BELLA CENCI eins der Bilder ganz besonders musternd. Merkwürdig. Noch schärfer hinblickend. Je länger man ... Erst jetzt sehe ich diesen ... fabelhaften ... direkt stupend gemalten ...
URL durch ihren Beifall noch ermutigter. Regengrünnassen Baumstamm, der dies Wort in dieser Situation gradezu mit Wonne rausbringend hundsgewöhnlich und simpel glatt, durch den Bildrahmen brutal abgeschnitten ...
LA BELLA CENCI von seinem Enthusiasmus mit angesteckt, seinen begonnenen Satz aus tiefstem Verständnis beendend. Geradezu wie eine Art ... symbolisch schreckhaft gespenstisches Wunderwesen wirkt!
URL triumphierend; mit einem gewissen, gerechten, leuchtenden Apostelstolz. Wo Sie auch ... hinblicken!
LA BELLA CENCI plötzlich wieder ganz unvermittelt; man fühlt, wie sie nun auch dem Künstler Hollrieder gegenüber ganz und gar umgeschlagen ist; erregt; fast hastig. Warum blieb er immer von unsern Stunden weg? Geniere ich ihn? Ist er denn gar nicht n bißchen neugierig? Hat er mich mal auf der Bühne gesehn?
URL durch dies wachsende Interesse von ihr, das sich immer deutlicher verrät, wieder beunruhigter ... Nein. Erstens ... wissen Sie ja, gibt er, oder ... muß er vielmehr selbst Unterricht geben und ... dann ...
LA BELLA CENCI. Dann?
URL. Ja, wenn Sie ... wie soll ich sagen, auf diesen ... kleinen Verrat dringen ...
LA BELLA CENCI. Ich dringe darauf.
URL mit dem deutlichen Versuch, sie von ihrem Vorhaben, das er jetzt ahnt, zurückzuhalten. All zu besondern Respekt vor allem, was Weib heißt, hat er nun grade nicht.
LA BELLA CENCI Worin er im Gegensatz zu einem gewissen Jemand sehr recht hat. Mit plötzlichem Entschluß. Also riskieren wirs. Url: zurückgezuckt. La bella Cenci: auf sein Mienenspiel, in dem das[125] Gegenteil von Zustimmung zu lesen steht. Aber gewiß! Warum denn nicht? Bereits nach der Tür links gewandt. Ich kleide mich jetzt um und werde dann hier auf ihn warten.
URL der ihre Absicht noch immer nicht ganz fassen kann. Sie wollten ... wirklich ...? ...
LA BELLA CENCI leicht zurückgewandt; scheinbar wie nebensächlich, aber dabei doch ganz bestimmt akzentuiert. Sie brauchen nach keiner Richtung hin irgendwie besorgt zu sein. Ich werde mich durchaus ... Abbrechend; lächelnd. Ich muß mir doch mal endlich Ihren Herrn und Meister ansehn.
URL sich ihr fügend; machtlos. Er ist weder mein Herr ... Gott sei Dank ... noch leider ... mein Meister.
LA BELLA CENCI mit der Hand bereits den Vorhang hebend. Aber weh Ihnen, wenn ich nachher enttäuscht bin! ...
URL steht da und starrt auf die Tür, hinter der sie verschwunden ist. Nach einer Weile; veränderte Stellung; ungefähr in der Mitte der Bühne; sich mit der Rechten über die Stirn fahrend; leise. »Beatrice«! ... »Beatrice Cenci«! ... In innerem Grauen sich wie fremd im Raum umblickend. Der eigne ... leibliche ... Vater? ...
LA BELLA CENCI die die Tür hinterm Vorhang wieder geöffnet hat. Ach, bitte, den Mantel. Url ihn ihr reichend; sie hat das Kleid bereits abgelegt, man sieht nur ihren nackten Arm. Nur drei ganz kleine Minuten!
URL Tür wieder zu; Url am Tisch von neuem in sich versunken. Schließlich vor dem Regal, gegen das er sich mit der Rechten stützt; sich dann langsam setzend; vor sich hinbrütend; den Ellbogen auf dem Regal, den Kopf in die Hand gestützt. Vorbei! ... Für mich ... vorbei! Die Hand sinken lassend; Kopf nach der Tür rechts; aufgestanden, immer noch mit dem Blick nach der Tür, unterdrückt-energisch. Nein! ... Er darf sie überhaupt ... erst gar nicht sehn! ... Sich langsam wieder setzend, mit gefalteten Händen zwischen den Knieen stumpf vor sich hin; nochmals aus noch ganz verständnislosem, aber tiefinnerstem Entsetzen. Der ... eigne ... Vater! ... Plötzlich ... von draußen rechts her schwere, müde Schritte, die er nicht hört.
HOLLRIEDER ohne daß Url etwas gemerkt hat, eingetreten. Große kraftvolle[126] Erscheinung; das leicht gewellte Haar rötlich germanisches Blond; kurzer, etwas eckiger, ebensolcher Spitzbart. Dunkler bequemer Ulster; kleiner, schwarzer Schlapphut. Blauschwarze, doppellknöpfige Joppe, ebensolche Hose und kreisrund geschlossener Stehkragen. Die Hand noch auf der Türklinke; Url betrachtend; nach einer kleinen Pause; apathisch. Wir ... passen schon zu enander!
URL aufgesprungen; verwirrt. Du, ich ... Blick nach der Tür links; seine Stimme, wie überhaupt im Fortgang fast der ganzen folgenden Szene, etwas gedämpft. Sie ist noch hier!
HOLLRIEDER der die Tür noch nicht ganz geschlossen. Deine Prinzessin Chimay. »O« kurz und offen. No! Schon halb sich wieder abwendend. Denn geh ich wieder.
URL hastig. Ja! ... Geh!
HOLLRIEDER dem diese Hast auffällt, nach einer kleinen Pause; die Hand noch immer auf der Klinke. Warum? Url achselzuckend. Wenn du aber n besondern Grund hast?
URL. Ich kann dir nichts verbieten.
HOLLRIEDER mit einem verwilderten Blick von ihm nach der Tür links. Doch nicht etwa ... Anwandlungen? ... Plötzlich? Meinetwegen?
URL. Aber ich muß dich doch ... bitten!
HOLLRIEDER erst jetzt die Tür hinter sich zuziehend, Hut und Mantel an einen Haken zwischen Tür und Gasofen hängend. Also bleiben wir.
URL. Du weißt doch schließlich noch gar nicht ... ob es ihr überhaupt ... Hollrieder: von seiner Attacke gar nicht Notiz nehmend. Du bist heute merkwürdig früh gekommen.
HOLLRIEDER vor einem großen Abreißkalender auf der anderen Seite der Tür unmittelbar im Vordergrund. Elfter Januar! ... Fünfzehnten April letzter Ablieferungstermin ... Plötzlich nach Url zu rück Ich hab immer noch nichts!.
URL. Wenn du dir an nichts genügen läßt ...
HOLLRIEDER Geste. Strick! ... Einzje!
URL. Und du hast mich damals ... als ich dies Ganze schon so gut wie hinter mir hatte ... ja, gradezu fast mit Gewalt hast du mich zurückgehalten?
HOLLRIEDER müde nach der Mitte der Bühne. Du bist nicht so ein Narr, den[127] die verrückte Zwangsvorstellung plagt, Bilder malen zu müssen! Mit einem Blick nach dem Fenster. Berlin! Sieht sich im Raum um. Ekelhaft!
URL besorgter Blick nach der Tür links. Ja, tu mir wenigstens den Gefallen und ...
HOLLRIEDER. Keine Angst. Werd se nich auffressen. Leichte Kopfbewegung nach dem Regal rüber. Wie weit seid ihr denn?
URL mit Widerstreben darauf eingehend; immer mit einer leichten Unruhe nach der Tür links. Was in dieser kurzen Spanne Zeit zu leisten war, hat sie mehr als geleistet.
HOLLRIEDER. Wirst du den Posten nu antreten? Url gequält; ratlose Geste. Wonach andre sich die Pfoten lecken würden?
URL beinah unwirsch. Ich kann mich im Moment ... noch zu nichts entscheiden.
HOLLRIEDER sich abwendend und nach dem Fenster zu. Gut. Dann spring ich ein!
URL. Hätt ich geahnt, daß du zu allem auch noch in einer solchen Verfassung sein würdest ...
HOLLRIEDER halb zurückgedreht. Hast du mich schon mal in ner andern gesehn?
URL. Ich kann mir nicht denken, daß ... wenn du erst wieder vor deiner Arbeit stehst ...
HOLLRIEDER zum Fenster rausblickend; grimmig. Da luer up!
URL. Ja, wenn du die Arme selbst sinken läßt ...
HOLLRIEDER in den Raum wieder zurück. Eher hacke ich mir die Finger ab, als daß ich mich nochmal In der Mitte der Bühne nach seinen Bildern hin. mit solchem Zeug begnüge! ... Steinklopper hätt ich bleiben sollen! Mit m Priem im Maul, aber vergnügt! ... Haute ich drauf zu, daß die Funken spritzten, und hätte nischt auszustehn!
URL. Wenn dich die Malerei so enttäuscht hat, du weißt: Deine ersten ... merkwürdig überzeugenden Arbeiterstatuetten ...
HOLLRIEDER verächtlich-wegwerfend; ganz kurzer Laut. Pöh!
URL noch nachdrücklicher. Die ich ... völlig unerwartet damals bei Musmann sah ...
HOLLRIEDER fast wie kaum noch auf ihn achtend; unwillige Kopfbewegung nach der Tür rechts. Wo sie noch immer ...[128]
URL betont-hartnäckig in seinem Satz weiter. Und die mich ... durch ihre geradezu glänzend geniale, farbige Virulenz ... und Bewegtheit ...
HOLLRIEDER vorn rechts, denn jetzt doch etwas stutzend-lauschend aufmerksam geworden, stehn geblieben; ihn anblickend. Du tust ... Sich umdrehend und auf die Chaiselongue zu; zornigst abweisend. Mmadder!
URL seine Besorgnis nach der Tür links einen Augenblick vergessend. Ich hätte sonst nie darauf bestanden, dich kennen zu lernen! ...
HOLLRIEDER auf der Chaiselongue; die Schultern vorgeduckt, die Unterarme über den Knieen, die Hände offen gefaltet; bitter vor sich hin. Nichts, nichts war mir gut genug. Selbst die Extremsten ... Zu seinen Bildern hoch. Da! Sardonisch-sarkastisch, sich selbst persiflierend. Japan, Dürer, die neuen Franzosen, Velasquez, deine frühsten Gotiker, alles, wie du es wünschst, in eins verschmolzen! Arbeiter, die mit Blechkannen »in de Fabrike ziehn«, Pennbrüder, die sich mit Bindfäden die Stiebel zusammenflicken, Liebespaare, daß einem übel wird, statt Kornfelder Schornsteine und Telegraphenstangen, statt deines Waldes Brezeliand die Hasenheide, und statt römischer Aquädukte oder der Thermen des Caracalla die liebliche Verbindungsbahn! Wieder aufgestanden. Nett!
URL. Dir scheint wirklich bloß noch wohl zu sein, wenn du dich selbst quälst. Nur an diesen Dingen, weil sie noch unverbraucht waren, konntest du dir deine Technik erringen.
HOLLRIEDER wieder in der Mitte der Bühne. Und steh nun mit ihr da! Der Besitzer einer allerkompliziertesten Präzisionsmaschinerie, mit der er nichts zu präzisieren versteht! »Technik«! Der erste beste Grasfleck im Sonnenschein schlägt die ganze Malerei dot!
URL mit steigender Unruhe nach der Tür links. Wenn du dich doch nur ...
HOLLRIEDER. Ah ja so! Vor dem Cloisonneestück. Für dies eine Kranichbein schenk ich dir den gesamten Impressionismus! Mit einem erbitterten Blick nach seinen Bildern. Laß die bunte Photographie da sein, und ich bin der Grimmig. elendste Schmierer auf Gottes Erdboden gewesen! Es klopft; Url auf die Türe links zu und den Vorhang zur Seite schiebend.[129]
LA BELLA CENCI vornehmer, langer, dunkler Pelzmantel, Muff und Mütze; verschleiert; in der Tür sich halb zurückwendend. Jawohl. Die Sachen bleiben da. Sie können gehn.
URL leicht nach dem Tisch zu. Mein Freund Hollrieder. Sie schlägt den Schleier zurück, Hollrieder steht wortlos da und starrt sie an. Url: aufs höchste gespannt; beide heimlich beobachtend.
LA BELLA CENCI. Es war lieb von Ihnen, wie Sie an Herrn Url gehandelt haben.
HOLLRIEDER auf den Tisch zu. Taper.
URL. Da hören Sie ihn.
LA BELLA CENCI lächelnd. Mit Glaceehandschuhen scheinen Sie die Menschen nicht zu streicheln.
HOLLRIEDER der sich vom Tisch eine Zigarre anbrennt. Sie gestatten.
URL. Wenn er sich ärgert, muß er rauchen.
LA BELLA CENCI. Und wenn Sie sich nicht ärgern, müssen Sie wahrscheinlich auch rauchen?
HOLLRIEDER. Selbstverständlich! Nach dem Fenster zu. Dann erst recht.
LA BELLA CENCI zu Url. Wollen Sie mir, bitte, einen Wagen besorgen? Da Url noch unentschlossen dasteht und zögert; an ihren Handschuhen knöpfend. Grad heut ... muß ich etwas pünktlich sein.
URL sich aufraffend. Wir brauchten nur wie immer ... Während Hollrieder, vor der Fenstertür sich zurückdrehend auf ihn und sie einen halb verwunderten Blick richtet. Der nächste Halteplatz, wie Sie wissen, ist von hier noch keine zwei Minuten.
LA BELLA CENCI. Machen wir heute mal eine kleine Ausnahme.
URL nach einem nochmaligen Blick auf beide; fast formell. Wie Sie es wünschen. Ab.
LA BELLA CENCI nach einer kleinen Pause. Warum starrten Sie mich eben so an?
HOLLRIEDER mit dem Rücken gegen die Fenstertür, so daß sich seine Gestalt fast als Silhouette abzeichnet. Sie weckten ... einen Augenblick lang eine Erinnrung in mir.
LA BELLA CENCI. Eine Erinnrung?
HOLLRIEDER. Ja.
LA BELLA CENCI in den linken Sessel unaufgefordert sich setzend. Sie erregen meine Neugier.
HOLLRIEDER. Das lag nicht in meiner Absicht.
LA BELLA CENCI. Und wenn Sie mir nun damit ... einen besonderen Gefallen täten?[130]
HOLLRIEDER nach der Chaiselongue; Zigarre. Es ist mir peinlich, aber ich muß Sie bitten, davon abzubrechen.
LA BELLA CENCI. Das ist deutlich. Kleine pikierte Pause; Hollrieder Zigarre. Hat Ihnen Ihr Herr Freund schon etwas mitgeteilt?
HOLLRIEDER in der Mitte der Bühne. Von Ihrem Angebot.
LA BELLA CENCI. Von meiner Bitte. Ich schätze Herrn Url, wie Sie ihn schätzen.
HOLLRIEDER nach rechts in den Vordergrund. Er ... fing mal davon an.
LA BELLA CENCI. Werden Sie ihm zureden?
HOLLRIEDER nach kurzem Zaudern; ganz rechts stehngeblieben; ihr zugewandt. Nein.
LA BELLA CENCI befremdet. Warum denn nicht?
HOLLRIEDER. Ich möchte Ihnen darauf nicht antworten.
LA BELLA CENCI. Ich bitte darum.
HOLLRIEDER. Sie würden die Antwort nicht vertragen.
LA BELLA CENCI. Wer sagt Ihnen das?
HOLLRIEDER. Sie würden sie mir übelnehmen.
LA BELLA CENCI. Ich werde sie Ihnen nicht übelnehmen.
HOLLRIEDER. Weil Sie ihn bald ... zu Ihrem Affenpintscher machen würden.
LA BELLA CENCI aufgestanden und erregt ein Stück nach dem Regal zu. ...Warum ... beleidigen Sie mich?
HOLLRIEDER. Ich habe nur gesagt, was sein würde.
LA BELLA CENCI im Vordergrund links zu ihm rüber. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie von Ihrem Freunde ... eine solche Meinung haben.
HOLLRIEDER Zigarre. Die Meinung, die ich von meinem Freunde habe ... und über die ich niemand Rechenschaft schulde ... wird durch das, was ich gesagt habe, in keiner Weise tangiert. Nicht im geringsten!
LA BELLA CENCI. Sondern?
HOLLRIEDER. Er ist nur ... ein schwacher Mensch.
LA BELLA CENCI. Und ich?
HOLLRIEDER. Sie? ... Sie sind ein starker.
LA BELLA CENCI. Sie haben eine eigentümliche Art Wieder nach dem Tisch; zu ihm hin über die rechte Schulter. einem Komplimente an den Kopf zu werfen.
HOLLRIEDER Zigarre. Es ist kein Kompliment, wenn ich eine Stearinkerze eine Stearinkerze nenne und ... eine Mücke eine Mücke.[131]
LA BELLA CENCI vor dem Tisch stehend, die Hände hinter sich. Sie halten mich für so ... gefährlich?
HOLLRIEDER. Für meinen Freund ... ja.
LA BELLA CENCI sich nach dem Sessel rechts drehend. Sie sind der erste, der mir einen Korb erteilt. Vor dem Sessel rechts, noch stehend, ihm wieder voll zugewandt. Warum mißfalle ich Ihnen?
HOLLRIEDER. Sie mißfallen mir nicht.
LA BELLA CENCI leicht. Ah so! ... Sich setzend; Blick nach den Bildern hin. Warum sind Sie dann nicht ... höflicher zu mir?
HOLLRIEDER. Bin ich unhöflich?
LA BELLA CENCI. Nun es macht sich. Hollrieder Zigarre; Pause; zu ihm hin. Warum malen Sie solche Bilder?
HOLLRIEDER nach links. Weil ich Maler bin.
LA BELLA CENCI. Es gibt doch schönre Dinge auf der Welt.
HOLLRIEDER nun seinerseits über die rechte Schulter. Es gibt überhaupt nur schöne Dinge auf der Welt. Vor sich in die Luft. Man muß sie bloß richtig sehn.
LA BELLA CENCI. Dann sehe ich sie nicht richtig.
HOLLRIEDER vorne links, zu ihr hingewandt, stehngeblieben. Mag sein.
LA BELLA CENCI. Sie sind grob!
HOLLRIEDER. Weil ich die Differenz unsrer Augen konstatiere?
LA BELLA CENCI. Nein. Weil Sies überhaupt sind!
HOLLRIEDER. Danke. Zigarre und sich wieder nach rechts in Bewegung setzend.
LA BELLA CENCI die sich einen Moment mit ihrem Muff abgegeben, nach einer neuen Pause. Was zog Sie an Herrn Url so an? Weshalb haben Sie ihn, wenn ich dies so ausdrücken darf, »gerettet«?
HOLLRIEDER rechts stehngeblieben, ihr zugewandt; zuerst fast widerstrebend. Weil er ein ... feiner Mensch ist. Weil er mehr Kultur in sich hat, als von meiner Sorte n halbes Dutzend!
LA BELLA CENCI. Trotzdem er weder malt, noch schreibt, noch sonst etwas? Trotzdem er, außer zu seinem bißchen Musik, wie er sagt, zu eigentlich gar nichts taugt?
HOLLRIEDER Blick vor sich auf den Teppich. Das bliebe doch wohl erst abzuwarten. Dann zu ihr auf. Er hat in mir Zigarre, und sich nach links wieder in Bewegung setzend. rein durch sein Wesen Perspektiven geweckt, an die ich vordem nie auch nur gedacht hatte.[132]
LA BELLA CENCI fast »neidisch«. Dann hätten Sie also ... so kurz Sie sich auch erst kennen, bereits, einer vom ändern, beide gelernt?
HOLLRIEDER stehngeblieben und voll nach ihr hin. Es gibt zwischen Männern kein Band, das stärker knüpft.
LA BELLA CENCI mit einer Kopfbewegung nach der Tür rechts. Und Herr Musmann? Hollrieder finster. Der bis in die letzte Zeit allen und jeden Vorteil von ihm gehabt hat? Hollrieder, der sich wieder in Bewegung nach rechts gesetzt hat, mit dem Blick folgend. Der von jenen Zuwendungen und Bildverkäufen vielleicht jetzt noch lebt? Warum hat der sich nicht um ihn bekümmert?
HOLLRIEDER den Blick nach oben mißvergnügt in die Luft. Der? ... Zigarre, zweimal starke Rauchwolke. Das war nicht zu verlangen gewesen.
LA BELLA CENCI. Sie sollten ... mit diesem Herrn Hollrieder aufmerksam stehngeblieben wirklich .... etwas vorsichtiger sein!
HOLLRIEDER ihr scharf zugewandt. Also auch darüber hat Ihnen das alte Plappermaul ...?
LA BELLA CENCI. Auch darüber.
HOLLRIEDER sich nach links erregt in Bewegung setzend. Dann sind Sie wohl so gut ... Zigarre. das wieder zu vergessen. Ich habe mich mit diesem meinem ehemaligen Kameraden jahrelang durchgehungert Zigarre. er ist, so lang er für sich verantwortlich war Sich wieder nach rechts wendend. in ehrlichster Weise mit mir durch dick und dünn gegangen, und ich möchte nun nicht ... Abbrechend, ergrimmt vor sich in die Luft. Es gibt Angelegenheiten, die die Betreffenden am besten unter sich allein abmachen.
LA BELLA CENCI zuerst mit ihrem Muff spielend. Dann will ich Ihnen nur wünschen ... daß Sie mit Ihrem rührenden Zartgefühl ... wenigstens nicht gleich die allzu bösesten ...
HOLLRIEDER der, bereits bei dem Wort »wünschen« stehngeblieben, mit der rechten Fußspitze nervös den Teppich bearbeitet hat; ihre Replik kurz abschneidend und auf dem Gasofen die Zigarre abstreifend. Hoffen wirs! Neue Pause; Rauchwolke.
LA BELLA CENCI. Porträtieren Sie auch?
HOLLRIEDER wieder nach links; leicht obenhin; mit einem leisen Unterton der Ablehnung. Nur zu Studienzwecken.
LA BELLA CENCI. Wieso?[133]
HOLLRIEDER. Weil mir meine Auftraggeber ihre Porträts sonst an den Kopf werfen würden. Zigarre. Leute, die zahlen, wollen geschmeichelt sein. Und dazu ist die Malerei nicht da. Dann hätte ich ebenso gut Schuster werden können. Links vorn stehngeblieben; Blick über beide Wände. Und das wäre vielleicht auch das gescheiteste gewesen! ... Zigarre.
LA BELLA CENCI. Vielleicht gibt es Menschen, die auch von Ihnen gemalt ... Blick nach der Hille- Bobbe-Alten. nicht allzu scheußlich aussehn würden.
HOLLRIEDER sie voll anblickend. Vielleicht.
LA BELLA CENCI nach einem ersten, kurzen Anlauf fest auf ihr Ziel zu. Ich habe eine Unmenge ... exakter Spezialaufnahmen von mir zu eigenen Studienzwecken. Obwohl öffentlich natürlich keine einzige davon existiert. Sie genügen mir jetzt nicht mehr. Ich möchte zum erstenmal ein ... wie soll ich sagen, genial abregiertes Abbild von mir zu einer Affiche. Würden Sie, wenn ich Sie darum bäte, einen solchen Auftrag annehmen?
HOLLRIEDER. Für die »Sieben Verwandlungen« ...?
LA BELLA CENCI. Ja.
HOLLRIEDER. Als »Heilige Cäcilie« ...?
LA BELLA CENCI. Ja.
HOLLRIEDER Vielleicht auch in Ihrer Schlußnummer. Als »Phryne« ...?!
LA BELLA CENCI nach kurzem Zaudern. Wie Sie wollen.
HOLLRIEDER wieder nach rechts; Zigarre. Bedaure. Vielleicht wenden Sie sich an Herrn Musmann. Zigarre.
LA BELLA CENCI empört aufgestanden. Sie sind abscheulich!
HOLLRIEDER mit einem Blick nach ihr hin. Sie sind für mich weder eine römische Heilige, noch ... einen Augenblick, nach ihr zurückgedreht, stehngeblieben. erlauben Sie ... Wieder weiter eine griechische Hetäre. Ich würde Sie nur malen können, wie Sie sind.
LA BELLA CENCI. Ich verzichte.
HOLLRIEDER sich wieder nach links wendend, mit einem Blick zu ihr rüber. Was mir leid tut.
LA BELLA CENCI. Dann sind wir ja einig.
HOLLRIEDER. Wir könnten einiger sein.
LA BELLA CENCI. Nun, es lag ja wohl nur an mir.[134]
HOLLRIEDER sie dabei nicht anblickend. Zum Teil wenigstens.
LA BELLA CENCI. Ich beneide Herrn Url nicht! Sie sind noch zehntausendmal schlimmer, als er mir gesagt hat!
HOLLRIEDER vorne links, von ihr abgewandt, stehngeblieben, zuckt die Achseln, man hört von draußen Schritte.
LA BELLA CENCI aufatmend und etwas auf die Tür zu. Gott sei Dank, daß er da ist! Hollrieder sich nach der Tür drehend.
URL sofort, nachdem er geklopft, eingetreten.
LA BELLA CENCI zu Hollrieder, während Url auf beide aufmerksam ist. Es waren mir sehr interessante fünf Minuten. Zu Url; Schleier vor. Wir müssen uns beeilen.
URL. Bitte sehr.
HOLLRIEDER der sich stumm verbeugt hat; allein. Hört, wie sie sich entfernen. Schleudert seine Zigarre auf den Tisch in den Aschbecher, geht einigemal nervös auf und ab und wirft sich dann auf die Chaiselongue. Ich ... Rindvieh! ... Schnellt plötzlich auf, klinkt die Tür in dem großen Atelierfenster auf und blickt vom Balkon auf die Straße hinab, jedoch möglichst so, daß er von unten aus nicht bemerkt werden kann; leises, durch den Schnee gedämpftes Großstadtgeräusch.
MUSMANN hat behutsam die Tür aufgemacht, durch den Spalt neugierig ins Atelier gesehn und bemerkt nun Hollrieder. Zieht sich wieder zurück, klinkt die Tür vorsichtig zu und klopft leise. Tritt dann ein und beobachtet ihn; ungefähr in der Mitte der Bühne. Mittelgroß. Kleidung genau wie Hollrieder, nur schmuddligsalopp. Schwarzes, glattglänzend gescheiteltes Slawenhaar; kurzer, »mottenzerfreßner« Vollbart mit Hängeschnurrbart. Gedunsen bleichbräunliches Gesicht mit schlaffen Zügen. Die schwarzen Augen zugleich glupend und stechend. Dreht in diesem Moment dem Zuschauer den etwas unadrett krummgehaltenen Rücken zu. Wem ... kuckste denn da so nach?
HOLLRIEDER in den Raum zurückgetreten und die Tür hinter sich schließend. Man kloppt erst an! Musmann: nochmal das Atelier musternd; wobei man ihm anmerkt, daß ihn namentlich die neu hinzugekommenen Stücke Urls interessieren; Hollrieder, der wie in plötzlich angewiderter Abneigung hinter den Tisch links getreten. Hast du nicht gehört?[135]
MUSMANN ohne ihn dabei anzusehn. Wenn du ... keine Ohren hast ...
HOLLRIEDER in den Vordergrund links. Hast dich jetzt drei Wochen lang nicht mehr blicken lassen. Nach ihm zurückgedreht. Also, was willst du?
MUSMANN. Ihr zieht hier ... Mit den Augen nach dem Regal. Netze um mich.
HOLLRIEDER erregt nach rechts; dann sich umdrehend, heftig an seinem Joppenkragen ruckend; stehngeblieben. Jawohl.
MUSMANN. Erst hat man euch beide ... zusammengebracht ... und das ist dann jetzt ... der Dank!
HOLLRIEDER. Sonst noch was?
MUSMANN schnuppernd; ironisch anerkennend. Pafühm! ... Seit wann ... Wieder schnuppernd. gehts denn bei euch ... so wohlriechend zu?
HOLLRIEDER wieder nach links zu. Seitdem du dir hier deine Visiten schenkst.
MUSMANN mit einem Blick nach der Tür zurück; mit der Hand das Rauschen von Röcken andeutend. Sogar ... seidne Unterröcke hat se.
HOLLRIEDER stehngeblieben; kurz; schroff. Hn?
MUSMANN nach einer kleinen Pause; seinem Blick standhaltend. Du hast mir ... schon mal ... von einer nichts gesagt!
HOLLRIEDER seinen Gang fortsetzend; abschneidend. So ist es!
MUSMANN hartnäckig. Du ent ... sinnst dich doch noch?
HOLLRIEDER nicht reagierend.
MUSMANN den Kopf vorgeduckt; lauernd. Fräulein ... Sibylle Lipsius!
HOLLRIEDER wieder stehngeblieben; links bei den Bildern; abwartend, ...Und? ...
MUSMANN hämisch. Biste schön dumm gewesen! ... N blutjunges ... nacktes, bildhübsches Mädel im Mondschein ... und du selbst ...
HOLLRIEDER sich bezwingend. Halt dein ... ungewaschnes ...
MUSMANN. Paradiesisch ... Abbrechend und in seiner »praktischen Philosophie« weiter. Nachdem du se dir erst ... so schön paddelnaß ... aus m Schlingkraut gefischt! ... Könnteste heute der Schwiegersohn von nem mehrfachen Millionär sein!
HOLLRIEDER Soso. Sich wieder nach dem Vordergrund links in Bewegung setzend. Jaja. Na! Alle dreimal »a« kurz; dann hinterdrein .... Scheinst ja dann später selbst etwas wie Absichten gehabt zu haben.
MUSMANN scheinbar wie aus den Wolken gefallen. Ich?[136]
HOLLRIEDER auf seinem Weg von links nach rechts. Du hast sie doch Bezeichnende kreisförmige Drehung vor der Stirn. »suchen« wollen.
MUSMANN ihn nicht aus den Augen lassend; mit höhnisch explizierend vorgestreckter Rechten; seine permanente, intensive, innere Beschäftigung mit diesem ganzen Problem verratend. Hätte man doch bloß ... rauskriegen brauchen, wo se den berühmten ... Hochzeitsschmuck ihrer verstorbnen Frau Mutter gelassen!
HOLLRIEDER die erste Silbe als kurzer, ärgerlicher Lachlaut. Nachdem Jahre drüber vergangen!
MUSMANN seinen Haß nicht länger zurückhaltend. Das hat euch ... wohl nicht gepaßt? Das war euch ... unbequem!
HOLLRIEDER wieder, Vordergrund rechts, stehngeblieben. »Euch«?
MUSMANN. Dir und dem ... Alten!
HOLLRIEDER mit Mühe an sich haltend; mit der rechten Stiefelspitze nervös den Fußboden klappend.
MUSMANN. Fideler lieber Herr ... dein edler Wohltäter.
HOLLRIEDER drohend. Wie?
MUSMANN So die kleenen ... Lämmerchen! Berlin W! Mit überlegen-absprechendstem Nasenrümpfen. Nobelste Gesellschaft!
HOLLRIEDER auf ihn zu. Halt den Mund!
MUSMANN mit Mittelfinger und Daumen ein kleines, kokettes Kreisrund markierend. Altersgrenze so bis höchstens Siebzehn! ... Und wenn einer mal ... aus Versehn ... was dagegen hat ... Heranwink mit dem Finger Bitte. meine Herren! ... Mit beiden Händen Geste; mit der rechten die des Schießens; ein Auge zugekniffen. Gleich quer übers Schnupptuch! ... Das mögen damals ... nette Dinge gewesen sein!
HOLLRIEDER vor ihm stehngeblieben. Willst du dich nicht etwas deutlicher ausdrücken? Vielleicht langts noch!
MUSMANN. Du glaubst ... ich hab mich nicht mehr in der Gewalt? ... So weit ... hast du mich noch nicht! ... Und du wirst mich auch nicht ... soweit kriegen!
HOLLRIEDER sich wieder nach links in Bewegung setzend. Lieblich! ... Befindest dich ja mal wieder in einem reizenden Zustand!
MUSMANN. Du denkst wohl ... ich weiß das nicht? Was du mir auch nie ... gesagt hast?
HOLLRIEDER von neuem stehngeblieben; vor den Bildern links nach ihm zurückgedreht.[137] »Auch nie«? ... Wieder gereizt, nach dem Regal zu. Also denn los, los! Genier dich nicht!
MUSMANN sich umsehend. Hast du n ... Schnaps da?
HOLLRIEDER. Bedaure. Den mußt du dir selbst halten.
MUSMANN. Erst ... gewöhnst du einem ... sowas an ...
HOLLRIEDER wieder, Vordergrund links, stehngeblieben. Bist du des Deubels?
MUSMANN. So. Na, wer hat mich denn immer ... vor soundsoviel Jahren ... bei zwölf Grad Kälte in »seinen« Schnee geschleppt?
HOLLRIEDER von neuem nach rechts. Wenn du son n Schwachmatikus warst ... Ich hab keinen getrunken!
MUSMANN vor dem Tisch; mit dem Finger drauf zeigend. Aber so n ... Ziehjarrn kann ich mir doch ...?
HOLLRIEDER ohne sich umzublicken. Nimm!
MUSMANN die Zigarre sich anbrennend. Einzje Tugend von dir! Wenn du doch in allem so wärst.
HOLLRIEDER wieder, Vordergrund rechts, nach ihm zurückgedreht stehn geblieben. Also willst du dich nun mal endlich ... Spuck nicht!
MUSMANN boshaft. Du hoffst, ich hab die ... Schwindsucht? Du hast se!
HOLLRIEDER von neuem in Bewegung, nach links. Die Schwindsucht, den Krebs, die Syphilis, die Paralyse, und bucklig bin ich noch außerdem!
MUSMANN dessen Augen flinkem. Man kann das nie ... wissen! ... Aber das weiß ich! Und wenn du s mir auch noch so verborgen gehalten hast: deinem Alten seine Drachen-Donna, mit Sternenschleier und sonst, wie se noch heut ... auf allen Postkarten paradiert ... Kurzer, abgebrochner Grunzlaut. in seinem Schlafzimmer ... steht se anders! Porträtähnlich! Von Bademantel nich die Spur, und der Lindwurmkopp, in den se rinpiekst, is zufällig sein eigener! ... Zufällig!
HOLLRIEDER bei dem Wort »porträtähnlich«, Vordergrund links, wieder stehn geblieben. In seinem ... Schlafzimmer? ... Woher weißt du das?
MUSMANN. Das ... sag ich nicht.
HOLLRIEDER nachdem er ihn einen Moment fixiert hat; wie etwas von sich weisend. Quack! Dann von neuem unruhig, während er seine Promenade längs den Bildern links wieder aufgenommen hat. Und kurz und gut, selbst einen Augenblick angenommen, es wäre so? Was willst du damit andeuten?[138]
MUSMANN. Andeuten? ... Ich? ... Nichts!
HOLLRIEDER. Denn quatsch nich!
MUSMANN. Wer war denn die ... Als ob er einen Geruch in sich zöge. Dame?
HOLLRIEDER sich zurückdrehend. Meine verstorbne Großtante.
MUSMANN. Deine ... »verstorbne Großtante«. Mit ner Kammerjungfer, die Französisch spricht!
HOLLRIEDER. Na denn weißt es ja! Nach einer kurzen Pause, da Musmann nicht geantwortet, ärgerlich hinterdrein; wieder, Vordergrund links, stehngeblieben. Scheinst also wieder schön rumspioniert zu haben!
MUSMANN. Das ... willst du ja! ... Da Hollrieder ihn daraufhin verwundert ansieht. Dazu hältst du mich ... doch an! ... Daß das nicht ... aus mir selbst kommt ...
HOLLRIEDER der ihn jetzt begriffen hat. Natürlich! Das hab ich dir »suggeriert«! Um dich immer wieder hinter meine angeblichen Geheimnisse kucken zu lassen! Nach rechts. Ich bin schon einer!
MUSMANN nach den Vasen rüber; zugleich dabei nach dem Kranich glupend, der ihn ganz besonders beunruhigt. Die hat er dir wohl ... geschenkt?
HOLLRIEDER. Und n Rittergut zu jeder noch obendrein!
MUSMANN mit dem Finger nach dem Wandschränkchen zeigend. Sogar die ... Giftapotheke!
HOLLRIEDER ohne sich umzudrehen. Falls du dich bedienen willst ...?
MUSMANN geduckt-mißtrauisch zu Hollrieder rüber, wie ungewiß, ob dieser das ernst meint; dann mit heimlicher Wut höhnisch nach dem Regal schielend. Dieser ... glattrasierte Erzengel! Acht Tage geht das nu schon! Immer, wenn du weg bist! Und auf seiner alten Quetschkommode ... Glaubst du, ich hör und seh nichts?
HOLLRIEDER zurückgedreht und auf dem Wege nach links. Hör und sieh, was du Lust hast.
MUSMANN. Daß Gestreckter Daumen über die Schulter rechts nach dem Balkon hin. die nicht zu deinem ... Ähnlich nach dem Leuchter hin. gerupften Paradiesvogel kommt ... o nein, mein Lieber. Jetzt täuschst du mich nicht mehr! Heut hab ich dich beklappt! ... Plötzlich. Soll ichs dir sagen? ... Ihn gespannt beobachtend. Das ist se![139]
HOLLRIEDER mit einem Ruck im Vordergrund links stehngeblieben und ihn einen Moment lang anblickend. Wieder mal! ... Von neuem nach rechts in Bewegung. Zum soundsovielten! Die alte Leier! Es braucht nur irgend n Weibsbild aufzutauchen, und der Dreh dich ist bei dir fertig!
MUSMANN verächtlich-schadenfroh; um ihm nur ja noch den Hieb zu versetzen. Bis auf n Balkon biste jerannt! ... Wärst ihr am liebsten ... nachgesprungen! ... Hast dich doch sonst nicht so!
HOLLRIEDER im Vordergrund rechts stehngeblieben; Kopfbewegung nach der Tür hin, durch die Musmann gekommen. Möchtest du mich nicht jetzt doch n bißchen ...
MUSMANN plötzlich; unruhig nach den Bildern hin; man merkt ihm eine besorgte Angst und Spannung an. Hast du schon was?
HOLLRIEDER brüsk. Ich frag ja dich nicht!
MUSMANN triumphierend. Du hast also noch nichts! ... Sieh, sieh! Tut! ... Hämisch. Seit wieviel Monaten ... kannste denn nu schon eigentlich nischt mehr?
HOLLRIEDER noch immer stehngeblieben; drohend. Du? ... Nimm dich in acht!
MUSMANN versteckt. Wo du jetzt ... Wieder nach dem Regal. hin so viel andres zu tun hast ...
HOLLRIEDER noch immer in derselben Stellung. Du darfst die Geduld, die ich mit dir habe ... Sich bezwingend; wieder nach links. Kaffer.
MUSMANN mit den Augen ihn verfolgend. Du ... bist gar kein Maler!
HOLLRIEDER mit verbißnem Grimm, ohne sich in seiner Promenade dadurch stören zu lassen. Nein. Ich bin Bildhauer. Was ich die zehn Jahre zusammengepinselt habe, ist ohnmächtiger Kitsch! Wieder nach rechts. Dieser alte Schlaumeier von Lipsius hat mir meine ersten primitiven, bunt kolorierten Knetversuche, die ihm damals sicher und ganz zweifellos mit gutem Recht zu exzessiv malerisch vorgekommen waren, weshalb er mir lebhaft sofort riet ... Abbrechend und in seinem unterbrochenen Satz wieder weiter. nur deshalb ausgeredet, weil er in mir seinen künftigen Konkurrenten witterte! Wieder rechts angelangt und nach links zurück. Die ganze Welt steckt voller Gauner und Schurken, und jetzt möchte ich dich am liebsten wieder vergiften, weil du der »Heimliche Kaiser« bist und ich vor Neid auf deine kommende Größe fast platze![140]
MUSMANN der bei dem Wort »vergiften« mit einem Ruck zusammengefahren war; über seine linke Schulter mit heimlichem Grauen nach dem Schränkchen hin; leise für sich. Vergiften? ... Dann wieder zu Hollrieder. Warum hast du mich denn ... die ganzen Jahre ...?
HOLLRIEDER links stehngeblieben. Du meinst, aufgepäppelt! ... Male ich, wie du malst, oder malst du, wie ich male?
MUSMANN. Du willst doch nicht etwa ... damit sagen ...
HOLLRIEDER. Gewiß will ich das damit sagen!
MUSMANN. Das war doch wohl nur ... Parallelentwicklung!
HOLLRIEDER sich wieder nach rechts in Bewegung setzend. Nette Parallelentwicklung!
MUSMANN. Auf deine Veranlassung ... war ich damals von der Akademie gegangen.
HOLLRIEDER. Hör auf!
MUSMANN. Ich wäre heute zehnmal weiter ...
HOLLRIEDER wieder auf ihn zu, stehngeblieben. Hältst du nu die Labbe, oder nich? ... Das geht ja auf keine Kuhhaut!
MUSMANN vor ihm zurückgewichen; mit arbeitender Brust; seine Stimme wie über innere, heimliche Katarakte. Möchtest du nicht ... bei dieser Gelegenheit ... mal endlich ... die große Güte haben ... mir offen zu sagen ... oder ... das heißt, wenn du ... ehrlich sein willst ... zu verraten ... was ich eigentlich ... so Schweres ... gegen dich verbrochen habe? ...
HOLLRIEDER mit erneut aufsteigender Ungeduld; wieder nach rechts; halb durch die Zähne. Herrgott Herrgott!
MUSMANN an seinen Worten wie würgend; die Augen quellen ihm aus dem Kopf. Immer ... deine Gedanken denken! ... Wenn ich aufwache ... stehst du da! ... Hollrieder in Haltung und Stimme in ein eingebildetes »Teuflisches« karikierend; immer ohne ihn dabei anzusehn. »Halts Maul! ... Kusch dich! ... Die ganze Malerei ...« Abbrechend; wieder in seinem eignen Ton; fast schäumend. So n ... Blödsinn! ... Als ob alles ... nach deiner Pfeife tanzen müßte! ... Ich bin Mensch! Ich ... will auch leben ... Ich kann malen! ... Ich hab Augen ... und Hände wie du! ... Ich kann mir sogar jetzt ... mein Geld verdienen! ... Ich brauch dich nicht mehr! ... Plötzlich umschlagend; weinerlich.[141] Ich hab dir doch ... nichts getan! Warum ... In sich hineinwimmernd.
HOLLRIEDER dicht vor ihm; beide Hände, ihn begütigend, ihm auf die Schultern gelegt; vollständig anderer Tonfall. Also nu nimm mal Vernunft an. Was du da faselst, is Unsinn. Ich bin dein Kamerad, nicht dein Henker.
MUSMANN unartikulierter Laut; auf einmal wieder ganz verändert; vor sich hinstarrend. Mir ist zumut ...! Knirschend. Dieses ... Weib!!
HOLLRIEDER der ihn wieder losgelassen; energisch. Ruck dich zusammen! Du kannsts! ... Wenn dich andre so sehn! ...
URL in der Tür; erstaunt auf Musmann sehend. Was? ... Zu Hollrieder, der sofort, nachdem er die Stimme Urls gehört, Musmann läßt und nach dem Fenster geht. Der ist schon wieder da? Zu Musmann, der mit kaum glaublicher Selbstbeherrschung sofort, bis auf einige Kleinigkeiten, seine ganze Haltung geändert hat. Ich habe Sie doch eben erst ...
MUSMANN nach ihm rüberschielend; zugleich zu Hollrieder hin. Dein neuer ... Herzensbruder!
URL ihn verächtlich, namentlich auf sein »Habit« hin, von oben bis unten und von unten bis oben musternd. Sie ... Ableger!
MUSMANN der diesen Blick sehr wohl kapiert hat; dumm-dämlich, die Rechte ausgespreitet vor der Brust, sich selbst inspizierend. Det is n sehr scheenes ... Zu Url rüber, der angewidert noch in der Tür steht.
HOLLRIEDER abgewandt; durchs Fenster starrend; unwirsch, aber ohne Härte. Mach, daß du jetzt endlich rauskommst.
MUSMANN einen Augenblick unschlüssig; dann zu Url; die Tür passierend. Na, warten Sie! Ab.
URL der die Tür hinter ihm geschlossen, näher getreten; zu Hollrieder; nach der Tür zurück. Und diesen Halunken ...
MUSMANN den Kopf nochmal durch den Türspalt, nachdem er die Tür nochmals leise geöffnet; zu Hollrieder rüber, der sich unwillkürlich etwas zurückdreht. Aber du! Das Bild, an dem ich jetzt male ...
URL an seinem Platz wie festgewurzelt; empört zu Hollrieder; wie nicht begreifend, daß Musmann sich eine derartige Frechheit herausnehmen darf.[142]
MUSMANN nach den Bildern hin. Das ist nicht mehr so n Abklatsch!
URL auf ihn zu. Alle Wetter!
MUSMANN noch schnell, bevor er die Tür zuzieht. Da wirste was er leben! Ab.
URL im Vordergrund rechts. »Pathologisch«! Damit läßt sich alles zudecken. Langsam etwas nach Hollrieder hin. Du mußt in eurer ersten Zeit von einer Blindheit gewesen sein ...
HOLLRIEDER. Laß. Nach einer kleinen Pause; wieder am Tisch, wo er von neuem seine Zigarre ansteckt. Du bliebst lange.
URL auf dem Weg zu ihm stehngeblieben; scheinbar gleichmütig; ihn aber dabei heimlich beobachtend. Es schien dir wohl nur so.
HOLLRIEDER der kaum einige Züge aus der Zigarre getan, sie wieder hin werfend und nach den Vasen links. Weißt du, an wen mich die Person im ersten Augenblick erinnert hat? ...
URL da Hollrieder nicht gleich fortfährt; gespannt. Du willst es mir nicht sagen?
HOLLRIEDER vor den Vasen einen Moment stehngeblieben, dann wieder weiter. Eh! Is ja gleichgültig! ... Is ja auch gleichgültig!
URL unruhig; ihm nach bis an den Sessel rechts. Hast du zu ihr ... darüber gesprochen?
HOLLRIEDER verbissen; halb zurückgedreht. Zu der neugierigen Pute? ... Noch mehr nach dem Vordergrund. Es gibt wichtigere Dinge, die mich im Moment beschäftigen! ... Nischt mehr hören, nischt mehr sehn! Einsame Insel und n paar Meter hoch Stacheldraht drum rum! ...
URL auf ihn zu und ihm die Rechte auf die linke Schulter legend; veränderter Tonfall. Du wirst jetzt ... deine Malschule aufgeben.
HOLLRIEDER halb zurückgewandt; rauh. Fängst du jetzt auch an?
URL. Du darfst für die nächste Ausstellung nicht ohne ein neues Bild sein. Du kannst dich nur dann durchsetzen ...
HOLLRIEDER seine Hand abschüttelnd und nach rechts. Wer will sich denn durchsetzen?
URL ihm nachblickend. Nach deinen ... Mißerfolgen ... Übrigens »Mißerfolge«! Als ob du schon je welche gehabt hättest! ... Über dein Können sind sich die Leute einig! Wenigstens die, an deren Urteil dir einzig und allein was Hegen darf! Weil sie selbst was können. Also darüber ... Geste, daß er sich nach der[143] Richtung nicht zu beklagen braucht. Jedenfalls nach deinen, sagen wir also rein äußeren Mißerfolgen ist deine Stimmung ja begreiflich.
HOLLRIEDER der unterdessen im Bogen an der Chaiselongue vorbei wieder die Mitte der Bühne erreicht hat; stehngeblieben; ausbrechend. Stimmung? Was nun schon länger, als ein ausgeschlagenes Jahr bei mir anhält? Was an mir rumfrißt? Seit du mit deinem verklausulierten Enthusiasmus über den Schund den Stein damals ins Rollen gebracht hast? Was mich zum Kretin gemacht hat? Was mich seit Monaten keinen Pinsel mehr in die Hand nehmen läßt? Nach den Bildern hin. An den ... Stumpfsinn hab ich geglaubt! An den ... Dreck hab ich mein Leben gesetzt! Wenn andre ihr Theater flunkerten, hab ich hinter einem alten Bauzaun gehockt und mich abgemartert, ein idiotisches Stück Vieh zu klecksen, das in widerlichem Kehricht nach Lumpen harkt! Wenn andre ihre »Seligen Inseln« schmierten, war ich so hirnverbrannt, mich in irgend so n Proletenwinkel zu verkrallen, vor dem mir jetzt die Haut schaudert! ... Natur!! Das eine packts nicht und das andre nicht! Das eine schießt rechts vorbei und das andre links! Wir sind alle Schwindler! Alle!! ... Gib mir einen Grund, auf dem ich wieder stehn kann, eine Idee, an die ich wieder »glauben« darf, ein einzjes, das alles umfaßt, die ganze Skala, und ... Erschöpft; auf den Sessel rechts zu, den er packt und an dem er sich hält. ich würde es ... nochmal ... versuchen.
URL auf den Tisch zu, auf den er die Hand legt; nach einer kleinen Pause. Du wirst diese ... Synthese finden! Dir wird diese Idee ... aufgehn!
HOLLRIEDER sich in den Sessel werfend. Aus meinem Hirn ... wächst nichts mehr! Ein Kaputter mehr in einer Kunst, die vielleicht längst schon ...
URL hinter den Sessel getreten. Zum alten Eisen gehört! Weil »der erste beste Grasfleck« et cetera! Deine neuste Verzweiflungstheorie! Mit solchen Anforderungen, wie du sie stellst, hättest du dich überhaupt nie ...
HOLLRIEDER. Hättest!
URL. Also hörst du? Ich bestehe darauf! Nach seinen Vasen zurück.[144] Ich brauch den Krempel nicht! Ich möchte wissen, was ich noch damit anfangen soll? Du mußt jetzt deine ganze Zeit haben! Und du wirst sie haben! Ich bleibe bei dir nicht einen Tag mehr, wenn du noch länger gegen dich in dieser Weise bis zur Selbstzerstörung wütest!
HOLLRIEDER aufgestanden; sich unwillkürlich reckend. Zehn Jahre! ... Gearbeitet wie ein Sträfling, Qualen ausgestanden wie ein Verdammter, und das ... der Schluß! ... Wieder Mitte der Bühne. Kunst! Greifen, was sich nicht greifen läßt, einem Phantom nachjagen, das unerreichbar ist, auf einer Nadelspitze tanzen, auf der noch nicht mal Raum für den zehntausendsten Teil eines Stäubchens ist! Fast hysterisch; schon halb schluchzend. Auf solche ... Idiotie zu verfallen! ... Sich wieder zusammenraffend; verbissen. »Kunst«!! Kurzes, einmaliges Auflachen ... Und unterdessen Höhnisch. leben andre das Leben!! ...
URL bitter vor sich hin. »Leben!« Wie mans auch lebt ...
HOLLRIEDER scharf nach ihm hin. Wie es der alte Lipsius gelebt hat! Url: aufblickend. Der hats gelebt! Gründlichst! Der hat sich vor nichts geekelt! ... Trotz seiner bereits Sechs oder Siebenundfünfzig! Der ist noch heute jünger, als wir beide zusammengenommen!
URL durch seine Stimme, wider Willen, zittert Ekel. Du würdest ein solches Leben ... Den Sessel lassend und nach dem Vordergrund links zu.
HOLLRIEDER wieder im Bogen an der Chaiselongue vorbei nach dem Vordergrund rechts. Weil ich zu dumm bin! Verpfuscht schon vor allem Anfang und noch mehr durch diese blödsinnigen ... In ohnmächtiger Wut zu seinen Bildern hoch' dann halb nach der Tür rechts. durch die ich auch andre noch verpfuscht habe! ... Wieder zu Url; stehngeblieben; von neuem; mit noch immer sich steigernder Heftigkeit. Und so ein Dummkopf ... siehst du?! Das Wort nochmal und allerheftigst. so ein Dummkopf ... bist du auch! Noch weiter in den Vordergrund rechts. Alles hättest du haben können! Alles! Und was hast du gehabt? Wie hast du dir die schönsten Jahre verfumfeit? ... Auf ihn zu. Zwischen deinen Mappen hast du gehockt, in deine Bücher hast du dich gewühlt, in nichts wie in deinen ganzen, alten, albernen, übergefahrnen,[145] schnurrpfeiferischen Krimskrams warst du verdöst! Nichts, nichts, nichts, was nicht ödester, blödester, hirnverbranntester, hirnverbrühtester, hirnverrammeltster Selbstbetrug war! Und jetzt? Jetzt bist du fertig! Fertig wie ich! Jetzt darfst du dort ... Stallknecht werden, wo wahrscheinlich andre ... im Sattel sitzen! Gratuliere!!
URL im Vordergrund links; einen Schritt vor ihm zurück. Was habt ihr ... gehabt? Sie war außer sich! Sie will ihren Fuß nicht mehr über diese Schwelle setzen!
HOLLRIEDER sich umdrehend und wieder nach rechts. Freut mich! Dann probt ihr in Zukunft eben anderswo! Sehr einfach!
URL erst in diesem Augenblick mit sich zum Entschluß kommend. Ich werde die Stellung ... jetzt annehmen.
HOLLRIEDER ihm rechts gegenüber. Nimm sie und werde aus einem anständigen Kerl ein Pudel, der ihr die Schleppe nachträgt!
URL. Du hast mir doch selbst ...?
HOLLRIEDER nach der Chaiselongue zu. Vor einer Viertelstunde! ... Jetzt kenne ich sie und weiß Mit letztem Grimm. was den, der ihr unter den Frachtwagen gerät, mit tödlichster Sicherheit erwartet. Nach ihm zurück. Ein Probestück, dem du, lieber Sohn, nicht gewachsen bist!
URL unruhig; wieder auf den Tisch zu; nach ihm hin. Sie scheint ja einen merkwürdigen Eindruck auf dich gemacht zu haben
HOLLRIEDER vor der Chaiselongue stehngeblieben; zu ihm rüber; grimmiger Hohn. Während sie dich ja ... ganz kalt gelassen hat.
URL noch unruhiger; stockend; Hollrieder immer dabei beobachtend. Das ... habe ich ... nie gesagt!
HOLLRIEDER seiner Eifersucht einen Moment wider Willen die Zügel lassend. Na also!!
URL die eine Hand vor der Brust; eindringlich. Ich gebe dir mein Wort! Was mich an sie fesselt, hat mit dem, was du mir jetzt unterschiebst, nichts mehr gemein! Seinem verwunderten Blick voll begegnend. Nicht das Geringste mehr!
HOLLRIEDER sich kurz von ihm wegdrehend; brüsk; nach dem Vordergrund rechts. Das glaub dir einer! ... Höhnisch nach ihm zurück. Seit fünf Minuten! Nicht wahr? Läufst ja schon diese ganzen Wochen wie so n Hypnotisierter rum![146]
URL durch seine Leidenschaft fast verletzt. Wenn du meinst, daß ich dich in diesem Augenblick belüge ...
HOLLRIEDER gar nicht mehr auf ihn achtend, im Vordergrund auf und ab. Kommt einem mal wirklich was in die Quere, wo man fast ahnt, was einem das Dasein Wieder mit einem Blick über seine Bilder. statt dieses vertrottelnden Hinvegetierens alles zu bieten hätte, und man benimmt sich, wie n ... Abbrechend. Wir sind schon n Paar stupide Burschen, alle beide! Url: wortlos von ihm abgewandt .... Jawohl. Du wirst sie nicht kriegen, und ich werd sie nicht kriegen! Du, weil man dir alles verbuttert hat, und ich, weil ich der kompletteste Idiot bin. Also in die Perücken brauchen wir uns deshalb nicht zu geraten. Gott sei Dank nicht! ... Da Url noch immer schweigt. Du! ... Ihn an die Schulter packend. Url! ... Mensch! ... Sei doch vernünftig! ... Durch die Zähne. Wegen solchem ... Das Wort nicht aussprechend.
URL unter seiner Brutalität zusammengezuckt; einen Schritt zurück; ihm gegenüber. Wenn ich nicht ... genau wüßte ... daß du an deine Maßlosigkeiten selbst nie glaubst ...
HOLLRIEDER wieder von ihm weg; ohne ihn dabei anzusehn; nach links hin. Na, was is denn so n Weib? Gib ihr Rapid. zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, meinetwegen fünfzigtausend Mark, und du hast se!
URL der ihm ernst nachgeblickt, langsam auf die Chaiselongue zu. Ich wünschte nur, daß du dich damit nicht täuschtest zu deinem Unglück.
HOLLRIEDER wieder vor dem Kalender. Elfter Januar! Mit beiden Unter armen und den ohnmächtig geballten Fäusten gegen die Wand schlagend. Elfter Januar!! ...Als ob sich alles gegen einen verschworen hätte! ... Wieder auf den Tisch zu. So ein Pech! Mußtest du ihr auch grade in den Weg rennen! Als ob es ausgerechnet nur die eine Straße gäbe! ... Was war denn das überhaupt für n ... Stehngeblieben; sich räuspernd-würgend, dann mit doppelter Wut das ihm infame Wort aus sich ausstoßend Stiesel? .... Alt oder jung? Schon n Tattrich, oder ... Sich plötzlich selbst unterbrechend. Im letzten Drittel der Bühne nach dem Fenster hin, durch das über den inzwischen immer blauer gewordenen Schneedächern jetzt ein tiefroter Sonnenuntergang[147] brennt; die Arme etwas seitlich nach hinten ausgestreckt, beide Fäuste gebaut; in die Dachlandschaft vor sich wie gebannt starrend. Herr Gott ... die ... Sonne!! ...
URL der auf der Chaiselongue sitzt; auf derselben Stelle wie am Anfang; einen Moment nach dem Fenster zurückgedreht; langsam fragend- schmerzlich; Hollrieders letztes Wort wie mechanisch zweimal wiederholend. »Sonne«? ... »Sonne«?? ... Die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in beiden Händen; aus seiner Stimmung dunkeldüster vor sich hin. Finsternis!
HOLLRIEDER noch in derselben Stellung; wie visionär-entrückt; Urls letztes Wort automatisch-echoartig aufgreifend. »Finsternis!« ... Plötzlich, wie elektrisiert, zu Url rüber. Du!! ... Url, von dem seltsam elementaren Ton, mit dem Hollrieder diese eine Silbe ausgerufen, aus seinem Brüten aufgeschreckt; Hollrieder, wieder nach dem Fenster blickend, noch wuchtiger. Ich habs! ... Wieder zu Url rüber; der unwillkürlich erwartungsvoll aufgestanden. Eben! ... Diese Sekunde! ... Wieder nach dem Fenster hin; mit dem Finger deutend; fast keuchend; zwischendurch immer wieder nach Url zurückblickend. Sieh! ... Sieh!! ... Das ist noch nichts! ... Das ist noch gar nichts!! ... Vor fünfzehn Jahren! ... Jene ... große Sonnenfinsternis!! ... Nach Url zurückgedreht; mit halb erhobenen Händen, wie an einer Vision formend. Berlin an jenem unvergeßbaren Augustmorgen! ... Hunderttausend, die früh auf den Kreuzberg gezogen waren ... aus allen Ständen, in allen Gruppen ... Menschen, Tiere ... der Himmel in hundert Farben, rund der qualmende Riesenhorizont ... das ganze Tempelhofer Feld, unabsehbar, eine wimmelnde Masse ... Erwartung ... auf schauernde Kühle, und dann, langsam ... das Grauen! Hier noch ein grelles Stück Sonnenlicht, leuchtendste Wipfel, Turmspitzen, die Gesichter lachend, fröhlich, dort schon die Dämmrung; die Tiere unruhig, die Menschen grünbleich, schwirrende Dunkelheit, Entsetzen! ... In diesem Moment stak alles! Alles!! ... Die ganze Skala!
URL der ihm mit steigender Ergriffenheit zugehört; unfähig sich von seinem Platz zu rühren; unwillkürlich. Ja! Ja!!
HOLLRIEDER wie plötzlich über sich selbst gewachsen; noch immer sich steigernd. Lichtwirkungen, Lichtausschüttungen, Lichtoffenbarungen,[148] daß einem vor Staunen und Grausen kaum noch ... das Herz schlug ... Mienen, Gebärden, Gesten, Bewegungen ... Szenen, die sich in die Seele ... wie Senkbleie gruben ... eine Idee, eine Zusammenballung ... eine Synthese, die Augen wie Hirn ... mit gleichem Zauber, mit gleichem Entzücken ... mit gleichem Schauer füllte ... die ein alles umfassendes, alles umreißendes, alles umgreifendes ... Symbol war ... und die dich ... mit ihrer zermalmenden Größe, ihrer schillernden Vielfalt ... ihrer unausschöpfbaren Tiefe ... bis in den letzten Nerv traf! Da gab es nicht einen, nicht einen ... keinen ... der nicht zitternd davon ... gepackt war! ... Das ... mal ich! ... Auf den Sessel zu, die Worte kaum noch aus sich rausbekommend. Sollte ich ... noch einmal ... Vor dem Tisch schluchzend zusammenbrechend ....
URL erschüttert auf ihn zugegangen; ihm die Schulter streichelnd. Lieber ... lieber ... h'eher Kerl! ... Neben ihm; fest; aufgerichtet. Es ... wird dir ... gelingen!
Vorhang
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