XII. Gesang.

[201] Künftige Vertilgung der Mauer. Die Achaier eingetrieben. Hektor, wie Polydamas riet, läßt die Reisigen absteigen und in fünf Ordnungen anrücken. Nur Asios mit seiner Schar fährt auf das linke Tor, welches zween Lapithen verteidigen. Ein unglücklicher Vogel erscheint den Troern; Polydamas warnt den Hektor umsonst, Zeus sendet den Achaiern einen stäubenden Wind entgegen. Hektor stürmt die Mauer, und die beiden Ajas ermuntern zur Gegenwehr. Sarpedon und Glaukos nahn dem Turme des Menestheus, dem Telamons Söhne zu Hilfe eilen. Glaukos entweicht verwundet; Sarpedon reißt die Brustwehr herab. Hektar zersprengt ein Tor mit einem Steinwurf, worauf die Troer zugleich über die Mauer und durch das Tor eindringen.


Also heilt' im Gezelte Menötios' tapferer Sprößling

Jetzt den Eurypylos dort, den verwundeten. Aber es kämpften

Argos' Söhn' und die Troer mit Heerskraft. Siehe, nicht länger

Sollte der Graben beschirmen die Danaer oder die Mauer,

Welche sie breit um die Schiff' auftürmeten, rings dann den Graben

Leiteten; denn nicht brachten sie Festhekatomben den Göttern,

Daß ihr Werk die rüstigen Schiff' und erbeuteten Schätze

Drinnen bewahrt' im Lager; zum Trotz den unsterblichen Göttern

Ward es gebaut, drum stand's nicht lange Zeit unerschüttert.

Denn weil Hektor lebend noch war, noch zürnet' Achilleus[201]

Und unzerrüttet die Stadt des herrschenden Priamos ragte,

Ebensolang auch bestand der Danaer mächtige Mauer;

Aber nachdem gestorben der Troer tapferste Helden,

Mancher auch der Argeier vertilgt war, mancher noch übrig,

Und nun Priamos' Stadt hinsank im zehnten der Jahre,

Dann die Argeier in Schiffen zur Heimat wiedergekehret:

Jetzo beschloß Poseidaon im Rat und Phöbos Apollon,

Wegzutilgen den Bau, der Ströme Gewalt hinlenkend.

Alle die hoch vom Idagebirg in das Meer sich ergießen,

Rhodios und Karesos, Heptaporos auch und Granikos,

Rhesos auch und Äsepos zugleich und der edle Skamandros,

Simois auch, wo gehäuft Stierschild' und gekegelte Helme

Sanken hinab in den Staub und das Göttergeschlecht der Heroen:

Allen zugleich nun wandte die Mündungen Phöbos Apollon

Gegen den Bau, neun Tage beströmt' er ihn, während herab Zeus

Regnete, schneller ins Meer die umflutete Mauer zu wälzen.

Aber der Erderschütterer selbst, in den Händen den Dreizack,

Ging voran und stürzt' aus dem Grunde gewühlt in die Wogen

Alle Blöck' und Steine, die mühsam gelegt die Achaier,

Schleift' und ebnet' es rings am reißenden Hellespontos

Und umhüllte mit Sand weithin das große Gestade,

Wo er die Mauer vertilgt'; dann wandt er zurück in das Flutbett

Jeglichen Strom, wo zuvor er ergoß sein schönes Gewässer.

Also sollte hinfort Poseidons Macht und Apollons

Taten tun. Doch jetzo war Schlacht und Getümmel entbrannt rings

Um den gewaltigen Bau, und der Türme geworfene Balken

Donnerten. Argos' Volk, von Kronions Geißel gebändigt,

Drängte sich eingehegt bei den schwarzen gebogenen Schiffen,

Bange vor Hektors Wut, des stürmenden Schreckengebieters.

Jener stritt wie zuvor mit dem Ungestüm des Orkanes.

Wie wenn im Kreise der Hund' und rüstigen Jäger ein Waldschwein

Ringsher oder ein Löwe sich dreht, wutfunkelnden Blickes

(Jene dort, miteinander in Heerschar wohlgeordnet,

Stehn ihm entgegengewandt, und es fliegen geschwungene Spieße

Häufig daher aus den Händen; doch sein ruhmatmendes Herz kennt

Weder Furcht noch Entfliehn, und Tapferkeit tötet ihn endlich;

Vielfach drehet er sich, die Reihn der Männer erforschend,[202]

Und wo er grad andringt, da weichen ihm Reihen der Männer):

So im Gewühl ging Hektor umhergewandt und ermahnte

Über den Graben zu sprengen die Seinigen. Aber nicht wagten's

Ihm die Rosse, geflügelten Laufs; sie wieherten laut auf,

Stehend am äußersten Bord; denn zurück sie schreckte des Grabens

Breite, zum Sprung hinüber nicht schmal genug, noch zum Durchgang

Leichtgebahnt; denn ein jäh abhängiges Ufer erhob sich

Rings an jeglicher Seit, auch war mit spitzigen Pfählen

Obenher er bepflanzt, die Achaias Söhne gestellet,

Dichtgereiht und mächtig, zur Abwehr feindlicher Männer.

Schwerlich vermocht ein Roß, an den rollenden Wagen gespannet,

Überzugehn, Fußvölker nur eiferten, ob sie vermöchten.

Aber Polydamas sprach, dem trotzigen Hektor sich nahend:

Hektor und ihr, der Troer Gewaltige und der Genossen,

Torheit ist's, durch den Graben die hurtigen Rosse zu treiben.

Viel zu schwer ist wahrlich der Weg, denn spitzige Pfähle

Stehn ja umher und daran der Danaer mächtige Mauer.

Dort lenkt keiner hinab der Reisigen, keiner besteht auch

Unten den Kampf; hin sänken sie all, in der Enge verwundet.

Denn wofern nun ganz im vertilgenden Zorne sie heimsucht

Der hochdonnernde Zeus und den Troern Hilfe gewähret,

Traun, dann wünscht ich selber aufs schleunigste solches vollendet,

Daß hier ruhmlos stürben von Argos fern die Achaier.

Wenn sie jedoch umkehrten und Rückverfolgung begönne

Von den Schiffen daher, in des Grabens Tief uns verdrängend:

Nimmer käm, ich fürcht' es, auch nicht ein Bote von dannen,

Wieder gen Troja zurück, vor der Wut der gewandten Achaier.

Aber wohlan, wie ich rede das Wort, so gehorchet mir alle.

Laßt die Ross' am Graben, gehemmt von den Wagengenossen;

Wir dann, Streiter zu Fuß, mit ehernen Waffen gerüstet,

Drängen uns all um Hektor und folgen ihm. Doch die Achaier

Stehn uns nicht, wenn jenen das Ziel des Verderbens daherdroht.

So des Polydamas Rat; den unschädlichen billigte Hektor.

Schnell vom Wagen herab mit den Rüstungen sprang er zur Erde.

Auch nicht blieben im Wagen die anderen Troer versammelt,

Sondern sie stürmten herab, da sie sahn den göttlichen Hektor.

Jetzo gebot ein jeder dem eigenen Wagenlenker,[203]

Dort am Graben die Ross' in geordneter Reihe zu halten;

Selber darauf sich teilend, in fünf Heerscharen geordnet,

Gingen sie wohlgereiht und folgeten ihren Gebietern.

Hektor selbst und der edle Polydamas führten die Ordnung,

Welche die meisten enthielt und tapfersten, alle begierig,

Durch die Mauer zu brechen und kühn um die Schiffe zu kämpfen.

Auch Kebriones folgte der dritte noch, und dem geringern

Blieb, an Kebriones' Statt, nun Hektors Wagen vertrauet.

Paris gebot der zweiten, Alkathoos auch und Agenor.

Helenos führte die dritt und Deiphobos, göttlicher Bildung,

Beide des Priamos Söhn'; auch Asios führte mit jenen,

Asios, Hyrtakos' Sohn, den hergebracht aus Arisbe

Rosse, glänzend und groß, vom heiligen Strom Selleis.

Aber der vierten herrscht' Äneias voran, des Anchises

Starker Sohn, zugleich ihm Antenors tapfere Söhne,

Akamas und Archilochos beid, allkundig des Streites.

Endlich gebot Sarpedon den rühmlichen Bundesgenossen,

Der sich den Glaukos gesellt' und den kriegerischen Asteropöos,

Denn sie dünkten ihm beide die Tapfersten sonder Vergleichung

Aller umher, nach ihm selbst; er ragete weit vor den andern.

Als sie nunmehr sich zusammengedrängt mit Schilden von Stierhaut,

Eilten sie freudigen Muts auf die Danaer, hoffend, nicht obstehn

Würden sie, sondern bald um die dunkelen Schiffe gestreckt sein.

Alle sonst, die Troer und fernberufenen Helfer,

Waren Polydamas' Rate, des Tadellosen, gefolget;

Nur nicht Asios wollte, des Hyrtakos Sohn, der Gebieter,

Dort verlassen die Ross' und den wagenlenkenden Diener,

Sondern er drang mit ihnen zugleich an die rüstigen Schiffe.

Törichter! Ach nicht sollt er, die schrecklichen Keren vermeidend,

Samt dem Gespann und Wagen in stolzem Triumph von den Schiffen

Wiederum heimkehren zu Ilios' luftigen Höhen;

Denn ihn umhüllte zuvor das grauenvolle Verhängnis

Unter Idomeneus' Lanze, des herrlichen Deukalionen.

Denn er wandt in die Schiffe zur Linken sich, wo die Achaier

Aus dem Gefild einzogen mit hurtigen Rossen und Wagen;

Dorthin lenkt' er hindurch der Rosse Geschirr. Und er fand nicht

Vorgestreckt die Flügel des Tors, noch den mächtigen Riegel;[204]

Offen noch hielten es Männer und harreten, ob der Genossen

Einer, dem Treffen entflohn, sich retten wollt in die Schiffe.

Gradan lenkt' er die Rosse, der Wähnende, andere folgten

Nach mit hellem Geschrei; denn die Danaer würden nicht obstehn,

Hofften sie, sondern bald um die dunkelen Schiffe gestreckt sein.

Toren! Sie fanden dort zween tapfere Männer am Eingang,

Edelmütige Söhne der speergewohnten Lapithen:

Ihn, Peirithoos' Sohn, den starken Held Polypötes,

Ihn, den Leonteus auch, dem mordenden Ares vergleichbar.

Beid an dem Eingang dort des hochgeflügelten Tores

Standen sie. Also stehn hochwipflichte Eichen der Berge,

Welche den Sturm ausharren und Regenschauer beständig,

Eingesenkt mit großen und weithinreichenden Wurzeln:

Also die zween, der Gewalt der mächtigen Arme vertrauend,

Harrten dem Angriff kühn des Asios und unerschrocken.

Grad auf die trotzende Mauer, mit wildaufhallendem Feldruf,

Sprengten sie an und erhoben die trockenen Schilde von Stierhaut

Um Held Asios her, um Iamenos her und Orestes,

Akamas, Asios' Sohn, um Önomaos auch und um Thoon.

Sie dort hatten zuvor die hellumschienten Achaier

Drinnen im Lager ermahnt, zum mutigen Kampf für die Schiffe;

Aber sobald zur Mauer mit Macht anrennen sie sahen

Trojas Söhn' und erscholl der Danaer Angst und Getümmel,

Brachen sie beid hervor und kämpfeten draußen am Eingang.

Gleich zween Ebern an Mut, unbändigen, die in dem Bergwald

Kühn der Männer und Hund' anwandelnde Hetze bestehen;

Seitwärts dahergestürmt, durchschmettern sie rings die Gesträuche,

Weg vom Stamme sie mähend, und wild mit klappenden Hauern

Wüten sie, bis ein Geschoß ihr mutiges Leben vertilget:

Also klappt' auch jenen das schimmernde Erz an den Busen

Unter der Feinde Geschoß, denn sie wehrten mit großer Gewalt ab,

Oben dem Volk, der Mauer und eigener Stärke vertrauend.

Jene mit Steinen daher von den wohlgebaueten Türmen

Schleuderten, um sich selbst zu verteidigen und die Gezelte

Samt den Schiffen des Meers. Wie des Schnees Gestöber herabfällt,

Welches ein heftiger Wind, die schattigen Wolken erschütternd,

Häufig heruntergießt zur nahrungsprossenden Erde,[205]

Solch ein Schwall von Geschossen entstöberte dort der Achaier

Händen und dort der Troer, und dumpf rings krachten die Helme,

Von Mühlsteinen umprallt, und die hochgenabelten Schilde.

Laut nunmehr wehklagte, vor Schmerz die Hüften sich schlagend,

Asios, Hyrtakos' Sohn, und rief unwilligen Herzens:

Vater Zeus, ja wahrlich auch dir gefielen der Falschheit

Täuschungen! Nie doch hätt ich geglaubt, die Helden Achaias

Würden bestehn vor unserer Macht und unnahbaren Händen!

Aber sie, wie die Wespen mit regem Leib und die Bienen,

Die am höckrichten Weg ihr Felsennest sich bereitet,

Nicht verlassen ihr Haus in den Höhlungen, sondern den Angriff

Raubender Jäger bestehn im mutigen Kampf für die Kinder,

So auch wollen sie nicht, obgleich nur zween, von dem Tore

Abstehn, bis sie entweder erlegt sind oder gefangen!

Sprach's; doch nicht bewegt' er Kronions Herz mit der Rede:

Hektorn nur willfahrte sein Ratschluß Ruhm zu gewähren.

Andere kämpften den Kampf um andere Tore des Lagers.

Aber zu schwer ist mir's, wie ein Himmlischer alles zu melden!

Denn ringsum an der Mauer entloderte schrecklich die Flamme

Prasselnder Stein'. Unmutig, allein gezwungen, beschirmten

Argos' Söhne die Schiff', und es trauerten herzlich die Götter

Alle, so viel den Achaiern im Kampf Mithelfende waren.

Stürmend begann der Lapithen Gefecht und Waffengetümmel.

Siehe, Peirithoos' Sohn, der starke Held Polypötes,

Schoß auf Damasos' Stirne den Speer durch die eherne Kuppel;

Wenig hemmte das Erz den Stürmenden, sondern hindurchdrang

Schmetternd die eherne Spitz in den Schädel ihm, und sein Gehirn ward

Ganz mit Blute vermischt; so bändigt' er jenen im Angriff.

Weiter darauf den Pylon und Ormenos streckt' er in Blut hin,

Doch den Hippomachos traf des Ares Sprößling Leonteus,

Ihn, des Antimachos Sohn, mit dem Wurfspieß unten am Leibgurt.

Hurtig dann aus der Scheide das scharfe Schwert sich entreißend,

Drang er zuerst auf Antiphates ein durch das grause Getümmel,

Schwang in der Näh und hieb, daß zurück auf den Boden er hinsank.

Weiter darauf den Menon, Jamenos dann und Orestes

Streckt' er gehäuft miteinander zur nahrungsprossenden Erde.

Während sie jen' enthüllten des schimmernden Waffengeschmeides,[206]

Folgten dem Hektor dort und Polydamas blühende Männer,

Sie, die meisten an Zahl und tapfersten, alle begierig,

Durch die Mauer zu brechen und rings zu entflammen die Schiffe.

Diese zauderten noch unschlüssigen Rats an dem Graben;

Denn ein Vogel erschien, da sie überzugehn sich entschlossen,

Ein hochfliegender Adler, der, links an dem Heere sich wendend,

Eine gerötete Schlang in den Klaun hintrug, unermeßlich,

Lebend annoch und zappelnd, noch nicht vergessend der Streitlust.

Denn dem haltenden Adler durchstach sie die Brust an dem Halse,

Rückwärts gewunden ihr Haupt; er schwang sie hinweg auf die Erde,

Hart von Schmerzen gequält, und sie fiel in die Mitte des Haufens;

Aber er selbst lauttönend entflog im Hauche des Windes.

Starrend sahn die Troer umher die ringelnde Schlange

Liegen im Staub, das Zeichen des ägiserschütternden Vaters.

Aber Polydamas sprach, dem trotzigen Hektor sich nahend:

Hektor, du pflegst mich zwar in Versammlungen immer zu tadeln,

Red ich heilsamen Rat; denn traun, mitnichten geziemt es,

Anderer Meinung zu sein, dem Gehorchenden, weder im Rate

Noch in der Schlacht, vielmehr dein Ansehn stets zu vergrößern;

Dennoch sag ich dir jetzo, wie mir's am heilsamsten dünket:

Laßt nicht weiter uns gehn, um der Danaer Schiffe zu kämpfen!

Denn so wird, vermut ich, es endigen, wenn ja den Troern

Dieser Vogel erschien, da sie überzugehn sich entschlossen:

Ein hochfliegender Adler, der, links an dem Heere sich wendend,

Eine gerötete Schlang in den Klaun hintrug, unermeßlich

Lebend; doch schnell sie entschwang, bevor sein Nest er erreichet

Und nicht vollends sie brachte zum Raub den harrenden Kindern:

So auch wir: wo wir anders durch Mauer und Tor der Achaier

Brechen mit großer Gewalt und vor uns fliehn die Achaier,

Kehren wir nicht in Ordnung den selbigen Weg von den Schiffen,

Sondern viel der Troer verlassen wir, die der Achaier

Volk mit dem Erze getötet im mutigen Kampf für die Schiffe.

Also würd ein Seher verkündigen, welcher im Geiste

Kennte der Zeichen Verstand und dem die Völker gehorchten.

Finster schaut' und begann der helmumflatterte Hektor:

Keineswegs gefällt mir, Polydamas, was du geredet!

Leicht wohl könntest du sonst ein Besseres raten denn solches![207]

Aber wofern du wirklich in völligem Ernste geredet,

Traun, dann raubeten dir die Unsterblichen selbst die Besinnung,

Der du befiehlst, zu vergessen des Donnerers Zeus Kronions

Ratschluß, welchen er selbst mir zugewinkt und gelobet.

Aber du ermahnest, den weitgeflügelten Vögeln

Mehr zu vertraun. Ich achte sie nicht, noch kümmert mich solches,

Ob sie rechts hinfliegen zum Tagesglanz und zur Sonne

Oder auch links dorthin, zum nächtlichen Dunkel gewendet.

Nein, des erhabenen Zeus Ratschluß vertrauen wir lieber,

Der die Sterblichen all und unsterblichen Götter beherrschet!

Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu erretten!

Doch was zitterst denn du vor Kampf und Waffengetümmel?

Sänken wir anderen auch an den rüstigen Schiffen Achaias,

Alle getötet, umher, dir droht kein Schrecken des Todes!

Denn dir ward kein Herz, ausharrend den Feind und die Feldschlacht!

Wo du mir aber dem Kampf dich entziehn wirst oder der andern

Einen vom Krieg abwenden, durch törichte Wort' ihn verleitend,

Schnell von meiner Lanze durchbohrt verlierst du das Leben!

Dieses gesagt, ging jener voran; ihm folgten die andern

Mit graunvollem Geschrei. Der donnerfrohe Kronion

Sendete hoch vom Idagebirg unermeßlichen Sturmwind,

Der zu den Schiffen den Staub hinwirbelte, daß den Achaiern

Sank der Mut, doch der Troer und Hektors Ruhm sich erhöhte.

Jetzo dem Wink des Gottes und eigener Stärke vertrauend,

Strebten sie durchzubrechen der Danaer mächtige Mauer;

Rissen herab die Zinnen der Türm' und regten die Brustwehr

Und umwühlten mit Hebeln des Baus vorragende Pfeiler,

Welche zuerst die Achaier gestellt, zur Feste den Türmen.

Diese wuchtet' ihr Stoß, und sie hofften der schütternden Mauer

Einbruch. Doch nicht wichen die Danaer dort von der Stelle,

Sondern mit starrenden Schilden die Brustwehr rings umzäunend,

Warfen sie Stein' und Geschoss' auf die mauerstürmenden Feinde.

Aber die Ajas, beide das Volk auf den Türmen ermahnend,

Wandelten ringsumher und erregten den Mut der Achaier,

Den mit freundlicher Red und den mit harter Bedrohung

Züchtigend, welchen sie ganz im Gefecht nachlässig erblickten:

Freund' im Danaervolk, wer hervorstrebt oder wer mitgeht,[208]

Auch wer dahinten bleibt (denn gar nicht gleich miteinander

Schaffen die Männer im Kampf): nun zeigt für alle sich Arbeit!

Auch ihr selber fürwahr erkennet es! Nimmer zurück denn

Wendet euch gegen die Schiffe, die Drohungen hörend des Trotzers,

Sondern voran dringt all und ermahnet euch untereinander!

Ob ja Zeus vergönne, der Donnergott des Olympos,

Daß wir, den Streit abwehrend, zur Stadt die Feinde verfolgen!

Also schrien sie beid und erregten den Kampf der Achaier.

Dort, gleichwie Schneeflocken daher in dichtem Gestöber

Fallen am Wintertage, wann Zeus der Herrscher sich aufmacht,

Über die Menschen zu schnein, der Allmacht Pfeile versendend

(Ruhn dann heißt er die Wind' und schüttet herab, bis er decket

Rings die Höhn der schroffen Gebirg' und die zackigen Gipfel,

Auch die Gefilde voll Klee und des Landmanns fruchtbare Saaten;

Auch des graulichen Meers Vorstrand und Buchten umfliegt Schnee;

Aber die Wog, anrauschend, verschlinget ihn; alles umher sonst

Wird von oben umhüllt, wann gedrängt Zeus' Schauer herabfällt):

So dort flog von Heere zu Heer der Steine Gewimmel,

Welche die Troer hier und die Danaer dort auf die Troer

Schleuderten; und um die Mauer erscholl rings dumpfes Gepolter.

Noch nicht hätten die Troer anjetzt und der strahlende Hektor

Durchgebrochen die Pfort und den mächtigen Riegel der Mauer,

Hätte der waltende Zeus nicht seinen Sohn, den Sarpedon,

Auf die Argeier gesandt, wie den Leun auf gehörnete Rinder.

Vor sich trug er den Schild von gleichgeründeter Wölbung,

Schöngehämmert aus Erz, den prangenden, welchen der Wehrschmied

Hämmerte, drinnen gefügt aus häufigen Rinderhäuten

Und um den Rand ringsher mit goldenen Stäben durchzogen;

Diesen sich nun vortragend zum Schirm, zween Speere bewegend,

Eilt' er hinan wie ein Löwe des Bergwalds, welcher des Fleisches

Lang entbehrt und jetzo, gereizt von der mutigen Seele,

Eindringt, Schafe zu würgen, auch selbst in ein dichtes Gehege

(Findet er zwar bei ihnen die wachsamen Hirten versammelt,

Die mit Hunden und Spießen umher die Schafe behüten,

Doch nicht ohne Versuch von dem Stall zu entfliehen gedenkt er;

Nein, entweder er raubt, wo er einsprang, oder auch selber

Wird er verletzt im Beginn von rüstiger Hand mit dem Wurfspieß):[209]

So dort reizte sein Mut den göttergleichen Sarpedon,

Stürmend der Mauer zu nahn und durchzubrechen die Brustwehr.

Schnell zu Glaukos gewandt, Hippolochos' Sohne, begann er:

Glaukos, warum doch ehrte man uns so herrlich vor andern

Immer an Sitz, an Fleisch und vollgegossenen Bechern,

Heim im Lykierland, umher wie auf Himmlische blickend?

Und was baun wir ein großes Gefild am Ufer des Xanthos,

Prangend mit Obst und Trauben und weizenbesäeten Äckern?

Darum gebührt uns jetzt, in der Lykier Vordergetümmel

Dazustehn und hinein in die brennende Schlacht uns zu stürzen,

Daß man also im Volk der gepanzerten Lykier sage:

Wahrlich nicht unrühmlich beherrschen sie Lykiens Söhne,

Unsere Könige hier, mit gemästeten Schafen sich nährend

Und herzstärkendem Wein, dem erlesenen, sondern ihr Mut ist

Groß, denn sie kämpfen den Kampf in der Lykier Vordergetümmel!

Trautester, könnten wir ja durch dieses Kampfes Vermeidung

Immerdar fortblühen, unsterblich beid und unalternd,

Weder ich selbst dann stellte mich unter die vordersten Kämpfer,

Noch ermuntert ich dich zur männerehrenden Feldschlacht.

Aber da gleichwohl drohn unzählbare Schrecken des Todes

Rings und keiner entflieht der Sterblichen, noch sie vermeidet:

Auf, daß wir anderer Ruhm verherrlichen oder den unsern!

Jener sprach's; nicht träge war Glaukos darob, noch entzog sich.

Gradan drangen sie beide, die Schar der Lykier führend.

Doch sie ersah aufschauernd des Peteos Sohn Menestheus,

Denn ihm nahten zum Turm sie daher, mit Verderben gerüstet.

Rings umspäht' er den Turm, ob der Danaerfürsten er einen

Schauete, welcher die Not abwendete seinen Genossen.

Jetzo sah er die Ajas, sie beide des Kampfs unersättlich,

Dastehn, auch den Teukros, der jüngst vom Gezelte zurückkam,

Nahe sich; doch nicht konnt er mit vollem Ruf sie erreichen

Durch das Getöse der Schlacht; es erscholl zum Himmel der Aufruhr,

Weil die getroffenen Schild' und umflatterten Helm' und die Tore

Donnerten; denn sie all umdrängte man, und die davor nun

Stehenden strebten mit Macht sich durchzubrechen den Eingang.

Schnell zu Ajas dahin entsandt er Thootes, den Herold:

Laufe mir, edler Thootes, in Eil und rufe den Ajas,[210]

Lieber sie beide zugleich; denn weit das beste von allem

Wär es, dieweil hier bald ein gräßliches Morden bevorsteht!

Denn hart drängen die Fürsten der Lykier, welche von jeher

Ungestüm anrennen in schreckenvoller Entscheidung!

Aber wofern auch dort die Kriegsarbeit sie beschäftigt,

Komme doch Ajas allein, des Telamons tapferer Sprößling,

Und ihm gesellt sei Teukros, der Held, wohlkundig des Bogens!

Jener sprach's; nicht träge vernahm die Worte der Herold,

Sondern enteilt' an der Mauer der erzumschirmten Achaier,

Stand dem mutigen Ajas genaht und redete also:

Ajas beid, Heerführer der erzumschirmten Achaier,

Euch ermahnt des Peteos Sohn, der edle Menestheus,

Dort der Kriegesgewalt ein weniges nur zu begegnen.

Lieber ihr beide zugleich; denn weit das beste von allem

Wär es, dieweil dort bald ein gräßliches Morden bevorsteht!

Denn hart drängen die Fürsten der Lykier, welche von jeher

Ungestüm anrennen in schreckenvoller Entscheidung!

Aber wofern auch hier die Kriegsarbeit euch beschäftigt,

Komme doch Ajas allein, des Telamons tapferer Sprößling,

Und ihm gesellt sei Teukros, der Held, wohlkundig des Bogens!

Sprach's, und willig gehorchte der Telamonier Ajas.

Schnell zu Oileus' Sohn die geflügelten Worte begann er:

Ajas, ihr beid allhier, du selbst und der Held Lykomedes,

Stehet fest und ermahnt die Danaer, tapfer zu streiten.

Aber ich selber gehe, der Arbeit dort zu begegnen;

Schnell dann eil ich zurück, nachdem ich jene verteidigt.

Also sprach und enteilte der Telamonier Ajas.

Und ihm gesellt ging Teukros, sein leiblicher Bruder vom Vater,

Auch Pandion zugleich trug Teukros' krummes Geschoß nach,

Als sie dem Turm itzt nahten des hochgesinnten Menestheus,

Drinnen die Mauer entlang zu Bedrängeten nahten sie wahrlich.

Dort an die Brustwehr klommen, dem düsteren Sturme vergleichbar,

Jene, des Lykiervolkes erhabene Fürsten und Pfleger!

Tobend begann nun nahes Gefecht, und es hallte der Schlachtruf.

Ajas, der Heldensohn des Telamon, streckte zuerst nun

Einen Freund des Sarpedon, den hochbeherzten Epikles,

Mit scharfzackigem Marmor gefällt, der drinnen der Mauer[211]

Groß an der Brustwehr lag, der oberste. Schwerlich vielleicht wohl

Trüg ihn mit beiden Händen ein Mann, auch in blühender Jugend,

Wie nun Sterbliche sind; doch er schleuderte hoch ihn erhebend,

Brach ihm des Helms viergipflichtes Erz und zerknirschte zugleich ihm

Alle Gebeine des Haupts; und schnell, wie ein Taucher von Ansehn,

Schoß er vom ragenden Turm, und der Geist verließ die Gebeine.

Teukros traf den Glaukos, Hippolochos' edlen Erzeugten,

Mit dem Geschoß, da stürmend der Mauer Höh er hinanstieg,

Wo er ihn sah entblößen den Arm, und hemmte die Streitlust.

Schnell von der Mauer entsprang er geheim, daß nicht ein Achaier,

Wenn er die Wund erblickte, mit stolzer Red ihn verhöhnte.

Schmerz durchdrang dem Sarpedon die Brust, als Glaukos hinwegging,

Gleich nachdem er es merkte, doch nicht vergaß er des Kampfes,

Sondern er traf Alkmaon, des Thestors Sohn, mit der Lanze

Stoß und entriß ihm den Schaft; da taumelt' er, folgend der Lanze,

Vorwärts, und ihn umklirrte das Erz der prangenden Rüstung.

Doch Sarpedon, mit großer Gewalt anfassend, die Brustwehr

Zog, und umher nachfolgend entstürzte sie; aber von oben

Ward die Mauer entblößt und öffnete vielen den Zugang.

Ajas sofort und Teukros begegneten; der mit dem Pfeile

Traf ihm das Riemengehenk, das hell um den Busen ihm strahlte,

Am ringsdeckenden Schild; allein Zeus wehrte dem Schicksal

Seines Sohns, daß nicht bei den äußersten Schiffen er hinsank.

Ajas stach nun den Schild anlaufend ihm; aber hindurchdrang

Schmetternd die eherne Lanz und erschütterte jenen im Angriff.

Weg von der Brustwehr zuckt' er ein weniges, doch nicht gänzlich

Wich er, dieweil sein Herz noch erwartete, Ruhm zu gewinnen.

Laut ermahnt' er gewandt der Lykier göttliche Heerschar:

Lykier, o wie vergesset ihr doch des stürmenden Mutes!

Schwer ja ist's mir allein, und wär ich der tapferste Streiter,

Durchzubrechen die Mauer und Bahn zu den Schiffen zu öffnen!

Auf denn, zugleich mir gefolgt! denn mehrerer Arbeit ist besser!

Jener sprach's, und geschreckt von des Königes scheltendem Zuruf,

Rannten sie heftiger an, gedrängt um den waltenden König.

Argos' Söhn' auch drüben verstärkten die Macht der Geschwader

Innerhalb der Mauer, und fürchterlich drohte die Arbeit.

Denn es vermochten weder der Lykier tapfere Streiter[212]

Durchzubrechen die Mauer und Bahn zu den Schiffen zu öffnen,

Noch vermochten die Helden der Danaer, Lykiens Söhne

Weg von der Mauer zu drängen, nachdem sie sich einmal genahet.

Sondern wie zween Landmänner die Grenz einander bestreiten,

Jeder ein Maß in der Hand (auf gemeinsamer Scheide des Feldes

Stehn sie auf wenigem Raum und zanken sich wegen der Gleichung):

Also trennt' auch jene die Brustwehr; über ihr kämpfend

Haueten wild sie einander umher an den Busen die Stierhaut

Schöngeründeter Schild' und leichtgeschwungener Tartschen.

Viel auch wurden am Leib vom grausamen Erze verwundet,

Einige, wann sich wendend im Streit sie den Rücken entblößten

Durch das Gewühl, und manche sogar durch die Schilde von Stierhaut.

Überall von Türmen und Brustwehr rieselte rotes

Blut, an jeglicher Seite, der Troer und der Achaier.

Doch nicht schafften sie Flucht der Danaer, sondern sie standen

Gleich. Wie die Waage steht, wenn ein Weib lohnspinnend und redlich

Abwägt Woll und Gewicht und die Schalen beid in gerader

Schwebung hält, für die Kinder den ärmlichen Lohn zu gewinnen:

Also stand gleichschwebend die Schlacht der kämpfenden Völker,

Bis nunmehr Zeus höheren Ruhm dem Hektor gewährte,

Priamos' Sohn, der zuerst einstürmt' in der Danaer Mauer.

Laut erscholl sein durchdringender Ruf in die Scharen der Troer:

Auf, ihr reisigen Troer, hinan! Durchbrecht der Argeier

Mauer und werft in die Schiffe die schreckliche Flamme des Feuers!

Also ermahnte der Held, und aller Ohren vernahmen's.

Gradan drang zu der Mauer die Heerschar; jene begierig

Klommen empor die Zinnen, geschärfte Speer' in den Händen.

Hektor nun trug aufraffend den Feldstein, welcher am Tore

Dastand, draußen gestellt, von unten dick und von oben

Zugespitzt; ihn hätten nicht zween der tapfersten Männer

Leicht zum Wagen hinauf vom Boden gewälzt mit Hebeln,

Wie nun Sterbliche sind; doch er schwang ihn allein und behende,

Denn ihm erleichterte solchen der Sohn des verborgenen Kronos.

Wie wenn ein Schäfer behend hinträgt die Wolle des Widders,

Fassend in einer Hand, und wenig die Last ihn beschweret:

Also erhob auch Hektor und trug den Stein zu den Bohlen,

Welche das Tor verschlossen mit dichteinfugender Pforte,[213]

Zweigeflügelt und hoch; und zween sich begegnende Riegel

Hielten sie innerhalb, mit einem Bolzen befestigt.

Nah itzt trat er hinan und warf gestemmt auf die Mitte,

Weit gespreizt, daß nicht ein schwächerer Wurf ihm entflöge.

Schmetternd zerbrach er die Angeln umher, und es stürzte der Marmor

Schwer hinein, dumpf krachte das Tor; auch die mächtigen Riegel

Hielten ihm nicht, und die Bohlen zerspalteten hiehin und dorthin

Unter des Steines Gewalt. Und es sprang der erhabene Hektor

Furchtbar hinein, wie das Grauen der Nacht; er strahlt' in des Erzes

Schrecklichem Glanz, der ihn hüllt', und zwo hellblinkende Lanzen

Schüttelt' er. Schwerlich hätt ein Begegnender jetzt ihn gehemmet,

Außer ein Gott, da er sprang in das Tor wutfunkelnden Blickes.

Laut ermahnt' er die Troer, umhergewandt im Getümmel,

Über die Mauer zu steigen, und schnell ihm gehorchten die Völker;

Andere drangen zur Mauer und kletterten, andere strömten

Durch die gezimmerte Pforte hinein. Doch es flohn die Achaier

Zu den geräumigen Schiffen; es tobt' unermeßlicher Aufruhr.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 201-214.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ilias
Ilias
Ilias · Odyssee
Ilias
Ilias (insel taschenbuch)
Ilias (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon