[317] Achilleus jammert um Patroklos' Tod. Thetis hört seinen Entschluß, Hektor zu töten, obgleich ihm bald nach jenem zu sterben bestimmt sei, und verheißt ihm andere Waffen von Hephästos. Den Achaiern entreißt Hektor beinahe den Leichnam; aber Achilleus, der sich waffenlos an den Graben stellt, schreckt durch sein Geschrei die Troer. Nacht. Den Troern rät Polydamas, in die Feste zu ziehen, ehe Achilleus hervorbreche, welches Hektor verwirft. Die Achaier wehklagen um Patroklos und legen ihn auf Leichengewande. Der Thetis schmiedet Hephästos die erbetenen Waffen.
Also kämpften sie dort wie lodernde Flammen des Feuers.
Doch zu Achilleus bracht Antilochos eilend die Botschaft.
Ihn nun fand er vorn an des Meers hochhauptigen Schiffen,
Dem nachsinnend im Geist, was schon zur Vollendung genahet.
Tief aufseufzt' er und sprach zu seiner erhabenen Seele:
Wehe mir doch! Was fliehen die hauptumlockten Achaier
Wieder mit Angst zu den Schiffen, dahergescheucht im Gefilde?
Wenn nur nicht die Götter das Jammergeschick mir vollenden,
So wie vordem mir die Mutter verkündiget und mir gesaget,
Daß noch, weil ich lebte, der tapferste Myrmidone
Unter der Troer Hand das Licht der Sonne verließe!
Wahrlich, gewiß schon starb Menötios' tapferer Sprößling!
Böser! Traun, ich befahl, wann die feindliche Glut er gewendet,
Heim zu den Schiffen zu gehn, nicht Hektor mit Macht zu bekämpfen!
Als er solches erwog in des Herzens Geist und Empfindung,
Siehe, da kam ihm nahe der Sohn des erhabenen Nestor,
Heiße Tränen vergießend, und sprach die schreckliche Botschaft:
Wehe mir, Peleus' Sohn, des Feurigen, ach, ein entsetzlich
Jammergeschick vernimmst du, was nie doch möchte geschehn sein![317]
Unser Patroklos sank; sie kämpfen bereits um den Leichnam,
Nackt wie er ist; denn die Waffen entzog der gewaltige Hektor!
Sprach's, und jenen umhüllte der Schwermut finstere Wolke.
Siehe, mit beiden Händen des schwärzlichen Staubes ergreifend,
Überstreut' er sein Haupt und entstellte sein liebliches Antlitz;
Auch das ambrosische Kleid umhaftete dunkele Asche.
Aber er selber, groß weithingestreckt, in dem Staube
Lag und entstellete raufend mit eigenen Händen das Haupthaar.
Mägde zugleich, die Achilleus erbeutete und Patroklos,
Laut mit bekümmerter Seel aufschrien sie; all aus der Türe
Liefen sie her um Achilleus den Feurigen, und mit den Händen
Schlugen sich alle die Brust, und jeglicher wankten die Knie.
Drüben Antilochos auch wehklagete, Tränen vergießend,
Haltend Achilleus' Händ, als beklemmt sein mutiges Herz rang,
Daß er nicht die Kehle sich selbst mit dem Eisen durchschnitte.
Fürchterlich weint' er empor. Da hört' ihn die treffliche Mutter,
Sitzend dort in den Tiefen des Meers beim grauen Erzeuger.
Laut aufschluchzte sie nun, und die Göttinnen kamen versammelt,
Alle, so viel Nereiden des Meers Abgründe bewohnten.
Dort war Glauke nunmehr, Kymodoke auch und Thaleia,
Speio, Nesäa und Thoe, und Halia, herrschenden Blickes,
Auch Aktäa, Kymothoe auch und Limnoreia,
Melite dann und Jära, Amphithoe auch und Agaue,
Doto zugleich und Protho, Dynamene, Kallianeira,
Auch Dexamene dort, Amphinome auch und Pherusa,
Doris und Panope auch, und edlen Ruhms Galateia,
Dann Nemertes, Apseudes zugleich und Kallianassa;
Dort war auch Janeira und Klymene, auch Ianassa,
Mära und Oreithya und schönumlockt Amatheia
Und wo sonst Nereiden des Meers Abgründe bewohnten.
Jene, die silberne Grotte der Herrscherin weit erfüllend,
Schlugen sich alle die Brust; und zuerst wehklagete Thetis:
Hört mich all, ihr Schwestern, unsterbliche Töchter des Nereus,
Daß ihr vernehmt den Jammer, wieviel mir die Seele belastet!
Weh mir Armen, o mir unglücklichen Heldenmutter,
Die ich den Sohn mir gebar so edelen Sinns und so tapfer,
Hoch vor Helden geschmückt! Er schwang sich empor wie ein Sprößling,[318]
Und ich erzog ihn mit Fleiß wie die Pflanz im fruchtbaren Acker;
Drauf in geschnäbelten Schiffen gen Ilios sandt ich daher ihn,
Trojas Volk zu bekämpfen; doch nie empfang ich ihn wieder,
Wann er zur Heimat kehrt, in Peleus' ragende Wohnung!
Aber so lang er mir lebt und das Licht der Sonne noch schauet,
Duldet er Qual, und nichts vermag ich ihm nahend zu helfen!
Dennoch geh ich, zu schaun mein trautes Kind und zu hören,
Welch ein Jammer ihn traf, der entfernt vom Kriege beharret!
Dieses gesagt, verließ sie die Wölbungen; jene zugleich ihr
Gingen mit Tränen benetzt, und umher die Woge des Meeres
Trennte sich. Als sie nunmehr zur scholligen Troja gelangten,
Stiegen sie auf zum Gestade der Reihe nach, wo das Geschwader
Myrmidonischer Schiff' herstand um den schnellen Achilleus.
Nahe jetzt dem Schluchzenden trat die göttliche Mutter
Und lautweinend umschlang sie das Haupt des teuersten Sohnes;
Und sie begann wehklagend und sprach die geflügelten Worte:
Liebes Kind, was weinst du? Und was betrübt dir die Seele?
Sprich, verhehle mir nichts! Dir ward doch alles vollendet
Jenes von Zeus, wie vordem mit erhobenen Händen du flehtest!
Daß um die Steuer zusammengedrängt die Männer Achaias,
Schmachtend nach deiner Hilf', unwürdige Taten erlitten!
Doch schwerseufzend begann der mutige Renner Achilleus:
Mutter, es hat mir zwar der Olympier jenes vollendet.
Aber was frommt mir solches, nachdem mein teurer Patroklos
Mir hinsank, den ich wert vor allen Freunden geachtet,
Wert wie mein eigenes Haupt! Er sank, und die Waffen entzog ihm
Hektor, der ihn erschlug, so gewaltige, Wunder dem Anblick,
Köstliche, welche dem Peleus die ehrenden Götter geschenket,
Jenes Tags, da sie dich dem Sterblichen führten zum Lager.
Daß du vielmehr doch dort zu Meergöttinnen gesellet
Wohntest und Peleus hätt ein sterbliches Weib sich erkoren!
Nun muß dir auch die Seel unendlicher Jammer belasten
Um den gestorbenen Sohn; denn nie empfängst du ihn wieder,
Wann er zur Heimat kehrt! Ja selbst gebeut mir das Herz nicht,
Lebend umherzugehn mit Sterblichen, wo mir nicht Hektor
Erst von meiner Lanze durchbohrt das Leben verlieret
Und für Patroklos' Raub, des Menötiaden, mir büßet![319]
Aber Thetis darauf antwortete, Tränen vergießend:
Bald, mein Sohn, verblühet das Leben dir, so wie du redest!
Denn alsbald nach Hektor ist dir dein Ende geordnet!
Unmutsvoll antwortete drauf der schnelle Achilleus:
Möcht ich sogleich hinsterben, da nicht mir gönnte das Schicksal,
Meinen erschlagenen Freund zu verteidigen! Fern von der Heimat
Sank er und mangelte meiner, des Fluchs Abwehrer zu werden!
Nun, da ich nicht heimkehre zum lieben Lande der Väter,
Hab ich weder Patroklos mit Heil erfreut noch die andern
Freund' im Volk, die so viele dem göttlichen Hektor erlagen,
Sondern ich sitz an den Schiffen, umsonst die Erde belastend,
Solch ein Mann wie keiner der erzumschirmten Achaier,
In der Schlacht; denn im Rate besiegen mich andere Männer!
Möchte der Zank aus Göttern und sterblichen Menschen vertilgt sein
Und der Zorn, der selbst auch den Weiseren pflegt zu erbittern,
Der, weit süßer zuerst denn sanft eingleitender Honig,
Bald in der Männer Brust aufwächst wie dampfendes Feuer!
So nun erzürnete mich der Herrscher des Volks Agamemnon.
Aber vergangen sei das Vergangene, wie es auch kränkte;
Dennoch das Herz im Busen bezähmen wir auch mit Gewalt uns!
Hin nun geh ich, den Mörder des wertesten Haupts zu erreichen,
Hektor! Doch mein Los, das empfang ich, wann es auch immer
Zeus zu vollenden beschleußt und die andern unsterblichen Götter!
Nicht ja Herakles einmal, der Gewaltige, mied das Verhängnis,
Welcher der Liebste doch war dem herrschenden Zeus Kronion,
Sondern ihn zwang das Geschick und der heftige Zorn der Here.
Also auch ich, wofern ein gleiches Geschick mir bevorsteht,
Lieg ich, vom Tode gestreckt. Jetzt tracht ich noch Ruhm zu gewinnen
Manche Troerin noch und Dardanerin, schwellenden Busens,
Soll mir mit beiden Händen von jugendlich blühenden Wangen
Tränen des Grams abtrocknen mit schwer aufzitternden Seufzern!
Fühlen sie's nun, daß ich lange genug von dem Kriege gerastet!
Nicht mir wehre den Kampf, du Liebende, nimmer gehorch ich!
Ihm antwortete drauf die silberfüßige Thetis:
Wahrheit hast du geredet, mein Kind, nicht übel ist solches,
Seine geängsteten Freunde vor Tod und Verderben zu schützen.
Doch in der Troer Gewalt ist dir die stattliche Rüstung.[320]
Strahlend von Erz, mit welcher der helmumflatterte Hektor,
Selbst die Schultern geschmückt, einherprangt. Zwar wird er schwerlich
Lange darin frohlocken, denn nah ihm schwebet der Tod schon.
Aber du sollst mir noch nicht eingehn ins Getümmel des Ares,
Bis du zurück mich kehrend mit deinen Augen erblickest.
Denn ich komm in der Frühe, sobald die Sonne hervorgeht,
Stattliche Wehr dir bringend vom mächtigen Herrscher Hephästos.
Also sprach die Göttin und kehrte hinweg von dem Sohne;
Drauf gewandt zu den Schwestern, den Meergöttinnen, begann sie:
Taucht ihr jetzo hinab in den Schoß des unendlichen Meeres,
Daß ihr den alternden Meergott schaut und die Wohnung des Vaters;
Ihm dann verkündiget alles. Indes auf den hohen Olympos
Geh ich zum kunstberühmten Hephästos, ob er mir willfahrt,
Rüstungen, schön und strahlend, für meinen Sohn zu bereiten.
Jene sprach's, da tauchten die Göttinnen unter die Meerflut.
Selbst dann ging zum Olympos die silberfüßige Thetis
Schnell, dem geliebten Sohne gepriesene Waffen zu bringen.
So zum Olympos enttrugen die Schenkel sie. Doch die Achaier
Mit graunvollem Geschrei vor dem männermordenden Hektor
Flohn sie gescheucht, die Schiff' und den Hellespontos erreichend.
Nicht Patroklos auch hätten die hellumschienten Achaier
Aus den Geschossen entführt, den erschlagenen Freund des Achilleus;
Denn es ereilt' ihn wieder der Männer Getös und der Rosse,
Hektor zumal, des Priamos' Sohn, gleich stürmendem Feuer.
Dreimal faßt' ihn von hinten am Fuß der strahlende Hektor,
Strebend, ihn wegzuziehn, und laut die Troer ermahnt' er;
Dreimal stießen die Ajas, mit stürmender Stärke gewappnet,
Ihn von dem Toten hinweg. Er, fest der Stärke vertrauend,
Wütete jetzo hinan das Gewühl durch; jetzo von neuem
Stand er mit lautem Geschrei, doch rückwärts wandt er sich niemals.
Wie vom ermordeten Tiere durchaus den funkelnden Leun nicht
Nächtliche Hirten der Flur, den hungrigen Würger, verscheuchen,
So vermochten auch nicht die beiden gerüsteten Ajas
Hektor, Priamos' Sohn, von dem Leichnam abzuschrecken.
Und er hätt ihn geraubt und unendlichen Ruhm sich erworben,
Wenn nicht Peleus' Sohne die windschnell eilende Iris
Kam als Botin genaht vom Olympos, mitzustreiten,[321]
Zeus und den anderen Göttern geheim; denn es sandte sie Here.
Nahe trat sie hinan und sprach die geflügelten Worte:
Hebe dich, Peleus' Sohn, du schrecklichster unter den Männern!
Eile Patroklos zu Hilf, um den die entsetzliche Feldschlacht
Draußen tobt vor den Schiffen. Sie morden sich untereinander:
Diese mit Macht beschirmend den hingesunkenen Leichnam,
Dort, hinweg ihn zu reißen nach Ilios' luftiger Höhe,
Wüten die Troer daher; vor allen der strahlende Hektor
Ist ihn zu rauben entbrannt. Denn das Haupt ihm wünschet er herzlich,
Hauend vom zarten Hals, auf spitzige Pfähle zu heften.
Auf, nicht länger gesäumt, und Graun durchschaudre das Herz dir,
Daß Patroklos liege den troischen Hunden ein Labsal!
Dein ist Schmach, wenn irgend entstellt die Leiche daherkommt!
Ihr antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:
Welcher Gott hat, o Iris, dich mir als Botin gesendet?
Wieder begann dagegen die windschnell eilende Iris:
Here sandte mich her, Zeus' rühmliche Lagergenossin,
Auch nicht Zeus erfuhr's, der Erhabene, oder ein Gott sonst
Aller, die rings des Olympos beschneiete Höhen umwohnen.
Ihr antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:
Wie doch geh ich zur Schlacht, da jene die Rüstungen haben?
Auch die liebende Mutter verwehrte mir mitzustreiten,
Bis ich zurück sie kehrend mit meinen Augen erblickte;
Denn sie verhieß, von Hephästos mir herrliche Waffen zu bringen.
Niemand weiß ich ja sonst, des prangende Wehr mir gerecht sei,
Wo nicht Ajas' Schild, des gewaltigen Telamoniden.
Aber er selbst ist, hoff ich, im Vorderkampfe beschäftigt,
Mordend mit schrecklichem Speer um den hingesunkenen Patroklos.
Wieder begann dagegen die windschnell eilende Iris:
Wohl ja wissen auch wir's, wie die herrlichen Waffen geraubt sind.
Doch nur so an den Graben genaht, erscheine den Troern,
Ob vor dir erschrocken vielleicht vom Kampfe die Troer
Abstehn und sich erholen die kriegrischen Männer Achaias
Ihrer Angst, wie klein sie auch sei, die Erholung des Krieges.
Dieses gesagt, entflog sie, die windschnell eilende Iris.
Aber Achilleus erhob sich, der göttliche. Selber Athene
Hängt' um die mächtigen Schultern die quastumbordete Ägis;[322]
Auch sein Haupt mit Gewölk umkränzte die heilige Göttin,
Goldenem, und ihm entstrahlt' ein ringsum leuchtendes Feuer.
Wie hochwallender Rauch aus der Stadt aufsteiget zum Äther,
Fern aus dem Meereiland, das feindliche Männer bestürmen
(Jene den ganzen Tag, im Kriegesgraun sich versuchend,
Kämpfen aus ihrer Stadt, doch sobald die Sonne sich senket,
Brennen sie Reisigbund auf Warten umher, und es leuchtet
Hoch der steigende Glanz, daß Ringsumwohnende schauen,
Ob vielleicht in Schiffen des Streits Abwehrer herannahn):
So von Achilleus' Haupt erhub sich der Glanz in den Äther.
Schnell nun trat er zum Graben, die Mauer hindurch; doch vermied er
Argos' Volk, denn er scheute der Mutter sorgsame Warnung.
Dort gestellt aufschrie er; auch seitwärts Pallas Athene
Schrie lautauf, und die Troer durchtobt' unermeßlicher Aufruhr.
Wie wenn hell auftönet der Kriegsausruf der Drommete,
Wann um die Stadt herwühlt wehdrohender Feinde Getümmel,
So nun hell auftönte der Kriegsausruf des Peleiden.
Aber sobald sie vernommen den ehernen Ruf des Peleiden,
Regte sich allen das Herz, und die schöngemähneten Rosse
Wandten zurück ihr Geschirr, denn sie ahndeten Jammer im Herzen.
Starrend sahn auch die Lenker die lodernde Flamme des Feuers
Graunvoll über dem Haupt des erhabenen Peleionen
Brennen, entflammt von Zeus' blauäugiger Tochter Athene.
Dreimal schrie vom Graben mit Macht der edle Achilleus,
Dreimal zerstob der Troer Gewirr und der Bundesgenossen.
Dort nun starben, vertilgt durch eigene Wagen und Lanzen,
Zwölf der tapfersten Helden im Volk. Doch die Männer Achaias,
Freudig nunmehr Patroklos den Mordgeschossen entreißend,
Legeten ihn auf Betten, und ringsum standen die Freunde
Wehmutsvoll; auch folgte der mutige Renner Achilleus,
Heiße Tränen vergießend, da dort den treuen Genossen
Liegen er sah auf der Bahre, zerfleischt von der Schärfe des Erzes.
Ihn, ach, jüngst nur entsandt er mit Rossen zugleich und Geschirre
Hin zur Schlacht, nicht aber den Kehrenden sollt er empfangen.
Helios, rastlos im Lauf, gesandt von der Herrscherin Here,
Kehrete jetzt unwillig hinab zu Okeanos' Fluten.
Nieder sank die Sonn, und das Heer der edlen Achaier[323]
Ruhte vom schrecklichen Kampf und allverderbenden Kriege.
Trojas Söhn' auch drüben, vom Ungestüme der Feldschlacht
Wiedergekehrt, entlösten die hurtigen Rosse den Wagen,
Eilten darauf zur Versammlung, bevor sie des Mahles gedachten.
Aufrecht standen im Kreis die Versammelten; keiner auch wagt' es,
Sich zu setzen; denn all erbebten sie, weil Achilleus
Wieder erschien, der lange vom schrecklichen Kampfe gerastet.
Und der verständige Held Polydamas sprach zur Versammlung,
Panthoos' Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm,
Hektors Freund, mit jenem in einer Nacht auch geboren,
Er durch Worte berühmt, er dort durch Kunde des Speeres.
Dieser begann wohlmeinend und redete vor der Versammlung:
Wohl erwägt, ihr Lieben, den Rat; ich denke, sogleich nun
Kehren wir heim in die Stadt, nicht harrend der heiligen Frühe
Hier im Feld an den Schiffen, da weit die Mauer entfernt ist.
Weil noch jener Mann dem Held Agamemnon erzürnt war,
Damals ward uns leichter der Kampf mit den Söhnen Achaias.
Ja ich freute mich selbst vor den rüstigen Schiffen zu schlafen,
Hoffend, bald zu gewinnen die zwiefachrudernden Schiffe.
Doch nun fürcht ich mit Angst den mutigen Renner Achilleus.
So wie das Herz ihm strebt voll Heftigkeit, wird er fürwahr nicht
Säumen allhier im Gefilde, wo Trojas Söhn' und Achaias
Gleich bisher miteinander die Wut des Ares geteilet;
Nein, um die blühende Stadt nun kämpfet er und um die Weiber.
Kehren wir denn in die Feste, gehorchet mir; also geschieht es!
Jetzo hemmte vom Kampf den mutigen Renner Achilleus
Nur die ambrosische Nacht. Doch findet er morgen allhier uns,
Wann er hervor sich stürzt, der Gewappnete; traun, dann erkennt wohl
Mancher den Held, und gerne zur heiligen Ilios flüchtet,
Wer ihm entrann; viel sättigen Hund' und zerfleischende Geier
Trojas Söhn'! O möge vom Ohre mir solches entfernt sein!
Aber wofern mein Wort ihr genehmiget, trauernden Herzens,
Haltet die Nacht auf dem Markte die Kriegsmacht; türmende Mauern
Schützen die Stadt ringsum und hohe befestigte Tore,
Wohlverwahrt mit großen und dicht einfugenden Flügeln.
Frühe sodann vor Morgen, mit ehernen Waffen gerüstet,
Stehen wir rings auf der Mauer, und weh ihm, wo er begehret,[324]
Angestürmt von den Schiffen mit uns um die Mauer zu kämpfen!
Heim zu den Schiffen entweicht er, wann sein hochwiehernd Gespann ihm
Satt von mancherlei Lauf um Ilios hergetummelt.
Aber hinein wird nimmer sein Mut ihm zu dringen verstatten,
Nie erobert er auch; eh fressen ihn hurtige Hunde!
Finster schaut' und begann der helmumflatterte Hektor:
Keineswegs gefällt mir, Polydamas, was du geredet,
Der du ermahnst, in die Feste die Kehrenden einzuschließen.
Noch nicht wurdet ihr müd, umhegt zu sein von der Mauer?
Sonst war Priamos' Stadt bei vielfachredenden Menschen
Weit auf der Erde berühmt, als reich an Gold und an Erze,
Doch nunmehr ist geschwunden die köstliche Hab aus den Häusern;
Viel nach Phrygien nun und Mäoniens schönem Gefilde
Gehn zum Verkauf Kleinode, da Zeus' Allmacht uns ergrimmt ist.
Aber anjetzt, da mir ja der Sohn des verborgenen Kronos
Ruhm verliehn bei den Schiffen, ans Meer die Achaier zu drängen:
Törichter, nicht mehr äußre mir solcherlei Rat in dem Volke!
Denn kein einziger Troer gehorchet dir, nimmer gestatt' ich's!
Aber wohlan, wie ich rede das Wort, so gehorchet mir alle.
Jetzo nehmet das Mahl durch das Kriegsheer, Haufen bei Haufen.
Und gedenkt der nächtlichen Hut, und jeder sei wachsam.
Wer der Troer mit Angst um sein Vermögen sich härmet,
Solcher nehm und geb es dem Volk zu gemeinsamem Gastmahl.
Besser, daß jene damit sich belustigen als die Achaier!
Frühe sodann vor Morgen, mit ehernen Waffen gerüstet,
Gegen die räumigen Schiff' erheben wir stürmenden Angriff.
Wenn denn gewiß bei den Schiffen erstand der edle Achilleus,
Wohl, so erkor er sich selbst das Schlimmere! Nie ja vor jenem
Werd ich fliehn aus dem Sturme der Feldschlacht; nein, ihm entgegen
Steh ich, ob ihn Siegsehre verherrliche oder mich selber!
Gleich ist Ares gesinnt, und oft auch den Würgenden würgt er.
Also redete Hektor, und laut herriefen die Troer:
Törichte, welchen den Geist verblendete Pallas Athene!
Siehe, dem Hektor stimmten sie bei, der Böses beschlossen,
Doch dem Polydamas nicht, der heilsame Worte geredet.
Rings nun nahm man das Mahl durch das Kriegsheer. Doch die Achaier,
Ganz die Nacht um Patroklos erhuben sie Klagen und Seufzer.[325]
Peleus' Sohn vor ihnen begann die jammernde Klage;
Hingelegt die mordenden Händ' auf den Busen des Freundes,
Ächzet' er häufig empor. Wie ein bärtiger Löwe des Bergwalds,
Welchem die Jungen geraubt ein hirschverfolgender Jäger
Tief aus verwachsnem Gehölz (er drauf ankommend betrübt sich,
Eilt dann von Tale zu Tale der Spur nachrennend des Mannes,
Ob er ihn wo ausforsche; denn bitterer Zorn durchdrang ihn):
Also schwer aufseufzend vor Myrmidonen begann er:
Götter, wie eitele Worte sind jenes Tags mir entfallen,
Als ich Trost im Palaste dem Held Menötios zusprach!
Heim verhieß ich gen Opus den rühmlichen Sohn ihm zu bringen,
Wann er Troja verheert und reichliche Beute geloset.
Aber der Mensch entwirft, und Zeus vollendet es anders!
Uns war beiden bestimmt, die selbige Erde zu röten
Hier im troischen Land! Auch mich wird nimmer empfangen,
Heimgekehrt zum Palaste, der graue reisige Peleus,
Noch auch Thetis, die Mutter; entfernt hier deckt mich die Erde.
Doch nun ich, Patroklos, nach dir in die Erde versinke,
Feier ich dir nicht eher das Grabfest, bis ich dir Hektors
Waffen gebracht und das Haupt des Trotzigen, deines Mörders!
Auch zwölf Jünglinge werd ich am Totenfeuer dir schlachten,
Trojas edlere Söhn', im Zorn ob deiner Ermordung!
Ruh indessen allhier bei meinen geschnäbelten Schiffen!
Manche Troerin auch und Dardanerin, schwellenden Busens,
Soll wehklagen um dich, bei Tag und Nacht dich beweinend,
Welche wir selbst erbeutet mit Kraft und gewaltiger Lanze,
Blühende Städte verheerend der vielfachredenden Menschen.
Also sprach der edle Peleid, und den Freunden gebot er,
Eilend ein groß dreifüßig Geschirr auf Feuer zu stellen,
Um von dem blutigen Staube Patroklos' Leiche zu säubern.
Sie nun stellten das Badegeschirr auf loderndes Feuer,
Gossen dann Wasser hinein und legeten Holz an die Flamme;
Rings umschlug sie den Bauch des Geschirrs, und es kochte das Wasser;
Aber nachdem das Wasser gekocht im blinkenden Erze,
Wuschen sie jetzt und salbten mit fettem Öle den Leichnam;
Mit neunjähriger Salb erfüllten sie jetzo die Wunden,
Legten ihn dann auf Betten und breiteten köstliche Leinwand[326]
Ihm vom Haupt zu den Füßen und drauf den schimmernden Teppich.
Aber die ganze Nacht um den mutigen Renner Achilleus
Klagten die Myrmidonen Patroklos weinend und seufzend.
Zeus nun sprach zu Here, der göttlichen Schwester und Gattin:
Endlich gelang dir's doch, du hoheitblickende Here,
Peleus' Sohn zu erregen, den Mutigen. Sicher aus deinem
Eigenen Schoß entstammen die hauptumlockten Achaier.
Ihm antwortete drauf die hoheitblickende Here:
Welch ein Wort, Kronion, du Schrecklicher, hast du geredet?
Kann ja doch wohl etwas ein Mensch dem Manne vollenden.
Er, der sterblich nur ist und nicht so kundig des Rates;
Aber ich, die stolz der Göttinnen erste sich rühmet,
Zwiefach erhöht, durch Geburt und weil ich deine Genossin
Ward ernannt, der du mächtig im Kreis der Unsterblichen waltest,
Sollt ich nicht den Troern im Zorn ein Übel bereiten?
Also redeten jen' im Wechselgespräch miteinander.
Aber Hephästos' Palast erreichte die Herrscherin Thetis,
Sternenhell, unvergänglich, in strahlender Pracht vor den Göttern,
Welchen aus Erz er selbst sich gebaut, der hinkende Künstler.
Ihn dort fand sie voll Schweiß um die Blasebälge beschäftigt
Eiferig; denn Dreifüße bereitet' er, zwanzig in allem,
Rings zu stehn an der Wand der wohlgeründeten Wohnung.
Goldene Räder befestigt' er jeglichem unter den Boden,
Daß sie von selbst annahten zur Schar der unsterblichen Götter,
Dann zu ihrem Gemach heimkehreten, Wunder dem Anblick
Sie nun waren so weit gefertiget, nur noch der Henkel
Zierat fehlte daran; jetzt fügt' er sie, hämmernd die Nägel.
Während er solches erschuf mit erfindungsreichem Verstande,
Siehe, da kam ihm nahe die silberfüßige Thetis.
Diese sah vorwandelnd die feinumschleierte Charis,
Schön und hold, die Gattin des hinkenden Feuerbeherrschers;
Und sie faßt' ihr die Hand und redete, also beginnend:
Thetis in langem Gewande, wie nahest du unserer Wohnung,
Ehrenwert und geliebt? Denn sonst besuchst du mich wenig.
Aber komm doch herein, damit ich als Gast dich bewirte.
Also sprach und führte sie ein die herrliche Göttin.
Jene setzte sie dann auf den silbergebuckelten Sessel,[327]
Schön und prangend an Kunst, und ein Schemel stützt' ihr die Füße.
Drauf dem kunstberühmten Hephästos rief sie und sagte:
Tritt hervor, Hephästos, die Herrscherin Thetis bedarf dein.
Ihr antwortete drauf der hinkende Feuerbeherrscher:
Traun ja, so ist die erhabne, die edelste Göttin daheim mir,
Welche vordem mich gerettet im Schmerz des unendlichen Falles,
Als mich die Mutter verwarf, die entsetzliche, welche mich Lahmen
Auszutilgen beschloß. Da duldet ich Wehe des Herzens,
Hätt Eurynome nicht und Thetis im Schoß mich empfangen,
Jene des kreisenden Stroms Okeanos blühende Tochter.
Dort neun Jahre verweilt ich und schmiedete mancherlei Kunstwerk,
Spangen und Ring' und Ohrengehenk', Haarnadeln und Kettlein,
Dort in gewölbeter Grott, und der Strom des Okeanos ringsher
Schäumte mit brausendem Hall, der unendliche; keiner der andern
Kannte sie, nicht der Götter und nicht der sterblichen Menschen,
Sondern Thetis allein und Eurynome, die mich gerettet.
Diese besucht uns jetzo im Haus, und darum gebührt mir,
Froh der lockigen Thetis den Rettungsdank zu bezahlen.
Auf, nun reiche du ihr des Gastrechts schöne Bewirtung,
Während ich selbst die Bälge hinwegräum und die Gerätschaft.
Sprach's und erhob sich vom Amboß, das rußige Ungeheuer,
Hinkend, und mühsam strebten daher die schwächlichen Beine.
Abwärts legt' er vom Feuer die Bälg' und nahm die Gerätschaft,
Alle Vollender der Kunst, und verschloß sie im silbernen Kasten;
Wusch sich dann mit dem Schwamme die Händ' beid und das Antlitz,
Auch den nervichten Hals und den haarumwachsenen Busen;
Hüllte den Leibrock um und nahm den stämmigen Zepter,
Hinkte sodann aus der Tür, und Jungfraun stützten den Herrscher,
Goldene, Lebenden gleich, mit jugendlich reizender Bildung;
Diese haben Verstand in der Brust und redende Stimme,
Haben Kraft und lernten auch Kunstarbeit von den Göttern.
Schräge vor ihrem Herrn hineilten sie, er, nachwankend,
Nahte, wo Thetis saß und ruht' auf schimmerndem Sessel;
Ihr nun faßt' er die Hand und redete, also beginnend:
Thetis in langem Gewande, wie nahest du unserer Wohnung,
Ehrenwert und geliebt? Denn sonst besuchst du mich wenig.
Rede, was du verlangst, mein Herz gebeut mir Gewährung,[328]
Kann ich es nur gewähren und ist es selber gewährbar.
Aber Thetis darauf antwortete, Tränen vergießend:
Ach, Hephästos, war eine der Göttinnen auf dem Olympos
Je so viel im Herzen des traurigen Wehes erduldend,
Als auf mich vor allen Kronion Jammer gehäuft hat?
Mich aus den Meergöttinnen dem sterblichen Manne gesellt' er,
Peleus, Äakos' Sohn, und ich trug des Mannes Umarmung
Sehr unwillig aus Zwang; doch jetzt vor traurigem Alter
Lieget er dort im Palast, ein Entkräfteter. Aber noch mehr nun!
Einen Sohn zu gebären verlieh er mir und zu erziehen,
Hoch vor Helden geschmückt! Er schwang sich empor wie ein Sprößling
Und ich erzog ihn mit Fleiß wie die Pflanz im fruchtbaren Acker;
Drauf in geschnäbelten Schiffen gen Ilios sandt ich daher ihn,
Trojas Volk zu bekämpfen. Doch nie empfang ich ihn wieder,
Wann er zur Heimat kehrt, in Peleus' ragende Wohnung!
Aber so lang er mir lebt und das Licht der Sonne noch schauet,
Duldet er Qual, und nichts vermag ich ihm nahend zu helfen!
Die zum Ehrengeschenk ihm die Danaer wählten, die Jungfrau,
Nahm aus der Hand ihm wieder der Völkerfürst Agamemnon.
Trauernd das Herz um diese zerquält' er sich. Aber die Troer
Schlossen die Danaer ein um die ragenden Steuer und ließen
Nicht aus dem Lager sie gehn. Ihm fleheten drauf der Achaier
Älteste, welche viel und herrliche Gaben ihm boten.
Selbst nunmehr verweigert' er zwar dem Verderben zu wehren,
Aber den Freund Patroklos, mit eigenen Waffen ihn rüstend,
Sandt er daher in die Schlacht, und viel des Volks ihm gesellt' er.
Ganz den Tag durchkämpften sie nun am skäischen Tore;
Ja, und verheert des Tages wär Ilios, wenn nicht Apollon
Jenen Vertilger des Volkes, Menötios' tapferen Sprößling,
Schlug in dem Vordergefecht und Hektorn Ehre gewährte.
Drum nun flehend die Knie umfaß ich dir, ob du geneigt seist,
Schild und Helm zu verleihen dem bald hinwelkenden Sohne,
Prangende Schienen zugleich mit schließender Knöchelbedeckung,
Harnisch auch; was er hatte, verlor sein Genoß, den ermordet
Trojas Söhn', und er liegt auf der Erd, unmutigen Herzens.
Ihr antwortete drauf der hinkende Feuerbeherrscher:
Sei getrost und laß nicht dieses dein Herz dir bekümmern.[329]
Daß ich doch dem graulichen Tod ihn also vermöchte
Weit hinweg zu entziehn, wann einst sein Jammergeschick naht,
Als nun prangende Wehr ihn erfreun wird, solche wie mancher
Wohl anstaunt im Geschlechte der Sterblichen, wer sie erblicket!
Dieses gesagt, verließ er sie dort und ging in die Esse,
Wandt in das Feuer die Bälg' und hieß sie mit Macht arbeiten.
Zwanzig bliesen zugleich der Blasebälg' in die Öfen,
Allerlei Hauch aussendend des glutanfachenden Windes,
Bald des Eilenden Werk zu beschleunigen, bald sich erholend,
Je nachdem es Hephästos befahl zur Vollendung der Arbeit.
Jener stellt' auf die Glut unbändiges Erz in den Tiegeln,
Auch gepriesenes Gold und Zinn und leuchtendes Silber;
Richtete dann auf dem Block den Amboß, nahm mit der Rechten
Drauf den gewaltigen Hammer und nahm mit der Linken die Zange.
Erst nun formt' er den Schild, den ungeheuren und starken,
Ganz ausschmückend mit Kunst. Ihn umzog er mit schimmerndem Rande,
Dreifach und blank, und fügte das silberne schöne Gehenk an.
Aus fünf Schichten gedrängt war der Schild selbst; oben darauf nun
Bildet' er mancherlei Kunst mit erfindungsreichem Verstande.
Drauf nun schuf er die Erd und das wogende Meer und den Himmel,
Auch den vollen Mond und die rastlos laufende Sonne;
Drauf auch alle Gestirne, die rings den Himmel umleuchten,
Drauf Plejad und Hyad und die große Kraft des Orion,
Auch die Bärin, die sonst der Himmelswagen genannt wird,
Welche sich dort umdreht und stets den Orion bemerket
Und allein niemals in Okeanos' Bad sich hinabtaucht.
Drauf zwo Städt' auch schuf er der vielfach redenden Menschen,
Blühende; voll war die ein hochzeitlicher Fest' und Gelage.
Junge Bräut' aus den Kammern, geführt beim Scheine der Fackeln,
Gingen einher durch die Stadt, und hell erhub sich das Brautlied;
Tanzende Jünglinge drehten behende sich unter dem Klange,
Der von Flöten und Harfen ertönete; aber die Weiber
Standen bewunderungsvoll vor den Wohnungen, jede betrachtend.
Auch war dort auf dem Markte gedrängt des Volkes Versammlung;
Denn zween Männer zankten und haderten wegen der Sühnung
Um den erschlagenen Mann. Es beteuerte dieser dem Volke,
Alles hab er bezahlt; ihm leugnete jener die Zahlung.[330]
Jeder drang, den Streit durch des Kundigen Zeugnis zu enden.
Diesem schrien und jenem begünstigend eifrige Helfer,
Doch Herolde bezähmten die Schreienden. Aber die Greise
Saßen umher im heiligen Kreis auf gehauenen Steinen,
Und in die Hände den Stab dumpf rufender Herolde nehmend,
Standen sie auf nacheinander und redeten wechselnd ihr Urteil.
Mitten lagen im Kreis auch zwei Talente des Goldes,
Dem bestimmt, der vor ihnen das Recht am gradesten spräche.
Jene Stadt umsaßen mit Krieg zwei Heere der Völker,
Leuchtend im Waffenglanz. Die Belagerer droheten zwiefach,
Auszutilgen die Stadt der Verteidiger oder zu teilen
Alles Gut, das die liebliche Stadt in den Mauern verschlösse;
Jene verwarfen es stolz, zum Hinterhalte sich rüstend.
Ihre Mauer indes bewahreten liebende Weiber
Und unmündige Kinder, gesellt zu wankenden Greisen.
Jen' enteilten, von Ares geführt und Pallas Athene;
Beide sie waren von Gold und in goldene Kleider gehüllet,
Beide schön in den Waffen und groß, wie unsterbliche Götter,
Weit umher vorstrahlend; denn kleiner an Wuchs war die Herrschar.
Als sie den Ort nun erreicht, den zum Hinterhalt sie gewählet,
Nahe dem Bach, wo zur Tränke das Vieh von der Weide geführt ward,
Dort nun setzten sich jene, geschirmt mit blendendem Erze.
Abwärts saßen indes zween spähende Wächter des Volkes,
Harrend, wann sie erblickten die Schaf' und gehörneten Rinder.
Bald erschienen die Herden, von zween Feldhirten begleitet,
Welche, den Trug nicht ahndend, mit Flötenklang sich ergötzten.
Schnell auf die Kommenden stürzt' aus dem Hinterhalte die Heerschar,
Raubt' und trieb die Herden hinweg der gehörneten Rinder
Und weißwolligen Schaf' und erschlug die begleitenden Hirten.
Jene, sobald sie vernahmen das laute Getös um die Rinder,
Welche die heiligen Tore belagerten, schnell auf die Wagen
Sprangen sie, stürmten in fliegendem Lauf und erreichten sie plötzlich.
Alle gestellt nun schlugen sie Schlacht um die Ufer des Baches,
Und hin flogen und her die ehernen Kriegeslanzen.
Zwietracht tobt' und Tumult ringsum und des Jammergeschicks Ker',
Die dort lebend erhielt den Verwundeten, jenen vor Wunden
Sicherte, jenen entseelt durch die Schlacht hinzog an den Füßen;[331]
Und ihr Gewand um die Schulter war rot vom Blute der Männer.
Gleich wie lebende Menschen durchschalteten diese die Feldschlacht
Und entzogen einander die Leichname toter Helden.
Weiter schuf er darauf ein Brachfeld, locker und fruchtbar,
Breit, zum dritten gepflügt, und viel der ackernden Männer
Trieben die Joch' umher und lenketen hiehin und dorthin.
Aber sooft sie kehrend des Ackers Ende gewannen,
Reicht' ein Mann den Becher des herzerfreuenden Weines
Jeglichem dar nach der Ordnung; sie wandten sich dann zu den Furchen,
Freudigen Muts, das Ende der tiefen Flur zu erreichen.
Aber es dunkelte hinten das Land, und geackertem ähnlich
Schien es, obgleich von Gold; so wunderbar hatt er's bereitet.
Drauf auch schuf er ein Feld tiefwallender Saat, wo die Schnitter
Mäheten, jeder die Hand mit schneidender Sichel bewaffnet.
Längs dem Schwad hinsanken die häufigen Griffe zur Erde;
Andere banden die Binder mit strohernen Seilen in Garben;
Denn drei Garbenbinder verfolgeten. Hinter den Mähern
Sammelten Knaben die Griff' und trugen sie unter den Armen
Rastlos jenen daher. Der Herr stillschweigend bei ihnen
Stand, den Stab in den Händen, am Schwad und freute sich herzlich.
Abwärts unter der Eiche bereiteten Diener die Mahlzeit,
Rasch um den großen Stier, den sie schlachteten. Weiber indessen
Streueten weißes Mehl zum labenden Mus für die Ernter.
Drauf auch ein Rebengefilde, von schwellendem Weine belastet,
Bildet' er schön aus Gold, doch schwärzlich glänzten die Trauben;
Und es standen die Pfähle gereiht aus lauterem Silber.
Rings dann zog er den Graben von dunkeler Bläue des Stahles,
Samt dem Gehege von Zinn. Ein Pfad nur führte zum Rebhain,
Für die Träger zu gehn in der Zeit der fröhlichen Lese.
Jünglinge nun, aufjauchzend vor Lust, und rosige Jungfraun
Trugen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben.
Mitten auch ging ein Knab in der Schar; aus klingender Leier
Lockt' er gefällige Tön' und sang den Reigen von Linos
Mit hellgellender Stimm, und ringsum tanzten die andern,
Froh mit Gesang und Jauchzen und hüpfendem Sprung ihn begleitend.
Eine Herd auch schuf er darauf hochhauptiger Rinder;
Einige waren aus Golde geformt, aus Zinne die andern.[332]
Laut mit Gebrüll vom Hof enteilten sie dort auf die Weide
Längs dem rauschenden Fluß, der hinabschoß, wankend vom Schilfrohr.
Aber goldene Hirten begleiteten emsig die Rinder,
Vier an der Zahl, auch folgeten neun schnellfüßige Hunde.
Zween entsetzliche Löwen, gestürzt in die vordersten Rinder,
Faßten den dumpfaufbrummenden Stier, und mit lautem Gebrüll nun
Ward er geschleift; doch Hund' und Jünglinge folgten ihm schleunig.
Jene, nachdem sie zerrissen die Haut des gewaltigen Stieres,
Schlürften die Eingeweid' und das schwarze Blut, und vergebens
Scheuchten die Hirten daher, die hurtigen Hund' anhetzend.
Sie dort zuckten zurück, mit Gebiß zu fassen die Löwen,
Standen genaht und bellten sie an, doch immer vermeidend.
Eine Trift auch erschuf der hinkende Feuerbeherrscher:
Im anmutigen Tal, durchschwärmt von silbernen Schafen,
Hirtengeheg' und Hütten zugleich und schirmende Ställe.
Einen Reigen auch schlang der hinkende Feuerbeherrscher,
Jenem gleich, wie vordem in der weitbewohneten Knossos
Dädalos künstlich ersann der lockigen Ariadne.
Blühende Jünglinge dort und vielgefeierte Jungfraun
Tanzten den Ringeltanz, an der Hand einander sich haltend.
Schöne Gewand' umschlossen die Jünglinge, hell wie des Öles
Sanfter Glanz, und die Mädchen verhüllete zarte Leinwand.
Jegliche Tänzerin schmückt' ein lieblicher Kranz, und den Tänzern
Hingen goldene Dolche zur Seit an silbernen Riemen.
Kreisend hüpften sie bald mit schöngemessenen Tritten
Leicht herum, so wie oft die befestigte Scheibe der Töpfer
Sitzend mit prüfenden Händen herumdreht, ob sie auch laufe;
Bald dann hüpften sie wieder in Ordnungen gegeneinander.
Zahlreich stand das Gedräng um den lieblichen Reigen versammelt,
Innig erfreut, und zween nachahmende Tänzer im Kreise
Stimmten an den Gesang und dreheten sich in der Mitte.
Auch die Gewalt des Stromes Okeanos bildet' er, ringsum
Strömend am äußersten Rand des schönvollendeten Schildes.
Als er den Schild nun bereitet, den ungeheuren und starken,
Schuf er anjetzt ihm den Harnisch, den strahlenden, heller denn Feuer;
Schuf ihm sodann den gewaltigen Helm, der den Schläfen sich anschloß,[333]
Schön und prangend an Kunst, und zog aus Golde den Haarbusch;
Schuf ihm zuletzt auch Schienen, aus feinem Zinne gegossen.
Als nun jedes Gerät vollbracht der hinkende Künstler,
Nahm er und legt' es gehäuft vor Achilleus' göttliche Mutter.
Schnell wie ein Habicht herab vom schneebedeckten Olympos
Sprang sie und trug von Hephästos das schimmernde Waffengeschmeide.
Ausgewählte Ausgaben von
Ilias
|
Buchempfehlung
Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro