[359] Achilleus stürzt einer Schar Troer in den Skamandros mit dem Schwerte nach. Zwölf Lebende fesselt er zum Sühnopfer für Patroklos. Den getöteten Lykaon hineinwerfend, höhnt er, daß der Stromgott nicht rette. Auch den Asteropäos, eines Stromgottes Sohn, welchen Skamandros erregte, streckt er ans Ufer und höhnt der Stromgötter. Skamandros gebeut ihm, außer dem Strome zu verfolgen. Er verspricht's; doch in der Wut springt er wieder hinein. Der zürnende Strom verfolgt ihn ins Feld. Jener, von Göttern gestärkt, durchdringt die Flut. Als Skamandros noch wütender den Simois zu Hilfe ruft, sendet ihm Here den Hephästos entgegen, der das Feld trocknet, dann ihn selber entflammt. Des Jammernden gebeut Here zu schonen. Ares und Aphrodite von Athene besiegt, Phöbos dem Poseidon ausweichend, Artemis von Here geschlagen, Hermes die Leto scheuend. Rückkehr der Götter. Priamos öffnet den Flüchtigen das Tor. Den verfolgenden Achilleus hemmt Agenor; dann, in Agenors Gestalt fliehend, lockt Apollon ihn feldwärts, indes die Troer einflüchten.
Als sie nunmehr an die Furt des schönhinwallenden Xanthos
Kamen, des wirbelnden Stroms, den Zeus der Unsterbliche zeugte,
Dort auseinander sie trennend, verfolgt' er jen' ins Gefilde
Stadtwärts, wo die Achaier dahergescheucht sich ergossen,
Erst den vorigen Tag, vor der Wut des strahlenden Hektors.
Hier flohn jene nunmehr angstvoll; doch es hemmte sie Here,
Dickes Gewölk vorbreitend den Flüchtlingen. Aber die andern,
Hingedrängt an des Stroms tiefstrudelnde Silbergewässer,
Stürzten hinab mit lautem Getös; und es rauschten die Fluten,
Daß die Gestad' umher laut halleten; rings mit Geschrei nun
Schwammen sie hiehin und dorthin, umhergedreht in den Wirbeln.
Wie vor des Feuers Gewalt sich ein Schwarm Heuschrecken emporhebt,
Hinzufliehn in den Strom; denn es flammt unermüdetes Feuer,
Plötzlich entbrannt im Gefild, und sie fallen gescheucht in das Wasser:
So vor Achilleus ward dem tiefhinstrudelnden Xanthos
Voll sein rauschender Strom von der Rosse Gewirr und der Männer.
Aber der göttliche Held ließ dort die Lanz an dem Ufer,
Auf Tamarisken gelehnt, und stürzte sich stark wie ein Dämon
Nach, sein Schwert in der Hand, und entsetzliche Taten ersann er.
Rings nun schlug er umher, und schreckliches Röcheln erhob sich
Unter dem mordenden Schwert, und gerötet von Blut war das Wasser.
Wie vor dem ungeheuren Delphin die anderen Fische
Fliehend die Buchten erfüllen des wohlanlandbaren Hafens,
Bange gedrängt; denn gräßlich verschlinget er, wen er erhaschet:[360]
So die Troer voll Angst in des furchtbaren Stromes Gewässern
Flohen sie unter die Bord'. Als drauf vom Ermorden die Händ' ihm
Starreten, wählt' er annoch zwölf lebende Jüngling' im Strome,
Abzubüßen den Tod des Menötiaden Patroklos.
Diese zog er heraus, betäubt, wie die Jungen der Hindin,
Band dann zurück die Hände mit wohlgeschnittenen Riemen,
Welche sie selbst getragen um ihre geflochtenen Panzer,
Gab sie darauf den Genossen, hinab zu den Schiffen zu führen.
Wieder hinein dann stürzt' er, nach Mord und Gewürge sich sehnend.
Jetzt begegnet' ihm Priamos' Sohn, des Dardanionen,
Der aus dem Strom aufstrebte, Lykaon, den er vordem selbst
Weggeführt mit Gewalt von des Vaters fruchtbarem Obsthain,
Einst in der Nacht ausgehend. Es schnitt mit dem Erze der Jüngling
Wildernder Feigen Gesproß zum Sesselrande des Wagens.
Doch unverhofft ihm nahte zum Weh der edle Achilleus.
Damals sandt er in Lemnos' bevölkerte Stadt zum Verkauf ihn,
Führend im Schiff, und den Wert bezahlte der Sohn des Jason.
Dorther löste sein Gast Eetion, Herrscher in Imbros,
Ihn, sehr teuer erkauft, und sandt' ihn zur edlen Arisbe;
Heimlich schlich er von dannen und kam zum Palaste des Vaters.
Elf der Tage nunmehr erfreut' er das Herz mit den Seinen,
Wiedergekehrt aus Lemnos; doch jetzt am zwölften von neuem
Gab in Achilleus' Hand ihn ein Himmlischer, welcher bestimmt war,
Ihn zum Ais zu senden, wie sehr ungern er dahinging.
Als ihn jetzo erblickte der mutige Renner Achilleus,
Ihn, der entblößt von Helme, von Schild und Lanze daherkam
(Alles hatt er zur Erde gelegt; denn ermattet von Angstschweiß
Strebt' er empor aus dem Strom, und kraftlos wankten die Knie):
Unmutsvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir, ein großes Wunder erblick ich dort mit den Augen!
Ganz gewiß nun werden die edelmütigen Troer,
Die ich erschlug, von neuem aus nächtlichem Dunkel hervorgehn,
Sowie jener auch kommt, entflohn dem grausamen Tage,
Der in die heilige Lemnos verkauft ward; aber ihn hielt nicht
Wogend das graue Meer, das viele mit Zwang zurückhemmt.
Aber wohlan, nun soll er die Spitz auch unserer Lanze
Kosten, damit ich erkenn in meinem Geist und vernehme,[361]
Ob er so gut auch von dannen zurückkehrt oder ihn endlich
Hält die ernährende Erde, die selbst den Tapferen festhält.
Also dacht er und stand. Ihm nahete jener voll Schreckens,
Seine Knie zu rühren bereit; denn er wünschte so herzlich,
Noch zu entfliehn dem grausamen Tod und dem schwarzen Verhängnis.
Siehe, den ragenden Speer erhob der edle Achilleus,
Ihn zu durchbohren bereit; doch er eilt' und umfaßt ihm die Knie
Hergebückt, und der Speer, der ihm hinsaust' über die Schultern,
Stand in der Erd und lechzt', im Menschenblute zu schwelgen.
Aber mit einer Hand umschlang er ihm flehend die Knie
Und mit der anderen hielt er die spitzige Lanz unverrückt ihm;
Laut nun fleht' er empor und sprach die geflügelten Worte:
Flehend umfaß ich dein Knie, erbarme dich meiner, Achilleus!
Deinem Schutz ja ward ich vertraut, drum scheue mich, Edler!
Denn bei dir zuerst genoß ich die Frucht der Demeter,
Jenes Tags, da dein Arm mich ergriff in dem fruchtbaren Obsthain
Und du fern mich verkauftest, getrennt von Vater und Freunden,
Nach der heiligen Lemnos und hundert Stiere gewannest.
Jetzo löst ich mich dreimal so hoch! Der zwölfte der Morgen
Leuchtet mir erst, seitdem ich in Ilios' Mauern zurückkam,
Viel gequält; und wieder hat dir in die Hand mich gesendet
Böses Geschick! Wohl muß ich dem Vater Zeus ja verhaßt sein,
Der dir wieder mich gab, und für wenige Tage gebar mich
Meine liebende Mutter Laothoe, Tochter des Greises
Altes, welcher im Volk der streitbaren Leleger herrschet,
Pedasos' luftige Burg an Satniois' Ufer bewohnend.
Dessen Tochter war Priamos' Weib, nebst vielen der andern;
Und zween Söhne gebar sie; doch du willst beid uns erwürgen!
Jenen im Vordergefecht fußwandelnder Kämpfer bezwangst du,
Ihn, den Held Polydoros, mit spitziger Lanze getroffen;
Und mein harrt das Verderben allhier nun! Nimmer ja hoff ich,
Deiner Hand zu entfliehn, nachdem mich genähert ein Dämon!
Eines verkünd ich dir noch, und du bewahr es im Herzen:
Töte mich nicht; denn ich bin kein leiblicher Bruder des Hektor,
Welcher den Freund dir erschlug, so sanftgesinnt und so tapfer!
So dort flehte zu jenem des Priamos edler Erzeugter
Jammernd empor, da erscholl die unbarmherzige Stimme:[362]
Törichter, nicht von Lösung erzähl und schwatze mir länger!
Denn bevor Patroklos den Tag des Geschickes erreichte,
War ich annoch im Herzen geneigt, zu schonen der Troer;
Viel auch führt ich gefangen hinweg und verkaufte sie lebend.
Doch nun fliehe den Tod nicht einer auch, welchen ein Dämon
Hier vor Ilios' Mauern in meine Hand mir gesendet,
Aller Troer gesamt und am wenigsten Priamos' Söhne!
Stirb denn, Lieber, auch du! Warum wehklagst du vergebens?
Starb doch auch Patroklos, der weit an Kraft dir voranging!
Siehst du nicht, wie ich selber so schön und groß an Gestalt bin?
Denn dem edelsten Vater gebar mich die göttliche Mutter!
Doch wird mir nicht minder der Tod und das harte Verhängnis
Nahn, entweder am Morgen, am Mittag oder am Abend,
Wann ein Mann auch mir in der Schlacht das Leben entreißet,
Ob er die Lanze mir schnellt, ob auch ein Geschoß von der Senne.
Also der Held; doch jenem erzitterten Herz und Knie.
Fahren ließ er den Speer und saß, ausbreitend die Hände
Beide. Doch Peleus' Sohn, das geschliffene Schwert sich entreißend,
Stieß es hinein am Gelenke des Halses ihm; tief in die Gurgel
Drang zweischneidig das Schwert, und vorwärts nun auf der Erde
Lag er gestreckt; schwarz strömte das Blut und netzte den Boden.
Ihn dann schwang der Peleid, am Fuße gefaßt, in den Strom hin!
Und mit jauchzendem Ruf die geflügelten Worte begann er:
Dort nun streck im Gewimmel der Fische dich, die von der Wunde
Sorglos dir ablecken das Blut! Nie bettet die Mutter
Dich auf Leichengewand und wehklagt, sondern Skamandros
Trägt dich strudelnd hinab in des Meers weitoffenen Abgrund.
Hüpfend sodann naht unter der Flut schwarzschauernder Fläche
Mancher Fisch, um zu schmausen am weißen Fette Lykaons.
Treff euch Weh, bis wir kommen zu Ilios' heiliger Feste,
Ihr in stürzender Flucht, ich aber mit Mord euch verfolgend!
Nicht ja einmal der Strom mit mächtigem Silbergestrudel
Rettet euch, welchem ihr oft so viel darbringet der Stiere
Und starkhufige Ross', in die Flut lebendig versenket;
Aber auch so vertilgt euch das Jammergeschick, bis ihr alle
Für Patroklos' Mord mir gebüßt und das Weh der Achaier,
Die an den hurtigen Schiffen ihr tötetet, als ich entfernt war![363]
Jener sprach's; doch der Strom ereiferte wilderen Herzens
Und er erwog im Geist, wie er hemmen möcht in der Arbeit
Peleus' göttlichen Sohn und die Plag abwenden den Troern.
Aber Achilleus indes mit weithinschattender Lanze
Sprang auf Asteropäos, ihn auszutilgen verlangend,
Pelegons Sohn; den zeugte des Axios strömender Herrscher,
Axios und Periböa, des Akessamenos Tochter,
Schön, an Geburt die erste, geliebt vom wirbelnden Stromgott.
Gegen ihn drang der Peleid; er dort, aus dem Strome begegnend,
Stand, zween Speer' in den Händen, und Mut ihm haucht' in die Seele
Xanthos, dieweil er mit Zorn die ermordeten Jünglinge schaute,
Die der Peleid in den Fluten ermordete sonder Erbarmen.
Als sie nunmehr sich genaht, die Eilenden, gegeneinander,
Rief zuerst anredend der mutige Renner Achilleus:
Wer und woher der Männer, der mir zu nahn sich erkühnet?
Meiner Kraft begegnen nur Söhn' unglücklicher Eltern!
Ihm antwortete drauf des Pelegons edler Erzeugter:
Peleus' mutiger Sohn, was fragst du nach meinem Geschlechte?
Fern aus dem scholligen Lande Päonia führ ich die Scharen
Speerumragter Päonen zur Schlacht; und der elfte der Morgen
Leuchtet mir nun, seitdem ich in Ilios' Mauern hineinging.
Doch mein Geschlecht entstammt von des Axios strömendem Herrscher,
Axios, der mit lieblichster Flut die Erde befruchtet;
Dieser zeugte den Pelegon einst und der lanzenberühmte
Pelegon mich, wie man sagt. Doch kämpfe nun, edler Achilleus!
Also droht' er daher. Da erhob der edle Achilleus
Pelions ragende Esch, allein zwo Lanzen zugleich warf
Asteropäos der Held, der rechts mit jeglicher Hand war.
Eine traf des Schildes Gewölb ihm; aber hindurch nicht
Brach sie den Schild; denn es hemmte das Gold, die Gabe des Gottes.
Aber die andere streift' ihm den rechten Arm an der Beugung,
Daß ihm dunkelstes Blut vorrieselte. Über ihm selbst dann
Stand sie gebohrt in die Erde, voll Gier, im Fleische zu schwelgen.
Jetzo schwang auch Achilleus die gradanstürmende Esche
Hin auf Asteropäos, ihn auszutilgen verlangend.
Doch ihn selbst verfehlt' er und traf das erhabene Ufer,
Daß bis zur Hälft in das Ufer die eschene Lanze hineindrang.[364]
Peleus' Sohn, das geschliffene Schwert von der Hüfte sich reißend,
Stürmte hinan mit Begier; der strebte den Speer des Achilleus,
Aber umsonst, dem Bord zu entziehn mit nervichter Rechter.
Dreimal erschüttert' er jenen und mühte sich auszuziehen;
Dreimal versagt' ihm die Kraft; doch das viertemal dacht er im Herzen,
Biegend ihn abzubrechen, den eschenen Speer des Achilleus.
Aber es nahte der Held mit dem Schwert und raubt' ihm das Leben;
Denn er hieb in den Bauch am Nabel ihm; und es entstürzten
Alle Gedärme zur Erd; und dem Röchelnden starrten die Augen
Trüb in Nacht. Doch Achilleus, daher auf den Busen sich werfend,
Nahm ihm das Waffengeschmeid und rief frohlockend die Worte:
Lieg also! Schwer magst du des hocherhabenen Kronions
Söhne mit Streit angehen, obgleich von dem Strome du abstammst!
Denn du rühmst dich entstammt von des Stroms breitwallendem Herrscher,
Doch ich preise mich selbst vom gewaltigen Zeus zu entstammen.
Mich ja erzeugte der Herrscher des myrmidonischen Volkes,
Peleus, Äakos' Sohn, und den Äakos zeugte Kronion.
Drum wie mächtig Zeus vor den meerabrauschenden Strömen,
So ist mächtig auch Zeus' Geschlecht vor den Söhnen des Stromes.
Auch ein gewaltiger Strom rauscht neben dir, möcht er dir etwa
Helfen; doch keiner vermag mit Zeus Kronion zu kämpfen.
Gleich ihm wähnt sich auch nicht der mächtige Gott Acheloos,
Noch des Okeanos Kraft, des tiefhinströmenden Herrschers,
Welchem doch alle Ström' und alle Fluten des Meeres,
Alle Quellen der Erd und sprudelnde Brunnen entfließen;
Dennoch scheut auch jener den Wetterstrahl des Kronion
Und den entsetzlichen Donner, der hoch vom Himmel herabkracht.
Sprach's, und hervor aus dem Bord entzog er die eherne Lanze.
Ihn dann ließ er daselbst, nachdem er den Geist ihm genommen,
Hingestreckt auf dem Sande, bespült vom dunklen Gewässer.
Ringsher schlängelten Aal' und wimmelnde Fisch' um den Leichnam,
Gierig das weiße Fett, das die Nieren umwuchs, ihm benagend.
Selbst dann eilt' er dahin zur reisigen Schar der Päonen,
Welche noch voll Angst am wirbelnden Strom umherflohn,
Als sie den Tapfersten sahn in schreckenvoller Entscheidung
Unter Achilleus' Hand und gewaltigem Schwerte gebändigt.[365]
Dort den Thersilochos nun und Astypylos schlug er, und Mydon,
Thrasios dann, auch Mnesos und Änios, auch Ophelestes.
Und noch mehr der Päonen erschlug der schnelle Achilleus,
Wenn nicht zürnend geredet des Stroms tiefstrudelnder Herrscher,
Der in Menschengestalt aufruft' aus tiefem Gestrudel:
Peleus' Sohn, du wütest, an Kraft und entsetzlichen Taten
Mehr als Mensch; denn immer begleiten dich waltende Götter.
Wenn dir Zeus die Troer verlieh, daß du alle verderbtest,
Außer mir selbst sie verfolgend erfülle mit Graun die Gefilde.
Voll sind mir von Toten bereits die schönen Gewässer;
Kaum auch kann ich annoch ins heilige Meer mich ergießen,
Eingeengt von Toten, so übest du Mord und Vertilgung!
Aber wohlan, laß ab; ich staune dir, Völkergebieter!
Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:
Solches gescheh, o Skamandros, du Göttlicher, wie du gebietest.
Doch nicht raste mein Arm, die frevelen Troer zu morden,
Bis ich zur Stadt sie gescheucht und Hektors Stärke geprüfet,
Ob er im Kampfe vielleicht mich bändiget oder ich selbst ihn.
Also der Held, und stürzt' in die Troer sich, stark wie ein Dämon.
Jetzo begann zu Apollon des Stroms tiefstrudelnder Herrscher:
Wehe, du achtest ja nicht, Zeus' Sohn mit silbernem Bogen,
Was Kronion beschloß, der dir voll Ernstes geboten,
Trojas Söhne mit Macht zu verteidigen, bis sich des Abends
Dämmernde Späte genaht, die scholligen Äcker beschattend.
Jener sprach's; und Achilleus der Herrliche sprang in den Strudel
Hoch vom hangenden Bord. Da wütete schwellend der Strom her.
All erregt' er die Fluten getrübt und drängte die Toten,
Häufige, die ringsher ihn erfüllt, die getötet Achilleus;
Diese warf er hinaus mit lautem Gebrüll wie ein Pflugstier
An das Gestad, und die Lebenden rings in den schönen Gewässern
Rettet' er, eingehüllt in hochaufstrudelnde Wogen.
Schrecklich umstand den Peleiden die trübe, geschwollene Brandung,
Schlug an den Schild dann schmetternd herab, und nicht auf den Füßen
Konnt er fest noch bestehn. Da faßt' er die Ulm in den Händen,
Frisch von Wuchs, hochragend, doch jene, gestürzt aus den Wurzeln,
Riß das Gestad auseinander und sank, die schönen Gewässer
Hemmend mit dichtem Gezweig, und überbrückte die Fluten,[366]
Ganz hineingestürzt; und der Held, aus der Tiefe sich schwingend,
Eilte dahin, durch die Ebne mit hurtigen Füßen zu fliegen,
Angstvoll. Noch nicht ruhte der Schreckliche, sondern er stürzt' ihm
Nach mit dunkelnder Flut, daß er hemmen möcht in der Arbeit
Peleus' göttlichen Sohn und die Plag abwenden den Troern.
Aber Achilleus entsprang, so weit die Lanze dahinfliegt,
Ungestüm wie der Adler, der schwarzgeflügelte Jäger,
Welcher der mächtigste ist und geschwindeste aller Gevögel;
Diesem gleich hinstürmt' er. Das Erzgeschmeid um den Busen
Rasselte grausen Getöns, und seitwärts jenem entschlüpfend
Floh er; allein nachrauschte der Strom mit lautem Getös ihm.
Wie wenn ein wässernder Mann von des Bergquells dunklem Gesprudel
Über Saat und Gärten den Lauf der Gewässer daherführt
Und, in der Hand die Schaufel, den Schutt wegräumt aus der Rinne
(Jetzo strömt es hervor und die Kieselchen alle des Baches
Werden gewälzt; denn geschwinde mit rauschenden Wellen entstürzt es
Vom abschüssigen Hang und eilet zuvor auch dem Führer):
Also erreichte der Strom mit wogender Flut den Achilleus
Stets, wie rasch er auch war; denn stark vor Menschen sind Götter.
Aber sooft ansetzte der mutige Renner Achilleus,
Fest ihm entgegenzustehn, daß er schauete, ob ihn die Götter
Alle zur Flucht hinscheuchten, die weit den Himmel bewohnen,
Naht' ihm sofort das Gewoge des himmelentsprossenen Stromes,
Hoch die Schultern umspülend. Dann sprang er empor mit den Füßen,
Unmutsvoll in der Seel; und der Strom bezwang ihm die Knie,
Schräg anrollend mit Macht und den Staub den Füßen entreißend.
Laut wehklagt' Achilleus, den Blick gen Himmel gewendet:
Vater Zeus, daß auch keiner der Himmlischen nun sich erbarmet,
Mich aus dem Strom zu retten! Wie gern dann duldet' ich alles!
Keiner indes ist mir der Uranionen so schuldig
Als die liebende Mutter, die mich durch Lüge getäuschet;
Denn sie sprach, an der Mauer der erzumpanzerten Troer
Sei mir zu sterben bestimmt durch Apollons schnelle Geschosse.
Hätte mich Hektor getötet, der hier der Tapferste aufwuchs!
Dann wär ein Starker erlegt und es raubt' ein Starker die Rüstung!
Doch nun ward zu sterben den schmählichen Tod mir geordnet,
Eingehemmt von dem mächtigen Strom, wie ein jüngerer Sauhirt,[367]
Welcher im Regenbache versinkt, durchwatend im Winter!
Als er es sprach, da traten Poseidon schnell und Athene
Ihm zur Seite genaht, an Gestalt gleich sterblichen Männern,
Fügten ihm Hand in Hand und redeten tröstende Worte.
Also begann vor ihnen der Erderschüttrer Poseidon:
Nicht so bang, o Peleid, erzittere, noch so verzagend,
Denn wir sind dir beid als helfende Götter genahet
Mit Einwilligung Zeus', ich selbst und Pallas Athene!
So nicht ward zu sterben im Strom dir geordnet vom Schicksal,
Sondern bald kehrt jener zur Ruh, und du selber erkennst es.
Doch ermahnen wir dich aufs fleißigste, wenn du gehorchest:
Laß nicht ruhn die Hände vom allverheerenden Kriege,
Eh in Ilios' türmende Stadt du die Scharen der Troer
Eingehemmt, wer entrann. Doch wann Hektors Geist du geraubt hast,
Dann zu den Schiffen gekehrt; wir geben dir Ruhm zu gewinnen.
Also redeten beid und eilten hinweg zu den Göttern.
Jener nun drang, vom Gebot der Unsterblichen mächtig ermuntert,
In das Gefild, und es wogte von weitergossenen Wassern.
Viel schönprangende Waffen der kampferschlagenen Männer
Schwammen mit Leichen umher. Doch sprang er empor mit den Knien
Gegen die Flut gradaus, der Stürmende, welchen umsonst nun
Hemmte der breite Strom, denn mit Kraft erfüllt' ihn Athene.
Noch nicht ließ Skamandros vom Zorn ab, nein, noch ergrimmter
Eifert' er Peleus' Sohn und erhob hochwogige Brandung,
Mächtig empor sich bäumend, und laut zum Simois rief er:
Bruder, wohlan! Die Gewalt des Mannes da müssen wir beid itzt
Bändigen, oder sofort des herrschenden Priamos Feste
Wirft er in Staub; denn die Troer bestehen ihn nicht im Getümmel!
Auf denn, und hilf in Eil und erfülle den Strom mit Gewässern
Rings aus den Quellen der Berg' und ermuntere jeglichen Gießbach!
Hoch nun erhebe die Flut und rolle mit donnernder Woge
Blöck' und Steine daher, daß den schrecklichen Mann wir bezähmen,
Welcher die Schlacht durchherrscht und gleich den Unsterblichen schaltet!
Nicht soll, mein ich, die Kraft ihn verteidigen oder die Bildung,
Noch die prangenden Waffen; die sollen mir tief in dem Sumpfe
Liegen, von häufigem Schlamme bedeckt, und ihn selber umwälz ich[368]
Rings mit Sand, in den Schwall von Muscheln und Kies ihn verschüttend,
Hoch, daß selbst sein Gebein nicht aufzusammeln vermögen
Argos' Söhn' im unendlichen Wust, den ich über ihn ausgoß!
Dort soll das Denkmal sein des Gestorbenen, und er bedarf nicht,
Daß ihm ein Rasengrab die bestattenden Danaer häufen!
Sprach's und drang auf Achilleus' in trüb aufstürmender Brandung,
Laut mit Schaum anrauschend und Blut und gewirbelten Leichen.
Purpurbraunes Gewoge des himmelentsprossenen Stromes
Wallete hochgetürmt und schlug auf den Peleionen.
Here nunmehr schrie auf, voll großer Angst um Achilleus,
Daß ihn mit Macht wegraffte des Stroms tiefstrudelnder Herrscher.
Schnell zu Hephästos gewandt, dem lieben Sohne, begann sie:
Hebe dich, Sohn Hephästos, du Hinkender! Deiner Gewalt ist,
Achten wir, gleich im Kampfe der mächtig strudelnde Xanthos;
Auf denn und hilf in Eile, mit lodernden Flammen erscheinend!
Aber ich selbst will gehen, den West und den schauernden Südwind
Schnell von dem Meergestade zum heftigen Sturm zu erregen,
Welcher das Heer der Troer mit Mann und Waffen verbrenne,
Schreckliche Glut forttragend. Doch du am Gestade des Xanthos
Zünde die Bäum', auch ihn selber durchlodere; aber durchaus nicht
Werde durch freundliche Worte zurückgewandt noch Bedrohung!
Eher nicht laß deine Gewalt ruhn, als wann ich selber
Rufe das laute Gebot; dann zähme die Glut der Vertilgung!
Jene sprach's; doch Hephästos ergoß den entsetzlichen Glutstrahl.
Erst durchflog das Gefilde die Glut und verbrannte die Toten,
Häufige, die ringsher es erfüllt, die getötet Achilleus.
Ganz ward trocken das Feld und gehemmt das blinkende Wasser.
Wie wenn in herbstlicher Schwüle der Nord den gewässerten Garten
Alsobald austrocknet und fröhlich es schaut der Besteller,
So ward trocken das ganze Gefild und die Leichname ringsum
Brannten. Da stürmte der Gott in den Strom helleuchtende Flamme.
Brennend standen die Ulmen, die Weidichte und Tamarisken,
Brennend der Lotos umher, Riedgras und duftender Galgant,
Welche die schönen Gewässer des Stroms weitwuchernd umsproßten.
Angstvoll schnappten die Aal' und die Fisch' umher in den Strudeln,
Welche die schönen Gewässer durchtaumelten hiehin und dorthin,
Matt von den Flammenhauch des erfindungsreichen Hephästos.[369]
Brennend auch wogte der Strom und redete, also beginnend:
Keiner, Hephästos, hält dir Obstand unter den Göttern,
Auch nicht ich verlange mit dir, Glutsprüher, zu kämpfen!
Ruhe vom Streit! Die Troer, sofort auch mag sie Achilleus
Treiben aus Ilios' Stadt! Was acht ich des Streits und der Hilfe?
Sprach's und brannt in der Glut, und es sprudelten seine Gewässer.
So wie braust ein Kessel, gedrängt vom gewaltigen Feuer,
Wann er das Fett ausschmelzet des wohlgenähreten Mastschweins,
Ringsumher auf brodelnd, umflammt von trockenen Scheitern:
So durchglühte das Feuer den Strom und es brauste das Wasser.
Nicht mehr floß er im Lauf; er stockt', in der Lohe geängstet,
Durch Hephästos' Gewalt, des Erfindenden. Aber zur Here
Wandt er sich laut wehklagend und sprach die geflügelten Worte:
Here, warum doch quälet dein Sohn so heftig vor andern
Meinen Strom? Ich habe mich dir ja minder verschuldet
Als die anderen alle, so viel beistehen den Troern.
Doch nun will ich ja gern mich beruhigen, wenn du gebietest;
Nur sei ruhig auch jener! Zugleich auch dieses beschwör ich:
Niemals einem der Troer den grausamen Tag zu entfernen,
Nicht wenn Troja sogar in verheerender Flamme des Feuers
Loderte, rings entflammt von den kriegrischen Söhnen Achaias!
Als sie solches vernommen, die lilienarmige Here,
Schnell zu Hephästos gewandt, dem lieben Sohne, begann sie:
Halt, mein Sohn Hephästos, Gepriesener! Nicht ja geziemt dir's,
So den unsterblichen Gott der Sterblichen wegen zu martern!
Jene sprach's; da löschte der Gott sein entsetzliches Feuer.
Schnell nun rollten zurück in den Strom die schönen Gewässer.
Aber da Xanthos' Mut so gedämpft war, beide von nun an
Ruheten sie; denn Here bezähmte sie, heftig erzürnt zwar.
Doch die anderen Götter durchwütete Zank schwerlastend,
Ungestüm; denn getrennt tobt' allen das Herz in dem Busen.
Laut nun erscholl der Begegnenden Sturm, weit krachte der Erdkreis,
Und hochrollende Donner drommeteten. Ferne vernahm es
Zeus auf Olympos' Höhn, wo er saß, und es lachte das Herz ihm
Wonnevoll, da er sahe die Götter zum Kampf sich begegnen.
Jetzt nicht länger annoch verweilten sie. Siehe, voran drang
Ares, der Schilddurchbrecher, und stürmt' auf Pallas Athene,[370]
Haltend den ehernen Speer, und er rief die schmähenden Worte:
Warum treibst du die Götter zum Kampf, schamloseste Fliege,
Stürmischer Dreistigkeit voll. Du tobst unbändigen Mutes!
Weißt du noch, wie du Tydeus' Sohn Diomedes gereizet,
Mir zu nahn, und du selber den strahlenden Speer mit den Händen
Grade daher gedrängt, den blühenden Leib mir verwundend?
Jetzo sollst du mir alles berichtigen, was du verschuldet!
Also der Gott, und stieß auf die quastumbordete Ägis,
Schrecklich und hehr, die auch Zeus niemals mit dem Donner bezähmte;
Hierauf stieß mit gewaltigem Speer der blutige Ares.
Doch sie wich und erhob mit nervichter Rechter den Feldstein,
Der dort lag im Gefilde, den dunkelen, rauhen und großen,
Aufgestellt zur Grenze der Flur von Männern der Vorzeit;
Hiermit traf sie des Wüterichs Hals und löst' ihm die Glieder.
Sieben Hufen bedeckt' er im Fall und bestäubte das Haupthaar,
Und ihn umklirrte das Erz. Da lächelte Pallas Athene,
Und mit jauchzendem Ruf die geflügelten Worte begann sie:
Törichter, nie wohl hast du bedacht, wie weit ich an Kraft dir
Vorzugehn mich rühme, da mir voll Trotz du begegnest.
Also magst du der Mutter Verwünschungen ganz nun büßen,
Welche von Zorn und Haß dir entbrannt ist, weil du verließest
Argos' Söhn' und verteidigst die übermütigen Troer.
Also redete jen' und wandte die strahlenden Augen.
Ihn dann führt' an der Hand die Tochter Zeus' Aphrodite,
Ares, der schnell aufstöhnt', und kaum ihm kehrte der Atem.
Aber da jen' erblickte die lilienarmige Here,
Schnell zur Athene gewandt die geflügelten Worte begann sie:
Weh mir, des ägiserschütternden Zeus unbezwungene Tochter!
Schau, wie dreist die Fliege den mordenden Ares hinwegführt
Aus dem entscheidenden Kampf durch den Aufruhr! Hurtig verfolge!
Jene sprach's, und Athene verfolgte sie freudigen Herzens.
Stürmend drang sie hinan und schlug mit mächtiger Hand ihr
Gegen die Brust, und sofort erschlafften ihr Herz und Knie.
Also lagen sie beid auf der nahrungsprossenden Erde.
Jene mit jauchzendem Rufe begann die geflügelten Worte:
Also müssen sie alle, so viel beistehen den Troern,
Künftig sein, wann sie Argos' gepanzerte Söhne bekämpfen,[371]
Ebenso kühn und dauernden Muts, wie nun Aphrodite
Herkam, Ares zu helfen, und meiner Stärke sich darbot!
O dann hätten wir längst schon ausgeruht von dem Kriege,
Weil wir Troja verheert, die Stadt voll prangender Häuser!
Sprach's, da lächelte sanft die lilienarmige Here.
Doch zu Apollon begann der Erderschüttrer Poseidon:
Phöbos, warum so entfernt uns stehen wir? Nicht ja geziemt es,
Da schon andre begannen! O Schande doch, wollten wir kampflos
Beid hingehn zum Olympos, zum ehernen Hause Kronions!
Hebe denn an, du bist ja der Jüngere; aber mir selbst nicht
Ziemet es, weil an Geburt ich vorangeh und an Erfahrung.
Tor, wie erinnerungslos dir das Herz ist! Selber ja des nicht
Denkst du, wieviel wir bereits um Ilios Böses erduldet,
Wir von den Göttern allein, als, hergesandt von Kronion,
Wir ein ganzes Jahr dem stolzen Laomedon dienten
Für bedungenen Lohn und jener Befehl' uns erteilte.
Ich nun selbst erbaute der Troer Stadt und die Mauer,
Breit und schön, der Feste zur undurchdringlichen Schutzwehr;
Doch du weidetest, Phöbos, das schwerhinwandelnde Hornvieh
Durch die waldigen Krümmen des vielgewundenen Ida.
Aber nachdem des Lohnes Ziel die erfreuenden Horen
Endlich gebracht, da entzog mit Gewalt der grausame König
Uns den sämtlichen Lohn und entließ uns mit schrecklicher Drohung.
Denn dir drohete jener die Füß' und die Hände zu fesseln
Und zum Verkauf dich zu senden in fernentlegene Inseln;
Ja er verhieß, uns beiden mit Erz die Ohren zu rauben.
Also kehreten wir mit erbitterter Seele von jenem,
Zornvoll wegen des Lohns, um den der Versprecher getäuschet.
Dessen Volke nunmehr willfahrest du, nicht mit uns andern
Trachtend, wie ganz hinstürzen die frevelen Troer von Grund aus,
Schrecklich vertilgt, mit Kindern zugleich und züchtigen Weibern!
Ihm antwortete drauf der treffende Phöbos Apollon:
Herrscher des Meers, dir selbst nicht wohlbehaltenen Geistes
Schien ich, wofern mit dir der Sterblichen wegen ich kämpfte,
Elender, die, hinfällig, wie grünes Laub in den Wäldern
Jetzo in Kraft aufstreben, die Frucht der Erde genießend,
Jetzo wieder entseelt dahinfliehn. Auf denn, in Eile[372]
Ruhen wir beide vom Kampf, und jen' entscheiden ihn selber!
Also sprach Apollon und wandte sich, scheuend in Ehrfurcht,
Wider des Vaters Bruder den Arm der Gewalt zu erheben.
Doch ihn strafte die Schwester, die Herrscherin streifenden Wildes,
Artemis, fröhlich der Jagd, und rief die höhnenden Worte:
Fliehest du schon, Ferntreffer? Und hast den Sieg dem Poseidon
Ganz nun eingeräumt und umsonst den Ruhm ihm gegeben?
Tor, was trägst du den Bogen, den nichtigen Tand, an der Schulter?
Daß ich nimmer hinfort dich hör im Palaste des Vaters
Prahlend drohn, wie vordem im Kreis der unsterblichen Götter,
Kühn entgegen zu kämpfen dem Meerbeherrscher Poseidon!
Jene sprach's; doch nichts antwortete Phöbos Apollon.
Aber es zürnete Zeus' ehrwürdige Lagergenossin:
Wie doch wagst du anitzt, schamloseste Hündin, mir selber
Obzustehn? Schwer magst du mit mir dich messen an Stärke,
Trotz dem Geschoß, das du trägst. Denn sterblichen Frauen zur Löwin
Setzte dich Zeus und gab, daß du mordest, die dir gelüstet.
Wahrlich besser dir wär es, die Bergscheusale zu fällen
Oder flüchtige Hirsch', als Höherer Macht zu bekämpfen.
Aber gefällt auch des Kampfes Versuch dir, auf, so erkenne,
Wieviel stärker ich sei, da du mir voll Trotzes dich darstellst!
Sprach's und ergriff mit der Linken ihr beide Händ' an dem Knöchel,
Nahm mit der Rechten sodann von der Schulter ihr Bogen und Köcher,
Schlug damit dann lächelnd das Angesicht um die Ohren
Ihr, die zurück sich gewandt, und die Pfeil' entsanken dem Köcher.
Weinend floh die Göttin nunmehr wie die schüchterne Taube,
Welche, vom Habicht verfolgt, in den höhligen Felsen hineinfliegt,
Tief in die Kluft; noch nicht war erhascht zu werden ihr Schicksal;
Also floh sie weinend hinweg und ließ ihr Geschoß dort.
Aber zu Leto sprach der bestellende Argoswürger:
Leto, mit dir zu streiten sei ferne mir; denn zu gefahrvoll
Ist der Kampf mit den Weibern des schwarzumwölkten Kronion.
Darum getrost nur immer im Kreis der unsterblichen Götter
Rühme dich, daß du mir obgesiegt durch gewaltige Kräfte!
Sprach's; da sammelte Leto das krumme Geschoß und die Pfeile,
Andere anderswoher, wie im wirbelnden Staub sie gefallen.
Als sie nunmehr sie genommen, enteilte sie hin zu der Tochter.[373]
Jene kam zum Olympos, zum ehernen Hause Kronions;
Weinend setzte sich dort auf des Vaters Knie die Jungfrau,
Und es erbebt' ihr feines Gewand, von Ambrosia duftend.
Herzlich umarmte sie Zeus und begann mit freundlichem Lächeln:
Wer mißhandelte dich, mein Töchterchen, unter den Göttern
Sonder Scheu, als hättest du öffentlich Frevel verübet?
Ihm antwortete drauf die Jägerin, lieblich im Kranze:
Vater, dein Weib hat mir Leides getan, die erhabene Here,
Welche die himmlischen Götter zu Zank und Hader empöret.
Also redeten jen' im Wechselgespräch miteinander.
Aber Apollon ging in Ilios' heilige Feste;
Denn ihm sorgte das Herz um die wohlgegründete Mauer,
Daß nicht trotz dem Verhängnis die Danaer heut sie verheerten.
Doch zum Olympos eilten die anderen ewigen Götter,
Die voll zürnenden Grams und jen' hochprangenden Ruhmes;
Saßen sodann um den Vater, den Donnerer. Aber Achilleus
Mordete Trojas Söhne zugleich und stampfende Rosse.
Wie wenn wallender Rauch zum weiten Himmel emporsteigt
Aus der brennenden Stadt, erregt vom Zorne der Götter
(Allen schafft er Arbeit, und vielen auch Jammer erzeugt er):
Also schuf den Troern Achilleus Arbeit und Jammer.
Dort stand Priamos jetzo, der Greis, auf dem heiligen Turme,
Schauend auf Peleus' Sohn, den Gewaltigen, und wie vor jenem
Fliehender Troer Gewalt hertummelte, nirgend auch Abwehr
Noch erschien. Wehklagend vom Turm nun stieg er zur Erde
Und gebot an der Mauer den rühmlichen Hütern des Tores:
Öffnet die Flügel des Tors und haltet sie, bis sich die Völker
All in die Stadt eindrängen, die fliehenden; denn der Peleide
Tobt dort nahe dem Schwarm! Nun, sorg ich, droht uns ein Unheil!
Aber sobald in die Mauer sie eingehemmt sich erholen,
Schließt dann wieder das Tor mit dicht einfugenden Flügeln;
Denn ich besorg, uns stürmt der verderbliche Mann in die Mauer!
Jener sprach's; und sie öffneten schnell wegdrängend die Riegel,
Und die gebreiteten Flügel erretteten. Aber Apollon
Eilte hinaus, um begegnend die Not der Troer zu wenden.
Jene, gerad auf die Stadt und die hochgetürmete Mauer,
Ausgedörrt vom Durste, mit Staube bedeckt, aus dem Blachfeld[374]
Flohn sie; doch rasch mit der Lanze verfolget' er. Wild ihm von Wahnsinn
Tobte beständig das Herz, und er wütete, Ruhm zu gewinnen.
Jetzt hätt Argos' Volk die türmende Troja erobert,
Wenn nicht Phöbos Apollon den Held Agenor erweckte,
Ihn, des Antenors Sohn, den untadligen tapferen Streiter.
Kühneren Mut ihm haucht' er ins Herz, und selber zur Seit ihm
Stand er, um abzuwehren die schrecklichen Hände des Todes,
Dicht an die Buche gedrängt, ringsher in Nebel sich hüllend.
Jener, sobald er gesehn den Städteverwüster Achilleus,
Stand, und vieles bewegt' unruhig sein Geist, wie er harrte.
Tief aufseufzt' er und sprach zu seiner erhabenen Seele:
Wehe mir doch, wofern ich hinweg vor dem starken Achilleus
Fliehe des Wegs, wo die andern in scheuem Gewirr sich ergossen!
Dennoch wird er mich fahn und gleich dem Feigsten erwürgen.
Aber laß ich jene gescheucht die Gefilde durchtummeln
Vor dem Peleiden Achilleus und fliehe, gewandt von der Mauer,
Nach dem idäischen Felde mit Schnelligkeit, bis ich erreichet
Idas gewundene Tal' und im dichten Gesträuch mich verborgen:
Dann am Abende könnt ich, nachdem ich im Strome gebadet,
Abgekühlt vom Schweiße, gen Ilios heimlich zurückgehn.
Aber warum bewegte das Herz mir solche Gedanken?
Wenn er nur nicht von der Stadt mich feldwärts Fliehenden wahrnimmt
Und nachstürmenden Laufs einholt mit hurtigen Füßen!
Nimmer annoch entrönn ich dem Tod und dem grausen Verhängnis;
Denn zu sehr an Gewalt vor allen Geborenen ragt er!
Aber wofern vor Ilios' Stadt ihm entgegen ich wandle,
Ist ja auch jenem der Leib dem spitzigen Erze verwundbar;
Auch ein Geist beseelet ihn nur, und sterblich wie andre
Nennen sie ihn; doch Zeus der Donnerer schenket ihm Ehre!
Sprach's, und gefaßt den Achilleus erwartet' er, und in dem Busen
Strebt' ihm das mutige Herz zu kämpfen den Kampf der Entscheidung.
Wie wenn kühn ein Pardel aus tiefverwachsenem Dickicht
Anrennt gegen den jagenden Mann und weder im Herzen
Zagt, noch erschrocken entflieht, nachdem das Gebell ihn umtönte
(Denn ob jener ihn stechend verwundete oder auch werfend,
Dennoch, selbst von der Lanze durchbohrt schon, rastet er niemals
Stürmend, bevor er jenen erreicht hat oder dahinsinkt):[375]
Also Antenors Sohn, der tapfere Streiter Agenor.
Nicht begehrt' er zu fliehn, bevor er versucht den Achilleus,
Sondern sich selbst vorstreckend den Schild von geründeter Wölbung,
Zuckt' er die Lanz auf jenen daher und rief mit Getön aus:
Wohl schon hast du im Herzen gehofft, ruhmvoller Achilleus,
Diesen Tag zu verheeren die Stadt der mutigen Troer!
Törichter! Traun, noch viel soll des Elends werden um jene,
Weil wir annoch so viel und so tapfere Männer darin sind,
Die für Eltern zugleich und blühende Weiber und Kinder
Ilios' Feste beschirmen! Doch deiner harrt das Geschick hier,
Du entsetzlicher Mann und unerschrockener Krieger!
Sprach's, und den blinkenden Speer aus gewaltiger Rechter versandter,
Traf und verfehlete nicht das Schienbein unter dem Knie,
Daß rings ihm die Schiene des neugegossenen Zinnes
Tönte mit schrecklichem Klang; doch es prallte das Erz vom Getroffnen
Ab und durchbohrete nicht, gehemmt von der Gabe des Gottes.
Auch der Peleid itzt drang auf den göttergleichen Agenor,
Wütend; doch nicht verstattet' Apollon Ruhm zu gewinnen,
Sondern hinweg ihn rafft' er, und rings mit Nebel umhüllend,
Ließ er ihn ruhig nunmehr aus Schlacht und Getümmel hinweggehn.
Aber den Peleionen mit List entfernt' er vom Volke.
Denn der treffende Gott, in Agenors Bildung erscheinend,
Trat ihm nah vor die Füß', und eilenden Laufes verfolgt' er.
Während er jenem anitzt nachlief durch Weizengefilde,
Welcher, gewandt zum wirbelnden Strom des tiefen Skamandros,
Wenig zuvor ihm entrann (denn mit List verlockt' ihn Apollon,
Daß er beständig ihn hofft' im fliegenden Lauf zu erhaschen),
Kamen indes einflüchtend die anderen Troer mit Haufen,
Herzlich erwünscht, in die Stadt, die umher von Gedrängten erfüllt ward.
Keiner vermocht anjetzt vor der Stadt und der türmenden Mauer
Andere noch zu erwarten und umzuschaun, wer entflohn sei
Und wer gefallen im Streit; nein, herzlich erwünscht in die Feste
Strömten sie, wen die Schenkel und hurtigen Knie gerettet.
Ausgewählte Ausgaben von
Ilias
|
Buchempfehlung
Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.
98 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro