[45] Begegnungen der Heere. Alexandros oder Paris, nachdem er vor Menelaos geflohn, erbietet sich ihm durch Hektor zum Zweikampf um Helena, welchen Menelaos annimmt. Die Heere ruhn, und Priamos wird zum Vertrage aus Ilios gerufen. Indes geht Helena auf das skäische Tor, wo Priamos mit den Ältesten sitzt, und nennt ihm die achaiischen Heerführer. Priamos fährt in das Schlachtfeld hinaus. Vertrag, Priamos' Rückkehr, Zweikampf. Den besiegten Paris entführt Aphrodite in seine Kammer und ruft ihm Helena. Agamemnon fordert den Siegespreis.
Aber nachdem sich geordnet ein jegliches Volk mit den Führern,
Zogen die Troer in Lärm und Geschrei einher wie die Vögel;
So wie Geschrei hertönt von Kranichen unter dem Himmel,
Welche, nachdem sie dem Winter entflohn und unendlichem Regen,
Dort mit Geschrei hinziehn an Okeanos' strömende Fluten,
Kleiner Pygmäen Geschlecht mit Mord und Verderben bedrohend,
Und aus dämmernder Luft zum schrecklichen Kampfe herannahn.
Jene wandelten still, die mutbeseelten Achaier,
All im Herzen gefaßt, zu verteidigen einer den andern.
Wie auf des Bergs Anhöhen der Süd ausbreitet den Nebel,
Der nicht Hirten erwünscht, doch dem Raubenden besser wie Nacht ist,
Und man so weit vorschauet, als fliegt der geworfene Feldstein:
Also wirbelte Staub von dem Gang der kommenden Völker
Dicht empor; denn in Eile durchzog das Gefilde der Heerzug.
Als sie nunmehr sich genaht, die Eilenden, gegeneinander,
Trat hervor aus den Troern der göttliche Held Alexandros,
Tragend ein Pardelvlies und ein krummes Geschoß um die Schultern,
Samt dem Schwert; zwo Lanzen, gespitzt mit der Schärfe des Erzes,
Schwenkt' er und rief hervor die tapfersten aller Achaier,
Gegen ihn anzukämpfen in schreckenvoller Entscheidung.
Aber sobald ihn sahe der streitbare Held Menelaos
Vor dem Scharengewühl einhergehn mächtigen Schrittes:
So wie ein Löwe sich freut, dem größere Beute begegnet,
Wenn ein gehörneter Hirsch dem Hungrigen oder ein Gemsbock
Nahe kommt; denn begierig verschlinget er, ob auch umher ihn
Hurtiger Hunde Gewühl wegscheucht, und blühende Jäger:
So war froh Menelaos, den göttlichen Held Alexandros
Dort mit den Augen zu schaun; denn er wollt ihn strafen, den Frevler.
Schnell vom Wagen herab mit den Rüstungen sprang er zur Erde.[46]
Aber sobald ihn sahe der göttliche Held Alexandros
Schimmern im Vorderheer, da erbebte vor Angst sein Herz ihm;
Und in der Freunde Gedräng entzog er sich, meidend das Schicksal.
So wie ein Mann, der die Natter ersah, mit Entsetzen zurückfuhr
In des Gebirgs Waldtal (ihm erzitterten unten die Glieder,
Rasch nun floh er hinweg und Bläß umzog ihm die Wangen):
Also taucht' er zurück in die Meng hochherziger Troer,
Zagend vor Atreus' Sohn, der göttliche Held Alexandros.
Hektor schalt ihn erblickend und rief die beschämenden Worte:
Weichling, an Schönheit ein Held, weibsüchtiger, schlauer Verführer!
Wärest du nie doch geboren, das wünscht ich dir, oder gestorben,
Eh du um Weiber gebuhlt! Viel heilsamer wäre dir solches,
Als nun so zum Gespött dastehn und allen zum Anschaun!
Ja, ein Gelächter erheben die hauptumlockten Achaier,
Welche des Heers Vorkämpfer dich achteten, weil du so schöner
Bildung erscheinst; doch wohnt nicht Kraft dir im Herzen, noch Stärke!
Wagtest denn du, ein solcher! in meerdurchwandelnden Schiffen
Über die Wogen zu gehn, von erlesenem Volke begleitet
Und zu Fremden gesellt, ein schönes Weib zu entführen
Aus der Apier Lande, die Schwägerin kriegrischer Männer?
Deinem Vater zum Gram und der Stadt und dem sämtlichen Volke,
Aber den Feinden zur Wonn und zu ewiger Schande dir selber?
Ha, nicht mochtest du stehn vor Atreus' Sohn; denn gelernet
Hättest du, welchem Manne die blühende Gattin du raubtest!
Nichts auch frommte die Laute dir jetzt und die Huld Aphroditens,
Nichts dein Haar und der Wuchs, wenn dort du im Staube dich wälztest!
Wären die Troer nur nicht Feigherzige, traun, es umhüllte
Längst dich ein steinerner Rock für das Unheil, das du gehäuft hast!
Ihm antwortete drauf der göttliche Held Alexandros:
Hektor, dieweil du mit Recht mich tadeltest, nicht mit Unrecht;
Stets ist dir ja das Herz wie die eherne Axt unbezwingbar,
Welche das Holz durchstrebt vor dem Zimmerer, wann er zum Schiffbau
Künstlich die Balken behaut und ihr Schwung ihm die Stärke vermehret:
So ist fest dir das Herz und stets unerschrockenen Mutes.
Nur nicht rüge die Gaben der goldenen Aphrodite.
Unverwerflich ja sind der Unsterblichen ehrende Gaben,
Welche sie selber verleihn und nach Willkür keiner empfänget.[47]
Doch jetzt, willst du mich sehn im tapferen Streite des Krieges,
Heiße die anderen ruhn, die Troer umher und Achaier;
Laßt dann mich vor dem Volk und den streitbaren Held Menelaos
Kämpfen um Helena selbst und die sämtlichen Schätze den Zweikampf.
Wer von beiden nunmehr obsiegt und stärker erscheinet,
Nehme die Schätze gesamt mit dem Weib und führe sie heimwärts.
Ihr dann zugleich, Freundschaft und heiligen Bund euch beschwörend,
Wohnt in der scholligen Troja, und jen' entschiffen zu Argos'
Rossenährender Flur und Achaias rosigen Jungfraun.
Jener sprach's; doch Hektor erfreute sich hoch ob der Rede,
Trat dann hervor in die Mitt und hemmte die troischen Haufen,
Haltend die Mitte des Speers, und still nun standen sie alle.
Auf ihn spannten den Bogen die hauptumlockten Achaier,
Zieleten mit Wurfspießen daher und schleuderten Steine.
Aber es rief lauttönend der Völkerfürst Agamemnon:
Haltet ein, Argeier, und werft nicht, Männer Achaias!
Denn er begehrt zu reden, der helmumflatterte Hektor!
Jener sprach's, und sie ließen vom Streit und harreten schweigend
Flugs umher; doch Hektor begann in der Mitte der Völker:
Hört mein Wort, ihr Troer und hellumschiente Achaier,
Was mir gesagt Alexandros, um welchen der Streit sich erhoben.
Dieser heißt euch andern, die Troer umher und Achaier,
Strecken das schöne Gerät zur nahrungsprossenden Erde,
Daß er allein vor dem Volk und der streitbare Held Menelaos
Kämpf um Helena selbst und die sämtlichen Schätze den Zweikampf.
Wer von beiden nunmehr obsiegt und stärker erscheinet,
Nehme die Schätze gesamt mit dem Weib und führe sie heimwärts.
Freundschaft sollen wir andern und heiligen Bund uns beschwören.
Jener sprach's; doch alle verstummten umher und schwiegen.
Endlich begann vor ihnen der Rufer im Streit Menelaos:
Höret anjetzt auch mich. Am meisten ja lastet der Kummer
Meine Seel, und ich denke, versöhnt nun werdet ihr scheiden,
Argos' Volk und ihr Troer, nachdem viel Böses ihr truget
Wegen unseres Streits, den mir Alexandros begonnen.
Wem nunmehr von uns beiden der Tod und das Schicksal bevorsteht,
Solcher sterb; und ihr andern versöhnt euch eilig und scheidet.
Bringt zwei Lämmer herbei, dem Helios weiß und ein Böcklein,[48]
Schwarz der Erd und ein Weibchen, wir bringen dem Zeus noch ein drittes.
Ruft alsdann auch Priamos' Macht, daß jener das Bündnis
Schwör, er selbst, denn die Söhne sind übermütig und treulos:
Daß kein frevelnder Mann Zeus' heiligen Bund verletze.
Stets ja flattert das Herz den Jünglingen; doch wo ein Alter
Zwischen tritt, der zugleich vorwärts hinschauet und rückwärts,
Solcher erwägt, wie am besten die Wohlfahrt beider gedeihe.
Jener sprach's, ihm erfreuten sich hoch Achaier und Troer,
Hoffend, nun auszuruhn vom unglückseligen Kriege.
Und sie hemmten die Ross' in den Ordnungen, sprangen vom Wagen,
Zogen die Rüstungen aus und legten sie nieder zur Erde,
Nahe nur voneinander; denn wenig war Feldes dazwischen.
Aber Hektor beschied zween Herold' eilig gen Troja,
Schnell die Lämmer zu bringen und Priamos her zu berufen.
Auch den Talthybios sandte der Völkerfürst Agamemnon,
Zu den geräumigen Schiffen zu gehn, damit er das Lamm ihm
Holete; jener enteilt' und gehorcht' Agamemnon, dem Herrscher.
Iris brachte nunmehr der schimmernden Helena Botschaft,
Ihrer Schwägerin gleich, des Antenoriden Gemahlin,
Ihr, die Antenors Sohn sich vermählt, der Fürst Helikaon,
Priamos' rosiger Tochter Laodike, reizender Bildung.
Jene fand sie daheim; sie webt' ein Gewand in der Kammer,
Groß und doppelt und hell, durchwirkt mit mancherlei Kämpfen
Rossebezähmender Troer und erzumschirmter Achaier,
Welche sie ihrethalb von Ares' Händen erduldet.
Nahe trat und begann die leichthinschwebende Iris:
Komm doch, du trautes Kind, die seltsamen Taten zu schauen
Rossebezähmender Troer und erzumschirmter Achaier.
Die jüngst gegeneinander das Grauen des Ares getragen
Durch das Gefild, anstrebend zur tränenbringenden Feldschlacht:
Diese ruhn stillschweigend umher, und der Krieg ist geendigt,
Hingelehnt auf die Schild' und die ragenden Speer' in dem Boden.
Nur Alexandros allein und der streitbare Held Menelaos
Werden anjetzt um dich mit langem Speer sich bekämpfen;
Und wer den Gegner besiegt, der nennt dich traute Gemahlin.
Also sprach die Göttin und schuf ihr süßes Verlangen
Nach dem ersten Gemahl, nach Vaterstadt und Gefreunden.[49]
Schnell in den Schleier gehüllt von silberfarbener Leinwand,
Flog sie hinweg aus der Kammer, die zarte Trän an den Wimpern;
Nicht sie allein; ihr folgten zugleich zwo dienende Jungfraun,
Äthra, des Pittheus Tochter, und Klymene, herrschenden Blickes.
Bald nun kamen sie hin, allwo das skäische Tor war.
Aber Priamos dort und Panthoos neben Thymötes,
Lampos und Klytios auch und Ares' Sproß Hiketaon,
Auch Antenor der Held und Ukalegon, beide voll Weisheit,
Saßen, die Ältsten der Stadt, umher auf dem skäischen Tore,
Welche betagt vom Krieg ausruheten; doch in Versammlung
Redner voll Rat, den Zikaden nicht ungleich, die in den Wäldern
Aus der Bäume Gesproß hellschwirrende Stimmen ergießen:
Gleich so saßen der Troer Gebietende dort auf dem Turme.
Als sie nunmehr die Helena sahn zum Turme sich wenden,
Leise redete mancher und sprach die geflügelten Worte:
Tadelt nicht die Troer und hellumschienten Achaier,
Die um ein solches Weib so lang ausharren im Elend!
Einer unsterblichen Göttin fürwahr gleicht jene von Ansehn!
Dennoch kehr, auch mit solcher Gestalt, sie in Schiffen zur Heimat,
Ehe sie uns und den Söhnen hinfort noch Jammer bereitet!
Also die Greis'; und Priamos rief der Helena jetzo:
Komm doch näher heran, mein Töchterchen, setze dich zu mir,
Daß du schaust den ersten Gemahl und die Freund' und Verwandten!
Du nicht trägst mir die Schuld; die Unsterblichen sind es mir schuldig,
Welche mir zugesandt den bejammerten Krieg der Achaier!
Daß du auch jenes Manns, des gewaltigen, Namen mir nennest,
Wer doch dort der Achaier so groß und herrlich hervorprangt!
Zwar es ragen an Haupt noch andere höher denn jener,
Doch so schön ist keiner mir je erschienen vor Augen,
Noch so edler Gestalt; denn königlich scheint er von Ansehn!
Aber Helena sprach, die edle der Fraun, ihm erwidernd:
Ehrenwert mir bist du, o teurer Schwäher, und furchtbar.
Hätte der Tod mir gefallen, der herbeste, ehe denn hieher
Deinem Sohn ich gefolgt, das Gemach und die Freunde verlassend
Und mein einziges Kind und die holde Schar der Gespielen!
Doch nicht solches geschah, und nun in Tränen verschwind ich! ...
Jetzo will ich dir sagen, was du mich fragst und erforschest.[50]
Jener ist der Atreide, der Völkerfürst Agamemnon,
Beides, ein trefflicher König zugleich und ein tapferer Streiter.
Schwager mir war er vordem, der Schändlichen; ach, er war es!
Jene sprach's; und der Greis bewundert' ihn, laut ausrufend:
Seliger Atreion, o gesegneter, glücklichgeborner!
Wahrlich doch, unzählbar gehorchen dir Männer Achaias!
Vormals zog ich selber in Phrygiens Rebengefilde,
Wo ich ein großes Heer gaultummelnder phrygischer Männer
Schauete, Otreus' Volk und des götterähnlichen Mygdon,
Welches umher am Gestade Sangarios' weit sich gelagert;
Denn ich ward als Bundesgenoß mit ihnen gerechnet
Jenes Tags, da die Hord amazonischer Männinnen einbrach;
Doch war minder die Zahl wie der freudigen Krieger Achaias!
Jetzo erblickt' Odysseus der Greis und fragte von neuem:
Nenne mir nun auch jenen, mein Töchterchen; siehe, wie heißt er?
Weniger ragt er an Haupt als Atreus' Sohn Agamemnon,
Aber breiteren Wuchses an Brust und mächtigen Schultern.
Seine Wehr ist gestreckt zur nahrungsprossenden Erde;
Doch er selbst, wie ein Widder, umgeht die Scharen der Männer.
Gleich dem Bock erscheinet er mir, dickwolliges Vlieses,
Welcher die große Trift weißschimmernder Schafe durchwandelt.
Ihm antwortete Helena drauf, Zeus' liebliche Tochter:
Der ist Laertes' Sohn, der erfindungsreiche Odysseus,
Welcher in Ithakas Reich aufwuchs, des felsichten Eilands,
Wohlgeübt in mancherlei List und verschlagenem Rate.
Und der verständige Greis Antenor sagte dagegen:
Wahrlich, o Frau, du hast untrügliche Worte geredet.
Denn auch hieher kam er vorlängst, der edle Odysseus,
Deinethalben gesandt, und der streitbare Held Menelaos.
Ich herbergete beid, in meinem Palast sie bewirtend,
So daß beider Gestalt und kluger Geist mir bekannt ist.
Als sie nunmehr in der Troer versammelten Kreis sich gesellet,
Ragt' im Stehn Menelaos empor mit mächtigen Schultern;
Doch wie sich beide gesetzt, da schien ehrvoller Odysseus.
Aber sobald sie mit Red und Erfindungen alles umstrickten,
Siehe, da sprach Menelaos nur fliegende Worte voll Inhalts,
Wenige, doch eindringender Kraft; denn er liebte nicht Wortschwall,[51]
Nicht abschweifende Rede, wiewohl noch jüngeren Alters.
Aber nachdem sich erhub der erfindungsreiche Odysseus,
Stand er und schaute zur Erde hinab mit gehefteten Augen;
Auch den Stab, so wenig zurückbewegend wie vorwärts,
Hielt er steif in der Hand, ein Unerfahrner von Ansehn,
Daß du leicht für tückisch ihn achtetest oder für sinnlos.
Aber sobald er der Brust die gewaltigen Stimmen entsandte
Und ein Gedräng der Worte wie stöbernde Winterflocken,
Dann wetteiferte, traun, kein Sterblicher sonst mit Odysseus,
Und nicht stutzten wir so, des Odysseus Bildung betrachtend.
Jetzo sah den Ajas der Greis und fragte noch einmal:
Wer ist dort der achaiische Mann, so groß und gewaltig,
Höher denn alles Volk an Haupt und mächtigen Schultern?
Aber Helena sprach, die herrliche, langen Gewandes:
Ajas heißt der gewaltige Held, der Danaer Schutzwehr.
Dorthin steht, wie ein Gott, Idomeneus unter den Kretern;
Und es umstehn den König die kretischen Führer versammelt.
Oft herbergete jenen der streitbare Held Menelaos,
Wann er aus Kreta kam, daheim in unserer Wohnung.
Nun zwar schau ich sie alle, die freudigen Krieger Achaias,
Die ich wohl noch erkennt' und jeglichen nennte mit Namen:
Zween nur vermag ich nirgends zu schaun der Völkergebieter,
Kastor, den reisigen Held, und den Kämpfer der Faust Polydeukes,
Beide mir leibliche Brüder, von einer Mutter geboren.
Folgten sie nicht hieher aus der lieblichen Flur Lakedämon?
Oder folgten sie zwar in meerdurchwandelnden Schiffen,
Aber enthalten sich nun, in die Schlacht zu gehen der Männer,
Weil sie die Schand abschreckt und die große Schmach, die mich zeichnet?
Jene sprach's; doch die beiden umfing die ernährende Erde
In Lakedämon bereits, im lieben Lande der Väter.
Aber die Herolde trugen die Bundesopfer der Götter
Durch die Stadt, zwei Lämmer und fröhlichen Wein des Gefildes
Im geißledernen Schlauch; es trug Idäos, der Herold,
Einen blinkenden Krug in der Hand und goldene Becher.
Dieser nahte dem Greis und sprach die ermahnenden Worte:
Mache dich auf, Laomedons Sohn, dich rufen die Fürsten
Rossebezähmender Troer und erzumschirmter Achaier[52]
Dort hinab ins Gefilde, den heiligen Bund zu beschwören.
Nur Alexandros allein und der streitbare Held Menelaos
Werden anjetzt um das Weib mit langem Speer sich bekämpfen;
Und wer den Gegner besiegt, dem folgt das Weib und die Schätze.
Wir dann zugleich, Freundschaft und heiligen Bund uns beschwörend,
Baun die schollige Troja; und jen' entschiffen zu Argos'
Rossenährender Flur und Achaias rosigen Jungfraun.
Jener sprach's; da schaurte der Greis und befahl den Gefährten,
Anzuschirren die Ross'; und sie eileten flugs, ihm gehorchend.
Priamos trat in den Wagen und zog die lenkenden Zügel;
Auch mit ihm Antenor bestieg den prächtigen Sessel;
Schnell durch das skäische Tor entflogen die Ross' ins Gefilde.
Als sie nunmehr hinkamen zu Trojas Volk und Achaias,
Stiegen sie beid aus dem Wagen zur nahrungsprossenden Erde,
Wandelten dann in die Mitte der Troer einher und Achaier.
Eilend darauf erhub sich der Völkerfürst Agamemnon,
Auch Odysseus voll Rat. Die stattlichen Herolde jetzo
Führten die Bundesopfer herbei, auch Wein in dem Kruge
Mischten sie, sprengeten dann der Könige Hände mit Wasser.
Doch der Atreid, ausziehend mit hurtigen Händen das Messer,
Das an der großen Scheide des Schwerts ihm immer herabhing,
Schnitt vom Haupt der Lämmer das Haar; und die Herolde jetzo
Teileten rings der Troer und Danaer edlen Gebietern.
Laut nun fleht' Agamemnon empor, mit erhobenen Händen:
Vater Zeus, ruhmwürdig und hehr, du Herrscher vom Ida!
Helios auch, der alles vernimmt und alles umschauet!
Auch ihr Ström' und du Erd, und die ihr drunten die Geister
Toter Menschen bestraft, wer hier Meineide geschworen!
Seid uns Zeugen ihr all und bewahrt die Schwüre des Bundes!
Wenn den Held Menelaos vielleicht Alexandros erleget,
Dann behalt er Helena selbst und die sämtlichen Schätze,
Doch wir kehren zurück in meerdurchwandelnden Schiffen.
Aber sinkt Alexandros dem bräunlichen Held Menelaos,
Dann entlassen die Troer das Weib und die sämtlichen Schätze;
Buße zugleich den Argeiern bezahlen sie, welche geziemet,
Und die hinfort auch daure bei kommenden Menschengeschlechtern.
Doch wenn Priamos dann und Priamos' Söhne sich weigern,[53]
Mir zu bezahlen die Buße, nachdem Alexandros gefallen,
Dann werd ich von neuem mit Kriegsmacht wegen der Sühnung
Kämpfen und nicht heimziehn, bis der Zweck des Krieges erreicht ist.
Sprach's, und die Kehlen der Lämmer zerschnitt er mit grausamem Erze.
Beide legt' er nunmehr, die zappelnden, nieder im Staube,
Matt aushauchend den Geist, da die Kraft vom Erze geraubt war.
Hierauf Wein aus dem Krug, in die goldenen Becher sich schöpfend,
Gossen sie aus und flehten den ewigwährenden Göttern.
Also betete mancher der Troer umher und Achaier:
Zeus, ruhmwürdig und hehr, und ihr andern unsterblichen Götter!
Welche von uns zuerst nun beleidigen, wider den Eidschwur,
Blutig fließ ihr Gehirn, wie der Wein hier, rings auf der Erde,
Ihrs und der Kinder zugleich; und die Gattinnen schände der Fremdling!
Also das Volk; doch mitnichten gewährt' ihm solches Kronion.
Aber Priamos sprach, des Dardanos herrschender Enkel:
Hört mein Wort, ihr Troer und hellumschiente Achaier!
Jetzo kehr ich wieder zu Ilios' luftigen Höhen
Heim; denn nimmer vermag ich mit eigenen Augen zu schauen
Kämpfend den lieben Sohn mit dem streitbaren Held Menelaos.
Zeus erkennt es allein und die andern unsterblichen Götter,
Wem nunmehr von beiden das Ziel des Todes verhängt ist.
Also der göttliche Held, und legt' in den Wagen die Lämmer,
Trat dann selber hinein und zog die lenkenden Zügel;
Auch mit ihm Antenor bestieg den prächtigen Sessel;
Schnell dann kehrten sie beide, zu Ilios' Höhen sich wendend.
Hektor drauf, des Priamos Sohn, und der edle Odysseus,
Maßen umher die Weite des Kampfraums, warfen dann eilend
Los' in den ehernen Helm und schüttelten, welchem das Schicksal
Gönnte, zuerst auf den Gegner die eherne Lanze zu werfen.
Ringsum flehte das Volk und erhob zu den Göttern die Hände.
Also betete mancher der Troer umher und Achaier:
Vater Zeus, ruhmwürdig und hehr, du Herrscher vom Ida!
Wer von beiden den Grund zu solchem Streite geleget,
Den laß jetzo vertilgt eingehn in Aides' Wohnung;
Aber uns versöhne der Freundschaft heiliges Bündnis!
Also das Volk; doch der große, der helmumflatterte Hektor
Schüttelte, rückwärts gewandt; da entsprang das Zeichen des Paris.[54]
Rings nun setzten sich all in Ordnungen, dort, wo sich jeder
Rosse gehobenen Hufs und gebildete Waffen gereihet.
Aber er selbst umhüllte mit zierlichen Waffen die Schultern,
Alexandros der Held, der lockigen Helena Gatte.
Eilend fügt' er zuerst um die Beine sich bergende Schienen,
Blank und schön, anschließend mit silberner Knöchelbedeckung;
Weiter umschirmt' er die Brust ringsher mit dem ehernen Harnisch
Seines tapferen Bruders Lykaon, der ihm gerecht war;
Hängte sodann um die Schulter das Schwert voll silberner Buckeln,
Eherner Kling; und darauf den Schild auch, groß und gediegen;
Auch das gewaltige Haupt mit stattlichem Helme bedeckt' er,
Von Roßhaaren umwallt, und fürchterlich winkte der Helmbusch;
Nahm dann die mächtige Lanze, die ihm in den Händen gerecht war.
So auch zog Menelaos, der streitbare, Waffengeschmeid' an.
Als sich diese nunmehr in jeglichem Heere gerüstet,
Traten beid in die Mitte der Troer einher und Achaier,
Mit androhendem Blick; und Staunen ergriff, die es ansahn,
Rossebezähmende Troer und hellumschiente Achaier.
Und nun standen sie nah im abgemessenen Kampfraum,
Wild die Speere bewegend und zornvoll wider einander.
Erstlich entsandt Alexandros die weithinschattende Lanze,
Und sie traf dem Atreiden den Schild von geründeter Wölbung;
Doch nicht brach sie das Erz, denn rückwärts bog sich die Spitze
Auf dem gediegenen Schild. Nun erhob auch jener die Lanze,
Atreus' Sohn Menelaos, und betete laut zu Kronion:
Waltender Zeus, laß strafen mich ihn, der zuerst mich beleidigt,
Alexandros den Held, und meinen Arm ihn bezwingen,
Daß man schaudre hinfort auch in späteren Menschengeschlechtern,
Böses dem Freunde zu tun, der wohlgesinnt ihn beherbergt!
Sprach's, und im Schwung entsandt er die weithinschattende Lanze.
Und sie traf dem Paris den Schild von geründeter Wölbung.
Siehe, den strahlenden Schild durchschmetterte mächtig die Lanze,
Auch in das Kunstgeschmeide des Harnisches drang sie geheftet;
Grad hindurch an der Weiche des Bauchs durchschnitt sie den Leibrock,
Stürmend; da wandt sich jener und mied das schwarze Verhängnis.
Hurtig zog der Atreide das Schwert voll silberner Buckeln,
Hieb dann im Schwunge den Helm, den gekegelten; aber an jenem[55]
Dreifach zerkracht und vierfach, entsprang es umher aus der Rechten.
Atreus' Sohn wehklagte, den Blick gen Himmel erhebend:
Vater Zeus, nie gleicht dir an Grausamkeit einer der Götter!
Ha, ich hoffte zu strafen die Freveltat Alexandros';
Aber es sprang aus der Hand mir in Trümmer das Schwert, und die Lanze
Flog mir hinweg aus den Händen umsonst und verwundete nicht ihn!
Sprach's und stürmte hinan und ergriff ihn am Busche des Helmes,
Zog dann gewandt ihn daher zu den hellumschienten Achaiern.
Jenen engt' an der Kehle der buntgezeichnete Riemen,
Den er unter dem Kinne, des Helmes Band, sich befestigt.
Und er hätt ihn geschleift und ewigen Ruhm sich erworben,
Wenn nicht schnell es bemerkt die Tochter Zeus', Aphrodite,
Und ihm zersprengt den Riemen des stark erschlagenen Stieres.
Leer nun folgte der Helm der nervichten Hand Menelaos'.
Diesen schleuderte drauf zu den hellumschienten Achaiern
Hochaufschwingend der Held, es erhoben ihn teure Genossen;
Und nun stürmt' er von neuem in heißer Begier zu ermorden,
Hin mit dem ehernen Speer. Doch jenen entrückt' Aphrodite
Sonder Müh, als Göttin, und hüllt' in Nebel ihn ringsher,
Setzt' ihn drauf in die Kammer, von duftender Würze durchräuchert;
Schnell dann Helena suchend, enteilte sie. Jene noch fand sie
Dort auf ragendem Turm und umher viel troische Weiber.
Leis ihr feines Gewand voll Nektarduft ihr bewegend,
Redete sie in Gestalt der wollekrämpelnden Greisin,
Hochbetagt, die ihr einst in heimischer Burg Lakedämons
Liebliche Wolle gezupft und ihr am meisten geliebt war;
Dieser gleich an Gestalt, begann Aphrodite, die Göttin:
Komm; dich ruft Alexandros, mit mir nach Hause zu kehren.
Jener ruht in der Kammer auf zierlichem Lagergestelle,
Strahlend in Reiz und Feiergewand. Kaum solltest du glauben,
Daß er vom Zweikampf komme; vielmehr er gehe zum Reigen,
Oder er sitz ausruhend vom fröhlichen Reigen ein wenig.
Jene sprach's und erregt' ihr das wallende Herz in dem Busen.
Aber sobald sie bemerkte den lieblichen Nacken der Göttin,
Auch den Busen voll Reiz und die anmutstrahlenden Augen,
Tief erstaunte sie jetzt und redete, also beginnend:
Grausame, warum strebst du, mich nochmals schlau zu verleiten?[56]
Soll ich vielleicht noch weiter die wohlbevölkerten Städte
Phrygiens oder der holden Mäonia Städte durchwandern,
Wenn auch dort ein Geliebter dir wohnt der redenden Menschen?
Drum weil jetzt Menelaos den edlen Held Alexandros
Überwand und beschleußt, mich heim, die Verhaßte, zu führen,
Darum schleichst du mir jetzo daher voll trüglicher Arglist?
Setze zu jenem dich hin und verlaß der Unsterblichen Wandel,
Und nie kehre dein Fuß zu den seligen Höhn des Olympos:
Sondern teile des Sterblichen Weh und pfleg ihn mit Sorgfalt,
Bis er vielleicht zum Weibe dich aufnimmt oder zur Sklavin!
Dorthin geh ich dir nimmer, denn unanständig ja wär es,
Ihm sein Bett zu schmücken hinfort. Des würden mich alle
Troerinnen verschmähn; und Gram schon lastet das Herz mir!
Aber voll Zorns antwortete drauf Aphrodite, die Göttin:
Reize mich nicht, o Törin! Ich könnt im Zorne mich wenden
Und so sehr dich hassen, als innig mein Herz dich geliebet!
Beid entflammt' ich die Völker sodann zu verderblicher Feindschaft,
Troer sowohl wie Achaier; dann raffte dich böses Verhängnis!
Jene sprach's; und verzagt ward Helena, Tochter Kronions.
Eilend ging sie, gesenkt den silberglänzenden Schleier,
Still, unbemerkt den übrigen Fraun; und es führte die Göttin.
Als sie nunmehr Alexandros gepriesene Wohnung erreichten,
Wandten die dienenden Mägde sich schnell zur befohlenen Arbeit.
Jene trat in ihr hohes Gemach, die edle der Weiber.
Einen Sessel ergriff die holdanlächelnde Kypris,
Trug und stellt' ihn, die Göttin, dem Held Alexandros entgegen.
Helena setzte sich drauf, des Ägiserschütterers Tochter,
Wandte die Augen hinweg und schalt den Gemahl mit den Worten:
Kommst du vom Kampfe zurück? O lägest du lieber getötet
Dort vom gewaltigen Manne, der mir der erste Gemahl war!
Ha, du prahltest vordem, den streitbaren Held Menelaos
Weit an Kraft und Händen und Lanzenwurf zu besiegen!
Gehe denn nun und berufe den streitbaren Held Menelaos,
Wiederum zu kämpfen im Zweikampf! Aber dir rat ich,
Bleib in Ruh und vermeide den bräunlichen Held Menelaos,
Gegen ihn anzukämpfen den tapferen Kampf der Entscheidung
Ohne Bedacht, daß nicht durch seinen Speer du erliegest![57]
Aber Paris drauf antwortete, solches erwidernd:
Frau, laß ab, mir das Herz durch bittere Schmähung zu kränken.
Jetzo hat Menelaos mir obgesiegt mit Athene,
Ihm ein andermal ich; denn es walten ja Götter auch unser.
Komm, wir wollen in Lieb uns vereinigen, sanft gelagert.
Denn noch nie hat also die Glut mir die Seele bewältigt,
Auch nicht, als ich zuerst aus der lieblichen Flur Lakedämon
Segelte, dich entführend in meerdurchwandelnden Schiffen,
Und auf Kranaens Au mich gesellt' in Lieb und Umarmung,
Als ich anjetzt dir glühe, durchbebt von süßem Verlangen.
Sprach's und nahte dem Lager zuerst; ihm folgte die Gattin.
Beide ruheten dann im schöngebildeten Bette.
Atreus' Sohn durchstürmte das Heer nun, ähnlich dem Raubtier,
Ob er ihn wo ausspähte, den göttlichen Held Alexandros.
Doch nicht einer des troischen Volks noch der edlen Genossen
Konnt Alexandros ihm zeigen, dem Rufer im Streit Menelaos.
Nicht aus Freundschaft wahrlich verhehlten sie, wenn man ihn schaute;
Denn verhaßt war er allen umher wie das schwarze Verhängnis.
Jetzo erhub die Stimme der Völkerfürst Agamemnon:
Hört mein Wort, ihr Troer, ihr Dardaner und ihr Genossen!
Offenbar ist Sieger der streitbare Held Menelaos.
Gebt denn Helena jetzt, die Argeierin, samt der Besitzung
Uns zurück; auch Buße bezahlet uns, welche geziemet
Und die hinfort auch daure bei kommenden Menschengeschlechtern.
Also sprach der Atreid'; und es lobten ihn alle Achaier.
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1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro