XVII. Gesang.

[668] Am Morgen geht Telemachos in die Stadt. Odysseus, als Bettler mit Eumaios nachfolgend, wird vom Ziegenhirten Melantheus gemißhandelt. Sein Hund Argos erkennt ihn. Den Bettelnden wirft Antinoos. Der Königin, die ihn zu sprechen wünscht, bestimmt er den Abend. Euaimos geht ab.


Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

Stand Telemachos auf, der Sohn des großen Odysseus,

Band die schönen Sohlen sich unter die glänzenden Füße,

Nahm dann die mächtige Lanze, die seinen Händen gerecht war,

Hinzugehn in die Stadt, und sprach zum Hüter der Schweine:

Väterchen, ich will jetzt in die Stadt gehn, daß mich die Mutter

Wiedersehe; denn eher, besorg ich, ruhet sie schwerlich

Von dem bangen Gewinsel und ihrer tränenden Wehmut,

Bis sie mich selber sieht. Dir aber, Eumaios, befehl ich,

Führ ihn auch zu der Stadt, den unglückseligen Fremdling,

Daß er sich Nahrung bettle; ihm gebe jeder nach Willkür[668]

Etwas Brosam und Wein. Ich kann unmöglich mir aller

Menschen Last auf bürden, mich drückt schon Kummer die Menge.

Dünkt sich der Fremdling etwa durch diese Worte beleidigt,

Desto schlimmer für ihn; ich rede gerne die Wahrheit.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Lieber, ich selbst begehre nicht länger hier zu verweilen.

Leichter wird's in der Stadt als auf dem Lande dem Bettler,

Seine Nahrung zu finden; mir gebe jeder nach Willkür.

Denn mein Alter verstattet mir nicht, auf dem Lande zu bleiben

Und die Dienste zu tun, die mir ein Schaffner geböte.

Gehe denn. Dieser Mann wird mich nachführen, sobald ich

Mich am Feuer gewärmt und die Sonne höher gestiegen.

Diese Lumpen bedecken mich nur! Die Kälte des Morgens

Möchte mir schaden; ihr sagt ja, die Stadt sei ferne von hinnen.

Also sprach er. Telemachos ging aus der Pforte des Hofes,

Eilte mit hurtigen Füßen und sann auf der Freier Verderben.

Als er jetzo erreichte die schöngebauete Wohnung,

Stellt' er die Lanze hin an eine ragende Säule,

Überschritt dann selber die steinerne Schwelle des Saales.

Ihn erblickte zuerst die Pflegerin Eurykleia,

Welche mit Fellen bedeckte die künstlich gebildeten Throne.

Weinend lief sie gerad auf ihn zu; es drängten sich um ihn

Auch die übrigen Mägde des leidengeübten Odysseus,

Hießen ihn froh willkommen und küßten ihm Schultern und Antlitz.

Jetzo ging aus der Kammer die kluge Penelopeia,

Artemis gleich an Gestalt und der goldenen Aphrodite,

Und mit Tränen schlang sie den lieben Sohn in die Arme,

Küßte sein Angesicht und beide glänzenden Augen

Und begann lautweind und sprach die geflügelten Worte:

Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben? Ich hoffte

Nimmer dich wiederzusehn, da du ohne mein Wissen und Wollen

Warst gen Pylos geschifft, den lieben Vater zu suchen!

Aber verkündige mir, was du auf der Reise gesehn hast!

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Mutter, erinnre mich nicht an meinen Kummer und reize

Nicht zur Klage mein Herz, da ich kaum dem Verderben entflohn bin,

Sondern bade dich erst und lege reine Gewand' an.[669]

Steig in das Obergemach, von deinen Mägden begleitet,

Und gelobe den Göttern, vollkommene Hekatomben

Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.

Aber ich selber will zum Markte gehen, den Fremdling

Einzuladen, der mir hieher aus der Fremde gefolgt ist.

Diesen sandt ich voran mit meinen edlen Gefährten

Und befahl Peiraios, ihn mit nach Hause zu nehmen

Und sorgfältig zu pflegen, bis ich heimkehrte vom Lande.

Also sprach er zu ihr und redete nicht in die Winde.

Jene badete sich und legte reine Gewand' an

Und gelobte den Göttern, vollkommene Hekatomben

Darzubringen, wenn Zeus doch endlich Rache vergölte.

Aber Telemachos ging, mit seiner Lanze gerüstet,

Aus dem Palast; es begleiteten ihn schnellfüßige Hunde.

Siehe, mit himmlischer Anmut umstrahlt' ihn Pallas Athene,

Daß die Völker alle dem kommenden Jünglinge staunten.

Um ihn versammelten sich die übermütigen Freier,

Die viel Gutes ihm sagten und Böses im Herzen gedachten.

Aber Telemachos mied der Heuchler dichtes Gedränge

Und ging hin zu Mentor und Antiphos und Halitherses,

Welche von Anbeginn des Vaters Freunde gewesen;

Setzte bei ihnen sich nieder, und diese fragten nach allem.

Ihnen nahte sich jetzo der lanzenberühmte Peiraios,

Welcher den Gast durch die Stadt zur Versammlung führte; und länger

Säumte Telemachos nicht, er eilte dem Fremdling entgegen.

Ihn ermahnte zuerst mit diesen Worten Peiraios:

Eile, Telemachos, Mägde nach meinem Hause zu senden,

Um die Geschenke zu holen, die dir Menelaos geschenkt hat.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Freund, wir wissen ja nicht, welch Ende die Sache gewinne!

Wenn mich in meinem Hause die übermütigen Freier

Heimlich ermorden und dann mein väterlich Erbe sich teilen,

Will ich doch lieber, daß du, als ein anderer, jenes besitze.

Wenn es mir aber gelingt, sie mit blutigem Tode zu strafen,

Siehe, dann magst du es fröhlich zum Hause des Fröhlichen bringen.

Sprach's, und führte zu Hause den unglückseligen Fremdling.

Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung,[670]

Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,

Gingen und badeten sich in schöngeglätteten Wannen.

Als die Mägde sie jetzo gebadet, mit Öle gesalbet

Und mit wollichtem Mantel und Leibrock hatten bekleidet,

Stiegen sie aus dem Bad und setzten sich nieder auf Sessel.

Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne

Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen

Ihnen die Händ' und stellte vor sie die geglättete Tafel.

Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf

Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.

Gegenüber saß auf dem Ruhesessel die Mutter

An der Schwelle des Saals und drehte die zierliche Spindel.

Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.

Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,

Da begann das Gespräch die kluge Penelopeia:

Sohn, ich muß wohl wieder in meine Kammer hinaufgehn,

Auf dem Lager zu ruhn, dem jammervollen, das immer

Meine Tränen benetzen, seitdem der edle Odysseus

Mit den Atreiden gen Ilion zog; denn du findest Bedenken,

Ehe der Freier Schwarm zum Freudengelage zurückkehrt,

Mir zu erzählen, was du von deinem Vater gehört hast.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Gerne will ich dir, Mutter, die lautere Wahrheit verkünden.

Siehe, wir schifften gen Pylos, zu Nestor, dem Hirten der Völker.

Freundlich empfing mich dieser in seinem hohen Palaste

Und bewirtete mich mit so geschäftiger Liebe,

Als ein Vater den Sohn, der spät aus der Fremde zurückkehrt:

So viel Liebe genoß ich von ihm und den trefflichen Söhnen.

Doch von dem leidengeübten Odysseus hatte der König

Nicht das geringste gehört, ob er tot sei oder noch lebe.

Aber zu Atreus' Sohn Menelaos, dem lanzenberühmten,

Sandt er mit Rossen mich hin und einem zierlichen Wagen,

Wo ich Argos' Helena sah, um welche die Troer

Und Argeier so viel nach dem Rat der Götter erduldet.

Und mich fragte sogleich der Rufer im Streit Menelaos,

Was mich zu kommen genötigt zur göttlichen Stadt Lakedaimon.

Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.[671]

Nun antwortete mir der Held Menelaos und sagte:

O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen Mannes

Wollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen!

Aber wie wenn in den Dickicht des starken Löwen die Hirschkuh

Ihre saugenden Jungen, die neugeborenen, hinlegt,

Dann auf den Bergen umher und kräuterbewachsenen Tälern

Weide sucht und jener darauf in sein Lager zurückkehrt

Und den Zwillingen beiden ein schreckliches Ende bereitet:

So wird jenen Odysseus ein schreckliches Ende bereiten.

Wenn er, o Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,

Doch in jener Gestalt, wie er einst in der fruchtbaren Lesbos

Sich mit Philomeleides zum Wetteringen emporhub

Und auf den Boden ihn warf, daß alle Achaier sich freuten:

Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene!

Bald wär ihr Leben gekürzt und ihnen die Heirat verbittert!

Aber warum du mich fragst und bittest, das will ich geradaus,

Ohn Umschweife, dir sagen und nicht durch Lügen dich täuschen;

Sondern was mir der wahrhafte Greis des Meeres geweissagt,

Davon will ich kein Wort dir bergen oder verhehlen.

Jener hatt auf der Insel den jammernden Helden gesehen

In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn

Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel,

Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,

Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.

Also verkündigte mir Menelaos der lanzenberühmte.

Als ich dieses vollendet, da kehrt ich von dannen, die Götter

Sandten mir günstigen Wind und führten mich bald zu der Heimat.

Also sprach er, ihn hörte mit inniger Rührung die Mutter.

Und der göttliche Mann Theoklymenos redete jetzo:

Du ehrwürdiges Weib des Laertiaden Odysseus,

Jener wußte nicht alles; vernimm, was ich dir verkünde:

Denn ich will dir genau weissagen und nichts dir verhehlen.

Zeus von den Göttern bezeug es und diese gastliche Tafel

Und Odysseus' heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:

Daß Odysseus schon im Vaterlande verborgen

Sitzet oder geheim umherschleicht, diese Verwüstung

Untersucht und den Freiern ein schreckliches Ende bereitet.[672]

Dieses ersah ich, sitzend im schöngebordeten Schiffe,

Aus des Vogels Fluge und sagt es Telemachos heimlich.

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!

Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken

Deine Freundin, und jeder Begegnende priese dich selig!

Also besprachen diese sich jetzo untereinander.

Aber vor dem Palaste Odysseus' schwärmten die Freier

Und belustigten sich, die Scheib und die Lanze zu werfen

Auf dem geebneten Platz, wo sie sonst Mutwillen verübten.

Jetzo kam die Stunde des Mahls, und die Hirten vom Felde

Brachten den täglichen Zoll des auserlesensten Mastviehs.

Da sprach Medon zu ihnen, der Herold, welcher am meisten

Unter den Freiern galt und ihrer Schmäuse Genoß war:

Jünglinge, da ihr euch alle mit edlen Spielen erfreuet,

Geht nun wieder ins Haus und bereitet die köstliche Mahlzeit;

Denn es ist nicht übel, zur rechten Stunde zu essen.

Also sprach er; da standen sie auf und folgten dem Herold.

Als sie jetzo erreichten die schöngebauete Wohnung,

Legten sie ihre Mäntel auf prächtige Sessel und Throne,

Schlachteten große Schafe zum Mahl und gemästete Ziegen,

Schlachteten fette Schwein' und eine Kuh von der Weide.

Und bereiteten eilig die Mahlzeit. Aber vom Landhof

Eilt' Odysseus zur Stadt und der edle Hüter der Schweine.

Also begann das Gespräch der männerbeherrschende Sauhirt:

Fremdling, weil du denn doch in die Stadt zu gehen verlangest,

Heute noch, wie mein Herr es dir befohlen (ich wünschte

Freilich, du wärest hier als Hüter des Hofes geblieben;

Aber ich scheue mich und fürchte, Telemachos möchte

Nachmals schelten; und kränkend sind doch die Verweise der Herren!):

Auf denn, so wollen wir gehn! Die größte Hälfte des Tages

Ist dahin, und die Kälte wird gegen Abend noch strenger.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Gut, ich verstehe dich schon, das sind auch meine Gedanken.

Laß uns denn gehn, und du sei mein Begleiter und Führer.

Hast du auch einen Stab zurecht geschnitten, so gib ihn

Mir zur Stütze; ihr sagt ja, der Weg sei rauh und gefährlich.[673]

Also sprach er und hängt' um die Schulter den häßlichen Ranzen,

Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;

Einen bequemen Stab zur Stütze gab ihm Eumaios,

Und sie gingen. Den Hof bewachten indessen die Hunde

Und die übrigen Hirten; und dieser führte den König,

Der, wie ein alter Mann und mühebeladener Bettler,

Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.

Als die Wandernden jetzo auf ihrem höckrichten Wege

Nahe kamen der Stadt, am schöngebaueten Brunnen,

Welchem die Bürger der Stadt das klare Wasser entschöpften

(Ithakos hatt ihn gebaut und Neritos und Polyktor:

Ringsum war ein Hain von wasserliebenden Pappeln

In die Runde gepflanzt, und hoch von Felsen herunter

Schäumte das kalte Wasser; ein Altar stand auf der Höhe,

Wo die Wanderer alle den Nymphen pflegten zu opfern):

Da erreichte sie Dolios' Sohn, der Hirte Melantheus,

Welcher die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde den Freiern

Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.

Als sie dieser erblickte, da stieß er mit schreiender Stimme

Freche Schmähungen aus und reizte die Seele des Königs:

Wahrlich, das heißt wohl recht, ein Taugenicht führet den andern!

Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen!

Sprich, wo führst du den Hungrigen hin, nichtswürdiger Sauhirt,

Diesen beschwerlichen Bettler, der schmierigen Brocken Verschlinger,

Welcher von Türe zu Tür an den Pfosten die Schulter sich reibet

Und sich Krümchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Kessel.

Gäbest du mir den Kerl zum Hüter meines Geheges,

Daß er die Ställe fegt' und Laub vortrüge den Zicklein,

Molken sollt er mir saufen, um Fleisch auf die Lenden zu kriegen!

Aber da er nun nichts als Bubenstücke gelernt hat,

Wird er nicht gern arbeiten und lieber das Land durchstreichen,

Seinen gefräßigen Leib mit Bettelbrote zu stopfen.

Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:

Kommt er je in das Haus des göttergleichen Odysseus,

Hageln werden die Schemel im Saal aus den Händen der Männer

Rings um sein Haupt und die Ecken an seinen Rippen zerstoßen!

Also sprach er und kam und stieß mit der Ferse vor Bosheit[674]

Ihm in die Seit; allein er wankte nicht aus dem Wege,

Sondern stand unerschüttert. Nun überlegte Odysseus,

Ob er auf ihn mit dem Stab anrennt' und das Leben ihm raubte

Oder ihn hoch erhüb und sein Haupt auf den Boden zerknirschte;

Doch er bezwang sein Herz und duldete. Aber der Sauhirt

Schalt ihn ins Antlitz und betete laut mit erhobenen Händen:

Nymphen des heiligen Quells, Zeus' Töchter! Hat jemals Odysseus

Lenden, mit Fette bedeckt, von jungen Ziegen und Lämmern

Euch zur Ehre verbrannt, so erfüllt mein heißes Verlangen:

Daß heimkehre der Held und ihn ein Himmlischer führe!

O dann würd er dir bald die hohen Gedanken vertreiben,

Welche du Trotziger jetzo hegst, da du immer die Stadt durch

Irrst, indes die Herde von bösen Hirten verderbt wird!

Und der Ziegenhirte Melanthios gab ihm zur Antwort:

Götter, was plaudert er da, der Hund voll hämischer Tücke!

Ha! ich werd ihn noch einst im schwarzen gerüsteten Schiffe

Fern von Ithaka bringen, damit ich ihn teuer verkaufe!

Tötete doch so gewiß der silberne Bogen Apollons

Oder der Freier Gewalt Telemachos heut im Palaste,

Als Odysseus ferne von seiner Heimat dahinsank!

Also sprach er und eilte voran; sie folgten ihm langsam.

Und mit hurtigen Schritten erreicht' er des Königes Wohnung,

Ging gerade hinein und setzte sich unter die Freier,

Gegen Eurymachos über; denn diesen liebt' er am meisten.

Vor ihn legten ein Teil des Fleisches die hurtigen Diener,

Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf;

Und er aß. Nun kam mit Odysseus der treffliche Sauhirt

Nahe; sie standen still. Der hohlen Harfe Getön scholl

Ihnen melodisch entgegen; denn Phemios hub den Gesang an.

Und Odysseus faßte die Hand des Hirten und sagte:

Wahrlich, Eumaios, dies ist die prächtige Wohnung Odysseus'!

Diese würde man leicht auch unter vielen erkennen!

Zimmer stehen auf Zimmern; den Hof umschließet die schöne

Zinnenbefestigte Mauer mit einem doppelten starken

Flügeltor; sie vermöchte wohl schwerlich ein Mann zu erobern!

Auch bemerk ich dieses, daß viele Männer ein Gastmahl

Drinnen begehn; denn es duftet von Speisen umher, und die Harfe[675]

Tönet, welche die Götter dem Mahl zur Freundin verliehen.

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Richtig bemerkst du, da dir's auch sonst an Verstande nicht fehlet;

Aber wir wollen anitzt nachdenken, wie wir es machen.

Geh du entweder zuerst in die schöngebauete Wohnung

Unter den Haufen der Freier, so wart ich hier noch ein wenig;

Oder willst du, so bleib, und ich will erstlich hinein gehn.

Aber zögere nicht; hier draußen möchte dich jemand

Schlagen oder auch werfen. Dies überlege nun selber.

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Gut, ich verstehe dich schon, dies sind auch meine Gedanken.

Gehe denn erst hinein; ich warte hier noch ein wenig,

Denn ich verstehe mich auf Schlag' und Würfe so ziemlich,

Und nicht schwach ist mein Herz. Ich habe schon vieles erduldet,

Schrecken des Meers und des Kriegs, so mag auch dies noch geschehen!

Aber man kann unmöglich die Wut des hungrigen Magens

Bändigen, welcher den Menschen so vielen Kummer verursacht!

Ihn zu besänftigen, gehn selbst schöngezimmerte Schiffe

Über das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges gerüstet!

Also besprachen diese sich jetzo untereinander.

Aber ein Hund erhob auf dem Lager sein Haupt und die Ohren,

Argos, welchen vordem der leidengeübte Odysseus

Selber erzog; allein er schiffte zur heiligen Troja,

Ehe er seiner genoß. Ihn führten die Jünglinge vormals

Immer auf wilde Ziegen und flüchtige Hasen und Rehe;

Aber jetzt, da sein Herr entfernt war, lag er verachtet

Auf dem großen Haufen vom Miste der Mäuler und Rinder,

Welcher am Tore des Hofes gehäuft ward, daß ihn Odysseus'

Knechte von dannen führen, des Königes Äcker zu düngen;

Hier lag Argos, der Hund, von Ungeziefer zerfressen.

Dieser, da er nun endlich den nahen Odysseus erkannte,

Wedelte zwar mit dem Schwanz und senkte die Ohren herunter,

Aber er war zu schwach, sich seinem Herren zu nähern.

Und Odysseus sah es und trocknete heimlich die Träne,

Unbemerkt von Eumaios, und fragete seinen Begleiter:

Wunderbar ist es, Eumaios, daß dieser Hund auf dem Miste

Liegt! Sein Körper ist schön von Bildung; aber ich weiß nicht,[676]

Ob er mit dieser Gestalt auch schnell im Laufe gewesen

Oder so, wie die Hund' um der Reichen Tische gewöhnlich

Sind; denn solche Herren erziehn sie bloß zum Vergnügen.

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Freilich, denn dies ist der Hund des ferne gestorbenen Mannes.

Wär er derselbige noch an Gestalt und mutigen Taten,

Als wie Odysseus ihn, gen Troja schiffend, zurückließ,

Sicherlich würdest du jetzo die Kraft und die Schnelle bewundern.

Trieb er ein Wildbret auf im dichtverwachsenen Waldtal,

Nimmer entfloh es ihm; denn er war auch ein weidlicher Spürhund.

Aber nun liegt er im Elend hier; denn fern von der Heimat

Starb sein Herr, und die Weiber, die faulen, versäumen ihn gänzlich.

Das ist die Art der Bedienten: sobald ihr Herr sie nicht antreibt,

Werden sie träge zum Guten und gehn nicht gern an die Arbeit.

Zeus' allwaltender Rat nimmt schon die Hälfte der Tugend

Einem Manne, sobald er die heilige Freiheit verlieret.

Also sprach er und ging in die schöngebauete Wohnung,

Eilte dann grad in den Saal zu den übermütigen Freiern.

Aber Argos umhüllte der schwarze Schatten des Todes,

Da er im zwanzigsten Jahr Odysseus wieder gesehen.

Jenen sahe zuerst Telemachos, göttlich von Bildung,

Durch den Palast herwandeln, den trefflichen Hirten; er winkt' ihm

Eilig und rief ihn heran. Der ringsumschauende Sauhirt

Nahm den ledigen Stuhl, worauf der Zerleger gesessen,

Welcher den Freiern im Saale die Menge des Fleisches zerteilte;

Diesen trug er von dannen und stellt' ihn Telemachos' Tafel

Gegenüber und setzte sich drauf; dann brachte der Herold

Ihm ein Teil des Fleisches und gab ihm Brot aus dem Korbe.

Lange saß er noch nicht, da trat in die Wohnung Odysseus,

Der wie ein alter Mann und mühebeladener Bettler

Wankend am Stabe schlich, mit häßlichen Lumpen bekleidet.

Dieser setzte sich hin auf die eschene Schwelle der Pforte,

An die zypressene Pfoste den Rücken lehnend, die vormals

Künstlich der Meister gebildet und nach dem Maße der Richtschnur.

Und Telemachos rief dem edlen Hirten der Schweine,

Gab ihm ein ganzes Brot aus dem schöngeflochtenen Korbe

Und des Fleisches so viel, als er mit den Händen umfaßte:[677]

Bringe dieses dem Fremdlinge hin und sag ihm, er möchte

Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;

Denn die Blödigkeit ist dem darbenden Manne nicht heilsam.

Sprach's; und der Sauhirt ging, sobald er die Rede vernommen,

Trat vor Odysseus hin und sprach die geflügelten Worte:

Fremdling, Telemachos sendet dir dies und saget, du möchtest

Selber bei allen Freiern im Saale bittend umhergehn;

Denn die Blödigkeit sei dem darbenden Manne nicht heilsam.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Segne, du herrschender Zeus, Telemachos unter den Männern

Und vollend ihm alles, was seine Seele begehret!

Also sprach er, empfing es mit beiden Händen und legt' es

Dort vor den Füßen nieder auf seinen häßlichen Ranzen;

Und dann aß er, solange das Lied des Sängers ertönte.

Als er jetzo gespeist, da schwieg auch der göttliche Sänger.

Aber die Freier durchlärmten den Saal; und Pallas Athene

Nahte sich abermal dem Laertiaden Odysseus

Und ermahnt' ihn, sich Brosam von allen Freiern zu sammeln,

Daß er die Mildegesinnten und Ungerechten erkennte;

Dennoch sollte nicht einen die schreckliche Rache verschonen!

Und er wandte sich rechts und trat zu jeglichem Manne,

Reichte flehend die Hand, als hätt er schon lange gebettelt.

Jene gaben ihm mitleidsvoll und fragten, verwundert

Über des Bettlers Gestalt, wer er wär und von wannen er käme.

Und der Ziegenhirte Melanthios sprach zur Versammlung:

Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,

Wegen des Fremdlings hier. Ich hab ihn nur eben gesehen;

Denn er ging zu der Stadt, und der Sauhirt war sein Geleiter;

Aber das weiß ich nicht, von welchem Geschlecht er sich rühme.

Sprach's, und Antinoos schalt den edlen Hirten der Schweine:

Warum führtest du diesen zur Stadt, du berüchtigter Sauhirt?

Irren nicht etwa genug Landstreicher vor unseren Türen,

Solche beschwerliche Bettler und schmieriger Brocken Verschlinger?

Oder glaubst du, hier fehl es an Gästen, welche die Güter

Deines Herrn verschlingen, daß du auch diesen noch herrufst?

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Edel, Antinoos, bist du, allein du redest nicht schicklich.[678]

Denn wer gehet wohl aus und ladet selber den Fremdling,

Wo er nicht etwa im Volk durch nützliche Künste berühmt ist,

Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues

Oder den göttlichen Sänger, der uns durch Lieder erfreuet?

Diese laden die Menschen in allen Landen der Erde;

Aber den Bettler, der nur belästiget, lüde wohl niemand!

Doch beständig warst du, vor allen Freiern, Odysseus'

Knechten hart und mir am härtesten; aber mich kümmert's

Nicht; denn siehe, noch lebt die kluge Penelopeia

Und ihr göttlicher Sohn Telemachos in dem Palaste!

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Väterchen, laß das sein! Was gibst du ihm vieles zur Antwort?

Denn das war ja beständig Antinoos' böse Gewohnheit:

Hart und beleidigend redet er selbst und verführt auch die andern!

Und zu Antinoos sprach er schnell die geflügelten Worte:

Traun, wie ein Vater des Sohns, Antinoos, waltest du meiner,

Da du befiehlst, den Fremdling mit harten Worten gewaltsam

Aus dem Hause zu treiben! Das wolle Gott nicht gefallen!

Nimm und gib ihm; ich sehe nicht scheel, ich heiß es dir selber!

Scheue dich hierin auch nicht vor meiner Mutter, noch jemand

Unter den Leuten im Hause des göttergleichen Odysseus!

Aber dein Herz bekümmern nicht solche Gedanken; du willst nur

Lieber alles allein aufschlingen, als etwas verschenken.

Und Antinoos rief und gab ihm dieses zur Antwort:

Jüngling von trotziger Red und verwegenem Mute, was sagst du?

Schenkten so vieles, wie ich, ihm auch die übrigen Freier,

In drei Monden würd er dies Haus nicht wieder besuchen!

Also sprach er und hob den Schemel unter dem Tische

Drohend empor, auf welchem die Füße des Schmausenden ruhten.

Aber die andern gaben ihm all und füllten den Ranzen

Ihm mit Fleisch und Brot. Und jetzo wollte Odysseus

Wieder zur Schwelle gehn, der Achaier Geschenke zu kosten,

Aber er stellte sich erst vor Antinoos' Tafel und sagte:

Lieber, beschenke mich auch! Du scheinst mir nicht der geringste,

Sondern ein edler Achaier, du hast ein königlich Ansehn;

Darum mußt du mir auch mehr Speise geben als andre,[679]

Und ich werde dein Lob in allen Landen verkünden.

Denn auch ich war ehmals ein glücklicher Mann und Bewohner

Eines reichen Palastes und gab dem irrenden Fremdling

Oftmals, wer er auch war und welche Not ihn auch drängte;

Und unzählige Knechte besaß ich und andere Güter,

Die man zum Überfluß und zur Pracht der Reichen erfordert.

Aber das nahm mir Zeus nach seinem heiligen Ratschluß;

Denn er verleitete mich, mit küstenumirrenden Räubern

Weit nach Aigyptos zu schiffen, um mein Verderben zu finden.

Und ich legte die Schiff' im Strom Aigyptos vor Anker;

Dringend ermahnt ich jetzo die lieben Reisegefährten,

An dem Gestade zu bleiben und unsere Schiffe zu hüten,

Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.

Aber sie wurden vom Trotz und Übermute verleitet,

Daß sie ohne Verzug der Aigypter schöne Gefilde

Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer

Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam

Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich rötete, zogen

Streiter zu Roß und zu Fuße daher, und vom blitzenden Erze

Strahlte das ganze Gefilde. Der Donnerer Zeus Kronion

Sendete meinen Gefährten die schändliche Flucht, und es wagte

Keiner, dem Feinde zu stehn; denn ringsum drohte Verderben.

Viele töteten sie mit ehernen Lanzen, und viele

Schleppten sie lebend hinweg zu harter sklavischer Arbeit.

Aber nach Kypros schenkten sie mich dem begegnenden Fremdling

Dmetor, Jasos Sohne, dem mächtigen Herrscher in Kypros.

Und von dannen komm ich nun hier, mit Kummer beladen.

Und Antinoos rief und gab ihm dieses zur Antwort:

Welch ein Himmlischer straft uns mit dieser Plage des Gastmahls?

Stelle dich dort in die Mitte und hebe dich weg von der Tafel,

Daß du mir nicht ein herbes Aigyptos und Kypros erblickest!

Ha, du bist mir der frechste, der unverschämteste Bettler!

Gehst nach der Reihe bei allen umher, und ohne Bedenken

Geben sie dir! Wozu auch so sparsam oder so ängstlich,

Fremdes Gut zu verschenken, wo man so reichlich versorgt ist!

Weichend erwiderte drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Götter, wie wenig gleichen dein Herz und deine Gestalt sich![680]

Von dem Deinigen schenkst du dem Darbenden schwerlich ein Salzkorn,

Da du an fremdem Tische dich nicht erbarmest, ein wenig

Mir von der Speise zu geben, womit du so reichlich versorgt bist!

Also sprach er; da ward Antinoos' Herz noch erboster;

Drohend blickt' er ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Nun, so sollst du gewiß aus diesem Saale nicht wieder

Unbeschädigt entrinnen, da du noch Schmähungen redest!

Sprach's und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Odysseus',

Dicht am Gelenke des Halses. Er aber stand wie ein Felsen

Fest und wankte nicht von Antinoos' mächtigem Wurfe,

Sondern schüttelte schweigend das Haupt und sann auf Verderben;

Ging dann zur Schwelle zurück und setzte sich, legte den Ranzen

Voll von Speise nieder und sprach zu der Freier Versammlung:

Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,

Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.

Nicht der mindeste Schmerz noch Kummer beuget die Seele

Eines Mannes, der, streitend für seine Güter, vom Feinde

Wunden empfängt für die Herden der Rinder und wollichten Schafe;

Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers,

Welcher den elenden Menschen so vielen Kummer verursacht!

Aber beschützt auch die Armen der Götter und Göttinnen Rache,

Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermählung!

Und Eupeithes' Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:

Fremdling, sitze geruhig und iß oder gehe von hinnen,

Daß dich die Jünglinge nicht bei den Händen und Füßen, du Schwätzer,

Durch den Palast fortschleppen und deine Glieder zerreißen!

Also sprach er, allein die übrigen zürnten ihm heftig.

Also redete mancher der übermütigen Freier:

Übel, Antinoos, tatst du, den armen Fremdling zu werfen!

Unglückseliger! Wenn er nun gar ein Himmlischer wäre!

Denn oft tragen die Götter entfernter Fremdlinge Bildung;

Unter jeder Gestalt durchwandeln sie Länder und Städte,

Daß sie den Frevel der Menschen und ihre Frömmigkeit schauen.

Also sprachen die Freier, allein er verachtete solches.

Aber Telemachos schwoll das Herz von großer Betrübnis,

Als er ihn warf, doch netzt' ihm keine Träne die Wangen,[681]

Sondern er schüttelte schweigend das Haupt und sann auf Verderben.

Auch in der Kammer vernahm es die kluge Penelopeia,

Als man ihn warf im Saal, und redete unter den Weibern:

Also treffe dich selbst der bogenberühmte Apollon!

Aber die Schaffnerin Eurynome gab ihr zur Antwort:

Ja! Wenn die Sache, mein Kind, nach unsern Wünschen geschähe,

Keiner von diesen erlebte die goldene Röte des Morgens!

Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Mutter, verhaßt sind mir alle, denn alle trachten nach Unglück!

Aber Antinoos gleicht doch am meisten dem schwarzen Verhängnis!

Denn es wanket im Saal ein unglückseliger Fremdling

Bittend umher bei den Männern, ihn zwingt der äußerste Mangel;

Und die übrigen füllten ihm alle den Ranzen mit Gaben,

Er nur warf ihm am Hals auf die rechte Schulter den Schemel.

Also redete sie, umringt von dienenden Weibern,

Sitzend in ihrer Kammer. Nun aß der edle Odysseus,

Und sie berief zu sich den edlen Hirten und sagte:

Eile schnell in den Saal, Eumaios, und heiße den Fremdling

Zu mir kommen. Ich möcht ihn ein wenig sprechen und fragen,

Ob er etwa gehört von dem leidengeübten Odysseus

Oder ihn selber gesehn; denn er scheint viel Länder zu kennen.

Ihr antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Schwiegen nur die Achaier, o Königin, drinnen im Saale,

Wahrlich, er würde dein Herz durch seine Reden erfreuen!

Denn ich hatt ihn bei mir drei Tag' und Nacht' in der Hütte,

Wo er zuerst ankam, nachdem er vom Schiffe geflohn war;

Und doch hat er mir nicht sein Leiden alles erzählet.

So aufmerksam ein Mann den gottbegeisterten Sänger

Anschaut, welcher die Menschen mit reizenden Liedern erfreuet

(Voller Begierde horcht die Versammlung seinem Gesange):

Ebenso rührt' er mein Herz, da er bei mir saß in der Hütte.

Und er saget', er sei durch seinen Vater ein Gastfreund

Von Odysseus und wohne in Kreta, Minos' Geburtsland;

Und von dannen komm er nun hier, durch mancherlei Trübsal

Weiter und weiter gewälzt; auch hab er gehört, daß Odysseus

Nahe bei uns im fetten Gebiet der thesprotischen Männer[682]

Leb und mit großem Gut heimkehre zu seinem Palaste.

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Geh und ruf ihn hieher, damit er mir selber erzähle.

Jene mögen indes vor der Türe sitzen und scherzen

Oder auch dort im Saale, da ihre Herzen vergnügt sind.

Denn ihr eigenes Gut liegt unversehrt in den Häusern,

Speise und süßer Wein, und nähret bloß das Gesinde.

Aber sie schalten von Tage zu Tag in unserem Hause,

Schlachten unsere Rinder und Schaf' und gemästeten Ziegen

Für den üppigen Schmaus und schwelgen im funkeln den Weine

Ohne Scheu, und alles wird leer; denn es fehlt uns ein solcher

Mann, wie Odysseus war, die Plage vom Hause zu wenden.

Kam Odysseus zurück in seine Heimat, er würde

Bald mit seinem Sohne den Frevel der Männer bestrafen!

Also sprach sie, da nieste Telemachos laut, und ringsum

Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Penelopeia,

Wandte sich schnell zu Eumaios und sprach die geflügelten Worte:

Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling!

Siehst du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte beniest hat?

Ja, nun werde der Tod das unvermeidliche Schicksal

Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!

Eins verkünd ich dir noch, bewahre dieses im Herzen:

Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzählet,

Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden.

Sprach's und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen,

Trat vor Odysseus hin und sprach die geflügelten Worte:

Fremder Vater, dich läßt die kluge Penelopeia

Rufen, Telemachos' Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,

Wegen des Mannes zu fragen, um den sie so herzlich betrübt ist.

Wann sie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzählest,

Will sie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meisten

Nötig hast. Denn Speise, den Hunger zu stillen, erlangst du

Leicht durch Betteln im Volk, es gebe dir jeder nach Willkür.

Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:

Gern erzählt ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit

Vor Ikarios' Tochter, der klugen Penelopeia;

Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhängnis.[683]

Aber ich fürchte nur der bösen Freier Versammlung,

Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.

Denn jetzt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betäubte,

Mich, der kein Böses tat und bittend im Saale herum ging,

Hat mich Telemachos weder noch irgendein andrer verteidigt.

Sage denn Penelopeien, sie möcht in ihren Gemächern

Harren, wie sehr sie verlangt, bis erst die Sonne gesunken.

Alsdann frage sie mich nach ihres Mannes Zurückkunft,

Nahe beim Feuer mich setzend; denn meine Kleider sind elend.

Dieses weißt du auch selbst, du warst mein erster Beschützer.

Sprach's, und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen.

Als er die Schwelle betrat, da fragte Penelopeia:

Bringst du ihn nicht, Eumaios, warum bedenkt sich der Fremdling?

Hält ihn etwa die Furcht vor Gewalttat oder die Scham ab,

Durch den Palast zu gehn? Ein schamhafter Bettler ist elend!

Ihr antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:

Was er sagt, hat Grund; so würd auch ein anderer denken,

Um den Trotz zu vermeiden der übermütigen Männer.

Darum bittet er, harre, bis erst die Sonne gesunken.

Auch für dich selber ist der Abend bequemer, o Für stin,

Daß du den fremden Mann allein befragest und hörest.

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Wer der Fremdling auch sei, so denkt er nicht unvernünftig;

Denn an keinem Orte, den sterbliche Menschen bewohnen,

Üben trotzige Männer so ausgelassene Greuel!

Also redete sie. Drauf ging der treffliche Sauhirt

Zu der Freier Versammlung, da sein Gewerbe bestellt war;

Und er neigte das Haupt zu Telemachos, redete leise,

Daß es die andern nicht hörten, und sprach die geflügelten Worte:

Lieber, ich gehe nun weg, die Schwein' und das andre zu hüten,

Dein und mein Vermögen; du sorg indessen für dieses.

Aber vor allen erhalte dich selbst und siehe dich wohl vor,

Daß dir kein Böses geschehe; denn viele sinnen auf Unglück.

Doch Zeus rotte sie aus, bevor sie uns Schaden bereitet!

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Väterchen, also geschehe, doch warte bis gegen den Abend.

Morgen früh komm wieder und bring die gemästeten Opfer;[684]

Für das übrige laß mich und die Unsterblichen sorgen.

Sprach's, und der Sauhirt setzte sich auf den zierlichen Sessel.

Und nachdem er sein Herz mit Trank und Speise gesättigt,

Eilt' er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend,

Wo die schwelgenden Freier sich schon beim Tanz und Gesange

Freuten; denn jetzo neigte der Tag sich gegen den Abend.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 668-685.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Odyssee
Universal-Bibliothek Nr. 280: Odyssee
Odyssee
Ilias · Odyssee
Die Odyssee
Odyssee

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon