XXIII. Gesang.

[750] Penelopeia, von der Pflegerin gerufen, geht mißtrauisch in den Saal. Odysseus gebeut den Seinigen Reigentanz, um die Ithaker zu täuschen. Er selbst, vom Bade verschönert, rechtfertigt sich der Gemahlin durch ein Geheimnis. Die Neuverbundenen erzählen vor dem Schlafe sich ihre Leiden. Am Morgen befiehlt Odysseus der Gemahlin, sich einzuschließen, und geht mit dem Sohn und den Hirten zu Laertes hinaus.


Aber das Mütterchen stieg frohlockend empor in den Söller,

Um der Fürstin zu melden, ihr lieber Gemahl sei zu Hause;

Jugendlich strebten die Knie und hurtiger eilten die Schenkel.

Und sie trat zu dem Haupte der schlafenden Fürstin und sagte:

Wach auf, Penelopeia, geliebte Tochter, und schau es

Selber mit Augen, worauf du so lange geharret: Odysseus

Ist gekommen, Odysseus! Und wieder zu Hause, nun endlich!

Und hat alle Freier getötet, die hier im Palaste

Trotzten, sein Gut verschlangen und seinen Telemachos höhnten!

Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Liebe Mutter, dich haben die Götter betöret, die oftmal

Selbst die verständigsten Menschen in unverständige wandeln

Und einfältige oft mit hoher Weisheit erleuchten!

Diese verrückten gewiß auch deine richtigen Sinne.

Warum spottest du meiner, die so schon herzlich betrübt ist,

Und verkündest mir Lügen und weckst mich vom lieblichen Schlummer,

Welcher mir, ach so sanft, die lieben Wimpern bedeckte?[750]

Denn ich schlief noch nimmer so fest, seit Odysseus hinwegfuhr,

Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn Abscheu!

Aber nun steige hinab und geh in die untere Wohnung!

Hätte mir eine der andern, so viel auch Weiber mir dienen,

Solch ein Märchen verkündet und mich vom Schlummer erwecket,

Fürchterlich hätt ich sie gleich, die unwillkommene Botin,

Heimgesandt in den Saal! Dich rettet diesmal dein Alter!

Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:

Liebe Tochter, ich spotte ja nicht! Wahrhaftig, Odysseus

Ist gekommen und wieder zu Hause, wie ich dir sage!

Jener Fremdling, den alle so schändlich im Saale verhöhnten!

Und Telemachos wußte schon lange, daß er daheim sei;

Aber mit weisem Bedacht verschwieg er des Vaters Geheimnis,

Bis er den Übermut der stolzen Männer bestrafet.

Also sprach sie, und freudig entsprang die Fürstin dem Lager

Und umarmte die Alte, und Tränen umströmten ihr Antlitz.

Weinend begann sie jetzo und sprach die geflügelten Worte:

Liebes Mütterchen, sage mir doch die lautere Wahrheit!

Ist er denn wirklich zu Hause gekommen, wie du erzählest?

O wie hat er den Kampf mit den schamlosen Freiern vollendet,

Er allein mit so vielen, die hier sich täglich ergötzten?

Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:

Weder gesehn hab ich's, noch sonst erfahren, ich hörte

Bloß der Erschlagnen Geächz. Denn hinten in unserer Wohnung

Saßen wir alle voll Angst, bei festverriegelten Türen,

Bis mich endlich dein Sohn Telemachos aus dem Gemache

Rief; denn diesen hatte sein Vater gesandt, mich zu rufen.

Und nun fand ich Odysseus umringt von erschlagenen Leichen

Stehn, die hochgehäuft das schöngepflasterte Estrich

Weit bedeckten. O hättest du selbst die Freude gesehen,

Als er mit Blut und Staube besudelt stand wie ein Löwe!

Jetzo liegen sie alle gehäuft an der Pforte des Hofes;

Und er reinigt mit Schwefel bei angezündetem Feuer

Seinen prächtigen Saal und sendet mich her, dich zu rufen.

Folge mir denn, damit ihr die lieben Herzen einander

Wieder mit Freuden erfüllt, nachdem ihr so vieles erduldet.

Nun ist ja endlich geschehn, was ihr so lange gewünscht habt:[751]

Lebend kehret er heim zum Vaterherde und findet

Dich und den Sohn im Palast; und alle, die ihn beleidigt,

Alle Freier vertilgt' die schreckliche Rache des Königs.

Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Liebe Mutter, du mußt nicht so frohlocken und jauchzen!

Ach du weißt ja, wie herzlich erwünscht er allen im Hause

Käme, vor allem mir und unserm einzigen Sohne!

Aber es ist unmöglich geschehen, wie du erzählest!

Einer der Himmlischen hat die stolzen Freier getötet,

Durch die Greuel gereizt und die seelenkränkende Bosheit!

Denn sie ehrten ja keinen von allen Erdebewohnern,

Vornehm oder geringe, wer auch um Erbarmen sie ansprach.

Darum strafte sie Gott, die Freveler! Aber Odysseus,

Fern von Achaia verlor er die Heimkehr, ach! und sein Leben!

Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:

Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen!

Dein Gemahl, der schon unten am Herde sitzt, der kehret

Nimmer nach Hause zurück? O wie gar ungläubig dein Herz ist!

Nun, so sag ich dir jetzt ein entscheidendes Merkmal, die Narbe,

Die ein Eber ihm einst mit weißem Zahne gehauen.

Beim Fußwaschen nahm ich sie wahr und wollt' es dir selber

Sagen; allein er faßte mir schnell mit der Hand an die Gurgel

Und verhinderte mich mit weisem Bedachte zu reden.

Komm denn und folge mir jetzt. Denn ich verbürge mich selber,

Hab ich dir Lügen gesagt, des kläglichsten Todes zu sterben.

Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Liebe Mutter, den Rat der ewiglebenden Götter

Strebst du umsonst zu erforschen, obgleich du vieles verstehest.

Aber wir wollen doch zu meinem Sohne hinabgehn,

Daß ich die Leichname sehe der Freier, und wer sie getötet.

Also sprach sie und stieg hinab. Der Gehenden Herz schlug

Zweifelnd, ob sie den lieben Gemahl von ferne befragte

Oder entgegen ihm flög und Händ' und Antlitz ihm küßte.

Als sie nun über die Schwelle von glattem Marmor hineintrat,

Setzte sie fern an der Wand im Glanze des Feuers, Odysseus

Gegenüber, sich hin. An einer ragenden Säule

Saß er, die Augen gesenkt, und wartete, was sie ihm sagen[752]

Würde, die edle Gemahlin, da sie ihn selber erblickte.

Lange saß sie schweigend; ihr Herz war voller Erstaunens.

Jetzo glaubte sie schon sein Angesicht zu erkennen,

Jetzo verkannte sie ihn in seiner häßlichen Kleidung.

Aber Telemachos sprach unwillig zu Penelopeia:

Mutter, du böse Mutter von unempfindlicher Seele!

Warum sonderst du dich von meinem Vater und setzest

Dich nicht neben ihn hin und fragst und forschest nach allem?

Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle

So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal

Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!

Aber du trägst im Busen ein Herz, das härter als Stein ist!

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Lieber Sohn, mein Geist ist ganz in Erstaunen verloren,

Und ich vermag kein Wort zu reden oder zu fragen,

Noch ihm gerad ins Antlitz zu schaun! Doch ist er es wirklich,

Mein Odysseus, der wiederkam, so werden wir beide

Uns einander gewiß noch besser erkennen: wir haben

Unsre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt sind.

Sprach's, da lächelte sanft der herrliche Dulder Odysseus,

Wandte sich drauf zum Sohn und sprach die geflügelten Worte:

O Telemachos, laß die Mutter, so lange sie Lust hat,

Mich im Hause versuchen; sie wird bald freundlicher werden.

Weil ich so häßlich bin und mit schlechten Lumpen bekleidet,

Darum verachtet sie mich und glaubt, ich sei es nicht selber.

Aber wir müssen bedenken, was nun der sicherste Rat sei.

Denn hat jemand im Volk nur einen Menschen getötet,

Welcher, arm und geringe, nicht viele Rächer zurückläßt,

Flüchtet er doch und verläßt die Heimat und seine Verwandten;

Und wir erschlugen die Stütze der Stadt, der edelsten Männer

Söhne in Ithakas Reich. Dies überlege nun selber.

Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:

Lieber Vater, da mußt du allein zusehen; du bist ja

Unter den Menschen berühmt durch deine Weisheit, und niemand

Wagt es, sich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern!

Aber wir sind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdest

Mut in keinem vermissen, so viel die Kräfte gewähren.[753]

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Nun, so will ich denn sagen, was mir das beste zu sein dünkt.

Geht nun erstlich ins Bad und schmückt euch mit festlichem Leibrock;

Laßt dann die Weiber im Hause mit schönen Gewanden sich schmücken;

Aber der göttliche Sänger entlocke der klingenden Harfe

Melodien und beflügle den fröhlichhüpfenden Reigen:

Daß die Nachbarn umher und die auf der Gasse vorbeigehn

Sagen, wann sie es hören, man feire der Königin Hochzeit;

Und damit nicht eher der Ruf von dem Morde der Freier

Durch die Stadt sich verbreite, bevor wir das schattige Lustgut

Fern auf dem Land erreicht. Dort wollen wir ferner bedenken,

Welchen nützlichen Rat uns Zeus der Olympier eingibt.

Also sprach er. Sie hörten ihm alle mit Fleiß und gehorchten,

Gingen ins Bad und schmückten sich dann mit festlichem Leibrock.

Auch die Weiber kamen geschmückt. Der göttliche Sänger

Nahm die gewölbete Harf und reizte mit lieblichen Tönen

Alle zum süßen Gesang und schönnachahmenden Tanze,

Daß der hohe Palast ringsum von dem stampfenden Fußtritt

Fröhlicher Männer erscholl und schöngegürteter Weiber.

Und wer vorüberging, blieb horchend stehen und sagte:

Wahrlich, ein Freier macht mit der schönen Königin Hochzeit!

Konnte die böse Frau nicht ihres ersten Gemahles

Hohen Palast bewahren, bis er aus der Fremde zurückkehrt?

Also sprachen die Leute und wußten nicht, was geschehn war.

Aber den edelgesinnten Odysseus in seinem Palaste

Badet' Eurynome jetzt, die Schaffnerin, salbte mit Öl ihn

Und umhüllt' ihm darauf den prächtigen Mantel und Leibrock.

Siehe, sein Haupt umstrahlt' Athene mit göttlicher Anmut,

Schuf ihn höher und stärker an Wuchs und goß von dem Scheitel

Ringelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.

Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,

Welchen Hephaistos selbst und Pallas Athene die Weisheit

Vieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke:

Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.

Und er stieg aus dem Bad, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich,

Kam und setzte sich wieder auf seinen verlassenen Sessel

Gegenüber dem Sitz der edlen Gemahlin und sagte:[754]

Wunderliche, gewiß vor allen Weibern der Erde

Schufen die Himmlischen dir ein Herz so starr und gefühllos!

Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle

So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal

Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!

Aber bereite mein Bett, o Mütterchen, daß ich allein mich

Niederlege: denn diese hat wahrlich ein Herz von Eisen!

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Wunderlicher, mich hält so wenig Stolz wie Verachtung

Oder Befremden zurück; ich weiß recht gut, wie du aussahst,

Als du von Ithaka fuhrst im langberuderten Schiffe.

Aber wohlan, bereite sein Lager ihm, Eurykleia,

Außerhalb des schönen Gemachs, das er selber gebauet.

Setzt das zierliche Bette hinaus und leget zum Ruhen

Wollichte Felle hinein und prächtige Decken und Mäntel.

Also sprach sie zum Schein, den Gemahl zu versuchen. Doch zürnend

Wandte sich jetzt Odysseus zu seiner edlen Gemahlin:

Wahrlich, o Frau, dies Wort hat meine Seele verwundet!

Wer hat mein Bette denn anders gesetzt? Das könnte ja schwerlich

Selbst der erfahrenste Mann, wo nicht der Unsterblichen einer

Durch sein allmächtiges Wort es leicht von der Stelle versetzte;

Doch kein sterblicher Mensch, und trotzt' er in Kräften der Jugend,

Könnt es hinwegarbeiten! Ein wunderbares Geheimnis

War an dem künstlichen Bett, und ich selber baut es, kein andrer!

Innerhalb des Gehegs war ein weitumschattender Ölbaum,

Stark und blühenden Wuchses; der Stamm glich Säulen an Dicke.

Rings um diesen erbaut ich von dichtgeordneten Steinen

Unser Ehegemach und wölbte die obere Decke,

Und verschloß die Pforte mit festeinfugenden Flügeln.

Hierauf kappt ich die Äste des weitumschattenden Ölbaums

Und behaute den Stamm an der Wurzel, glättet ihn ringsum

Künstlich und schön mit dem Erz und nach dem Maße der Richtschnur,

Schnitzt ihn zum Fuße des Bettes und bohrt ihn rings mit dem Bohrer,

Fügete Bohlen daran und baute das zierliche Bette,

Welches mit Gold und Silber und Elfenbeine geschmückt war,

Und durchzog es mit Riemen von purpurfarbener Stierhaut.

Dies Wahrzeichen sag ich dir also. Aber ich weiß nicht,[755]

Frau, ob es noch so ist wie vormals, oder ob jemand

Schon den Fuß von der Wurzel gehaun und das Bette versetzt hat.

Also sprach er. Der Fürstin erzitterten Herz und Kniee,

Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus verkündet.

Weinend lief sie hinzu und fiel mit offenen Armen

Ihrem Gemahl um den Hals und küßte sein Antlitz und sagte:

Sei mir nicht bös, Odysseus! Du warst ja immer ein guter

Und verständiger Mann! Die Götter gaben uns Elend;

Denn zu groß war das Glück, daß wir beisammen in Eintracht

Unserer Jugend genössen und sanft dem Alter uns nahten!

Aber du mußt mir jetzo nicht darum zürnen noch gram sein,

Daß ich, Geliebter, dich nicht beim ersten Blicke bewillkommt!

Siehe, mein armes Herz war immer in Sorgen, es möchte

Irgendein Sterblicher kommen und mich mit täuschenden Worten

Hintergehn; es gibt ja so viele schlaue Betrüger!

Nimmer hätte der Fremdling die schöne argeiische Fürstin

Helena, Tochter von Zeus, zur heimlichen Liebe verleitet,

Hätte sie vorbedacht, daß die kriegrischen Söhne Achaias

Würden mit Feuer und Schwert sie zurück aus Ilion fordern.

Aber gereizt von der Göttin, erlag sie der schnöden Verführung

Und erwog nicht vorher in ihrem Herzen das nahe

Schreckensgericht, das auch uns so vielen Jammer gebracht hat!

Jetzo, da du, Geliebter, mir so umständlich die Zeichen

Unserer Kammer nennst, die doch kein Sterblicher sahe,

Sondern nur du und ich und die einzige Kammerbediente

Aktoris, welche mein Vater mir mitgab, als ich hieher zog,

[Die uns beiden die Pforte bewahrt des festen Gemaches:]

Jetzo besiegst du mein Herz, und alle Zweifel verschwinden.

Also sprach sie. Da schwoll ihm sein Herz von inniger Wehmut.

Weinend hielt er sein treues geliebtes Weib in den Armen.

So erfreulich das Land den schwimmenden Männern erscheinet,

Deren rüstiges Schiff der Erdumgürter Poseidon

Mitten im Meere durch Sturm und geschwollene Fluten zerschmettert

(Wenige nur entflohn dem dunkelwogenden Abgrund,

Schwimmen ans Land, ringsum vom Schlamme des Meeres besudelt,

Und nun steigen sie freudig, dem Tod entronnen, ans Ufer):

So erfreulich war ihr der Anblick ihres Gemahles.[756]

Und fest hielt sie den Hals mit weißen Armen umschlungen.

Und sie hätten vielleicht bis zur Morgenröte gejammert,

Aber ein andres beschloß die heilige Pallas Athene.

Denn sie hemmte die Nacht am Ende des Laufes und weilte

An des Ozeans Fluten, die goldenthronende Eos,

Und noch spannte sie nicht die schnellen leuchtenden Rosse

Lampos und Phaeton an, das Licht den Menschen zu bringen.

Aber zu seiner Gemahlin begann der weise Odysseus:

Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kämpfe

Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit,

Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden!

Also verkündigte mir des großen Teiresias Seele

Jenes Tages, da ich in Ais' Wohnung hinabstieg,

Forschend nach der Gefährten und meiner eigenen Heimkehr.

Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen, damit uns

Beide jetzo die Ruhe des süßen Schlafes erquicke.

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Jetzo wird dein Lager bereit sein, wann du es wünschest,

Da dir endlich die Götter verstatteten, wiederzukehren

In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde;

Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber,

Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk ich, doch einmal

Hören; so ist es ja wohl nicht schlimmer, ihn gleich zu erfahren.

Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Armes Weib, warum verlangst du, daß ich dir dieses

Sage? Ich will es dir denn verkünden und nichts dir verhehlen.

Freilich wird sich darob dein Herz nicht freuen; ich selber

Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher,

Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglättetes Ruder,

Immerfort, bis ich komme zu Menschen, welche das Meer nicht

Kennen und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,

Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen

Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.

Deutlich hat er sie mir bezeichnet, daß ich nicht irre.

Wenn ein Wanderer einst, der mir in der Fremde begegnet,

Sagt, ich trag eine Schaufel auf meiner rüstigen Schulter,

Dann soll ich dort in die Erde das schöngeglättete Ruder[757]

Stecken und Opfer bringen dem Meerbeherrscher Poseidon,

Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber;

Drauf zur Heimat kehren und opfern heilige Gaben

Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,

Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere

Kommen der Tod und mich, von hohem, behaglichem Alter

Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker

Froh und glücklich sind. Dies hat mir der Seher verkündet.

Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:

Nun, wenn dir von den Göttern ein frohes Alter bestimmt ist,

Können wir hoffen, du wirst dein Leiden glücklich vollenden.

Also besprachen diese sich jetzo untereinander.

Eurykleia indes und Eurynome breiteten emsig

Weiche Gewande zum Lager beim Scheine leuchtender Fackeln.

Und nachdem sie in Eile das warme Lager gebettet,

Ging die Alte zurück in ihre Kammer, zu ruhen.

Aber Eurynome führte den König und seine Gemahlin

Zu dem bereiteten Lager und trug die leuchtende Fackel;

Als sie die Kammer erreicht, enteilte sie. Jene bestiegen

Freudig ihr altes Lager, der keuschen Liebe geheiligt.

Aber Telemachos, der Rinderhirt und der Sauhirt

Ruhten jetzo vom fröhlichen Tanz, es ruhten die Weiber;

Und sie legten sich schlafen umher im dunklen Palaste.

Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet,

Wachten noch lang, ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.

Erst erzählte das göttliche Weib, wie viel sie im Hause

Von dem verwüstenden Schwarme der bösen Freier erduldet,

Wie sie um ihretwillen die fetten Rinder und Schafe

Scharenweise geschlachtet und frech im Weine geschwelget.

Dann erzählte der Held, wie vielen Jammer er andern

Menschen gebracht und wie viel er selber vom Schicksal erduldet.

Und die Königin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer

Sank auf die Augenlider, bevor er alles erzählet.

Und er begann, wie er erst die Kikonen bezwungen und hierauf

An der fruchtbaren Küste der Lotophagen gelandet.

Was der Kyklope getan, und wie er der edlen Gefährten

Tod bestraft, die er fraß, der unbarmherzige Wütrich.[758]

Und wie Aiolos ihn nach milder Bewirtung zur Heimfahrt

Ausgerüstet; allein die Stunde der fröhlichen Heimkehr

War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geschleudert,

Lautwehklagend zurück ins fischdurchwimmelte Weltmeer.

Wie er Telepylos dann und die Laistrygonen gesehen,

Wo er die rüstigen Schiffe und schön geharnischten Freunde

Alle verlor; nur er selber entrann mit dem schwärzlichen Schiffe.

Auch von Kirkes Betrug und Zauberkünsten erzählt' er,

Und wie er hingefahren in Aides' dumpfe Behausung,

Um des thebaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen,

Im vielrudrigen Schiff, und alle Freunde gesehen,

Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernährte.

Wie er dann den Gesang der holden Sirenen gehöret,

Dann die irrenden Klippen gesehn und die wilde Charybdis

Und die Skylla, die keiner noch unbeschädigt vorbeifuhr.

Dann, wie seine Gefährten die Sonnenrinder geschlachtet,

Und wie sein rüstiges Schiff der Gott hochrollender Donner,

Zeus, mit dem Blitze zerschmettert; es sanken die tapfern Genossen

Allzumal, nur er selber entfloh dem Schreckenverhängnis.

Wie er drauf gen Ogygia kam, zur Nymphe Kalypso,

Die ihn so lang aufhielt in ihrer gewölbeten Grotte

Und zum Gemahl ihn begehrte: sie reicht' ihm Nahrung und sagte

Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend;

Dennoch vermochte sie nicht, sein standhaftes Herz zu bewegen.

Wie er endlich nach großer Gefahr die Phaiaken erreichet,

Welche von Herzen ihn hoch wie einen Unsterblichen ehrten

Und ihn sandten im Schiffe zur lieben heimischen Insel,

Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern.

Und kaum hatt er das letzte gesagt, da beschlich ihn der süße

Sanftauflösende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend.

Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:

Als sie glaubte, der Held Odysseus habe nun endlich

Seine Seele in Lieb und süßem Schlafe gesättigt,

Rief sie vom Ozean schnell die goldenthronende Frühe,

Daß sie die finstere Welt erleuchtete. Aber Odysseus

Sprang vom schwellenden Lager und sprach zu seiner Gemahlin:

Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genüge[759]

Beide geschmeckt, da du so herzlich um meine Zurückkunft

Weintest und mich der Kronid und die andern Götter durch Unglück

Stets, wie sehr ich auch strebte, von meiner Heimat entfernten.

Jetzo, nachdem wir die Nacht der seligen Liebe gefeiert,

Sorge du für die Güter, die mir im Palaste geblieben;

Aber die Rinder und Schafe, die mir die Freier verschwelget,

Werden mir teils die Achaier ersetzen und andere werd ich

Beuten von fremden Völkern, bis alle Höfe gefüllt sind.

Jetzo geh ich hinaus, den guten Vater Laertes

Auf dem Lande zu sehn, der mich so herzlich bejammert.

Dir befehl ich, o Frau, zwar bist du selber verständig:

Gleich wenn die Sonn aufgeht, wird sicher der Ruf von den Freiern

Durch die Stadt sich verbreiten, die ich im Hause getötet;

Darum steig in den Söller und sitze dort unter den Weibern

Ruhig; siehe nach keinem dich um und rede mit keinem!

Also sprach er und panzerte sich mit schimmernder Rüstung,

Weckte Telemachos dann und beide Hirten vom Schlummer

Und gebot, in die Hand die Waffen des Krieges zu nehmen.

Diese gehorchten ihm schnell und standen in eherner Rüstung,

Schlossen die Pforte dann auf und gingen, geführt von Odysseus.

Schon umschimmerte Licht die Erde. Doch Pallas Athene

Führte sie schnell aus der Stadt, mit dichtem Nebel umhüllet.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 750-760.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Odyssee
Universal-Bibliothek Nr. 280: Odyssee
Odyssee
Ilias · Odyssee
Die Odyssee
Odyssee

Buchempfehlung

Haffner, Carl

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus ist eine berühmtesten Operetten von Johann Strauß, sie wird regelmäßig an großen internationalen Opernhäusern inszeniert. Der eingängig ironische Ton des Librettos von Carl Haffner hat großen Anteil an dem bis heute währenden Erfolg.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon