VIII. Gesang.

[534] Alkinoos empfiehlt dem versammelten Volke die Heimsendung des Fremdlings und ladet die Fürsten samt den Reisegefährten zum Gastmahl. Kampfspiele. Odysseus wirft die Scheibe. Tanz zu Demodokos' Gesang von Ares und Aphrodite. Andere Tänze. Odysseus wird beschenkt. Beim Abendschmaus singt Demodokos von dem hölzernen Roß; den weinenden Fremdling ersucht der König um seine Geschichte.


Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

Stand die heilige Macht Alkinoos' auf von dem Lager.

Auch Odysseus erhub sich, der göttliche Städtebezwinger.

Und die heilige Macht Alkinoos' führte den Helden

Zu der Phaiaken Markte, der bei den Schiffen erbaut war.

Allda setzten sie sich auf schöngeglättete Steine

Nebeneinander. Die Stadt durchwandelte Pallas Athene,

Gleich an Gestalt dem Herold des weisen Phaiakenbeherrschers;

Auf die Heimkehr denkend des großgesinnten Odysseus,

Ging sie umher und sprach zu jedem begegnenden Manne:

Auf und kommt, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger,

Zu dem Versammlungsplatz, des Fremdlings Bitte zu hören,

Welcher neulich im Hause des weisen Alkinoos ankam,

Hergestürmt von dem Meer, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich.

Also sprach sie, das Herz in aller Busen erregend.

Und es wimmelten schnell die Gäng' und Sitze des Marktes

Von dem versammelten Volk. Da schaueten viele bewundernd

Auf Laertes' erfindenden Sohn; denn Pallas Athene

Hatte mit göttlicher Hoheit ihm Haupt und Schultern umgossen,

Hatt ihn höher an Wuchs und jugendlicher gebildet,

Daß bei allen Phaiaken Odysseus Liebe gewönne,

Ehrenvoll und hehr, und aus den Spielen der Kämpfer

Siegreich ginge, womit die Phaiaken ihn würden versuchen.

Als die Versammelten jetzt in geschlossener Reihe sich drängten,

Hub Alkinoos an und redete zu der Versammlung:

Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger,

Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.

Dieser Fremdling (ich kenn ihn nicht) ist, irrend vom Morgen-

Oder vom Abendlande, zu meinem Hause gekommen

Und verlangt nun weiter und fleht um Bestimmung der Abfahrt.[535]

Laßt uns denn jetzo die Reise beschleunigen, wie wir gewohnt sind.

Denn kein Fremdling, der Schutz in meinen Wohnungen suchet,

Harret lange mit Seufzen, daß man zur Heimat ihn sende.

Auf! Wir wollen ein schwärzliches Schiff von den neusten am Strande

Wälzen ins heilige Meer und zweiundfünfzig der besten

Jüngling' im Volk erlesen, die sich schon vormals gezeiget!

Habt ihr die Ruder gehörig an euren Bänken befestigt,

Dann steigt wieder ans Land und stärkt euch in unserm Palaste

Schnell mit Speise zur Fahrt; ich will euch allen bereiten.

Dieses ist mein Befehl an die Jünglinge. Aber ihr andern

Zeptertragenden Fürsten, versammelt euch zu dem Palaste,

Daß wir den Fremdling zuvor in meinem Saale bewirten.

Niemand weigere sich! Ruft auch den göttlichen Sänger,

Unsern Demodokos her; denn ihm gab Gott überschwenglich

Süßen Gesang, wovon auch sein Herz zu singen ihn antreibt.

Also sprach er und ging. Die Zeptertragenden alle

Folgten ihm; und der Herold enteilte zum göttlichen Sänger.

Aber die zweiundfünfzig erlesenen Jünglinge gingen,

Nach des Königs Befehl, ans Ufer der wüsten Gewässer.

Als sie jetzo das Schiff am Strande des Meeres erreichten,

Zogen sie eilig das schwärzliche Schiff ins tiefe Gewässer,

Trugen den Mast hinein und die Segel des schwärzlichen Schiffes,

Hängten darauf die Ruder in ihre ledernen Wirbel,

Alles, wie sich's gehört, und spannten die schimmernden Segel.

Und sie stellten das Schiff im hohen Wasser des Hafens,

Gingen dann in die Burg des weisen Phaiakenbeherrschers.

Allda wimmelten schon die Säle, die Hallen und Höfe

Von den versammelten Gästen; es kamen Jüngling' und Greise.

Aber Alkinoos gab der Schar zwölf Schafe zum Opfer,

Acht weißzahnichte Schwein' und zween schwerwandelnde Stiere.

Diese zogen sie ab und bereiteten hurtig das Gastmahl.

Jetzo kam auch der Herold und führte den lieblichen Sänger,

Diesen Vertrauten der Muse, dem Gutes und Böses verliehn ward;

Denn sie nahm ihm die Augen und gab ihm süße Gesänge.

Und Pontonoos setzt' ihm den silberbeschlagenen Sessel

Mitten unter den Gästen an eine ragende Säule,

Hängte darauf an den Nagel die lieblichklingende Harfe[536]

Über des Sängers Haupt und führt' ihm die Hand, sie zu finden.

Vor ihn stellte der Herold den schönen Tisch und den Eßkorb

Und den Becher voll Weins, zu trinken, wann ihm beliebte.

Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.

Aber als die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,

Trieb die Muse den Sänger, das Lob der Helden zu singen.

Aus dem Liede, des Ruhm damals den Himmel erreichte,

Wählt' er Odysseus' Zank und des Peleiden Achilleus:

Wie sie einst miteinander am festlichen Mahle der Götter

Heftig stritten und sich der Führer des Heers Agamemnon

Herzlich freute beim Zwiste der tapfersten Helden Achaias.

Denn dies Zeichen war ihm von Phöbos Apollon geweissagt,

In der heiligen Pytho, da er die steinerne Schwelle

Forschend betrat; denn damals entsprang die Quelle der Trübsal

Für die Achaier und Troer, durch Zeus' des Unendlichen Ratschluß.

Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus

Faßte mit nervichten Händen den großen purpurnen Mantel,

Zog ihn über das Haupt und verhüllte sein herrliches Antlitz,

Daß die Phaiaken nicht die tränenden Wimpern erblickten.

Als den Trauergesang der göttliche Sänger geendigt,

Trocknet' er schnell der Tränen und nahm vom Haupte den Mantel,

Faßte den doppelten Becher und goß den Göttern des Weines.

Aber da jener von neuem begann und die edlen Phaiaken

Ihn zum Gesang ermahnten, vergnügt durch die reizenden Lieder,

Hüllt' Odysseus wieder sein Haupt in den Mantel und traurte.

Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne,

Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,

Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.

Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:

Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger.

Schon hat unsere Herzen das gleichverteilete Gastmahl

Und die Harfe gelabt, des festlichen Mahles Gespielin;

Laßt uns denn jetzt aufstehen und alle Kämpfe beginnen,

Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,

Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind

In dem Kampfe der Faust, im Ringen, im Sprung und im Wettlauf.

Also sprach er und ging; es folgten ihm alle Phaiaken.[537]

Aber der Herold hängt' an den Nagel die klingende Harfe,

Faßte Demodokos' Hand und führt' ihn aus dem Palaste,

Ging dann vor ihm einher des Weges, welchen die andern

Edlen des Volkes gingen, zu schauen die Spiele der Kämpfer.

Und sie eilten, verfolgt vom großen Getümmel des Volkes,

Auf den Markt. Da erhuben sich viele der Edlen zum Wettkampf,

Stand Akroneos auf, Okyalos dann und Elatreus,

Nauteus dann und Prymneus, Anchialos dann und Eretmeus,

Anabesineos dann und Ponteus, Proreus und Thoon,

Auch Amphialos, Sohn von Tektons Sohn Polyneos,

Und Euryalos, gleich dem menschenvertilgenden Kriegsgott;

Auch Naubolides kam, an Wuchs und Bildung der schönste

Aller schönen Phaiaken; Laodamas einzig war schöner.

Drauf erhuben sich drei von Alkinoos' trefflichen Söhnen,

Erst Laodamas, Halios dann und der Held Klytoneos.

Diese versuchten zuerst miteinander die Schnelle der Füße.

Ihnen ward von dem Stande das Ziel gemessen, und eilend

Flogen sie alle mit einmal dahin durch die stäubende Laufbahn.

Aber alle besiegte der edle Held Klytoneos.

So viel Raum vor den Stieren die pflügenden Mäuler gewinnen,

So weit eilte der Held vor den übrigen Läufern zum Ziele.

Andre versuchten darauf im mühsamen Ringen die Kräfte,

Und Euryalos ging von allen Siegern ein Sieger.

Aber Amphialos war im Sprunge von allen der beste;

Und die Scheibe zu werfen der beste von allen Elatreus;

Und im Kampfe der Faust besiegte Laodamas alle.

Als die Kämpfer ihr Herz mit den edlen Spielen erfreuet,

Sprach Alkinoos' Sohn Laodamas zu der Versammlung:

Freunde, kommt und fragt den Fremdling, ob er auch ehmals

Kämpfe gelernt und versteht. Unedel ist seine Gestalt nicht,

Seine Lenden und Schenkel und beide nervichten Arme

Und die hohe Brust und der starke Nacken; auch Jugend

Mangelt ihm nicht! Doch hat ihn vielleicht sein Leiden entkräftet;

Denn nichts Schrecklichers ist mir bekannt als die Schrecken des Meeres,

Einen Mann zu verwüsten, und wär er auch noch so gewaltig.

Ihm antwortete drauf Euryalos wieder und sagte:

Wahrlich mit großem Rechte, Laodamas, hast du geredet.[538]

Gehe nun selbst und fordre ihn auf und reiz ihn mit Worten!

Als der treffliche Sohn Alkinoos' solches vernommen,

Ging er schnell in die Mitte des Volks und sprach zu Odysseus:

Fremder Vater, auch du mußt dich in den Kämpfen versuchen,

Hast du deren gelernt; und sicher verstehst du den Wettkampf.

Denn kein größerer Ruhm verschönt ja das Leben der Menschen,

Als den ihnen die Stärke der Händ' und Schenkel erstrebet.

Auf denn, versuch es einmal und wirf vom Herzen den Kummer.

Deine Reise, die wird nicht lange mehr dauern; das Schiff ist

Schon ins Wasser gesenkt und bereit sind deine Gefährten.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Warum fordert ihr mich, Laodamas, höhnend zum Wettkampf?

Meine Trübsal liegt mir näher am Herzen als Kämpfe.

Denn ich habe schon vieles erduldet, schon vieles erlitten;

Und nun sitz ich hier in eurer Heldenversammlung,

Heimverlangend, und flehe dem König und allen Phaiaken.

Und Euryalos gab ihm diese schmähende Antwort:

Nein, wahrhaftig, o Fremdling, du scheinst mir kein Mann, der auf Kämpfe

Sich versteht, so viele bei edlen Männern bekannt sind,

Sondern so einer, der stets vielrudrichte Schiffe befähret,

Etwa ein Führer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt,

Wo du die Ladung besorgst und jegliche Ware verzeichnest

Und den erscharrten Gewinst! Ein Kämpfer scheinst du mitnichten!

Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:

Fremdling, du redest nicht fein; du scheinst mir ein trotziger Jüngling.

Wisse, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut

Allen sterblichen Menschen, Gestalt und Weisheit und Rede.

Denn wie mancher erscheint in unansehnlicher Bildung,

Aber es krönet Gott die Worte mit Schönheit, und alle

Schaun mit Entzücken auf ihn; er redet sicher und treffend,

Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Versammlung;

Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmlischer wird er betrachtet.

Mancher andere scheint den Unsterblichen ähnlich an Bildung,

Aber seinen Worten gebricht die krönende Anmut.

Also prangst auch du mit reizender Bildung; nicht schöner

Bildete selber ein Gott: doch dein Verstand ist nur eitel.

Siehe, du hast mir das Herz in meinem Busen empöret,[539]

Weil du nicht billig sprachst! Ich bin kein Neuling im Wettkampf,

Wie du eben geschwatzt; ich rühmte mich einen der ersten,

Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute.

Jetzt umringt mich Kummer und Not; denn vieles erduldet

Hab ich in Schlachten des Kriegs und den schrecklichen Wogen des Meeres.

Aber auch jetzt, so entkräftet ich bin, versuch ich den Wettstreit!

Denn an der Seele nagt mir die Red, und du hast mich gefordert!

Sprach's, und mitsamt dem Mantel erhub er sich, faßte die Scheibe,

Welche größer und dicker und noch viel schwerer an Wucht war,

Als womit die Phaiaken sich untereinander ergötzten.

Diese schwang er im Wirbel und warf mit der nervichten Rechten,

Und hinsauste der Stein. Da bückten sich eilig zur Erden

Alle Phaiaken, die Führer der langberuderten Schiffe,

Unter dem stürmenden Stein. Weit über die Zeichen der andern

Flog er, geschnellt von der Faust. Und Athene setzte das Merkmal,

Eines Mannes Gestalt nachahmend, und sprach zu Odysseus:

Selbst ein blinder Mann mit tappenden Händen, o Fremdling,

Fände dein Zeichen heraus; denn nicht vermischt mit der Menge,

Weit vor den übrigen ist es! In diesem Kampfe sei sicher!

Kein Phaiake wird dich erreichen oder besiegen.

Also rief ihm die Göttin. Der herrliche Dulder Odysseus

Freute sich, einen gewogenen Mann im Volke zu sehen,

Und mit leichterem Herzen begann er zu den Phaiaken:

Schleudert jetzo mir nach, ihr Jünglinge! Bald soll die andre,

Hoff ich, ebenso weit, vielleicht noch weiter entfliegen!

Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,

Komm und versuch ihn mit mir, denn ihr habt mich höchlich beleidigt!

Auf die Faust, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!

Jeder phaiakische Mann, nur nicht Laodamas, komme!

Denn er ist mein Wirt! Wer kämpfte mit seinem Beschützer?

Wahrlich, vernunftlos ist und keines Wertes der Fremdling,

Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn speiset und herbergt,

Zum Wettkampfe beruft; er opfert sein eigenes Wohl hin.

Sonst werd ich keinen von euch ausschlagen oder verachten,

Sondern jeden erkennen und seine Stärke versuchen.

So gar schlecht bin ich, traun! in keinem Kampfe der Männer!

Wohl versteh ich die Kunst, den geglätteten Bogen zu spannen;[540]

Ja, ich träfe zuerst im Haufen feindlicher Männer

Meinen Mann mit dem Pfeil, und stünden auch viele Genossen

Neben mir und zielten mit straffem Geschoß auf die Feinde.

Philoktetes allein übertraf mich an Kunde des Bogens,

Als vor Ilions Stadt wir Achaier im Schnellen uns übten.

Doch vor den übrigen Schützen behaupt ich selber den Vorrang,

So viel Sterbliche jetzo die Frucht des Halmes genießen.

Denn mit der Vorzeit Helden verlang ich keine Vergleichung,

Weder mit Eurytos, dem Öchalier, noch mit Herakles,

Die den Unsterblichen sich an Bogenkunde verglichen.

Drum starb Eurytos auch so plötzlich, ehe das Alter

Ihn im Hause beschlich; denn zürnend erschoß ihn Apollon,

Weil er ihn selbst, der Vermeßne, zum Bogenstreite gefordert.

Und mit dem Wurfspieß treff ich so weit als kein andrer mit Pfeilen.

Bloß an Schnelle der Füße besorg ich, daß der Phaiaken

Einer vielleicht mich besiege. So über die Maßen entkräftet

Hat mich das stürmende Meer! Denn ich saß nicht eben mit Zehrung

Reichlich versorgt im Schiff; drum schwand die Stärke den Gliedern.

Also sprach er, und alle verstummten umher und schwiegen.

Endlich hub Alkinoos an und sprach zu Odysseus:

Fremdling, wir sagen dir Dank, daß du uns solches verkündest

Und die glänzende Tugend uns aufhüllst, die dich begleitet,

Zürnend, weil dieser Mann dich vor den Kämpfern geschmäht hat.

Künftig soll deine Tugend gewiß kein Sterblicher tadeln,

Welcher Verstand besitzt, anständige Worte zu reden!

Aber höre nun auch mein Wort, damit du es andern

Helden erzählen kannst, wann du in deinem Palaste

Sitzest bei deinem Weib und deinen Kindern am Mahle

Und dich unserer Tugend und unserer Taten erinnerst,

Welche beständig Zeus von der Väter Zeiten uns anschuf.

Denn wir suchen kein Lob im Faustkampf oder im Ringen;

Aber die hurtigsten Läufer sind wir und die trefflichsten Schiffer,

Lieben nur immer den Schmaus, den Reigentanz und die Laute,

Oft veränderten Schmuck und warme Bäder und Ruhe.

Auf denn und spielt vor uns, ihr besten phaiakischen Tänzer,

Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,

Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind[541]

In der Lenkung des Schiffes, im Lauf, im Tanz und Gesange.

Einer gehe geschwind und hole die klingende Harfe

Für Demodokos her, die in unserem Hause wo lieget.

Also sagte der Held Alkinoos. Aber der Herold

Eilte zur Königsburg, die klingende Harfe zu holen.

Jetzo erhuben sich auch die neun Kampfrichter vom Sitze,

Welche das Volk bestellt, die edlen Spiele zu ordnen,

Maßen und ebneten schnell die schöne Fläche des Reigens.

Aber der Herold kam und brachte die klingende Harfe

Für Demodokos her. Er trat in die Mitte, und um ihn

Standen die blühenden Jüngling', erfahren im bildenden Tanze;

Und mit gemessenen Tritten entschwebten sie. Aber Odysseus

Sah voll stiller Bewundrung die fliegende Eile der Füße.

Lieblich rauschte die Harfe; dann hub der schöne Gesang an.

Ares' Liebe besang und Aphroditens der Meister,

Wie sich beide zuerst in Hephaistos' prächtiger Wohnung

Heimlich vermischt. Viel schenkte der Gott und entehrte des hohen

Feuerbeherrschers Lager. Doch plötzlich bracht ihm die Botschaft

Helios, der sie gesehn in ihrer geheimen Umarmung.

Aber sobald Hephaistos die kränkende Rede vernommen,

Eilet' er schnell in die Esse, mit rachevollen Entwürfen,

Stellt' auf den Block den gewaltigen Amboß und schmiedete starke,

Unauflösliche Ketten, um fest und auf ewig zu binden.

Und nachdem er das trügliche Werk im Zorne vollendet,

Ging er in das Gemach, wo sein Hochzeitbette geschmückt war,

Und verbreitete rings um die Pfosten kreisende Bande;

Viele spannt' er auch oben herab vom Gebälke der Kammer,

Zart wie Spinnengewebe, die keiner zu sehen vermöchte

Selbst von den seligen Göttern, so wunderfein war die Arbeit!

Und nachdem er den ganzen Betrug um das Lager verbreitet,

Ging er gleichsam zur Stadt der schöngebaueten Lemnos,

Die er am meisten liebt' von allen Ländern der Erde.

Ares schlummerte nicht, der Gott mit goldenen Zügeln,

Als er verreisen sahe den kunstberühmten Hephaistos.

Eilend ging er zum Hause des klugen Feuerbeherrschers,

Hingerissen von Liebe zu seiner schönen Gemahlin.

Aphrodite war eben vom mächtigen Vater Kronion[542]

Heimgekehrt und saß. Er aber ging in die Wohnung,

Faßte der Göttin Hand und sprach mit freundlicher Stimme:

Komm, Geliebte, zu Bette, der süßen Ruhe zu pflegen!

Denn Hephaistos ist nicht daheim; er wandert vermutlich

Zu den Sintiern jetzt, den rauhen Barbaren in Lemnos.

Also sprach er, und ihr war sehr willkommen die Ruhe.

Und sie bestiegen das Lager und schlummerten. Plötzlich umschlangen

Sie die künstlichen Bande des klugen Erfinders Hephaistos,

Und sie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben.

Aber sie merkten es erst, da ihnen die Flucht schon gehemmt war.

Jetzo nahte sich ihnen der hinkende Feuerbeherrscher.

Dieser kehrte zurück, bevor er Lemnos erreichte;

Denn der lauschende Gott der Sonne sagt' ihm die Tat an.

Eilend ging er zu Hause mit tief bekümmerter Seele,

Stand in dem Vorsaal still, und der rasende Eifer ergriff ihn.

Fürchterlich ruft' er aus, und alle Götter vernahmen's:

Vater Zeus und ihr andern unsterblichen seligen Götter,

Kommt und schaut den abscheulichen unausstehlichen Frevel,

Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus', Aphrodite,

Jetzo auf immer beschimpft und Ares den Bösewicht herzet;

Darum, weil jener schön ist und grade von Beinen, ich aber

Solche Krüppelgestalt! Doch keiner ist schuld an der Lähmung

Als die Eltern allein! O hätten sie nimmer gezeuget!

Aber seht doch, wie beid in meinem eigenen Bette

Ruhn und der Wollust pflegen! Das Herz zerspringt mir beim Anblick!

Künftig möchten sie zwar auch nicht ein Weilchen so liegen!

Wie verbuhlt sie auch sind, sie werden nicht wieder verlangen,

So zu ruhn! Allein ich halte sie fest in der Schlinge,

Bis der Vater zuvor mir alle Geschenke zurückgibt,

Die ich als Bräutigam gab für sein schamloses Gezüchte!

Seine Tochter ist schön, allein unbändigen Herzens!

Also sprach er. Da eilten zum ehernen Hause die Götter:

Poseidaon kam, der Erdumgürter; und Hermes

Kam, der Bringer des Heils; es kam der Schütze Apollon.

Aber die Göttinnen blieben vor Scham in ihren Gemächern.

Jetzo standen die Götter, die Geber des Guten, im Vorsaal,

Und ein langes Gelächter erscholl bei den seligen Göttern,[543]

Als sie die Künste sahn des klugen Erfinders Hephaistos.

Und man wendete sich zu seinem Nachbar und sagte:

Böses gedeihet doch nicht; der Langsame haschet den Schnellen!

Also ertappt Hephaistos, der Langsame, jetzo den Ares,

Welcher am hurtigsten ist von den Göttern des hohen Olympos,

Er, der Lahme, durch Kunst. Nun büßt ihm der Ehebrecher!

Also besprachen sich die Himmlischen untereinander.

Aber zu Hermes sprach Zeus' Sohn, der Herrscher Apollon:

Hermes, Zeus' Gesandter und Sohn, du Geber des Guten,

Hättest du auch wohl Lust, von so starken Banden gefesselt,

In dem Bette zu ruhn bei der goldenen Aphrodite?

Ihm erwiderte darauf der geschäftige Argosbesieger:

O geschähe doch das, ferntreffender Herrscher Apollon!

Fesselten mich auch dreimal so viel unendliche Bande,

Und ihr Götter sähet es an und die Göttinnen alle,

Siehe, so schlief' ich doch bei der goldenen Aphrodite!

Also sprach er; da lachten laut die unsterblichen Götter.

Nur Poseidon lachte nicht mit; er wandte sich bittend

Zum kunstreichen Hephaistos, den Kriegsgott wieder zu lösen.

Und er redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Lös ihn! Ich stehe dafür: er soll, wie du es verlangest,

Vor den unsterblichen Göttern dir alles bezahlen, was recht ist.

Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:

Fordere solches nicht, du Erdumgürter Poseidon!

Elende Sicherheit gibt von Elenden selber die Bürgschaft.

Sage, wie könnt ich dich vor den ewigen Göttern verbinden,

Flöhe nun Ares fort, der Schuld und den Banden entrinnend?

Ihm erwiderte drauf der Erderschüttrer Poseidon:

Nun, Hephaistos, wofern denn auch Ares fliehend hinwegeilt,

Um der Schuld zu entgehn, ich selbst will dir dieses bezahlen!

Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:

Unrecht wär es und grob, dir deine Bitte zu weigern.

Also sprach er und löste das Band, der starke Hephaistos.

Und kaum fühlten sich beide der mächtigen Fessel entledigt,

Sprangen sie hurtig empor. Der Kriegsgott eilte gen Thrake.

Aber nach Kypros ging Aphrodite, die Freundin des Lächelns,

In den paphischen Hain, zum weihrauchduftenden Altar.[544]

Allda badeten sie die Charitinnen und salbten

Sie mit ambrosischem Öle, das ewige Götter verherrlicht;

Schmückten sie dann mit schönen und wundervollen Gewanden.

Also sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus

Freute sich des Gesangs von Herzen; es freuten sich mit ihm

Alle Phaiaken, die Führer der langberuderten Schiffe.

Und Alkinoos hieß den mutigen Halios einzeln

Mit Laodamas tanzen, weil keiner mit ihnen sich wagte.

Diese nahmen sogleich den schönen Ball in die Hände,

Welchen Polybos künstlich aus purpurner Wolle gewirket.

Einer schleuderte diesen empor zu den schattigen Wolken,

Rückwärts gebeugt; dann sprang der andere hoch von der Erde

Auf und fing ihn behend, eh sein Fuß den Boden berührte.

Und nachdem sie den Ball gradauf zu schleudern versuchet,

Tanzten sie schwebend dahin auf der allernährenden Erde,

Mit oft wechselnder Stellung; die anderen Jünglinge klappten

Rings im Kreise dazu; es stieg ein lautes Getös auf.

Und zu Alkinoos sprach der göttergleiche Odysseus:

Weitgepriesener Held Alkinoos, mächtigster König!

Siehe, du rühmtest dich der trefflichsten Tänzer auf Erden,

Und du behauptest den Ruhm! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick.

Aber die heilige Macht Alkinoos' freute sich innig,

Und er redete schnell zu den ruderliebenden Männern:

Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger!

Dieser Fremdling scheint mir ein Mann von großem Verstande.

Laßt uns ihm ein Geschenk, wie das Gastrecht fordert, verehren.

Denn in unserm Volke sind zwölf ehrwürdige Fürsten,

Welche Gerechtigkeit üben, und mir gehorchen die zwölfe.

Jeder von diesen hole nun einen Mantel und Leibrock,

Sauber und fein, samt einem Talente des köstlichen Goldes.

Dieses wollen wir alle zugleich dem Fremdlinge bringen,

Daß er fröhlichen Mutes zum Abendschmause sich setze.

Aber Euryalos soll mit Worten und mit Geschenken

Ihn versöhnen; denn nicht anständig hat er geredet.

Also sprach der König, und alle riefen ihm Beifall.

Schnell die Geschenke zu holen, entsandte jeder den Herold.

Aber Euryalos gab dem Könige dieses zur Antwort:[545]

Weitgepriesener Held Alkinoos, mächtigster König!

Gerne will ich den Gast versöhnen, wie du befiehlest,

Und dies Schwert ihm verehren. Die Kling ist von Erze geschmiedet

Und von Silber das Heft, die elfenbeinerne Scheide

Neu vom Künstler geglättet. Es wird nicht wenig ihm wert sein.

Also sprach er und reicht' ihm das Schwert mit silbernen Buckeln;

Und er redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Freue dich, Vater und Gast! Und fiel ein kränkendes Wort hier

Unter uns vor, so mögen es schnell die Stürme verwehen!

Dir verleihn die Götter, die Heimat und deine Gemahlin

Wieder zu sehn, nachdem du so lang in Trübsal umherirrst!

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Auch du freue dich, Lieber; dich segnen die Götter mit Heile!

Und du müssest hinfort des Schwertes nimmer bedürfen,

Welches du mir anjetzt mit versöhnenden Worten gereicht hast!

Sprach's und hängt' um die Schulter das Schwert mit silbernen Buckeln.

Und die Sonne sank, da kamen die schönen Geschenke.

Edle Herolde trugen sie schnell zu Alkinoos' Wohnung.

Hier empfingen und legten Alkinoos' treffliche Söhne

Bei der Mutter sie hin, die köstlichen Ehrengeschenke.

Aber die heilige Macht Alkinoos' führte die andern;

Und sie kamen und setzten auf hohen Thronen sich nieder.

Und die heilige Macht Alkinoos' sprach zu Arete:

Komm, Geliebte, und bring die beste der zierlichen Laden,

Lege darein den schöngewaschenen Mantel und Leibrock.

Dann setzt Wasser zum Sieden im ehernen Kessel aufs Feuer,

Daß er, wenn er zuvor sich gebadet und nebeneinander

Alle Geschenke gesehn der tadellosen Phaiaken,

Froher genieße des Mahls und froher horche dem Liede.

Dieses schöne Gefäß von Golde will ich ihm schenken,

Daß er in seinem Palaste für Zeus und die übrigen Götter

Opfer gieße und sich beständig meiner erinnre.

Also sprach er; und schnell gebot Arete den Mägden,

Eilend ein groß dreifüßig Geschirr aufs Feuer zu setzen.

Und sie setzten das Badegeschirr auf das lodernde Feuer,

Gossen Wasser hinein und legten Holz an die Flamme;

Rings umschlug sie den Bauch des Geschirrs, und es kochte das Wasser.[546]

Aber die Königin brachte dem Fremdling die zierliche Lade

Aus der Kammer hervor und legte die schönen Geschenke,

Gold und Kleider, hinein, was ihm die Phaiaken gegeben,

Legte darauf den Mantel hinein und den prächtigen Leibrock.

Und sie redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Siehe nun selbst den Deckel und schürze behende den Knoten,

Daß dich keiner beraub auf der Heimfahrt, während du etwa

In dem schwärzlichen Schiffe des süßen Schlummers genießest.

Als er dieses vernommen, der herrliche Dulder Odysseus,

Fügt' er den Deckel auf und schürzte behende den Knoten,

Dessen geheime Kunst ihn die mächtige Kirke gelehret.

Und die Schaffnerin kam und bat ihn, eilig zum Baden

In die Wanne zu steigen. Ein herzerfreuender Anblick

War ihm das warme Bad; denn keiner Pflege genoß er,

Seit er die Wohnung verließ der schöngelockten Kalypso;

Dort ward seiner beständig wie eines Gottes gepfleget.

Als ihn die Mägde jetzo gebadet, mit Öle gesalbet

Und ihm die Kleider umhüllt, den Mantel und prächtigen Leibrock,

Stieg er hervor aus dem Bad und ging zu den trinkenden Männern.

Aber Nausikaa stand, geschmückt mit göttlicher Schönheit,

An der hohen Pforte des schöngewölbeten Saales

Und betrachtete wundernd den göttergleichen Odysseus;

Und sie redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Lebe wohl, o Fremdling, und bleib in der Heimat auch meiner

Eingedenk, da du mir zuerst dein Leben verdanktest.

Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

O Nausikaa, Tochter des edlen Phaiakenbeherrschers,

Lasse mich jetzo nur Zeus, der donnernde Gatte der Here,

Glücklich zur Heimat kehren und schaun den Tag der Zurückkunft!

Täglich werd ich auch dort, wie einer Göttin, voll Ehrfurcht

Dir danksagen; du hast mein Leben gerettet, o Jungfrau!

Also sprach er und setzte sich hin zur Seite des Königs.

Jene teileten schon das Fleisch und mischten des Weines.

Aber der Herold kam und führte den lieblichen Sänger,

Welchen die Völker verehrten, Demodokos, näher, und setzte

Ihn in die Mitte des Saals, an die hohe Säule gelehnet.[547]

Und dem Herolde rief der erfindungsreiche Odysseus

Und zerteilte den Rücken, sein großes ehrendes Anteil

Vom weißzahnigen Schweine, mit frischem Fette bewachsen:

Herold, reiche dies Fleisch Demodokos hin, daß er esse.

Gerne möcht ich ihm Liebes erweisen, wie sehr ich auch traure.

Alle sterblichen Menschen der Erde nehmen die Sänger

Billig mit Achtung auf und Ehrfurcht; selber die Muse

Lehrt sie den hohen Gesang und waltet über die Sänger.

Also sprach Odysseus. Der Herold reicht' es dem edlen

Helden Demodokos hin; er nahm's und freute sich herzlich.

Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.

Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,

Und zu Demodokos sprach der erfindungsreiche Odysseus:

Wahrlich, vor allen Menschen, Demodokos, achtet mein Herz dich!

Dich hat die Muse gelehrt, Zeus' Tochter oder Apollon!

So zum Erstaunen genau besingst du das Schicksal der Griechen,

Alles was sie getan und erduldet im mühsamen Kriegszug,

Gleich als hättest du selbst es gesehen oder gehöret.

Fahre nun fort und singe des hölzernen Rosses Erfindung,

Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene

Und zum Betrug in die Burg einführte der edle Odysseus,

Mit bewaffneten Männern gefüllt, die Troja bezwangen.

Wenn du mir dieses auch mit solcher Ordnung erzählest,

Siehe, dann will ich sofort es allen Menschen verkünden,

Daß ein waltender Gott den hohen Gesang dir verliehn hat.

Sprach's, und eilend begann der gottbegeisterte Sänger,

Wie das Heer der Achaier in schöngebordeten Schiffen

Von dem Gestade fuhr, nach angezündetem Lager.

Aber die andern, geführt vom hochberühmten Odysseus,

Saßen, von Troern umringt, im Bauche des hölzernen Rosses,

Welches die Troer selbst in die Burg von Ilion zogen.

Allda stand nun das Roß, und ringsum saßen die Feinde,

Hin und her ratschlagend. Sie waren dreifacher Meinung:

Diese, das hohle Gebäude mit grausamem Erze zu spalten;

Jene, es hoch auf den Felsen zu ziehn und herunter zu schmettern;

Andre, es einzuweihn zum Sühnungsopfer der Götter.[548]

Und der letzteren Rat war bestimmt, erfüllet zu werden.

Denn das Schicksal beschloß Verderben, wann Troja das große

Hölzerne Roß aufnähme, worin die tapfersten Griechen

Alle saßen und Tod und Verderben gen Ilion brachten.

Und er sang, wie die Stadt von Achaias Söhnen verheert ward,

Welche dem hohlen Bauche des trüglichen Rosses entstürzten;

Sang, wie sie hier und dort die stolze Feste bestürmten,

Und wie Odysseus schnell zu des edlen Deiphobos Wohnung

Eilte, dem Kriegsgott gleich, samt Atreus' Sohn Menelaos,

Und wie er dort voll Mutes dem schrecklichsten Kampfe sich darbot,

Aber zuletzt obsiegte, durch Hilfe der hohen Athene.

Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus

Schmolz in Wehmut, Tränen benetzten ihm Wimpern und Wangen.

Also weinet ein Weib und stürzt auf den lieben Gemahl hin,

Der vor seiner Stadt und vor seinem Volke dahinsank,

Streitend, den grausamen Tag von der Stadt und den Kindern zu fernen;

Jene sieht ihn jetzt mit dem Tode ringend und zuckend,

Schlingt sich um ihn und heult laut auf; die Feinde von hinten

Schlagen wild mit der Lanze den Rücken ihr und die Schultern,

Binden und schleppen als Sklavin sie fort zu Jammer und Arbeit,

Und im erbärmlichsten Elend verblühn ihr die reizenden Wangen:

So zum Erbarmen entstürzt' Odysseus' Augen die Träne.

Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne;

Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,

Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.

Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:

Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger,

Und Demodokos halte nun ein mit der klingenden Harfe;

Denn nicht alle horchen mit Wohlgefallen dem Liede.

Seit wir sitzen am Mahl und der göttliche Sänger uns vorsingt,

Hat er nimmer geruht von seinem trauernden Grame,

Unser Gast; ihm drückt wohl ein schwerer Kummer die Seele.

Jener halte denn ein! Wir wollen alle vergnügt sein,

Gast und Wirte zugleich; denn solches fordert der Wohlstand.

Für den edlen Fremdling ist diese Feier, des Schiffes

Rüstung und die Geschenke, die wir aus Freundschaft ihm geben.[549]

Lieb wie ein Bruder ist ein hilfeflehender Fremdling

Jedem Manne, des Herz auch nur ein wenig empfindet!

Drum verhehle mir nicht durch schlauersonnene Worte,

Was ich jetzo dich frage. Auch dieses fordert der Wohlstand.

Sage, mit welchem Namen benennen dich Vater und Mutter,

Und die Bürger der Stadt, und welche rings dich umwohnen?

Denn ganz namenlos bleibt doch unter den Sterblichen niemand,

Vornehm oder gering, wer einmal von Menschen gezeugt ward,

Sondern man nennet jeden, sobald ihn die Mutter geboren.

Sage mir auch dein Land, dein Volk und deine Geburtsstadt,

Daß, dorthin die Gedanken gelenkt, die Schiffe dich bringen.

Denn der Phaiaken Schiffe bedürfen keiner Piloten,

Nicht des Steuers einmal, wie die Schiffe der übrigen Völker,

Sondern sie wissen von selbst der Männer Gedanken und Willen,

Wissen nah und ferne die Städt' und fruchtbaren Länder

Jeglichen Volks und durchlaufen geschwinde die Fluten des Meeres,

Eingehüllt in Nebel und Nacht. Auch darf man nicht fürchten,

Daß das stürmende Meer sie beschädige oder verschlinge.

Nur erzählete mir mein Vater Nausithoos ehmals,

Daß uns Poseidaon der Erderschütterer zürne,

Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleiten;

Dieser würde dereinst ein rüstiges Schiff der Phaiaken,

Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere

Plötzlich verderben und rings um die Stadt ein hohes Gebirg ziehn.

So weissagte der Greis; der Gott vollende nun solches

Oder vollend es nicht, wie es seinem Herzen gelüstet!

Aber verkündige mir und sage die lautere Wahrheit:

Welche Länder bist du auf deinem Irren durchwandert,

Und wie fandest du dort die Völker und prächtigen Städte?

Welche schwärmten noch wild als sittenlose Barbaren?

Welche dienten den Göttern und liebten das heilige Gastrecht?

Sage mir auch, was weinst du und warum traurst du so herzlich,

Wenn du von der Achaier und Ilions Schicksale hörest?

Dieses beschloß der Unsterblichen Rat und bestimmte der Menschen

Untergang, daß er würd ein Gesang der Enkelgeschlechter.

Sank vielleicht auch dir in Ilions blutigen Schlachten[550]

Irgendein edler Verwandter, ein Eidam oder ein Schwäher,

Welche die Nächsten uns sind nach unserem Blut und Geschlechte?

Oder etwa ein tapferer Freund von gefälligem Herzen?

Denn fürwahr, nicht geringer als selbst ein leiblicher Bruder

Ist ein treuer Freund, verständig und edler Gesinnung.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 534-551.
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