|
[148] Ich begreife nicht recht klar, warum Sie die kleine Geschichte meines Lebens, die so unbedeutend ist, die so bald für die Welt ganz aufhören wird, schriftlich von mir haben wollen. Ist es ein mitleidiger Kunstgriff, mir durch die ungewohnte Beschäftigung, zusammenhängend über einen Gegenstand zu schreiben, meine Trennung von Ihnen erträglich zu machen? Der mislingt, meine Freundin! ich werde noch um so viel mehr an Sie denken. Erzählte ich Ihnen nicht schon Alles, was mein junges Herz beschäftigt hatte? Nahmen Sie meine Sehnsucht, meine Thränen, meine Wünsche nicht in Ihren Busen auf? Aber Sie legen es mir als eine Pflicht der Freundschaft auf, in meine Kindheit zurückzugehen, von meiner Mutter Schicksal zu beginnen, und fortzufahren bis zu dem Augenblicke, wo ich Sie kennen lernte. Das wird langsam gehen, denn Sie wissen, wie weniger Augenblicke Herr ich bin. Das wird schlecht gehen, denn ist gleich Deutsch die Sprache meines Herzens, so schrieb ich doch wenig in ihr, so[148] wenig wie im Polnischen, denn was hat ein Mädchen bei uns zu schreiben? was darf sie schreiben? – Ich machte mir einmal Auszüge aus den Kirchenvätern, die der Bischof alle in französischen Übersetzungen hat. Das entdeckte meine Stiefmutter und nannte es Kopfhängerei. Sie verklagte mich bei meinem Beichtvater, und der nannte meine Beschäftung einen unweiblichen Vorwitz, der dem Zweifel den Weg bahne. Zu meinem Unvermögen in der Sprache und im Styl kommt noch mein Mangel an Zeit. Der Sommer – denn Sie behaupten ja, wir haben keinen Frühling – führt so viele Gäste herbei, daß meiner Mutter Putzzimmer am Vormittage nicht leer wird. Von der bischöflichen Tafel darf ich mich nicht mehr ausschließen, und selten darf ich von da bis zur Abendpromenade nach Hause zurückkehren. Ihrem Rathe zu Folge widerstrebe ich nie mehr den Befehlen meiner Eltern, an der Tafel Theil zu nehmen. Ich sehe wohl, daß ich dadurch die Hoffnung bei Ihnen errege, dem Schleier doch endlich noch zu entsagen. Das thut mir weh! Denn bei meinem festen Beharren erscheint meine jetzige Willfährigkeit endlich als Falschheit. Jetzt hat es aber wirklich die Folge, mir viel Freiheit in der Anwendung meiner Zeit zu verschaffen; die Gesellschaftsstunden ausgenommen, bekümmert sich Niemand um mein Thun und Lassen.
Die Begebenheiten, welche die letzten Lebensjahre des letzten sächsischen Königs und die des Mannes ausfüllten, der jetzt unsere Krone trägt, sind den Ausländern wenig interessant. Ich war oft erstaunt, mit welchen[149] genauen Umständen Ausländer die Empörung der Amerikaner schilderten, wie sie jede Antichambreveränderung am Versailler Hofe kannten, und von dem schrecklichen Kampfe, für den in Polen Jahre lang das edelste Blut floß, von Thaten, die Griechenland und Rom verewigt hätte, kannten sie nur die rohen Umrisse. Ehemals konnte ich mit glühendem Unwillen die Helden meines Volkes diesen Unbilligen verkünden. – Wie aber dieses Volk so muthig seine Fessel zu brechen schien, glaubte ich in jedem Beschlusse für die Freiheit eine Hymne an Madalinsky's Grabe, eine Todtenfeier für so vieler Edeln Manen zu hören, und die Unwissenheit der Fremden ward mir gleichgültig. Jetzt! – nun Verrath von allen Seiten seine giftige Hand an die freiheitklopfenden Herzen legt, gebietet Scham, bittere Scham mir Stillschweigen. – In jener Zeit des namenlosen Elends und der unaussprechlichen Unterdrückung war mein Vater ein Jüngling und focht, der Partei, welcher seine Familie schon lange anhing, gemäß, für die Sache des tapfern Herzogs von Kurland, Augusts Sohnes. Persönlichen Muth machte ihm nie Jemand streitig, denn er war in Mitau Karln zu Hülfe geeilt, und jene Begebenheit war auf immer Zeugniß der Tapferkeit. Wie alle Aussicht, einen sächsischen Prinzen auf unsern Thron zu setzen, vernichtet war, gerieth er, und noch mehr sein Vater, in einige Verlegenheit. Das Vermögen der Familie war in dem Luxus des Hofes und nachher durch ihre Anhänglichkeit an das sächsische Haus verschwendet worden, der neue Kurfürst hatte weder Mittel, noch Neigung, sie zu entschädigen, mein[150] Vater faßte also den Entschluß, sich am russischen Hofe einzuschmeicheln und auf diesem Wege in Polen eine Lage zu gewinnen, die seinen Glücksumständen wieder aufhelfen sollte. Zu diesem Plane war eine Reise nach der Hauptstadt von Frankreich, die Ausbildung, welche der Umgang mit dem Hofe und den Weibern gab, ein eben so sicheres und weniger gefährliches Mittel, als in Polen durch russische Hülfstruppen die polnischen Freiheitsverfechter zu würgen. Sie haben selbst meines Vaters einnehmendes Wesen bewundert, denken Sie seine schönen, edeln Züge, ehe Leidenschaft sie bearbeitete, denken Sie sein Auge mit dem Ausdrucke von Ruhe ..... Wischen Sie das Andenken seines Lebens von diesem schönen Gesichte, und Sie werden wohl begreifen, wie es meine Mutter anziehen mußte. Es war bei seiner Rückkehr von Paris, wie er, ohne sein Vaterland zu berühren, nach Rußland zu gehen im Begriff war, als er sie in Breslau auf einem Balle kennen lernte, wo ihn der Gouverneur, dem er von Berlin aus empfohlen war, einführte. Meine Mutter war das einzige Kind eines reichen Edelmannes; Alles, was nicht Mannslehen war – und der meiste Reichthum war durch Heirathen in die Familie gekommen – fiel ihr zu; sie ward also von einer Menge von Freiern umlagert, die ohne ihren Mahlschatz gewiß ihre Liebhaber gewesen wären; denn sie war ein Engel an Schönheit und Güte. Aber sie war protestantisch, und mein Vater katholisch, und meine Großeltern theilten das Vorurtheil, das Ihre Landsleute gegen mein Vaterland haben. Auf meine Mutter mußt es nicht wirken, oder[151] sie mußte den Religionsunterschied nicht so schneidend fühlen, denn sie gab sich ihrer Liebe ganz hin, sie bestritt jeden Einwurf der besorgten Eltern mit der Bitte um das Glück ihres Lebens, und trug den Sieg davon. Sie war siebzehn Jahre alt, sie hatte so vortreffliche Eltern, – sie ward so innig geliebt, – ach, sie muß meinen Vater vergöttert haben! – aus den Armen zärtlicher Eltern einem Manne zu folgen? – ich habe dafür keinen Begriff.
Wie es zur Abschließung des Ehecontracts kam, gerieth mein Vater in einige Verlegenheit, die ihn aber seine angeborne Leichtherzigkeit und seine Liebe bald beseitigen ließ. Seine Erwartung, viel Geld zu erhalten, war für den Augenblick getäuscht und für die Zukunft durch Bedingungen beschränkt. Mein Großvater bestand darauf, daß keines seiner Kinder dem geistlichen Stande gewidmet werden könnte, und die Töchter der Mutter Glauben befolgten; im Gegentheil sollte alles Vermögen nach meiner Mutter und meines Vaters Tode der Familie meiner Mutter wieder heimfallen; ein sehr ansehnliches Jahrgeld war Alles, was er erhielt, was aber bei seinen beträchtlichen Schulden seine Lage nicht unabhängig machte. Wahrscheinlich sind mir nicht alle Umstände der Heirath bekannt; meine mütterlichen Großeltern mußten von der Lage meines Vaters nicht ganz unterrichtet gewesen sein, um ihm ihr einziges Kind in einem fremden Lande anzuvertrauen; mein Vater muß auch gehofft haben, den Ehecontract mit der Zeit günstiger auslegen zu können. – Genug, daß meine arme Mutter Vaterland, Liebe und Glück verließ, um in[152] diesem Lande der Zwietracht und des Lasters ein verkümmertes Leben und ein frühes Grab zu finden. Ich bin jetzt achtzehn Jahre alt, ich war ein Kind, wie sie starb; meine Vernunft war, so lange sie lebte, noch zu ungebildet, um ihre Lage und ihr Schicksal zu verstehen, aber meinem Gedächtniß drückten sich tausend Bilder ein, die seitdem zur Reife meiner Vernunft viel beitrugen. So lange sie lebte, schloß sie einen Zauberkreis um mein Dasein, der die Schuld entfernte. Ich kannte nur Unglück, und dieses nur in Gestalt der Armuth und der Sklaverei, und die Thränen meiner Mutter glaubte ich nur für die Sehnsucht nach dem Vaterlande und für den Verlust ihrer Eltern vergossen. Wie sie nun ihre strahlenden Augen schloß, wie sie nun die feste Burg der Ruhe einschloß im stillen Grabe, wie der unnennbare Schmerz der zerstörenden Zeit, die auch den Schmerz bändigt, nach und nach Raum ließ, und ich wieder hörte und sah, und ich den Zauberkreis, den die Muttersorge um mich gezogen hatte, gebrochen sah, und von allen Seiten das Laster zähnefletschend mich umringte, wie ich nun der Mutter Thränen verstand – O daß ich Jahre lang diese Thränen sah und nicht verstand! – Schweig, Sprache, schweig, Lallen des Kindes, das nie mein Elend schildert! – mich rettete nur ein Wunder, nur unzählige Wunder, die in tausend Gestalten meine Reinheit bewahrten.
Vor meiner Geburt gab meine Mutter ihrem Gemahl zwei Söhne, die in dem ersten Jahre rüstig heranwuchsen und die Erbschaft meiner mütterlichen Großeltern meinem Vater zuzusichern schienen. Die ersten[153] Jahre ihrer Ehe waren die leichtesten; sie verlebte sie in den glänzendsten Cirkeln des petersburger Hofes, zu denen mein Vater durch Empfehlungen und persönliche Liebenswürdigkeit, so lange es seine Mittel erlaubten, Zutritt hatte. Allein bald ward es klar, daß seine Vorzüge wol eine angenehme Lage in der gesellschaftlichen großen Welt verschaffen, aber keinen merklichen Einfluß in die Geschäfte gewinnen konnten. Nicht als gehörte dazu wirkliches Verdienst – davon beweist die ganze Geschichte meines unglücklichen Landes das Gegentheil –, aber Glücksfälle bedarf es, und die wollten meinen Vater nicht begünstigen, oder ein polnischer Stolz, den sein Charakter nie verlor, und durch den er sich mit allen seinen russischen Beschützern nach und nach entzweite, mochte ihm im Wege stehen; er war genöthigt, Petersburg nach vier Jahren viel ärmer zu verlassen, als er hingekommen war, um in Warschau auf einem sehr bescheidenen Fuße zu erscheinen. In Petersburg hatte meine Mutter die Verschiedenheit ihrer Lage gegen die in ihrem Vaterlande nicht so schneidend gefühlt. Sie liebte ihren Gemahl mit der Innigkeit eines jungen, mit schwärmendem Gefühl begabten Weibes, sie sah von dem fremden Lande nichts als die Gesellschaftssäle; sie hörte von den fremden Menschen nur, was man ihr zu gefallen in ihrer Muttersprache sagte, denn russisch versuchte sie nicht zu lernen, und französisch lernte sie erst durch den Gebrauch, sie hatte es bis dahin nur nothdürftig zu lesen verstanden. Sie war schön, sie tanzte, sie sah viel Neues, sie hatte zwei Schwangerschaften, zwei Kindbetten, die ihr Aufmerksamkeit[154] zuzogen, die Menschen ehrten vielleicht ihre Unschuld, oder die Russen waren sittlicher als der Hof des Königs Stanislaus, genug, daß es meiner Mutter in Petersburg nicht so auffallend ward, unter wie verschiedenen Menschen sie lebte. In Warschau änderte sich ihre ganze Lage. Meine Großeltern in Schlesien waren über das Betragen meines Vaters sehr unzufrieden, sie beschuldigten ihn der Falschheit in der Darstellung seiner Lage, des Misbrauchs von seiner Frauen Einkünften, und weit entfernt, ihn reichlicher zu unterstützen, suchten sie meine Mutter zu einer Trennung von ihm auf unbestimmte Zeit zu vermögen. Vor meiner Mutter sank nach und nach die Täuschung, die ihr Glück vorgespiegelt und Unglück versteckt hatte, nieder. In dem engen Beisammensein eines beschränkten polnischen Haushaltes sah sie die Nation, der sie nun angehörte, in ihrer ganzen Barbarei und Verderbniß. Bei der Partei, der mein Vater anhing, lernte sie keine ihrer Tugenden kennen, ja die Helden, die bei Baar sich vereinigten, die bei Chozim bluteten, die den Tod in tausend Gestalten für das Vaterland bekämpften und erduldeten, blieben ihr damals unbekannt. Nun lernte sie auch meinen Vater ganz kennen. Ihn schildere ich nicht, er ist nur, was er aus seiner Nation und unter seinen Landsleuten werden mußte, sobald er unter russischem Schutz ein Pole sein wollte.
O meine Freundin! diesen Punkt berühre ich nicht. Sie behaupten, das Weib solle keinen Patriotismus besitzen, oder könne nicht – denn ich begreife die Sache so wenig, daß ich die Worte nicht fassen kann; in Polen[155] ist es dem Weibe noch erlaubt, Theil zu nehmen an den Begebenheiten, denen es Mann, Kinder, Brüder mit Freuden Leben und Vermögen opfern sieht, das sie anspornt, Alles fröhlich dahinzugeben. Ich habe nie ein anderes Land als Polen gesehen, ich weiß nur, was mir meine Mutter erzählte, von den reinlichen Dörfern ihres Schlesiens, von den blühenden Obstwäldern um die wohnlichen Hütten, von dem Gewühl fröhlicher, reinlich gekleideter Landleute in den betriebsamen Städten, von dem vielen Interesse des Wissens, der Kunst – wie ihr Vater von gelehrten Männern besucht wurde, wie ihre Vettern an der Vervollkommnung der Güter arbeiteten, wie sie Fabriken und Ackerbau unter ihren Unterthanen beförderten – wenn sie mir unaufhörlich diese heitern Bilder hinstellte neben unsere lithauische Wirklichkeit – so weinte ich über mein Land, und liebte es, wie man einen Unglücklichen liebt. Diese elenden Hütten, dieses verkrüppelte Menschengeschlecht, diese Sklaven, die meine Füße umklammern, die eines Schergen Peitsche von der Dumpfheit zum Lasttragen aufruft – in ihnen schläft ein Funke göttlichen Ursprungs, wie Friedrichs Seele war, göttlich, wie die der deutschen Männer, deren Schriften meiner Mutter Geist und Herz bildeten; und mit einer Wehmuth, die meines Lebens Bestimmung entschied, liebe ich das beeinträchtigte, stiefmütterlich behandelte, hintangesetzte, zertretene Volk. Wenn eine unserer Leibeigenen mir ihr neugebornes Kind zeigt, drück' ich's an mein Herz, hebe es zum Himmel, und reiche es gegen den Strahl der Sonne, und möchte rufen: Du Gott! Gott! Aller[156] Gott! dieser Mensch könnte ja ein freier Mensch werden, warum wird er ein thierischer Sklav? – und meine Thränen benetzen das Wesen, das den Stempel der Herabwürdigung in seinen stumpfen Zügen trägt.
Ach, ich erzähle schlecht! ich sehe wohl, daß ich Ihnen wenig sagte bis jetzt. Ungewohnt, von Herz zu Herz zu sprechen, erzählte ich Ihnen todte Thatsachen, und mein Gefühl blieb verschlossen in meiner vollen, schmerzenvollen Brust. Jetzt löst es sich in der Stille des Denkens und Schreibens, ungezügelt durch die ungewohntere Umgebung Ihrer Gegenwart, ungestört durch die Ungelenkigkeit meiner Zunge, der die deutschen Töne verboten sind, seit meiner Mutter Stimme im Grabe verhallte.
Vielleicht hatte mein Vater nie strenge Begriffe von ehelicher Treue, vielleicht verführte ihn erst die Beschränkung seines warschauer Hauswesens, fremden Genuß, oder Genuß ohne Haussorgen zu suchen – genug, daß meine Mutter auch diesen Schmerz kannte, daß sie die Folgen von ihres Gatten Irrthum auf eine Art büßte, der kein Mann sein Weib aussetzen kann, ohne alle Gesetze der Menschlichkeit mit Füßen zu treten. Aber meine Mutter liebte nur ihn, sie war schutzlos ohne ihn, er war der Vater ihrer Kinder, und sie betete diese Kinder an. Ihr weiches Herz bedurfte einen Vertrauten, einen Schutz gegen die Anmahnungen ihrer zürnenden Familie, gegen die Trostlosigkrit ihres Herzens, gegen die Verderbniß, die sie umgab, die ihre noch anziehende Schönheit von allen Seiten angriff; ihr Gatte lernte nicht, dieser Vertraute zu sein, sie näherte sich[157] also einem Geistlichen ihrer Kirche. Statt eines Trösters, eines Versöhners, eines weisen Freundes, fand sie einen finstern Eiferer, einen kalten Strafprediger. Er fing damit an, sie selbst erst bekehren zu wollen, weil er die zufällige Entfernung von dem äußern Gottesdienste ihrer Kirche, in der sie seit einigen Jahren gelebt hatte, als die Sünde schilderte, für welche Gottes Strafgericht über sie hereinbreche. Ein fürchterliches Schicksal drohte in diesem Zeitpunkte meiner unglücklichen Mutter: Verzweiflung an Religion und Tugend. Ihr durstiges Herz fand nirgend Labung, nirgend ein Gefühl des Friedens. Unempfindlichkeit schien ihr die einzige Waffe gegen herannahende Armuth, gegen erloschene Gattenliebe, gegen auffodernde Verführung. In dieser Stimmung gerieth sie an einer Charfreitagsvorfeier zufällig in die Kirche eines Frauenklosters, wo das »Stabat mater« aufgeführt wurde. Sie hatte den katholischen Gottesdienst Anfangs, wie sie ihr Vaterland verließ, aus einer Scheu vermieden, die, wie sie mir sagte, Protestanten leicht gegen ihn haben; so war sie in die Gewohnheit gerathen, in keine katholische Kirche zu gehen. An diesem Tage brach vor der Kirchthüre ihr Wagen, es regnete stark, und sie trat in die Vorhalle, um ein anderes Fuhrwerk abzuwarten. Die Töne jener göttlichen Musik zogen sie mächtig an, sie trat näher, sie hörte zu; ihr Herz, das schon lange nach Verhärtung rang, um der Verzweiflung zu entgehen, schmolz vor dem Geiste himmlischer Wehmuth, den die Harmonie um sie her ergoß. Gewiß sagte sie mir nie Alles, was in ihr vorgegangen war, gewiß war sie sich nicht[158] Alles bewußt, was die gute Gottheit in ihr wirkte – aber sie fand Thränen wieder, fand Schmerz wieder, konnte wieder beten – es zog sie mit unnennbarer Gewalt zu einer menschlichen Darstellung des Allbarmherzigen, zu einer sinnlichen Darstellung seiner Gegenwart, die ein Gleichgewicht hielt allem Jammer, der in der Sinnenwelt sie bestürmte, und so fand sie sich in Thränen hingegossen vor der Statue einer Schmerzensmutter, welche die Menge kniend umgab. Die Musik schwieg, meine Mutter eilte nach Hause, und ein peinigender Zweifel, ob der Trost, der ihr in dem fremden Tempel ward, nicht Sünde sei, quälte sie in der folgenden Nacht, und unterbrach mit Mislauten die Himmelstöne, die noch vom Kreuze herab zu ihr herschallten. Bald konnte sie der Sehnsucht, noch einmal Trost zu empfinden, nicht mehr widerstehen, sie suchte im Halbdunkel des sinkenden Tages die Kirche wieder auf und betete und weinte in der einsamen Halle. Beim Herausgehen begegnete sie einem alten Franziskanermönche, der sie deutsch grüßte; wie ein Blitz fuhr ein Gedanke durch ihren müden, gespannten Sinn, den sie, noch ehe er ihr klar ward, ausführte. Sie legte ihre Hand auf des Mannes Arm und fragte in ängstlicher Eile: Ich bin eine Protestantin, aber es gibt mir Trost, hier zu beten; darf ich Das, ohne daß der Papst mich zu seiner Kirche zählt? – »Gott ist überall, wo bedrängte Herzen ihn suchen,« erwiederte der Mönch nach kurzer Besinnung mit ruhiger Stimme, »unsere Kirchen ständen nicht zu jeder Tageszeit offen, wenn wir ihren Trost nur mit Ausschließung wollten angedeihen lassen.« Er[159] ging langsam von ihr, indem sie beruhigt, aber von Sehnsucht nach Hülfe von außen getrieben, noch zögerte, ihn mehr zu fragen als das. Von diesem Tage an gewöhnte sich meine Mutter an stille Stunden frommen Nachdenkens, in welches bald ihr leidenschaftliches Flehen überging. In ihrer traurigen Wohnung wurden sie ihr nicht geschenkt; Unordnung, Mangel, lärmende Spieler entzweiten sie dort mit sich selbst; in den stillen Gewölben der Tempel fand sie Ruhe, und wenn ungewöhnliche Leiden sie trafen, suchte sie kindlich die Nähe der Dulderin, vor deren Bilde sie einst so unerwartet Trost gefunden hatte. Der Tod ihrer Söhne, die bald nacheinander an den Blattern starben, machte sie noch vertrauter mit dem Troste des Gebetes, das im Nachdenken über uns und Erhebung unserer Seele zu Gott besteht. Nein, gewiß, meine Mutter hat mir nie ein Wort gesagt, das mich aufgemuntert hätte, die Religion ihrer Eltern zu verlassen, sie selbst ist nie dazu in Versuchung gewesen, sie wies nur den Zauber nicht von sich, den unser Gefühl und unsere Phantasie – ach! den unsere Menschheit in den sinnvollen Bildern der katholischen Kirche findet. Wenn es mir jeder fühlende Mensch vergönnt, daß der Anblick der aufsteigenden Sonne, daß die thaubedeckte Flur, daß so viele Scenen der Schöpfung mein Herz dem Irdischen entreißen und mich über den schweren Erdendunst auf Momente zum ewigen Anschauen erheben, warum nennen sie das weniger Abgötterei, Aberglauben, als wenn ich im Tempel das Heiligste fühle? als wenn im Orgeltone, im Weihrauchgewölke meine Seele emporsteigt über Grab und[160] Tod und Leiden? als wenn die freundlichen Bilder der Heiligen mich an ihre Tugenden mahnen? als wenn ihre besiegten Leiden mir Pfand meines Überwindens sind? – Das Kind, das fern von der Heimath mit sehnendem Schmerze des Vaters, der Brüder gedenkt, das sie im Herzen trägt immerdar, das sie sieht überall, wo sein Blick Freude sucht, darf es nicht vor dem Bilde seines Vaters inniger weinen? Wenn es eines seiner Kleidungsstücke hätte, dürfte es das todte Gewand nicht küssen, nicht feierlicher vor den täuschenden Zügen ihm geloben: Vater, ich bleibe Dein! – Nein, meine Mutter hat mir das Alles nicht gesagt, sie wäre nie katholisch geworden, und ich würde es nie, wenn ich einen andern Weg zu meinem Heile wüßte. – Doch, ich verliere den Faden meiner Geschichte, in der mich äußere Unterbrechungen und mein eignes Gefühl mehr stören, als ich voraussah. Aber Sie erreichen Ihren Zweck nicht! Indem ich mich Ihnen erkläre, finde ich mehr Überzeugung, auf meinem Entschlusse zu beharren, als vorher.
Die innere Ruhe, die meine Mutter zu genießen anfing, zog ihr von außen her neue Leiden zu. Mein Vater bemerkte oder erfuhr ihre häufigen Besuche katholischer Kirchen und gerieth auf den Gedanken, daß ihre Schwärmerei, wie er die Stimmung ihres Gemüthes nannte, sie zu einem Schritte verleiten möchte, der ihn aller Hoffnung auf ihr Vermögen beraubte. Diese Besorgniß machte ihn aufmerksamer auf ihre Zufriedenheit; ihre zunehmende innere Ruhe gab ihr eine Duldsamkeit und Gefälligkeit gegen seine Schwächen, die ein[161] besseres Verhältniß zwischen ihnen herstellte. Seine ökonomische Lage war in dieser Zeit so gesunken, daß er sich zu dem demüthigenden Entschlusse bequemen mußte, die Stelle anzunehmen, die er noch, aber freilich unter Bedingungen bekleidet, die mir immer unbegreiflicher werden. Schon seit einiger Zeit hatte ihn das Spiel mit dem Fürstbischof bekannt gemacht, er ward vertraut mit ihm, besorgte ihm einige Geschäfte zu seiner Zufriedenheit, und übernahm zu eben der Zeit, wo meine Mutter mit mir schwanger ward, die Intendanz seines ganzen Vermögens, was beinahe nichts Anderes heißt, als: die Auftreibung neuer Darlehen und die Beschwichtigung aller Gläubiger; denn indem der Fürst in einem Glanze lebt, der Sie den Luxus Ihrer regierenden Fürsten verlachen macht, befindet er sich in einer Lage, in welcher er in einem Lande, wo Gesetze walten dürfen, längst ehrlos geworden wäre. Ich ward hier in W–ky, welches damals aus einer Einöde hervorgezaubert wurde, geboren, und meine Mutter gefiel sich in dieser reizenden Gegend so wohl, daß sie sich seitdem zu keinem andern Aufenthalt entschließen wollte, so häufig mein Vater die weitverbreiteten Güter des Fürsten besuchen mußte. Ein Zufall, der für meine Mutter an das Wunderbare grenzte, so einfach er war, trug viel dazu bei, ihre Geistesruhe zu befestigen, so daß sie nie glücklich war, aber doch nie mehr von den äußeren Umständen überwältigt wurde. Die Jahreszeit, wo der Fürstbischof nicht anwesend war, ausgenommen, war es ihr während meines Vaters langen Abwesenheiten vergönnt, nach ihrem Gefallen zu leben. Die häufigen Besuche, die er[162] gern aufnahm, fielen dann von selbst hinweg, sie hatte die Landessprache völlig erlernt, die reiche Büchersammlung des Bischofs stand ihr offen, sie zauberte sich eine arme Täuschung vor von einem Leben, wie sie es in dem Vaterlande hätte führen können, wenn ihr Herz eine andere Wahl gemacht, ihr Schicksal eine andere Wendung genommen hätte. In einem dieser einsamen Zwischenräume, wie ich noch an ihrer Brust lebte, besuchte sie ein Franziskanerkloster in Beniakony, um den heiligen Stephan zu sehen, von dem ich Ihnen erzählte, daß er nachher meiner kindlichen Phantasie das Ideal zu meinem Schutzgeiste gab. Der Jüngling steht an die Säule gebunden, mit zurückgelegtem Haupte scheint er in einen himmlischen Gedanken verloren, seine auf den Rücken gebundenen Arme täuschen, denn so verschlang er sie freiwillig in ruhigem Nachsinnen – – der ganze Körper ist durch Jugend und geistigen Ausdruck verklärt, die Pfeile in der geliebten Brust erfüllen mit Entsetzen, und wenn der Blick auf die Bogenschützen fällt, die sie abschossen, wird es klar, wie sie, von Schrecken ergriffen, bei dem Anblicke des Heiligen vor ihrem Morde zu fliehen im Begriffe sind. Meine Mutter stand entzückt vor dem vollendeten Sieger, bis ihr Blick an einem Mönche, der sich ihr näherte, bekannte Züge erblickte; es war derselbe, der in Warschau in jener Kirche ihr zweifelndes Gewissen so wohlthätig beruhigt hatte. Ohne ihn an jenen Augenblick zu erinnern, knüpfte sie ein Gespräch über das Gemälde und ihren Genuß bei seinem Anschauen an, sie fand so viel Befriedigung in ihm, daß sie ihn einlud, sie in W–ky[163] zu besuchen. Diesem Manne habe ich Alles zu danken, was in mir Gutes lebt; er setzte, nach meiner Mutter Zeugniß, sie in den Stand, mich zu erziehen, lehrte sie, ihre Gefühle und ihre Ansichten zu ordnen, so daß Harmonie in ihr Leben kam, die mir – nicht Überlegenheit, nicht Ausbildung, aber einfachen Willen erlangen half. Pater Amadeus war ein Deutscher, er hatte ein reiches Leben voll Schmerz und Seligkeit gelebt, Wissenschaft war ihm zuletzt allein übrig geblieben, alles Andere nahm ihm der Tod und die Zeit. Vermögen hatte er nie; ein Schicksal, das er Irrthum eines Mächtigeren nannte, bei dem aber jeder minder Weise über Ungerechtigkeit und Verfolgung geklagt hätte, zerstörte seine bürgerliche Lage; er nahm den Rest seiner Habe, reiste damit einige Jahre nach Italien und nach Griechenland, und nahm dann in diesem Kloster das Ordenskleid, weil er in Griechenland einen gelehrten Mönch aus dieser Stiftung kennen lernte, der ihm die Hoffnung gab, seinen Trieb nach einsamem Forschen hier befriedigen zu können. Das muß Ihnen als Fremden eben so gut wie dem roheren Theile unserer Nation unbekannt sein, daß wir Klöster haben, wo im Einzelnen wissenschaftliches Forschen eben so in den Mantel des Geheimnisses gehüllt wird, als in vielen Laster und Unthaten. Amadeus war nicht Katholik gewesen. – Bedarf ich eines Symbols für die Gottheit, sagte er zu meiner Mutter, so ist das katholische das erhabenste; bedarf ich einer Lehre, so ist sie die consequenteste; bedarf ich eines Cultus, so erhebt der mein Herz am höchsten; sollte ich also ein Bekenntniß ablegen, so müßte[164] es das katholische sein. Er lebte der Wissenschaft und der Wohlthätigkeit – der Sprache ward er bald mächtig, und nun war er der thätigste Seelsorger der Gegend, war Arzt, war Rathgeber, und ward mein Schutzgeist von früher Kindheit! O lebte er noch! hätte er diesen Zeitpunkt erlebt, er würde eine Stütze der Freiheit, er würde eine Sonne der Gerechtigkeit geworden sein.
Sie werden nun denken, daß Amadeus Denkungsart die meinige geworden ist, daß ich ihm meinen Eigensinn, in das Kloster zu gehen, ihm mein Beharren, eine andere Religion anzunehmen, verdanke, da außerdem nichts in meiner Denkart Fanatismus und Aberglauben ausspricht. Nein, meine Freundin, Amadeus hat dazu nichts beigetragen, die Umstände überzeugten mich, daß im Kloster allein Freiheit für mich zu finden ist, und Sie werden mir endlich noch beistimmen.
Bis in mein dreizehntes Jahr lernte ich in der Welt nichts kennen, als unsere Wälder, unsere Hügel, unseren klaren Fluß, und die größte Entfernung, die ich allein zu erreichen mir getraute, war der lange, dunkle Gang am Ende des Parkes, wo ihn die Klostermauer der ehemaligen Abtei noch umschließt, und durch eine angebrachte Öffnung jetzt die Aussicht gegen die untergehende Sonne gestattet. Damals war die Mauer noch unversehrt, und an der Stelle der Öffnung ein Wandgemälde, das Christus am Kreuze darstellte, und die Mutter mit Johannes unter ihm, wie er ihnen sein heiliges Vermächtniß verkündet. – O dieses Bild! – Nein, die Gottheit hört nicht auf, Wunder zu thun in[165] unserm Herzen. Dort holte mich meine Mutter meistens wieder ein und gab mir in der schönen Jahreszeit dort Lehrstunden; dort war unter den hohen Tannen auch der Schauplatz meiner kindischen Spiele und der Leibesübungen, zu denen sie früh mich gewöhnte. Auf dem großen, beschatteten Rund mußte ich laufen, klettern, und das Jahr vor ihrem Abschiede von mir ließ sie mich auf einem kleinen türkischen Pferde reiten lernen. Damals dachte ich nicht über den Gesichtskreis, der mich umgab, hinaus; jetzt ahne ich, warum Amadeus und meine Mutter mich so unwissend ließen über alle Wirklichkeit, über die nächste, die mir drohte, zuerst. Sie rechneten auf die Zeit, wo ich, stark am Geist und fest im Handeln, aus meiner Unschuldswelt hervorgehen sollte. – Der Tod kam ihnen zuvor, und die zarte Pflanze, die vor jeder rauhen Luft geschützt wurde, stand da im Sturme des Nordens, und – ein guter Gott erhielt ihre Kraft; aber das weiche Kind des Südens ist sie nicht mehr, sie ist kalt und starr geworden, wie das Land, in das sie grausam verpflanzt ward.
Meiner Mutter Gemüth war nun ruhig, sie hatte mit dem Schicksal abgerechnet, hatte Weisheit statt Glück hingenommen, hatte die ganze Schöpfung zu ihrem Genuß, und ein besseres Dasein zu ihrer Hoffnung. Aber von außen her ward ihr keine Ruhe. Bei meinem Vater wurzelte der Verdacht immer tiefer, daß sie sich zu einer Religionsveränderung neige, und durch ihn aufmerksam gemacht, verfolgten sie ihre Eltern mit oft sehr unbilligen Vorstellungen – erlassen Sie mir Das, meine Freundin! – sie sind auch todt, und waren gute[166] Menschen. Von einer andern Seite waren meines Vaters Verhältnisse gegen den Bischof nicht dazu gemacht, meiner Mutter Ruhe zu gestatten. Mein Vater ließ sich zu Dingen brauchen, zu Dingen, die eine späte Gerechtigkeit vielleicht noch an's Licht zieht, die aber die nie schlafende Nemesis gewiß noch rächt. Ich habe mir ein heiliges Gesetz gemacht, über nichts, was meinem Schicksal fremd ist, zu schreiben, und Sie behaupten ja, meines Landes Ketten seien mir fremd, und die Morgenröthe seiner Freiheit, die so herrlich aufstieg, gehe das Weib nichts an.
Von dem Allen wußte ich nichts, deute jetzt erst meiner Mutter Thränen, fasse jetzt erst, warum ein gewisser Ausdruck in meines Vaters Gesicht, der mich als Kind immer von ihm zurücktrieb wie von einer Geistergestalt, sie vermochte, mich von ihm zu entfernen. In der Jahreszeit, die der Bischof in W–ky zubrachte, konnte sich meine Mutter der Gesellschaft nicht ganz entziehen. Der Fürst weiß, was Verdienst ist, und sein Verstand lehrt ihn, es in jeder Art auszuzeichnen, und diese Empfänglichkeit machte ihn von jeher um so gefährlicher, denn er verräth nie ganz und beobachtet nie reine Treue. Oft scheint er fremde Tugenden zum Sühnopfer seiner eigenen Schuld befördern zu wollen, und er ist nicht Heuchler, wenn er Pulawsky's Heldenmuth und Mokranosky's Unerschütterlichkeit seinen jungen Gesellschaftern anpreist. Er ist um so undurchdringlicher schlecht, weil er seine Schlechtigkeit vor sich selbst verbirgt. Amadeus, dessen Bekanntschaft er durch meine Mutter machte, ward von ihm auf alle Weise ausgezeichnet, und verfehlte[167] nie seinen Zweck, wenn er ihn um theilweise Mittel zur Unterstützung der Elenden bat. Auch ich genoß des Bischofs Gunst. Er überraschte uns mehrmals bei unsern einsamen Beschäftigungen, wo ihn nur die Absicht, meiner Mutter Achtung zu bezeigen, hinführen konnte, und wie sie ihm, auf sein dringendes Bitten, mich in seinen Cirkel mitzubringen, ihren Wunsch erklärte, mich bis in mein sechzehntes Jahr von aller Gesellschaft zurückzuhalten, willigte er auf eine Art ein, die es bewies, daß sein Verstand den Werth der Handlungsweise meiner Mutter einsah. Diesen Vorgang erzählte sie mir in ihrem letzten Lebensjahre, wie ich sie einmal fragte, warum ich nicht in die Gesellschaft dürfte, da sich junge Damen meines Alters darin befanden und bei ihrem Besuch in unserm Hause ihre Verwunderung über meine Zurückgezogenheit äußerten. In diesen wenigen Stunden, wo sie mich verließ, durfte meine deutsche Wärterin mich nie verlassen, und sobald es mein Alter erlaubte, gab sie mir darin so viele Beschäftigung auf, daß ich nie mein Alleinsein fühlte.
So erreichte ich mein dreizehntes Jahr. Ich war schuldlos und rein wie die Kindheit, vertrauend wie sie, und ungekünstelt wie die buschigen Hügel von Ribizcy, aber was ich von der Außenwelt der Menschen kannte, war Alles ein Kunstwerk. Alles Elend, was ich an der Hand meiner Mutter gelindert hatte, war mir nur als Unglück bekannt geworden, die Menschen hatte ich nur in ihren guten Augenblicken gesehen – ich wußte, daß es Laster gab, ja ich wußte viel von dem Bösen, aber nie in Anwendung auf die Welt, die mich umgab;[168] ich dachte mir Unsittlichkeit, Bosheit, Betrug wie die Orkane, welche die westindischen Inseln verwüsten – zu uns gelangt der Sturm nie; ich versetzte das Böse, wie die Alten die Grenze der Erde, immer in das zufernest liegende Land. Nur Eine Art Elend kannte ich, die Sklaverei unseres Landes; nur Einem Idol hatte ich außer Gott und meiner Mutter einen Altar in meinem Herzen errichtet – der Freiheit meiner Nation. Sie fragen wieder befremdet, wie dieses Vaterlandsgefühl in der Brust der Halbfremden, der Einsamen Wurzel schlagen konnte? Es muß wol, trotz Ihrer Behauptung des Gegentheils, in jedes Weibes Busen als Keim verborgen liegen – und sollten wir, deren ganzer Beruf Liebe ist, nicht den Boden lieben, auf dem wir unsere Entwickelung finden, auf dem wir unsere Bestimmung zu erlangen hoffen? – Übrigens war diese Vaterlandsliebe ein bloßer unmotivirter Begriff, der aus Haß gegen unsre Unterdrücker und einem Bilde von Menschenwürde zusammengesetzt war, das ich mir aus den Geschichten freier Völker früherer Zeit zusammengesetzt hatte, und Alles, was ich Schönes in unserer Geschichte las, was ich Großes von unsern Zeitgenossen hörte, modelte ich nach jenen Begriffen. Ein Weib muß lieben, liebt immer ein Ideal, liebt es mit Mysticismus, mit Schwärmerei – so liebte ich den heiligen Stephan, so liebe ich das Vaterland, so liebe ich den Schleier.
Der Fürst hatte einen älteren Bruder, einen unschädlichen Menschen, der in seiner Bildung dem gemeinsten Adel unsrer Nation um keinen Schritt vorgeeilt[169] war. Ein roher Mann, starr und treu. Vor den Convulsionen, die Stanislaus Thronbesteigung begleiteten, war der Fürst in den ersten Jünglingsjahren im Auslande und bildete in London, Paris und Rom die Talente aus, die er nachher so schlecht gebrauchte. Er verschwendete ungeheure Summen, die sein Vermögen erschöpften und seinen ältern Bruder zu der Drohung zwangen, ihm seine Unterstützung zu entziehen. Der Jüngling war genöthigt, in sein Vaterland zurückzukehren; aber durch eine mächtige Familie unterstützt, zur Intrigue geboren, durch Geldbedürfniß und Herzlosigkeit den Russen geneigt, ward er in einem Alter Bischof, das wenig zu dieser Würde geschickt ist. Seine Schwäche und Treulosigkeit kostete ihn während der Convulsionen, die unser Vaterland zerrissen, das Vertrauen aller Edlen aller Parteien, seinem guten, treuen Bruder drohte sein Freiheitssinn die Verweisung nach Kamtschatka, da er bei Zucka gefangen ward. Wie die Dinge sich fügten, weiß ich nicht; Alles, was ich erfuhr, entdeckte mir der Zufall; genug, daß der Fürst Mittel fand, diesen Bruder für unsinnig auszugeben, daß er Erbe der Güter ward, und daß man nun seit vierzehn Jahren sich bemühte, jenen Unglücklichen seines Verstandes zu berauben, indem man ihn als des Verstandes beraubt bewachte, mishandelte, verhöhnte – und zu diesem Werke der Hölle ließ mein Vater sich brauchen. – O wie oft bediente ich kniend die Armen in der Zeit, wo die Landesreligion öffentliche Liebeswerke erlaubt, wie oft bat ich alte Väter um ihren Segen, wie oft stammelte ich unzufriedenen Kindern unserer Leibeigenen Demuth, Unterwerfung[170] gegen ihre Eltern zu – mein wundes Herz fand Linderung darin, Fremden die Achtung zu zollen, die ich meinem Vater nie geben kann. – Dieser mishandelte Mann ward auf entfernten Ländereien in der Ukraine gehalten – denn er war nicht eingesperrt, er war, für unsinnig gehalten, bewacht und endlich überredet worden, daß er es sei. Dieses Werk der Finsterniß mußte Amadeus entdecken. Er erhielt von seinen Obern leicht die Erlaubniß zu reisen, um zum Behuf seines gelehrten Forschens fremde Klosterbibliotheken zu besuchen, und so befand er sich in einem alten Kloster zu Balta, als eine ansteckende Krankheit das Volk heimsuchte. Theurung des Getreides war ihre Ursache, indeß das Korn dieser reichen Gegend die Flüsse hinuntergeführt und auf fernen Märkten um halbes Geld verkauft ward. Amadeus half den Mönchen die Kranken trösten, die Sterbenden einsegnen, die Todten begraben; denn sie kamen in Hütten, wo der letzte Sterbende den letzten Todten neben sich verwesen sah. Eines Tages verlor er seinen Weg und gerieth auf ein entferntes Dorf, wo seine Gastfreunde, die Mönche von Balta, nicht hinzugehen pflegten. In mehren Hütten, denen er sich näherte, fand er das Elend der Seuche, des Hungers, und er theilte die Gabe, welche er seiner anbefohlenen Heerde hatte bringen wollen, unter die fremden Hungernden aus; endlich nahte er sich einem besser gebauten Hause, an welches ein umzäunter Garten grenzte, und in ihm erblickte er einen blassen, veralteten Mann in wunderlicher Kleidung von grobem Linnen, aber das blaue Band und den Stern an der Brust.[171] Rund um ihn standen und lagen eine große Anzahl junger Kinder, einige sogar wurden von den größern noch auf den Armen getragen, und er theilte jedem eine Schale Buchweizen aus, ja er fütterte die jüngsten, indem er mit dem Löffel von einem zum andern ging. Ein Paar Diener, die neben ihm standen, erblickten kaum den Ordensmann, als sie sich ihm ehrerbietig näherten und ihm nach Landessitte Brot und Wein anboten. Neugierig trat Amadeus in den Garten und nahm gerührt den Wink der Diener auf, daß ihr Herr – wie sie es nannten – von Gott heimgesucht sei. Über des blassen Mannes dürre Wangen flog bei Amadeus Anblick eine schnelle Röthe, er schien seine Züge erkennen zu wollen, und sagte dann fragend: »Ich sah Dich noch nie?« Die beiden Diener schienen verlegen zu werden, und flüsterten unter einander, der Mönch sei ein Fremder. Amadeus sagte dem Alten einige herzliche Worte über sein wohlthätiges Geschäft, worin ihn denn einer der Wächter unterbrach und ihm bedeutete, das wäre eine seiner Narrheiten, sich mit Kindern zu beschäftigen. Der Alte sagte jetzt fürchterlich trocken: »Würdiger Vater, ich bin ein Narr, und da will sich Niemand mehr mit mir freuen und Niemand mit mir weinen, denn was ich thue, ist ja eitel Tollheit; nur die Kinder freuen sich mit mir und danken mir, und wenn sie mich weinen sehen, legen sie ihre Händchen an meine Augen. Sind sie keine Kinder mehr, so verwerf' ich sie – dann spotten auch sie meiner, die ich an meinem Busen trug – Mancher, mit dem ich vor vierzehn Jahren meine Suppe theilte, reißt jetzt meine[172] Blumen aus und zerpflückt die Kränze meiner Patronin.« Er zeigte auf eine Nische, wo eine Schmerzensmutter mit Blumen gekränzt stand. – Diese Züge erzählte mir mehrmals meine Mutter, weil sie sie für mein Alter angemessen fand; das Übrige erfuhr ich – ich weiß nicht wie; zum Theil vergaß man in der Verwirrung gewisser Augenblicke, es mir zu verhehlen – ach, so verstehe ich jetzt Vieles, was ich gern nicht wüßte. – Amadeus sprach weiter mit dem Unglücklichen, er erfuhr, daß er den ältesten Fürsten ***, den Bruder des Bischofs von ***, vor sich hatte; er erfuhr mehr, denn es ward ihm offenbar, daß der Mann nicht unsinnig sei, daß er aber hoffnungslos gemacht sei, sich zu retten, und Furcht und die Gewohnheit, als ein Tollhäusler behandelt zu werden, ihn zu einem leidenden Opfer der hartnäckigsten Grausamkeit gemacht hatte. Ich weiß nicht, ob Amadeus ihn nur einmal, ob er ihn öfter sprach. – Noch eines Zuges erinnere ich mich: Amadeus hatte ihm wahrscheinlich etwas gesagt, das ihm Hoffnung zur Befreiung machte; der Arme unterbrach ihn und rief mit einem Ausdruck unendlich wehmüthiger Freude: »Also bin ich doch nicht unsinnig!« – O Gott! was wird aus Deinen Menschen, wenn Deine Gebote ihnen fremd sind! So weit brachte ein Bruder den Bruder! –
Wie Amadeus seinen Besuch wiederholen wollte, ward er mit dem Bescheide zurückgewiesen, daß die lange Unterredung, die er mit dem Kranken gehabt, ihn so angegriffen habe, daß sein Zustand seitdem um Vieles verschlimmert sei und man genöthigt worden wäre,[173] ihn einzusperren. Der edle Mönch kehrte gleich darauf nach Beniakony zurück, entschlossen, das Schicksal dieses Unglücklichen zu mildern, und, wenn es sein müßte, seine Henker zu entlarven. Der Bischof hatte von den Wächtern seines Bruders ohne Zweifel schon Nachricht von dem Vorgange mit Amadeus erhalten, doch ohne daß diese Leute den fremden Ordensmann hatten bezeichnen können. Unbefangen befragte er Amadeus bei dem ersten Besuche, den er nach seiner Rückkehr in W–ky machte, um seine Reise und die näheren Umstände der in jener Gegend wüthenden Seuche, die auch seine Güter verheerte. Amadeus machte in dem Cirkel der Großen, der um den Fürsten versammelt war, eine herzzerreißende Schilderung von dem Elend jener Gegend; und wie einige Stimmen nach der Ursache fragten, welche nach einem günstigen Winter und einem trockenen Frühjahre so ein Übel veranlaßt hätte, zog er ein Stück des Brotes hervor, welches jene Unglücklichen seit dem neuen Jahre aßen, welches ein Gemisch von gehacktem Stroh, Flachshülsen und Kleien war und wie getrockneter Dünger aussah. – »Hier, meine Herren, ist die Ursache jener Pest; solches Brot essen Ihre Unterthanen, während Ihre Castellane Ihr Korn auf den Grenzmärkten für halbes Geld hinweggeben – aber Gott sorgt für diese Elenden, wie für alle seine Creaturen; wie der Frühling die Keime der Tannen entwickelte, krochen die abgemergelten Gerippe aus ihren verpesteten Hütten in den Wald und heilten sich gleich andern Thieren des Feldes mit dem Genusse dieser balsamischen Knospen.«[174]
Alles schwieg, ein Theil tief erschüttert, ein Theil voll Grimms über die Kühnheit des Fremdlings. Amadeus fühlte selbst, wie heftig sein Angriff war, aber nun wollte er durchgreifen. »Gnädiger Herr, fing er ruhig an, und in der Stille hallten seine Worte wie Donner, der Zufall führte mich nach Sasnowicza, wo ich Ihrer bischöflichen Durchlaucht Herrn Bruder fand ......« Der Bischof erblaßte, trat einige Schritte vorwärts und streckte die Arme aus, als wollte er der Rede wehren. – Ich fand ihn in einer Beschäftigung, fuhr Amadeus unbefangen fort, als ihn der Bischof, der sich nun gefaßt hatte, beim Arme nahm, und, ihn vor dem Cirkel auf sein Cabinet zuführend, ausrief: Allen Heiligen Dank, daß ich einmal wieder einen Augenzeugen spreche, der den theuern Mann gesehen hat! Aber dieses Gespräch würde meine Gäste betrüben, hier sagen Sie mir Alles. – Sie waren in das Cabinet getreten, und der Mönch wußte nicht mehr, wie viel Kunst oder Natur in dem Betragen dieses Mannes sei. Er ließ sich aber dadurch nicht stören, dem Bischof mit Gründen auseinanderzusetzen, daß sein Bruder, wenn er auch eine Gemüthskrankheit gehabt hätte, sich jetzt in einem Zustande befände, der ihm die Rückkehr zu seiner Familie erlaube. – Der Bischof schien entzückt, umarmte ihn ein Mal über das andre, und rief meinen Vater herbei, dem er die auffallenden Nachrichten mittheilte, und ihm befahl, sich sogleich zur Abreise zu bereiten, um sich selbst mit der Lage bekannt zu machen, die seinem theuern Bruder die erwünschteste sei. Eben so unbefangen führte er nun Amadeus in den Salon zurück, aus[175] dem sich dieser bald entfernte, um mich, seine Schülerin, nach langer Abwesenheit wiederzusehen. Meine Mutter verließ bald nachher den Gesellschaftssaal, und ich bemerkte, daß sie ängstlich und lebhaft mit Amadeus über einen mir fremden Gegenstand sprach. Abends, wie ich meine Mutter schon verlassen hatte, kam mein Vater in einem Zustande zurück, wo ihn der Wein unfähig gemacht hatte, seine Leidenschaft zu mäßigen. Diesem Fehler unterlag er selten, und er bedurfte der Vorsicht, denn er war dann nicht mehr Herr seiner Zunge. Was nun vorging, weiß ich gar nicht. Ich fand meinen Vater am andern Morgen abgereist, meine Mutter krank – sie ward kränker und immer kränker, und nach einem langen Kampfe mit der wohlthätigen Natur, die sie ihrer unglücklichen Theofanie erhalten wollte, starb sie, vier Wochen nach jenem schrecklichen Tage.
Sehen Sie, ich bin ruhig, meine Freundin. Ich habe das Bild ihres Todes vor mein Auge gestellt, und mich blind an ihm gesehen; ich habe den letzten Seufzer ihrer Brust in mein Ohr gefesselt, und habe mich taub an ihm gehorcht; ich habe den Gedanken, daß sie im Grabe ist, in mein Gehirn aufgefaßt, und ihn so lange gedacht, bis ich nichts anders mehr denken konnte – und da ward ich so kalt, wie ich nun bin.
Wie ich damals eine Menge Dinge erfuhr, einsah, zusammenrechnete, weiß ich nicht, denn ich war dreizehn Jahre alt, und über der Menschen Thun unwissender als ein sechsjähriges Kind. Meines Vaters Rückkehr war schrecklich, sie erfolgte erst nach der Mutter Tode,[176] aber er schien dennoch nicht versöhnt, sondern lange noch nannte er ihren Namen nie in kaltem Blute, und wenn Wein oder Leidenschaft ihn erhitzten, mit bitterer Verwünschung, als sei sie an einem Unglücke, an einer Handlung schuld, von der er schreckliche Folgen befürchtete. Amadeus schien er mit gleichem Hasse zu verfolgen, aber eine geheime Scheu – oder andere Ursachen – nöthigten ihn zur Schonung. Von seiner Reise erfuhr ich nun durch die Gespräche der Gesellschaft – denn Amadeus schwieg von diesem ganzen Vorgange gegen mich – daß der unglückliche Fürst schon vor seiner Ankunft in Sasnawicza kränkelte und nach einigen Tagen starb, ohne seines Verstandes mächtig genug zu sein, um sich noch der zärtlichen Sorgfalt seines Bruders erfreuen zu können. – O des Schreckens eines jungen Gemüthes, das zum ersten Male den Frevel in seiner abscheulichsten Gestalt ahnet! – Seine Blüthe ist hin! Wie ein Schwefeldampf die junge Rose entfärbt, ist sein Glanz verdunkelt und sein Duft verflogen. So welkte meines Lebens Leben, meine Unschuld – mir bleibt nur Kraft, nur Tugend, nur starrer Wille, nie zu sein wie Jene, die mein Paradies mir zerstörten. –
Einige Wochen nach meines Vaters Rückkehr fand mich Amadeus in trostlosen Thränen am Ende meines Laubenganges – ich hatte meinen Blick auf das alte Gemälde geheftet, das mich wie das Wiedersehen eines freundlichen Kindheitsgespielen an mein verlornes Glück erinnerte, und hatte der trostlosen Mutter Schmerz unter dem Kreuze mit meinem Schmerze verschmolzen in[177] mein armes Herz gesenkt, daß es fast darüber brach. Mit sanfter Weisheit war der väterliche Freund weit entfernt, meine Phantasie gewaltsam von diesem Bilde loszureißen, er ging vielmehr in den Sinn desselben ein, er zeigte mir, wie ich nicht bei dem hülflosen Schmerze dieses Moments stehen bleiben sollte, wie ich nicht den sterbenden Sohn da erblicken sollte, sondern den göttlichen Tröster, der über den Tod hinaus seine Mutter, seinen Freund lehren wollte, nicht die Liebe für ihn, für seine Persönlichkeit sollten sie meinen, sondern Liebe für einander, unter einander, allgemeines Wohlthun, Leben Eines für das Andere. Seine Worte gaben meinem gesunkenen Geiste einen neuen Willen: Herr seines Schmerzes zu werden; ich hing nun mit andern, tröstenderen Gefühlen an den gemalten Gestalten. Amadeus sagte mir noch, ich sollte unter meiner Mutter Musikalien suchen, es müßte eine Kirchenmusik unter ihnen sein, die »Stabat mater« heiße; darin fände ich die Gedanken des Trostes in Musik gesetzt, die in diesem Bilde Christus seinen Geliebten gäbe. Wie er noch bei mir war, kam mein Vater und verwies mir mit rauhen Worten meinen ihm lästigen Schmerz, misbilligte meinen Aufenthalt in diesem Unkenwinkel, wie er den dunkeln Gang nannte, und drohte, die Mauer einreißen und die Bäume niederhauen zu lassen. Ich weiß nicht, was ich aus Furcht und Schmerz sagen mochte, das auf das Gemälde Bezug hatte; im Fortgehen – denn ich eilte nach Hause – hörte ich aber, daß er dem Pater vorwarf, er bestärke mich in dieser papistischen Grille, da er doch wisse, daß ich für die protestantische[178] Kirche bestimmt sei. Ihr Gespräch mußte sehr heftig geworden sein, mein Vater kündigte mir an, daß er des Paters Besuche verboten habe, und ich sie, wenn er sie dennoch fortsetzte, nicht mehr annehmen sollte. Seitdem soll er auch selten mehr zum Bischof gekommen sein, obschon er von ihm mehr als jemals mit Gunstbezeigungen überhäuft ward. Einmal noch traf ich ihn bei der Vesper, die ich zuweilen besuchen durfte, wie ein trüber Herbstabend schon Dunkelheit in der Vorhalle verbreitete, ich brach bei seinem Anblicke in Thränen aus und sank zu seinen Füßen – ich fühlte ein unnennbares Glück, wieder vor einem mitfühlenden Wesen zu weinen, er war mir in diesem Augenblicke Repräsentant einer tröstenden Gottheit, Repräsentant meiner verewigten Mutter. Er bat mich mit Fassung, meine Gefühle zu mäßigen, führte mich in die Kirche zurück und sagte mir im ruhigen Auf- und Abgehen theure, heilige Worte, die ich damals wie Heiligthümer aufbewahrte und erst jetzt verstehe. Darauf gab er mir ein geschriebenes Heft mit dem Bedeuten, daß er seit mehren Jahren die Geschichten mancher Heiligen seiner Kirche, von zufälligem Unsinne gesäubert, hier zusammengetragen und vorzüglich für mich bestimmt habe. Ich sollte ihm zum Andenken diese Blätter bewahren, sollte sie oft lesen, wenn mein junges Gemüth, das religiösen Eindrücken sehr offen schien, von irgend einem frommen, aber unverständigen Bilde sich heftig ergriffen fühlte. – Sie kennen diese Blätter und haben die heilige Kindlichkeit bewundert, welche von den ungestalteten Legenden nur den reinen Geist auffaßte und mit Kindersinne[179] darstellte. Meine Begleiterin rief mich mit Ungestüm von der Unterredung ab. Ich trennte mich mit unbeschreiblicher Wehmuth von dem ehrwürdigen Manne; er schien sein und mein Schicksal zu ahnen; denn wie er mir segnend die Hand auf's Haupt legte, hob er sein Auge mit einem Blicke gen Himmel, als weihe er ein Opfer und wisse nicht, sei er es, oder ich.
Ich sah ihn nicht wieder. – Nach wenig Tagen ward er krank und starb an einem schnellen Übel. Ich glaube, die Tugend übt ihren Einfluß auf die Herzen der Menschen jedes Mal aus, sobald nicht Eigennutz ihm im Wege steht. Mein Vater fürchtete den vortrefflichen Mann – seine Rechtschaffenheit vielleicht, vielleicht nur seinen Einfluß auf mich – sobald ihn seine Gegenwart nicht mehr drückte, ließ er ihm Gerechtigkeit widerfahren, denn die wenigen Tage, die seine Krankheit dauerte, war meines Vaters Unruhe sichtbar. – Welch eine neue, entzückende Empfindung war es für mich, meinen Vater einmal eines meiner Gefühle theilen zu sehen! Aber das war eine kurze Täuschung. Meine Thränen mußten vor seinem Verbote bald verstummen, und mein junges Gehirn wäre vielleicht dem Zwange unterlegen, hätte ihn nicht Beruf und Gewohnheit von mir – wenige Momente im Tage ausgenommen – entfernt. Eine Verwandte, welche dem Hause vorstand, überließ mich mir selbst, das heißt, dem Genusse meines Schmerzes. Meine kindische Phantasie kannte nichts von der Welt, keinen Fußbreit Boden, als die Gärten von W–ky und das Grab meiner Todten; die Vergangenheit war dahin, und mit ihr die[180] Bande, welche sie an die Zukunft knüpften; hülflos, wie ich war, konnte ich mir den heutigen Tag nur wie den gestrigen, und den morgenden als Rückkehr der heutigen Öde und Qual denken, und so fort bis an's Ende. – Konnte die Sehnsucht nach dem Grabe mir entstehen? Ich sehnte mich danach mit aller Kraft meines jungen Lebens, und betete darum und hoffte darauf, und hatte kindische, kindische Plane, meinen Wunsch zu erreichen. Ich wollte meinen Vater bitten, mich mit andern Damen auf die Jagd zu nehmen, wie sie bei uns häufig sind, dort wollte ich Mittel finden, in Schuß zu stehen – ich Kindskopf! – es war Furchtsamkeit und Gewissensscheu und Aberglaube dabei. Ich scheute mich, mir eigenhändig das Leben zu nehmen, ich fürchtete die Schuld des Selbstmordes. – Wie malte ich nicht das Bild aus! wie rührte mich nicht der Gedanke, daß mein Vater um mich weinen und seine Härte gegen mich bereuen würde. – Wenn er mich in diesen Phantasien überraschte, drängte ich mich mit Zärtlichkeit zu ihm, um ihn für den Schmerz zu lieben, der ihn bei meinem Tode erwartete. Mein nächster Ideengang war nun eine strenge Frömmigkeit, deren Natur durch meiner theuern Mutter Vorschriften bestimmt ward. Ich beschäftigte mich angestrengt mit weiblicher Arbeit, welches meiner Mutter von allen Polinnen, vorzüglich von ihrem Gesinde, war verdacht worden, da es ganz gegen den Gebrauch unsers Landes ist; meine Hofmeisterin, die alte Verwandte, erlaubte mir's, weil ich nur Kleidungen für arme Kinder machte. Durch den alten Franschusek, den Sie immer den gefühlvollen Bären[181] nennen, ließ ich mir die bedürftigsten Kinder unserer Leibeigenen ausfinden, ich entwischte oft aus dem Schlosse und besuchte selbst die Hütten, bis mich der Anblick von Völlerei oder grausamer Rohheit, mich mit Schrecken erfüllend, davon abhielt, und ich mich begnügte, sie in meiner Dienstmädchen Zimmer zu waschen, zu füttern, zu kleiden. Ich übte mich auf dem Clavier, so viel es mein zartes Alter erlaubte – ach, tausend Mal sang ich mit seligem Schmerze die Worte des »Stabat mater«, welche Amadeus mir anzeigte: »Du bist dieses Jünglings Mutter, Mutter, sieh, er ist Dein Sohn!« – Wenn die Sonne dann aus der blendenden Höhe auf die Schneefläche strahlte, wenn sie gegen Morgen die niederen Hügel mit Rosenduft färbte – o mit welchem unnennbaren Schmerze tönten die Harmonien der Worte in mir, wie leicht die Töne von meinen kindischen Lippen: »Könnt' ich doch auf Adlersflügeln hin zu euch, ihr Höhen, eilen, ihr Höhen der Herrlichkeit!« – aus eben der Musik. Ich las auch mit Anstrengung in mehren deutschen Predigtbüchern, in denen ich meine Mutter oft hatte lesen sehen; aber sie beschäftigten meinen Verstand gar nicht, und mein Herz blieb leer dabei. Eines Tages hatte ich den Muth, das Heft aufzuschlagen, welches mir Amadeus bei unserer letzten Zusammenkunft gegeben hatte. – Eine wunderliche Scheu hatte mich davon abgehalten. Es war eines Todten Vermächtniß, sein himmelan gerichteter Blick, das blasse Gesicht, die dürre, weiße Hand, die er dabei emporhielt, die kalte Rechte, die dabei auf meiner Stirn lag, schwebten mir stets vor; daß es geschrieben[182] war, mochte die Befremdung erhalten – wer erklärt alle Ursachen? Genug, daß ich es jetzt erst las, da es bisher mit manchem kleinen Geräthe, das meiner Mutter auf dem Todbette gedient hatte, und das ich nie ohne tiefen Schauder berührte, verschlossen blieb. – Ich las – und wie mußten die einfachen, kindlichen Geschichten mich anziehen! – Mein Zustand war während einiger Monate sehr sonderbar gewesen, ich war unendlich glücklich, aber unendlich schmerzvoll – wie Sie wollen. Es war eine lange Todesvorbereitung, denn ich brachte Alles in Beziehung mit meinem nahen, freiwilligen Tode. Nun las ich viel in der Handschrift, bis ich an eine Legende kam: Maximina; die ganz für meinen Zustand gemacht schien. Sie haben sie wahrscheinlich gefunden. Maximina verlor ihre Eltern beide in meinem Alter, ihre heidnischen Verwandten wollten sie zu der Feier sittenloser Feste zwingen, und da bat sie Gott mit Ungestüm um ihren Tod. Wie sie darauf einschlief, träumte ihr, sie sei in einem schönen Garten, ihr Vater begegnete ihr in demselben, und sie bat ihn herzlich, eine Rosenknospe brechen zu dürfen von den vielen, die sie da sah mit Hyacinthen, Lilien und andern Blumen. Wie sie aber die Hand danach ausstreckte, bog sich die Blume zurück und entschlüpfte ihrem Bemühen. Da ward der Vater lichtumflossen und sagte ihr, alle diese Blumen wären gute Menschen gewesen wie sie, und blühten einst auf Gottes schöner Erde, bis der Vater der Menschen sie umpflanzte in sein Paradies; darum solle sie sein warten, und nicht mehr den Tod suchen, sondern leben in Liebe und Barmherzigkeit,[183] und er, ihr Vater, werde als Schutzgeist um sie schweben. – Die Legende ist so beschränkt, die Allegorie so fehlerhaft, das seh' ich jetzt wohl, aber Maximina war ein Kind wie ich, sie wünschte das Leben zu verlassen wie ich, ihr erschien ein geliebter Vater, und ich sehnte mich nach einer theuern Mutter – die Geschichte mußte mich belehren, mich trösten, mich zur Nacheiferung führen. Mein Schmerz war weniger ungestüm; kaum durchbrach die Sonne die Eisrinde unsers Bodens, so suchte ich mei nen Spielplatz wieder auf und lebte stundenlang mit dem alten Frescogemälde. Meine kindische Phantasie schob das Bild meiner Mutter dem Christusbilde unter, und ich versank in Wehmuth, daß sie mir kein befreundetes Wesen hinterlassen hatte, mich mit ihm zu trösten.
Unerwartet gab mir mein Vater einst die Nachricht seiner zweiten Vermählung. Sie war mir peinlich und täuschte mich doch zu Augenblicken mit süßer Hoffnung, daß sie vielleicht den Trost mir brächte, den mein Gott mir verhieß. Selbst die unvorsichtigen und boshaften Anmerkungen meiner Dienstmädchen über den Druck einer Stiefmutter konnten mich nicht ungläubig machen. Ihr Anblick, ihre oberflächliche Bekanntschaft war ganz dazu gemacht, meine Täuschung zu nähren, und die Anmerkungen der Hausgenossen über das Glänzende dieser Heirath waren mir unverständlich. Mir schien kein Weib zu hoch, zu gut, um die Stelle meiner Mutter einzunehmen. – Nur zu früh lernte ich den verhaßten Zusammenhang kennen, den die große Welt nun längst vergaß, der aber in meinem jungen Gemüthe zerstörend[184] wirkte. Meine Stiefmutter, eine Tochter des mächtigen Grafen J–ky, war die glänzendste Schönheit des Herzogthums, selbst in Warschau verdunkelte sie die Schönsten, und ihr Vater triumphirte in dem Vorzuge, den man seiner Lieblingstochter gab. Sie brachte auch einen Sommer in W–ky zu, der Fürst war ihrer Mutter Halbbruder, er verschwendete Feste und Schmeicheleien, um sie zu gewinnen, oft horchte ich traurig auf das Getümmel, das zu meinem einsamen Bogengange herüberschallte – aller dieser Taumel feierte den Fall der stolzen Schönheit. Es ziemt mir nicht, näher anzudeuten, was mir ewig verhaßt sein muß, was ich gern auf ewig vergäße. Mein Vater verkaufte seine Männerehre um Gold, um die Schande von J–ky's Tochter abzulenken, er beschimpfte das Andenken meiner Mutter, und meine Jugend kränkelte unter der Kenntniß der Sünde, unter dem nagenden Gefühle von Schmach. – – –
Meine neue Mutter überhäufte mich mit Geschenken und Liebkosungen, aber bald bezeigte sie eben so viel Befremden über mein eingezogenes, arbeitliebendes Leben, als Misfallen über die Art meiner Freuden. Mein Talent zur Musik gefiel ihr, aber spottend warf sie meine Noten unter den Flügel und legte mir Opern vor, deren Inhalt meine damaligen beschränkten Begriffe hinderte, die Composition zu schätzen. Bald verbot sie mir den einsamen Bogengang, unter den ich mich flüchtete, wenn ihr Zimmer mit dem lästigen Schwarme unverschämter Geistlichen und schamloser Gecken sich füllte. Denken Sie sich die Befremdung, die Bestürzung, die[185] Gewissensangst endlich eines jungen Geschöpfes, das, in den ernsten Begriffen des Protestantismus erzogen, fern von Gesellschaft zu strengem Pflichtgefühl gewöhnt, durch frühen Verlust mit frommen Gedanken vertraut, durch Einsamkeit, Zufall, Anlage zur Schwärmerin, zur frommen, weltentsagenden Schwärmerin gestimmt, sich ein Ideal von Tugend gemacht hatte, und nun plötzlich die Begierde ohne Fessel, die Unsittlichkeit ohne Maske, die Selbstsucht ohne Schminke sieht – welch ein Aufruhr entstand in meinem Innern! Ich reifte eben zur Jungfrau heran, der unwürdige Haufe ahnete gar nicht, daß ich ihm fremd sei – er ahnet ja die niedere Stufe nicht, auf der er steht, eben so wenig als die Würde, zu welcher der Mensch gelangen kann. Meine Verwirrung reizte ihre Neugier, meine Neuheit ihre Übersättigung, und Alles meiner Stiefmutter Ungeduld über mein herrenhutisches Wesen, wie sie es nannte. Einige Male, wenn ich, dem Gesellschaftszimmer entfliehend, zu meinem einsamen Bogengange geeilt war, hatte mich der Bote, der mich zurückholen mußte, vor dem Bilde betend und weinend gefunden. Dieser Umstand und meine Liebe zu Kirchenmusik und Heiligengeschichten mochten meiner Stiefmutter zuerst die Furcht einflößen, daß ich mich zur römischen Kirche hinneige, sie wußte, daß meiner Großeltern Vermögen in diesem Falle auf eine Seitenlinie überging, und ich verarmt das Vermögen ihrer Kinder schmälern würde. Unter den Maßregeln, die sie dagegen anwenden zu müssen glaubte, war auch die Zerstörung meines Bogenganges. Die Mauer ward abgetragen, die Stützen des Laubgewölbes niedergerissen,[186] die freundschaftlichen Ranken krochen am Boden und bald deckte sie der tiefe Schnee des herannahenden Winters, der mir nicht einmal mehr erlaubte, über den Trümmern zu weinen. Alle äußere Gegenstände, die meine Einbildungskraft beschäftigen konnten, hatte man mir geraubt, natürlich arbeitete sie nun desto kräftiger in sich selbst, und mir unbewußt reifte mein Sehnen nach einer Welt, wo man gut wäre, und Grauen vor der, die mich umgab, zu der Vorstellung, daß im Kloster das Böse fern und das Gute einziger Beruf sei. Eine sonderbare Ruhe entstand mit diesem Gedanken; ich wußte nun eine Zuflucht, und die bange Eile, mit der ich vor zwei Jahren Mittel zum Tode suchte, ging in eine kalte, meinem Alter nicht angemessene Beobachtung des Lebens über.
Das erste Kindbett meiner Stiefmutter erklärte mir Umstände, die schmerzvoll zu der Entwickelung meines Nachdenkens mitwirkten. Schrecklich öffnete mir der Zeitpunkt, in welchem es statthatte, über viele Verhältnisse die Augen, er erklärte mir den Spott der Hausgenossen, die Stimmung meines Vaters; aber stets bleibt es mir ein Räthsel, warum in dieser Zeit der Fürst von ihm mit einem Übermuthe behandelt wurde, der die Gesetze der Convenienz selbst beleidigte, und den dieser stolze Mann ertrug. – Ha! ich mag es nicht lösen! – – – Mein Herz zog mich zu dem kleinen Geschöpfe hin, das ich meines Vaters Tochter nennen hörte, dunkler Widerwille gegen seinen Ursprung stieß mich von ihm zurück, aber die Gleichgültigkeit, ja der Abscheu, mit dem es seine Mutter von sich stieß, machte[187] es bald zu einem Gegenstande meiner wehmüthigsten Sorge. In diesem Zeitpunkte nirgends gestützt, und bei dem lebhaften Bedürfniß nach Rath und Vertrauen, erhielt mein Vater kurz nach einander die Nachricht von dem Tode meiner beiden Großeltern in Schlesien. Sie hatten in ihrem Testamente die Bedingung aus dem Ehecontracte ihrer verewigten Tochter noch einmal streng wiederholt, und die Erfüllung ihres Wunsches, ich möchte einen Protestanten zum Gemahl wählen, beinahe zur Bedingung ihres Segens gemacht.
Ich erinnere mich noch sehr deutlich des Eindrucks, den diese Nachricht auf mich machte. Die Empfindung, die mir meine Großeltern eingeflößt hatten, war stets sehr gemischt gewesen. Die Erzählungen meiner Mutter von ihrem Vaterlande hatten es in meiner Phantasie immer mit einem schönen, wehmüthigen Lichte umgeben, der Begriff, den sie mir aber von der Erziehung einflößte, die sie ihr gaben, von der Art, wie sie ihren Einfluß auf sie gebrauchten, brachte in mir eine große Scheu gegen sie hervor. So beherrschte mich meine Mutter nie, so widerstrebte sie meinen Wünschen nicht, nur um mich meine Ohnmacht zu lehren, so strafte sie meine Irrthümer nicht – sie nahm nicht wahr, daß ihre Erzählung so auf mich wirkte, sie gedachte ihrer Jugend, die mir beeinträchtigt, despotisirt vorkam, mit Sehnsucht und Wehmuth, sie hing dankbar an den Eltern, von deren guter Absicht sie überzeugt war, so wenig sie ihre Erziehungsgrundsätze befolgte. Hatte nun diese Scheu meiner Liebe die Wage gehalten, so ward ihr Einfluß noch immer größer durch den Kummer, den[188] die unbilligen Vorwürfe dieser Großeltern meiner Mutter machten, bald über ihre Anhänglichkeit an meinen Vater, bald über ihre angedichtete Anhänglichkeit an den katholischen Glauben. Mein junges Gemüth empfand Widerwillen, diesen Glauben als den Weg, der unsre Seele der Hölle zuführte, anschwärzen, und, als Strafe des Gehens auf demselben, immer den Verlust irdischer Güter androhen zu hören. Nach meiner Mutter Tode hatten sie mich einige Male aufgefodert, meinen Vater zu verlassen, aber sie hatten es mit Härte gegen diesen Vater gethan, und das empörte mich! Ich konnte ihn nicht ehren – ach nein! ich durfte es nicht, wenn mir nicht das Unrecht gleichgültig sein sollte, aber Andere sollten gegen mich den Vater ehren, denn mir war seine Schuld als sein Unglück heilig. Er war nicht gut, und meine Mutter hatte mich gelehrt, daß man dann nicht glücklich sei. – O wie mild hat mich dieser Begriff gegen alle Strafwürdige gemacht, und wie abschreckend machte er mir alles Unrecht! –
Dennoch, wie ich von ihrem Tode hörte, war mir's, als sei ich nur noch einsamer in der Welt; W–ky ward mir nun noch lieber, die Erde, die meine Mutter deckte, noch theurer, der Boden, wo ich sie wandeln sah, meine einzige Heimath, und die arme, verlassene Waise, meiner Stiefmutter verstoßenes Kind, meine einzige Liebe. Der Befehl meiner Großeltern, einem Protestanten meine Hand zu geben, machte mich damals gar nicht unruhig; ich glaubte nicht, daß mein Vater ein Interesse haben könnte, mein ererbtes ansehnliches Vermögen einem Fremden auszuliefern, und die Scham,[189] so jung an's Heirathen zu denken, entfernte die ganze Sache aus meinem Gesichtskreise.
Unter den gewöhnlichen Gesellschaftern und Clienten des Bischofs und den eifrigsten Besuchern meiner Mutter befand sich auch Großmaniev, ein Deutscher, dessen Vater mit dem letzten sächsischen Könige in's Land gekommen war; man kannte ihn erst, da er eine Starostei erhielt, und erkundigte sich erst nach seiner Familie, da mehre Glücksritter und falsche Spieler, durch seine Vermittelung von dem Könige mit Begünstigungen überhäuft, ihn Vetter nannten. Nach Augustus Tode hatte er sich, uneingedenk der Hand, die ihn gehoben, an Poniatowsky's Partei gehängt, und sein Sohn war während des schrecklichen Bürgerkrieges des neuen Königs Gesellschafter – also so fern wie möglich von jeder Gefahr, und jeder Schmach nahe – gewesen. Dieser Sohn war mir vom ersten Augenblicke an verhaßt – warum? konnte und mochte ich nicht ergründen, denn wenn ich mit meinem Gewissen zu Rathe ging, das mir Duldung befahl, so befahl es mir auch, Gutes an ihm aufzusuchen, und das fand ich nicht; – ich hatte nur immer seine erloschenen blauen Augen vor mir, und seine wankende Stimme, und sein beleidigendes Gelächter, wenn ich auf die Reden und Fragen der Männer etwas antwortete, das nach seinem Sinne einer falschen Auslegung fähig war. Wenn ich diesen Menschen nicht sah, dachte ich nicht an ihn, ich bemerkte es also kaum, wenn er nicht in unserm Cirkel erschien, und erinnerte mich nur späterhin, daß man von einer Reise sprach, die er zu seiner Familie nach Sachsen unternommen[190] hätte. Warum ich seiner jetzt erwähne, sollen Sie sogleich sehen.
Nach dem Tode meiner Großeltern brachte ich zum ersten Male einen Winter in der Stadt zu. Meine Stiefmutter hatte ihre Wohnung in dem Palaste ihres Vaters, das Grafen J–ky, und ich mußte an allen Gesellschaften Theil nehmen, die diesen Winter durch die Prachtliebe des Tribunalmarschalls *** sehr glänzend waren. Was mich in diesem Kreise an sich zog, war nicht der Schimmer des Putzes, nicht der Eindruck, den meine neue Gestalt und die Unbehülflichkeit meiner stolzen, scheuen Jugend hervorbrachte, es war die Ahnung einer Begebenheit, die ich nie in ihrem Umfange, in ihren Folgen fassen konnte, die aber dennoch meine ganze Seele fesselte, so wie das Weltall in seiner Unendlichkeit sich meinem Verstande versagt, indeß der bloße Anblick des gestirnten Himmels meine ganze Seele von der Erde emporhebt. In diesem Winter bereitete sich der schöne Moment, der Polen späterhin zeigte, was es sein könnte – es war ein Lichtstrahl in eine Welt voll Trümmer – er schwand! – aber der sehnsuchtsvolle Blick erkannte bei diesem einzigen Strahle, wo zu helfen sei und wie geholfen werden müsse, und er wird nicht vergebens geleuchtet haben.
Sein Sie ruhig, meine Freundin, ich verspreche Ihnen, in keinen besondern Umstand dieser Begebenheiten einzugehen, sie haben mit meinem beschränkten Leben keine Gemeinschaft, nur insofern sie auf meine Entwickelung wirkten, muß ich sie erwähnen. Mein Alter gestattete mir keine deutlichen Begriffe, ich konnte im[191] Ganzen nur das Neue, was man erreichen wollte, für das Gegentheil des Vorhandenen, also für das Bessere halten. Ich kannte die Menschen nicht, aber von dem Menschen hatte ich ein Ideal, das mich Tugend lehrte und meine Tugend bewahrte. Aber die Menschen, die ich bis jetzt gesehen habe, standen mit verzerrter Häßlichkeit neben diesem Ideale, jetzt hört' ich Männer davon sprechen, deren Denkart, deren Ansichten mich zuerst eine edle Wirklichkeit kennen lehrten. Ich brauche Ihnen diese Männer nicht zu nennen, der Schutzgeist der Menschheit kennt sie und trug ihre Namen mit goldnen Zügen in sein Buch ein.
Unter den Fremden, welche das glänzende Tribunal herbeizog, war ein Ausländer, dessen ganzes Wesen durch etwas Räthselhaftes bezeichnet ward. Er gab sich für einen Engländer aus, allein die Fertigkeit, mit der er in andern Sprachen sich ausdrückte, und die Art seines Accents hätte ihn eher für einen Deutschen halten lassen, hätte nicht die Geschmeidigkeit seines Geistes und der nationelle Ton von Schmeichelei gegen Weiber ihn zum Franzosen gestempelt. Mortan, so hieß der Fremde, war ein ältlicher Mann und hatte Eigenheiten alter Leute an sich, die er aber humoristisch an sich selbst verspottete. Dahin gehörte, daß er im Gesellschaftszimmer immer seinen eigenen Platz hatte, den er – denn er spielte nicht – von Anfang bis zu Ende einnahm, und wo die Geistreichsten der Gesellschaft sich um ihn versammelten und meist die öffentlichen Angelegenheiten zum Gegenstande des Gespräches machten. Sie haben mir gesagt, daß man diese Lebhaftigkeit im Gespräche[192] und die gesellschaftliche Vereinigung von Menschen ganz verschiedener Parteien bei Ihnen nicht kennt. Ich verstehe Sie nicht recht. Unsere Männer sind ja alle Polen, haben also doch alle gleiches Recht, eine Meinung zu haben und sie durchzusetzen; so lange sie also sich nicht schlagen wollen, begreife ich nicht, warum sie sich vermeiden sollen. Soll man sich denn nicht kennen, weil man sich um einen Regierungsgrundsatz streiten will? Bei Ihnen muß man nicht so fest auf seiner Meinung halten, oder man muß im Deutschen nicht so gut überreden können – ach! und das glaube ich – denn meine Worte sind recht todt und lahm.
Mortan also sprach bald polnisch, bald französisch, und überredete in Beidem unsere Männer und unsere Damen. Bei der Abendtafel nahm er nicht Platz, sondern ließ sich von seinem Bedienten einen großen Becher frischer Milch bringen, die er hinter dem Stuhle einer der Damen, zu deren Ritter er sich eben erklären wollte, verzehrte. Hier machte er bald seine Nachbarschaft zu dem lebhaftesten Punkte der Gesellschaft, da ihm alle Mittel zur Unterhaltung zu Gebote standen. Seine edeln Züge hatten mich zuerst aufmerksam gemacht, sein graues Haar schreckte mich nicht ab, sie wiederholt zu betrachten, und die Feinheit, mit welcher er meiner Schüchternheit ein Paar Mal forthalf, wie ich in das Gespräch hineingezogen ward, erwarb ihm mein Vertrauen. Bald bemerkte ich das größere Interesse, das seinen männlichen Cirkel belebte, und wählte in meiner Mutter Versammlungen meinen Platz am Ende des Halbcirkels, den die Damen vor Tische, vor dem Spiele[193] und bei andern Gelegenheiten bildeten, so daß ich der Stelle, wo er stand, nahe genug war, um einen Theil seines Gespräches zu hören. Er mochte meine Aufmerksamkeit beobachten, und fing an, sich auf eine Art mit mir zu unterhalten, die eine Quelle von Unterricht für mich ward. Bald scherzend, bald ernst, stets mit einer treffenden Schärfe, aber immer mit klarer Ruhe, die meinen Verstand mit meiner Empfindung gleichen Schritt zu halten nöthigte, sprach er über die Menschen und über mich selbst. Bei jeder Eigenheit unserer Sitten stellte er mir eine Reihe von Gemälden der Sitten anderer Völker auf, die von uns abweichen, und zeigte mir mit Scharfsinn, woher diese Verschiedenheit zu entstehen schien und welche Folgen sie für unsere Bildung haben müßte. Oft sagte er lachend, und doch mit einem feierlichen Wesen zu mir, ich sei keine Polin, aber auch keiner andern Nation. Es gäbe unter jedem Volke einzelne Menschen, die zuerst der Menschheit, und nur zufällig ihrer Nation gehörten, so wie das Ideal in der Kunst zu keiner Schule. Ich war nicht geschmeichelt von diesen Worten, die ich noch nicht recht verstehe, sie betrübten mich. Ich sah, daß die Welt, die mein Herz bedurfte, wenn ich Mor tan's Schilderungen Glauben beimessen sollte, nirgends zu finden sei, ich ahnete, daß sich der Mann eine eigne Welt bilden könne, wenn Kraft und Entsagung ihn waffne, aber für mich hülfloses Weib, einsames Mädchen sah ich kein Mittel, das Gute zu befördern, weil Nichtsbedeutenheit die Bedingung unsers gesellschaftlichen Daseins geworden ist. Gegen das Böse mit meiner Ohnmacht zu kämpfen,[194] vermochte ich nicht, das Gute zu bewirken, bedurfte ich eines geschlossenen Kreises, der mir seine Spuren merkbar machte – jede neue Erfahrung von Anderer Leiden und meiner Schwäche zeigte mir also nur eine Freistätte – das Kloster. Von den tausend Veranlassungen, die mir diese Ansicht lebendig machten, erzähl' ich Ihnen die nächste, die meinem Gedächtniß eingeprägt blieb.
Nach einem Feste, das der Fürst einer großen Gesellschaft in W–ky gab, kehrte man bei einem glänzenden Vollmonde längs des Ufers der Willia zurück. Sie kennen die Ruinen des O–ky'schen Schlosses, das von dem hohen Ufer herab den Strom und die niedern Hügel übersieht – eine der schönsten Lagen, die ein Dichter ersinnen könnte, wenn die Zauberkraft des Frühlings in einigen wenigen Tagen alle Büsche dieser Hügel mit sprossenden, drängenden Blättern bekleidet, das weiche Grün des Bodens mit tausendfältigen Blumen prangt, die kleinen Bäche krystallhell über den gelben Sand hüpfen, der Lotus seine breiten Blätter an den Ufern ausbreitet und seine prächtigen Blumen wie Najaden im Wellentanze sanft über dem Wasser wiegt, indeß ihr Ursprung, vom Silberstrome ewig versteckt, sie zu einem Kinde des reinen Elements, nicht der schweren Erde macht. Damals war es Winter, wir kehrten am Abend zurück, die Mauern des zerstörten Schlosses, Denkmale alter Größe und rauher Barbarei, vom Monde erhellt, breiteten seitwärts ihre schwarzen Schatten wie einen Trauermantel über den Vaterlandsboden, der sie in Trümmern sieht. Der große Thurm nahe[195] am Wasser gab ein besonders ehrfurchtgebietendes Schauspiel. – Ein scharfer Nord drang in die bestverwahrten Schlitten. – »Wohnte doch jetzt hier eine gute Fee, sagte die reizende Fürstin ** zu dem Tribunalsmarschall, der mit ihr in einem Schlitten fuhr, die uns in diesen Trümmern ein warmes Zimmer und Punsch gäbe!« – »Es muß keine Fee mehr geben, sonst würde Ihr Wunsch erhört werden,« erwiederte der galante Marschall, und ließ die Pferde antreiben, um schneller zu Hause zu sein. Nach einigen Tagen lud der Starost ** zu einer Mittagstafel zu Zablocin ein, wo er ein Haus besaß, das er der großen Jagden wegen, die in der Nähe gehalten wurden, neu aufgeputzt hatte. Die Fürstin zeichnete mich mit Güte aus, sie nannte mich die kleine Römerin, und sagte oft, wenn ich über die zudringlichen Scherze der Männer erröthete, mit einer Härte, die nur ihr erlaubt war, wobei sie mich in ihre Arme zog: »Laßt das Mädchen! Eh' Ihr so ein Weib werth seid, muß Euch die eiserne Noth dahin gebracht haben, Euch unter einander selbst aufzuzehren; Einem von Denen, die dann übrig bleiben, werde diese Portia zum Lohne!« Sie hatte mich an diesem Tage in ihren Schlitten eingeladen. Bei unserer Rückkehr kamen wir bei denselben Ruinen vorbei. »Sehen Sie, wie die Sterne so roth durch die Trümmer blicken,« sagte einer unserer Begleiter. – Die Fürstin sah hin. – »Das sind Fackeln; ein Theil unserer Gesellschaft muß den Fluß herunterfahren. Die Waghälse!« – »Nein, rief ich, wie wir jetzt dem Gemäuer näher kamen, es ist Feuer!« – denn die Fensterlöcher des alten Thurmes[196] waren erleuchtet, und aus einem Thorwege stiegen Flammen und Rauch auf. Indem bog unser Schlitten von der Straße ab auf die Ruinen zu; in einem Vorhofe brannten große Feuer von Kienholz, wodurch die nächsten Gegenstände mit einem schaudervollen rothen Lichte erhellt waren, indeß dicke Rauchwolken einen Schatten auf die Schneehügel warfen, der wie Riesengeister aussah, die grau und wankend emporklimmten. Die lebhafte Fürstin stieg still und bestürzt an des Marschalls Hand aus dem Schlitten und nahm mich an den Arm. Wir traten in den Thurm, eine enge Wendeltreppe, schwarz belegt, Wände, schwarz behangen, von bläulichen Lampen erhellt, führten uns aufwärts – oben stand eine wunderliche Rittergestalt, nein, sie stand nicht, sie schritt, grade wie wir die letzte Stufe bestiegen, aus einer finstern Vertiefung der Mauer, schien eine schwarze eiserne Pforte, die vor uns war, nur zu berühren, die Pforte ging auf und die Gestalt verschwand in dem Lichtglanze, der uns entgegenstrahlte. »Fürstin, die Feen haben Ihnen gehorcht!« rief der Marschall, wie wir in ein Zimmer traten, das uns, in einem zierlichen Achteck, die lieblichste Wärme und den Duft der ausgesuchtesten Blumen entgegenströmte. Die Wände waren mit Draperien von der Fürstin Farben behangen, große Spiegel vervielfältigten die glänzenden Wandleuchter, rund umher luden türkische Sophas ein, den rauchenden Punsch, den duftenden Thee, der auf kleinen, niedern Tischen bereitet stand, zu genießen.
Sie können denken, ob eine solche Schmeichelei der[197] Fürstin gefiel. Nur eine ausgesuchte Gesellschaft hatte den Weg zu den Ruinen genommen; die Unterhaltung war um so lebhafter. Anfangs betraf sie nur die Mittel, durch welche in so kurzer Zeit ein solches Kleinod, wie dieses Cabinet, hätte geschaffen werden können. Durch Zauberei, war des Marschalls feste Behauptung. Er habe blos den Befehl erhalten, sie hereinzuführen; von allem Andern wüßte er nichts. Dieser Einfall gab dem Gespräche eine abenteuerliche Wendung, ein Jeder suchte den Andern furchtsam zu machen, indem er in allen Genüssen, die uns umgaben, Blendwerk und Geisterspuk darstellte. »Aber die Erscheinung! rief plötzlich die Fürstin; der Ritter, der alte Sarmate, der vor uns hier eintrat!« – Sie schauderte wirklich zusammen und blickte auf den großen purpur- und hellgrünen Teppich, der in reichen Falten den Eingang verbarg und eben rauschend aufrollte, aber es war Mortan, der mit komischer Behutsamkeit hereintrat. Er hatte heute aus irgend einem Vorwande bei der Gesellschaft gefehlt und war von Allen schon vermißt worden. Seine Ankunft gab der Unterhaltung einen neuen Umschwung, er gesellte sich unserm Scherze sogleich bei, sprach abenteuerliches Zeug von einem Dämon, der ihn durch die Luft hergeführt hätte, ward aber nach und nach immer ernsthafter, bis er uns unvermerkt dahin brachte, ihn nochmals nach der Art seiner Ankunft zu fragen. »Ich besuchte, sagte er, nach abgefertigtem Posttage den deutschen Commandanten im Castell, und finde ihn am Fenster, wie er, seine Pfeife dampfend, in die dunkle Nacht sieht. ›Heute ist's tödtlich kalt,‹ sage ich zu[198] dem steinernen Manne. – ›Hm! ja, mögen's die Leut' spüren, denen dort die Hütt' brennt.‹ – ›Wo? machen Sie doch Lärm!‹ und stoße ihn etwas unsanft vom Fenster weg, und sah an einem Platze, wo ich sonst gar kein Haus kenne, Feuerröthe, und dringe in ihn, Lärm schlagen zu lassen. ›Ei, sagt er unerschütterlich, und wackelt an dem Tische, um die Pfeife auszuklopfen, machen doch die Leute, wo's brennt, keinen Lärmen; das geht mich nichts an, das geschieht oft.‹ – Ich hätte vor Ungeduld vergehen mögen, springe in meine Chaise, nehme aus dem nächsten Kruge Branntwein und Brot, was der Wagen führen kann, und fahre auf das Feuerzeichen zu. Ob ich erstaunt war über Das, was ich fand, können Sie urtheilen.« – Man lachte über seinen Irrthum, der wol nur halb wahr sein mochte, bis er ernsthaft wieder anfing: »Wissen Sie aber, daß wir es darauf wagen, mit erfrornen Pferden nach Hause zu fahren? Das ist eine Kälte, wie ich sie nie erlebte!« – Indeß kam ein Bedienter, um dem Marschall etwas in's Ohr zu sagen. Dieser antwortete: »Laß sie noch mehr Feuer machen!« – »Es ist kein Holz mehr bei der Hand,« sagte der Mensch betreten. – Mich empört es, die Antwort zu wiederholen, die der Marschall mit einem Fluche verband. Die Fürstin vernahm die Unterredung und drang auf die Abreise – wir stiegen die schauerliche Treppe hinab, die Kälte benahm uns den Athem. In dem Hofe loderten die Feuer nicht mehr, sondern von großen Kohlenhaufen blies ein schneidender Nordwind die Asche, und schwarze, elende Gestalten gingen heulend im Kreise[199] umher oder hockten an der dunkeln Glut. – Seitdem las ich Dante's Hölle, ich fand, das Bild gehöre dahin. – Man that sein Möglichstes, sich in den Schlitten zu verhüllen; Mortan behauptete, er müßte auch Theil an der Gesellschaft haben, und erhielt von der Fürstin die Erlaubniß, mich in seiner Chaise nach Hause fahren zu können. Alle Pferde waren von dem langen Stehen in dem offenen Gemäuer bei der ungeheuern Kälte erstarrt, nur die Mortan's, die vor kurzer Zeit angekommen waren, waren frischer, man trug ihm also auf, vorauszufahren, um den Andern Muth zu machen. Wie er mich in den Wagen gehoben hatte, eilte er auf ein Paar Menschen zu, die sich auf den Schnee legten, riß sie auf und beschwor sie, sich schnell zu bewegen um dem Erfrieren zu entgehen. Ich bemerkte, daß er unmuthig war, aber ohne ihn zu errathen, denn das Feenmäßige des Abends hatte mich sehr zerstreut. Kaum waren wir unterweges, so scheuten unsere Pferde, sprangen zur Seite und zogen die Chaise in den tiefen Schnee. Auf Mortan's Frage sagten die Bedienten, die sogleich abgestiegen waren, es läge ein Mensch im Wege, der schon ganz starr gefroren sei. Mortan rief einige englische Worte aus – wenn er vom Gefühl hingerissen ward, waren seine Ausrufungen in dieser Sprache, weshalb ich ihn dennoch für einen Engländer halte – und sprang aus dem Wagen. Nach einigen Secunden, in welchen die Schlitten uns näher kamen, trat er zu mir und bat mich, zur Fürstin zurückzukehren – »Ich habe hier, sagte er, zwei Unglückliche, denen zu helfen ich einen Versuch machen werde; Sie – und er nannte[200] mich mit Nachdruck ein gutes, menschliches Wesen – Sie werden mir gern erlauben, lieber barmherzig als galant zu sein.« Hier faßte er mich wie ein Kind mit allen meinen Pelzhüllen in die Arme und trug mich über den knisternden Schnee an der Fürstin Schlitten. »Zwei Ihrer Leute liegen erfroren im Wege, rief er dem Marschall zu; ich fahre sie zum nächsten Wundarzte, vielleicht retten wir sie.« So schob er mich in den Schlitten hinein und eilte fort. Der Marschall nannte ihn einen wohlthätigen Murrkopf und entschuldigte ihn bei der Fürstin, daß er mit seiner Don Quixotte's Laune so oft dem Scherz eine ernste Tinte gäbe. Sie antwortete mit einem Wesen, das ich nur an Weibern sah, die durch Schönheit und Geist ihres Einflusses gewiß sind. Bloßer Stand erlaubt es nicht; es würde bei einer Königin übermüthige Härte heißen. »Freilich ist er ein Thor, antwortete sie, denn er nimmt nicht wahr, wie vergeblich er uns in's Gewissen redet. Verstanden Sie denn nicht, Marschall, daß er Ihnen sagte: Sie haben ein Paar Menschen ermordet, um einem Weibe eine Fete zu geben?« – Der Marschall war empfindlich, antwortete aber schmeichelnd. »Nur fort,« sagte sie kalt, »Sie treiben Ihr Handwerk, aber ein Fremder sieht diese Dinge anders an, und ich möchte vor Scham vergehen, wenn wir so in unserer weichlichen Barbarei vor ihm stehen.« – »Schöne Dame,« rief der Marschall spottend, »das könnte ja in einer Volksrede an der Seine prangen!« – »Was ich sage? ja! und was Ihr thut, führte jene Volksreden herbei. Ihr wollt Eure Nation befreien, und haltet das Leben Eurer Brüder[201] nicht werth, den Schlitten anhalten zu lassen.« – Der Marschall suchte sich mit empfindsamen Phrasen zu retten, sprach davon, daß die Familien dieser Unglücklichen ein Denkmal ihres schönen Zornes sein sollten, durch die Wohlthaten, mit denen er sie überhäufen würde. Sie beantwortete alle seine Unterwürfigkeit mit einer Darstellung des allgemeinen Charakters unseres Adels, und besonders dessen, der sich jetzt zur Revolution rüstete, zu der sie die grellsten Farben brauchte. Ihre Zunge war wie ein schneidendes Schwert, und der Marschall erwiederte keine Sylbe. Endlich schloß sie mit den Worten: »Und weil ich uns nun von Herzen verachte, bin ich dem russischen Hofe zugethan, und bleibe es, bis eine eiserne Noth Euch Männer zerquetscht hat; dann mögen meine Söhne das Racheschwert fassen, oder ich verneine sie noch im Grabe.« – Ich saß stumm und zitternd – so hatte ich noch nicht sprechen hören, so noch nie Schmach ausschütten hören – und sie ergoß sich über mein Vaterland!
»O blute, blute, armes Vaterland!« – – – wie Sie mich Shakespear kennen lehrten, und mich bei diesen Worten, die Macduff ausspricht, eine heftige Rührung ergriff, wunderten Sie sich – diese Worte dachte ich damals, wo ich keinen Shakespear kannte, und deswegen rührte es mich so, daß vor Jahrhunderten die Muse einem Menschen den Schmerz offenbarte, den mein Gemüth damals empfand. Ich hatte Zeit, ihm nachzuhängen, denn von da an herrschte todte Stille in unserm Schlitten bis zu unserer Ankunft. Lange nachher hörte ich, daß die Fürstin durch dieses Gespräch den[202] Marschall, dessen schwankender Charakter beide Parteien aufhielt, zu einer Entscheidung hatte bringen wollen. Es gelang ihr, denn er trat bald nachher als offenbarer Beförderer der Revolution auf. Ob die Fürstin das wollte, weiß ich nicht; sie verließ Polen noch vor der Annahme der Constitution, um nach Italien zu gehen, von wo sie noch nicht zurückgekehrt ist. Ich verstehe diese Frau nicht; wenn ich mir aber Heldinnen jedes Jahrhunderts denke, steht unwillkürlich ihr edles Bild vor mir da.
In der Gesellschaft wurden die beiden verunglückten Menschen gar nicht mehr erwähnt. Ich suchte gleich den folgenden Tag Mortan auf, um nach ihnen zu fragen – einer von ihnen war ein Weib, ein hochschwangeres Weib! sie war dahin! Sie war die Frau eines Leibeigenen des Marschalls, und hatte mit vielen Anderen an der Einrichtung des Zaubercabinets arbeiten müssen. Dieses Unternehmen war nur durch Überfluß von Geld und Menschenmühe so schnell zu Stande gebracht; noch bis zum Augenblicke unserer Ankunft hatte man Steine fortgeschafft und den Weg dann mit Schnee, den man feststampfen mußte, beschüttet; das arme Weib hatte, durch seine Bürde ungewöhnlich ermüdet, ihren Mann gebeten, sie einen Augenblick ausruhen zu lassen, der Schlaf hatte sie, Starrheit ihren Mann befallen, dieser hatte, wie seine Stellung zeigte, da mitten im Wege unsere Pferde vor ihm scheuten, sich noch retten wollen, und war auch durch Mortan's beharrliche Bemühung wieder in's Leben zurückgerufen worden. Im Ergusse meines Gefühls pries ich sein Glück, eines Menschen[203] Leben gerettet zu haben. Er antwortete finster: »Das ist ein schlechtes Glück, mein Fräulein, was ich hatte, und was ich dem Elenden schenkte; ein dumpfes Dasein, das nur durch schreiendes Bedürfniß oder sklavische Strafe empfunden wird. Wie viel wohlthätiger schien mir der Anblick der starren Mutter in ihrem tiefen Schlafe, von dem sie zu keinem Jammer mehr aufwachen wird, als der wiederbelebte Vater, den halbnackte Kinder mit blödsinniger Neugier nach der todten Mutter fragten.« Ich schauderte vor diesem Bilde; ich bat, er sollte mir seinen Diener schicken, ich wollte den Leuten Unterstützung senden. Ich sagte viel Kindisches, Vieles, was sich, unreif und überspannt, in meinem Kopfe formlos umherwälzte; mein schmerzhaftes Gefühl, überall Verderbniß und nirgends Hoffnung zu sehen, riß mich hin, meine Schüchternheit zu vergessen. Mortan nannte mich ein edles Gemüth und sagte, ich sei um ein halbes Jahrhundert zu früh in meinem Vaterlande geboren. – Gebe Gott, daß also ein halbes Jahrhundert später Herzen wie meines, unzerquetscht von Jammer und Unrecht, in diesem Lande schlagen können! – Seitdem war die Familie des erfrornen Weibes unser Geheimniß; er ließ mir die Freude, mit Aufopferung manches Überflusses für die Kinder zu sorgen, er selbst nahm sich eines Knaben von dreizehn Jahren an, den er zu sich nahm, und der ihn, von dem Marschall feierlich ihm geschenkt, bei seiner Abreise aus unserm Lande begleitete.
Über diesen Dingen, die ich Ihnen mit lebhafter Erinnerung erzählt habe, bin ich weit von meiner Geschichte abgekommen. Außer den Festen und Gesellschaften[204] beschäftigte mich in demselben Winter, in welchem ich zum ersten Male in die große Welt trat, auch eine sehr ernsthafte Begebenheit. Mein Aufenthalt in der Stadt ward benutzt, um mir den Religionsunterricht zu geben, der bei den Protestanten dem öffentlichen Bekenntnisse und der ersten Communion vorhergehen soll. Der lutherische Prediger in W. war ein guter, höchst beschränkter, mit Armuth kämpfender Mann. Eine Menge Kinder erschwerten seine Lage; in den Bürgerkriegen war er in Koszlowin von den Russen belagert worden und hatte das schreckliche Schicksal dieser Stadt, wo sich die Conföderirten vertheidigten, getheilt. Hunger und Furcht hatten die Einwohner erschöpft, die unmenschliche Behandlung, die allen überwundenen Städten, ohne Rücksicht auf Parteihalten, zu Theil ward, hatte den Muth der Vertheidiger zur Verzweiflung, ihren Haß zur Wuth erhöht. Feuer wüthete durch die Gassen, die hölzernen Häuser boten nirgends Schutz, die Mütter liefen, mit ihren Kindern auf dem Arme, der Glut aus dem Wege, sie kletterten auf die Wälle und warfen sie, von der leckenden Flamme erreicht, flehend den russischen Soldaten zu – die Barbaren empfingen sie auf ihren Bajonetten, und die Unglücklichen wurden, in Starrsucht versunken, von ihren Vertheidigern zertreten, oder irrten, ihres Verstandes beraubt, in die Flammen zurück. –
So ward mein Volk behandelt! Die Unmenschen, die es damals zerfleischten, setzen ihm wieder den Fuß auf den Nacken. – Und ich soll froh sein? Ich soll in einer Welt leben, wo solche Gräuel vorgehen? Ich[205] soll Menschen angehören, die ihres Meisters Ebenbild so vertilgten? Denken Sie, ich sei thöricht genug, um Reinigkeit, Heiligkeit, Freiheit im Kloster zu suchen? – Eine Mauer suche ich, die mich von dieser Welt scheidet – – –
So, gedrückt von seiner kalten Religionslehre, gedrückt von Schicksalen, die Helden oder Knechte bilden müssen, gedrückt von Nahrungssorgen, hatte dieser Mann gerade die Eigenschaften, die nöthig waren, um ein junges Gemüth vor aller Exaltation zu bewahren, die durch religiöse Empfindungen so leicht angefacht werden konnte. In seinem Kopfe stritt Secteneifer mit Menschenfurcht, und er lehrte mich die Dogmen unserer Kirche mit dem Fanatismus, der ihr ein nicht unwichtiges Mitglied zusichern wollte, und mit der furchtsamen Zweideutigkeit eines Menschen, der es nicht vergessen konnte, daß seine Schülerin in naher Verbindung mit wichtigen Häuptern seiner Gegenpartei war. Anstatt seine Kirchenlehre mir zuzueignen, lernte ich über Glaubenslehren überhaupt nachdenken und meinen Glauben, den mir früher Schmerz und früher Trost, von Gott selbst mir zugesandt, erworben hatte, noch fester halten. Aber froher machte mich das nicht, nicht verband es mich mehr mit den Menschen um mich her – im Gegentheil, ich lernte in dem Verhältnisse, welches mir dieser lutherische Geistliche in dem Menschen zeigte, eine neue verächtliche Seite meiner Landsleute kennen, denn forschsüchtig, wie ich nun einmal bin, las ich und grübelte so lange, bis ich endlich sah, wie wenig Religionswärme in dem Religionsstreite unsers Landes stattgefunden hatte.[206]
Die Zeit meines Unterrichts ging zu Ende, und ich sollte dem ersten öffentlichen Religionsactus in der Ostercommunion beiwohnen. Mein verewigter Lehrer hatte mir die Bedeutung dieser Handlung in den letzten Zeiten seines Lebens auseinandergesetzt, und mir war ein wehmüthiges Bild von diesem Vereine frommer Verfolgter, Verkannter, zu gleicher Liebe und Entsagung durch das Band der Liebe sich Verbindender geblieben. Was sie in der protestantischen Kirche jetzt sei, hatte ich nicht bedacht, bis mein Lehrer diesen Gegenstand mit mir durchging. Ich sah nun wohl, ohne mir die Sache schulgerecht erklären zu können, dieser einfache Gebrauch sei ein Symbol geworden. Klar mir bewußt zu werden, was es eigentlich vorstellen sollte, gelang mir nicht, weil mir bei der Darstellung, die Amadeus mir machte, gar keine Erinnerung an etwas geheimnißvoll Überirdisches geblieben war, ich konnte also meines Lehrers Bemühung, meinen Glauben dabei in Anspruch zu nehmen, nicht reimen. Zufällig kam ich darauf, mir durch den Vergleich mit der katholischen Kirche Licht verschaffen zu wollen, denn des lutherischen Geistlichen Versicherung, daß sie unvernünftig sei, machte mir Hoffnung, sie als Gegensatz benutzen zu können. Ich kam zu einem sonderbaren Resultate – ich begriff meinen Lehrer nun gar nicht mehr, mir war aber, als wenn ich die katholische Lehre wol glauben könnte. Da ich seit unserem Aufenthalte in der Stadt als ein erwachsenes Frauenzimmer behandelt wurde, ward es mir leicht, unbemerkt in die Messe zu gehen. Ich wohnte einem Hochamte bei, in der Absicht, über den Sinn der Handlung[207] nachzudenken. Kaum war sie aber begonnen, so fühlte ich eine Sehnsucht nach etwas Höherem, als die Erde, auf der ich kniete, und wie der Priester die Monstranz aufhob, war mir's, als zerrissen die Wolken über meinem Haupte und ein lebendiger Strahl der Gottheit erleuchtete mein Gemüth. Ist das Glaube? dachte ich halb bestürzt, und wartete halb bange und halb neugierig auf das Osterfest, welches mir die Ceremonie meiner Kirche lehren sollte.
Es kam. Die Kirche drückte mich mit ihren dunkeln, nackten Wänden, die Menschen, die sich dem Altar näherten, quälten mich mit ihren Gesichtern und Stellungen, die alle den Stempel ihres gemeinen Lebensberufs trugen; vor mir standen ein Paar Frauen von Stande, die sich von reichgekleideten Dienern die Schleppe tragen ließen – ich dachte an Amadeus Erzählung und fühlte mein Herz beengt, denn ich fühlte Widerwillen. Um mich von diesem sündigen Gefühle zu zerstreuen, blickte ich umher, und erblickte unter den Männerreihen, die mir gegenüber derselbe Zweck zusammenrief, Großmaniev in der Uniform seiner Provinz, mit dem rothen Bande geziert. – Wie ein Blitzstrahl fuhr mir die Ahnung durch den Kopf, daß dieser Auftritt Bezug auf meine Zukunft haben sollte. Mir schienen augenblicklich einzelne Worte meiner Eltern, einzelne Züge in dem Betragen dieses Menschen Beziehungen zu haben, und mit einem peinlichen Kampfe in meinem Innern folgte ich dem Fortschreiten der frommen Handlung.
Ich bin schon besser geworden, meine Freundin, als ich damals war; ich fühle es, daß es mir gelingen[208] wird, noch besser zu werden. Jetzt geht meine Heftigkeit in Nachdenken und bald in Sanftheit über, dazumal ward sie Starrsinn und Bitterkeit. Ich fand nun keine Wärme mehr im Herzen für die Handlung, wegen der ich gegenwärtig war, kalt verglich ich sie mit den Liebesmalen der ersten Christen und mit dem erhabenen Zauber der katholischen Kirche, und sehnte mich aus einer Welt hinweg, wo nur Alles die Seele verletzte.
Bei meiner Rückkehr in's Palais fand ich einen großen Cirkel, der mich mit Glückwünschen überhäufte, meine Mutter überreichte mir einige sehr schöne Geschenke und sagte mir einige schmeichelhafte Reden über die Rechte, die ich nun, als erwachsene Tochter, erlangt hätte. Ich hörte Alles mit halber Betäubung an. Der Zustand war unnatürlich, ich hoffe es! denn ein junges Geschöpf, das an diesem Tage vernünftelt, vergleicht, beobachtet, statt hingerissen zu werden, wäre gewiß auf einem gefährlichen Wege. Unter den herzutretenden Gästen war auch Großmaniev. Er sprach von der geistigen Verwandtschaft zwischen uns halb frömmelnd, halb zärtlich – ich wies ihn mit einer erstarrenden Kälte zurück und suchte mich Mortan zu nähern, um, wenn zur Tafel gerufen würde, ihm meine Hand zu geben, da ich Großmaniev's Nachbarschaft verabscheute. Mortan sah sehr ernst aus. »Sie haben heute ein Gelübde abgelegt, sagte er mit einer Art Kälte, bei dem ein junges Herz lebhaft empfinden, ein reifer Geist ernsthaft nachdenken muß. – Sie haben Beides; die Wolke, die ich auf Ihrer Stirn sehe, wundert mich nicht.« – Statt mich zu beruhigen, spannten mich diese Worte[209] nur noch mehr; ich erwiederte übereilt: »Das Herz kommt wenig in's Spiel, wenn der Geist früher nachdenkt, als jenes empfindet.« – Mortan sah mich beunruhigt an. – »Ich verstehe Ihre Worte nicht, theures Fräulein; was ich aber in jedem Falle wünschte, das wäre, Ihr Herz mit Ihrem Kopfe so viel wie möglich in's Einverständniß zu bringen.« – Mir war nur der Gedanke, in ein Kloster zu gehen, gegenwärtig, ich antwortete, ohne zu bedenken, wie fremd mein Ideengang Mortan sein müßte, mit jugendlicher Festigkeit: »Die sind einig, die sind es!« – Man rief jetzt zur Tafel, und ich reichte Mortan, der mich befremdet betrachtete, die Hand. Wie sehr war ich aber bestürzt, als mich meine Mutter im Tafelzimmer aufrief, mir den Ehrenplatz anwies und Großmaniev an meine Seite setzte. Meine Fassung bei der Tafel war peinlich, sie kam aber den Anwesenden wahrscheinlich nachdenkend und gesammelt vor. Nachdem wir in den Salon zurückgekehrt waren, foderte man mich auf, Musik zu machen. Ich setzte mich unmuthig an den Flügel – plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, vor dem ich mich jetzt schäme, denn er bewies meinen Mangel an Fassung, an Anstand, an Geschmack. Ich warf die Noten, welche auf dem Pulte lagen, bei Seite, flog auf mein Zimmer und brachte eine Messe zurück, die ich schon lange konnte und unzählige Male in meiner Einsamkeit gesungen hatte. Von einer sonderbaren Spannung, an der Furcht den größten Antheil hatte, begeistert, rief ich Mortan an den Flügel und reichte ihm die Geige, die er sehr fertig spielte; ein junger Verwandter,[210] der mir oft accompagnirte, spielte die Flöte. – »Welch ein Einfall!« rief meine Stiefmutter, indem sie die Musik erkannte und die Hand danach ausstreckte. – »Sie haben mich heute durch die ehrenvollste Auszeichnung emancipirt, gnädige Frau, sagte ich, und zog die Noten zu mir, erlauben Sie mir, zur Unterhaltung Ihrer Gäste meinem Caprice zu folgen.« Mit Zorn in den Blicken ging sie zu meinem Vater, der schon am Pharaotische saß, und sprach lebhaft mit ihm, indeß unser Concert schon anging. Es schien der Geist der Tonkunst auf uns niedergestiegen zu sein. Die Spannung meines gequälten Gemüthes ging in Andacht über, ich wußte nicht mehr, was um mich vorging; der Trotz, der mich zu der Wahl dieses Gesanges bestimmt hatte, war verschwunden. Ich bemerkte nicht die zunehmende Stille um mich her, nicht die Thränen, die meine Wangen benetzten; wie aber der letzte Ton verhallte und Mortan mir zuflüsterte: »Um eine Cäcilia in Ihnen zu sehen, fehlt's unsern Augen nur an der Fähigkeit, die Engel, die mit uns horchten, zu erblicken« – bei diesen Worten kam ich zu mir selber, alle Fassung, aller Trotz war dahin, mir war's, als hätte man mir meinen Gott genommen, und mit zerrissenem Herzen eilte ich auf mein Zimmer, das ich, ungeachtet der Auffoderung meiner Eltern, nicht mehr verließ.
Den folgenden Morgen machte mich mein Vater mit seinem Entschlusse, mir Großmaniev zum Gatten zu geben, bekannt. Ich hatte, während der langen Nacht, Zeit gehabt, alle Möglichkeiten, so weit mein armer junger Kopf meine Lage fassen konnte, zu überlegen;[211] mir war dieser Vorschlag also gar nicht unerwartet, aber noch begreif' ich nicht, warum bei meines Vaters Antrage mein Stolz zuerst sich empörte. Ich rief mit einer Geringschätzung, in welcher alle die empörten Gefühle, welche mich bestürmten, zusammengepreßt waren: »Wie, mein Vater! Ihrer Gemahlin Tochter, die Enkelin der Silberstadt, einem Abenteurer, den Hofschranzenbiegsamkeit zum Glückspilz machte?« – Hohe Zornröthe flammte auf meines Vaters Gesichte auf. Furcht ergriff mein Herz, und ich glaubte nun Alles wagen zu müssen, da mir das Ärgste zu drohen schien. »Einem Menschen wollten Sie Ihr Kind geben, fing ich wieder an, der gestern den Lutheraner zur Schau trug, um meine reichen Güter in Schlesien wegzuhaschen ......« Hier unterbrach mich mein Vater, indem er mit unseliger Heftigkeit den Besitz dieser Güter als den einzigen Grund darstellte, warum er mit meinem Stolze, meiner Verkehrtheit Geduld habe; er redete sich selbst in immer größere Heftigkeit hinein und erklärte, daß er mich ohne diese Herrschaften, welche ich besitzen sollte, und wenn mein ewiges Wohl darum zu Grunde ginge, schon bei meiner Mutter Tode in ein Kloster gesteckt hätte, wo ich meine Visionen ein langes Leben durch hätte verfolgen können. Bei diesen Reden schien plötzlich meine Seele entfesselt, eine Himmelsstimme schien zu mir zu sprechen, ich stürzte zu meines Vaters Füßen und flehte ihn, noch jetzt diese Drohung zu vollführen. Wie sich die Reden weiter in einander fügten, weiß ich nicht, aber ich erklärte meinen festen und bestimmten Entschluß, den Schleier zu nehmen.[212] In ungeheurer Angst findet die Seele gewiß Kräfte, deren sie sich vorher nicht bewußt war, diese kommen ihr von Gott! wie viel mehr muß sie ein hülfloses Kind finden, wie ich damals war, dem Gott stets näher stehen muß, weil es hülflos ist Ich ward ruhiger und ruhiger, obschon ich jetzt weiß, daß mein körperlicher Zustand nicht natürlich war, ich versicherte meinen Vater, daß kein Zwang möglich sei, denn ich würde immer einen Augenblick finden, meinen Übertritt zur katholischen Kirche öffentlich zu erklären, und ob ich dann auf Schutz rechnen könne, wisse er am besten; lasse er mir aber meine Freiheit, würde er mir Großmaniev's verächtlichen Namen nie mehr nennen, so verspräche ich ihm, den Schleier erst nach meiner Mündigkeit, also in meinem fünf und zwanzigsten Jahre, anzunehmen. Bis dahin sollten die Einkünfte meiner reichen Güter zu einem Capital für meine Schwester Aloysa aufgehäuft werden. Meine Mutter, die bei der ganzen Unterredung eine meist stumme Zeugin abgegeben hatte, schien hier wirklich gerührt; sie zog mich in ihre Arme und sagte zu ihrem Gatten: »Versprechen Sie ihr nichts, lassen Sie sie nichts versprechen, Sie werden sie nie in's Kloster gehen lassen, sie wird nie den Fluch ihrer Eltern durch eine öffentliche Empörung auf sich laden wollen. Theofanie ist erst sechzehn Jahr alt, sie muß die Welt erst kennen lernen – lassen Sie ihr Zeit, sich zu besinnen, und mir, auf sie zu wirken!« Ich hörte meines Vaters Reden nicht mehr, die Anstrengung hatte mich der Besinnung fast beraubt, meine Mutter leitete mich aus dem Zimmer, aber meines[213] Vaters Zorn mußte durch den Widerstand meiner Mutter auf's höchste gestiegen sein, denn wie die Kammerfrauen mich auskleideten, um mich zu Bett zu bringen, sagte die Castellanin ein Paar Mal: »Er hätte sie ermorden können – da wäre seine Speculation schön verdorben.«
Ich hütete einige Tage das Zimmer. Meine Spannung ging vorüber, aber mein Entschluß stand fest. Ich fand, daß vor meiner Volljährigheit kein entscheidender Schritt zu thun sei, aber bis dahin gezwungen werden zu können, fiel mir nicht ein, denn ich kannte die Mittel, mich in dem Falle der väterlichen Gewalt und im ärgsten dem Leben zu entziehen. Die Castellanin deutete mir an, daß mein Vater in keinem Stücke von seinem Willen abwiche, aber um meiner Jugend willen meine Heirath noch ein Paar Jahre aufschöbe; Großmaniev habe ich indessen als meinen künftigen Gatten zu betrachten. Ich wiederholte meiner Mutter meinen Entschluß, und versicherte sie, daß ich dem zu Folge jenen Mann nicht als meinen Verlobten behandeln würde.
Wie peinlich nun mein Leben war, können Sie sich denken. Peinlich, aber lohnend. Mein Wesen erstarkte im Drange der Nothwendigkeit; ich glaube, es entwickelte sich, obschon, seit ich Sie kenne, meine Begriffe von mir in eben dem Maße gesunken sind, wie Ihre Güte und Geduld, meinen Geist zu bilden, bestrebt war. Meines Willens, ist er einmal gefaßt, bin ich sicher, aber wie viel meiner Erkenntniß abgeht, um für diesen Willen die beste Wahl zu treffen, das sehe ich immer mehr und mehr ein.[214]
Großmaniev zu behandeln, ward mir nicht schwer. Er ist ein elender, furchtsamer Mensch, mit dem ich meinen Weg gehe. Ich sagte ihm bei seinem ersten Besuche meine Denkungsart und Entschließung, setzte aber hinzu, daß ich dem Willen meines Vaters, ihn als seinen Gast aufzunehmen, nicht widerstreben könnte, daß ich ihn also wie jeden Andern aus der Gesellschaft behandeln würde; zwänge er mich durch Zudringlichkeit zu andern Maßregeln, so trät' ich bei der ersten Messe in des Bischofs Hauskapelle und erklärte mich für eine Convertite. Wolle er dann seine Bewerbung bei dem verarmten Fräulein fortsetzen, so wäre das seine Sache. Der Elende sagte eine Menge platter Dinge, und blieb in den Schranken, die Sie ihn noch beobachten sahen. Mein Vater bewachte mich streng und sprach seitdem kein freundliches Wort mehr mit mir, ich ertrug es stets als etwas Unvermeidliches, ernstlich bemüht, durch keine meiner Handlungen diese Lieblosigkeit zu verdienen. Die Castellanin war freundlicher als je und machte mir bange. Sie überhäufte mich mit Geschenken, zwang mich zu einem Putze, der oft mein Gefühl für Anstand beleidigte, erlaubte mir keine einsame Stunde zu meinen gewohnten Beschäftigungen, war bemüht, meinen Gesang, mein weniges Talent zur Musik überall geltend zu machen. – – – – Geschadet hat sie mir nicht, aber beraubt hat sie mich vieles Glückes. Mir sind so viele Gaben Gottes zur Sünde geworden, weil sie zur Sünde sie gebrauchen wollte – – – Das werde ich wol nie vergessen.[215]
Der Sommer kam heran, und wir gingen nach W–ky, wo man zahlreiche Gäste erwartete. In den neun Monaten meiner Abwesenheit war ich um viel Jahre älter geworden, das Wiedersehen meines Jugendschauplatzes durchdrang mich mit wunderbarem Gefühl. Seit mein Verhältniß mit meinem Vater so gespannt war, hatte ich mich mit einer Kälte bewaffnet, die nicht zu meinen Jahren paßte, ich hatte mein Herz mit einer künstlichen Rinde umzogen – bei dem Anblicke meiner Kindheitsstätten schmolz sie vor dem Strahle der Erinnerung, wie die Eisrinde, die noch vor wenig Tagen meinen Lotus, meine Maiblumen bedeckt hatte, vor dem Strahle der Sonne geschmolzen war. Ich ging umher mit unaussprechlicher Wehmuth! Es war wie ein neues Todtenfest, das mit einer Auferstehungsfeier verschmolz – Frühling und Gräber! – Ich ging zu den Trümmern meines alten Heiligthums, kniete auf die gestürzte Mauer und küßte die Züge der leidenden Mutter, die auf einem unzerbröckelten Stücke des Anwurfs, von Thau und Regen reingewaschen, noch deutlich zu sehen waren. Ich wagt' es, den Platz reinigen zu lassen, das Buschwerk ward aufgebunden, ein Paar Bänke umhergestellt, wohlriechende Pflanzen in artigen Vasen setzte ich vor die Öffnung der Mauer, wo der sanfte Abendstrahl eindrang. Die Wirkung, die eine sonnenhelle, weit ausgebreitete Landschaft machte, die sich durch die verfallene Mauer darstellte, indeß der Zuschauer in dem dichten Schatten der Tannen und blühender Sträuche stand, war überraschend. Die kalte, unverhohlene[216] Weise, wie ich die Anordnung traf, hinterging meine Eltern, so daß sie nichts dagegen einwendeten, wie mir der Fürstbischof anbot, den Durchbruch der Mauer in einen großen Schwibbogen fassen zu lassen. Ich küßte ihm dankbar die Hand. Der Bogen ward gemauert, so wie Sie ihn kennen, und auf meinen Einfall mit den tiefen, schwarzgemalten Wänden versehen, welche den Anblick der Sonnenhelle so zauberisch machen. Daß der Ort einige Tage lang das Ziel platter Neugier sein würde, wußte ich; bei der ersten Klage einer Unpäßlichkeit Eines aus der Gesellschaft gab ich dem feuchten Aufenthalte bei dem Bogenfenster die Schuld, und bald war es wieder mein einsames Eigenthum.[217]
Buchempfehlung
Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.
162 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro