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Selbstschilderung kann sich nie einer absoluten Wahrheit rühmen. Nicht die Gegenstände, wie sie waren, sondern wie sie mir erschienen und auf mich wirkten, stelle ich dar. Aber diese Wahrheit reicht auch hin, da die Folge der Vorstellungen im Gemüthe und ihr Einfluß auf die Handlungen den Werth einer Selbstschilderung und ihren Nutzen für Andere bestimmt. Ermuntere ich eine und die andre meiner Schwestern bei der Selbsterziehung, die sie sich, bei der Erziehung, die sie ihren [1] Kindern geben soll, die Klippen zu meiden zwischen denen mein Lebensschiff kaum dem Untergang entging, so ist es einerlei, ob diese Klippen in Wahrheit diese oder jene Linien bezeichneten, wenn ich nur mit redlichem Geist sie darstelle, wie sie mir vorkamen. Mit diesem redlichen Geiste erzähle ich, wie mich Thorheit ins Unglück stürtzte, und die auch in der Thorheit nie verlorne Reinheit des Willens durch bessre Erkenntniß aus Unglück mich gerettet hat.
Mein Großvater gehörte zu der alten, geschichtlich verehrten Familie der Percy's; als jüngrer Sohn eines jüngern Zweigs derselben war er noch glücklich, nach seiner Heirath mit einem Mädchen ohne allen Namen, die ihm den Haß seiner vornehmen Verwandten zuzog, durch eine kleine Pfarre vor gänzlichem Mangel geschützt zu seyn. Doch dieser ärmliche Schutz rettete nach seinem frühen Tode seine Wittwe[2] und Waisen nicht vor drückender Armuth, und die Percy's mogten nicht ungern sehen, daß ein nicht ebenbürtiger Zweig ihres erhabnen Stammes in Vergessenheit untergehe; denn sie ließen meiner Großmutter keine Unterstützung angedeihen. Diese Umstände legten wohl den Grund zu meines Vaters Verachtung gegen Geburtsvorrechte, die seinen Vater so unbillig drückten, und zu hoher Schätzung eigner Kraft, durch welche er sich, beim Anfang meiner Geschichte, zu einem der Directoren der ostindischen Compagnie emporgearbeitet hatte. Er ist daher auch der Einzige seines Geschlechts, mit dem ich je in Verhältnissen gestanden, und Keiner desselben ward mir bekannt, der mich bewogen hätte, ihn zum Wohlthäter, zum Vorbild, oder zum Freunde zu erwerben. Mein Vater war ein stark gebauter, bräunlicher Mann, mit lebendigem Auge, scharf gezeichneten Runzeln im Augenwinkel und buschichen Braunen.[3] Sein Mund hatte einen arglistigen Zug, der wahrscheinlich schuld daran war, daß ihn das Lächeln mißkleidete; allein da er dieses sehr selten that, war das nicht störend, um so mehr, da ich ihn nur in einem Alter kannte, dem ein gewisser Ernst zukömmt, das er aber mit Rüstigkeit trug. Meine Mutter war ganz andrer Natur: ein zartes, gefühlvolles Wesen, deren wehmüthiges Lächeln bewies, daß ihre Kräfte zum Wohlthun dem liebevollen, glänzenden Blick ihrer Augen nie genügten. Ach! noch sehe ich sie, wenn sie ihre Hand segnend auf mein Haupt legte und mehr flehend wie vertrauend emporblickte! Sie war sich bewußt, daß alle ihre Hingebung nicht ausreichte, mich zu erziehen, und fand doch zuletzt immer wieder ihren Trost in der Ueberzeugung vor Gott, sich gänzlich hingegeben zu haben. Ich weiß nicht, ob ich die Unbändigkeit meines Charakters von frühster Kindheit an einer natürlichen[4] Anlage, oder früh begangnen Fehlern in der Behandlung meiner Wärterin zuschreiben soll? Genug, daß Heftigkeit, Eigenwille, Stolz meine Erziehung vom ersten Augenblick an erschwerten. Die milde Stimmung meiner Mutter verleitete sie zu dem irrigen Schluß, daß Vermeidung jedes Widerspruchs mich der Widersetzlichkeit entheben würde, bis die reifende Vernunft, meinen Willen regelnd, ihm Herrschaft über meine Leidenschaften verliehe. Ohne einen Verstandesschluß lehrte mich nun die Erfahrung das Mittel, jeden meiner fantastischen Einfälle durchzusetzen. Ich weinte bei dem ersten Hinderniß und weinte fort, bis ich das Gewünschte erhielt. Nach meiner Mutter verderblichem Grundsatz, konnte nur die Unmöglichkeit sich mir in den Weg stellen, und wo diese eintrat, kaufte sie durch überwiegenden Ersatz meine Verzeihung für ihr Gesetz; glücklich, wenn mein Eigensinn meiner Fantasie nur erlaubte,[5] in einen solchen Handel zu willigen. Eine Tugend entwickelte diese völlige Abwesenheit des Widerspruchs: eine unverbrüchliche Wahrhaftigkeit meiner Gesinnungen und Gefühle; sie ward mir Bedürfniß gegen mich selbst und gedieh bei reifendem Verstande zu dem Grundsatz, dem ich zuerst die Entwickelung alles Guten zu verdanken hatte.
Ungezügelt in meinen kindischen Wünschen, stets angehört bei meinen kindischen Reden, konnte es nicht fehlen, daß mir hier und da Worte entschlüpften, welche die Vorliebe meiner Mutter und die Schmeichelei meiner Wärterin zu witzigen Einfällen stempelten. Sie wurden den Gästen meiner Mutter wiedererzählt, ihre unbedachtsame Bewunderung steigerte den Begriff, den ich von meiner eignen Wichtigkeit hatte, und reizte mich ganz unvermeidlich, das Talent schneller und witziger Antworten, welches in unserm Geschlecht sich so leicht[6] der Bewunderung zu erfreuen hat, zu entwickeln. Meine Mutter konnte sich nicht enthalten, auch meinen Vater mit meinen Witzfunken bekannt zu machen. Sein ernstes Gesicht erheiterte sich bei solchen Erzählungen, und, abgespannt von seinen Rechnungsübersichten, konnte er wohl bei seiner Rückkehr am Abend sagen: »Fanny, laß mir einen recht guten Bissen zum Abendessen reichen und erhalte Ellen guter Laune, so will ich heute nicht in Club gehen.« – Seine Absicht wurde aber nicht immer erreicht. Meine Mutter that zwar ihr Bestes; mir ging es aber wie vielen ausgebildeten Leuten, denen sich ihr Witz versagt, wenn sie zur Unterhaltung aufgefordert werden: ich machte ihm Langeweile und ward weinend zu Bett geschickt. Gefiel ihm aber mein Geschwätz, so sagte er etwa: Was hilft ihr das? Ja, wäre sie ein Knabe, so sollte sie mir Parlamentsglied werden; aber was hilft ihr als Mädchen der Verstand? –[7] Ich hoffe, sagte meine Mutter schüchtern, er soll sie glücklicher machen. – Pah, rief mein Vater, mit zweimalhunderttausend Pfund braucht sie kein anderes Glück, als sich von früh bis Abend die Zeit zu vertreiben. – Ich hörte diese und manche ähnliche Rede mit an, und es bildete sich in meinem Kopfe eine feste Verbindung zwischen den Begriffen von Zeitvertreib und Glück, zwischen Beschäftigung und Elend, die den Grund zu tausend Irrthümern legte.
Also der Mittelpunct der Bemühung und Sorge eines ganzen Hauses, war meine Zufriedenheit je länger je mehr getrübt. In dem Maaße, wie die Zahl meiner Begriffe zunahm, stieg die Zahl meiner Wünsche, die Beharrlichkeit meines Willens und die Unmöglichkeit der Gewährung. Die Mannichfaltigkeit meiner Genüsse gebar schon in Kinderjahren hie und da die Empfindung der Leere, welche den Satten verfolgt; die Untrüglichkeit, welche ich meinen[8] Aussprüchen beimaß, die Herrschsucht, die ich übte, vereinzelte mich unter meinen Gespielinnen. Von meinem überlegnen Werth überzeugt, schien mir ihre Abneigung eine Rebellion gegen das Recht und die Gerechtigkeit, die ich ihren guten Eigenschaften, meiner Wahrheitsliebe gemäß, widerfahren ließ, und indem ich mir diese auch zur Tugend anrechnete, vermehrte sie meinen Stolz. Nach und nach empfand mein Vater das Nachtheilige in meiner Entwicklung, und er widersetzte sich irgend einem meiner Einfälle mit einer Entschiedenheit als gälte es einen Krieg auf Tod und Leben. Allein nach einer Stunde, einem Tag, ja einer Woche, durch die ich Bitten, Weinen, Schmollen fortgesetzt hatte, gewährte er in einem Anfall von Zorn, was er bis dahin standhaft verweigert hatte; der Sieg war mein, und sein Schwäche versprach mir, daß ein jeder anderer auf eben dem Wege zu erkämpfen sey.[9] Meine gute Mutter, der jeder Mißton in der Außenwelt die Seele zerriß, suchte jeder solchen Widersetzlichkeit von Seiten meines Vaters zuvorzukommen; hatte sie einmal begonnen, so trieb ihre Schüchternheit sie an, durch verdoppelte Milde gegen mich meinen Eigensinn zu entwaffnen, und war die Krisis herbeigekommen, so befriedigte sie schnell meine Wünsche, um deren Gegenstand nicht eine neue Wichtigkeit zu verleihen. Sie mogte oft die endlichen Folgen meiner Verkehrtheiten ahnen; sie bemühte sich oft mein junges Herz zu Gott zu erheben, allein auch bei diesem heiligsten Mittel der Bildung verfehlte sie den Weg. Sie lehrte mich nur immer Gott danken für die Vorzüge, die er mir verliehen, aber machte mich nicht aufmerksam auf die, welche so viele meiner ärmern Mitgeschöpfe vor mir voraushatten, und durch deren Erwerbung ich allein zu Gotteskinde werden konnte.[10]
Endlich war der Augenblick gekommen, wo mein Eigensinn mir eine herbe Strafe bereiten sollte. Ich hatte eben mein neuntes Jahr vollendet, als eine Bekannte meiner Mutter mir eine Einladung sandte, das Schauspiel in ihrer Loge zu besuchen. Eine Erkältung mit Halsweh verbunden hatte mich seit einigen Tagen ins Zimmer gebannt, und dieser Umstand bewog meine Mutter, mich zu Hause zu behalten; unglücklicherweise war die Botschaft in meiner Gegenwart ausgerichtet, und das bestimmteste Verlangen ins Schauspiel zu gehen war die Folge. Meine Mutter wendete vernünftige Vorstellungen an, ich beantwortete sie mit ungestümen Bitten, sie wies sie mit entschädigenden Versprechen ab, ich setzte ihnen lautes Weinen entgegen. – Sorge um meine Gesundheit gab diesesmal meiner Mutter Muth zu beharren, sie befahl meiner Wärterin, mich zu entfernen. – Nun brach meine Unbändigkeit[11] los; ich wehrte mich und erhitzte mich bis zur convulsivischen Heftigkeit, als mein Vater, der dazu kam, die Geduld verlor und zu meiner Mutter sagte: »Das Schreien kann ihrem Hals gefährlicher werden, wie funfzig Schauspiele.« – So wüthend ich war, bemerkte ich doch, daß meiner Mutter diese Aeußerung mißfiel. Mein Vater, der sein Unrecht fühlen mogte, half sich damit, sie anzuklagen, daß ihre Behandlung an meiner Unart schuld sey; sie erwiederte seufzend, daß ich zu meinem eignen Wohl gebändigt werden müßte, worauf er nachläßig sagte: »Pah! bei einem Weibe ist ein Bischen Widerspruchsgeist recht nützlich«, ein Spruch, durch den mancher rohe Ehemann die milde Güte seiner Gattin belohnt. – Dieses Gespräch war für mich nicht verloren; ich schrie noch ausgelassener, wie vorher, bis mein Vater, aus aller Fassung gebracht, mir zurief: »Nun du unbändiges, ausgelassen unartiges Ding, so[12] thu, was du willst, und hör auf zu lärmen.« – Jetzt hatte ich, was ich wollte, ließ mich schnell anziehen und ging ins Theater.
Doch die Folgen waren schrecklich. Kaum war ich wieder nach Haus gekommen, so verfiel ich in ein heftiges Fieber; lange bedrohte mich der Tod. Meine Mutter, meine geliebte, engelgute Mutter, die allein die Empfindung der Liebe in mir erweckte, deren Milde bei aller meiner Unbändigkeit den Begriff von Tugend in mir wach erhielt, deren unaussprechliche Güte doch eine Ahnung von Gewissen in mir begründete, wich nicht von meinem Lager. Sie opferte ihre Gesundheit auf, um mein Leben zu erhalten. Ich genaß; aber nach einigen Monaten war die Abnahme ihrer Kräfte unverkennbar, nur ich allein verstand deren drohende Bedeutung nicht; und doch – wenn ich sie von meinem endlosen Geschwätz, meinen lärmenden Spielen gänzlich erschöpft sah, konnte[13] mich der Anblick so ergreifen, daß ich unbewußt meine jauchzende Stimme zu sanften Tönen herabstimmte und auf den Zehen um ihren Sopha einherschlich. Auch das längste Menschenleben kann nicht das Andenken der himmlischen Freundlichkeit schwächen, mit der sie diese kleinen Beweise meiner Achtsamkeit aufnahm. Bald wurde mein beständiger Aufenthalt in ihrem Zimmer täglich auf wenige Stunden eingeschränkt, dann brachte man mich nur noch früh zu ihr, wo ihre Kräfte in einiger Spannung waren, und Abends, um ihren Segen zu empfangen, und endlich – verflossen drei Tage, in denen mir ihr Anblick gänzlich entzogen blieb. Ungeduldig hatte ich sie zu sehen begehrt, leichtsinnig hatte ich mich durch nichtige Kurzweil davon abwenden lassen, als mir der Befehl gemeldet ward, zu ihr zu kommen. Mit kindischer Fröhlichkeit sprang ich in ihr Zimmer. Doch wie schnell verstummte[14] meine Freude, da mich meine Mutter mit laut ausbrechendem Weinen in ihre schwachen Arme schloß, mehrmals versuchte sie zu sprechen, aber ihre Wehmuth verhinderte sie. Da trat ein fremder, ernsthafter Mann, der aufmerksam auf sie blickend am Bette stand, herzu und wollte mich, mit der Bemerkung: »die Kranke schade sich« von ihr wegnehmen. Die Furcht, mich fortführen zu sehen, belebte meiner Mutter schwindende Kräfte, sie sagte mit gebrochner, schwacher Stimme: »Komm, meine Ellen, komm, falte deine kleinen Hände und bitte Gott, daß wir uns wiedersehen mögen!« Ich verstand den Sinn ihrer Worte nicht, aber wie ich sonst, wenn sie mich beten ließ, zu thun gewohnt war, kniete ich nieder, legte meine gefalteten Hände auf ihre Knie und betete: Guter Gott, laß mich meine Mutter wiedersehen! Zweimal ließ sie mich diese Worte wiederholen, legte dann ihre gefalteten Hände auf mein Haupt und[15] gab mir mit innigen, heißen Gebeten, in leisem Geflüster ihren letzten Segen. Nur eine der Bitten, die sie in diesem Augenblick zu Gott sprach, ist in meinem Gedächtniß geblieben; anfangs aus Verwundrung, weil ihr Sinn mir unbegreiflich war, späterhin ward sie durch die Umstände mit unwiderstehlichem Nachdruck in mir aufgefrischt: »Sey, o mein Gott! betete sie, gütiger, wie ihre irdischen Verwandten, sey ihr ein Vater, wenn du gleich durch Züchtigung dich also erweisest!« – Noch Manches sagte sie, das mein Leichtsinn bald vergaß, bis ihr erneutes Schluchzen den fremden Mann wieder herbeizog, um mich zu entfernen, welches ich mir denn auch, von der Traurigkeit des Auftritts ermüdet, ziemlich gern gefallen ließ. Noch einmal drückte sie mich an ihr Herz; wie die Thüre hinter mir sich zuschloß, hörte ich noch einmal den leisen Schrei ihres Schmerzens, und auf ewig war für mich ihre Stimme verhallt.[16]
Den folgenden Tag bat ich umsonst, meine Mutter zu sehen. Noch einen, und die Leute eilten traurig und geschäftig um mich her, die Dienstboten sahen mich verstört und mitleidig an, ein und der andre weilte mit einem Ausruf des Bedauerns bei meinen kindischen Spielen. Ein Augenblick von langer Weile brachte mich darauf, meinen Willen, zu meiner Mutter gebracht zu werden, bestimmt durchzusetzen. Meine Wärterin suchte mich abzuweisen, mit Zögern entdeckte sie mir die traurige Wahrheit; allein gewohnt, durch Täuschung jeder Art beschwichtigt zu werden, wollte ich ihr gar nicht glauben, bis ihr betrübtes Gesicht mich aufmerksam machte, worauf ich ihrer Obhut entsprang und ungestüm zu dem Zimmer meiner Mutter entfloh.
Ihre Thür, die sonst bei meinem ersten Zuruf aufsprang, blieb verschlossen, allein der Schlüssel stack im Schloß, und auf meinen[17] Versuch ließ sie sich öffnen. Alles hatte sich hier seit meiner letzten Anwesenheit sonderbar verändert: still, leer, aufgeräumt, unheimlich kam es mir vor. Ihre Bettvorhänge waren zurückgebunden, ihr Lager sorgfältig geordnet, und doch schien sie unter dem leichten Tuche zu ruhen. Ich zog es hastig hinweg, ihr blasses Antlitz bot sich mir dar. – Mutter, Mutter, wach auf! rief ich, erschrocken, daß ihr Lächeln mich nicht empfing; ich legte meine Hand an das liebe Gesicht, das ihrem Schmeicheln noch nie widerstanden, – es war kalt, wie Marmor; aber noch immer den Tod nicht erkennend stieg ich auf das Bett und schloß das fühllose Todtenbild in meine Arme. – Da scheuchte ein Schreckensgeschrei mich empor – es war meine Wärterin, die mir nachgefolgt war, und der Abscheu, mit dem sie mich am starren Busen der Mutter erblickte, belehrte mich endlich von meinem Unglück. Mein[18] Schmerz kannte keine Grenzen; der Eigensinn, der mich auf jedem meiner Einfälle beharren machte, wies auch jetzt jeden Versuch ab, mich von der Todten zu entfernen. Mein Geschrei versammelte die ganze Familie, es zog zuletzt auch meinen Vater herbei, der mich mit Gewalt in mein Zimmer zu tragen gebot.
Die Natur forderte endlich Erholung von einem so ausgelassenen Schmerz, und ein tiefer Schlaf gewährte sie ihr bald. Am nächsten Morgen erregte zwar die erwachende Erinnerung aufs neue mein Klaggeschrei, allein es ward schwächer und schwächer. Der Anblick der Trauerkleidung zerstreute mich auch, und bald kehrte meine Traurigkeit nur anfallsweise zurück. Die Stellen, wo ich sonst meine gute Mutter zu sehen ge wohnt war, konnten wohl noch oft schmerzvoll ihr Andenken erneuern; nur mit Widerwillen ließ ich mich in das Gesellschaftszimmer führen, wo nun Niemand mehr[19] für meinen Zeitvertreib sorgte; und zog meine ungefällige Laune mir Vorwürfe zu, so lehnte ich mein Gesicht mit lauten Klagen auf das Polster, wo sie ehemals ihren Sitz hatte. Mein Vater fand diese Schmerzausbrüche bei der Erholungszeit, die er sich der tiefen Trauer wegen Anstands halber im Ostindischen Hause auf vierzehn Tage verschafft hatte, sehr störend. Da mit meiner guten Mutter Tod der einzige Einfluß, der meine Halsstarrigkeit zu beugen vermogte, dahin war, ward er täglich mit Klagen über meinen Uebermuth belästigt. Anfangs versuchte er sein Ansehn bei mir geltend zu machen, allein da ihm dieses gänzlich mißlang, beschloß er mich in eine der vornehmsten Erziehungsanstalten zu thun. Da er gar nicht darauf Anspruch machte, in das Geheimniß der feinsten Erziehung eingeweiht zu seyn, überließ er diesen Gegenstand unumschränkt dem Walten der Madame Dupré, der Directorin des Instituts;[20] seine einzige Erinnerung war nur die, keine Kosten dabei zu sparen. – Und diese hat man redlich beobachtet. Ich verließ das jetzt mir so traurige Vaterhaus ohne große Betrübniß; die Aussicht, fortan mit Gespielinnen meines Alters zu leben, überwog die ängstliche Erwartung, in Zukunft unter fremder Aufsicht zu stehen.
Mein Empfang in dem Institute war schmeichelhaft; kaum den Aufseherinnen vorgestellt, hörte ich die eine derselben zu der andern sagen: welche reizende Gespielin sie für Lady Marie du Bourgh seyn wird! – Gewiß! antwortete die andre, ein paar liebenswürdige Kinder! – Die erste sah mich prüfend an und erwiederte Etwas, wovon ich nur die Worte: »nicht zu vergleichen« verstand. Das Gespräch ward fortgesetzt, ich hörte aber nur die, welche ich schon für meine Widersacherin hielt, emphatisch die Ausdrücke sagen: »ein vornehmes[21] Ansehen – Zartheit – adeliches Wesen«; und das währte so fort, bis nach kurzer Zeit Lady Marie ins Zimmer trat. Ich konnte über die Zusammenstellung, die man von uns beiden gemacht hatte, nur geschmeichelt seyn, denn sie war das liebreizendste Kind, das ich jemals gesehen. Die Damen riefen sie herbei, uns mit einander bekannt zu machen – sie verweigerte anfangs, unter dem Vorwand, sich von dem Schneider einen Ueberrock anpassen zu lassen, zu gehorchen, nur nach einem strengen Befehl von meiner Vertheidigerin trat sie mit schmollendem Munde herzu. Die Aufseherin schien absichtlich ihre Ungeduld auf's äußerste zu steigern, indem sie es ihr lange unmöglich machte, das Zimmer zu verlassen. Wir mußten gegenseitig unser Alter aufsagen. – Lady Marie war zwei Jahre älter, wie ich; wir mußten uns gegeneinander messen – ich war etwas größer, wie sie. – Mit Groll verließ sie endlich das Zimmer.[22] Ich sah sie erst in der Schule wieder, wo wir in derselben Classe dieselben Aufgaben hatten. – Mein Bestreben über sie zu siegen war aufgeregt, die üble Laune zerstreute sie, so ward am Ende der Lehrstunden meine Arbeit gelobt, die ihre getadelt; und was als edler Wettstreit zu unsrer Bildung hätte benutzt werden sollen, streute in unsere Herzen den Samen unwürdiger Empfindungen aus.
Nachdem die Lehrstunden geschlossen waren, überließ man uns einiger Erholung, wo ich dann aus Stolz und Schüchternheit ganz vereinzelt von meinem Sitz aus die sich willkürlich bildenden fröhlichen Haufen meiner Gespielinnen betrachtete. Lady Marie flüsterte eine Zeit lang mit ein paar ihrer Vertrautern, dann ging sie, wie von ungefähr, nahe an mir vorbei und fragte hochmüthig: Ich bitte, Miß Percy, gehören Sie zu des Herzogs von Northumberland Familie? – Nein, antwortete ich. –[23] Zu welchen Percy's gehören Sie denn? – Mein Vater ist ein reicher ostindischer Kaufmann in Bloomberry square, erwiederte ich, überzeugt, daß ich mich durch diese Nachricht sehr wichtig machen würde; allein ganz im Gegentheil fragte Lady Marie weiter: Nun wer war denn Ihr Großvater? denn einen Großvater müssen Sie doch gehabt haben? – Dabei sah sie, für ihren Einfall Lob ärntend, um sich her. Ich war aber wirklich in dem Fall, von meinem Großvater gar nichts zu wissen; aus Verdruß und Einfalt sagte ich: Ich weiß nicht, wer er war, doch ein Herzog kann er nicht gewesen seyn, denn ich hörte meinen Vater oft sagen, er habe bei seinem Eintritt in die Welt nicht fünf Schillinge gehabt. – Die kleinen Mädchen hielten noch einige lose Reden, die mich ziemlich aufbrachten, bis Lady Marie mir endlich noch ins Gesicht sah und ein unmäßiges Gelächter begann. Jetzt war meine Fassung zu Ende. –[24] Mit viel mehr Muth als Zierlichkeit versetzte ich ihr die derbste Ohrfeige, über welche meine Gegnerin in ein unmäßiges Geschrei ausbrach, indeß ihre Gespielinnen starr von Erstaunen und Schrecken umherstanden. Man kann sich denken, was für ein Auflauf entstand! Lady Mariens Unart ward zwar getadelt, allein für meine rauhe Selbstvertheidigung sollte ich um Verzeihung bitten; das verweigerte ich hartnäckig, und nach den heftigsten Auftritten wurde ich zum Einsperren abgeführt. Drei Tage lang beharrte ich in meinem Entschluß; am vierten trieb mich Langeweile und Einsamkeit, der Aufseherin, die sich gleich bei meinem Eintritt in das Haus zu meinen Gunsten erklärt hatte, einen Vergleich anzubieten. Ich forderte, Lady Marie solle sich für ihre Unverschämtheit entschuldigen, so wolle ich mein Unrecht wegen der ertheilten Ohrfeige bekennen. Allein die Reihe, eigensinnig zu seyn, war jetzt an Lady[25] Marie. So ging der fünfte Tag hin, nach welchem man mir, die Haft als Strafe anrechnend, mich ohne alle Bedingung in Freiheit setzte. Von der Zeit an war die entschiedenste Abneigung zwischen Lady Marie und mir ausgesprochen; nach und nach theilte sie die ganze Pension; alle unsre Gespielinnen mußten es mit einer oder der andern von uns beiden halten, – eine Trennung, wie die der Whigs und Torys fand statt.
Die letzte meiner Gefährtinnen, die sich für meine Partei erklärte, war Miß Julie Arnold, die Tochter eines kürzlich verstorbnen Seeassecuranz-Mäklers. Da der gute Mann sich selbst nicht im Stande sah, seiner Familie Glanz zu geben, gründete er seine Hoffnung auf die Zukunft seines einzigen Sohnes. Um es diesem zu erleichtern, vermachte er ihm, zum Nachtheil seiner Tochter, fast sein gänzliches, ziemlich ansehnliches Vermögen. Der junge[26] Arnold, welchem die Sorge für seine Schwester dennoch oblag, hielt es fürs beste, ihr durch eine glänzende Erziehung Ansprüche an eine gute Versorgung zu verschaffen, und in dieser Absicht kam sie in unsre Pension. Die Natur hatte diesem Mädchen alle Eigenschaften zugetheilt, die zum Emporkommen durch Abhängigkeit erforderlich sind: Biegsamkeit des Charakters, Leichtigkeit im Umgang, ein Talent sich unbefangen anzustellen, keck zu schmeicheln, ein ungezwungnes Betragen, ein kaltes Herz und dabei nur gerade so viel äußre Annehmlichkeit, wie dazu gehört, nirgend zu mißfallen und doch nie Eifersucht auf sich zu ziehen; das waren die Bestandtheile ihres Wesens. Schon als Kind drängte sie sich unter die vornehmeren Gespielinnen, man liebte sie nicht allgemein, wollte sie aber einer Einzelnen gefallen, so gelang es ihr gewiß. Diese Julie schwankte lange zwischen mir und Lady Marie; ja wie[27] es gegen die Vacanz zuging, und diese sie einlud, sie auf das Landgut ihres Vaters, des Herzogs von C., zu begleiten, sprach sie sich eine Zeit lang gänzlich zu ihren Gunsten aus; allein wenige Tage vor der bestimmten Abreise ließ Laune Lady Marie plötzlich eine Begleiterin ihres Standes wählen, und von nun an war Miß Julie mein treuer Bundesgenoß. Von meinem ersten Denken an gewohnt, Alles mit Heftigkeit zu erfassen, ward meine Liebe zu ihr bald ausschließend. Wir halfen uns gegenseitig in allen Vorfällen: ich trug ihr Neuigkeiten zu, und sie mir Confect, ich machte ihre Aufsätze, und sie half mir bei meinem Putz; doch der größere Vortheil blieb auf meiner Seite; meine ungezähmte Offenherzigkeit, auf die frühe Gewohnheit, Alles sagen zu dürfen und für nichts gestraft zu werden gegründet, zog mir bei den künstlichen Verhältnissen der Pensionswelt beständige Unannehmlichkeiten[28] zu; kam es dann zur Anklage und ich stand auf dem Puncte, mich geduldig der Strafe zu unterwerfen, so wußte Julie durch einen unerwarteten Flug ihrer Einbildungskraft den Sachbestand in ein andres Licht zu stellen, so daß ich der Strafe entging. Hätte sie ihre List für eine Andere verwandt, so würde ich sie vielleicht richtig zu beurtheilen gewußt haben, allein für mich geübt, erregte sie anfangs meine Dankbarkeit und endlich meine Bewunderung.
Sieben Jahre meines Lebens gingen darauf hin, alle die schimmernden Talente zu erlernen, welche die glänzende Gesellschaft als einzige Vorzüge erkennt. Für keines bezeigte ich so viel Anlage, wie für die Tonkunst; keines entwickelte ich auch mit so vielem Fleiß, wozu mir der Wunsch, Lady Marie zu übertreffen, Beharrlichkeit gab. Sieben Stunden des Tages, die ich unausgesetzt darauf verwendete,[29] brachten mich dahin, im Spiel auf dem Flügel und im Gesang so vollkommen zu werden, wie Tonkünstler, die von der Gunst des Publicums abhängen, zu seyn sich bestreben. – Sieben Stunden des Tages hatte ich der Musik gewidmet, indeß nicht einmal der Gedanke in mir aufgestiegen war, daß es Seelenkräfte gäbe, deren Entwicklung mein Wohl für Zeit und Ewigkeit begründete. – Nach und nach erwachte das Verlangen in mir, in eine Welt zu treten, in der ich mir bei meinen Vorzügen so vielen Beifall versprach. Daß ich reich war, wußte ich, daß ich hübsch war, vermuthete ich – ungeduldig erwartete ich den Augenblick, den Scepter der Schönheit, für den ich mich bestimmt hielt, zu schwingen. In dem Sommer, wo ich mein sechzehntes Jahr beschloß, verließ Lady Marie unser Institut, um ihre Mutter, die Herzogin von C., nach einigen Badeorten zu begleiten. Die Nachrichten, welche[30] sie ihren Vertrauten von der Herrlichkeit ihrer neuen Lebensweise gab, vermehrten den Eifer, mit dem ich in meinen Vater drang, mich zu sich zu nehmen, solchergestalt, daß der nächste Winter zu meiner Entlassung aus der Pension festgesetzt ward.
Mein Vater nahm bei meiner Rückkehr in sein Haus eine gänzliche Aenderung seiner Lebensweise vor. Seit zwanzig Jahren hatte er, die kurze Ruhezeit nach meiner Mutter Tode ausgenommen, seine Tage auf der Börse oder in dem ostindischen Hause zugebracht. Der Freitag und Samstag, die er auf seiner Villa in Richmond verlebte, unterbrachen allein seine Geschäfte; nun er mich aber an die Spitze seines Haushalts stellte, übergab er den größten Theil seiner Handelsgeschäfte, sich einen ansehnlichen Theil des Gewinnstes vorbehaltend, einem jungen Kaufmann, und den Besitz der Muße mit dem Genuß derselben verwechselnd,[31] nahm er sich vor, fortan sein Leben zu genießen. In den Weihnachtsfeiertagen verließ ich meine Pension, von Miß Julie Arnold, die ich mir auf einige Wochen zur Gesellschafterin ausgebeten hatte, begleitet. Ihre Pensionszeit war mit der meinigen zugleich geschlossen, und diese Einladung ihr, bei der Unsicherheit ihrer Verhältnisse, sehr gelegen. Mein Vater empfing mich in Richmond, wo wir den eigentlichen Eintritt der Wintervergnügungen abwarten sollten. Zu meiner Ueberraschung fand ich eine zweite Gesellschafterin vor, deren Persönlichkeit mit meinen Planen von glänzender Zukunft nicht so gut übereinzustimmen schien, wie die meiner jungen Gefährtin. Dieses war Miß Elisabeth Mortimer, eine vertraute Jugendfreundin meiner theuern Mutter, die durch rauhe Schicksale belehrt, ihren Geist zu einer Reinheit, ihr Herz zu einer Frömmigkeit gebildet hatte, die ich damals gar nicht zu[32] begreifen im Stande war. Eines Versprechens eingedenk, das sie meiner Mutter einst gegeben: den Ruf, mir nützlich zu seyn, wenn mein Vater ihn einst an sie ergehen lassen würde, nicht auszuschlagen, verließ sie ihre ruhige Hütte in der Nähe von Greenwich, in der sie fromm und wohlthätig lebte, glücklich bei dem Gedanken, ihre Sorge für mich sey ein Band, das sie mit der geliebten Todten jenseit des Grabes vereinte. Noch jetzt glüht meine Wange vor Schaam bei dem Geständniß, daß ich ihre Liebe mit unwürdigem Muthwillen erwiederte. Ihre einfachen Sitten waren der Gegenstand unsers heimlichen Gespöttes, ihre Frömmigkeit nannten wir Methodisterei, ihre würdige Matronenkleidung schien uns allen Begriffen des feinen Tons zu widerstreben, und wie wir hörten, daß sie in ihrer stillen Heimath jeden Abend im Gebet mit ihrer treuen Dienstmagd – der sie jetzt auch ihren kleinen Haushalt übergeben[33] hatte – beschloß, nahmen wir uns fest vor, uns der Einführung einer solchen »abergläubischen Sitte«, im Fall sie diese versuchen möchte, zu widersetzen. Doch dazu zeigte sie nicht die geringste Neigung, überhaupt legte sie uns in keiner Hinsicht Zwang auf; es schien, als sey sie von der siegenden Wahrheit ihrer Denkart so überzeugt, daß sie einzig die Wirkung der Zeit auf unsern Verstand, und ihres milden Beispiels auf unsre Gewohnheiten abzuwarten gedachte. Ihr angenehmes Betragen wandelte bald unser Mißbehagen an ihrem Beruf in minder gehässige Empfindungen um; allein weit entfernt, Miß Mortimers Werth schätzen zu können, machten wir sie zum Gegenstand unsrer kindischen Possen. Da wir ihr leicht anzuregendes Mitleid wahrgenommen hatten, erfanden wir Unglücksfälle, durch deren Erzählung sie augenblicklich zu Hülfleistungen aufgefordert, Meilen weit durch den Schnee ging, um[34] den Leidenden Linderung zu bringen; wir versteckten ihre Andachtsbücher, entwendeten ihr Kinderkleidung und Wäsche, welche sie für Arme bereit hielt, und klebten Karikaturen in ihren Kirchstuhl. Ich weiß nicht, ob sie je errieth, daß wir es waren, denen sie diese unwürdigen Scherze zuzuschreiben hätte; nie wenigstens richtete sie einen Vorwurf an uns; sie ertrug sie mit sanfter Würde, ein mitleidiges Lächeln war alles, was sie sich erlaubte; und ward sie einmal durch einen unsrer übermüthigen Streiche in wirkliche Verlegenheit gesetzt, so war sie die Erste, herzlich über ihre eigne Lage zu lachen. Dieser verächtliche Leichtsinn kurzweilte uns lange Zeit, bis ein sehr ernster Vorfall mich so erschütterte, daß ich, ohne Miß Juliens festere Beharrlichkeit, wahrscheinlich meinen unwürdigen Muthwillen auf immer eingestellt hätte.
Wir wurden eines Tages zu einem benachbarten[35] Gutsbesitzer gebeten, einem Wittwer mit ein paar ausgelassnen Söhnen und leichtsinnigen Töchtern, Miß Arnolds vorgezognen Bekannten. Mein Vater war anderweitig versagt und bat Miß Mortimer, uns zu begleiten; das war aber uns nicht gelegen, wir hatten eine lärmende Abendlustbarkeit vor, bei der uns dieser würdigen Frau Gegenwart störte, und versuchten alle Mittel, ihr den Besuch zu verleiden. Wir gossen ihr eine Tasse Thee auf ihr bestes Seidenkleid – sie bemerkte sanftmüthig, daß ein schlechteres ihr dieselben Dienste leisten würde; wir drangen in sie, Confituren zu genießen, in Hoffnung, daß sie ihr ein so heftiges Zahnweh erregen sollten, daß es sie am Mitgehen verhindern müßte – sie versagte sich dieselben. Wir erzählten eine gräßliche Räubergeschichte, die auf dem vorhabenden Wege gestern geschehen seyn sollte; sie meinte: um so weniger würden die Räuber sich heute auf[36] demselben Wege betreten lassen. Nun ergriff ich ein andres Mittel – ich beredete den Kutscher, vorzugeben, daß die Berline einer Ausbesserung bedürfe, allein mein Vater entschied kurz und gut, daß wir mit Miß Mortimer oder gar nicht gehen sollten. – Es ward also beschlossen, ich müßte sie im Curricle fahren, und Miß Arnold nebst einem jungen Herrn von denen, die sich schon um die reiche Miß Percy zu versammeln anfingen, sollten uns zu Pferde begleiten. Jetzt glaubte ich die schönste Gelegenheit zu haben, meinen Muthwillen zu üben. Ich kannte die Furchtsamkeit der wackern Miß Mortimer; sobald wir daher meinem Vater, der uns vom Fenster nachsah, aus den Augen waren, gab ich unsern Begleitern zu Pferd ein Zeichen, und hin ging es in fliegendem Galopp. Schadenfroh sah ich Miß Mortimer erbleichen und ängstlich auf den Weg sehen; wie sie aber mit der sanftesten Anmuth[37] sagte: »Liebe Miß Ellen, wär's nicht besser, etwas vorsichtiger zu seyn?« konnte ich ihr nicht widerstehen, ich wollte die Pferde anhalten; in diesem Augenblick ritt uns aber unser junger Begleiter vor und gab meinen Pferden im Vorbeisprengen einen Peitschenhieb. – Nun trotzten die aufgereizten Thiere meiner Anstrengung sie zu halten, sie sprengten davon, und nach wenigen Secunden rannten sie eine anständig gekleidete Frau, die nicht schnell genug über den Weg eilen konnte, zu Boden. Von der Schuld des Mordes rettete mich ein Fremder, der aus der Nähe herbeieilte und mit starkem Arme die Zügel ergriff. Die Pferde rückten das leichte Fuhrwerk widerstrebend zurück und warfen es um. Erschrocken eilte uns der Fremde zu Hülfe, indeß unsre Begleiter, in tollem Muthe voransprengend, gar nichts von dieser Begebenheit bemerkten. Wir waren beide nicht verletzt, und Miß Mortimer, sobald sie[38] wieder aufrecht stand, eilte mit dem Fremden zu der ohne Besinnung im Wege liegenden Frau. Ich stand bewegungslos, meinen Blick auf ihre Bemühungen, sie zum Leben zu bringen, geheftet – endlich schlug sie die Augen auf – eine Zentnerlast fiel mir vom Herzen. Ich brach in Thränen aus, allein mein Stolz bewog mich, sie zu verbergen und mit dem Schein stolzer Fassung meine Befehle bei dem Aufrichten unsers verunglückten Fahrzeugs zu geben. Nach wenigen Minuten war die mißhandelte Frau im Stande, sich, von Miß Mortimer und dem Fremden unterstützt, in ihre nur funfzig Schritt entfernte Hütte zu begeben. Sie war nicht wesentlich verwundet; die Pferde waren, ohne sie zu berühren, über sie hinweggesetzt; nur der Schrecken und der Fall hatte die Arme des Bewußtseyns beraubt. Wie Miß Mortimer nach einer sehr kleinen Weile zurückkam, schlug sie mir vor, unsre Lustpartie auf[39] zugeben und zurückzukehren. Die Furcht, den Tag mit ihr allein zubringen zu müssen, bewog mich, auf die Fortsetzung unsers Weges zu dringen; indem sie dem Fremden uns zu begleiten erlaubte, willigte sie ein zu Fuße weiter zu gehen. Schmollend ging ich neben ihnen her und hatte alle Muße, unsern Begleiter, den mir Miß Mortimer als ihren alten Bekannten, Herrn Maitland, vorstellte, zu beobachten. Er besaß eine athletisch große Gestalt, wenig Anmuth, ziemlich regelmäßige Züge und das glanzvollste Auge, das ich je sah. Hübsch zu seyn, verhinderte ihn eine gewisse gutgebildete Breitschultrigkeit, die wir Engländer unsern schottischen Nachbarn gern Schuld geben. Sein Lächeln war höchst anmuthig und zeigte die schönsten Zähne, allein der Ernst schien ihm gewöhnlicher; seine Stimme war voll, männlich und sanft; an seiner Sprache – doch er sprach nicht viel – würde ich, wenn[40] sie gleich etwas Fremdes hatte, nicht den Schottländer erkannt haben, und diese Sprache war edel, kräftig, zuweilen zierlich, sie borgte aber von seinen Bewegungen keinen Beistand, denn diese blieben ruhig und kalt. Vielleicht war es aus gewohnter Abneigung, mit Fremden zu sprechen, vielleicht entfernte ihn auch das nachtheilige Licht von mir, in dem ich mich gezeigt hatte; genug, daß er, einzig Miß Mortimer unterhaltend, sich mit mir nicht mehr beschäftigte, als die strengste Höflichkeit ihm gebot, und dadurch mir, die ich darauf rechnete, die Huldigung jedes Mannes zu gewinnen, auf's höchste mißfiel.
Bei unserm Eintritt in Herrn Vancouvers Hause umringten uns die jungen Leute mit lautem Jauchzen, vor allen Miß Julie, die mich triumphirend um den Preis der mit ihr eingegangenen Wette, wer zuerst ankommen würde, erinnerte. Ich warf ihr verdrießlich[41] und mit einem harten Vorwurf über unsern Unfall, den ich ihrem Voraneilen zuschrieb, meinen Geldbeutel hin, sie beschuldigte ihren Begleiter, Beide stritten zusammen über ihren Antheil an dem Vorfall, und der Tag ging in solcher Verstimmung hin, daß ich froh war, die Stunde der Abreise eintreten zu sehen. Mein Herz war viel zu ungebildet, um Unrecht einzugestehen, und die Langmuth, mit der Miß Mortimer mir jeden Vorwurf ersparte, erwärmte es nicht. Doch am Abend, wie ich dem ehrwürdigen Mädchen gute Nacht wünschte, entwischten mir die Worte: »Gott sey Dank, daß der Tag vorüber ist!« – Sie ergriff mit einer Wärme, die sie mir noch nie gezeigt hatte, meine Hand und sagte: »Schenken Sie mir morgen eine Stunde, liebe Ellen, ich will sorgen, daß sie Ihnen angenehmer verfließe.« Ich wußte ihr für ihre Nachsicht keinen Dank, denn ich hatte mirs mit Hülfe der Miß Arnold nun[42] einmal in den Kopf gesetzt, daß sie kein Recht habe, mich zu meistern; allein ihr Wesen war bei dieser Bitte so mild, so einnehmend, daß ich höflich ihrer Einladung zu folgen versprach. Nach dem Frühstück, als Miß Arnold, einige Kaufläden zu besuchen, in die Stadt fuhr, forderte mich Miß Mortimer zu einem Spaziergang auf. Nach der Richtung des Wegs, den sie einschlug, errieth ich sogleich, daß sie mich zu der Hütte der Frau führte, welche meine Thorheit gestern in so augenscheinliche Lebensgefahr gebracht hatte; nur die Schaam hielt mich ab, auf der Stelle umzukehren, und mit einer bittern Empfindung, mich von einer Tugendlehre bedroht zu sehen, trat ich in das Haus. Ich fand es nicht ärmlich noch trostbedürftig; einige Bücher, reinliches Geräth, die größte Sauberkeit zeugten von einem geordneten hinreichenden Hausstand. Meine Begleiterin unterhielt sich mit der Matrone, die am[43] Feuerheerd mit Spinnen beschäftigt war; und um meine Verlegenheit zu verbergen, nahm ich die Liebkosungen eines Windspiels an, das bequem auf einem gepolsterten Stuhl der Hausfrau gegenüber gelegen, bald nach unserm Eintritt herabgesprungen war und sich mir genaht hatte. Anfangs beschnupperte es mich nachdenklich, blickte mich an, wedelte mit dem Schwanz, dann setzte es seine Vorderfüße auf meine Knie und gab seine herzliche Freude zu verstehen. Mir selbst schien das Thier auch nicht unbekannt, ich freute mich seiner Freundlichkeit, die auch von den beiden Frauen bemerkt ward. »Ich habe Ihnen Miß Percy mitgebracht«, sprach jetzt Miß Mortimer, zu der Alten gewendet. Diese rief aber mit freudigem Erstaunen: Miß Percy? O da hat das treue Thier die Tochter seiner Herrin besser wiedererkannt, wie ich! – Guter Fidele, du sahst sie doch auch nicht mehr seit ... Hier verstummte[44] ihre Stimme in Thränen, und bei dem Namen meiner Mutter zu wärmern Gefühlen erwacht, fragte ich nun mit Theilnahme nach der Bewandniß, die es mit diesem Hunde hätte, dessen ich mich von der letzten Lebenszeit meiner Mutter her jetzt wieder entsann. Frau Wells, die Bewohnerin dieser Hütte, war einst von der geliebten Verklärten, die ihre wohlthätigen Handlungen mit reiner evangelischer Demuth der Welt entzog, aus der bittersten Armuth gerettet worden. Sie hatte ihr Arbeit verschafft, sie hatte wöchentlich mehreremale einige Stunden in ihrer Hütte zugebracht, um ihren Töchtern Kleider machen und Tamburstickerei zu lehren; und so hatten diese drei Menschen es ihr zu danken, daß ihnen der Segen des Fleißes ein hinreichendes Auskommen verschaffte. Fidele war von meiner Mutter in ihrem letzten Lebensjahr als ein besonders schönes ganz junges Thierchen angenommen worden; ich erinnerte[45] mich, wie er, vielleicht durch Einwirkung der Stille ihres Krankenzimmers und ihrer steten sanften Gegenwart, schon damals wegen seiner leisen Sprünge und milden Lustigkeit bewundert ward. Dennoch setzte ich mirs in den Kopf, mich vor dem beweglichen Geschöpf zu fürchten, was meinem Vater, dem mein Geschrei bei seinem Anblick verhaßt war, nach meiner Mutter Tod bewog, ihn zu entfernen. In der Ueberzeugung, ihn am besten bei der Frau Wells zu versorgen, deren Anhänglichkeit an die Verewigte ihm bekannt war, ward Fidele ihr übergeben, und die Liebe, mit der sie ihn gepflegt hatte, bewies, wie theuer meiner Mutter Andenken ihr war. Ich hörte mit Beschämung ihrer Erzählung zu. Wie erschien ich dieser Frau neben dem, was meine Mutter für sie gethan hatte! Mir ward das Herz nicht leichter, wie wir bald darauf den Heimweg antraten, sondern mein Gefühl trieb mich, unter[46] dem Vorwand, mein Taschentuch vergessen zu haben, zurückzugehen und Frau Wells, indem ich ihr meinen Geldbeutel anbot, schüchtern um die Rückgabe des Hundes zu bitten. Sie gestand mir ein Recht auf Fidele, als ehemaliges Eigenthum meiner Mutter, zu und versprach ihn mir durch ihre Tochter zu senden, allein mein Geld wies sie zu meiner großen Beschämung zurück.
Wie ich wieder zu Miß Mortimer zurückkam, machte sie einige Bemerkungen über die Verdienste meiner Mutter, die ich fühllos genug gewesen wäre, in einem andern Augenblick als einen stillschweigenden Vorwurf meines Unwerths übelzunehmen, in diesem Moment war aber die schlimme Rinde meines Herzens gespalten, ich hörte sie mit Seufzen an, bat sie aber nach wenigen Minuten, mich heute nicht weiter mit diesen Gegenständen zu unterhalten, weil sie mich schon ganz trübsinnig gemacht[47] hätten. Vielleicht würde der wehmüthig verwundernde Blick meiner würdigen Begleiterin noch länger auf meinem Antlitz geruht haben, hätte nicht Herr Maitland, der eben an dem Gartenhag abstieg, unsre Unterredung unterbrochen. Er wollte sich auch nach dem Befinden der Frau Wells erkundigen; wie er aber hörte, daß ihr Unfall ohne alle Folgen geblieben sey, gab er sein Pferd seinem Reitknecht und begleitete uns, oder vielmehr Miß Mortimer – denn mit mir sprach er nur grade so viel, wie die Höflichkeit aufs strengste fordern kann – nach Hause. Mein Vater stand an der Thüre des Parks; so wie Herr Maitland sich nahte, kam er ihm einige Schritte entgegen, reichte ihm die Hand und bewillkommte ihn mit einer Achtung, die ich ihn noch gegen Niemand bezeigen sah. Noch erstaunter, wie über diese Begrüßung, hörte ich, daß er ihn zum Mittagessen einlud, welches Herr Maitland auch nach[48] einiger Weigerung annahm. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, ob ich während der Mahlzeit auf seine Gespräche im geringsten gemerkt habe. Nach Tisch, während er sich mit meinem Vater und Miß Mortimer unterhielt, führte ich am andern Ende des Zimmers, recht wie die ungezogne Jugend es sich herausnimmt, mit Miß Arnold und dem jungen Vancouvers ein Gespräch, das eben so laut wie gehaltlos, mehr wie einmal, obgleich vergebens, meines Vaters Ermahnungen auf sich zog. Miß Mortimer suchte unsern Verein zu stören, indem sie mehrmals die Rede an mich richtete; allein ich antwortete ihr so kurz, theilnahmelos und zerstreut, daß ihre Absicht nicht erreicht ward.
Nachdem sich unsre Gäste entfernt hatten, stellte sich mein Vater mit sehr ernstem Gesicht vor das Caminfeuer und sprach, seinen strengen Blick auf mich, die in einem fernen Fenster[49] stand, gerichtet: »Miß Percy, Ihr heutiges Betragen hat mir mißfallen. Ich habe Ihnen die Wirthin eines reichen Hauses zu machen aufgetragen und wünsche, daß Sie es für Ihre Pflicht halten, meine Gäste gut zu behandeln – alle meine Gäste.« – Eine allgemeine Stille herrschte, und mein Vater verließ das Zimmer. Nun brachen meine Klagen aus. Miß Julie unterstützte mich und wagte es, meines Vaters Forderung lächerlich zu finden. Miß Mortimer sprach in ganz verschiedenem Tone; sie bewies mir alles Ernstes, daß er ein Recht zu ihr habe, besonders aber, wenn es einen Mann von Herrn Maitlands Werth beträfe, sey sie höchst billig. Ich lachte eben so höhnisch wie übermüthig auf. Von Herrn Maitlands Werth? Mein Vater und Miß Mortimer wünschen wohl gar, daß es mir gelingen möchte, des Gliedermannes Eroberung zu machen! rief ich aus. – Miß Julie bewunderte meinen Einfall mit lautem[50] Gelächter. »Herrn Maitlands Eroberung?« wiederholte Miß Mortimer und sah mir mit ruhigem Ernst ins Gesicht; nein, wahrlich, liebes Kind, so weit versteigen sich meine Erwartungen nicht; Herrn Maitland! rief sie nochmals, indem sie, wie im Selbstgespräch, auf ihr Strickzeug sah, nein, das wär' ein abgeschmackter Einfall.
Bei diesen Worten fühlte sich meine Eitelkeit gekränkt. Ich bildete mir ein, Herr Maitland würde doch nicht der erste Hagestolz seyn, der eine siebzehnjährige Erbin unterjochte, und es entstand die Lust in mir, meine Macht zu versuchen. Bei Herrn Maitlands nächstem Besuch bemühte ich mich ihn in ein Gespräch zu ziehen; es gelang mir sehr gut; allein ich nahm nach einer halben Stunde wahr, daß ich in dieser ganzen Zeit weder Unsinn gesagt, noch dessen gehört hatte. Ein zweiter Versuch lief eben so ab; – um seine Aufmerksamkeit zu[51] fesseln, mußte ich vernünftig seyn. – Nach einem dritten, der nicht besser gelang, gab ich meine Bemühungen auf, überzeugt, daß Herr Maitland gar keiner Anerkennung von Liebenswürdigkeit, noch einiges Einflusses derselben auf sein Herz fähig sey. Dessen ungeachtet schritt unsre Bekanntschaft fort; wenn es mir an andern Gesellschaftern gebrach, konnte ich eine halbe Stunde ganz angenehm mit ihm verplaudern. Er war gelehrt, es fehlte ihm nie an Gegenständen seiner stets ernsten Unterhaltung; sein Ausdruck war oft spruchreich und ward durch seine leise, ruhige Stimme noch anziehender. Seine Steifheit, mit der er zu viel Höflichkeit verband, als daß sie wie Stolz hätte aussehen können, und zu viel festes Wesen, um durch sie schüchtern zu scheinen, nahm den Charakter nationeller Zurückhaltung an, und seine Bekannten waren ihr nicht mehr abgeneigt, wenn sie ihn vermocht hatten, sie gegen[52] Einen von ihnen abzulegen. Mich schmeichelte es nicht wenig, da ich bemerkte, daß sie sich gegen mich verlor, indeß er sie gegen Miß Arnold fortsetzte, um so mehr, da sein ganzes Wesen mir den Begriff strenger Redlichkeit, die von keinem äußern Vorzug gebeugt wurde, einflößte. Diese mir ertheilte Auszeichnung ward hingegen von dem Vorzug, den er fortwährend Miß Mortimer erzeigte, völlig aufgewogen, ja mein Bewundrungshunger war so groß, daß ich mich durch diesen Vorzug, obschon Herr Maitland über dreißig Jahr alt schien, zu Zeiten wirklich gequält fand.
Seine Besuche wurden gegen das Ende unsers Aufenthalts in Sedly Park häufiger; allein weder seine Gesellschaft, noch die mehrerer anderer, mir viel wohlgefälligerer Männer, konnte meine Ungeduld, in die Stadt einzuziehen, vermindern. Endlich hörte ich, daß Lady Maria de Burgh schon jetzt als die herrschende[53] Schönheit des Winters anerkannt sey. Ich stand bei Anhörung dieser Nachricht eben vor einem großen Spiegel; mit einem zuversichtlichen Blick auf meine Gestalt gedachte ich der Miniaturreize meiner Nebenbuhlerin und flog zu meinem Vater, ihn um die Beschleunigung seiner Abreise zu bitten. Er hatte sie aber schon auf den vierzehnten Jenner angesetzt, und bis dahin mußte ich meine Ungeduld zähmen.
Ein glänzender Ball bei der Gräfin *** sollte mich endlich in die große Welt einführen. Nach einer lang besprochenen Wahl, ob mein Putz an diesem wichtigen Abend reich oder einfach, leicht oder prächtig seyn sollte, bestimmten mich die kostbaren Diamanten meiner Mutter, die mein Vater, mit manchen neuen vervollständigt, aufs glänzendste hatte fassen lassen, und die günstige Meinung, die ich von der Höhe meines Wuchses besaß, das Letztere zu wählen. Strahlend von Juwelen, Jugend[54] und Erwartung, trat ich zur Stunde des Balls in das Besuchzimmer, wo nebst mehrern Herrn, die sich an mein Gefolg zu reihen gedachten, Herr Maitland mich als mein Begleiter erwartete. Allgemeiner Beifall empfing mich; allein er gnügte mir nicht, bis ich Herrn Maitland, den Miß Julie auf die Schönheit meiner Juwelen aufmerksam machte, sagen hörte: »wer Miß Percy erblickt, wird ihre Juwelen nicht mehr bemerken.« Ich war unfein und keck genug, diese gar nicht an mich gerichteten Worte aufzufassen, und rief: Sehr verbunden, Herr Maitland! Eine Schmeichelei von Ihnen ist etwas so Seltnes, wie ein Königin Annens Pence, der, ohne mehr werth zu seyn, als ein andrer, einzig ist, weil sie nur Einmal prägen ließ. – »Der Pence war nicht zum Umlauf bestimmt, antwortete er trocken, er fiel aber einem Kind in die Hand, das ihn nicht für sich zu behalten verstand.« – Das Wort »Kind« mußte mich[55] heute, wo ich zum ersten Mal als erwachsenes Mädchen in die große Welt zu treten im Begriff war, ganz besonders kränken. Thränen traten mir in die Augen, und mit sehr herabgestimmtem Muth stieg ich mit Miß Arnold und meinem strengen Mahner in den Wagen. Mit dem Ausruf der Bewunderung, der mir beim Eintritt in die gedrängtvollen Säle entgegentönte, kehrte mein Leichtsinn zurück, ich verließ auf das unverbindlichste Herrn Maitlands Arm, um mich von einem meiner gefälligern Bekannten zu einem Stuhle führen zu lassen, und vermied, nach Jenem, der finster und nachdenkend neben mir Platz genommen hatte, mich umzusehen. Nach einigen Minuten, in denen mich der Glanz und die Fröhlichkeit des Schauspiels um mich her völlig zerstreut hatten, theilte sich das Gedränge, und ich erblickte Lady Marie, die mit Sylphen-Leichtigkeit die Reihen durchflog. Nie hatte sich ihre[56] zarte Gestalt so vortheilhaft gezeigt, wie in der leichten, weißen, schön drappirten Hülle, die sie umgab; ihr goldnes Haar, schmucklos in Locken und Flechten geordnet, bildete die schönste Kopfform. – Ich ward zweifelhaft, ob meine Juwelen der vortheilhafteste Putz seyn, den ich hätte wählen können. Nach beendigtem Tanz schritt die Lady auf einen Stuhl zu, den in demselben Augenblick ein sehr schöner junger Mann mit zierlicher Grobheit einnahm und, nachlässig ihre Rede anhörend, sein schönes Bein betrachtete, seine Finger ein paarmal durch sein, mit anmuthiger Nachlässigkeit gelocktes Haar zog und sich dann, in eine bequeme Stellung zurechtgerückt, umhersah. Jetzt fielen seine Augen auf mich; lebhaft sagte er seiner Nachbarin einige Worte, die sie mit einem verächtlichen Aufwerfen des Kopfes beantwortete, er sprang auf, schien in einem augenblicklichen Wortwechsel mit ihr, und sie ließ[57] sich dann, halb wider Willen, von ihm auf mich zuführen. Nach einigen sehr kalten Worten von Wiedererkennen sagte sie, mir ihren Begleiter vorstellend: Mein Bruder, Lord Friedrich de Burgh, und wendete uns, ohne Miß Juliens demüthige Begrüßung mit einem Blick zu beehren, den Rücken. Diese kränkende Vernachlässigung war mir ein Ruf, die Beschützerin zu spielen. Ich faßte sogleich Miß Juliens Arm und ging, von Lord Friedrich begleitet, im Saal umher.
Unter seinen modigen Mitgesellen konnte Lord Friedrich noch für kurzweilig und mußte für einen der hübschesten angesehen werden. Ich nahm an Lady Mariens Blicken wahr, daß seine Aufmerksamkeit auf mich ihr im höchsten Grade mißfiel, und machte mir ein Fest daraus, durch die kleinen Künste, die Eitelkeit uns lehrt, ihn neben mir festzuhalten. Nach einiger Zeit forderte er mich zu einem Walzer[58] auf; dieser Tanz ward dazumal noch für eine kaum gebührliche Dreistigkeit gehalten; ich weigerte mich lange, allein ein höhnisch mißbilligender Blick, den Lady Marie eben auf ihren lebhaft in mich dringenden Bruder warf, bethörte mich, und ohne es eigentlich beschlossen zu haben, stand ich mit ihm mitten im Saale. Alles wich zurück, ich sah Aller Augen auf mich gerichtet, ein lähmendes Gefühl von Schaam ergoß sich durch meine Sinne, allein es war zu spät; in unseeligem Wirbel flog ich dahin, das oft unfein ausgedrückte Lob der Männer betäubte meine schmerzhafte Verwirrung, ich drang mir selbst die Ueberzeugung auf, der Tanz sey für mich schuldlos, und zwang mich, einen freien Blick auf die Umstehenden zu werfen. Da trafen meine Augen auf Herrn Maitland, dessen Blick mit Mißfallen und unendlicher Wehmuth mich betrachtete. O ich sah nie ein Auge, das so stechendes Mißfallen[59] auszudrücken im Stande war! Ich ward bis zur Ohnmacht von ihm getroffen und eilte, mich durch den Haufen drängend, in den fernsten Winkel des Saals. Ein Kreis von Beileidbezeugenden – denn man hielt meine plötzliche Beendigung des Tanzes für eine Unpäßlichkeit – versammelte sich um mich; Herr Maitland nahte sich gesetzt und fragte: ob ich mich nach Haus zu begeben gesonnen sey? – Aufgebracht über die Störung, mit der er meine Thorheit erschreckt, beleidigt über die Gleichgültigkeit, mit welcher er der Umstehenden Sorge gar nicht zu theilen würdigte, antwortete ich nachlässig: daran wär' in den nächsten Paar Stunden gar nicht zu denken, und schlenderte an Lord Friedrichs Arm den Saal hinab. Endlich um fünf Uhr, erschöpft von der Anstrengung, fröhlich zu scheinen, indeß Heiterkeit fern von mir war, von Lärm und von Thorheit übersättigt, verließ ich[60] den Ball. Herr Maitland führte mich bis an den Wagen, wo er ernst und kalt seinen Abschied nahm. Oede in Kopf und Herzen, so müde, daß ich meinem schlaftrunknen Kammermädchen kaum, mich auszukleiden, Zeit ließ, ohne einen Gedanken an den Allwaltenden, dem ich von jedem meiner Tage Rechenschaft zu geben bereit seyn sollte, eilte ich in mein Bett.
Von da an war mein Leben ein fortwährender Kreislauf von Gesellschaft und Putz. Gedankenlos eilte ich von Kaufläden zu Morgenbesuchen, dann zu Ausstellungen, Versteigerungen, Assemblees, Schauspielen und Bällen, ohne daß Herrn Maitlands ernste Winke, seine bangen mitleidsvollen Blicke, oder Miß Mortimers bestimmtere Bemühungen mich störten. Anfangs suchte diese weise Freundin mich durch angenehme Zirkel und geistvolle Gesellschaft, die sie bei sich versammelte, von[61] dem lärmenden Gedränge abzuhalten; allein ich hatte den Becher der Thorheit getrunken, der sanfterer Heiterkeit schien mir schaal. Sie machte mir Vorstellungen, sie redete zu meiner Vernunft, zu meinem Herzen – sie waren beide betäubt. Ich hatte die Keckheit, ihr zu sagen, daß, wenn nach sechs Wochen etwa alle meine Einladungen zu Ende wären, ich einmal an einem regnigen Sonntag ihre Lectionen anzuhören bereit sey. Noch jetzt erstaune ich über ihre Langmuth bei meiner Unverschämtheit – allein sie sah meine Thorheit aus dem Standpunct eines höhern Wesens an – die Aussicht auf die Strafe, die ihr drohte, schmolz allen Zorn in Mitleid dahin. Wie sie einsah, daß sie nichts über mich vermöchte, suchte sie den Beistand meines Vaters zu gewinnen; allein dieser war selbst über meine glanzvolle Erscheinung in der großen Welt etwas geschmeichelt. Er theilte die Menschen in zwei Classen:[62] die eine, welche Reichthum erwirbt, die andere, die ihn genießt. Ich gehörte zu der letztern, und er glaubte nicht, mich darin hindern zu müssen. Es schmeichelte ihn, wenn der Morning Chronicle den Glanz meiner Diamanten auf dem Ball der Gräfin nur dem meiner Augen nachsetzte; er lächelte behaglich, wenn ein andrer Paragraph von der Bewerbung des jungen Herzogs von D. um meine Hand sprach. Wirklich begünstigte er mehrere Bewerber aus den vornehmsten Häusern, bis sie ihm ernstliche Anträge machen ließen; dann schlug er sie, mit der Forderung eines unerschwinglichen Wittwenbedings nieder und wiederholte öfters, daß er gar nicht gesonnen sey, einem Burschen sein Vermögen zuzuwenden, der sich am Ende unterstehen könnte seinen Schwiegervater zu mißachten. Ich blieb bei diesen Verhandlungen ganz ungerührt. Meine Aussichten schienen mir so glänzend, und mein Hang zum Vergnügen[63] war so groß, daß ich an keine Heirath dachte. Fiel es mir hier und da einmal auf, daß mein Vater sehr annehmliche Vorschläge zurückwies, so regte sich wohl der Gedanke in mir, er könne sich Herrn Maitland, den er mit der ausgezeichnetsten Achtung zu behandeln fortfuhr, zu seinem Schwiegersohn ausersehen haben. Leichtsinnig lachte ich dann bei der Vorstellung des Triumphs, diesen unbesiegbaren Starrkopf ausschlagen zu können.
Ohne daß einer meiner Freiwerber mich anzog, oder einer meiner noch viel zahlreicheren Bewundrer mir Neigung einflößte, fand Lord Friedrich Mittel, mich am mehrsten mit sich zu beschäftigen. Er war der modigste Mann, ich strebte darnach, die Schönheit des Tages zu seyn; aber noch mehr freute es mich, Lady Marie durch seine Beflissenheit, allenthalben an meiner Seite zu erscheinen, Galle zu erregen. In erster Rücksicht schmeichelte es meiner[64] Eitelkeit, von manchem eifersüchtigen Gecken, von manchem neidischen Mädchen über meine verabredete Verbindung mit ihm mit heuchlerischer Theilnahme oder bitterm Spott sprechen zu hören, und die früh entkeimte, in jedem Verhältniß angewachsne Feindseligkeit zwischen Lady Marie und mir vermochte mich, keinen Schritt zu thun, um unser Verhältniß zu stören. Dieses war indessen einzig auf Eitelkeit gegründet; er äußerte keine ernstere Absicht, und es wäre mir leid gewesen, hätte er es gethan, denn so sehr er Modeheld war, so wenig hatte er einen Eindruck auf mein Herz gemacht.
Allein mit einer Heirath ists, wie mit der Sünde: wenn man sich oft daran zu denken erlaubt, stumpft sich der Schrecken davor ab. Am mehrsten trug Miß Juliens Bemühung bei, mich nach und nach an den Gedanken, daß es mit Lord Friedrich einst dahin kommen könnte, zu gewöhnen. Da sie nun einmal den Platz[65] meiner Gesellschafterin eingenommen hatte und meinen Charakter sehr richtig beurtheilen mochte, mußte sie es auch für sich für einen günstigen Umstand halten, wenn ich einen glänzenden Rang in der Gesellschaft erhielt. Sie suchte mir in vielfach wiederholten Gesprächen bald die Ernstlichkeit von Lord Friedrichs Neigung zu beweisen, bald durch Aufregung meiner Eitelkeit oder meiner Feindseligkeit gegen Lady Marie mich zu Fortsetzung meiner Koketterie gegen ihn zu bewegen. Miß Mortimer, welche uns selten in Gesellschaft begleitete, in dieser selbst durch die jetzt so übliche Trennung der Jugend von Personen reifen Alters meinen Leichtsinn nicht beobachten konnte, blieb über mein Verhältniß zu Lord Friedrich in völliger Unwissenheit. Wirklich edle Menschen, selbst wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse sie unvermeidlich mit der Gemeinheit zusammenbringen, bleiben von ihr unberührt, denn sie sucht[66] sich selbst, instinctartig, von ihnen zu entfernen. Es gehört ein Grad Dummheit oder eine bestimmte böse Absicht dazu, solche edle Menschen mit bösartigem Geschwätz zu belästigen. Eine solche Dummheit vermochte endlich ein ziemlich untergeordnetes Mitglied meiner glänzenden Cirkel – denn Reichthum, Jugendglanz und die Auszeichnungen meiner vornehmen Anbeter hatten mich in Gesellschaften eingeführt, in die meines Vaters Stand mir in gewöhnlichen Verhältnissen keinen Zutritt gesichert haben würde – eine solche Dummheit vermochte eine ältliche Wittwe, mit aller Heuchelei von Theilnahme und Entschuldigungen, bei einem Besuch, den sie Miß Mortimer machte, diese von Lord Friedrichs geflissentlicher Beschäftigung mit mir und den Vermuthungen, die man darauf gründete, zu unterrichten. Ich überraschte sie am Schluß ihrer Mittheilung und nahm, nach ihrer bald darauf erfolgten Entfernung, die[67] schmerzliche Gemüthsbewegung wahr, in welche ihre Nachricht Miß Mortimer versetzt hatte. Der milde, unendlich theilnehmende Ausdruck ihres Gesichts überraschte mein Gefühl, ich fragte mit Wärme nach der Ursach ihrer Bekümmerniß; allein da ich an ihrer Antwort wahrnahm, daß es sich um eine Ermahnung handle, fand ich Mittel, ihrem Gespräch, unter einem geringfügigen Vorwand, sogleich zu entschlüpfen. Die nächstfolgenden Tage vermied ich sehr geschickt, ihr Gelegenheit zum Wiederaufnehmen des Gegenstandes zu lassen; allein eine kleine Unpäßlichkeit, die mir das Zimmer zu hüten gebot, gab mich bald darauf in ihre Hand.
Ein zufälliger Blick in den Spiegel zeigte mir zu meinem unaussprechlichen Schrecken, wie auffallend drei Tage leichten Fiebers mich entstellt hatten. Ich äußerte meine Empfindungen in leichtsinnig verdrießlichem Ton, und, ehe ich mirs versah, zog Rede und Antwort[68] eine Unterredung herbei, in welcher Miß Mortimer mich eben so weise wie gefühlvoll auf die Gefahr aufmerksam machte, zu der mein Leichtsinn mich hinriß. Ich glaubte sie so wie mich mit der Versicherung, daß ich an gar keine Heirath dächte, zu beruhigen. Sie warnte mich darauf mit dem Beispiel so manchen Mädchens, die durch die Sorglosigkeit, mit der sie eines Mannes Bewerbung gestattete, sich endlich gefesselt gefunden hätte. Mit unwürdiger Gemüthlosigkeit wagte ichs nun, zu behaupten, es sey ja am Ende auch ganz gleichgültig, ob ich Lord Friedrich heirathe oder einen Andern; und da er Geld, ich aber einen Rang brauchte, wäre ja dieser Plan gar nicht so schlimm. Ohne von dem Uebermuth, mit dem ich ihrer sanften Weisheit mein gehaltloses Geschwätz entgegensetzte, entrüstet zu werden, stellte sie mir mit zunehmender Wärme, mit einer Innigkeit, die eine selbst mir auffallende[69] Jugendblüthe über ihre blassen Wangen verbreitete, die Unhaltbarkeit meiner Lebensansichten für spätere Jahre, ihre Gefahr für die einst nachfolgende Ewigkeit vor. Erschüttert von ihrer Rede und jeder ernsten Rührung abgeneigt, eilte ich der vortrefflichen Freundin unbedingt zu versprechen, nie Lord Friedrich meine Hand zu geben. Sie dankte mir und hätte noch mehr gesagt; allein Miß Julie stürmte eben ins Zimmer herein und brachte mir ein Päckchen, das im Vorzimmer gelegen, und dessen Inhalt sie mich mit Neugier entwickeln sah. Was ists? – rief sie dringend. – Ein Billet von Lord Friedrich, und zwar Karten zu Lady St. Edwards Maskenball am fünften Mai. – Miß Arnold sprang voll Freude im Zimmer umher: o das ist herrlich! das ist göttlich! und wir sind diesen Tag noch nicht versagt. – Ich blickte verlegen und mißmuthig auf die Karten, das eben statt gehabte Gespräch dämpfte[70] meine Freude. Miß Mortimer drehte ängstlich ihre Näharbeit in den Händen und fragte mich endlich schüchtern, ob ich die Karten anzunehmen gedächte. – Nun, das versteht sich! rief Miß Julie vorlaut. – Warum sollte ich nicht? fragte ich. – Miß Mortimer, ohne sich je an Miß Arnold zu richten, so ungeziemend diese sich auch in das Gespräch einmischte, suchte nun mit schüchterner Sanftheit und unerschütterlicher Geduld mir begreiflich zu machen, daß die Gattung dieser Lustbarkeit, so wenig wie die Art des Zutritts, den wir dazu erhalten, von vernünftigen Leuten gut geheißen werden könnte. Nachdem ich meine Antworten – denn Gegengründe konnte ich sie nicht nennen – erschöpft, endete ich, wie alle ungezogene Menschen, mit einer Unverschämtheit, indem ich sie trotzig fragte: wer ihr das Recht gäbe, mich zu meistern und zu drängen? – Helle Thränen brachen aus ihren Augen. »Ihre Mutter gab es[71] mir, Ellen«, rief sie mit vom Schmerz erstickter Stimme, »Ihre Mutter, die von unsrer langjährigen, erprobten Freundschaft der heiligen Erfüllung meines ihr gegebenen Versprechens entgegensah. So lange Sie vor meinen Augen leben, Ellen, muß ich Sie vor unwürdigen Thorheiten hüten, oder Ihrer Mutter Andenken würde mich wie ein böses Gewissen verfolgen.«
Ueberwältigt durch diesen Ernst, drangen auch mir Thränen in die Augen, schnell raffte ich die Einladungskarten zusammen, schloß ein entschuldigendes Wort an Lord Friedrich bei und bat Julien, die mir mit der größten Bestürzung zusah, ohne den Muth meiner bestimmten Bewegungen zu hindern, dem Bedienten zu klingeln. »Geben Sie mir den Brief, sagte sie gleichgültig, ich gehe doch die Treppe hinab und kann ihm den Weg ersparen«, nahm mir ihn ab und verließ das Zimmer.
Miß Mortimer, deren Thränen noch flossen,[72] ergriff meine Hand, drückte sie mit ihren beiden und sah mich mit einem Blick an, der die Wildheit selbst menschlich gemacht hätte. Ich fühlte mich erleichtert durch die Entsagung, die ich geübt; aber mein elender Stolz erstarrte mich vor dem Gefühl der Liebe, ich hatte die Härte, meine Hand zurückzuziehen und kalt und hochmüthig das Zimmer zu verlassen.
Doch, was thue ich? Wird mich denn nicht die Welt verachten, der ich diese Geständnisse mache? Werden meine Leser nicht diese Blätter mit Abscheu von sich werfen? Mögen sie! Ich kann dennoch einem von ihnen ein Beispiel zur Besserung seyn – und dann vergesse doch keiner, daß Abscheu vor dem Bösen noch nicht Tugend ist, und gedenke auch, daß ich nur dann ganz verloren gewesen wäre, wenn ich schon eine klare Erkenntniß des Bessern gehabt hätte – mein Verstand war wirklich noch in der Dunkelheit des Irrthums befangen.[73]
Die Selbstüberwindung eines so lieblosen Herzens war nicht geeignet, den Geist zu bekräftigen. Sobald ich mich mit Miß Arnold allein befand, ward es ihr unschwer, meine Einbildungskraft mit den lebhaftesten Bildern des Vergnügens, dem ich entsagt hatte, anzufüllen. Sie stachelte meinen Stolz, indem sie meine Nachgiebigkeit gegen Miß Mortimer als die schüchterne Unterwerfung eines Schulkindes schilderte, und brachte mich bald dahin, die Zurücksendung der Einladungskarten aufs bitterste zu bereuen. Wenn wir sie nun aber wieder haben könnten? fragte Julie mit schalkhaftem Lächeln. Unmöglich! rief ich, nie würde ich Lord Friedrich darum bitten. – Wenn ich sie aber gar nicht fortgeschickt hätte, theure Ellen, sondern in der Ueberzeugung, daß so ein abgeschmacktes Beginnen Sie gereuen müsse, Ihnen das Päckchen abnahm, um es – sie nahm es aus ihrem Arbeitskästchen – hier zu verwahren? –[74]
Ich war wie vernichtet. Ein achtjähriger Umgang mit Miß Arnold hatte mich noch nicht verleitet, meine gewohnte Wahrhaftigkeit, – die eigentlich nur furchtloser Trotz war, meine Handlungen nicht zu verbergen – abgelegt zu haben. Der Schritt, den Miß Julie gethan hatte, schien meine innre Freiheit unleidlich zu verletzen, ich erstarrte vor der Demüthigung, die mir fremde Schuld zuziehen könnte. Julie bemerkte die Unruhe meiner Gedanken, obschon deren Gegenstand ihr fremd seyn mochte; mit der einnehmendsten Schmeichelei stellte sie mir vor, wie sie nur um meinetwillen gehandelt habe, wie sie gern allen Tadel auf sich nehmen wolle, um mir ein meinen Ansprüchen so angemessenes, so unschuldiges Vergnügen zu verschaffen – allein jetzt ward der zutrauenvolle, dankbar glänzende Blick, mit dem Miß Mortimer für das Hinwegsenden der Einladungskarten meine Hand drückte, mein Schutzgeist,[75] ich konnte ihr Lob meiner Wahrhaftigkeit, das sie mir noch vor so kurzem gegeben, nicht zu Schanden machen und gewann noch einmal den Sieg über mich, die Karten mit eigner Hand dem Bedienten zum Forttragen zu übergeben.
Nun war mein Herz wirklich leicht, wirklich stolz. Ich vergab Miß Mortimer meine Fehlschlagung, dem Maskenball beizuwohnen; mein Abend, obschon einsamer, wie gewöhnlich, weil ich mich noch als Kranke behandeln mußte, verfloß in der heitersten Laune, und mein Schlaf ward von freundlichen Träumen umgaukelt. Mich wandelte wohl im Verlauf des Tags die Lust an, Miß Mortimer meinen zweiten, da er nicht durch Trotz herbeigeführt ward, viel reinern Triumph über eine Maskeradesehnsucht mitzutheilen; allein ich konnte es nicht thun, ohne meine Freundin, die nur um meinetwillen sich dem Tadel ausgesetzt hatte, bloszustellen, und gebot mir Schweigen.[76]
Schon während meines Streites mit Miß Arnold hatte mir der Gedanke an Herrn Maitlands Meinung über diesen Maskenball vorgeschwebt und vielleicht, mir unbewußt, meinen Entschluß befördert. Jetzt wünschte ich, daß er kommen möchte, und befahl dem Bedienten, von allen Besuchen ihm allein Zutritt zu gestatten, – ich machte mir selbst glauben, nur weil mein Krankenanzug und meine Blässe seinem stoischen Muth ohnehin gleichgültig seyn müßten, ingeheim wünschte ich aber seinen Beifall für meine Selbstverleugnung zu ärnten. Doch erwartete ich ihn diesen Abend vergeblich; erst den folgenden stellte er sich ein, und kaum hatte er Platz genommen, so rühmte ihm Miß Mortimer mit der zartesten Vorliebe der Freundschaft meine Entsagung. Ich blickte verstohlen ihn an. – Sobald er, wovon die Rede sey, vernommen, verbreitete sich ein Freudeschimmer über sein Gesicht: »Mir däucht, sagte[77] er, dafür sind wir Miß Percy keinen Dank schuldig, sie hat gewiß mehr Freude empfunden, Ihrer Bitte zu willfahren, als zwanzig Maskenbälle ihr gegeben hätten.« – Nicht eben das! rief ich, mir würde eine Maskerade die größte Freude von der Welt machen. – Sie wollen also durchaus einiges Verdienst bei diesem Opfer haben? fragte Herr Maitland mit leichtem Scherz, setzte sich mit anmuthiger Vertraulichkeit neben mich auf den Sopha und erörterte mit einem Witz, der stets an die Empfindung anstreifte, den Werth meiner Entsagung. Im Verlauf des Gesprächs gebrauchte ich auch den Ausdruck von »geziemendem Stolz.« Er fragte mich darauf, was ich unter dieser schönen Redensart verstehe. Nachdem ich vergeblich versucht hatte sie zu erklären, sagte ich muthwillig: geziemender Stolz sey das Gefühl, welches mich abgeneigt mache, je als eine geduldige Magd mich vor der Herrschsucht[78] des Mannes zu beugen; ein Gefühl, welches mir stets den Muth eines unabhängigen Geistes erhalten solle, ohne welchen das Daseyn mir nichts werth sey. – »Fern sey es von mir, Ihnen diesen zu rauben«, sprach Herr Maitland, anfangs mit Lächeln, das aber, noch während er redete, einer ernsten Theilnahme Platz machte. »Allein, welchen Werth könnte nicht dann dieses Daseyn gewinnen, wenn Miß Percy die reichen Gaben, mit denen die Natur sie überschüttete, und die doch nur ein Darlehn sind, aufs beste anzuwenden bedacht wäre? Was würde sie dann erst seyn? – Alles, was Ihre wärmsten Freunde von Ihnen wünschen könnten. Sie würden vielleicht dann nicht mehr die Bewunderung aller Gecken begehren, sie vielleicht erlangen; allein die innigste Hingabe derer, die weiter blicken, als auf ein schönes Gesicht, – die wär' Ihren gewiß.« Die Wärme, mit der Herr Maitland sprach, war[79] seiner Gewohnheit so entgegen, sein Blick, ohnehin so durchdringend, strahlte mit so außerordentlichem Glanz, daß sich mein Auge vor ihm senkte, und glühende Röthe meine Wange umzog. Gewiß nur diesem Manne konnte es gelingen, meinen Uebermuth zu beugen; allein ich war so befremdet über meine Unterwürfigkeit, daß die Widerrede mir versagte, und der unerwartete Eintritt meines Vaters mir als eine wahre Erleichterung erschien.
Sein Gesicht kündigte mir an, daß ein besondrer Gegenstand ihn mehr lebhaft als wohlthätig beschäftige. Er schritt rasch ein paarmal im Zimmer hin und her, stellte sich dann vor das Camin und rief mir zu: »Endlich werde ich des Ueberlaufs um Ihretwillen müde, Miß Percy.« – Um meinetwillen, lieber Vater? was will man von mir? – »Von Ihnen ziemlich wenig, aber von mir bei dergleichen Gelegenheit mein Geld. – Verzeihen Sie,[80] Herr Maitland, sagte er, sich gegen ihn wendend, daß ich Sie mit Familiensachen unterhalte.« – Wer will gelegentlich meiner mein Geld? fragte ich sorglos. – »Lord Friedrich de Burgh, der zweite Sohn des Herzogs von C. Seine Gnaden waren heute früh bei mir und haben mir die bestimmtesten Vorschläge gemacht.« – Herr Maitland hatte im Ernst seiner letzten Worte meine Hand ergriffen und sie, meinem Vater zuhörend, in einer Art Zerstreuung noch immer gehalten; bei dem Namen Lord Friedrichs ließ er sie mit einem unsanften Druck los, ich blickte auf, um den Ausdruck seines Gesichts zu sehen, allein er hatte sich abgewendet und schien sorglos in einem Buch, das auf dem Nähtisch lag, zu blättern. Mein Vater erzählte nun weitläufig, wie der Herzog bei seiner Bewerbung die Ehre einer Verbindung mit seinem Hause, die Aussicht auf die Herzogskrone, welche die hinfällige Gesundheit[81] seines ältesten Sohns Lord Friedrich verspräche, nicht habe anzudeuten vergessen, wie es aber so ziemlich am Tage läge, daß mein Heirathsgut ein großer Bewegungsgrund bei seiner Einwilligung in seines Sohnes Wünsche gewesen sey. Hier hielt mein Vater inne und blickte mich fragend an, als erwarte er, daß ich doch einige Neugier nach der Entscheidung, die er in der Sache gegeben, bezeigen sollte. Ich spielte aber sorglos mit meinem Armband und ließ mich auf nichts ein. Herr Percy nahm also wieder das Wort und erzählte mit Triumph, wie unbedenklich er den Herzog abgewiesen habe. Zweitausend Pfund Witthum habe er geboten – »eine schöne Herrlichkeit für ein Mädchen, das Hunderttausende Mitgift hat und noch doppelt so viel zu erwarten! Und dafür, schloß er, soll ich einen Schnapphahn in mein Haus aufnehmen, den ich herausfüttern, dem ich alles, bis auf den Rock, mit dem er den Gecken spielt,[82] anschaffen müßte, damit er und seine bankerotte Familie mich und mein Mädchen über die Schulter ansehe? Nein wahrlich, dafür hat kein wackrer Mann in England sein Vermögen gesammelt. Wie, Maitland?« – Wahrlich nein, nicht nach Ihrer noch nach meiner Ansicht, antwortete Herr Maitland gezwungen. – »Aber der große Mann ist auch in einen Zorn gerathen, er schämt sich seiner Vorschläge und wünscht sie geheimgehalten. Gewißlich, ich werde sie nicht verkünden! Alle Welt weiß, daß ich viel vortheilhaftere Vorschläge für meine Tochter verwarf.«
Also er will, die Sache soll verschwiegen bleiben? fragte ich hastig; da könnten sie ja seine Töchter vielleicht nicht einmal erfahren. – »Sie sehen sie demnach als gänzlich beendigt an?« sagte mein Vater zu mir, ohne auf meine Worte zu achten. – Gewiß! rief ich; wüßte ich nur, wie ich machte, daß sie Lady Maria[83] erführe. – Vertrauen Sie sie einer recht innigen Freundin, sagte Herr Maitland sehr trocken; sagen Sie mir aber nur, warum es Ihnen so am Herzen liegt, daß Lady Maria sie erfährt? – »Weil sie sich ganz grenzenlos darüber ärgern wird; die Tochter eines bloßen Kaufmanns, welche dem Enkel des hundert und funfzigsten de Burgh einen Korb gibt! das wird ihr alle Kanten und Schönheitsmittel verleiden!« – Ich war von diesem Gedanken so entzückt, daß ich erst nach einer Weile bemerkte, wie Herr Maitland bis ans Ende des Sophas von mir gewichen war und ganz erblaßt in finsterm Nachdenken den Kopf auf die Hand stützte. Gleich darauf nahm er von Miß Mortimer Abschied, doch in dem Augenblick, wo er zur Thür schritt, kam die Kammerfrau dieser und meldete ihr, Frau Wells wünsche sie einen Augenblick zu sehen. Miß Mortimer bat ihn, seine Schutzbefohlne noch zu begrüßen;[84] er willigte ein, aber mein Vater begab sich mit der Bemerkung hinweg: Wenn die Frau Geld will, Miß Mortimer, so lassen Sie's mir sagen, ich habe den Leuten immer das Ihrige geschickt und bin ihnen nichts schuldig.
Anfangs war die gute Frau bestürzt, ihre Wohlthäterin nicht allein zu finden, sie schien sich nicht zum Reden ermuthigen zu können. Doch Herr Maitland, dem es nun einmal gegeben war, sich alle Herzen zu erschließen, that ihr einige Fragen, die ihre Zuversicht zurückriefen. Geld wollte diese wackre Frau nun eben nicht, aber Etwas, das der Arme eben so oft braucht, aber seltner fordert: guten Rath wünschte sie von Miß Mortimer zu hören wegen einer Liebschaft ihrer Tochter Sally. Sie ward von einem jungen Handwerksmann zur Ehe begehrt; sein Gewerb und Sally's Nadel konnten des jungen Ehepaars täglichen Unterhalt sichern; allein zur Hauseinrichtung war[85] nichts da, sie mußte mit Schulden angefangen werden, und das, meinte Frau Wells, setzte sie auf immer zurück. Nun habe sie den Liebenden gerathen, ein paar Jährchen zu warten, recht fleißig zu seyn und recht zu sparen, bis sie das Nöthige zusammengebracht hätten. »Die jungen Leute denken aber, wenn man sich liebe, brauche man wenig, sagte sie, zu mir gewendet – ach, sie haben das Armseyn vergessen, seit Ihre verehrte Mutter mir zu sicherm Erwerbe verhalf! Das weiß Niemand, was Armseyn ist, als der es erfahren hat, wie ich. Manches Leiden kann man sich auf Augenblicke aus dem Sinne schlagen, aber harte Schuldner, frierende, hungrige Kinder – ach, die lassen uns die Armuth keinen Augenblick vergessen! – Meine Bitte ist nun, daß Miß Mortimer meiner Sally zureden möchte, meinem Rathe zu folgen und nach ein paar Jahren, in denen sie gewiß vierzig oder funfzig[86] Pfund zusammensparen könnten, mit meinem Segen ihre Ehe anzutreten.« – Wie? rief ich, den Schluß ihrer Rede gar nicht anhörend, mit vierzig oder funfzig Pfund ist die Sache abgethan? Die kann ich ihr ja sogleich von meinem Monatsgelde geben, denn gewiß habe ich so viel übrig. – Ellen, was fällt Ihnen ein? rief Miß Arnold, die seit einer Weile ins Zimmer getreten war, Sie wollen doch nicht funfzig Pfund auf einmal hingeben? – Warum nicht? Ich brauche das Geld nicht, und sollte ich, so gibt mir Papa einen Vorschuß. – Anfangs bot ich mein Geld in gutmüthiger Ueberraschung an, erst Miß Arnolds Widerspruch ließ mich ein Verdienst in meiner Handlung entdecken, und dafür den Lohn in Herrn Maitlands Blicken zu finden, suchte ich ihn nun auf. – Aber sein Auge schenkte meiner Freigebigkeit keinen Beifall, die nicht aus Grundsätzen entsprang, die kein Opfer auflegte, keine Entsagung[87] gebot. Mit ruhigem Mitleid blickte er mich an, als wolle er sagen: Du armes Geschöpf, selbst dein Gutes hat keinen moralischen Halt! – Frau Wells grübelte nicht über die Quelle meiner Großmuth, sie dankte mit inniger Rührung, nahm sie aber nicht an, weil Sally und Robert ihres Eheglücks sichrer wären, wenn sie ein paar Jahr gearbeitet und gespart hätten, um es zu erlangen, und weil die Gewohnheit von Geduld und Fleiß ihnen mehr frommen würde, wie mein Gold. – Der belohnende Blick, den ich in Maitlands Auge gesucht hatte, bestrahlte jetzt Frau Wells; er verhieß ihr Segen für diese Denkart, allein drei Jahre, meinte er, sey eine zu lange Prüfung; sie solle die Liebenden ein Jahr lang nach ihrem Ziele hinarbeiten lassen, und was an dessen Schluß noch an der nöthigen Summe fehle, lege er dann hinzu. Frau Wells dankte innig, aber ohne Erniedrigung; ich könnte, sagte sie darauf[88] sich zu mir wendend, Sally am wirksamsten bei ihrer Absicht unterstützen: das junge Mädchen arbeite gut, es fehle ihr nur an neuen Mustern und Kunden unter vornehmen Leuten; wenn ich mich aber herablassen wollte, sie für mich arbeiten zu lassen, so würden bald die elegantesten Damen ihr zu thun geben. – So wie ich der wackern Frau Meinung verstand, gerieth ich in die peinlichste Verlegenheit. Wie konnte ich mich entschließen, ein Kleid anzulegen, das nicht die erste Modeschneiderin der Hauptstadt gemacht hatte? – Aber Frau Wells bat so schüchtern, so ernst! Wie sollt ich's ihr abschlagen? Miß Arnold ließ mir Zeit, mich zu sammeln, denn noch ehe die wackre Frau ganz ausgesprochen, rief sie: »Behüte uns Gott, ehrliche Frau, Miß Percy soll doch kein Ding anziehen, wie Ihre Tochter sie zusammenflickt? Ehe die ein Muster fände, zöge es ja alles Lumpengesindel durch die[89] Hände!« – Ich wollte nicht zudringlich seyn, nahm Frau Wells hocherröthend das Wort; ich meinte, wenn Miß Percy die Güte hätte, Sally anzuweisen. – O liebe Frau Wells, sagte ich besänftigend, dessen wäre ich nicht fähig, ich verstehe nichts davon; aber ich will Sally empfehlen, überall wo ich Arbeit für sie hoffen kann. Liebe Miß Mortimer, Sie geben ihr zuerst welche! – Das kann sie, sagte Herr Maitland trocken, sie kann den Zauber eines modigen Rockschnittes entbehren.
Mistriß Mortimer erfuhr späterhin, daß Herr Maitland in den nächsten Tagen die Summe, welche Sally bei ihrer Hochzeit ausgezahlt werden sollte, gerichtlich niedergelegt hatte. Das junge Mädchen ließ sich von meiner ehrwürdigen Freundin zur freudigen Nachgiebigkeit in der Mutter Rath bewegen, und das Glück dieser Menschen war gesichert. – Ich vergaß schnell meine werthlose Großmuth;[90] sie glich dem unstäten Schimmer des wogenden Meeres, indeß Miß Mortimers und Maitlands Menschenliebe belebend, thätig, allverbreitet, wie der Sonnenstrahl, wirkte.
Sobald meine Unpäßlichkeit vorüber war, begann ich meinen Kreislauf von Lustbarkeiten von neuem. Mein erster Ausgang war ein Konzert und Souper, das Lady G. einem kleinen Freundeskreis von vier und funfzig Personen gab. Gleich bei meinem Eintritt erblickte ich Lord Friedrich, der neben seiner Schwester, Lady Auguste und Lord Glendowr stand. Lady Marie machte ihn mit spöttischem Gelächter meine Anwesenheit bemerken; er wendete den Kopf nicht einmal zu mir; ich durchblickte Lady Mariens Absicht und setzte alle kleine Mittel der Gefallkunst in Thätigkeit, um ihr Lord Friedrich zu entreißen – doch alles umsonst, bis die Frau vom Hause mich zu einer Bravour-Arie aufforderte, zu der ich mich meiner Fähigkeit[91] bewußt war; nach ihren ersten Tönen, welche die Gesellschaft in die tiefste Stille gezaubert hatten, nahte sich Lord Friedrich der Lady G., die bewundernd neben mir stand. – Mein Herz schlug hörbar über meinen Triumph, meine Stimme schien von der Begeisterung getragen – da hörte ich, wie er sich bei der Wirthin, nöthiger Geschäfte wegen, entschuldigte, und sah, wie er aus der Gesellschaft verschwand. Meine Fassung reichte kaum aus, die Arie zu beenden; unter dem Geräusche des Beifalls gewann ich Zeit, meine Lage zu übersehen, und da ich, wie alle eitle Weiber, lieber Anmaßung abwehrte, als Vernachlässigung ertrug, beschloß ich meine Empfindlichkeit zu verbergen. Bald war mein Plan entworfen; durch eine geschickte Wendung bewog ich Lord Glendowr, Lady Maria's erklärten Bewunderer, mir einen Augenblick Aufmerksamkeit zu verleihen, und fesselte ihn dann so vollständig, daß er[92] den ganzen Abend nicht mehr meine Seite verließ. Wahrlich, der armselige Triumph war theuer erkauft; er verdammte mich, drei tödtlich langweilige Stunden mit anscheinender Lebhaftigkeit dem Geschwätz des einfältigsten Sterblichen zuzuhören. Eine Anstrengung, von der ich müde und von innerm Zwiespalte erschöpft endlich nach Haus eilte.
Das nothwendige Geschäft, das Lord Friedrich aus der Gesellschaft gerufen, war eine Spielpartie, in welcher er zweitausend Pfund verloren hatte. Miß Arnold sprach mit dem zärtlichsten Mitleid von ihm und gebrauchte ihren Einfluß über meine Schwäche so wohl, daß sie mich endlich beredete: die Verzweiflung, sein Gesuch bei meinem Vater gänzlich fehlschlagen zu sehen, habe ihn zu dieser Thorheit gebracht. In gewissem Sinne hatte sie recht. Geld mußte er sich verschaffen; wie es ihm durch Eroberung meiner Mitgift nicht gelungen[93] war, versuchte er es mit den Karten – allein diese Entdeckung zu machen, war ich viel zu sehr in Selbstbetruge befangen. Es schmeichelte meiner Eitelkeit, eines Mannes Leidenschaft also aufgeregt zu haben, und mein Zorn über seine Vernachlässigung war, wie ich ihn den folgenden Abend bei Mistriß Clermont fand, beinahe verraucht.
Die Zimmer waren so voll, daß ich mich gleich beim Eintritt von Miß Arnold getrennt sah und erst nach einigen Minuten sie, im ernsten Gespräch mit Lord Friedrich begriffen, wiederfand. Befremdet trat ich ihnen näher und hörte ihn sagen: »Da würde ich eine sehr einfältige Figur machen.« – »Die Sache ist unmöglich, antwortete Miß Arnold, er hat auf der Welt keinen Verwandten, als ...« hier erblickte sie mich, schwieg und erröthete. Doch ich hatte keine Zeit, Bemerkungen zu machen, denn Lord Friedrich ergriff meine Hand und[94] äußerte seinen Unmuth über seine von meinem Vater erlittene Fehlschlagung in einem Ton, dem »mein Selbstgefühl«, welches ich gegen Herrn Maitland als Richtschnur meines Betragens aufgestellt, kalte Verachtung hätte entgegensetzen sollen. Doch Lady Marie, die ihren Bruder bewachte, näherte sich schnell, um ihn zu einem Zeitvertreib abzurufen, den er durch Kartenkünste Lady Auguste zu verschaffen, versprochen hatte; das war genug, mich über meine weibliche Würde zu verblenden, ich setzte mein Gespräch mit Lord Friedrich fort, ließ mich auf einen nebenanstehenden Stuhl nieder, er nahm seinen Platz neben mir und schlug seiner Schwester ab, sie an Lady Augustens Spieltisch zu begleiten. In der Unterhaltung, welche nun folgte, wurden die zurückgesendeten Einladungskarten nicht vergessen. Er scherzte über meine Weigerung und drang darauf, die eigentliche Ursache derselben zu wissen; aus Verlegenheit[95] sagte ich ihm, daß ich Anstand nähme, mich in die Gesellschaft einer Dame zu drängen, der ich nicht vorgestellt sey. Bei diesen Worten sprang er auf, um mir Lady St. Edmond, welche sich auch in der Gesellschaft befand und, wie er sagte, seit langer Zeit mich kennen zu lernen wünsche, zuzuführen. Sogleich kehrte er mit einer Dame zurück, deren glänzende Erscheinung und liebenswürdige Gestalt, wenn sie gleich über die Jugendjahre hinaus war, den angenehmsten Eindruck machte. Ihre gemüthvolle Höflichkeit, ihr ungezwungnes Betragen, ihre Schmeichelreden bezauberten mich, ich blieb den ganzen Abend ihre Gefährtin und nahm das Versprechen ihres Besuchs auf den folgenden Morgen mit der größten Freudigkeit an.
Sie erfüllte dieses Versprechen und war im vertraulichen Geschwätz am Camin noch hinreißender, wie im Geräusch des Salons, obgleich ihre Reize beim Tageslicht weniger[96] vortheilhaft erschienen. Im Verlauf des Gesprächs warf sie mir auf die schmeichelhafteste Weise meine Weigerung vor, ihren Ball – wie sie sich ausdrückte – durch meine Gegenwart glänzender zu machen. Ich war redlich gesonnen bei mei nem Entschluß, nicht dabei zu erscheinen, zu beharren, allein Miß Arnold wußte meine Gründe bald zu entkräften, bald, indem sie meine Nachgiebigkeit gegen Miß Mortimers Wunsch als kindische Folgsamkeit darstellte, meine Eitelkeit zu reizen, so daß ich das Anerbieten der Lady St. Edmond, uns nochmals Karten zu senden, nicht abzulehnen den Muth hatte.
Kaum hatte sie mich mit den einnehmendsten Liebkosungen verlassen, so trat Miß Mortimer ein und mußte den ersten stürmischen Erguß der Freude über meine neue Bekanntschaft vernehmen. Sie that es mit bedächtiger Ruhe und der gleichgültigen Bemerkung: »sie habe[97] gehört, daß Lady St. Edmond sehr liebenswürdig sey.« Noch mehr durch ihre Fassung, die ich für Abneigung gegen meinen neuen Götzen hielt, erhitzt, häufte ich Lobsprüche auf Lobsprüche und fügte den Wunsch, mit so einer Freundin meine Tage zu verleben, hinzu. Miß Mortimer erinnerte mich an die Nothwendigkeit, neue Verbindungen nur allmählig zu knüpfen. – Ich nannte das Kaltherzigkeit. – Sie deutete darauf, daß Lady St. Edmonds Ruf von der Art sey, diese Behutsamkeit einem jungen Mädchen sehr nöthig zu machen. – Nun war mein Stolz empört; ich wollte mich den Regeln allgemeiner Klugheit nicht unterwerfen; übermüthig erklärte ich alles, was die Welt über meine neue Freundin urtheilen möchte, für Verleumdung, und einer solchen Verleumdung Gehör zu geben, für die elendste Schwäche. Mit Engelmilde setzte mir darauf Miß Mortimer den Unterschied auseinander, der darin läge,[98] ein altes Freundes-Verhältniß wegen Beschuldigungen des öffentlichen Rufes aufzulösen, oder neue solche Verhältnisse mit einer Person von beflecktem Rufe zu knüpfen. Das Erstere könnte Ehre und Menschlichkeit in manchen Fällen verbieten, das Andere sey gewagt und für eine Person meines Alters und Geschlechtes völlig zu verwerfen. Diese Ansicht war so einleuchtend, daß ich mit all meinem Uebermuth nicht sogleich eine Widerlegung bereit hatte. Miß Mortimer, viel zu edel, um sich der Bestätigung meiner Niederlage in meinem Stillschweigen zu erfreuen, verließ ungesäumt das Gemach.
Der Gedanke an den verführerischen Maskenball zerstreute mich bald von dem unangenehmen Eindruck, den diese Unterredung zurückließ. Fest entschlossen, ihm zu entsagen, erlaubte ich mir um so unbedachter, mich an der Vorstellung seines Glanzes zu weiden. Ich[99] dachte mir die Pracht meiner türkischen Maske, die Anmuth, die sie meiner Gestalt verleihen müßte, die Bewunderung, die ich erregen, die witzigen Antworten, die ich ertheilen würde – doch vor allem beschäftigte sich meine Einbildungskraft mit dem Vergnügen, den ganzen Abend an Lady St. Edmonds Seite zu seyn. Zu gewohnt, meine Interessen mit Miß Arnold zu theilen, wurden meine eiteln Träume Gegenstand unsers nächsten Gesprächs, und es ward ihr leicht, da durch Lady St. Edmonds persönliche Einladung der Hauptgrund der Weigerung, der in Lord Friedrichs Dazwischenkunft bestanden hatte, gehoben war, mich zu bereden, daß es meinem Vater allein zukomme, über das Annehmen oder Ausschlagen der Einladung zu entscheiden. Der Ausweg war meinem Gewissen willkommen, allein es war noch zu schüchtern; den Vorschlag meinem Vater selbst zu thun, fehlte es mir an Muth. Miß[100] Arnold bot sich ungebeten zu der Unterhandlung an, diese glückte ohne die geringste Schwierigkeit; mein Vater, durch seine Unkunde der feinern Gesetze des weiblichen Anstandes, da meine gute Mutter nie in der großen Welt gelebt hatte, und durch seine Eitelkeit, die an den vornehmen Bekanntschaften seiner Tochter Gefallen fand, irre geleitet, tadelte Miß Mortimers Ansicht und befahl mir ohne weitres Nachdenken, der Einladung Lady St. Edmonds zu folgen. Nun war der Pflicht genug gethan; aber die Umstände erheischten es doch, Miß Mortimer die Veränderung meines Entschlusses mitzutheilen, und das schien mir noch schwieriger, als das Gesuch an meinen Vater. Miß Arnold versuchte mir deutlich zu machen, daß zu Vermeidung aller Unannehmlichkeiten für beide Theile nichts leichter sey, als dem würdigen Mädchen unsern Besuch des Maskenballs gänzlich zu verschweigen. Sie kenne unsre[101] Einladungen nicht, es sey sehr leicht, an dem Ballabend eine andere Gesellschaft zu besuchen, dann später unsern Anzug zu ändern, um noch immer früh genug, bei Lady St. Edmond zu erscheinen. Meine ganze Seele empörte sich gegen diesen furchtsamen Betrug; fast hätte mich dieser Vorschlag über Juliens gefährlichen Einfluß aufmerksam gemacht, allein sie wußte bei der ersten Aeußerung meines Mißfallens mich mit Thränen und Liebkosungen zu überzeugen, daß nur der innige Wunsch, mir den Genuß dieses Ballabends zu verschaffen, sie leite. Sie bot mir an, ihre Karte Miß Mortimer abzutreten, so alle Hindernisse zu heben und mir den sichersten Beweis ihrer uneigennützigen Freundschaft zu geben. Mein schwaches Herz, der Liebe bedürftig und der Schmeichelei gewöhnt, ließ sich leicht beschwichtigen, und als Ersatz für das meiner Freundin gethane Unrecht, gab ich ihr sogar bis dahin[102] nach, daß wir, um Miß Mortimers Mißbilligung so viel wie möglich zu entgehen, sie erst am Ballabend selbst, im Augenblick unsrer Abfahrt, mit meinem veränderten Entschluß bekannt machen wollten.
Miß Mortimers Ermahnungen zum Trotz, setzte ich meine Bekanntschaft mit Lady St. Edmond fort. Ich zog zwar einige Erkundigung über sie ein; ihr Erfolg stellte meinen neuen Liebling als eine Frau dar, die sich mit großem Glück und Vortheil dem Hazardspiel ergäbe und über einen Punct ihres Betragens solcher Fehltritte wegen verdächtig werde, die es besser sey nicht zu erwähnen. Die Heftigkeit, mit der ich Lady St. Edmond unschuldig zu finden wünschte, bewog mich, die öffentliche Meinung als eine Despotin zu betrachten, der zu widerstehen, mich meine Eitelkeit aufreizte; meine Zuneigung für sie gewann durch meine Absicht, ihr dadurch nützlich zu seyn, neue Stärke, so[103] wie auch meine Bewunderung ihrer liebenswürdigen Eigenschaften dadurch anwuchs. Wirklich war aber ihr Betragen gegen mich so anziehend, ja so bezaubernd durch Geist und gemüthvolles Wesen, daß ich noch jetzt, nach Verfluß manches Jahres und mancher gemachten Erfahrung, überzeugt bin, ihr Wohlgefallen an mir war nicht ganz erlogen. Ich habe selten ein so verhärtetes Herz gefunden, daß es nicht, wenigstens vorübergehend, durch die redliche Gefühlswärme der Jugend gerührt worden wäre. Ich vermochte auch gar keine Ursache zu entdecken, die sie, mir zu heucheln bewegen könnte; auch für die Beschuldigung ihrer Liebe zum Spiel fand ich, in ihrem Verhältniß zu mir, keinen Beweis; sie veranlaßte mich nur ein einzigesmal die Karten zu nehmen, und da war ich im Gewinnen. Miß Mortimer fuhr indeß fort mich zu warnen und auf ihrer übeln Meinung von dem Gegenstand meiner Vorliebe[104] zu beharren, so daß ich den Ausdruck meiner Bewunderung aus Widerspruchsgeist noch erhöhte. Ein prophetischer Ausspruch meiner Warnerin prägte sich meinem Gedächtniß besonders ein, weil er mit einer Strenge abgefaßt war, wie ich sie bei keiner andern Gelegenheit aus Miß Mortimers sanftem Munde vernahm. Ich hatte Lady St. Edmond »meine Zauberin« genannt; diesen Ausdruck faßte sie auf und sagte: »Zauberin? ja das ist sie, denn sie zieht Sie in einen Kreis, den nichts Gutes oder Heiliges betritt; wollen Sie ihr dahin folgen, so bieten Sie allen guten Engeln Lebewohl. Die Guten werden Sie einer nach dem andern verlassen, und Ihnen kein Gefährte bleiben als der Ihre Irrthümer benutzen will, oder Ihren Untergang befördern.«
Es ist sehr sonderbar, daß Wesen, die so wie wir, alles von der Zukunft erwarten, sie oft da sorglos übersehen, wo sie uns so sichern[105] Rath gewähren könnte. Wird man es glauben können, daß ich von derselben Unterredung weg, in welcher Miß Mortimer jene ernsten Worte zu mir sprach, in einer Versteigerung, wo die ganze Londner Welt sich einfand, an der Seite Lady St. Edmond erschien? – Man verkaufte den Nachlaß einer höchst modigen Frau, unter dem sich alles kleine Geräth, Zimmer-Aufputz und Luxus-Spielwerke befanden, die das Bedürfniß des Künstlers erfindet, um die Uebersättigung des Reichen zu neuer Besitzes-Begier zu reizen. Jedes Mitglied der Modewelt ward von der Begierde sein Geld und seine Zeit zu vergeuden, oder doch seine Neugierde zu weiden, dahin geführt. Lord Friedrich, seiner schönen Cousine beständiger Begleiter, war uns zur Seite, so wie er überhaupt, seit mein Vater seine Bewerbung zurückgewiesen, mir seine Aufmerksamkeit noch viel eifriger bezeugte wie vorher. Miß Arnold glaubte es aus dem Grund[106] zu erklären, daß er seine Beflissenheit gegen mich, nun sie gar keine Absicht mehr haben könnte, auch gar nicht mehr zu verbergen brauche, indem unser Verhältniß beiderseitig eine unschädliche Koketterie bleiben müßte. Diese Erklärung beruhigte mich nicht, weil sie aber meiner Eitelkeit freies Feld bot, ließ ich sie als hinreichend gelten. Es waren schon eine Menge kostbarer Spielwerke verkauft, während das Gesicht mancher gegenwärtigen Dame, durch Begehrlichkeit, Neid, Fehlschlagung, mehr oder weniger entstellt, mich fast so sehr als der Anblick der glänzenden Geräthschaften beschäftigte. Endlich fiel mir der mißgünstige Ausdruck einer betagten, hagern Frau, die ihre Augen auf eine runde, blühende Gestalt richtete, welche ein eben erstandnes sehr schönes Porzellangefäß wohlgefällig betrachtete, so lebhaft auf, daß ich meinen Bleistift hervorzog, um sie als Karrikatur zu entwerfen. Noch[107] war ich damit beschäftigt, als ein allgemeiner Ausruf der Bewunderung meine Blicke auf ein Toilettenkästchen von Schildpatte mit goldnen Verzierungen zog, das eben zum Verkauf ausgeboten wurde. Dieses Kästchen war ein Meisterstück an Vollendung der Arbeit, an Reichthum und Zierlichkeit der Verzierungen. In einem Moment ward ich vom Zuschauer bei dieser Scene der Thorheit, eine handelnde Person, ich fand in der Versicherung des Ausrufers: daß die funfzig Pfund für die es angeschlagen sey, nicht ein Drittel seines Werthes betrügen, eine Rechtfertigung meiner unwiderstehlichen Lust es zu besitzen, und that ein Gebot. Die Besitzeslust welche mich ergriffen, wirkte auch auf Andere, man steigerte den Preis bis zu siebenzig Pfund. Nun stockte der Wetteifer einen Augenblick; dieser schien mir günstig, ich bot noch einmal – allein ich hatte mich geirrt; jetzt trat eine ältliche, widrige[108] Dame mit mir in Wettstreit, mit spottender, fast geringschätzender Kälte trieb sie mich hinauf, bis für hundert und funfzig Pfund sie mir das Spielwerk überließ. – Ich hielt meinen neuen Besitz in den Händen, ich genoß die Glückwünsche, die neidischen Blicke, die bewundernden Ausrufungen der Umstehenden, als mir die Nothwendigkeit, meinen Kauf zu bezahlen aufs Herz fiel. Den Versteigerungs-Gesetzen gemäß, mußte dieses baar geschehen, und ich hatte aufs höchste zwanzig Guineen in meinem Beutel. Mit einer Verlegenheit, die alles was ich bisher in dieser Art erfuhr, übertraf, wendete ich mich, kaum hörbar an Lady St. Edmond mit der Bitte um ein Darlehn, das ich gewiß war ihr gleich nach meiner Nachhausekunft erstatten zu können. Ich meinte sicher noch einen großen Theil meines Monatgeldes in meinem Schreibtisch zu haben; reichte dieses nicht hin, so rechnete ich auf einen Vorschuß[109] von meinem Vater, und war auch überzeugt bei Miß Arnold Unterstützung zu finden, denn vor kurzer Zeit sah ich, daß sie Gold in Händen hatte, und theilte auch meine letzte monatliche Rente mit ihr. Lady St. Edmond hörte meine Bitte mit der größten Gefälligkeit, bezeigte mir aber das innigste Bedauern, auch nicht einen Schilling in ihrem Beutel zu haben, da sie gar nicht einzukaufen gesonnen gewesen sey. Zugleich rief sie Lord Friedrich herbei, um mir den nöthigen Vorschuß zu machen. So leichtsinnig ich war, so sehr Irrthum und Thorheit mich umfing, schauderte ich doch vor dem Gedanken Lord Friedrichs Schuldnerin zu werden. Ich weigerte mich darüber mit ihm einzugehen und blickte umher, um mich an eine andre Bekannte zu wenden. Ein reiches junges Frauenzimmer, die ich oft sah, schien mir die geschickteste, mich aus meiner Verlegenheit zu reißen; ich stellte sie ihr vor, sie wies mich[110] aber mit der Versicherung zurück, daß ihr nur eine Guinee, sie in Versteigerungen zu verwenden, zu Gebot stehe. – Aber Sie boten ja auch auf das Kästchen, rief ich verwundert. – »O das that ich zum Zeitvertreib. Was sollte ich mit diesem kostbaren Dinge machen? Das kaufen nur Leute, die alle Taschen voll Geld haben.« – Lady St. Edmond verlachte mich ohne Schonung über meine Ziererei gegen Lord Friedrichs Anerbieten; die Nothwendigkeit zu bezahlen drang sich mir auf, und ehe ich mirs versah war Lord Friedrichs Gold in meinen Händen. – Doch stellte er mirs auf so eine bescheidne, anständige Art zu, die es bewies, daß ein Modeheld bei Gelegenheit dennoch höflich zu seyn im Stande ist. Sobald ich seine Banknote angenommen, fragte ich ihn scherzend: welche Sicherheit er von mir für die Rückzahlung verlange? Er faßte meine Hand und zog mir tändelnd einen Ring von wenigem Werth mit[111] den Worten vom Finger: »Das ist mein Pfand. Glauben Sie aber nicht, daß ich es für ein paar armseelige Guineen zurückzugeben gedenke! Sie können es sobald Sie wollen bei einer schicklichen Gelegenheit eintauschen.« – Der Scherz mißfiel mir, aber um ihm keine Wichtigkeit zu geben, und seine Bedeutsamkeit nicht überlegend, ließ ich ihn im Besitze des Rings.
Wie ich mit meinem, durch so bittre Verlegenheit erworbenen, Schatz nach Hause kam, untersuchte ich meinen Geldvorrath, und fand zu meinem Erstaunen, daß neun bis zehn Pfund alles sey, was er enthielt. Mir war es räthselhaft, wohin mein Geld gekommen seyn könnte; aber da ich ein ähnliches Erstaunen bei meinem Vater voraussetzen mußte, wenn ich ihn um Vorschuß ersuchte, wendete ich mich zuvörderst mit meinem Gesuch an meine Freundin Miß Julie. Mit einem Erguß von Bedauerniß und Selbst-Anklage, erklärte sie mir, kaum einige[112] Guineen zu besitzen; sie habe zwar baar Geld in Händen gehabt, allein bei ihrem letzten Besuch bei ihrem Bruder habe sie ihn in einer Verlegenheit gefunden, »und gut, wie ich bin«, waren ihre Worte, »half ich ihm aus, indem ich mir eine Freude daraus machte, ihm diesen Beweis von der Großmuth meiner edlen, hochherzigen Freundin gegen ihre Julie geben zu können. Am Ende des Monats zahlt er mirs zurück, und daß Lord Friedrich so lange warte, ist ja das Gleichgültigste von der Welt.« – Der Meinung war ich nicht; meine nächste Absicht ging ernstlich dahin, mich an meinen Vater zu wenden, allein Miß Arnold machte mich aufmerksam, daß ich dieses nicht könnte, ohne ihm mein gesellschaftliches Verhältniß zu Lord Friedrich zu verrathen, sie stellte mir die Unannehmlichkeiten, die ein Verbot von seiner Seite mir zuziehen könnte, so fühlbar vor, sie bewies mir so klar, daß der Schritt bei der Sicherheit,[113] in wenig Tagen zahlen zu können, so unnöthig sey, ja daß mir meines Vaters Aushülfe im äußersten Fall immer zu Gebot stände – so daß ich, zwar ängstlich und ungewiß, ihm die Sache zu verhehlen, einwilligte. – Möge doch hier jeder meiner Leser, der noch am Eingang seiner Lebensbahn steht, meinen warnenden Zuruf hören: jede seiner Handlungen, die er vor seinem natürlichen Verstand, wer er seyn mag, zu verhehlen sucht, mit scharfem Blick zu untersuchen! Ist diese Handlung wichtig, so verlasse er sich nicht auf sein eignes Urtheil über sie; ist sie geringfügig, so hüte er sich, daß Verhehlen sie nicht zu drückender Wichtigkeit anwachsen mache! Ein schüchternes Gemüth verliert, indem es sich durch diese heimlichen Pfade durchwindet, die sichre Haltung des reinen Bewußtseyns; ein kühnes, stolzes, wie das meinige war, dem die Anerkennung von Irrthum, von Bedürfniß nach Beistand so schwer[114] wird, erfaßt mit einer Eigenmacht, die in ihrer Kraft noch nicht wie etwas Schlechtes aussieht, diesen Ausweg, Vorwurf zu vermeiden, und der frohe Muth der Wahrheit ist für dasselbe dahin.
Für dieses Mal war Miß Arnold mit ihrem Sieg über meinen besten Willen zufrieden. Wie ein guter Feldherr, begnügte sie sich, den eroberten Posten zu sichern. Erst am folgenden Morgen fragte sie mich nachlässig: ob ich an Lord Friedrich einige Worte zur Entschuldigung geschrieben. – Ich verneinte es und setzte hinzu: daß es mir ungeschickt schiene. – Wenn Sie nicht schrieben, meinen Sie? fragte Julie, gewiß wäre das ungeschickt. Außerdem sollten Sie gar keine Gelegenheit zu schreiben aus den Händen lassen; denn es besitzt Niemand in dem Grade, wie Sie, die Grazie des Styls, der Wendung in einem Billet. – Der dunkle Begriff von Unziemlichkeit, ein solches Billet zu[115] schreiben, der mich bis dahin beschäftigt hatte, verschwand vor dieser Schmeichelei; ich schrieb, ich erhielt eine Antwort, die mich in die Nothwendigkeit versetzte, meinem Liebhaber – denn Lord Friedrich als solchen zu betrachten, hatte ich nun stillschweigend eingewilligt – nicht ohne einige Zeilen zu lassen; Briefe, Sonette, Episteln in Versen flogen hin und her und nahmen bald den Gang eines geregelten Briefwechsels an. Miß Mortimer durfte von diesem allen nichts ahnen, und das Unrecht nimmt so schnell von unsrer Seele Besitz, daß mich die Geschicklichkeit, mit der wir unsere geheime Kurzweil verbargen, mir bald zu einem eignen Vergnügen gereichte.
Der Maskenball rückte indessen näher, mein Sultaninnenputz beschäftigte mich so lebhaft, daß ich wenig auf die gewöhnlichen Umgebungen Achtung gab; nur auf Miß Mortimer wendete sich, durch Gewissensunruhe angetrieben,[116] zuweilen mein Blick. Ich bemerkte, daß sie leidend aussah; zwar war ihre Gesundheit immer sehr zart, allein in dieser Zeit fielen mir ihre krankhafte Farbe, ihre tief liegenden Augen und ein schmerzlicher Zug ihrer bleichen Lippen um so ängstlicher auf, als ihr Blick, der oft traurig auf mir ruhte, mein Unrecht zu errathen schien. Sie befreite mich selbst von dieser Sorge, indem sie mir freundlich klagte, daß mein Vater ihr abschlage, eine kleine Gesellschaft für den fünften Mai zu veranstalten, wie sie mir am Abend des Maskenballs erträglicher die Zeit zu verkürzen gewünscht hätte. O Ellen, unterbrach sie sich selbst, wie ähnlich sehen Sie Ihrer guten Mutter, wenn Sie erröthen! – Da möchte ich immer erröthen, antwortete ich, denn ich möchte Niemandem lieber ähnlich sehen, wie ihr. – Nun, liebe Ellen, wenn Sie nicht eitel seyn wollen, so will ich Ihnen sagen, daß Sie eine noch wesentlichere Aehnlichkeit[117] mit ihr haben. Sie sind, gleich ihr, fähig, Ihre liebsten Wünsche Ihren Freunden zum Opfer zu bringen. – Diese Worte überwältigten mich, von meinem bösen Gewissen überrascht rief ich: Sie mir ähnlich! O ein Engel des Lichts könnte eben so gut einem schwarzen, brütenden ... hier fühlte ich, daß ich mich verrieth, und hielt inne. Miß Mortimer blickte mich mit einem so sanften, zutrauenvollen Lächeln an, bei dessen Erinnerung ich jedesmal mich selbst verabscheue; »liebe Ellen, sagte sie dabei, wenn ich Ihr Beichtiger seyn soll, so müssen Sie mir Ihre Sünden auch hübsch vertrauen, sonst besitze ich ja, wie Herr Maitland es nennt, eine Sinecure.« – Ja wahrlich, das sollte ich! erwiederte ich ruhiger, sollte nie wieder etwas Unrechtes thun, ohne es Jemand anzuvertrauen. Aber die Leute haben keine gute Art, mir meine Fehler vorzuhalten, sie machen mich zornig. Miß Julie hält[118] mir oft meine Fehler vor, aber sie macht mich nie bös. – »Nun, liebe Ellen, versuchen Sie es einmal mit mir, ich will Ihnen absichtlich gewiß nichts Verletzendes sagen. An Geschicklichkeit will ich mich zwar nicht rühmen mit Miß Arnold zu wetteifern, aber an herzlicher Zuneigung gewiß. Sie haben ein Recht zu meiner Nachsicht, das kein Irrthum von Ihrer Seite Ihnen raubt, um so mehr, da ich überzeugt bin, daß Sie sich nie zu Hinterlist und Schlechtigkeit herablassen werden.« – Ein Herz, das sich von den Worten gemißbrauchten Vertrauens nicht getroffen fühlte, müßte gänzlich verhärtet seyn. Ich flog zu Miß Arnold, um ihr meinen festen Entschluß anzukündigen, Miß Mortimer sogleich unser Maskeradengeheimniß mitzutheilen; allein der Schneider mit einer Menge Schachteln, Paketen und meinem Maskenanzug erwartete mich in meinem Zimmer, eine Stunde, die über dem Anpassen desselben[119] hinging, kühlte meinen reuigen Eifer dergestalt ab, daß es Miß Julie leicht gelang, mir zu beweisen, wie es in jeder Rücksicht besser sey, bei unsrer ersten Abrede zu bleiben.
Wie oft, ja wie fast immerdar, sind meine schönsten Gefühle, ehe sie noch zu Handlungen wurden, dahin geschwunden! Gefühle müssen ja ihrer Natur nach vergänglich seyn! Nur lange Uebung gibt unsrer Vernunft die Herrschaft, sie nicht als den Beweggrund unsrer Handlungen zuzulassen, sondern nur als den milden Vermittler zwischen der Strenge des allgemeinen Gesetzes und seiner Anwendung auf Andre.
Endlich kam der lang ersehnte fünfte Mai. Die Putzmacherin hatte mir mein Maskenkleid schon am frühen Morgen versprochen, doch sie hielt nicht Wort; meine Ungeduld ward den ganzen Vormittag auf die Probe gestellt, und erst um zwei Uhr erhielt ich diesen Schatz.[120] Voll Begierde, die Wirkung meines Putzes auf meine Gestalt zu beobachten, eilte ich in mein Cabinet; vor Miß Mortimers Ueberfall war ich sicher, sie hatte sich zu einer Berathung mit ihrem Arzt eingeschlossen; aber auch Miß Juliens Gegenwart war mir bei dem Probespiel meiner Eitelkeit zur Last, ich verriegelte meine Thür, und meine glänzende Verwandlung ward ohne alle Zeugen begonnen. Schon stand ich eine lange Weile vor dem Spiegel und versuchte jede Stellung, welche meine Gestalt oder meinen Putz am vortheilhaftesten herausheben konnte, als ich eine Unruhe auf der Treppe vernahm, ein ängstliches Geflüster, dessen Ursach zu erfahren, ich unbesonnen meine Thür öffnete. Mein erster Blick fiel auf Miß Mortimer, die dem Anschein nach leblos von einigen Bedienten die Treppe herauf in ihr Zimmer getragen ward. Ich eilte ihr nach. Meine unzusammenhängenden Fragen belehrten mich,[121] daß meine ehrwürdige Freundin sich nach dem Abschied ihres Arztes plötzlich nicht wohl befunden und in dem Moment, wo sein Wagen fortrollte, leblos zu Boden gesunken war. Ich hatte mich des Gedankens an Andrer Weh, des Anblicks fremder Leiden so entwöhnt, daß ich, von Schrecken erstarrt, gar keines klaren Gedankens, noch weniger der geringsten Hülfleistung fähig war. Eine Dienstbotin, ein Miethling, brachte durch ihre Sorgfalt die Freundin meiner Mutter, meine einzige wahre Freundin, zum Leben zurück. So wie sie ihre Augen öffnete, erinnerte ich mich meiner thörichten, von allem um die Ohnmächtige versammelten Hausgesinde schon lange angestaunten Kleidung. Ich zog mich schnell hinter die breite Gestalt der Haushälterin zurück, und sobald ich der Kranken liebe Stimme gehört hatte, die herzlich dankend für die geleistete Hülfe nun allein zu seyn wünschte, eilte ich in mein Cabinet, mich[122] meines Flitterstaates zu entkleiden. Nachdem ich mich in meinen gewöhnlichen Anzug geworfen hatte, schlich ich leise an Miß Mortimers Thür; ich horchte; alles war still; ein wilder Schrecken ergriff mich, ich fürchtete das Entsetzlichste; aber das menschliche Gefühl obsiegte, ich trat ein – und erblickte die Leidende auf ihren Knien, ihr Antlitz von Thränen benetzt, ihre Hände betend zum Himmel erhoben. Diese Stellung war mir nicht fremd – meine Mutter hatte mich vor Gott die Knie zu beugen gelehrt, ja ich hatte die Gewohnheit, am Abend und Morgen gedankenlos eine Gebetformel zu plappern, beibehalten; allein der Aufflug der Seele zum Thron der Gnade, der aus Miß Mortimers Antlitz sprach, die Erhebung zum Ueberirdischen in der hinfälligen, dem Tod geweihten Erdenform ergriff mich mit unnennbarem Entsetzen, ich zog die Betende in meinen Armen empor und beschwor sie, mir zu[123] sagen, welches Unglück ihr widerfahren sey. – »Kein Unglück, meine Ellen, sprach sie, sanft meine Liebkosung erwiedernd. Ich bin ein armes schwaches Geschöpf, dem es noch nicht gelungen ist, sich Gottes Willen mit Aufopferung seines irdischen Seyns zu unterwerfen. Ich habe mich seiner Vaterhand in mancher großen Angelegenheit gebeugt, und nun empört sich mein schwacher Geist bei der Furcht vor körperlichen Leiden.« – Ich erfuhr nun, daß ein lang empfundnes, lang verschwiegnes Uebel sich endlich so furchtbar entwickelt habe, daß sie nicht hoffen dürfe, ihr Leben anders, als vermöge einer sehr schmerzhaften, gewagten Operation zu erhalten. Die Erwartung des peinigenden Schmerzes erschütterte ihren zarten Körper, sie rang mit Ernst, ihrer Vernunft den Sieg über die widerspenstige Natur zu verschaffen. Anfangs ergriff mich der hohe Flug ihrer frommen Begeisterung, aber bald empfand[124] ich dabei die Unbehaglichkeit, welche uns bei warmen Empfindungen, die wir nicht zu theilen fähig sind, befällt. Unter dem Vorwand, daß sie Ruhe bedürfe, beredete ich sie, sich niederzulegen, und verließ ihr Zimmer.
Noch vor vier Monaten würde ich nicht fähig gewesen seyn, eine Nacht auf dem Ball zuzubringen, in welcher der letzte von meines Vaters Dienern gefährlich krank gewesen wäre, und jetzt stand ich an, mich bei dem bedenklichen Zustand der Freundin meiner Mutter und meiner Freundin einem solchen Zeitvertreibe zu entsagen. Gewohnt, Miß Arnold in jeder Angelegenheit zu meiner Vertrauten zu machen, theilte ich ihr meine Zweifel mit. Sie bewies mir, daß mein Opfer Miß Mortimer von gar keinem Nutzen sey, daß sie gar keines Beistandes bedürfe, und in diesem Fall der meine ihr nicht so nützlich sey, wie die Sorgfalt ihres Dienstmädchens; ja sie machte es sogar zu einer[125] Finanzsache, so eine ungeheure Summe, wie mein Anzug gekostet hatte, nicht vergeblich ausgegeben zu haben. Meine Thorheit war ihre Bundsgenossin, also ward ihr der Sieg leicht, und es blieb nur der drohende Augenblick noch zu überstehen, der Kranken unsre Absicht, rücksichtlich des Maskenballs, bei unserm Weggehen zu erklären. Wir gestanden uns gegenseitig nicht, daß wir hofften, Miß Mortimer würde ihrer Unpäßlichkeit wegen ihr Schlafzimmer gar nicht verlassen, und dann jede Erklärung unnöthig seyn. Wie unser Putz angelegt war, begaben wir uns in das Besuchzimmer, den Wagen zu erwarten. In meiner Seele befand sich keine Spur der Sorglosigkeit, welche ein Fest, wie das, welchem wir entgegengingen, anziehend machen kann. Ich äußerte gegen Miß Arnold noch einmal meinen Wunsch, lieber Miß Mortimer in ihrem Schlafzimmer aufzusuchen, als ohne ihr Wissen das[126] Haus zu verlassen. Wir stritten uns noch über diesen Gegenstand, als meine würdige Freundin unerwartet eintrat. Sie sah blaß und hinfällig aus, kam aber mit ihrem gewöhnlichen leisen, raschen Schritte auf uns zu. Bei ihrem ersten Anblick zog ich mich unwillkürlich hinter Miß Arnold zurück. Die Sünde macht uns jetzt noch so einfältig, wie unser erster Vater im Paradiese, als er schuldig wurde, es war. Auf diese Weise fiel ihr nur Miß Arnold ins Auge, und sie rief freundlich: »Sie sind ja wie zum Siege gerüstet! Nie sah ich etwas so anmuthig Fantastisches, wie diesen Anzug.« – Jetzt erblickte sie aber mich, und die Wahrheit ward ihr plötzlich klar, denn sie fuhr zurück und wechselte die Farbe. – Eine Todtenstille erfolgte; ich blickte stumm zu Boden. Julie fand zuerst die Sprache wieder, sie sagte nachlässig: »Herr Percy hat uns eine Stunde auszugehen erlaubt.« – »Ja, setzte ich zögernd[127] hinzu, der Vater erlaubte es uns, und wir bleiben nur eine kleine Weile.« – Schüchtern blickte ich sie an und fand sie so blaß, wie den Tod. »Miß Mortimer, rief ich, auf sie zueilend, zürnen Sie nicht zu sehr!« – »Miß Percy«, sagte sie mit leiser, mühseeliger Stimme, »ich maßte mir eine Herrschaft über Sie an, diese Gelegenheit nöthigte Sie um so weniger, mich zu ....« Sie hielt das wohlverdiente Wort zurück, aber mein Gewissen ersetzte es. Ich versicherte sie nun, ich rief Miß Arnold zum Zeugen, daß es nie meine Absicht gewesen sey, ohne ihr Wissen auf den Ball zu gehen. Miß Mortimer antwortete sanft, gütig, aber mit unverkennbar tiefem Schmerz: »Am wenigsten heute, an dem letzten Tage« – so sagte sie, und ihre Gemüthsbewegung benahm ihr die Stimme. Ich sah nur diese, der Sinn ihrer Worte entging mir in der Heftigkeit streitender Empfindungen, und wenn gleich[128] die bessern in diesem Augenblick aufgeregt waren, behielt doch der Leichtsinn den Sieg, und wir fuhren zum Ball.
Bei der Stimmung in der ich mich befand, ward ich beim Eintritt in den Saal wirklich betäubt; ich hielt mühselig den Gedanken fest, mich Lady St. Edmond, die als Wirthin keine Maske trug, zu entdecken und nicht mehr von ihrer Seite zu gehen. Doch wie ich mich ihr nahen wollte, trat eine Sultans-Maske auf mich zu und sprach mich als eine Fremde an. Auf den ersten Blick erkannte ich Lord Friedrich; da ich die Wahl seiner Kleidung, in Verbindung mit der meinen, unmöglich für Zufall halten könnte, erschreckte mich der Gedanke, mein Geheimniß, das niemand wie Miß Arnold bekannt gewesen war, verrathen zu sehen. Die Eitelkeit in einem angenommenen Charakter zu sprechen, bewog mich aber doch dem Sultan gleichfalls als Fremde zu antworten.[129] In wenigen Momenten hatten wir uns in ein nichtsbedeutendes Gespräch verwickelt, und wie ich mich umsah, war Lady St. Edmond von ihrem Platze verschwunden. Hastig begann ich sie zu suchen, der Sultan blieb mir zur Seite, hielt meine Schritte auf und lenkte mich durch seine Bemerkungen über manchen meiner Bekannten, den er mich unter der Maske entdecken ließ, wobei er sich wirklich sehr kurzweiliger Wendungen bediente, von meinem Zweck ab. Unser thörichtes Gespräch war bald so ungezwungen geworden, daß wir uns gegenseitig, einander nicht fremd zu seyn, gestanden. Ich fand den Ton, in welchem mir Lord Friedrich dieses Geständniß machte, nicht sehr ehrerbietig; anstatt ihn aber durch Kälte abzuwehren, begegnete ich ihm durch eine witzige Antwort. In dem Augenblick, wo ich sie gesagt, hörte ich nahe bei meinem Ohr eine leise Stimme, die zu mir sprach: »Seyn Sie vorsichtig; Sie bedürfen[130] es.« – Bestürtzt sah ich mich um, erblickte aber nur gleichgültige schwarze Domino's in gleichgültiger Stellung, so daß ich die gehörten Worte für eine Täuschung meiner gereizten Fantasie hielt; doch aber sehr froh war, in diesem Augenblick Lady St. Edmond zu finden. Sie schien meinen Unmuth, sie nicht früher erreicht zu haben, nicht sehr zu theilen, überhäufte mich aber dermaßen mit Schmeicheleien, daß meine gute Laune zurückkehrte, und ich anfing das bunte Gewirre um mich her mit Heiterkeit zu betrachten. Der Raum, wo getanzt ward, war einen Augenblick leer, und sogleich schlug mir Lord Friedrich vor, einen Tanz aufzuführen, der von der Nationalität der Türken nichts wie den Ausdruck sinnlicher Leidenschaft hatte, der ihn der Modewelt auf unsern Theatern empfahl. Ich erinnerte mich an den unseligen Walzer, der mir am Tag meines Eintritts in die große Welt so bittre Empfindungen erregt[131] hatte, lehnte den Vorschlag bestimmt ab, bot mich aber an, ihm zu jedem andern Tanze meine Hand zu geben. Lady St. Edmond machte mir begreiflich, daß es in einer Charaktermaske höchst geschmacklos seyn würde, in einem andern als mit ihr übereinstimmendem Tanz aufzutreten, daß ich also den Tanz des Serails aufführen, oder gar nicht tanzen müßte. – Und ich tanzte so schön! und ich war so gewohnt Beifall für mein Tanzen zu ärnten! Ich hatte vor meinem Spiegel so sicher auf Beifall gerechnet! – Lord Friedrich bestärkte Lady St. Edmonds Schlußbemerkung: wie ich doch nicht glauben könnte, daß sie mich in ihrem Hause, vor ihren Augen, zu etwas Unziemlichem auffordern würde, mit den ausgelassensten Schmeicheleien, und so befand ich mich mit ihm, von einem dichten Kreis von Zuschauern umgeben, ehe ich meinen Entschluß eigentlich geändert hatte, mitten im Saal[132] stehen. Mein Herz zitterte vor der Thorheit, die ich beging. Heil, o Heil des allen Völkern, sobald sie die erste Stufe der Bildung gewonnen haben, allgemeinen Gesetzes, welches unser Geschlecht der Meinung unterwirft! Schamlosigkeit kann sie verachten, höhere Pflichten können uns berechtigen sie zu beseitigen, allein für die Mehrzahl der Weiber, die bei einem wenig umfassenden Beruf gern das Aussergewöhnliche mit Lebhaftigkeit ergreifen, ist die Meinung wie der Vorposten der Tugend; sie gibt dem Nachdenken Zeit, sich gegen den Feind zu bewaffnen. Dieser Vorposten fehlte mir jetzt. Unverlarvt hätte ich es nie gewagt, mich den Blicken der mir unbekannten Menge auszusetzen, in meinem Flitterstaat, meinen schamglühenden Wangen von der Larve bedeckt, härtete ich mich bald gegen das Unziemliche meines Auftretens ab, und die Schüchternheit, die meine Bewegungen dennoch beibehielten,[133] mochte dem Charakter des Tanzes für die Zuschauer einen besondern Reiz geben, bei dessen Namen sich heute mein Bewußtseyn empört.
Nach Beendigung des Tanzes, eilte ich unter dem Beifallsruf der Menge zu Lady St. Edmond zurück; allein sie hatte ihren Platz verlassen; Miß Arnold erwartete mich, im Gespräch mit einem Bekannten begriffen. Sogleich begannen wir die Hausfrau zu suchen. Im Vorbeigehen bei einem Tisch, mit Erfrischungen besetzt, griff ich, vom Tanz, von der Larve und von dem Gedränge erhitzt, nach einem Glas Eis; Lord Friedrich entzog es heftig meiner Hand, erinnerte mich an die Folgen einer so gefährlichen Erquickung und reichte mir einen Becher schäumenden Champagner. »Trink wenig; der Becher enthält Gift«! hörte ich die vorige Stimme mir zuflüstern. Herrn Maitlands Bild gesellte sich zu dem Schrecken, der[134] mich bei diesen Worten überlief. Ich blickte um mich; unter einem Haufen schwarzer Domino's stand mir einer derselben nahe, allein mit der gleichgültigsten Haltung ergriff er eben ein Glas Punsch, und seine kleine, unansehnliche Gestalt ließ auch keinen Gedanken an jenes Mannes hohen kräftigen Wuchs aufkommen. Da es mir gar nicht einfiel, den Worten der Maske eine sinnbildliche Deutung zu geben, hielt ich sie für einen unzeitigen Scherz und leerte mit nächlässigem Lächeln das Glas. Die Wirkung des Weins war bei der schon bestehenden Aufregung meiner Lebensgeister augenblicklich; meine Lustigkeit stieg bis zur Spannung, ich wanderte lachend, schwatzend, Miß Julie und ihren Begleiter ohne Unterschied mit in das Gespräch ziehend, immer in der Absicht, Lady St. Edmond aufzusuchen, von einem Zimmer zu dem andern. Ehe ich mir es versah, gelangten wir ganz am Ende der Gesellschaftszimmer[135] in ein Gemach, das, wie ich mir nachmals zu erinnern glaubte, Lord Friedrich erst öffnete; es war so glänzend wie die übrigen erleuchtet und mit einem wohlbesetzten Trinktisch verziert, doch die wohlthätige Kühle der Luft bewies, daß der Haufen es noch nicht angefüllt hatte. Mein Begleiter führte mich zu einem Sopha, wir setzten unser Gespräch fort; durch die offne Thür sah ich die Bewegung der Gäste, und, obschon getrennt von der Menge, fiel mir die unmittelbare Nothwendigkeit, diesen angenehmen Ort zu verlassen, nicht auf. Lord Friedrichs Gespräch ward zärtlicher und dringender, endlich hatte er die Keckheit, mir mit klaren Worten eine Reise nach Schottland vorzuschlagen. Ich nenne es Keckheit; bedarf die ein Mann gegen ein armes Mädchen, das durch den Leichtsinn, mit dem es alle Schutzwachen des Zartgefühls, eine nach der andern, entließ, dessen Achtung erstickte und[136] ihm die Zuversicht, wagen zu dürfen, aufdrang? – Ich beantwortete seinen thörichten Antrag mit erkünstelter Heiterkeit und blickte auf, um Miß Julie wieder an unserm Gespräche Theil nehmen zu lassen, als ich zu meinem Schrecken wahrnahm, daß sie und ihr Begleiter sich nicht mehr im Zimmer befanden. Bei meinem lebhaften Aufblicken umschlang mich Lord Friedrich mit schmeichelnden Worten, als die, wahrscheinlich von Miß Julie bei ihrem Weggehen angelehnte Thür des Gesellschaftszimmers aufgestoßen ward, und Lady Maria du Burgh mit einer andern Dame, denen mein warnender Domino auf dem Fuße folgte, herein trat. Mit einem Lächeln, in dem Haß und Verachtung wetteiferten, rief Lady Maria: »Wir stören ein Rendezvous« und wendete sich, auf mich deutend, zu den Umstehenden. Ich glaubte die Vernichtung ergiff mich und drückte mich in den Sopha zurück; Lord Friedrich aber[137] sprang auf und sagte mit einem heftigen Fluch zu seiner Schwester: »hätte eine von euch den tausendsten Theil von Miß Percy's Reizen, so könnte sich ein Mann auch bei euch vergessen; aber dafür seyd ihr sicher. – Verzeihen Sie mir, Miß Percy, rief er dann zu mir gewendet, verzeihen Sie mir, oder ich bin der unglücklichste Mensch!« – In diesem Augenblick versöhnte mich keine Schmeichelei, selbst nicht wenn sie auf Lady Maria's Kosten gemacht wurde; ich versuchte es, einige beißende Worte zu erwiedern; aber meine peinliche Empfindungen überwältigten mich dergestalt, daß Thränen sie erstickten. Ich trocknete sie schnell und eilte, von Lord Friedrich wie von meinem Schatten verfolgt, in den Tanzsaal zurück, wo es mir auch gar nicht schwer ward, Lady St. Edmond zu finden. Mit einiger Lebhaftigkeit warf ich ihr vor, meine Hoffnung, den Abend an ihrer Seite hinbringen zu dürfen, durch ihr[138] Verschwinden vereitelt zu haben, und drang darauf, den Ball jetzt zu verlassen. Sie bewies mir mit den anmuthigsten Schmeicheleien, daß ihre Pflicht als Wirthin sie genöthigt hätte ihren Platz mehrmals zu verändern, widersetzte sich aber meinem Begehren, mich nach Hause zu begeben, nicht beharrlich, sondern erlaubte Lord Friedrich nach meinem Wagen zu senden. Ueber das angenehme Gespräch, mit welchem diese geschickte Frau mich nun zu fesseln wußte, bemerkte ich kaum, daß Lord Friedrich eine ganz ungeziemend lange Zeit, um meinen Wagen herbei rufen zu lassen, ausblieb. Ich sah mich endlich nach ihm um, als mein unbekannter Warner sich nochmals zu mir herabbeugte und eindringend sagte: »Verblendetes Mädchen! wohin willst du gehen?« – »Nach Hause, wo ich schon längst gerne wäre.« – »Du wirst nicht nach Hause kommen, der Wagen, den du erwartest, führt dich nach Schottland.« –[139] Ich fuhr erschrocken empor, die Uebereinstimmung dieser Warnung mit Lord Friedrichs verwegner Zumuthung schien mir mehr wie ein Ungefähr, aber in eben diesem Augenblick trat Miß Arnold mit dem Lord herbei, und der Letzte meldete mir auf die ungezwungenste Weise, daß mich mein Wagen erwartete. Ein augenblickliches Nachdenken hatte mir indessen das Abenteuerliche von meines Warners Verdacht deutlich gemacht. Ich sah die Unmöglichkeit ein, von meines Vaters Kutscher und Bedienten nach Schottland geführt zu werden, nahm Lord Friedrichs Arm und eilte aus der Gesellschaft. Schon stand ich mit dem Fuß auf dem Kutschentritt, als ich bemerkte, daß ich nicht meines Vaters Wagen vor mir hatte. Erschrocken trat ich zurück und ließ mich auch von Lord Friedrichs Bedeuten: daß mein Wagen des ungeheuern Gedrängs wegen in einer Stunde noch nicht vorfahren könnte, er deshalb[140] mir den seinen anböte, nicht beruhigen, sondern begab mich wieder in das Vorhaus. Noch einmal stand mein Warner neben mir und erbot sich, mich sicher zu meinem Wagen zu geleiten, oder ihn, wenn ich einen Augenblick verweilen wollte, heranfahren zu lassen. Lord Friedrich versuchte einen hohen Ton anzunehmen; der Domino antwortete sehr kühl, aber auf eine Art, die des Lords böses Gewissen zu seinem Bundsgenossen machte. Ich zog vor, den Wagen zu erwarten, die Maske befahl einem sehr sauber gekleideten Bedienten ohne Livree, ihn zu suchen, dieser hatte ihn auch nach wenig Minuten gefunden; ich stieg mit Miß Arnold ein und erlaubte dem Domino gern mich bis an meines Vaters Haus zu begleiten. Unterwegs versuchte ich zu erfahren, wer mein Beschützer sey; er wies jede Frage zurück, sagte aber mit einfacher Offenheit: er habe von Jemand, dem mein Wohl am Herzen[141] liege, den Auftrag gehabt, mich an diesem Abend vor Schaden zu hüten. Auf keine andre Erklärung ließ er sich ein, sondern beharrte in einem einsylbigen Ernst, der mir von dem Zeugen meiner Thorheit höchst demüthigend war. Unsre Ankunft zu Haus beendete dieses peinliche Beisammenseyn. Der Unbekannte hatte seinen Wagen nachfahren lassen, und sobald mir die Hausthür geöffnet ward, fuhr er davon.
Miß Arnold schien geneigt, sich wortreich über die Vorfälle dieses Abends zu verbreiten; dem widersetzten sich aber meine peinigenden Empfindungen. Ich wollte ihr eben eine gute Nacht wünschen, als der Diener hereintrat, um mir ein, in Briefform zusammengelegtes Papier, welches er auf dem Boden des Wagens gefunden hatte, zu übergeben. Neugierig drängte sich Miß Arnold herbei, sicher in ihm Aufschluß über unsern Unbekannten zu finden; aber[142] ich behielt es gefaltet in der Hand und ging in mein Schlafzimmer.
Das war also das Fest, von dem ich mir das höchste Vergnügen versprochen, dem ich einige der besten Gefühle meines Busens geopfert, für das ich Pflichten verletzt, und das mir, ohne die Dazwischenkunft meines Unbekannten vielleicht die Ruhe meines Lebens gekostet hätte! Tief betrübt hielt ich jenes Blatt in meiner Hand. Daß mich das Verlangen spornte, zu entdecken, wer sich meiner angenommen, war verzeihlich, aber daß dieses nach und nach in eine so leichtsinnige Neugier überging, die mich fähig machte, endlich dieses offenbar nicht mir bestimmte Billet zu lesen, bedeckt noch heute meine Wange mit Scham. – Es war mit Herrn Maitlands Namen unterschrieben und enthielt in sehr einfachen Ausdrücken die Bitte an einen Freund, dem Maskenball der Lady St. Edmond beizuwohnen, und mich[143] auf ihm nicht aus den Augen zu lassen, weil er Verdacht habe, daß meine Unerfahrenheit mich schlechten Menschen in die Hände geben möchte. »Die wichtige Angelegenheit, schrieb er, die am morgenden Tage mich unter die Vertreter unsers Volkes ruft, erfordert diese Nacht mein Nachdenken und meinen Fleiß. Ich zeigte Ihnen Miß Percy in einer Gesellschaft; sollte die Larve sie Ihnen unkenntlich machen, so merken Sie nur auf Stellung und Gang. Niemand hat sie so edel wie sie; oder geben Sie auf ihren Arm Achtung, der mir noch vor wenigen Tagen, da sie ihn um ihres Vaters Schultern legte, von unvergleicher Schönheit schien. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß mich dieses junge Frauenzimmer um Miß Mortimers willen Theilnahme einflößt, doch in wie hohem Grade dieses der Fall ist, beweist der Freundschaftsdienst, den ich von Ihnen fordere.«[144]
Verschwunden war meine Demüthigung, meine Zerknirschung; ich jauchzte innerlich für Freude, diesem kalten, stolzen, überweisen Mann Unruhe gemacht zu haben, ich glaubte mich für alle meine Fehlschlagungen entschädigt, da ich erfuhr, daß er meine Reize anzuerkennen gezwungen sey. Einen Gecken zu unterjochen, welch ein geringer Sieg! – Allein, den Mann, der bisher allein mir Scheu eingeflößt, in meinen Ketten zu sehen, erschien mir als ein unendlicher Triumph! – Ich wollte ihn verfolgen, ich wollte ihn mir sichern und mein thöriges Herz schlug bei dem Gedanken, Herrn Maitland elend in seiner Knechtschaft zu erblicken.
Doch so widersprechende Empfindungen hatten meine Kräfte erschöpft. Die peinliche Mattigkeit, die mich befiel, führte weniger angenehme Bilder vor meine Fantasie zurück, und ich sehnte mich, diesen unwürdigen Tag mit dem[145] gedankenlosen Zustand des Schlafes zu vertauschen.
Wie ich am folgenden Morgen in das Frühstückszimmer trat, war Miß Mortimer, in Reisekleidern, der erste Gegenstand, dem meine Blicke begegneten. Unerachtet unsers letzten so herzlichen Gesprächs, schien mir ihre Abreise in diesem Augenblick doch ein Vorwurf meines Betragens, der meine Eigenliebe beleidigte. Ich that, als wenn ich diesen Umstand gar nicht bemerkte, und setzte mich in mürrischem Stillschweigen an den Theetisch. Keins sprach ein Wort, das Frühstück ward in der widrigsten Stimmung genossen. Ich suchte mich zu überreden, daß Miß Mortimers Empfindlichkeit sehr ungereimt sey; mein Vater zog seine Stirn in immer furchtbarere Falten, Miß Arnold rückte unruhig auf ihrem Sessel und Miß Mortimer beugte sich über ihre unberührte Chocolatentasse, verstohlen die Thränen abtrocknend, die ihren[146] Augen entrollten. – »Es bleibt doch Unrecht, daß Sie darauf bestehen fortzugehen, ehe ich jemand anders für Ellen gefunden habe«, sagte endlich mein Vater mit ausbrechendem Verdruß. Diese Worte, wohl noch mehr die Art, wie er sie vorbrachte, reizten Miß Mortimer zu einer ungewöhnlichen Bestimmtheit in dem Ton ihrer Antwort: »So lange ich Miß Percy nützlich seyn zu können hoffen durfte, zweifelte ich gern an der Nothwendigkeit sie zu verlassen, seit man aber Verheimlichung gegen mich braucht, ist diese Hoffnung dahin. Auch kenne ich nun den Zustand meiner Gesundheit. Außerdem erklärt der Arzt, daß jeder Aufschub die Hoffnung der Heilung vermindert.« – »Nun! ein jeder weiß am besten, was er thut! erwiederte mein Vater; allein um ihrer Gesundheit willen sollten Sie nicht nöthig finden mein Haus zu verlassen. Mein Hauswundarzt würde Sie behandelt, die Cur Ihnen nichts gekostet haben,[147] und Sie hätten doch bei mir mehr Bequemlichkeit als in Ihrer engen Wohnung gefunden.« – »Ich zweifle nicht an Ihrer Großmuth, sagte Miß Mortimer kopfschüttelnd, allein schon der Name: Heimath, wiegt manchen Mangel auf, besonders für den Kranken und Sterbenden.« – Diese Worte und die Ankunft ihres Reisewagens trieb mich an ein Fenster, aus dem ich eifrig hinausschaute, als sey ich mir der Gegenstände vor meinen Augen bewußt. Nachdem Miß Mortimer von meinem Vater Abschied genommen, trat sie zu mir, ergriff meine Hand und sagte mit milder, herzlicher Stimme: »Ellen, sollen wir nicht als Freunde scheiden?« – Ich hätte die Welt hingegeben, wäre es mir in diesem Augenblick möglich gewesen einen gleichgültigen Ton aus meiner Kehle zu bringen! es wollte nicht gelingen, Thränen erstickten mich, aber mein gottloser Stolz trieb mich an sie zu verbergen; ich lehnte[148] mich, ohne zu antworten, aus dem Fenster. – »Vielleicht sehen wir uns noch wieder, Ellen, nahm Miß Mortimer nach einer Pause, noch immer meine Hand haltend, mit gebrochner Stimme von neuem das Wort, jetzt, ich weiß es, nutzt es nichts, wenn ich Ihnen sage, daß Sie sich ›auf ein gebrochnes Rohr stützen‹; doch wenn es Ihnen einst ›das Herz verwundet hat‹1, dann, Ellen, vergessen Sie nicht, daß ich stets bereit bin mit Ihnen zu weinen, Sie zu trösten. – Ihrer Mutter Andenken macht es mir ewig zur geliebten Pflicht.« – Ich konnte nicht antworten! – nicht, in meines Vaters, in Miß Arnolds Gegenwart, die bittern Empfindungen, die mich zerrissen, offenbaren. – Ja ich war elend genug, meine Hand aus der ihren loszureißen, und entfloh in ein einsames Zimmer. – Doch welchen Ort hatte ich gewählt! – Es[149] war meiner Mutter Schlafcabinet – bis zu meiner Rückkehr aus der Pension war es in seinem unveränderten Zustand ge blieben, hatte es auf meine dringende Bitte keine Veränderung erfahren, jetzt trieb der Anblick der, ihr Andenken zurückrufenden, Umgebungen meinen Schmerz aufs höchste. Hier stand noch ihr Lehnstuhl, wo ich so oft, vor ihr kniend, ihren Abendsegen empfing, dort ihr Nähkästchen, aus dem ich die farbigen Seiden zum Spiel herausnahm, das Tischchen, auf dem sie mir Blumen malte – der Fußschemel, auf dem ich an ihrem Bett hinaufstieg, wie ich zum letztenmal ihre Leiche umarmte. – – O Mutter, Mutter! rief ich, an diesem Bett auf meine Knie sinkend, du wardst mir entrissen, und die Freundin, die Rathgeberin, die du mir ließest, treibt meine hartherzige Thorheit krank und sterbend aus dem Hause! – Eine Weile schluchzte ich, den Kopf auf die Polster gelehnt, als Fidel leise[150] an mich hinaufsprang und mit seinen Liebkosungen mich zu trösten bemüht schien. Ein plötzlicher Gedanke riß mich auf: ich bin nicht würdig, dachte ich, dieses Thier zu pflegen, dessen Treue die meine zum Erröthen zwingt; Miß Mortimer gebührt sein Besitz, an mir ist ja doch alle Liebe verloren. – Ich nahm den Hund auf den Arm und eilte nach der Thür, ihn zu Miß Mortimer in den Wagen zu bringen, als ich Miß Arnolds nichtssagende Stimme vernahm, welche der Abreisenden, die eben die Treppe herabstieg, eine gleichgültige Abschiedsformel zurief. – Vor dieser konnte ich mich jetzt nicht sehen lassen – ich schellte hastig und befahl dem eintretenden Bedienten, Fidel in Miß Mortimers Wagen zu setzen, mit der Bitte ihn zu verpflegen, da er mir höchst lästig zu werden anfinge. – So konnte ich mich, sogar bei dieser Handlung der Selbstbestrafung, nicht entschließen, meine wahren Empfindungen zu zeigen.[151]
Doch der Schmerz, mit dem ich jetzt kämpfte, war überhaupt nicht »der göttliche Schmerz, der niemand gereut;« er war das peinigende Gefühl über die Folgen meiner Thorheiten, nicht die Einsicht in ihre strafbare Größe. Nicht Entschluß zur Besserung folgte ihm, sondern sehr bald die Bemühung ihn abzuschütteln, mich zu zerstreuen, und zu diesem Zweck forderte ich meinen Wagen, um den gewöhnlichen Kreislauf meiner Morgenbesuche zu beginnen. An Miß Arnolds Begleitung gewohnt, suchte ich sie auch diesesmal, ehe ich in den Wagen stieg, und wunderte mich, sie ohne mein Vorwissen ausgegangen zu finden; weil nun der vornehmste Gegenstand, der in meiner Einbildungskraft arbeitete, die Furcht vor dem Mißbrauch war, den Lady Marie von der Wahrnehmung meiner Thorheit in der vergangenen Nacht machen würde, befahl ich, zur Lady St. Edmond zu fahren, da ich von dieser zuerst[152] Aufklärung und Beruhigung über diesen beängstigenden Gegenstand erwarten konnte. Wie ich zu ihrer Thür kam, schien mich der Bediente am Aussteigen verhindern zu wollen; doch da ich im Anfahren bemerkte, daß eine Miethkutsche, die schon vor der Thür hielt, meinem Wagen hatte Platz machen müssen, war ich überzeugt, sie zu Hause zu finden, und trat in das Haus. Zu meinem Befremden ward ich aber in ein Hinterzimmer geführt, wo mich Lady St. Edmond erst nach einigen Minuten aufsuchte, dann aber mit ganz besondrer Herzlichkeit sich entschuldigte, daß ein Geschäftsmann sie, mich zu vernachlässigen, genöthigt habe. Wir gingen nun in ihr Cabinet, und sie schmeichelte bald jede Sorge über die Vorgänge der gestrigen Nacht aus meinem Gemüth. Bei der Frage, wie nur der unbekannte Domino auf den Verdacht einer Entführung hätte kommen können? rief sie nach einigem[153] Nachdenken mit der Lebhaftigkeit einer Person, die eine erwünschte Auflösung findet: »Ach gewiß ließ Lord Friedrich den Wagen, in welchem er heute früh nach Lincoln abreisen wollte, gleich vor meine Thür kommen, um vom Balle dahin abzufahren. Davon wollen wir uns sogleich Gewißheit verschaffen.« – Mit diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer, um einen ihrer Leute abzusenden, daß er sich, ob der Lord wirklich abgegangen sey, erkundige. Ohne an den Gegenstand, den ich in die Hand nahm, zu denken, übersah ich einen Haufen Visitenkarten, die vor mir auf dem Tisch lagen, bis mir eine mit Miß Arnolds Namen auffiel; sehr flüchtig mit Bleistift geschrieben, standen die Worte auf ihr: »Ich bitte nur um fünf Minuten Gehör, ich habe etwas ganz besonderes zu sagen.« Sehr befremdet über den dringenden Ton einer Bitte, deren Wichtigkeit ich mir gar nicht erklären konnte, hielt ich Lady St.[154] Edmond bei ihrer Rückkehr die Karte hin und fragte: was hatte denn Miß Julie für ein wichtiges Geschäft? – Die Dame gerieth in sichtbare Verlegenheit, behauptete aber, sich der Sache gar nicht mehr zu erinnern – es sey wegen eines Huts, eines Federbuschs gewesen. – Halb überzeugte sie mich, halb wußte sie mich von dem Gegenstand zu entfernen, und in der Zwischenzeit kam der Bediente mit der Nachricht zurück: man habe Lord Friedrich diese Nacht gar nicht zu Hause gesehen, indem er von dem Ball nach Lincoln abgereist sey. Nun konnte ich billigerweise keinen Verdacht mehr nähren und nahm ziemlich erheitert von der Lady Abschied. In einer der Straßen, durch welche mich mein weiterer Weg führte, war ein schwerer Kohlenwagen umgefallen, der die mir entgegen kommenden Fuhrwerke, eines nach dem andern, behutsam vorbeizufahren nöthigte, indeß das meine abwarten mußte, bis ein leerer[155] Raum ihm fortzufahren gestatte. Aus derselben Nothwendigkeit hielt jetzt eine Miethkutsche neben mir, die ich sogleich für dieselbe erkannte, welche mir vor Lady St. Edmonds Thür Platz gemacht hatte. Es war ein ehemaliger Herrschaftswagen, an dem man das mir bekannte Wappen noch nicht übermalt hatte. Ich blickte in den Wagen und erkannte Miß Arnold darin, die sich anfangs zu verbergen suchte, dann aber, freundlich winkend, mich sie in mein Fuhrwerk aufzunehmen bat. Ich that das sogleich; allein meine Empfindung war in so hohem Grad aufgeweckt, daß unser Gespräch sich sehr bald in eine Erörterung über meine Anklagpuncte verwandelte. Dergleichen Erklärungen zwischen einem offnen, zutrauenden, und einem kalten, berechnenden Charakter können nicht zur Ergründung der Wahrheit ausschlagen. Miß Arnold gab dem Gespräch bald eine Wendung, die mich gegen sie in Nachtheil setzte, sie bewies[156] mir die Grundlosigkeit meines Verdachts, und einmal von meinem Unrecht gegen sie überzeugt, riß mich mein heftiges Wesen hin, durch den vollen Erguß meines Vertrauens mein Vergehen gegen die Freundschaft zu büßen.
Einen Auftritt heftiger Empfindung, einen Erguß schöner Gefühle hatte ich nun gehabt; aber ach, der ließ keinen Frieden in meiner Seele zurück! Der leere Platz, wo Miß Mortimer beim Mittagessen gesessen, quälte mich mit Vorwürfen, und ich eilte in die Oper, in drei Gesellschaften, um mich von allem Nachdenken zu zerstreuen. Endlich war der Abend vorüber, beim Eintritt in mein Schlafzimmer überbrachte man mir einen Brief von Miß Mortimer, denn sie hatte befohlen mir erst am Abend, wenn ich mich für die Nacht zurückgezogen hätte, ihn zu übergeben. Mit einer höchst schmerzlichen Empfindung nahm ich ihn in die Hand, ich war ermattet von dem freudenlosen[157] Schwindel des Tages und wußte zuverlässig, daß alles, was dieser Brief enthielt, mir den Schluß desselben nur noch peinlicher machen könnte. Ich hatte mich geirrt! Mit aller Milde ihres liebevollen Herzens, aber mit dem Ernst einer Christin, die in der Erfüllung ihrer Pflicht keine Schüchternheit kennt, ging sie mein Betragen durch, legte mir nochmals alle ihre Gründe vor, mich vor Lady St. Edmonds Umgang zu warnen, und gestand mir, daß sie meinem Vater angerathen habe, Miß Arnold nicht weiter um die Verlängerung ihres Aufenthalts zu bitten, weil sie ihre Gegenwart meinem Wohl für sehr nachtheilig halte. Die Beweggründe, die sie mir darlegte, um mich zu einer Veränderung meiner Ansicht des Lebens zu bewegen, erschütterten meinen Leichtsinn; sie zeigte mir, was ich oft, was ich heute so tief fühlte: daß all' mein Flitterstaat, daß alle Befriedigung meiner Eitelkeit mir kein wahres[158] Glück gewähre. Ich weinte laut bei der innigen Bitte meiner beleidigten Freundin: Gott zu suchen, so lang es noch Zeit sey, durch Mäßigkeit, Rechtschaffenheit und ein frommes Gemüth.
Schlaflos verging mir die Nacht; und obschon ich die folgenden Tage meine gewohnte Lebensweise nicht unterbrach, war mein Gemüth doch an jedem Abend – denn keine andere Einsamkeit ließ mir meine zerstreute Lebensweise zu – mit dem Inhalt von Miß Mortimers Briefe beschäftigt. Ich fühlte die Nothwendigkeit, etwas an mir zu bessern, doch womit ich anfangen sollte, wurde mir nicht klar. Rechtschaffenheit schien mir gar keine Tugend meines Standes; sie schien mir nur für arme Leute gemacht. Der, ohne Andern etwas zu entziehen, seine Wünsche zu befriedigen im Stande ist, konnte meiner Meinung nach nicht in den Fall kommen, gegen die[159] Rechtschaffenheit zu fehlen. Einst fromm zu werden, war ich sehr fest entschlossen; doch jetzt hielt ich die Uebungen und Entsagungen, aus welchen ich die Frömmigkeit bestehend glaubte, meinem Alter nicht für angemessen. Mäßigkeit schien mir die Tugend, mit der ich anzufangen beschloß. Ich malte mir die Einschränkungen aus, die ich in meinem Putz zu machen gedachte, ich nahm mir vor, weniger Vergnügungsorte zu besuchen und – außer der Genugthuung, die diese Lebensbesserung Miß Mortimer geben sollte, mußte sie, das wußte ich, auch Herrn Maitland gefallen. Diese Rücksicht schien mir das Verdienst meines Entschlusses gar nicht zu schmälern; denn der enthusiastische Beifall, welchen die ganze Nation seit dieses Mannes öffentlichem Auftreten ihm zollte, hatte meiner Eitelkeit seine Meinung so wichtig gemacht, daß ich mit Entzücken daran dachte, sie zu gewinnen.[160]
Herr Maitland, der bisher in unbekannter Zurückgezogenheit alle Pflichten eines guten Bürgers erfüllte, hatte auf Wegen, wo sein Gewinn zahlreichen Armen die Wohlthat des reichlichen Erwerbs gab, sein Vermögen vergrößert und dieses Vermögen angewendet, Talente zu unterstützen, arme Schuldner zu befreien, nützliche Unternehmungen zu befördern. – Aber unbekannt, woher die Wohlthaten kamen, konnten die Unterstützten, die Geretteten, nicht einmal in ihrem Dankgebet seinen Namen vor Gott stammeln. Doch jetzt ward die große Frage über die Sklaverei der Neger in dem Parlamente erörtert, und nun brach Maitland die Stille, in der er so manches Jahr lang gewirkt, und obschon selbst ein Theilnehmer an dem westindischen Handel, also bei der Aufrechthaltung des Sklavenhandels betheiligt, stand er dawider auf und sprach mit einer Beredsamkeit gegen dieses Schandmaal christlicher[161] Cultur, welche auch die Kältesten erwärmte, die Gleichgültigsten zur Aufmerksamkeit hinriß. Britannien wünschte sich Glück zu dem Bürger, der die Zierde seines Volkssenats genannt ward, das Ausland beneidete das Volk, in welchem eines einzelnen Mannes Tugend Raum fand so mächtig zu wirken, und seine Bekanntschaft wurde von den Edelsten und Größten der Hauptstadt gesucht. Und diesen Mann gedachte ich durch die kleinen Künste der Eitelkeit unter mein Joch zu beugen, ihn, dessen Ueberlegenheit über alle Männer ich so lebhaft erkannte, wollte ich den mich umflatternden Gecken gleich sehn! – Statt, wie ich bei Miß Mortimers Abreise besorgt hatte, sich aus unserm Hause zurückzuziehen, waren seine Besuche häufiger, als zuvor; er kam gewöhnlich, ehe er ins Parlament fuhr, bei uns zum Frühstück, und wenn die Abendsitzungen der Kammer ausgesetzt wurden, verlebte er diese Stunden[162] mit uns. Ich setzte jetzt alle Mittel, seine günstige Meinung von mir zu erhöhen, in Bewegung, aber sein Betragen blieb sich ohne Abweichung gleich; er beschäftigte sich selten ausschließend mit mir, und wenn es geschah, so war es mit einem Ernst, der an Strenge zu grenzen schien; sein Blick ruhte wohl oft auf mir, aber ich nahm nichts von dem Beifall darin wahr, der mir Gelingen versprochen hätte, im Gegentheil lag eine Wehmuth, eine Trauer in seinen glänzenden Augen, die ein bängliches Gefühl von Selbsttadel in mir aufriefen. Doch da mein Leben keinen würdigen Zweck hatte, konnten dunkle Gefühle seine Anwendung nicht veredeln. Von Miß Arnold in den zahlreichen Stunden unsers müßigen Geschwätzes stets aufs neue angespornt, mein Geschlecht, wie sie es nannte, an diesem stolzen Mann zu rächen, versuchte ich es, seine Empfindung durch dieselben Vorzüge zu rühren, die er in jenem, von[163] mir auf eine so unredliche Weise gelesenen Brief, an mir gerühmt hatte. Ich führte mit der unwürdigen Kunst der Gefallsucht Gelegenheiten herbei, meinen Gang, meine Haltung vor seinen Augen zur Schau zu stellen; ich suchte ihm meinen Arm unter den günstigsten Umständen zu zeigen, ich brachte in jedem Gespräch »meine kunstlose Einfalt, meine kräftige Originalität« an – das waren alles Züge, mit denen er mich gegen meinen unbekannten Warner vom Maskenball geschildert hatte. – Allein das Fremdartige, was diese Absichtlichkeit in mein Betragen brachte, arbeitete meinem Zwecke gänzlich entgegen. Anfangs sah er mir mit Befremden zu, bald aber bezeigte er mir durch den Ueberdruß, mit dem er sich von mir ab zu dem gleichgültigsten Mitglied der Gesellschaft wendete, wie peinlich meine Künste auf ihn wirkten. Miß Arnold, die in alle meine Thorheiten mit gewohnter Theilnahme einzugehen[164] fortfuhr, brachte mich endlich auf den Gedanken, daß nur noch eine Probe, seine Gesinnung zu ergründen, übrig bliebe: – ich müsse versuchen ihn zur Eifersucht zu reizen, und nach mancher Ueberlegung schien uns Lord Friedrich zu dieser Probe am besten geschickt.
Mylord hatte zwar, seit der mißlungenen Unterhandlung seines Vaters seine Besuche bei mir eingestellt und meiner Weigrung, sie wieder zu erlauben, gehorcht; allein ich wußte sehr wohl, daß es nur eines Winkes bedurfte, um ihn zurückzurufen; diesen er hielt er, und es konnte nicht fehlen, daß er zu gleicher Zeit mit Herrn Maitland, wiewohl durch meine Veranstaltung nicht in den Stunden, wo mein Vater gegenwärtig war, bei mir zusammentreffen mußte. Nun begann ich augenblicklich die elendsten Kunstgriffe eitler Quälsucht in Bewegung zu setzen. Ich zeichnete Lord Friedrich durch jede Zuvorkommung aus, flüsterte mit[165] ihm, ohne ihm etwas Geheimes zu sagen, lachte, ohne einen Gegenstand dazu, machte Anspielungen auf nichtswürdige Kleinigkeiten, denen ich nie Werth beigelegt hatte. Obgleich Miß Arnold beauftragt war, die Wirkung dieser unedlen Posse auf Herrn Maitland zu beobachten, unterließ ich nicht einige Seitenblicke auf ihn zu werfen – ich glaubte ihn erblassen zu sehen, allein meinen Triumph zu vergewissern, gönnte er mir keine Zeit, denn ohne meiner Thorheit mit einem Worte Einhalt zu thun, nahm er nach einer Viertelstunde einen sehr frostigen Abschied. Miß Arnold versicherte mich, daß sie bei diesem ganzen Auftritt auch nicht die mindeste Regung von Eifersucht auf seinem Gesicht wahrgenommen hätte, allein daß ein jeder Empfänglichkeit für feinere Gefühle so fähiger Mann, wie er, wahrscheinlich mehr wie einmal dem Feuer dieser peinlichen Leidenschaft ausgesetzt werden müßte, bevor sie ihm[166] ans Herz dränge – und so versäumte ich kein Zusammentreffen der beiden Männer, ohne mein unedles Spiel zu wiederholen. Alle meine Mühe war vergebens; Herrn Maitlands Gleichmuth blieb unerschüttert, nur seine Heiterkeit schien sich zu trüben, und der Ernst seines Auges stand zu meiner Qual wie ein Zauberspiegel vor mir, der mir meine eigne Gestalt als Verzerrung zurückwarf. Mein Vater machte dieser unwürdigen Komödie ein Ende, indem er mir eines Morgens in der Stellung, mit dem Ton, in dem er seine bedeutendsten Ermahnungen zu geben pflegte, den Befehl ertheilte, Lord Friedrichs Besuche fortan nicht mehr zu gestatten. »Herr Maitland«, setzte er hinzu, »versichert mich zwar, daß dein Herz an dieser Bekanntschaft keinen Theil nimmt, – welches ein solcher Geck auch wenig verdiente – ich finde es aber nach dem, was zwischen mir und seinem Vater vorfiel, nicht[167] dem Anstand gemäß, ihn in meinem Hause zu empfangen.«
Also nicht einmal den Verdacht, daß ich Lord Friedrich einen Vorzug gewährte, gelang mir in Herrn Maitland zu erwecken. Nun gab ich meinen Plan und meine Hoffnungen auf, und um den innern Schmerz dabei zu betäuben, machte ich mir selbst weiß, und Miß Arnold bemühte sich mich darin zu bestärken, daß ein gefühlloser Mensch wie Herr Maitland meiner Bemühung nicht werth sey.
Seit ich Miß Mortimers Brief las, hatte ich oftmals den Vorsatz gefaßt, sie in ihrer Einsamkeit zu besuchen. Jeden Tag wurde ich durch eine längst verabredete, oder nicht abzulehnende Einladung daran verhindert. Jetzt fühlte ich eine Leere in meinem Herzen, die mir sogar Trauer und Schmerz wünschenswerth machte. Der nächste Tag nach dem, an welchem ich meines Vaters Zeugniß über Herrn Maitlands[168] scharfen Blick in mein Herz erhalten hatte, war ein Sonntag, und ich beschloß ihn, dem strengsten Gesetze gemäß, zu einem guten Werke – einem Besuch bei Miß Mortimer zu verwenden.
Es war ein schöner sonnenheller Morgen, an dem ich mich auf den Weg machte. Die Natur hatte den ganzen Reichthum des Sommers enthüllt und besaß nur noch die Frische des Frühlings. Der Schatten der Bäume malte sich dunkel auf dem üppigen Rasen, die Fluthen der Themse trugen zahllose Fahrzeuge, die zum Theil vor Anker liegend, sich in ihrem elastischen Elemente wiegten, zum Theil vom sanften Lufthauch getrieben, ihre schneeweißen Segel, von dem blendenden Licht bestrahlt, majestätisch dahinglitten. Miß Mortimers Wohnung lag nur eine kleine Stunde von der Stadt entfernt; in meiner Kindheit hatte ich sie oft mit meiner Mutter besucht,[169] und noch bestand der Eindruck, der durch die pünctliche Ordnung in ihrem Garten, den Ueberfluß der schönsten Blumen, die sorgfältig gepflegten Geländer an ihren Fenstern sich mir damals einprägte. Die Veränderung in den Umgebungen ihres kleinen Häuschens fiel mir jetzt auf. Die Blumenbeete waren verwildert, der ehedem so sorgfältig gereinigte Weg von dem Hag zur Hausthür, bis auf einen schmalen Pfad mit Gras überwachsen, und die Rankengewächse, welche sich ehedem wohlgeordnet über der Pforte und den Fenstern gewölbt, hingen verworren herab, wie Thränenweiden von einem Grabmal. Eine ehrbare Person in reinlicher ländlicher Kleidung öffnete mir die Thür, geleitete mich die Treppe hinauf und trat, mich anzumelden, vor mir in das Zimmer.
O willkommen, tausendmal willkommen! hörte ich Miß Mortimer rufen, und ich eilte[170] dem Dienstmädchen nach. – Ach, ich rechnete wohl, sie verändert zu sehen, aber so, wie ich sie fand, hatte ich mir sie nicht gedacht. – Eine schwache Röthe flog über ihr Gesicht, um dem Ansehen einer verklärten Unkörperlichkeit Platz zu machen. – Ihr Auge, das sonst so mild schimmerte, strahlte in krankem Feuer, ihre Hand, die sie nach der meinigen ausstreckte, glühte und war so weiß und so abgezehrt, daß das Licht wie durch Alabaster sie zu durchströmen schien, indeß jede kleine Ader sich in mattem Blau auf ihr hinschlängelte. Und dennoch drückten diese verstörten Züge nur Heiterkeit und Güte aus, dennoch tönte in dieser matten Stimme der Wohlklang der Liebe. Auf meine Frage nach ihrer Gesundheit sagte sie mit wehmüthigem Lächeln: »Ich glaube, ich werde noch eine Weile der Erde zur Last seyn müssen. Die Aerzte sagen, die augenblickliche Gefahr sey vorüber«, und wie ich dafür innig Gott dankte,[171] setzte sie hinzu: »Gottes Wille geschehe! Ich hoffte eine Zeitlang dem Himmel so nahe zu seyn, vermeinte nicht auf das stürmische Meer zurück geworfen zu werden. Doch wie es Gott gefällt.« – Die Rinde der Eitelkeit und Selbstsucht meines Herzens war durch ihren Anblick, durch ihre Worte gesprengt, ich sprach von meiner Hoffnung, sie bald in meines Vaters Landgut zu Richmont ihre gänzliche Wiederherstellung abwarten zu sehen. Sie wies diese Aussicht nicht ab, sprach aber mit Entzücken von einer andern, einer überirdischen Genesung. Es ist gut, dachte ich, daß die, so keine Freude mehr in diesem Leben haben, sich an der Aussicht auf ein andres erfreuen. Damals dachte ich nicht, wie bald ich selbst erfahren sollte, daß sich uns diese Aussicht beim Verlust aller irdischen Freuden nicht so unfehlbar darbietet, daß unser Blick im Genuß dieser Freuden schon auf sie gerichtet gewesen seyn[172] muß, um nach ihrer Flucht in ihr Ersatz zu finden. Ich hatte zwei Stunden mit meiner würdigen Freundin zugebracht, in denen sie sich zu Zeiten einer liebenswürdigen Munterkeit überließ. In so einem Moment wagte ich es Herrn Maitland zu nennen; ich äußerte meine Verwunderung, daß er nach ihrem Austritt aus unserm Hause dennoch fortführe, es fleißig zu besuchen. So wie mein durch Miß Mortimers Anblick aufgeregtes Gefühl sich beruhigte, nahm meine gewöhnliche Gedankenreihe ihren Gang, und ich hoffte durch Miß Mortimer einige Aufklärung über Herrn Maitlands Gesinnungen zu erhalten. Ihr Lächeln bei meiner Frage schien von Bedeutung, aber Barbara verhinderte sie zu sprechen, indem sie sehr schöne Früchte und feinen Wein auftrug, mit dem, wie meine Freundin mir sagte, sie reichlich versehen würde von einer Hand, die sie wohl errathen könnte, die den Dank aber[173] ablehne. Ein sanftes Klopfen an der Hausthür lenkte Miß Mortimer zu meinem großen Verdruß abermals von der Beantwortung meiner Frage ab. Barbara kam ehrerbietig herein, Herrn Maitland zu melden, der schon zum dritten Mal eingesprochen hatte, ohne Zutritt zu erhalten. Ihre Gnaden sollten ihn doch nicht wieder abweisen, sagte die treue Dienerin, sich tief verneigend, der ehrenwerthe Herr hat sein Pferd schon an den Zaun gebunden und hofft sicher, vorgelassen zu werden. »Gut, weil Sie bei mir sind, meinen guten Ruf zu verbürgen, mag es drum seyn«, sagte Miß Mortimer mit sanftem Lächeln, »führ' ihn herein.« – Sie wollte zu seinem Empfang aufstehen, war aber sichtlich zu schwach, daß ich sie in meinen Armen aufrecht halten mußte. Wie Herr Maitland mich erblickte, leuchtete die freudigste Ueberraschung aus seinen Augen. »Miß Percy«! war alles, was er sagte, aber ich hätte diese[174] Worte und den Blick, mit dem er sie begleitete, nicht gegen die Schmeichelei der ganzen Welt vertauscht. In diesem Augenblick war mein gefallsüchtiger Sinn von der Nähe der einfachen Liebe und Frömmigkeit gefesselt. Miß Mortimer bot ihm von den aufgetragenen Früchten an, wobei sie einen Wink fallen ließ, der ihre Vermuthung, daß er der Geber derselben seyn möchte, andeutete. Eine flüchtige Röthe zeigte, daß er verrathen war; er nahm sie aber mit der Bemerkung an, daß sie nach einem langen Fußweg in der Sonnenhitze eine willkommene Erquickung gewährten. »Sie beharren darauf, an einem Sonntag Ihre Pferde nicht zu gebrauchen?« fragte Miß Mortimer. – »Meine Geschäfte fordern es selten, und das Vergnügen Miß Mortimer zu besuchen, ist mit einem Spaziergang um einen sehr wohlthätigen Preis erkauft«, antwortete er mit einfachem Ernst. In dieser Stimmung verflog eine Stunde,[175] ohne daß von der Welt Thun und Treiben die Rede war. Nur einmal klagte Herr Maitland, daß seine Hoffnung, das Loos der Sklaven zu mildern, vergeblich gewesen sey. »Ich fürchte aber, setzte er hinzu, ich bedurfte dieser Belehrung. Warum lassen wir Menschen uns beikommen, unserm obersten Herrn allein vorschreiben zu wollen, zu welchen Diensten er uns brauchen soll?« – O diese Lehre bedarf Niemand so sehr, wie ich! rief Miß Mortimer; wie oft fühle ich mich zum Murren versucht, bei der Aussicht, vielleicht noch Jahre lang in diesem ganz nutzlosen Zustand hinzuleben! – »Nennen Sie ihn nicht nutzlos«, sagte Maitland, und der Glanz seiner Augen wurde von einer Thräne gedämpft, »nennen Sie einen Zustand nicht nutzlos, in welchem Sie durch Muth und Milde Andern den Weg zum Himmel zeigen, indem Sie ihn gehen! Bedenken Sie, daß Gottes Güte wohl herrlich erscheint,[176] wenn er seine Menschen beglückt; aber ungleich mächtiger noch, wenn sein Geist, indem er ihnen alle Glücksgüter entzogen hat, ihren Geist freudig erhält.« – Wie konnte ich unempfindlich bleiben bei einer Ansicht der Dinge, die Maitlands starke Seele durchdrang, und die schwache Leidende, deren hinwelkende Gestalt ich umfaßte, über Leben und Welt emporhob. Ich fühlte in diesem Augenblick eine unaussprechliche Sehnsucht, ihren Seelen nachzustreben in ihrem erhabnen Flug, und im Gefühl meiner Unfähigkeit sagte ich leise unter Thränen, mein Antlitz an Miß Mortimers Schulter gelehnt: »Beten Sie für mich! beten Sie, daß, wenn ich einst krank und sterbend bin, Ihr Gott mich segnen möge, wie er nun Sie segnet!« – Ich weiß nicht, was meine Freundin mir antwortete, meine ganze Aufmerksamkeit war auf Maitlands Handlung gerichtet. Er legte seine Hand auf mein Haupt,[177] blickte auf mich, dann zum Himmel, mit einem Ausdruck, der alle große, erhabne Empfindungen vereinigend, ihm etwas wahrhaft Ueberirdisches gab – er sprach nicht, aber welche Beredtsamkeit hätte je diese Stille ersetzt? –
Was hätte denn geschehen müssen, um den Eindruck dieser heiligen Stunde in meinem Herzen fruchtbringend zu machen? Ach, so schlecht bereitet war der Boden, daß Miß Mortimer selbst das Gedeihen des zarten Keimes verdarb. Beim Abschied sagte sie mir, gewiß mit der Hoffnung meines künftigen Glücks beschäftigt, in zärtlicher Zuversicht ins Ohr: »Nun weiß ich, warum Herr Maitland so oft nach Bloomsbury square kommt«, und mit diesen Worten war mein eingeschläferter Leichtsinn erweckt! – Die einfachste Höflichkeit forderte mich auf, Herrn Maitland zur Rückkehr in die Stadt meinen Wagen anzubieten; er nahm ihn an, und wie ich mich plötzlich ihm gegenüber sitzen[178] sah, nahm ein thöriges Bild nach dem andern von meinem wankelmüthigen Sinne Besitz. Eine Zeit lang hörte ich meinem freundlichen Gefährten sogar theilnehmend zu, der nur von Miß Mortimer sprach, bald gab ich aber der Unterhaltung eine so herausfordernde Wendung, daß er, um seine Selbstbeherrschung zu behaupten, ganz natürlich dazu kam, mich als weiserer Freund wegen meines Verhältnisses zu Lord Friedrich zu warnen. Ich wies seine Vorstellung mit erkünstelter Heiterkeit zurück; mit gut gelauntem Scherz wollte er tiefer in den Gegenstand eingehen, als mich meine absichtliche und natürliche Lebhaftigkeit hinriß, ihm, meine Hand auf den Mund legend, das Sprechen zu verbieten. Maitland ergriff sie und drückte sie an seine Lippen, ließ sie dann schnell los, und nun saßen wir beide, bestürzt und verwirrt einander gegenüber. Nach einer peinlichen Stille rief Maitland, mehr im Selbstgespräch[179] als an mich gerichtet: »Sie mochte mich trotz meiner selbst dahin bringen, den Gecken zu spielen«, und dann blieb er, den Kopf auf die Hand gestützt aus dem Wagen blickend, in finsterm Stillschweigen vor mir sitzen. Meines Triumphs über Maitlands Gleichgültigkeit war ich nun gewiß, allein daß ich seinen stolzen Geist deshalb nicht unterjocht hatte, war sichtbar. Ohne einen klaren Begriff von der Würde des Mannes zu haben, ahnete ich, daß sie meinem Plane im Wege stehe, und ohne mir erklären zu können, welche Gefahr mich bedrohe, fand ich keinen Muth in mir unser Stillschweigen hinwegzuscherzen.
Sobald wir London erreicht, bat Herr Mattland um Erlaubniß, aussteigen zu dürfen und nahm kalt und kurz seinen Abschied. Die Gewißheit von Maitlands Neigung war mir nun geworden. Mit übermüthigem Stolz trachtete ich jetzt darnach, von diesem Mann, den ich[180] noch keiner Thorheit erliegen sah, das Geständniß seiner Schwäche zu hören und zwischen Hoffnung und Furcht die Qualen leiden zu sehen, wel che ich thöriger Weise für die schmeichelhafteste Huldigung meiner Reize ansah. Miß Arnold reizte meine Beharrlichkeit, meinen stoischen Liebhaber bis dahin zu treiben, durch stets rückkehrende Zweifel: ob seinem Betragen auch wirklich der Sinn, den ich ihm gab, beigelegt werden könnte? und bei der Begier, mit der ich sie überzeugen und meinen Triumph vervollständigen wollte, gelang es ihrer List, meine Einwilligung in alle ihre Vorschläge zu erhalten. Sie beharrte bei der Behauptung, daß nur die drohendste Furcht mich zu verlieren, einen Mann, der so eifersüchtig sey, sich selbst zu beherrschen, wie Herr Maitland, zu einem bestimmten Schritt mich zu gewinnen vermögen könnte. In ihm die Besorgniß zu erregen, daß ich in Gefahr stehe, Lord[181] Friedrichs Vorschlägen Gehör zu geben, schien ihr dazu am besten geschickt. Ich war selbst durch die Fehler meiner Erziehung zur Aufrichtigkeit gewöhnt worden, und so oft ich seit einiger Zeit durch Umwege zu meinen Zwecken zu gelangen suchte, hatte der Gegenstand meiner Begierde mich hingerissen, aber mein Gefühl nie gegen ihre Strafbarkeit verhärtet. Auch jetzt empörte sich dieses Gefühl gegen den Gedanken, Herrn Maitland glauben zu machen, daß Lord Friedrich meine Liebe gewonnen habe, und heftig weigerte ich mich, diesen Plan ins Werk zu stellen. Miß Julie bewies mir sogleich, daß dieses nicht ihre Absicht sey, im Gegentheil würde sie, wenn ich's ihr überließ, Herrn Maitland einen Wink zu geben, das Verhältniß so darstellen, als habe meine Unbefangenheit mich in Verlegenheiten verwickelt, bei denen ich durch edle Aufopferung meiner selbst zu büßen entschlossen sey – und, weit[182] entfernt Sie zu tadeln, schloß Miß Julie, wird er Ihre Denkart bewundern müssen. – Bewundern! Herr Maitland würde mich bewundern müssen! An diesem Gedanken scheiterte der letzte Rest meiner Gewissenhaftigkeit. Doch gestand ich mit Angst zu, daß meine dienstfertige Freundin Herrn Maitland bei seinem nächsten Besuch empfangen und ihre Hinterlist ins Werk setzen sollte.
Herr Maitland ließ mir Zeit, bessere Entschlüsse zu fassen; es verliefen acht Tage, ohne daß er in unserm Hause erschien. Allein Miß Arnold sorgte dafür, daß meine Begierde, diesen stolzen Mann das Bekenntniß seiner Schwäche ablegen zu sehen, nicht erkaltete, und indem sie meinen Sieg ausmalte, schwebten leichte, undeutliche Gestalten einer edlern Art im Hintergrund meiner Fantasie, Gestalten, denen sie, nur an Eitelkeit gewöhnt, keine bestimmte Umrisse zu geben vermochte, ich darf aber hoffen,[183] sie deuteten auf die Sehnsucht, in der Neigung, die ich, sobald ich ihr Geständniß empfangen, zu verhöhnen gesonnen war, eine Zuflucht gegen mich selbst zu finden.
Nachdem dieser Gegenstand täglich unser Gespräch beschäftigt hatte, überraschte uns endlich Herrn Maitlands Besuch, wie wir uns abermals über diesen Gegenstand unterhielten. Miß Arnold sah ihn an der Anfahrt absteigen und bewog mich durch die dringendsten Gründe, ihr seinen Empfang zu überlassen. Mit einer Vorempfindung unendlichen Wehs erwartete ich den Ausgang dieses Gesprächs, mehr wie einmal stellte mir meine Eitelkeit unsern Plan als gelungen, Maitland als gefesselten Sklaven zu meinen Füßen vor, aber schnell wich dieses thörige Gaukelspiel, und eine gestaltlose Furcht ließ mich auf die undeutlichen Töne ängstlich horchen, die von dem Besuchzimmer heraufschallten. Jetzt hörte ich die Thür öffnen und[184] sah Herrn Maitland mit raschen Schritten, ohne einen Blick zurückzuwerfen, über die Anfahrt gehen und zwischen den Hecken verschwinden. Was haben Sie bewirkt? rief ich, athemlos in das Besuchzimmer tretend, wo die Unterredung Statt gefunden hatte. – Miß Arnold fuhr bei meinem Eintritt auf, sie schien in unangenehm zerstreuter Stimmung, doch faßte sie sich sogleich und begann einen weitläuftigen Bericht über ihre Unterhaltung mit Herrn Maitland, aus dem sichtlich hervorging, wie widerwillig er sich mit ihr, gegen die er seine Abneigung nie verhehlt hatte, in ein Gespräch über mich eingelassen hatte, wie heftig er anfangs durch ihre Aeußerung, daß ich meine Freiheit für verwirkt halte, erschüttert gewesen sey, aber bald mit Stolz behauptet habe, wie er eine solche Nachricht von meinen eignen Lippen erwarte und dann meinen Entschluß gut heißen müßte. »Gereizt durch seinen Unglauben, durch[185] seine stolze Zuversicht«, fuhr Miß Arnold fort, »ergriff ich nun das letzte Mittel ihn zu überzeugen: ich entdeckte ihm« – – Was? um Gottes willen, was? rief ich ungeduldig und ängstlich, da ich Miß Julie erröthen und stottern sah. – »Nun ich entdeckte ihm, daß ein kleines Darlehn, welches Sie Lord Friedrich abzutragen hätten, Sie in die Nothwendigkeit setzte, seine Anträge zu begünstigen.« – Ich hörte den Schluß ihrer Rede nicht mehr an. In der schrecklichsten Empörung meiner Gefühle warf ich meiner unvorsichtigen Freundin ein Geständniß vor, das mir nothwendig Maitlands Achtung entreißen mußte. Julie erschrack über meinen heftigen Schmerz, sie entschuldigte sich mit Thränen, im Eifer, mir zu dienen, dieses unselige Geständniß abgelegt zu haben, – »und dennoch bedurfte es dessen um auf seinen Starrsinn zu wirken, sagte sie weiter; hätten Sie ihn gesehen wie er bleich, zitternd, um[186] Athem kämpfend im Zimmer umherschritt, Sie würden eingestanden haben, daß er nur also zu überwältigen sey.« – Ich kannte diesen festen Mann zu gut, um diese Darstellung nicht für übertrieben zu halten, allein daß er peinlich leiden mußte bei dieser Entdeckung meiner Thorheit, dessen war ich gewiß. Und was sagte er? fragte ich endlich vor Angst. – Er wollte sogleich zu Ihnen, wollte Sie sprechen ... Nun? warum ging er denn fort? – Ich mußte diese Frage mehrmals wiederholen, ehe Miß Arnold sie verstand. »Er besann sich, wollte sich erst fassen, und wird in einer Stunde zurückkehren« war endlich ihre Antwort.
Ehe diese Stunde verflossen war, hatte sich mein Unwille über Miß Julie zum Theil durch ihre Liebkosungen, zum Theil von einer neuen mich beschäftigenden Furcht, gelegt. Ich besorgte, Herr Maitland möchte es für Pflicht[187] der Freundschaft halten, meinen Vater mit meiner Schuld an Lord Friedrich bekannt zu machen, ich wünschte ängstlich, dieses zu verhindern; aber Maitland um Verschwiegenheit zu bitten, verbot mir mein Stolz. Wie er zu mir eintrat, war meine Verlegenheit nicht geringer wie die seine, obwohl ein unbefangener Beobachter in mir den Kampf ohnmächtigen Stolzes, in ihm den Streit des tiefsten Schmerzes mit dem festen Sinn des Rechtschaffnen gelesen haben würde.
Bei seinen ersten Worten waren seine Empfindungen noch zu stürmisch, um ihnen gewohnte Deutlichkeit zu geben, doch, in Selbstbeherrschung geübt, ging er nach wenigen Momenten mit Zartheit und Güte in die Erörterung des Gegenstandes ein, der ihn zu mir geführt hatte. Da er meine Abneigung, mich meinem Vater zu entdecken, vernahm, bat er mich auf das ehrerbietigste, mir die Summe,[188] welche ich Lord Friedrich schuldig war, vorstrecken zu dürfen. Auf meine bestimmte Weigerung schlug er Miß Mortimer als Mittelsperson vor; aber auch dieses lehnte ich ab, und durch die innige Rührung in seinem Ausdruck meines Sieges über sein Herz, durch die Ehrerbietung seines Betragens meiner Herrschaft über seinen Willen immer sichrer, gewann mein Leichtsinn immer mehr die Oberhand über die mich bisher folternden peinlichen Gefühle, und mit rücksichtslosen Kunstgriffen war ich bemüht, das Gespräch auf den Punct zu bringen, wo Herr Maitland einer Erklärung nicht würde entgehen können. Der nächste Gegenstand unserer Unterredung machte mir das leicht. Sie betraf Lord Friedrichs Bewerbung; ich äußerte mit empörendem Leichtsinn, daß jede Wahl gleichgültig sey, da bei der meinen die Liebe noch immer ausgeschlossen seyn würde. – Er hoffe, das solle nicht der Fall seyn, bemerkte[189] Herr Maitland mit erzwungener Fassung. – »Er wird es, fuhr ich Leichtsinn nachäffend fort, denn wem kann meine Hand endlich zufallen? Von den Männern die sich um mich drängen, will der eine Theil ein Spielwerk, an das er sein Geld hänge, der andre Theil, mein Geld, um es an seine Spielwerke zu hängen. Wie wäre der eine und der andere im Stand, mein Herz zu schätzen? Ja, hätte ich einen Mann gefunden, fähig der Freund meiner Jugend zu seyn, das wenige Gute in mir zu entwickeln, meine Fehler zu ertragen und zu bessern, einen Mann den ich geliebt hätte, weil er meine Achtung gewonnen, so würde ich ihm vielleicht meine lebhafte, herzliche Freundschaft geschenkt haben.« Diese ganze Rede war eine eingelernte Rolle, allein in ihr lag der Kern meines bessern Sinnes, und gegen das Ende zu nahm die wahrste Rührung in meiner Seele Platz. Maitland saß mir gegenüber, den Arm[190] auf ein zwischen uns stehendes Tischchen gelehnt; während ich sprach, hatte ich nicht den Muth ihn anzusehen, jetzt nahm ich aber wahr, daß der starke Mann zusammenzuckte, und der leichte Tisch von dem Zittern seines Arms bebte. Plötzlich fiel mir die Schilderung ein, die mir Miß Arnold von seinem Zustand, bei ihrer Entdeckung meiner Schuld an Lord Friedrich, gemacht; ich sah mich meines Siegs über Maitlands Herz gewiß, meine guten Regungen verflogen, und ich blickte auf, um seine Fassung zu erspähen.
Sein Auge schien mit seinen scharfen Blicken bis ins Innerste meiner Seele zu forschen; seine Wangen glühten, doch nur einen Moment. – Todtenblässe verdrängte dieses Roth, er faßte zitternd meine Hand, kämpfte einen Augenblick nach der Kraft zu sprechen und sagte endlich, meine Hand gleichsam von sich werfend, im Ton des ernstesten Vorwurfs: »Ellen, wie[191] können Sie, da Sie Ihre Gewalt über mich wahrnehmen, wie können Sie! ... Andere möchten meine Schwäche verachten, ich selbst verachte sie – aber Ihnen, Ihnen hätte sie heilig seyn sollen.«
Wie soll ich mir selbst den Vorgang in meinem Innern erklären? Nun hatte ich also meinen Zweck erreicht, ich hatte Maitland das Geständniß seiner Niederlage entrissen; allein weit entfernt mich meines Sieges zu erfreuen, fühlte ich mich durch den Vorwurf, den seine Worte enthielten, aufs tiefste verwundet. Sein Mißfallen übte die Kraft des bösen Gewissens über mich, und ich war so erschüttert, daß ich, unfähig meine Fassung zu finden, mein Haupt nicht aufzuheben vermochte. Herr Maitland stand einige Augenblicke gedankenvoll und schweigend; dann sagte er mit halb erstickter Stimme: »Nein, nicht jetzt ... schenken Sie mir morgen einige Momente; es werden die letzten seyn.«[192] Und ehe es mir möglich war, ein Wort über die Lippen zu bringen, hatte er sich entfernt.
Wie eine Verbrecherin, schlich ich in mein Zimmer, wo Selbstvorwürfe, Zorn gegen Miß Arnold und eine unklare Furcht vor den Folgen von Herrn Maitlands Unwillen mich peinlich beschäftigten. Mein Triumph über den Sieg meiner Reize gewann nur nach und nach Raum in meinen Betrachtungen, ja ich mußte das Andenken an alle meine Bemühungen, diesen Sieg zu erreichen, zurückrufen, um den Entschluß, mich nie vor einem stolzen Liebhaber zu demüthigen, zu erneuern. »Mag er seine Fesseln brechen, wenn er kann«, rief ich endlich mit neu erwachtem Uebermuth – denn noch war mein Leichtsinn nicht fähig, den Verlust Herrn Maitlands als Freund zu ermessen, er hatte ihn nur als Sklav zu sehen gestrebt.
Herr Maitland ließ sich am folgenden Morgen nicht erwarten, aber seine Fassung war[193] von der des vorigen Abends gänzlich verschieden. Sie drückte Ruhe, Selbstherrschaft, Würde aus. Er begann ohne Verlegenheit, sich für schuldig zu erkennen, indem er sich ein paar Mal von seinem Gefühl hätte hinreißen lassen, und glaubte mir Erklärung darüber geben zu müssen. Gekränkt durch seine Selbstbeherrschung, gab ich ihm einige leichtsinnige Antworten und nahm dann, wie er auf seinem Ernst beharrte, mit nachlässigem Wesen meine Näharbeit in die Hand, als suche ich durch sie das mangelnde Interesse seiner Unterhaltung zu ersetzen. »Flößt es Ihnen gar keine Neugier ein, Ellen«, nahm Herr Maitland das Wort, »zu erfahren, wie Sie ein Herz, das Sie mit treuer Neigung zu umfassen wohl geschickt gewesen wäre, gewonnen, und wie Sie es verloren haben? Ist es auch nicht um meinetwillen, so könnte es Ihnen doch vielleicht einst nützen, wenn von einem Mann, für den auch Sie empfinden,[194] die Rede ist.« – »Ich hoffe, so schlimm wird mir es ja nicht gehen, die Liebeslaune irgend eines Mannes je zu beklagen.« – »Hier war von keiner Liebeslaune die Rede«, nahm Herr Maitland von neuem mit Ernst das Wort. »Sie waren meine erste Liebe, und Ihre Wohlfahrt wird mir zärtlichen, innigen Antheil einflößen, noch lange nachdem meine gegenwärtigen schmerzlichen Empfindungen erloschen sind. Allein ich muß fliehen, ehe ich die Kraft verliere, dem zu entsagen, dessen Besitz mich unendlich elend gemacht hätte.« – »Sicher, mein Herr, dieses Elend würde ich Ihnen ersparen«, sagte ich mit schwellendem Stolz, denn auf diese Sprache hatte ich von Seiten eines Liebhabers nicht gerechnet. – »Ellen, das ist kindisch. Zürnen Sie, weil ich Ihnen die Langeweile vergeblicher Bewerbung erspare? Wenn ich Sie mit Schmerz verlassen sollte, müßten Sie die Vorzüge wieder besitzen, die mich zuerst[195] an Ihnen bezauberten; denn nicht Ihre Schönheit gewann Ihnen mein Herz. Ich hatte Sie oft gesehen und war kalt geblieben. Es war Ihre kindliche Einfalt, Ihre gänzliche Absichtslosigkeit, Ihr völlig durchsichtiges Gemüth, wie ich es nennen muß, um die Leichtigkeit auszudrücken, mit der ich Ihre Empfindungen errieth, die mich gewannen. Wenn ich ermattet von Arbeit war, krank von der Herzlosigkeit der Menschen, so kam ich zu Ihnen und dachte ... Nun ists ja Eins, was.« – Herr Maitland hielt inne; mein beßres Gefühl siegte, ich begriff, daß ich seine Achtung verloren hatte, und Thränen füllten mein Auge. Allein die Furcht, er möchte meinen, daß ich den Verlust seiner stoischen Liebe bedaure, zwangen sie in mein stolzes Herz zurück. Er fuhr fort: »Ich nahm aber bald wahr, daß unsre Wünsche, unsre Bestrebungen nicht übereinstimmten, daß sie das häusliche Glück stören[196] müßten. Nach dem dreißigsten Jahr sieht ein Mann wohl ein, daß nach dem Entzücken des Liebhabers der Gatte eine lange Reihe von Jahren vor sich hat, wo er entweder seine Sorgen und Freuden mit seinem Weibe theilen, oder die Unterwerfung der Abhängigkeit von ihr fordern muß. Das Letztere könnte ich nie. – Ihre Wünsche hätten mich jeden Augenblick verletzt, und – seine Stimmung ward immer feierlicher – wie könnte der, welcher einen Freund sucht, den erwählen, der seine Beschäftigung für lästig hält, seine Freuden für Hirngespinnste, seine Hoffnungen für einen Traum? – Nein, Ellen, die Gattin eines Christen muß mehr seyn, als das Spielwerk seiner müßigen Stunden, sie muß sein Mitgenoß seyn bei der Arbeit, beim Gebet.« – Mein Stolz empörte sich immer mehr. »Genug, mein Herr«, sagte ich, »ich bin hinlänglich von meiner Unfähigkeit, eine Würde, nach der ich nie Verlangen trug,[197] zu bekleiden, überzeugt.« – »Das glaube ich Ihnen, Miß Percy, und das söhnt mich mit meinem Opfer aus. Vermindern Sie es also nicht durch diese Verachtung! Es bedarf ihrer nicht, um mich zu überzeugen, daß Sie nicht ohne eifrige Bewerbung gewonnen werden können – ich versuchte diese, versuchte sie, bis mich meine Schwäche überraschte – und nun ist es gerade noch Zeit, zu entfliehen; deshalb reise ich in vierzehn Tagen nach Westindien ab.« –
Mir war es, als versänke die Erde unter meinen Füßen. – Daß Herr Maitland unsern Familienkreis meiden würde, darauf war ich gefaßt; aber Westindien! – »Nach Westindien?« wiederholte ich kaum hörbar. – »Ja. Ich habe dort Geschäfte. Doch schon zu lange sprach ich von mir selbst. Da der Fall eintritt, wo es recht ist, daß die rechte Hand die linke abhaue, so ists besser, der Streich sey geschehen. Nur, noch eine Bitte liegt mir am Herzen ...« Er zögerte;[198] ich hatte nicht die Kraft, zu fragen, was ich zu vernehmen so begierig war. Maitland faßte meine Hand. »Ellen«, sagte er mit Innigkeit, »ewig theure Ellen, mancher trübe Gedanke wird, wenn wir weit getrennt sind, Sie belasten; ich bitte, vertrauen Sie diese Miß Mortimer und übergeben ihr dann dieses Päckchen!« – Ich begriff, daß es die Mittel enthielt, die Schuld an Lord Friedrich zu tilgen, ich lehnte das Anerbieten ab, versicherte, daß diese Schuld keine Eile habe, daß sie kein Geheimniß sey, daß ich sie wegen eines Spielwerks eingegangen wäre ... doch, meine heftige Bewegung wahrnehmend, beherrschte ich mich schnell und bat ihn mit neu erwachendem Stolz, Miß Mortimer bei ihrer Kränklichkeit nicht mit dieser Kleinigkeit zu belästigen. Er suchte mich zu widerlegen; da er aber meine Beharrlichkeit bemerkte, rief er: »So ists Zeit, zu enden. Leben Sie wohl, Ellen! Aller Segen ...«[199] Hier versagte ihm seine Stimme; er warf einen Blick auf mich. – O nie, nie verschwand dieser Blick vor meinem Gedächtniß, und über den Schmerz, der um seinen Mund zuckte, glitt ein Lächeln, wie ein Sonnenblick über die sturmgeschlagne Flur. Ich wendete mich ab, und er verschwand.
Ich erlebte, wie alle Welt mich verließ, ich wanderte heimlos in fremden Straßen, ich sah mich mit den Unseligsten des Menschengeschlechts in dem Ort des Grausens eingesperrt, aber den Schmerz fühlte ich niemals wieder, der mich ergriff, da ich wieder in das Zimmer hinblickte und Maitland nicht mehr fand. Miß Mortimers Worte tönten in mein Ohr: »Die Guten und Weisen werden Sie verlassen.« – O sie haben mich verlassen, und ich bin freundlos, allein! rief ich zur Erde sinkend und verbarg mein Haupt auf dem Platz, auf dem Maitland gesessen hatte.[200]
Nach diesen Aeußerungen wird man nun glauben, daß mein Herz wirklich einen tiefen Eindruck empfangen hätte. – Das war aber keineswegs der Fall. Herr Maitland hatte meine Eitelkeit gereizt, er hatte meine Neugier erregt, sein Gespräch hatte mich angezogen, ich fand in der Unterhaltung mit ihm den Genuß, geistige Fähigkeiten in mir zu entdecken, die in dem flachen Geschwätz meiner andern Bekannten nicht angeregt wurden, ich besaß eine Art kindlichen Vertrauens in seine Güte, sein Charakter flößte mir eine tiefe Achtung ein – was mich bei seiner Abreise so heftig schmerzte, war die Gewißheit, seine Achtung verloren zu haben, von ihm durchschaut worden zu seyn, es war die Bekümmerniß, des Rückhalts seiner Güte, der Ueberzeugung von seinem Schutz, die unklar aber fest in meiner Seele ruhte, beraubt zu seyn. Leider blieb dieser Eindruck so wenig wirksam, daß ich schon nach einigen Stunden[201] mit gewohntem Leichtsinn mit Lord Friedrich liebäugelte, und nach wenigen Tagen, während der ich das Andenken an Maitlands Abschied als etwas Schmerzliches vermieden hatte, seiner kaum mehr gedachte.
Der Befehl meines Vaters rücksichtlich der Besuche des Lords in seinem Hause, war keineswegs befolgt worden; er stellte sich täglich daselbst ein, ich begegnete ihm in dem größten Theil meiner Gesellschaften, am häufigsten traf ich ihn bei Lady St. Edmond, deren Umgang ich, weil er mir mehr, als jeder andre schmeichelte, noch immer am häufigsten aufsuchte. Meine angenehmsten Stunden brachte ich bei ihr in einem kleinen Zimmerchen zu, in welchem Kunst, Luxus und Geschmack erschöpft waren, um den eigensinnigsten Forderungen eine Genüge zu leisten. Die mildesten und frohesten Farben verschmolzen sich an den Wand- und Fensterbekleidungen, einige üppige Landschaften,[202] von Meisterhand gemalt, die schönsten Vasen, die zierlichsten Divans machten diesen kleinen Raum zu einem Feenaufenthalt, den Abends Alabasterlampen mit Mondlicht erhellten, zu dem aber ein großes Fenster das Tageslicht nur durch die Verzweigung der schönsten, duftenden Blüthenpflanzen zuließ. Ein herrliches Pianoforte, eine eben so vortreffliche Harfe, eine kleine Sammlung Dichter vollendeten den Aufputz dieses Cabinets. Nie ward es von einem Bedienten betreten; der wenige Dienst, den man darin verlangte, ward von einer leichtfüßigen, rosenwangigen Zofe besorgt. Hier war Lord Friedrich meistens der Dritte in unserer Gesellschaft, Lady St. Edmond behandelte mich wie eine vertraute Freundin, ich empfand nicht die mindeste Scheu gegen sie, und so blieb es seiner Klugheit überlassen, diese unbedachten Zusammenkünfte zu benutzen. Ohne daß er meinem Herzen lieber geworden wäre, als im Anfang[203] unserer Bekanntschaft, wußte er sich durch die Sprache der verliebten Schmeichelei meiner Aufmerksamkeit je mehr und mehr zu bemächtigen; ich hatte mich an das eitle Spiel kleiner Gefallkünste, Zwiste, Nachgeben, Gebieten, Beherrschen gewöhnt, und wenn ich hier und da durch irgend einen Zug in Lord Friedrichs Betragen gewarnt, aufmerksam wurde, beruhigte ich mich selbst mit der Ueberzeugung, daß zwischen mir und einem Mann, dessen Bewerbung mein Vater unbedingt abgewiesen, nicht die Rede von einem nähern Verhältnisse seyn könnte. Eines Morgens, den ich, wie so oft geschah, bei Lady St. Edmond in obenerwähntem Cabinette in Gesellschaft Lord Friedrichs zubrachte, ward sie eines Geschäftes wegen abgerufen, und der Lord benutzte unser Alleinseyn, um mit unerwartetem Ernst mir seine Leidenschaft zu erklären. Ich suchte, wie schon früher bei weniger dringendem Geschwätz dieser Art, durch witzige Einfälle abzuwehren;[204] allein er veränderte seinen Angriff und stellte mir sehr ernstlich das Recht vor, welches mein Betragen ihm gegeben hätte, Hoffnungen zu hegen. Dieser Vorwurf erschreckte mich auf eine sonderbare Weise, er gab mir augenblicklich ein Bewußtseyn meiner Schuld, aber zugleich eine entschiedne Abneigung gegen den Mann, der Rechte an mich geltend machen wollte. In der größten Angst, aber mit eben so großer Wahrhaftigkeit gestand ich ihm, daß, seit mein Vater sich bestimmt gegen seine Bewerbung erklärt, ich ihn von allen Männern für den gehalten hätte, mit dem es am gleichgültigsten wäre, sich zu unterhalten, und, in ihm eine ähnliche Ansicht voraussetzend, wäre mir es nie eingefallen, in seinen Reden einen ernsthaften Sinn zu suchen. Mit Heftigkeit klagte er mich jetzt an, ihm in den Augen der Welt Hoffnungen gegeben zu haben, die nun seine Ehre in Gefahr brächten, in unsern nähern[205] Verhältnissen Vorschläge nicht unwiederruflich verworfen zu haben, die nur die Liebe genehmigt. – Diese Vorwürfe riefen mir jenen unseligen Maskenball zurück, wo der Leichtsinn meines Betragens den Lord damals zu dem Vorschlag einer Entführung nach Schottland veranlassen konnte; zugleich hatte mir aber Herrn Maitlands Charakter die Gewohnheit erhalten, dem Wort »Ehre«, in dem Munde eines Mannes einen höhern Werth beizulegen, als der Gebrauch der Modewelt ihm ertheilt. Ich schauderte vor dem Gedanken, Lord Friedrichs Ehre durch meine gefallsüchtige Laune Anfällen ausgesetzt zu haben, und fand deshalb nicht den Muth in mir, seine flehenden Bitten, ihm noch jetzt nach Schottland zu folgen, so wie ich hätte thun sollen, abzuschlagen. Ich ließ mich auf Gründe meiner Weigerung ein: meines Vaters bestimmte Abneigung gegen eine Verbindung mit dem Lord war der erste, und[206] wenn meine Denkart klar und mein Sinn edel gewesen wäre, hätten die abgedroschnen und herzlosen Gründe, mit denen er das väterliche Ansehen zu schwächen suchte, mir den Unwerth des Mannes und die Gefahr, mich ihm anzuvertrauen, ins hellste Licht stellen müssen. Aber er bewies mir, daß meine persönlichen Vorzüge allein mich emancipirten, daß meines Vaters Weigerung meine Rechte schmälerten, daß allgemeine Regeln einen höhern Geist nicht bänden, und mein Vater nach dem ersten Aufbrausen seines Unwillens einer Verbindung, die in jeder Rücksicht angemessen sey, seinen Beifall nicht versagen würde. – Diese Schmeichelreden beschwichtigten meine Unruhe, aber dennoch empfand ich eine große Erleichterung, als Lady St. Edmonds Rückkehr dem Gespräch ein Ende machte.
Ohne eine entschiedene Neigung für den Mann, dem ich die tägliche Gelegenheit, meine[207] Schwäche zu benutzen, zugestanden hatte, ohne einen klaren moralischen Sinn, welcher mir einen deutlichen Begriff von den Bedingungen zu meinem wahren Glück geben konnte, theilte ich Miß Arnold meine Verlegenheit mit und bat Lady Edmond um Rath. Die Erstere schien blos Theilnahme, Mitgefühl zu zeigen, und bewies mir doch, daß, bei dem nachtheiligen Eindruck, den Lady Maria's Darstellung meiner Thorheit am Ballabend gegen mich erregt, eine Heirath mit Lord Friedrich der sicherste und für mich der schmeichelhafteste Weg sey, meine Unruhe zu beendigen. Lady St. Edmond fand Mittel, mir in einer Wolke von Weihrauch über meine Vorzüge, meine Empfindungsart, meinen Geist zu beweisen, daß ich mich in den Fall gesetzt hätte, wo nur meine Heirath mit Lord Friedrich mein Betragen zu rechtfertigen im Stande sey.
Während es mir so von allen Seiten an[208] einer weisen Einwirkung gebrach, da mein thöricht eitles Herz sich vor der einzig rettenden, der meiner verehrten Miß Mortimer, fürchtete, weil es sich bewußt war, dort keine Schmeicheleien, keinen in Lob gehüllten Tadel, sondern strenge Mahnung an die Pflicht zu hören, versäumte Lord Friedrich nicht, bei jeder Gelegenheit die Sprache der Leidenschaft gegen mich zu führen. Eines Tags fand ihn mein Vater zu meinen Füßen, in einer feurigen Rede begriffen. Im Gefühl seines verletzten Hausrechts, da er sich seine Besuche verbeten, mit der Erbitterung, die ihm Einer aus der verhaßten Kaste erregen mußte, der in dem zarten Punct der väterlichen Gewalt seinen Absichten zu widerstreben suchte, verabschiedete er ihn mit mehr Bestimmtheit, wie gutem Ton. Der Auftritt war empörend für mich, weil mein Vater, indeß vier starke Lakaien an der Saalthür standen, sein Hausrecht gegen den einzelnen Mann übertrieb;[209] er war höchst erschütternd, weil ich den ernsten Mann noch nie so von Zorn übermannt gesehen hatte. Wie Lord Friedrich das Zimmer verließ, stieß mein Vater die Thür mit einem gewaltigen Fußtritt zu, nahte sich mir heftig, faßte gewaltsam meine Hand und rief: »Hattet Ihr vergessen, Ellen Percy, daß diesem Glücksjäger mein Haus verschlossen seyn sollte? Fortan geschehe das nicht wieder! Ich kann Euch dreimalhunderttausend Pfund hinterlassen und arbeite an einem Project, die Summe zu verdoppeln; aber Euer ältester Sohn soll John Percy heißen, und eben so seines Sohnes Sohn, und Ihr sollt keinen unverschämten aristokratischen Bettler heirathen, der sich unterstehen möchte, den Mann, dem er sein Daseyn zu verdanken hätte, über die Schultern anzusehen. Gott verdamme mich, wenn ich das je zugebe! Versteht Ihr mich, Ellen Percy?« – Bei diesen Worten schüttelte er meine Hand und schleuderte[210] sie so gewaltsam von sich, daß ich wankend mich an einem Stuhl halten mußte, indeß er zornglühend das Zimmer verließ.
In der Jugendzeit, wo Mangel an erduldeten Leiden uns Muth gibt, und die Einfachheit unsrer Verhältnisse unsre Urtheilskraft noch gar nicht geprüft hat, kann ein besser geordnetes Gemüth, wie das meine, durch Heftigkeit zum Widerstand gereizt werden. Mir erschien meines Vaters Betragen so despotisch, daß es mich aufforderte, alle Rechte der Natur für mich geltend zu machen. Ungewohnt, mein Betragen tadeln, noch weniger, meiner Neigung Verbote auflegen zu sehen, suchte ich zu meines Vaters Widerwillen gegen eine Heirath mit Lord Friedrich nun eine besondre Ursache und fand sie durch die Bedingung erklärt, unter welcher er meine Hand zu vergeben gedachte. Einem Mann ohne Namen wollte er mich geben, einem untergeordneten, nüchternen, anspruchbaren[211] Geschöpf, dem sein Geld erst zu einem Daseyn verhelfen sollte – und in dem Maße, wie ich mir sein Bild ausmalte, befestigte sich der Entschluß, gegen diese Gefahr mich zu schützen. Bis dahin hatte ich die Weise, wie ich dieses thun wollte, nicht beschlossen, ja nicht überlegt; ein nichtsbedeutender Zufall mußte sie bestimmen.
Während der Mahlzeit erwähnte Miß Arnold eines glänzenden Frühstücks, zu dem uns Lady B. auf den folgenden Morgen eingeladen habe. Mein Vater erklärte, daß ich weder bei diesem Frühstück, noch in irgend einer andern Gesellschaft erscheinen solle, bevor ich ihm nicht feierlich angelobt, mit Lord Friedrich keine Art von Verkehr mehr fortzusetzen. »So muß ich zu Hause bleiben«, sagte ich mit trotziger Entschlossenheit, »denn nach dem Frühstück ist ein Ball, und ich habe mit Lord Friedrich zu tanzen versprochen.« – »Nun so genießen Sie Ihr Frühstück zu Haus, Miß Percy; ich hoffe,[212] es soll so gut wie Lady B. ihres seyn.« – Mein Verdruß bei diesem Ausspruch meines Vaters war nicht gering; denn ein gestickter Morgenanzug, um den Lady Maria in Handel gestanden, und den ich durch einen übermäßigen Preis ihr entzogen hatte, sollte heute ihren Neid erregen. Aber mein Widerwille, meinen Vater durch eine Bitte zu besänftigen, war viel größer, wie dieser Verdruß. Miß Arnold half dem Einen und dem Andern ab. Ihr Einfluß bei meinem Vater hatte seit Miß Mortimers Entfernung so zugenommen, daß es ihr auch bei dieser Gelegenheit nicht schwer fiel, seine Erlaubniß rücksichtlich des Frühstücks zu erhalten; allein ein bestimmter Befehl, fortan jedem Verkehr mit Lord Friedrich unbedingt zu entsagen, verhinderte mich, Freude darüber zu empfinden.
Den folgenden Morgen beim Familienfrühstück – denn meine Einladung bei Lady B.[213] verhinderte diese Familienmahlzeit nicht – erhielt mein Vater einen Brief, den er mit sichtlicher Bestürzung las und, seine Theetasse unberührt hinstellend, augenblicklich das Zimmer und gleich darauf das Haus verließ. Sein Benehmen ängstigte mich, auch Miß Arnold schien es mit Unruhe zu bemerken, allein die Stunde des Ankleidens war da, und so überließ ich mich, ohne des Vorgangs wieder zu gedenken, dem Wirbel des Tags. Das Frühstücksfest verlief wie alle solche Feste: mit der Larve der Freude, mit leeren Köpfen, mit Herzen, die oft von Neid und Bitterkeit erfüllt, also schlimmer, wie leer sind. Es war seit jenem Abend des Maskenballs das erste Mal, daß ich Lady Maria begegnete; der Anblick meines, ihrer Eitelkeit entzogenen Kleides konnte nicht dazu beitragen, ihr das Andenken jenes Abends in einem mildern Lichte erscheinen zu lassen, und so war ihr jede Gelegenheit mich zu[214] demüthigen willkommen. Sie fand sie bei Veranlassung eines Tanzes, in welchem sie mich von meinem Platze verdrängte. Lord Friedrich, der mein Partner war, suchte die Sache beizulegen, allein die Umstehenden waren wenig geneigt, ihm behülflich zu seyn, so daß ich tief gekränkt den Reigen verließ. Lord Friedrich führte mich auf meinen Platz zurück, er nahm den Augenblick wahr, mir den Vortheil zu zeigen, den ein einziges Wort mir über Lady Maria geben könnte; und was seine leidenschaftlichen Bitten nicht vermocht hatten, bewirkte der gekränkte Stolz – ich willigte ein, mit Lord Friedrich nach Schottland zu fliehen.
Um allen Verdacht zu vermeiden, ward verabredet, daß wir Lady St. Edmond ins Vertrauen ziehen wollten; sie solle mich am folgenden Morgen in ihrem Wagen bis Barnet führen, wo mich mein künftiger Ehemann in Empfang nehmen würde; Miß Arnold gedachte[215] ich den Plan zu verschweigen, denn sie hatte mich vor wenigen Tagen mit weisem Kopfschütteln gebeten: im Fall ich je in eine Entführung willigte, möchte ich sie mit dem Geheimniß verschonen, da sie es für ihre Pflicht halten könnte, meinen Vater davon zu unterrichten. Von dem Augenblick an, wo ich das unselige Versprechen gegeben hatte, schien mir die Gesellschaft um mich her, der Saal, die Musik wie in einem undeutlichen Nebel zu schwimmen. Mein Gemüth war so erschüttert, daß ich mir wie aus mir selbst herausgetreten vorkam; Lord Friedrichs anscheinendes Entzücken hatte keinen Sinn für mich, ich sah die Dinge sich um mich drehen, ohne ihre Absicht und Bedeutung fassen zu können, so wie im Sonnenschein die Mücken vor unsern Augen schweben, ohne daß wir ihre Gestalten zu unterscheiden vermögen. Vergeblich warf ich mich in das Geräusch der Gesellschaft, suchte Gespräch, versammelte[216] die Männer durch mein Geschwätz, entfernte die Weiber durch Jener Beifall – das gegebne Versprechen stand zwischen mir und der Außenwelt, es trieb mich nach Hause, und vor dem Gedanken schaudernd, daß mir dann erst jenes Schreckbild recht nahe treten würde, war ich doch die Letzte unter denen, die in später Nacht die leer gewordenen Säle verließen.
Nach einer schlaflosen, der peinlichsten Unentschlossenheit dahingegebenen Nacht fand ich erst gegen Morgen einige Augenblicke unruhigen Schlummers; dennoch stand ich sehr früh auf, machte die nöthigsten Vorbereitungen zu meiner vorhabenden Reise und versuchte ein paar Zeilen an meinen Vater zu schreiben. Sie sollten ihn meiner kindlichen Liebe versichern, ohne mein Vorhaben zu verrathen. Aber wie unfähig war ich zu diesem Geschäft! Zehnmal setzte ich einige Zeilen zusammen, die mir nicht genügten, zerriß das Geschriebne und beschloß[217] endlich, diese Absicht erst dann, wenn mein Vorhaben ausgeführt sey, zu erfüllen. Sobald die Frühstücksstunde geschlagen hatte, begab ich mich aus meinem Zimmer, eifrig die letzte Gelegenheit, meinen Vater zu sehen, ergreifend und zitternd, ihm mit diesem Bewußtseyn unter die Augen treten zu sollen. An der Thür des Frühstückszimmers verließ mich fast der Muth; ich horchte auf seine Stimme, und wie alles stille war, fürchtete ich mich vor seinem Schweigen, seinem mir begegnenden Blick. Die Aufmerksamkeit eines Bedienten, den mein Zögern zu befremden schien, bestimmte mich endlich, die Thüre zu öffnen; schüchtern blickte ich nach meines Vaters gewöhnlichem Sitz – er war leer. Eine Last fiel mir vom Herzen. »Wo ist mein Vater?« fragte ich den Diener. – »Er ging aus und hat hinterlassen, daß er nicht zum Frühstück zurückkehren werde«, war die Antwort. Das war mir eine ungewohnte[218] Erscheinung! – Das Frühstück war die Vereinigungsstunde der Familie, die meinen Vater immer herbeigezogen hatte; sollte er sie heute versäumen, so mußte ich ohne einen Blick des Segens hinwegscheiden, heute besonders, nachdem ich bei unserm letzten Zusammenseyn seinen Unwillen erregt hatte. Das konnte ich nicht ertragen, und der Vorsatz, mein Vorhaben aufzugeben, keimte in meinem Herzen. Ehe er aber zu einem festen Entschluß gereift war, hielt Lady St. Edmonds Wagen vor dem Hause. Ich eilte sie zu empfangen, führte sie bei Seite und beschwor sie, wenigstens heute, den einzigen Tag, meine Reise zu verschieben; meines Vaters Abwesenheit mache es mir unmöglich, das Haus zu verlassen. Sie schalt meine Schwäche, sie bewies mir, daß grade diese Abwesenheit mir die Gefahr mich zu verrathen erspare, und wie bald ich ihn, da sie an seiner schnellen Versöhnung gar nicht zweifle, wieder[219] sehen würde; sie stellte mir das Unrecht vor, das ich an Lord Friedrich begehe, die Gefahr, einen so leidenschaftlichen Liebhaber aufs Aeußerste zu treiben. – Durch ihre Beredsamkeit gewonnen, zeigte sich mir mein Vorhaben von einer andern Seite, als die, welche mich bisher beschäftigt hatte, und mein Schwanken benutzend, riß mich Lady St. Edmond mit sich fort. Noch eilte ich vorher zu der Freundin meiner Jugend, um ihr, da sie keinen Theil an meinem Geheimniß nehmen durfte, ein zweideutiges Lebewohl zu sagen. »Julie«! rief ich, ihre Hand drückend, »ich entferne mich auf kurze Zeit. Vermißt mich mein Vater, so ersetzen Sie mich bei ihm. O Julie, wenn Sie mich je geliebt, so bezeigen Sie ihm die kindliche Ehrfurcht, die – ich ihm schuldig gewesen wäre!« – Meine zitternde Stimme, mein bewegtes Gemüth hätten mich Miß Arnold verrathen müssen; allein sie war entschlossen, ein[220] Geheimniß nicht zu entdecken, das ihr zu wissen nachtheilig werden konnte. Nachlässig sagte sie mir Lebewohl, und kein Lächeln des Wohlwollens war im Augenblick des Scheidens von ihrer Jugendfreundin auf ihrem Antlitz sichtbar.
In einer völligen Betäubung aller meiner Gefühle fuhr ich vom Hause ab; wie ich meiner wieder deutlich bewußt ward, befand ich mich schon in ganz fremden Umgebungen, die ich nicht mit meiner Vergangenheit reimen konnte, die mir meine Zukunft nicht errathen ließen. Lady St. Edmond verwendete ihr freundlichstes Geschwätz, um meine Aufmerksamkeit auf angenehme Gegenstände zu lenken; sie drang mir das Versprechen ab, gleich nach erhaltner kirchlicher Einsegnung meiner Ehe in ihrem Hause eine Zuflucht zu suchen, schilderte mir die Annehmlichkeit meiner künftigen Verhältnisse, wenn ich, wie es mir gar nicht fehlen könnte, die verschiednen Glieder der Familie[221] du Burgh für mich gewonnen, und wie die Versöhnung mit meinem Vater, die ebenso wenig Schwierigkeit haben würde, dann meine Beruhigung vollenden müsse. Es gelang ihr, mein Gemüth zu beruhigen, so daß ich bei unsrer Ankunft in Barnet meine gewöhnliche Geistesheiterkeit größtentheils wieder gewonnen hatte. Wie der Wagen anhielt, und ich den Mann, dem ich mein ganzes Lebensheil zu übergeben gesonnen war, zu meinem Empfang bereit zu erblicken erwartete, drückte ich mich mit unwillkürlichem Grausen in den Winkel des Wagens zurück und ließ meine Begleiterin vor mir aussteigen. Da ich nur ihre Stimme hörte, die mich nachzukommen bat, raffte ich mich auf, ich folgte ihr in ein Zimmer, ich hörte, wie sie ihrem Bedienten auftrug, nach Lord Friedrich zu fragen; doch seine Antwort: er sey noch nicht angekommen, veränderte nur meine Lage, sie verbesserte sie nicht. Ich beantwortete[222] Lady St. Edmonds zuversichtliche Bemerkung: daß er unverzüglich, daß er in fünf Minuten eintreffen werde, mit einem spottenden Lachen. Die fünf Minuten gingen hin, auch zehn und längere Zeit. In größter Unruhe saß meine Begleiterin am Fenster, blickte der Straße entlang und hoffte bei jedem Hufschlag, bei jedem Rollen eines Wagens, es müsse der Erwartete seyn; ich schien gleichgültig den großen Ochsen von Durham und Godolphins Araberpferd, deren Abbildungen an der Wand hingen, zu betrachten, indeß meine Begleiterin mit zunehmender Unruhe alles aufbot, um Entschuldigungen wegen ihres Neffen Verweilen zu ersinnen. Eine Stunde mochte in dieser Spannung verflossen seyn, als ich auf eine ihrer Aeußerungen erwiederte: »Suchen Sie doch weiter keine Ursache, Mylady, Mylord hat unsere Verabredung vergessen, und somit verhindert uns nichts, nach der Stadt zurückzukehren,[223] welches ich Sie dringend bitte unverzüglich zu thun.« Sie widerstand mir zwar, bat mich, noch eine kleine Weile zu warten, weil sie gewiß sey, nur die unseligsten Ursachen könnten Lord Friedrich zurückhalten; doch forderte sie einige Erfrischungen und befahl, ihre Pferde zum Einspannen zu bereiten. Ueber diesen Anstalten ging abermals gegen eine Stunde dahin; ich erklärte nun, wenn Mylady nicht sogleich abführe, so würde ich Post nehmen und unverzüglich allein zurückkehren. Dieses bewog sie, anspannen zu lassen, aber ehe es geschehen war, sprengte ein Reiter vor das Haus, ich hörte ihn nach Lady St. Edmond fragen, und bevor diese die Thür des Zimmers erreicht hatte, trat ein Reitknecht Lord Friedrichs herein, gab ihr einen Brief und begab sich schweigend hinweg. »Endlich werden wir erfahren!« rief Mylady, indem sie den Brief erbrach. – Doch bei den ersten Worten fuhr[224] sie betroffen zusammen, und wie ich mit erzwungner Gleichgültigkeit und kalter Verachtung fragte, was die Ursache von meines Liebhabers Abtrünnigkeit sey, stammelte sie unzusammenhängende Entschuldigungen über das unangenehme Geschäft, ein Unglücksbote seyn zu müssen. – Dieses auf Lord Friedrichs Untreue deutend, bat ich sie mit bitterm Gelächter, sich darüber zu trösten, indem diese wohl das geringste Unglück meines Lebens seyn würde ... Nein, Miß Percy, nicht diese, nahm sie etwas beleidigt das Wort, aber Ihr Vater hat ... fassen Sie sich! es ist Ihrem Vater ... Mehr erlaubte ihr meine Bestürzung und Ungeduld nicht zu sagen. Mit dem Ausruf: »was hat mein Vater?« zog ich ihr hastig den Brief aus der Hand und las Folgendes von seinem Inhalt – denn diesen Brief hat der Zufall, gleichsam wie ein Denkmal vom Wendepunct meines Schicksals, mich aufbewahren lassen:[225]
»Theure St. Edmond! Mit dem Percy hat der Teufel sein Spiel gehabt. Er speculirte wie ein Narr und verlor nah an eine Million. Durch den glücklichsten Zufall von der Welt erfuhr ich es in dem Augenblick, wo ich nach Barnet abfahren wollte; ich mußte der Sache erst gewiß seyn, ehe ich Sie benachrichtigte, und so wurde der Bote verspätet. Ich gehe nun unverzüglich darauf aus, die Darnel zu beschwatzen. Das ist ein verdammter Tausch, denn die Percy ist das hübscheste Mädchen in London; aber wie's nun steht, hätte ich mir das Gehirn eingeschossen, wäre ich mit ihr bis Schottland gelangt. Suchen Sie das Mädchen zu beruhigen, wie es gehen will! Gut ist sie mir doch, und wenn ich das häßliche Shäpchen heirathe, habe ich auf Trost zu denken. Ich muß eilen mir die Darnel zu sichern, und sobald das in Richtigkeit ist, soll es Ihnen an den fünftausend Pfunden nicht fehlen.«[226]
Das Erstaunen, mit dem ich diesen Brief las, ward von der Furcht über meines Vaters Unfall zurückgedrängt. Ich hatte nie einen Gedanken an die Möglichkeit des Verlustes unsers Wohlstandes gehegt; bei der Sicherheit, mit der ich meinen Vater seine Geschäfte behandeln sah, schien mir eine unglückliche Speculation ganz unmöglich; seine erst vorgestern geäußerte Zuversicht, sein Vermögen in kurzem verdoppelt zu sehen, galt mir für eine untrügliche Zusage – ich hoffte, daß irgend ein falsches Gerücht Lord Friedrichs Habsucht irre geführt habe. Doch der weitere Inhalt dieses Schreibens empörte mein Innerstes; wohl war das ein glücklicher Zufall, der mich vor dem Elende, einem solchen Verworfnen zu gehören, befreit hat! rief ich laut und verweigerte Lady St. Edmond das Blatt, nach welchem sie ihre Hand ausstreckte. »Nein, dieses Blatt bewahre ich auf als Zeugniß der niedrigsten Verführung,[227] deren sich je ein Mann zum Verderben eines thörichten Mädchens bediente. Jetzt, Mylady, werden Sie doch durch nichts mehr zur Stadt zurückzukehren verhindert?« – Lady St. Edmond schien sehr herabgestimmt, ohne Einwurf folgte sie mir an den Wagen, und stumm traten wir unsern Rückweg an. Der Inhalt des Briefs ward mir immer klarer, ich verstand nun, welchen schändlichen Antheil meine Begleiterin an dem ganzen Vorgang genommen, ich überhäufte sie mit Vorwürfen, ich fühlte tief den Schmerz verrathner Freundschaft, mißbrauchten Vertrauens. Nach und nach wendete sich aber meine Aufmerksamkeit auf meines Vaters Lage; ich erinnerte mich jetzt des Briefs, welchen er, wie ich ihn das letzte Mal sah, mit so offenbarer Bestürzung gelesen, andre Umstände stellten sich mir gleichfalls in einem bedeutenden Lichte dar und vermehrten meine Angst. Sie nahm mit jedem Augenblick zu,[228] der Anblick der Straße, wo sein Haus lag, benahm mir den Athem, und wie der Wagen hielt, vernahm ich kaum Lady St. Edmonds Entschuldigung, mich nicht hinein zu begleiten. Kaum vermochte ich aus dem Wagen zu steigen, und mit zitternden Knieen trat ich in die langsam auf mein Klopfen sich öffnende Thür. »Hat mein Vater nach mir gefragt?« rief ich dem Diener entgegen. – »Nein, Ihre Gnaden.« – »Ist er zu Hause?« – »Er ist – er ist zu Hause, aber ...« Der Mensch schwieg, furchtbares Entsetzen in seinem Gesicht. – Eine ungeheure, gestaltlose Furcht ergriff mich, meine Seele erstarrte vor ihr, mein Verstand vermochte nicht ihr eine Form zu geben, einen Gedanken mit ihr zu verbinden – ich sank besinnungslos zu Boden.
O soll ich denn diese Bilder des Schreckens vor meinem Gedächtniß wieder aufrufen? soll ich die Wunden wieder öffnen, die keine[229] Zeit je geheilt? Muß ich den furchtbaren Weg Schritt vor Schritt verfolgen, der mich endlich bis zur Grenze des Wahnsinns geführt?. – Ich muß; denn mein Schicksal soll Andere vor dergleichen Schicksal behüten. – Zwar wird Wenigen ein so hartes, herbes aufbewahrt seyn, aber wenn ihr Kopf leichtsinnig ist, wie der meine, ihr Herz eigennützig, wie das meine, ihre Fantasie mit Nichtigkeiten angefüllt, wie die meine gewesen ist, so wird ihre Kraft auch einem geringern Unglück nicht widerstehen. – Deshalb fahre ich in meinen furchtbaren Erinnerungen fort.
Eine lange Sinnlosigkeit hielt mich umfangen, nur von einzelnen Schreckbildern meiner Vergangenheit in deutlichen Umrissen unterbrochen. Endlich erwachte ich aus diesem Zustand, ich befand mich allein in meinem Zimmer; meine Flucht, meine demüthigende Rückkehr, der Verrath an meiner Freundschaft, die Aussicht[230] auf gänzliches Verderben stieg plötzlich vor meinem Bewußtseyn auf. Alles, alles hat mich verlassen, rief es in meinem Innern, nur bei ihm, der mich zu lieben nie aufhörte, nur bei meinem Vater werde ich Theilnahme, Verzeihung, Liebe finden – und sey es in Armuth ... weiter ging meine Vorstellungskraft nicht; ich sprang vom Bett herab, ich eilte durch die halb dunkelnden Gänge in meines Vaters Vorzimmer. Wo sonst bei frühem Kerzenschein mehr wie ein Diener mir die Thüren eröffnete, war alles einsam und still; hastig trete ich in sein Cabinet, ein düstrer Abendstrahl leitet meine Blicke zum Sopha – da liegt eine Gestalt, die ich für die meines Vaters erkannte; sein Gesicht verhüllt, – Blut – Blut befleckte seine Kleider. – O das zu erzählen vermag ich nicht! –
Aus einer langen todähnlichen Ohnmacht erwachte ich zu einem Zustand, der von Raserei[231] nicht weit entfernt war. Kein Gedanke ward mir klar, keiner rief mich zu einer Pflicht, zu einer That auf, meine ganze Seelenkraft vermochte sich nur mit dem Bilde meines Elends zu beschäftigen. Wie eine undeutliche Stimme unter Sturmesgeheul in einzelnen Tönen schallt, wiederholten sich einzelne Worte meiner vernachlässigten Freundin, meiner theuren Miß Mortimer, in meinem trüben Gedächtniß, aber das Sturmesgeheul war mir lieber, und mit einer Art Bitterkeit, als habe ihre Prophezeiung mein Schicksal herbeigezogen, ließ ich diese schwachen Töne sich nicht zu einem verständlichen Sinne sammeln. Juliette – die Freundin meiner Kindheit, die Theilnehmerin all meines Glanzes, meiner Freuden, sie, glaubte ich, sey es, die mir jetzt Trost geben könnte, und mit der Ahnung, daß es doch eine Abwechslung im Gefühl meines Elends gäbe, sah ich mich, da mein Bewußtseyn wieder einige Klarheit[232] erhielt, in ihren Armen. Die ersten Thränen erleichterten mein gespanntes Gehirn, ich horchte auf ihre Stimme, die mir freundliche Worte sagte, und litt es endlich, daß sie mich, unter dem Vorwand, für meine Angelegenheiten zu sorgen, um bald wiederzukehren, verließ. Ich verband keinen bestimmten Sinn mit ihren Worten, und ihr lag es nur daran, mir zu verhehlen, daß kalter Eigennutz allein sie zu mir geführt, um noch, so lange es ihr die Umstände gestatteten, ihr Eigenthum, welches sie durch meines Vaters Güte gesammelt, aus seiner jammererfüllten Behausung zu schaffen.
Von neuem meiner trostlosen Einsamkeit überlassen, fühlte ich mich durch Juliens Besuch nur elender, weil er meinen Geisteskräften wieder eine gewisse Thätigkeit gegeben hatte. Ich nahm wahr, wie in den wenigen Stunden, die seit dem Umsturz meines Glücks verflossen,[233] alle Verhältnisse um mich her zerfallen waren. Unsere Dienerschaft ward ohne Rücksicht auf ihren persönlichen Charakter, wegen ihrer Geschicklichkeit, ihrer Gestalt, höchstens auf Empfehlung gewählt; die Bemühung, sie in ihrem Dienst zu bessern Menschen zu machen, fiel uns nie ein, in den Kreis unsrer Obliegenheiten aufzunehmen; von ihrer Herrschaft hatten sie nur das Beispiel unbegrenzter Bedürfnisse, gedankenloser Zerstreuung gehabt. – Was konnte sie an mich binden, da mir die Mittel, ein ungebundnes Leben fortzusetzen, geraubt waren? Zwei Tage hatten sie zu eigenmächtigen Herren ihrer Zeit gemacht, so daß ich nur mühselig die wenigen Dienste von ihnen erhielt, die mein hülfloser Zustand erheischte. Noch war keine Stunde nach Juliens Abschied verflossen, so trat, ohne einen Bedienten im Vorzimmer gefunden zu haben, ein unbekannter Mann ins Zimmer, der mir andeutete, daß es[234] nöthig sey, meine Schränke zu versiegeln, indem man erfahren, daß einige Juwelen von Werth in meinem Besitz seyen; ich möchte aber vorher die mir nöthigen Kleidungs- und Wäschvorräthe herausnehmen. Gewohnt, nur mit der schonendsten Ehrerbietung behandelt zu werden, mein Zimmer nie von Jemand betreten zu sehen, als der den Zutritt wie die schmeichelhafteste Gunst zu erkennen verstand, fühlte ich mich durch den unerwarteten Eintritt dieses Mannes tief verwundet, noch mehr aber durch sein Geschäft, das mir den beleidigendsten Verdacht anzudeuten schien, auf das heftigste empört. Hätten alle Juwelen Indiens zu meinen Füßen gelegen, ich würde sie ihm unberührt, wie alle meine Schlüssel, übergeben haben, und durch diesen traurigen Stolz brachte ich mich um eine Menge kostbarer Kleinigkeiten, die mir eine geringe Hülfe für meine nächste Zukunft gewährt haben könnten. Aber nach diesem[235] Vorgang war mein Entschluß gefaßt, ich sah die Nothwendigkeit ein, meines Vaters Haus zu verlassen, und schrieb Miß Julie einige Zeilen, in denen ich sie bat, mich sogleich zu sich abzuholen, um ihren jetzigen Aufenthalt zu theilen. Sie hatte mir hinreichende Gründe anzugeben gewußt, warum sie, gleich nach der schrecklichen Entscheidung von meines Vaters Schicksal, den Befehlen ihres Bruders, ihres Vormunds, gehorchen und sich in sein Haus begeben müssen. Jetzt schien mir dieses ein glücklicher Umstand, und die einzige Bedingung, die ich ihr machte, war die Freiheit, die ich mir vorbehielt, nur sie allein zu sehen, nie zu irgend einem Umgang, auch nicht dem mit ihres Bruders Familie, gezwungen zu seyn. Kaum hatte ich das Billet abgeschickt, so sehnte ich mich ängstlich nach einer Antwort. Der Bediente kam mit dem. Bescheide zurück: Miß Arnold sey nicht zu Hause. Bisher das verzogne[236] Schooskind des Glücks, war Warten, Aufopfern, Entsagen mir fremd, und diese erste kleine Fehlschlagung fühlte ich als ein Unrecht, einen Mangel an Wärme der Freundin, von der ich nicht vermuthet hatte, daß sie in diesem Augenblick nicht zu Hause sey. Wohin mochte sie gehen, indeß ich dem Elend, der Verzweiflung zum Raube ward? Was konnte sie anziehen, wenn ich sie bedurfte? Würde ich je sie verlassen haben, wenn ungleich geringere Uebel ihr meine Gegenwart wünschenswerth gemacht hätten? –
Mit solchen und viel traurigern Betrachtungen brachte ich die Zeit hin; bei jedem Geräusch hoffte ich eine Botschaft von ihr, nach jeder Viertelstunde hielt ich es für unmöglicher, daß sie die nächste noch ausbleiben könnte. – Aber die nächste ging hin und wieder die nächste und der ganze Abend, ohne daß eine Botschaft kam, und die tiefe Nacht, welche meine Hoffnung[237] abschnitt, vermehrte nur meinen Gram und ward nur durch kurzen ängstlichen Schlummer verkürzt. Der Tag brach an, ich stand früh auf, um bei Juliens Ankunft gleich bereit zu seyn, ihr zu folgen. Aber sie kam noch immer nicht; einsam genoß ich mein Frühstück, ich horchte mit verhülltem Gesicht auf die Ankunft ihres Wagens. – Wohin sollte ich blicken, wo nicht Geister verlornen Glücks mir begegneten? Dort der Platz, wo Maitland zum letzten Male stand, hier das Fenster, aus dem ich, um Miß Mortimers Abschiedsgruß zu entgehen, halsstarrig blickte, und neben mir der Platz, wo stets mein Vater gesessen! – Jetzt hörte ich einen Wagen vor das Haus fahren, ich eilte ihm entgegen, zu sehen. – Es war der Leichenwagen, der meines Vaters Sarg zu Grabe fahren sollte. –
Nachdem der Anfall wilden Schmerzes, den dieser Anblick in mir erregt hatte, vorüber war,[238] kehrte die Erwartung von Miß Arnolds Antwort mit peinigender Ungeduld zurück. Endlich blieb mir nur die Vermuthung, daß der Zettel ihr nicht übergeben worden sey, und ich bereitete mich, einen zweiten zu schreiben, als anstatt ihrer selbst eine schriftliche Antwort anlangte. Betroffen über die Nothwendigkeit, ohne ihren freundlichen Beistand das Haus zu verlassen, gebot ich mir, auch dazu Muth zu behalten, und eilte die Gründe ihres Verfahrens zu lesen. – Sie schrieb sehr wortreich und nicht ohne einigen Ausdruck von Liebe: »wie es ihr sehr weh thäte, mir sagen zu müssen, daß ihr Bruder sich einem nahen Verhältniß zwischen ihr und mir widersetze. Freilich müsse sie ihm recht geben, daß ein Mädchen, dessen einziges Gut, so wie bei ihr der Fall sey, in einem unbescholtnen Ruf bestehe, ihre Freundinnen behutsam wählen solle; leider sey aber meine Entführung bekannt worden – und so müsse[239] sie um ihres Bruders willen meiner Gesellschaft entsagen. Wenn sie nun gleich für die Zukunft alle äußere Beweise von Anhänglichkeit sich verbitten müßte, würde sie nicht weniger meine dankbar ergebne Dienerin bleiben.«
Starr, wie ein Todter, blieb ich, nachdem ich diesen Zettel gelesen, bewegungslos sitzen. – Der Schlag hatte meine Seele gelähmt, er hatte mein Bewußtseyn vertilgt. Ich weiß nicht, was den allmäligen Uebergang dieses Zustandes in grenzenlose Verzweiflung in mir bewirkte – vielleicht nur die Rückkehr physischen Lebens – und Leben mußte bei solchen Umständen Verzweiflung seyn. Ich warf mich an den Boden, forderte mit wildem Geschrei den Tod heraus, mich vor einer Welt zu retten, wo Verrath, fühllose Härte und Eigennutz mich jeder Möglichkeit zu leben beraubt hatte. Wohl erinnerte ich mich, wie ich dies allgemeine Verdammungsurtheil über die Menschen[240] aussprach, daß noch ein Geschöpf in meiner Nähe lebe, welches mir einst sagte: »Wenn ich je Freundestrost brauche ...« – Aber meine Seele war erbittert, ich haßte die Menschheit und die Tugendhaften mit ihr und warf der von aller Welt abgeschiednen, durch Krankheit an ihre Wohnung gefesselten Miß Mortimer vor, mich noch nicht in den Tagen des Jammers aufgesucht zu haben, da ich sie doch in den Tagen des Glanzes hartherzig zurückstieß.
Noch lag ich also in tiefem Schmerz auf den Boden hingestreckt, als derselbe Mann, der gestern meine Schränke versiegelte, abermals eintrat. Ich raffte mich auf; die Stellung, in der er mich fand, der Blick, mit dem ich ihn empfing, mußten ihm Mitleid einflößen, denn er brachte sein Gesuch mit dem Ton schonender Theilnahme, achtungsvoller Behutsamkeit vor. Die Gläubiger meines Vaters wollten zur Aufzeichnung seiner Verlassenschaft[241] schreiten, das Haus sammt allem Geräth und aller Habseligkeit sollte verkauft werden, und man ließ mich bitten, einen andern Aufenthalt zu wählen. – Also ausgetrieben aus dem Hause, wo meine Mutter gelebt, wo meine Kindheit gepflegt, wo ich meinen Vater als Herrn herrschen gesehen, wo er mir der beste, gütigste Vater gewesen war – ausgetrieben, ohne eine Zuflucht auf Erden! und um die Zuflucht jenseits zu suchen, hatte ich ein verhärtetes Herz. Ich stieß einige bittere Worte gegen die Menschen aus, die meinen Vater ins Unglück gerissen, die nun wie Räuber in sein Eigenthum zu theilen sich beeilten. Der Fremde wies mich sanft zurecht, er bat mich, nicht der Feindseligkeit zuzuschreiben, was einfacher Gesetzesgang sey, und legte einige Banknoten vor mich hin, welche die Gläubiger mir einhändigten, um meine nächste Einrichtung zu bestreiten. Zugleich bat er mich, einen Freund herbeizurufen,[242] der meine Sache verträte, der mir Rath gäbe in einer Lage, welche mich der Fassung, für mich selbst zu sorgen, offenbar beraubt hätte. »Einen Freund!« rief ich mit bitterm Hohne, »o meine Freunde habe ich geprüft und habe sie so treu befunden, daß der dürre Buchstabe des Gesetzes, der mir dieses Almosen zutheilt – ich nahm das Päckchen mit Banknoten in die Hand – menschlicher mit mir verfährt, wie sie.« – Der Schmerz erstickte meine Worte, ich warf dem Unbekannten die Banknoten hin. »Da, nehmen Sie dieses zurück, ich werde nicht diese und keine andere Unterstützung gebrauchen.« – Der Mann verließ mich mit Erbarmen im Blick, und so vergiftet war mein Gemüth, daß ich diesen Blick aus meinem Gedächtniß verdrängte – ich bedurfte die ganze Tiefe des Jammers, um darin zu versinken.
Ich befahl, unverzüglich einen Miethwagen herbeizuholen, und ohne weiter ein Wort zu[243] sprechen, ohne einen Auftrag zu hinterlassen, ohne eine andere Regung, als ein convulsivisches Schaudern, wie ich an meines Vaters offnem, verödetem Zimmer vorbeiging, verließ ich das Haus und befahl, in eine enge, schmuzige, abgelegne Straße zu fahren, durch die mich einst mein Kutscher wegen eines aufgerißnen Steinpflasters führen mußte. Die Dunkelheit, das unheimliche Ansehn der Häuser hatte ein Bild in meiner Fantasie zurückgelassen, das sich zu meinem trostlosen Vorhaben eignete. Dort angekommen, befahl ich dem Miethkutscher, an dem ersten Hause, wo Zimmer zu vermiethen angeboten würden, zu halten. Nach mehreren vergeblichen Nachfragen fand sich ein kleiner schmuziger Laden, aus dem mir eine anständig aussehende ältliche Frau entgegentrat, die mir auf meine Frage versicherte, das einzige Zimmer, das sie vermiethen könne, stehe mir zu Dienst. Wie sie mich näher ins Auge faßte,[244] ward sie bei meinem Anblick bestürzt. Freilich konnte sie mein Verlangen, ihr Zimmer zu bewohnen, nicht mit meinem Ansehen reimen. Meine Trauerkleidung war mir von meiner Kammerfrau angelegt worden, sie war so kostbar, wie diese Tracht es zuläßt. Dieser Umstand und die Verzweiflung in meinen Zügen machte die Frau stutzen, sie bot mir einen Stuhl an und ging hinaus, mit dem Kutscher zu sprechen. Ich bemerkte das; es war mir ganz gleichgültig, eben so die Entschuldigungen der Frau, die mich bei ihrer Rückkehr versicherte, keinen nachtheiligen Verdacht gehegt zu haben. Bis zum Tod ermüdet, gab ich ihr meinen Beutel in die Hand, – er enthielt den letzten Rest des Ueberflusses, den ich nie zu berechnen Beruf gefunden hatte; es war eine armselige Summe für den, der im Schoose der Ueppigkeit gelebt, aber überzeugt, daß sie länger wie mein sinkendes Leben dauern würde,[245] gab ich sie sorglos dahin und forderte nur, augenblicklich in das mir versprochne Zimmer geführt zu werden. Mühselig schleppte ich mich eine steile, finstre Treppe hinauf und trat in ein dunkles, enges, dumpfes Gemach; an einer Seite stand in einer Vertiefung hinter einem geflickten, verblichnen Vorhang ein Bett, dessen mich zu bedienen, noch vor vier Tagen der höchste Grad von Müdigkeit mich nicht vermocht hätte; jetzt sehnte ich mich, mein brennendes Haupt auf diese elenden Pfühle zu legen, und hoffte mit Zuversicht, es werde nur kurze Zeit darauf ruhen.
Endlich war ich allein. Ich empfand eine furchtbare Freude, jetzt alle Banden, die mich an die Menschen knüpften, abgelöst zu haben und sicher darauf rechnen zu können, daß dieses verlorne Geschöpf, sobald es aus dem Winkel, in den es sich geflüchtet, auf den Kirchhof getragen wäre, in dem Andenken der Menschen[246] schnell und gänzlich vergessen seyn würde. Ein heftiges, mich völlig betäubendes Fieber überwältigte mich, ich rasete nicht, sondern lag in dumpfer Betäubung, welche die gutmeinende, aber rohe Sorgfalt meiner Wirthin und ihrer Tochter, eines kränklichen, mißgestalteten, widrigen Geschöpfs, oft zu stören versuchte. Ich erwachte dann, wies ihren Trost, ihre dargebotnen Erquickungen und eben so die sich vor meine Erinnerung drängenden Bilder der Vergangenheit von mir und sank in neue Dumpfheit zurück. Meine körperlichen Empfindungen schmeichelten mir mit nahem Tode; die Gluth, die mich verzehrte, lähmte meine Kräfte bis zur äußersten Hülflosigkeit, der bewußtlose Dumpfsinn, in dem es mir gelang, mich zu erhalten, schien mir Vorbote ewigen Schlafs.
Konnte ich denn aber wirklich in dieser Verhärtung des Herzens, dieser Gedankenlosigkeit über das Diesseits und Jenseits aus der[247] Welt gehen wollen? fiel denn kein Strahl der himmlischen Liebe in meine Seele? – Nein! Die, welche schmeckten, wie gütig der Herr ist, wenden sich im Unglück mit doppeltem Eifer zu seiner Güte; ich hatte ihn aber in meinen guten Tagen nie gesucht, darum konnte ich jetzt den Weg zu ihm nicht finden. So lange mir noch Kräfte blieben, schien mir das Loos, das mich getroffen, ein grausames Unrecht, denn ich hatte nie die Forderung an mich gemacht, besser zu seyn, wie ich war, hatte also keinen Begriff davon, weniger Glück zu verdienen, wie bisher das Leben mir geboten. Seit aber die Krankheit meine Kräfte gebrochen hatte, war dieser Trotz dahin – doch die Ruhe, die ihm folgte, glich der lebenverderbenden Erstarrung des todten Meers. Tage und Nächte gingen darüber hin, deren Wechsel mir beim unwillkürlichen Erwachen aus meiner Dumpfheit nur durch das tiefere und mindere Dunkel[248] meines Zimmers merkbar ward. Endlich ließ sich meine Wirthin nicht mehr durch meine strenge Weigerung zu sprechen, zu hören, Nahrung zu nehmen, abweisen; sie sah meinem Tod entgegen und fürchtete die Unannehmlichkeiten, die es ihr zuziehen könnte, eine Unbekannte ohne fremden Beistand gelassen zu haben, noch mehr, die Kosten ihrer Beerdigung tragen zu müssen. Wie sie wieder einmal vergeblich versucht hatte, ihrem Zureden Eingang zu verschaffen, sagte sie mir ohne Umschweife, daß mein ihr bei meiner Ankunft übergebner Geldvorrath erschöpft sey, und ich mir neue Mittel des Unterhalts verschaffen oder mich nach einer andern Wohnung umsehen müsse. Vor acht Tagen noch hätte diese Behandlung meinen Stolz aufs heftigste empört, jetzt empfand ich sie blos wie eine schnellere Beförderung zum Grabe und sagte gleichgültig: sobald ich ihre Mühe nicht mehr bezahlen könnte, wollte ich[249] sie davon freisprechen. Damit war diese Frau aber nicht befriedigt; sie schlug mir, wie sie schon oft gethan hatte, vor, meine Freunde von meinem Zustand zu benachrichtigen. Aber da berührte sie die eiternde Wunde meines Herzens – ich drückte mein Gesicht in das Kissen und antwortete nicht mehr. Nun fragte die Wittwe, ob ich denn gar keinen Gegenstand zum Verkaufen besäße, und deutete auf einen Ring, den ich nie von dem Finger gelegt. Es war das einzige Andenken von meiner Mutter, das ich erhalten. Bis jetzt war mir der Werth desselben nicht deutlich geworden, ich hatte ihn, seit ich hier schmachtete, noch niemals bemerkt, doch nun besann ich mich plötzlich, woher er mir kam, und mit Härte befahl ich der Frau, zu schweigen, mir zu sagen, wenn der letzte Schilling meines Geldes ausgegeben sey, wo ich denn lieber auf der Thürschwelle sterben, als ihr einen Augenblick zur Last fallen wolle.[250] Beleidigt verließ sie mich und unterbrach den ganzen Tag über meine Einsamkeit nicht mehr.
Erst dieser Vorgang erinnerte mich an das, was mir bisher als das geringere Uebel entgangen war, an die gänzliche Armuth, die mich bedrohte. Allein, meine Lebensgeister zu einiger Thätigkeit zu spannen vermochte der Gedanke nicht, im Gegentheil diente er als neuer Beweis, daß ich dem Tode verfallen sey, und davon überzeugte mich die leidenvolle Unruhe in meinem Innern, der nagende Schmerz in allen Gebeinen, der sich meiner bemächtigte, die ich beide für die sichern Vorboten der Auflösung hielt. Kaum nahm ich wahr, daß die Nacht dem qualvollen Tag gefolgt war; glühende Funken kreuzten vor meinen Augen umher, die Dumpfheit meines Jammers ging in gänzliche Vergessenheit über, und die Krisis, die ich für den Tod gehalten, löste sich auf in einen heilbringenden Schlaf. Meine ungeschwächte Jugend[251] hatte gesiegt; die Dumpfheit selbst, welche meine Verzweiflung übertäubte, war vielleicht wohlthätig für meine Nerven gewesen, die gänzliche Entäußerung von Speise hatte den Gang der Natur ohne Störung gelassen – genug, ich erwachte mit hellem Bewußtseyn meines Unglücks, aber auch meiner Rettung vor dem sehnlich gewünschten Tod. Der Gedanke, Gott zu danken, erwachte nicht mit dem rückkehrenden Leben, bittere Angst um die Zukunft nahm von meinem Gemüthe Besitz, und mein noch schwacher Kopf arbeitete angestrengt, einen Weg zu ersinnen, der mich in einer Welt, die ich so feindselig hatte kennen lernen, zu einer Freistätte führte. Bei diesem Nachsinnen hatte ich gar nicht die Augen geöffnet, um zu sehen, wer so leise in meine Thür trat und sich meinem Bett näherte, ein lauter Ausruf schmerzlichen Erstaunens schreckte mich auf. – »Miß Mortimer!« rief ich, und der Anblick dieser[252] gütigen, verkannten Freundin weckte Erinnerungen in mir auf, die mein verstocktes Herz mit Fühllosigkeit umeisten. Sie vermochte nicht zu sprechen, schluchzend hielt sie mich in ihren Armen.
»Miß Mortimer, was wollen Sie hier?« fragte ich kalt und machte mich von ihr los. – »Was ich will, Ellen? das ist sehr ungütig, zu fragen, was ich will! Konnte ich erfahren, daß Sie litten, ohne zu Ihnen zu eilen? Kann ich Sie nicht trösten, oder doch trauern mit Ihnen?« – »Ich traure nicht und bedarf keinen Trost. Lassen Sie mich!« – »Nicht so, mein theures Kind! Es ist Ihnen nicht auferlegt, fühllos zu seyn. Wir wollen weinen über die harte Schule, in die Sie Gott geführt, aber nicht an seiner Barmherzigkeit zweifeln.« – »Barmherzigkeit? die zeigt er mir nicht. Er hat mich ohne Mitleid zur Erde getreten, und ich will liegen bleiben, bis diese Erde mich verschließt.«[253] – Der Schmerz über meine trostlose Seelenstimmung benahm Miß Mortimer lange die Fähigkeit zu sprechen; dann bat sie mich liebevoll, mehr Milde zu zeigen, und bei meinem Starrsinn rief sie mit aufgehobnen Händen gen Himmel: »O du Gott des Friedens, senke doch Sanftheit in dieses Herz, das du gewiß zu deinem Tempel geschaffen hast! Ich vermag hier nichts.« – Sie hatte sich halb abgewandt, wie sie dieses Gebet sprach, aber ich sah ihre weißen, abgezehrten Hände, die sie emporhielt, und hörte ihre Seufzer, ich erinnerte mich des hinfälligen Zustandes, in dem ich sie das letzte Mal getroffen, ich vermuthete, daß sie ihr Krankenzimmer nur verlassen, um mich aufzusuchen, um mir Hülfe zu bringen. Zu solchen Bemühungen konnte nur Wohlwollen antreiben; gänzlich verlassen, dem ganzen Menschengeschlecht unwerth war ich also doch nicht, ich fing an Güte für möglich zu halten, aber, noch ohnmächtig[254] gegen das Gift in meiner Seele kämpfend, wies ich ihr Anerbieten, mich zu sich zu nehmen, oder mich in diesem elenden Schlupfwinkel zu pflegen, halsstarrig zurück. Miß Mortimer ward innig betrübt, allein ihr wahrhaft christliches Gemüth hatte nicht, um Dankbarkeit zu ärnten, sich zum Liebesdienst erboten; meine Härte schreckte sie deshalb nicht ab. Wie ich im Schimmer des Glücks glänzend ihre Liebe abwies, glaubte sie ihr Leben höher schätzen zu müssen, als die Verpflichtung, ohnmächtiger Zeuge meiner Thorheit zu seyn; nun vom Blitz des Unheils mein stolzes Haupt gebeugt war, ertrug sie den Ausbruch meines feindseligen Geistes mit unerschöpflicher Geduld. Da sie sah, daß ihre Bitten, ihr in ihre Wohnung zu folgen, so wie die, ihre Pflege unter meinem traurigen Obdach anzunehmen, vergeblich seyn, ließ sie ab und entfernte sich, ohne mir ein bestimmtes Lebewohl zu sagen. Sie[255] hatte meinen starren Sinn nicht beugen können; allein die Eisrinde meines Herzens war erschüttert, so daß ich ihr, wie sie mit schwankendem Schritte mein Zimmer verließ, sehnsuchtsvoll nachsah.
Indem sie die Thür öffnete, schlüpfte der arme Fidel zu mir herein, er sprang an mein Bett herauf und drückte mir seine Freude, mich wiederzusehen, mit eben der stillen Innigkeit aus, die ihn einst meiner Mutter so lieb gemacht hatte. – Wird es der Seelenforscher begreifen, wird der Moralist mir verzeihen, daß die Liebkosungen dieses treuen Thieres endlich vermochten, was die Stimme der Freundschaft, die Vorstellungen frommer Vernunft nicht bewerkstelligen konnten? – Mein starrer Sinn brach bei den Bildern meiner Kindheit, die Fidel mir herbeirief, die Bitterkeit meines Herzens ward hinweggeschwemmt von den Thränen, die ich über dieses Thier vergoß.[256]
Miß Mortimer blieb nicht lange von mir entfernt, sie brachte mir nach kurzer Abwesenheit einige Erfrischungen, die meinen Gewohnheiten und dem Bedürfniß meiner jetzigen Schwäche angemeßner waren, wie die ekeln Gemengsel, die mir meine wohlwollende Wirthin in den ersten Tagen meiner Krankheit angeboten hatte. Wie sie eintrat, verbarg ich meine Thränen, aber ihrer erneuerten Bitte, sie in ihre friedliche Hütte zu begleiten, konnte ich nicht mehr widerstehen. Mit einem erschütternden Gefühl rückkehrenden Seelenlebens – denn ich glaube, daß der Herzensschmerz, welchen ich fühlte, wirklich daher entstand, daß die Lebensgeister die im Jammer vertrockneten Canäle wieder zu durchströmen begannen – hörte ich ihre sanften Worte an. Sie wolle sich nicht zu meinem Schmerze drängen, sagte sie, sie wolle mich nicht einmal einladen, um der Mahlzeit willen mein kleines Zimmer zu verlassen, es[257] würde ihr genügen, zu wissen, daß ich in ihrer Nähe sey, daß ich sie finden könnte, sobald ich ihrer bedürfe. Das Geständniß meines Unrechts drängte sich auf meine Lippen, allein dieses Geständniß, das in meinen glücklichen Tagen als Selbstüberwindung Werth gehabt hätte, konnte im Munde der Zerschlagnen, Wohlthaten Bedürftigen, wie demüthiges Werben um Versöhnung aussehen – ich versagte mir die Seligkeit der Reue und rief, Miß Mortimers Hände an meine Brust drückend: »Meine einzige, meine beste Freundin!« Und sie, die ganz Liebe, ganz Großmuth war, ließ sich mit diesen Worten genügen.
Nach wenigen Tagen, in denen mich Miß Mortimer mit der zärtlichsten Sorgfalt pflegte, fühlte ich meine Kräfte so weit hergestellt, daß sie es wagte, mich in ihre Wohnung überzuführen. Es war ein eben so schöner Morgen, als an dem Tag, wo ich ihr meinen ersten[258] Besuch gemacht hatte: eben so glänzend strömte das Sonnenlicht über das üppige Grün der Wiesen, eben so schwebten die Schiffe, deren blendend weiße Segel die erquickendsten Lüfte schwellten, auf dem silbernen Strom, nur das dunklere Laub der Bäume und die Färbung ihrer Früchte verrieth die Höhe des Sommers. Meine Freundin versuchte es, mich auf dieses fröhliche, lebendige Schauspiel aufmerksam zu machen, aber es erheiterte mich nicht – kalt wendete ich mein Auge von ihm ab und dachte, wozu einer Welt, wo Unrecht, Gram und Leiden ihre Herrschaft verbreitet hätten, dieser reizende Schmuck gegeben seyn möchte. Von allen Siegen der Ergebung in eine höhere Leitung, eines kräftigen Verstandes über das schwache Gemüth ist keiner lohnender, als wenn wir in jeder Lage fähig sind, das Gute, das uns der Augenblick bietet, zu genießen. Für mich, die ich noch immer mit[259] Gott haderte über den Weg, den es ihm gefiel mich zu führen, prangte die Natur umsonst in ihrer schönsten Pracht, ich stieß die Freude von mir, die sie dem ergebnen Herzen meiner Freundin zu genießen gab. Bei unsrer Ankunft in Miß Mortimers Wohnung begrüßte sie mich mit der innigsten Zärtlichkeit als Mitglied ihres Haushalts, sie führte mich sogleich in das mir bestimmte Gemach, das angenehmste dieses bescheidnen Hauses. Sehr niedliches, wenn gleich höchst einfaches Geräth bot mir jede Bequemlichkeit dar. Grüne Wände, schneeweiße Vorhänge, ausgesuchte Reinlichkeit verbreiteten Heiterkeit, und der Anblick der umliegenden Gärten durch ein großes mit Jasmin umranktes Fenster wiegte die Seele zur Ruhe ein. Ich fand eine kleine Zahl wohlausgewählter Bücher, und in den Schiebfächern eines Schrankes einen großen Theil meiner Wäsche und nützlichsten Kleidungsstücke, welche[260] Miß Mortimers Bemühung, von den mit meines Vaters Verlassenschaft beschäftigten Personen zurückzuerhalten, geglückt war. Wie viel ich ihr zu danken hatte, fühlte ich wohl, aber dadurch ward mir meine Bedürftigkeit nur fühlbarer, und seufzend folgte ich meiner großmüthigen Freundin Ermahnung, der Ruhe zu pflegen. Ich bedurfte ihrer sehr, für meinen geschwächten Zustand war die Ueberfahrt nach der Nähe von Greenwich – und der erste Versuch, dem Leben wieder anzugehören, eine schwere Ermüdung. – Matt sank ich auf das Reinlichkeit duftende Bett, das nach jenem jämmerlichen Lager, auf dem mich mein Siechthum festgehalten, als die größte Wohlthat hätte erscheinen sollen, und überließ mich dem Schlaf.
Der Abend sank, als ich bei den Tönen einer sanften Harmonie erwachte, die anfänglich wie ein Engelchor in der Luft zu verfließen schienen, bis ich, völlig vom Schlaf ermuntert,[261] Miß Mortimers fromme Stimme erkannte, die ihr Abendlied sang. Keine andre Stimme hätte die kindliche Dankbarkeit, die siegreiche Freudigkeit ihrer Seele so ausdrücken können, wie die ihre, und so wenig ich seit dem Umsturz meines Glücks fähig war, Dinge außer mir zu beobachten, zog doch diese Stimme, wie sie, auf der mildesten Abendluft getragen, zu mir herauftönte, meine Aufmerksamkeit an. Welchen Schatz besitzt sie denn, dachte ich bei mir selbst, der sie vor Andern so froh macht? Heute früh hörte ich sie ihren Morgen mit einem Lobgesang beginnen, und nach einem für Andrer Wohl in Mühe verlebten Tag geht sie unter Dankgebet der Nacht entgegen. Gewiß, ihr ist diese glückliche Stimmung angeboren, und außerdem – sie kannte ja nie eine beßre Lage, sie verlor nichts. Wohl ihr, daß Armuth und Beschränkung sie vor dem Betrug und der Härte der Menschen bewahrte! – Der Gesang war beendet, die[262] Stille um mich her überließ mich von neuem meinen quälenden Betrachtungen, und um ihnen zu entgehen, griff ich nach einem Buche, das neben mir auf dem Tische lag. Es war meiner Mutter Bibel. Vornan stand ihr Name, von ihrer eignen Hand geschrieben, dann der Tag meiner Geburt, endlich wurde mein Tauftag mit folgenden Worten erwähnt: »Diesen 11. Jenner 1775 habe ich Gott mein theures Kind gewidmet. Möge er dieses Opfer annehmen und reinigen, wenn es auch mit Feuer seyn müßte!« – Diese Worte erinnerten mich an die nie ganz vergessnen von meiner Mutter letztem Segen, und ich rief mit innigem Schmerz: »O Mutter, hättest du vorausgesehen, wie verzehrend das Feuer seyn sollte, das du zu meiner Reinigung herabbetetest, du hättest nicht so geschrieben, denn dein Herz war mild gegen einen Jeden, es hätte sich ja meiner erbarmt.« – Nun schlug ich eine andre Seite[263] des Buchs auf, welche, wie das Blatt zeigte, oft umgewendet seyn mußte; mein Auge erblickte die unterstrichne Stelle: »Könnte wohl eine Mutter ihren Säugling, den Sohn ihres Schooses vergessen? Ja sie kann es; doch nie vergesse ich deiner.« – Ich erinnerte mich dunkel, diese Worte von meiner Mutter im Gebet oft gehört zu haben; damals verband ich keinen Sinn mit ihnen, jetzt fielen sie mir auf, ich dachte nach, ob denn wohl ein so trostvoller Gedanke, den so viele Tausende der Millionen für wahr annähmen, der meiner Mutter Aufrichtung und Freudigkeit gegeben, ganz ohne Grund seyn könnte. Wenn er aber gegründet wäre, so würde ich ja nicht verlassen seyn; warum denn mußte ich erfahren, was nur den Verlassensten bestimmt seyn konnte? Diese Betrachtungen beschäftigten mich durch die ganze schlaflose Nacht. Nach und nach erzeugten sie aber die Frage in mir: warum, wenn[264] eine väterliche Macht unser Schicksal ordnet, auch wenn es uns mit Unglück niederdrückt, dennoch ordnet, warum habe ich nicht gesucht mich dieser Macht gefällig zu machen? warum gedachte ich ihrer nie, da doch mein ganzes Wohl in ihren Händen ruhte? – Sobald der Tag anbrach, griff ich wieder nach dem Buch, das meine Mutter getröstet, und suchte eine Antwort auf meine Frage und eine Entschuldigung meines Thuns. Die erste fand ich, je mehr ich las. Ich gewahrte, daß mein Leben den Bedingungen, unter welchen Gottes Friede verheißen wird, ganz entgegen gewesen sey; dieses Buch gebot Entsagung für sich und Bemühung für Andre; ich hatte einzig nach Genüssen gestrebt und für Andre nie das Geringste gethan. Mein leichtsinniger Verstand fragte ein paar Mal: was verbürgt dir denn, ob diese Vorschriften wirklich den Frieden Gottes versichern? daß Gott wirklich dein Vater seyn wird, wenn[265] du sein Kind bist? Aber da sprach eine laute Stimme in mir und deutete auf die Schriftstellen, die meine Mutter getröstet, und auf die Freudigkeit, mit der meine fromme Retterin über Armuth, Schmerz und Ansicht des nahen Todes siegte. Sie sagte, daß der jetzige Zustand meiner Seele in seinem unermeßlichen Jammer mir Ahnungen höheren Glückes gewähre, als ich im Rausche meiner ehemaligen Freuden niemals gekannt hatte. Ich las fort und dachte nach und befragte Miß Mortimer, die, ohne mich in dem Gang meiner Seelen-Entwicklung zu stören, nur antwortete, nie den nothwendig erfolgenden Fortschritten meines Nachdenkens vorgriff. Doch Ruhe fand ich noch nicht. Mein Verstand war zu ungeübt, und die Erinnerungen an mein vergangnes Leben zu demüthigend, um mich ohne Kampf zu einer klaren Ansicht meiner selbst kommen zu lassen. Wie ich die Thorheit meines bisherigen[266] Lebens zuerst einsehen lernte, wollte ich meine Selbstvorwürfe durch Scheingründe entkräften; deren Ohnmacht im Innern empfindend, leitete ich oft Gespräche mit Miß Mortimer ein, welche einzelne Puncte meiner Zweifel erhellen sollten; sie hörte mit unbeschränkter Geduld meine seichten und aus Widerstreben gegen eine bessere Ueberzeugung oft wiederholten Einwürfe an und achtete nicht auf die Unvernunft einer trostlosen Behauptung, mit der ich jeden Streit, in dem ich mir den Sieg nicht zu schreiben durfte, beschloß. Mein Dünkel mußte endlich unbedingt eingestehen, daß ich bisher ein unwürdiges, gedankenloses Daseyn geführt hatte, und daß es wohl Gottes Vaterliebe sey, die mir das Leben erhielt, um mir Zeit zu besserer Erkenntniß zu geben, und mir durch meine Freundin Mittel und Beispiel zu ihrer Erlangung zusendete. Dem trotzigen Untersuchen folgte ängstliche Anerkennung – ich wußte,[267] daß ich den Weg des Rechten verfehlt hatte, ich sah das Ziel vor mir, aber die Mittel, mich auf der rechten Bahn dahin zu erhalten, waren mir noch unklar. Kleinliche Gebetsübungen, Bußen, Entsagungen, quälten mich eine Zeit lang, konnten aber im Beisammenleben mit meiner ehrwürdigen Freundin, deren Frömmigkeit diesen Zwangsmitteln so fremd war, nicht lange bestehen.
Miß Mortimer blieb ihrem ersten Versprechen, meinem Aufenthalt bei ihr gar keinen Zwang aufzulegen, getreu; sie forderte mich nie auf, mein Zimmer zu verlassen, aber das Zusammenseyn mit ihr ward mir lieber in dem Maas, wie meine Begriffe über Leben und Bestimmung sich läuterten. Ich fing an ihren Krankenbesuchen und ihren Andachtsübungen beizuwohnen, ich arbeitete mit ihr an Kleidungsstücken für die Armen – aber wie verschieden war noch der Sinn, in dem sie dieses[268] alles that, von dem meinen! Sie erfüllte mit kindlichem Herzen ihren Beruf, so weit es ihre Kräfte erlaubten, das Beste des großen Haushalts ihres himmlischen Vaters zu befördern, ich strebte bänglich den gerechten Unwillen dieses Vaters zu versöhnen; sie sprach Dankgebete aus, ich verehrte den beleidigten Herrn. Die nähere Bekanntschaft, die ich bei den Krankenbesuchen mit den Armen machte, trug nicht dazu bei, meinen Empfindungen Milde zu geben. Ich hatte bisher ihren Zustand nur aus Schauspielen und Romanen gekannt, Almosen gab ich nur von meinem Ueberfluß dem Bettelnden, der mein Auge beleidigt, mein Ohr ermüdet hatte, und mit dessen traurigem Anblick ich keinen Begriff, als den des schnell vergeßnen Ekels, verband. Nun fand ich unter dieser Menschenclasse Laster, Schuld, halsstarriges Unrecht, Undankbarkeit, wie unter dem übrigen Menschengeschlecht. Mein Mitleid verlor den[269] Sinn der Liebe, es bedurfte einer Zeit, um mich zu belehren, daß Almosen nicht gegeben werden, um Tugend zu lohnen, sondern oft um das Laster, welches Folge des äußersten Bedürfnisses ist, zu entfernen; daß wir aber nie vernachlässigen sollen, mit gleichem Eifer einen guten Gedanken in dem Armen zu erwecken, als einem seiner physischen Bedürfnisse zu steuern. Wie sich mir nach und nach die Ueberzeugung aufdrängte, daß so mancher der Unglücklichen, die meine Freundin, indem sie sich manche Bequemlichkeit versagte, dem Untergang entriß, durch den Leichtsinn, die Unbilligkeit Reicher, wie ich noch vor kurzem war, in physisches und moralisches Elend gestürzt wurden, fing ich an mit Schmerz auf die Zeit zu blicken, wo ich Mittel hatte, so vielen zu helfen, und theilnahmelos vor den Hülfsbedürftigen vorüberging.
Eines Tages führte mich Miß Mortimer in[270] ihr Gärtchen hinaus, die warme Herbstsonne zu genießen; da bemerkte sie ein magres, barfüßiges kleines Mädchen, das seine braune Hand durch den Gartenzaun steckte und in echt bergschottischer Sprache ein Almosen erbat. Meine Freundin fragte nach den Umständen des Kindes, dessen Antworten aber durch seine fremde Mundart und große Schüchternheit ganz unverständlich wurden. Miß Mortimer nahm mein Anerbieten, lieber selbst die Wohnung des kleinen Mädchens zu besuchen, um sie in Stand zu setzen, von der Anwendung ihrer Gabe zu urtheilen, dankbar an, und so folgte ich diesem bis zu einem elenden Häuschen, das in einer der entlegensten Straßen von Greenwich lag. Wie mein Auge in der mich empfangenden Finsterniß die Gegenstände zu unterscheiden begann, erblickte ich auf einem elenden Lager eine abgemagerte Gestalt, deren Todtenblässe bei dem Anfall eines furchtbaren Hustens einer[271] dunkeln Röthe wich, wobei sein glänzendes Auge und unruhiger Blick ein verzehrendes Fieber verkündigte. Ganz in den mephitischen Dunstkreis des niedern Zimmers gehüllt, saß eine Frau an dem niedern Heerd und bemühte sich das rauhe, matte Geschrei eines kleinen Kindes zu beschwichtigen. Bei meinem Anblick sprang sie auf, mir ihren Schemel – den einzigen Sitz in dieser Wohnung, anzubieten, und der Kranke versuchte mit schottischer Höflichkeit, sich im Bette zu erheben, um mich zu begrüßen. Unfähig zu dieser Anstrengung, forderte er die Hülfe seiner Frau, die nach dem kleinen Mädchen, meiner Führerin, rief, ihr den Säugling abzunehmen, damit sie freie Hände bekäme, ihren Gatten zu unterstützen. Der Gedanke, dem schwachen Mädchen das Kind anvertraut zu sehen, erschreckte mich; unbedacht bot ich die Arme dar, es selbst zu übernehmen, und freudig überrascht reichte die Mutter mir es hin, als[272] ich voll Entsetzen seinen Zustand erblickte. – Es war von Kinderblattern wie mit einer Eiterkruste überdeckt, seine Augen, seine Nase waren verschwunden, sein Mund nur an den rauhen Klagetönen kenntlich, in denen er stöhnte – ein pestartiger Geruch umgab das elende Wesen – die arme Mutter hatte ihm, den Vorurtheilen ihres Landes gemäß, um, wie sie sagte, das Gift vom Herzen zu treiben, so viele Wärme wie möglich verschafft, sie sich selbst die nothwendigste Nahrung entzogen, um durch geistige Mittel den Ausbruch der Blattern zu befördern. Der Abscheu, den ich gegen das Kind bezeigte, kränkte sie bitter, sie mahnte mich an die flüchtige Dauer der Schönheit, denn auch ihr Knabe sey vor wenigen Tagen noch lieblich gewesen, und zeigte einen so anständigen, vom Elend ungedemüthigten Geist, daß ich beschämt dastand, Kummer in der Hütte verbreitet zu haben, wohin Trost zu bringen,[273] meine Absicht gewesen. Es gelang mir, sie zu begütigen. Nach mancher Verständigung erfuhr ich endlich, daß der wackre Mann ein Schotte sey, der in seinem Vaterlande ganz erträglich als Gärtner gelebt hatte; die Hoffnung, in England sein Glück zu machen, wo schottische Gärtner gesucht werden, lockte ihn an. Da es ihm nicht gleich gelang, Arbeit zu finden, gerieth er in große Bedrängniß, bis er es wagte, einen edeln Landsmann anzusprechen, Herrn Maitland, durch dessen Vorwort Herr Percy ihn auf seinem Gute zu Richmond als Gärtner anstellte. – Bei diesem Namen fuhr ich zusammen; aber schon zur Vorsicht gewöhnt, verrieth ich mich nicht, sondern fragte, ob sie Miß Percy gekannt hätten. Das nicht, sagte die Frau, denn sie wären den Tag in Dienst getreten, als die Herrschaft in die Stadt zog, und wenn Miß Percy zu kurzen Besuchen hinausgekommen sey, habe sie so viele bunte und fröhliche Leute[274] um sich gehabt, daß ihr keine Zeit geblieben sey, auf armes Gesinde zu blicken. Aber an ihrem Unglück sey sie doch schuld, denn gegen das Frühjahr habe sie darauf bestanden, einige schöne ausländische Pflanzen unerläßlich an einem gewissen Tage, zur Zierde bei einem großen Fest, zur Blüthe gebracht zu sehen. Campell, der den Auftrag erhielt, besorgte sie Tag und Nacht in dem stark geheizten Wärmehaus; sie hätte mehr wie einmal gesagt, wenn er schweißtriefend von da in Hemdärmeln durch Schnee und kalten Nebel zum Essen gekommen sey: »das bringt dir den Tod, du stirbst mit den Blumen, die gegen alle Natur getrieben werden.« So war's gekommen. Sein Athem ward ihm schwer und schwerer, seine Kräfte nahmen ab, aber gearbeitet mußte werden; in dem feuchten Frühling stand er und grub an den nassen Morgen und in den kalten Abenden, und wie mein Vater ihn nicht[275] mehr lohnen konnte, ward er abgedankt, und nun lag er auf dem langsamen Todbette, auf dem es seiner selbstsüchtigen Herrschaft jetzt an Mitteln gebrach, ihm Erleichterung zu geben.
Meine Seele litt im furchtbaren Bewußtseyn veranlaßten unwiederruflichen Unglücks. Ich fragte, ob Campell einen Arzt habe. – Kopflose Frage! Einen Arzt, wo es an Mitteln fehlte, sich Nahrung zu verschaffen! »Ach«, rief Campell, »hätte ich nur Mittel, nach Schottland zurückzukehren! dort würde ich bald wieder gesund. Die Luft ist dort so rein, man athmet so leicht!« – Dahin sollt ihr gelangen, rief ich lebhaft und reichte ihm meinen Beutel, ohne zu bedenken, daß es nicht mein Eigenthum sey, was ich gab, daß ich dieses wenige Geld, wie alles, was ich genoß, meiner Freundin verdanke, die es ihrem Bedürfnisse entzog. Meine nächste Sorge war um einen Arzt. In einem nahen Kramladen bezeichnete man mir die Wohnung[276] eines Herrn Sidney, zu der ich eilte; ich fand einen wohlgebildeten, anständigen jungen Mann, der mich höflich, aber mit sichtbarer Befremdung über meine Erscheinung anhörte. Obgleich ich durch die Erzählung von Campells Schicksal schmerzlicher, wie je, an meine vergangne Thorheit erinnert war, entging mir der günstige Eindruck nicht, den meine Gestalt auf ihn machte, ich empfand eine Genugthuung, die ich mir den nächsten Augenblick als eine Sünde vorwarf und, meine Kappe tief ins Gesicht ziehend, ihn auf den Weg zu Campells Wohnung begleitete. Der Arzt untersuchte den Zustand des Kranken, und mit der bittersten Seelenpein hörte ich seine mir mit wenigen leisen Worten gegebne Erklärung, daß für ihn keine Heilung mehr möglich sey. Ich mußte an die offne Thür treten, um nicht niederzusinken unter der Last meines Bewußtseyns. »Wer ist dieser Engel?« hörte ich Herrn Sidney[277] fragen. – Engel! das leichtsinnige Geschöpf, das zur Mörderin ward! – Ich wollte hinzutreten und durch Nennung meines Namens allen den Abscheu auf mich ziehen, den ich verdiente, aber der Muth fehlte mir, und die Worte starben auf meinen Lippen. Der Zustand des Kindes war weniger hoffnungslos; zweckmäßigere Behandlung half der Natur die Heftigkeit des Uebels ertragen, seine Augen öffneten sich wieder dem Lichte, und Leben und Gesundheit wurden ihm wieder geschenkt. Die Tage seines Vaters waren aber gezählt. Wie ich nach kurzer Zeit eines Abends ihm einige Labung darreichte, sank er zurück und hauchte ohne Todeskampf seinen Geist aus. Jetzt machten mir die kleinen Kunstfertigkeiten, mit denen ich ehemals wenige müßige Augenblicke ausgefüllt hatte, wirkliche Freude. Ich verfertigte mancherlei Kleinigkeiten, deren Verkauf mir die Mittel verschafften, die Rückreise von[278] Campells Hinterlaßnen nach Schottland zu bewerkstelligen.
So schmerzvoll dieser Vorfall war, trug er doch dazu bei, mich einen trostvolleren Blick in meine Zukunft werfen zu lassen. Ich hatte die Folgen meines selbstsüchtigen Lebens gesehen, hatte aber auch das Glück genossen, einen kleinen Theil davon wieder gut zu machen. Der Werth meiner Zeit ward mir anschaulicher. Die Entwicklung meiner geringen Geschicklichkeiten wurden mir wichtig, jedes kleine Gelingen gab mir Momente von Freude, die – wie jede reine Freude – je mehr und mehr den Sinn des Dankes zu Gott anzunehmen begann.
Seit mir Herr Sidney an des armen Campells Krankenbett bekannt geworden war, hatte er sich die Erlaubniß verschafft, Miß Mortimer zu besuchen, und sein angenehmes Betragen machte ihn zum willkommnen Gaste. Bei[279] wiederholten Gesprächen zeigte sich eine Denkungsart bei ihm, welche mir bewies, daß seine Grundsätze bei aller ihrer Rechtlichkeit nicht aus den religiösen Begriffen entsproßten, in welchen ich meine Beruhigungen suchte, in denen sie aber noch nicht fest genug begründet waren, um sie ohne Bekehrungseifer behaupten zu können. Ich ließ mich in Streitigkeiten mit ihm ein, bei denen ich nicht immer der siegende, aber nie der nachgebende Theil war; Sidney blieb immer Herr seines Gleichmuths und brachte mich am meisten um den meinen durch die Herzlichkeit, mit der er mich versicherte, es sey ihm an der Form des Denkens wenig gelegen, und er würde immer ruhiger über die Möglichkeit, die seine einst für meine hinzugeben, wenn er Menschen, wie Miß Mortimer und mich von ihr ihre Tugenden ableiten sähe. Ich hielt dieses für sträfliche Gleichgültigkeit gegen religiöse Ansichten und machte Miß[280] Mortimer Vorwürfe, daß sie, welche doch gewiß die gute Sache viel besser zu vertheidigen vermöchte, an unserm Wortwechsel niemals Theil nahm. »Ich fürchte, mein kaltes Blut zu verlieren und ihr dadurch zu schaden«, antwortete sie lächelnd. – »So wünschten Sie, daß ich Ansichten, von deren Falschheit ich überzeugt bin, scheinbar gut heißen soll?« – »Gar nicht, liebe Ellen, aber sie nicht bestreiten. Uns Weibern steht es überhaupt besser an, das Christenthum durch Beispiel, als durch Wortstreit zu lehren, und einem Mann, der wie Herr Sidney als ein Christ lebt, wird Gott gewiß auch die Gnade geben, wie ein Christ zu denken – das Wie und Wenn müssen wir nicht vorwitzig erzwingen wollen.« – Wie ich etwas kühler geworden war, sah ich wohl ein, daß Miß Mortimer recht hatte, und legte mir das Gesetz auf, die Wortkriege mit Herrn Sidney zu vermeiden – und diese[281] Nachgiebigkeit bestimmte vielleicht den wackern Mann, mir ernsthafte Anträge zu machen. Eine kurze Zeit lang ließen sie mich unentschlossen. Es war ein Ausdruck einfacher Wahrheit in ihnen, die sie mir, welche den Unwerth feuriger Versicherung vor kurzem auf eine so traurige Weise erfahren hatte, empfehlen mußte. Seine Persönlichkeit, seine Sitten, sein Ruf litten keine Einwendung; ich konnte mir nicht verhehlen, daß Miß Mortimers hinfällige Gesundheit mich mit dem Verlust meiner einzigen irdischen Stütze bedrohe, und Herrn Sidneys Hand mich dann allen den Leiden entziehen würde, die ich auf mich eindringen sah; aber ich liebte nicht, und wenn diese Heirath mich vor großen Uebeln schützte, so legte sie mir auch Pflichten auf, die es mir, ohne Liebe, sehr schwer schien zu erfüllen. Meine Vernunft schalt mich, eine als flüchtig geschilderte Empfindung zur Bedingung des[282] dauerndsten Lebensverhältnisses zu machen; allein sie trat auf die Seite meines Gefühls, wie sie sich überzeugte, daß dieses nicht eitle Vorzüge, sondern eine Ueberlegenheit des Geistes und des Charakters von einem Gatten fordere, um ihm, ohne Demüthigung meiner eignen Vernunft, gehorchen zu können. So lautete wirklich das Resultat meiner ernstlichen Erwägung von Herrn Sidneys Antrag; allein ich war mir damals bewußt und sage es jetzt ohne Hehl, daß ein Brief Herrn Maitlands, den ich gerade während meiner Ueberlegung empfing, mir das eigentliche Bedürfniß meines Herzens klar machte, zugleich aber auch meine Ueberzeugung, Herrn Maitlands Herz verloren zu haben, aufs neue bestätigte. Sein Brief enthielt kein Wort, welches sein ehemaliges Geständniß berührt hätte, aber wohl männlich herzliche Theilnahme an meinem Unglück, zärtliche Sorge für meine Wohlfahrt. Er suchte mir, mit[283] einem Vertrauen in meine Kraft, das diese Kraft hob, die Pflichten und den Gewinn meiner neuen Lage darzulegen, und erinnerte mich, daß Unabhängigkeit des Einzelnen nur durch den Gebrauch eigner Kräfte auf einem sichern Grund gewonnen werden könnte.
Ich machte Miß Mortimer mit meinem Entschluß, Herrn Sidneys Hand auszuschlagen, bekannt und erhielt erst nach manchem Einwurf ihren Beifall, mit dem Zusatz, daß sie zuversichtlich hoffe, Gott werde mir einen andern Beschützer für die Zeit der Gefahr senden. – »Der muß ich selbst seyn, meine verehrte Freundin«, sagte ich, mich muthiger zeigend, wie ich war. »Herr Maitland deutet mir in seinem Brief an, was die Basis meiner Unabhängigkeit seyn soll.« – »O meine gute Ellen«, rief Miß Mortimer, indem sie mich sorgenvoll anblickte, »die Sicherheit des Lebens-Unterhalts ist es ja nicht allein, die ein weibliches[284] Wesen bedarf! Rath und Zuspruch« ... »Verzeihen Sie mir, theure Freundin«, unterbrach ich sie, »diese kann mir Herr Maitland so gut geben, wie ein Gatte, er bleibt ja nicht ewig jenseit des Meers.« – Miß Mortimer seufzte. »Ja wenn die Frau, die er wählt, Ihre Beschützerin würde!« – »Eine Frau? Liebste Miß Mortimer, warum soll er denn eine Frau wählen? Sie haben einen sonderbaren Geschmack, Heirathen zu stiften!« – »Das ist eine Mühe, die ich mir seit einigen zwanzig Jahren, freilich nur für andre, gegeben habe«, erwiederte sie mit einem gutmüthig spottenden Lächeln und veranlaßte mich dadurch zum ersten Mal, um die Erzählung ihrer frühern Lebensverhältnisse zu bitten. Meiner geliebten Freundin Andenken ist mit dem Gebet derer, denen sie wohl that, von der Erde verschwunden, es lebt nur noch in meinem Herzen, aber ihr anspruchloses Leben ist mit Herrn Maitlands[285] Jugendgeschichte verbunden, und um dieser willen weihe ich ihr dieses Blatt.
Miß Mortimer und meine Mutter hatten die Freundschaft, die sie verband, von ihren Eltern ererbt. Ihre Väter fochten einer an des andern Seite und fanden auf demselben Schlachtfelde ihren Tod. Beide Wittwen zogen sich in die Einsamkeit zurück und widmeten sich ganz den ihnen obliegenden Pflichten. Mistriß Mortimers Loos war das leichtere, denn ein kleines väterliches Erbe sicherte ihre einzige Tochter vor Abhängigkeit; dagegen Mistriß Warburton die schwere Aufgabe geworden war, einen Knaben von hohem Geist und reichen Anlagen mit der Armuth zu versöhnen, und ein zartes, schönes Mädchen durch eine zweckmäßige Erziehung gegen die rohen Ansprüche einer freudelosen Welt zu bewahren. Des jungen Warburtons Fortschritte in den Wissenschaften waren der Stolz seiner Lehrer, die Freude seiner Eltern,[286] als seines Vaters Tod ihn aller Mittel, auf diesem Wege seine Ausbildung fortzusetzen, beraubte. Mit bitterm Schmerz mußte der Jüngling eine Beschäftigung suchen, wo die Arbeit des heutigen Tages den Unterhalt des morgenden sicherte. Tief gebeugt verbarg er dennoch sein Leid, um den Kummer seiner Mutter nicht zu vergrößern; Miß Mortimer, die Gespielin seiner Kindheit, blieb seine einzige Vertraute, sie theilte seinen Schmerz. Er beweinte eine Zukunft, die er mit ihr zu theilen gehofft hatte, und sie verhehlte ihm nicht, daß mit seinem Gelingen auch ihr Glück gesichert gewesen wäre. In dem ostindischen Hause, wo er sein freudloses Tagwerk abspann, fand er jedoch einen Freund, Herrn Maitland, der, obwohl sieben Jahr jünger wie er, anfangs seine Achtung und dann seine Liebe gewann.
Maitland war damals fast noch ein Knabe, aber ein großer, kräftiger, kecker Bergschotte;[287] seine Nerven waren durch harte Leibesübungen und rauhe Witterung gestählt, seine starke Seele hatte Kraft erworben bei einer Erziehung, welche keine andre Erholung, als Wechsel der Beschäftigung zuließ. Er hatte sein Vaterland auf den Befehl seiner Eltern verlassen, um sich dem Eigensinn eines Oheims zu fügen, der ihm nur unter dieser Bedingung ein reiches Erbe versprach. Das Andenken seiner Heimath war ihm unendlich theuer, allein von seinem Vaterhause sprach er selten; schweigend und zurückhaltend, entging er dem gemeinen Spott, der sich so gern über die Anerkennung armer Verwandten ausläßt. Er hatte erfahren, wie wenig der stumpfe Sinn der Menge den Eindruck begreifen kann, den ein Lied voll Einfalt, eine alte Sage von dem Ruhm der Ahnherrn hervorbringt, nicht wie der arme Bergschotte alle Schätze der Kunst gern hingegeben hätte, um nur noch ein Mal[288] in den Abgrund zu blicken, den kein Fuß vor dem seinen zu erklimmen gewagt, noch einmal die Kühle des Thales zu athmen, wo er nach seinem ersten Jagdabenteuer geruht hatte. Genuß und Arbeit hindert die Neugier; niemand aus der geschäftigen Menge, die den Handelslehrling umgab, fragte nach dessen Jugend-Geschichte, Warburton allein wußte, daß er ein Opfer gebracht, dessen Größe gleichgültigen Menschen nicht bekannt gemacht werden durfte. Maitlands Oheim, der eine sorgfältige Erziehung hochschätzte, bestand darauf, daß sein Neffe sich streng wissenschaftlich ausbildete, und war willens, ihn im gehörigen Alter die Universität besuchen zu lassen; bis dahin machte ers ihm aber zur Pflicht, täglich einige Stunden der Erlernung seines künftigen Berufs, des Handels, zu widmen. Trotz Maitlands Jugend fand Warburton doch in ihm den Gefährten, der ihn völlig verstand; in[289] classischen Sprachen war er fast so geschickt, wie jener; besaß er mehr Einbildungskraft, so hatte Maitland mehr Schärfe des Geistes und Auffassungsgabe und ertrug mit stiller Verachtung den Spott seiner Schulgenossen über seine befremdliche Aussprache. Warburton, dessen milde Sitten den seinen ähnlicher waren, gewann seine Zuneigung, ihr Geschmack stimmte zusammen, die wenigen Stunden, die er in dem Zahlamt zubringen mußte, unterbrachen auf eine wohlthätige Weise Warburtons drückend einförmiges Tagewerk, er horchte mit Entzücken auf Maitlands Beschreibungen seines an Naturschönheiten so reichen Vaterlandes – sie wurden Freunde, und Warburton vertraute ihm endlich die Zerstörung seiner Hoffnungen und das harte Loos, seine erworbnen Kenntnisse unvervollkommnet lassen zu müssen. Maitlands stärkere Seele schlug ein Mittel gegen dieses Uebel vor: er wies seinen Freund an,[290] wie er durch anhaltendere Arbeit und strengere Sparsamkeit eine Summe sammeln könnte, die ihm das Besuchen einer Universität möglich machen würde. Von diesem Augenblick an gab er selbst ihm das Beispiel von Arbeitsamkeit und Ersparen, die er ihm anempfohlen hatte. Er brach seinem Schlaf ab, er entsagte seinen Erholungen, um für einen Buchhändler Uebersetzungen zu liefern, er scharrte alles, was er von seinem Taschengelde erübrigen konnte, wie ein Geizhals zusammen, die Einladungen seiner Gefährten lehnte er ab, ihre Anschuldigungen der Knauserei beantwortete er mit nachlässigem Lächeln; allein wie sie ihn näher kannten, waren wenige von ihnen so schlecht, über ihn scherzen, und keiner so kühn, seine Verachtung zu zeigen. – Denn schon damals flößte Maitlands ernstes, rechtliches, offnes Wesen Achtung ein. Nach einer zweijährigen Beharrlichkeit zu gleichem Zwecke stellte[291] er seinem Freund die Frucht seiner Selbstverleugnung zu und fühlte sich mehr wie belohnt, als sich Warburton nun im Stand sah, ihn nach Oxford zu begleiten.
Wenige Monate vor Warburtons Abreise nach der hohen Schule ward Herr Percy, schon damals ein sehr reicher Mann, eines Regenschauers wegen genöthigt, in einer Pfarrkirche, wo eben Morgengottesdienst gehalten wurde, Obdach zu suchen. Francis Warburton war unter den Betenden und zog durch ihre Andacht, Sittsamkeit und zarte Schönheit seine Aufmerksamkeit auf sich; er ließ sich bei ihrer Mutter einführen und machte ohne Zögerung seine Anträge. Francis erschrack vor einem Liebhaber, bei dem die dreißig Jahre, die er mehr zählte, wie sie, nicht den größten Einwurf begründeten; aber er bot die großmüthigsten Bedingungen an; die Mutter befahl nicht, überredete nicht, sie sprach nur einmal von[292] ihres Sohnes Eduard Bedrängniß: »hätte er einen Freund, der ihn unterstützte«, sagte sie, »so würde er noch der Stolz meiner alten Tage!« – »Er soll ihn haben, diesen Freund!« rief Francis mit Thränen und versprach Herrn Percy ihre Hand. – Ihr Opfer sollte vergeblich seyn. – Warburton sollte nicht der Unterstützung bedürfen, die Reichthum zu geben vermag, noch der Beförderung, die Reichthum erkauft: – seine Gesundheit, durch die angestrengte Arbeit in dem Zahlamt geschwächt, war seinem jetzt freiwilligen Streben nicht mehr gewachsen, aber unempfindlich gegen die Gefahr, verfolgte er seinen anlockenden Weg, er verwarf die Warnung der Freundschaft, die ihm die traurigen Folgen voraussagte, und eines Morgens ward er todt an seinem Schreibtisch gefunden. Ein Aufsatz, durch welchen er sich die Bahn literarischen Ruhms, bürgerlichen Glücks zu öffnen gehofft hatte,[293] lag soeben vollendet vor ihm auf dem Tisch. –
Miß Mortimer und ihre Freundin weinten zusammen, meine Mutter fand bald durch meine Geburt einen Gegenstand der Liebe, welcher die Leere, die ihres Bruders Tod in ihrem Herzen gelassen hatte, ausfüllte. Miß Mortimer erhob ihren Blick in eine beßre Welt; sie suchte hier auf Erden nie wieder ihr Glück.
Maitland, durch feste Grundsätze gesichert, brachte seine Zeit, einzig mit dem Zweck seines Aufenthalts beschäftigt, unangefochten von den Thorheiten seiner Gefährten, in Oxford zu. Nachmals besuchte er, um seine Handelskenntnisse zu vervollkommnen, die größten Handelsplätze des festen Landes, machte die persönliche Bekanntschaft der gebildetsten Männer daselbst und umfaßte in seinem Bestreben alle Zweige der Wissenschaft, welche zu dem Handelsverkehr der Völker benutzt werden können. Im[294] fünf und zwanzigsten Jahre kam er zurück, um einen Hauptantheil an einem der größten Handelshäuser in Großbritannien zu nehmen; ehe er dreißig Jahre erreicht hatte, verhalf ihm der Tod seines Oheims zu einer ehrenwerthen Unabhängigkeit, und seine Handelsgeschäfte versprachen ihm ein Vermögen, das jeden Traum von Reichthum überstieg. Aber Reichthum war nicht Maitlands Leidenschaft, der geringste Theil seines Einkommens genügte einem Mann von so einfachem Geschmack, der sich an Mäßigkeit gewöhnt hatte und seine Freuden in der Häuslichkeit suchte. Der größte Theil desselben verlief sich in vielfachen Canälen, gleich unsichtbaren Quellen, deren Daseyn sich nur durch das üppigere Grün des Bodens verräth. Wie er der Negerhandel anzugreifen beschloß, ward er einzig von der Ueberzeugung der Wahrheit und des Rechts angetrieben. Da er selbst große Besitzungen in Westindien hatte, würde ihn[295] Eigennutz zu den Gegnern dieser Unglücklichen gezogen haben. Bei seinem wissenschaftlichen Nachdenken über menschliche und Staaten-Verhältnisse hatte er diesen Menschenhandel als das schmuzigste Schandmaal des Culturzustandes, als den schnödesten Spott des Eigennutzes gegen die Grundwahrheiten des Christenthums erkannt. Wie seine Bemühungen, dem Elend einer ganzen Classe seiner Mitbrüder im Allgemeinen ein Ende zu machen, fehlschlug, begab er sich auf seine westindischen Besitzungen, um den Zustand der geringen Zahl, die er selbst besaß, zu verbessern und sich die Kenntnisse über ihre Verhältnisse zu verschaffen, die ihm, bei erneutem Kampf für ihre Rechte, Waffen in die Hand geben konnten.
So war Maitland. Gern weilte ich bei seinem Bilde; vielleicht nicht ganz ohne weibliche Eitelkeit, gewiß mit schmerzlicher Erinnerung, daß ich einst fähig seyn konnte, das Herz[296] dieses edelsten Mannes zum Spielwerk meines Uebermuths machen zu wollen, und mit noch mehr Schmerz, daß dieser Uebermuth mich seiner Achtung beraubt hatte. Obschon ich ihm auf seinen obenerwähnten Brief antwortete, zeigte er kein Verlangen, den Briefwechsel fortzusetzen, erwähnte meiner gegen Miß Mortimer nur als einer gemeinschaftlichen Freundin und sprach von seiner Rückkehr nach England als von einem noch manches Jahr hinausgeschobnen Entschluß.
Die Erfahrungen, welche meine Thorheiten mich so schnell ärnten ließen, hatten mich so weise gemacht, daß ich meine Pflicht fühlte, Herrn Sidneys Heirathsantrag, da ich ihn nicht annehmen wollte, bald und unumwunden zurückzuweisen, so daß kein Zweifel über seine Zukunft ihm blieb. Ohne einigen Streit in meinem Innern ging es nicht ab. Herr Sidney bot sich mir als ein angenehmer Gesellschafter[297] dar, an dem meine Einsamkeit keinen Ueberfluß besaß. Die Gewohnheit, einen Mann um mich zu haben, den – wohl nicht mehr meine Laune, aber doch meine Wünsche regierten, ward mir schwer. Doch ich fing an, Pflichterfüllung zur ersten Bedingung meines Friedens zu machen, und stand also nicht an, dem wackern Mann meinen Entschluß, jetzt noch nicht zu heirathen, zu erklären. Sidney war ein Mann von gesundem Verstand und festem Sinn; nach einigem Kampf mit seiner Einsicht und seiner Redlichkeit ward er, da ich ihn ernstlich überzeugte, daß er mir nicht mehr seyn könnte, mein Freund, solchergestalt, daß unser Verkehr durch die Beseitigung seiner Ansprüche nicht einmal eine Veränderung erlitt.
Das Gegentheil in Herrn Sidneys Betragen wäre mir doppelt empfindlich gewesen, weil seine ärztlichen Besuche je mehr und mehr[298] durch Miß Mortimers zunehmende Leiden zur Nothwendigkeit wurden. Der Zufall führte mich darauf, ihm einst, in Betreff eines Linderungsmittels, welches er ihr verschrieb, einige die Scheidekunst betreffende Fragen vorzulegen. Er gab mir einen Aufschluß, der meine Wißbegierde reizte; in einem gleichförmig einsamen Leben ergreift man gern jedes Mittel, die Interessen zu vermehren, ohne die Gewohnheit zu stören; und so kam es, daß ich sein Anerbieten, mir etwas Chemie zu lehren, freudig annahm. Miß Mortimer hörte ihm mit Antheil zu, wenn er neben ihrem Krankenstuhl mir die Geheimnisse der Verwandlung der Substanzen, so weit der Mensch sie der Natur abgelauscht hat, erklärte, und lächelte freundlich, wenn ich von meinen kleinen Versuchen mit verbrannten Fingern oder gefärbten Nägeln zurückkam. Mein Lehrmeister konnte mir sehr wenig Zeit widmen, er wies mich mehr an, allein nach[299] Fortschritten zu streben, und so gering deren endlicher Erfolg war, lehrte mich dieses Bestreden doch zum ersten Mal, daß der Erwerb von Kenntnissen noch andern Genuß gewähren kann, als den, damit vor Andern zu glänzen.
Mein äußres Leben verfloß bei Miß Mortimer in solcher einförmigen Ruhe, daß ein Jahr und drüber dahinging, ohne daß ich eine Begebenheit aufzuzeichnen wüßte. Mein innres Leben war nicht ohne Wandel zwischen sträubender und ergebner Trauer, je nachdem ich die Vergangenheit empfand, oder die Zukunft berechnete. Oft überwog das Ermessen von der Größe meines ehemaligen Leichtsinns und den Folgen, die er gehabt, die Hoffnung, durch regen Eifer fürs Gute den versäumten Weg zu dem erhabnen Ziel, das ich nun ins Auge gefaßt, einzuholen. Oft unterdrückte auf eine Zeit lang die Aussicht in die öde, freudlose Zukunft, die vor mir lag, in das lange Leben,[300] an dessen Anfang erst meine frühe Jugend stand, mein Vertrauen zu meinem himmlischen Vater. Wie sich aber auch mein Sinn je zuweilen trübte, so waren es dennoch nur Sommerwolken, die vor der Sonne vorüberschweben und sich endlich in milden Thränenregen auflösen – nie mehr umhüllte mich der lichtlose, lebenlose Dunstkreis der herzlosen Thorheit, noch der furchtbar finstere Sturm, aus dessen Wüthen mich meine fromme Freundin gerettet.
Doch eben von ihr sollte die nächste Fluth des Schmerzens über mich einbrechen. So unerfahren ich in der Krankenpflege war, konnte es mir doch nicht entgehen, daß Miß Mortimers Gesundheitszustand sich verschlimmerte, und zugleich stieg der Verdacht in mir auf, daß sie durch Geldbedürfniß zu einer zunehmenden Sparsamkeit verbunden sey. Ich bemerkte, daß sie sich, unter dem Vorwand, kein Gefallen daran zu finden, manche Erquickung, die der[301] Arzt ihr vorschlug, versagte, und bald überzeugte mich ein Zufall von der Wahrheit meines traurigen Verdachts. An einem Tage, wo sie besonders leidend war, kam ihr Anwalt, um mit ihr zu sprechen; unfähig, seinen Besuch anzunehmen, bat sie mich, ihn zu verabschieden, und er hatte die Unvorsichtigkeit, mir, die er unterrichtet von ihren Angelegenheiten glaubte, einen Auftrag an sie zu geben, der mir verrieth, daß ihr ganzes kleines Vermögen durch meines Vaters Untergang verschlungen worden war. Bei dieser Nachricht glaubte ich vor Schmerz zu erliegen. – In dem Zeitpunct, wo sie sich der Mittel ihres Lebens-Unterhalts durch meinen Vater beraubt sah, hatte sie ihre wenige Baarschaft aufgewendet, um mich in meinem Elende aufzusuchen, hatte meine Zurückweisung ertragen, hatte mich gerettet und nun über ein Jahr vor mir ihre Armuth verborgen, hatte sich das Nöthige entzogen, um[302] mir einen Theil meiner verweichlichten Bedürfnisse zu verschaffen. Für meine Empfindung gibt es keine Worte, so wie damals es keinen Zügel für sie gab. Mit einer verzehrenden Gluth des Schmerzens in meiner Brust – wirklich dem körperlichen Gefühl nach verzehrend – eilte ich zu meiner Freundin; und wie sehr ich die Nothwendigkeit einsah, ihr keine Heftigkeit zu zeigen, so bat ich sie doch mit einem Strom von Thränen, mir einen Weg suchen zu helfen, auf dem mein Unterhalt ihr nicht mehr zur Last fiel. Mit Fassung und Engelmilde verweigerte sie meine Bitte: »Ich kann Sie nicht entbehren, meine gütige Ellen«, sagte sie, »man verbirgt mir nicht, daß ich Ihnen in wenigen Monaten Ihre Freiheit zurückgeben muß, aber bis dahin, Ellen, bis dahin verlassen Sie mich nicht! Lassen Sie mich nicht allein sterben!« Das war das erste Mal, daß der schreckliche Zeitpunct, den ich mir wohl[303] zuweilen als endlich erfolgend gedacht hatte, mir so nahe, so unausweichbar gewiß vor das Auge gerückt wurde. Mit Mühe konnte ich der Verzweiflung widerstehen. In mein Zimmer verschlossen, betete ich nicht, ach, ich bat nur um die Kraft, beten zu können, um die Weisheit, nicht in Aufruhr gegen Gottes Rathschluß zu gerathen; und nur allmählig besänftigte sich mein Gefühl so weit, daß der feste Wille, Gott zu vertrauen, wieder die Oberhand erhielt. Ich fühlte die Nothwendigkeit, durch irgend einen Erwerb Miß Mortimer aller Ausgaben für mich zu entheben, auf das quälendste, aber bei dem besten Willen standen mir überall meine fehlerhaften Gewohnheiten im Wege. Ich hatte mancherlei Modearbeiten gelernt, allein solche Bestrebungen hatten mehr das Vorzeigen im Gesellschaftskreis als ihre Vollendung zum Zweck. Eine Geschicktere, wie ich, ließ sich bezahlen, um mir eine Stickerei,[304] eine Nadelarbeit anderer Art in Gang zu bringen, ich setzte sie mit einem glücklichen, mir angebornen Geschick fort, und nach wenigen Tagen mußte jene, wenn deren Gebrauch eine Bestimmung hatte, sie vollenden, oder sie ward in ein Schubfach gesteckt und nie wieder berührt. Die Mühseligkeit des Anfangs, die Anstrengung der Fortsetzung, die Beharrlichkeit zur Vollendung waren mir sehr ungewohnt; ich arbeitete mit glühendem Gesicht, ich erweckte mich durch den Gedanken an meine leidende Freundin zehnmal aus einer Träumerei, während der meine Nadel ruhte, oder scheuchte mich durch diese Erinnerung vom Fenster zurück, wohin eine Blumenranke, ein Schmetterling mich gelockt und meines Fleißes vergessen gemacht hatte. Und wenn es mir gelungen war, eine kleine Summe zu erwerben, so verschlang sie das, was ich für mein persönliches Bedürfniß hielt. Ach, der in[305] Ueppigkeit Erzogne hat den Maasstab für das Nothwendige verloren! Ich besaß mehr, wie die mehrsten meiner Schwestern, und glaubte, weil ich allem Schmuck, aller Verzierung entsagt hatte, meine Bedürfnisse aufs strengste vereinfacht zu haben. War nun meine Kleidung bestritten, so blieb mir kaum eine Kleinigkeit, um sie für meine geliebte Kranke zu verwenden. Bei dem innigen Wunsche, mehr für sie thun zu können, hielt ich meine Augen mehr wie einmal auf den lieben Ring, das einzige Andenken meiner Mutter, geheftet. Wenn ich diesen verkaufte, dachte ich dabei, könnte ich lange, lange kleine Zuschüsse in Miß Mortimers Haushalt geben, denn ich glaubte ihn von ansehnlichem Werth; allein jedes Mal widersetzte sich mein Herz, ich sagte mir selbst, so ein theures Andenken müßte nur der dringendsten Nothwendigkeit aufgeopfert werden, und diese führte endlich ein nichtsbedeutender[306] Umstand herbei. Eines Tages, wie meine Freundin matt am offnen Fenster saß, trat eine Frau mit einem Korb des schönsten Obstes davor, den sie von der Straße herein darbot. Miß Mortimer, welcher der Arzt dessen Genuß vorgeschrieben hatte, schien mit einiger Sehnsucht nach den einladenden Früchten zu sehen, verweigerte aber davon zu kaufen. Schnell eilte ich zu der Obsthändlerin, suchte die schönsten Früchte aus ihrem Korb, verwendete den ganzen Erwerb daran, der mir für einen gemalten Lichtschirm geworden, und häufte meinen Schatz mit kindischer Freude vor der theuren Freundin auf. Meine Thränen flossen vor Freude, einzeln rollten ein paar Tropfen über Miß Mortimers bleiche Wangen, mit einem unbeschreiblichen, liebevollen, wehmüthigen Lächeln, das mir deutlich verkündete, sie wolle mir nicht meine Freude verderben, nahm sie einen Pfirsich,[307] und wie ihre lieben, schwachen Hände ihn hielten, sagte ihr gen Himmel gerichteter Blick, daß sie Gott danke, der seinen Menschen solche Labsale geschaffen. In diesem Vorfall schien mir die dringende Nothwendigkeit, welche den Verkauf meines Ringes bestimmen sollte, erschienen; ich eilte in der nächsten Stunde nach London, um mein Kleinod einem Juwelenhändler zu überlassen.[308]
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