Vierter Akt

[491] An der Südwestküste von Marokko. Palmenwald. Gedeckter Mittagstisch, Sonnensegel, Teppichläufer aus Binsen. Weiter drinnen im Hain Hängematten. Draußen auf dem Meer liegt eine Dampfjacht mit norwegischer und amerikanischer Flagge. Am Strand eine Jolle. Es ist gegen Sonnenuntergang.



Peer Gynt, ein hübscher Herr von mittleren Jahren, in elegantem Reiseanzug, eine goldene Lorgnette auf der Brust, führt den Vorsitz als Wirt am Ende des Tisches. Master Cotton, Monsieur Ballon nebst den Herren von Eberkopf und Trumpeterstråle sind im Begriff die Mahlzeit zu beenden.


PEER GYNT.

Getrunken, meine Herrn! Geboren

Zu leben, woll'n wir denn auch leben!

Es heißt: Verloren ist verloren,

Hin hin. Was darf ich Ihnen geben?

TRUMPETERSTRÅLE.

Du bist ein Prachtwirt, Bruder Peer.

PEER GYNT.

Es teil'n sich mit mir in die Ehr'

Mein Geld, Koch, Stewart –

MASTER COTTON.

Very nice!

Ein Glas zu dieser viere Preis!

MONSIEUR BALLON.

Monsieur, Sie ziert ein goût, ein ton,

Der nicht beim Zehnten heut zu finden,

Der (so wie Sie) lebt als garçon, –

Ein – ein – ich weiß nicht was –

V. EBERKOPF.

Ein Hauch,

Ein Schimmer geistiger Entnachtetheit

Und Weltenbürgertumgepachtetheit,

Ein scharfer Blick durch Dunst und Rauch,

Den keine Vorurteile binden,

Ein Abglanz höherer Verklärtheit,

Urstoffnatur samt Weltbelehrtheit,

Im Brennpunkt eins der Trilogie.

Nicht wahr, Monsieur; dies meinten Sie?

MONSIEUR BALLON.

Sehr möglich; klingen die Gedanken

Auch nicht so artig bei uns Franken.[492]

V. EBERKOPF.

Ei was! Die Sprach' ist auch zu steif –

Doch woll'n wir zu dem Phänomen

Den Grund ersehn –

PEER GYNT.

Ersehn wir den:

Ich trage nicht der Ehe Reif.

Ja, meine Herrn; ganz klipp und klar,

Das ist's. Was sei des Mannes Streben?

Er selbst zu sein – nicht wahr?

Sich und dem Seinen soll er leben.

Doch kann er dies als Trampeltier

Für andrer Glück? Bezweifl' ich schier!

V. EBERKOPF.

Doch dieses An und für sich-Dasein

Blieb, wett' ich, kaum unangefochten –

PEER GYNT.

Wohl wahr; zu seiner Zeit; doch mochten

Mir immer gute Geister nah sein.

Zwar kam es doch ein böses Mal,

Daß ich mich unverhofft verbrühte.

Ich war ein rascher, schmucker Schelm;

Und sie, die Dame meiner Wahl,

Sie war von fürstlichem Geblüte.

MONSIEUR BALLON.

Von fürstlichem?

PEER GYNT wegwerfend.

Nun ja, Sie wissen,

Von diesen –

TRUMPETERSTRÅLE schlägt auf den Tisch.

– adeligen Trollen!

PEER GYNT zuckt die Achseln.

Verstaubte Hoheiten, beflissen,

Plebejerflecken fern zu halten

Von ihres Stammes Wappenhelm.

MASTER COTTON.

Worauf Sie denn zusammenprallten?

MONSIEUR BALLON.

Die Eltern wollten die Partie nicht?

PEER GYNT.

Im Gegenteil!

MONSIEUR BALLON.

Ah!

PEER GYNT schonend.

Sie verstehn!

Es lagen Dinge vor, – nun, – die nicht[493]

Erlaubten mehr, zurückzugehn.

Doch all dies ging – warum's verschweigen! –

Von A bis Z mir widern Strich.

Ich bin in manchen Dingen eigen

Und lass' mich selbst nicht gern im Stich.

Und als der Schwiegervater nun

Gar mit der Fordrung kam geschwommen,

Namen und Stellung abzutun

Und um den Adel einzukommen,

Samt anderm, was schier unannehmbar –

Nicht peinlich bloß und unbequem war, –

So wehrt' ich sanft mich meiner Haut,

Empfahl mich auf sein Ultimatum –

Und Gotte meine junge Braut.


Trommelt auf dem Tisch mit scheinbarer Andächtigkeit.


Ja, ja; es herrscht denn doch ein Fatum,

Darauf wir Menschen bauen können; –

Ein Trost, der uns fürwahr zu gönnen!

MONSIEUR BALLON.

So war die Luft denn wieder rein?

PEER GYNT.

Bis auf ein Nachspiel, unergötzlich; –

Denn Unbefugte mischten plötzlich

Mit lautem Zeter sich hinein.

Zumeist des Hauses jüngre Glieder,

Mit deren sieben ich mich schoß.

Die Zeit vergess' ich wohl nie wieder,

Wiewohl ich sie mit Glück beschloß.

Da ließ ich Blut; doch dieses Blut

Hat meiner Seele Preis verteuert,

Und zeigt erbaulich, kurz und gut,

Wie weis' ein Fatum alles steuert.

V. EBERKOPF.

Ihr Weltblick auf der Dinge Gang

Erhebt Sie zu der Denker Rang.

Indes wir immer neuer Szenen

Planlose Flucht zu schauen wähnen

Und nie zum Schluß zu kommen meinen,

Verstehn Sie alles zu vereinen.

Sie messen stets mit gleichem Stabe.[494]

Sie spitzen zu, was Sie auch sprechen,

So daß die Wort' wie Speichen brechen

Aus einer Weltanschauungsnabe. –

Und Sie, Sie hätten nie studiert?

PEER GYNT.

Ich bin, das ist die Wahrheit, nackt,

Ein einfacher Autodidakt.

Methodisch hab' ich nichts gelernt;

Doch viel gedacht und spekuliert

Und mich von manchem Wahn entfernt.

Ich fing als ältrer Mann erst an;

Da heißt es, sich besonders rackern,

Um Seit' auf Seite durchzuackern

Und mitzunehmen, was man kann.

Die Weltgeschichte nahm ich schluckweis;

Mehr wollt' die Zeit mir nicht erlauben.

Und da man doch in schweren Putschen

An etwas Festes möchte glauben,

Anschloß die Religion ich ruckweis.

So kam das Ganze mehr ins Rutschen.

Man schlinge Wissen nicht wie Grütze,

Man nehme nur, was einem nütze –

MASTER COTTON.

Sieh, das ist praktisch!

PEER GYNT zündet sich eine Zigarre an.

Meine Besten;

Bedenkt doch nur, wie mir's gegangen.

Wie kam ich damals nach dem Westen!

Mit leerer Hand und roten Wangen.

Ich mußte kämpfen hart ums Brot;

Traun, Freunde, manchmal fiel mir's schwer.

Allein das Leben lockt doch sehr,

Und bitter, sagt man, ist der Tod.

Nun gut! Das Glück, seht, ward nicht flüchtig,

Noch Muhme Fatum gallensüchtig.

Es ging. Und da ich selber tüchtig,

Lief bald die Sache wie auf Federn.

Zehn Jahre drauf ward ich genannt

Ein Krösus unter Charlestowns Reedern.

Mein Name flog von Strand zu Strand;

Das Glück fuhr mit ihm ohne Wandel –[495]

MASTER COTTON.

Was trieben Sie?

PEER GYNT.

Meist Negerhandel

Nach unserm Staate Karolina –

Und Götterbilderfracht nach China.

MONSIEUR BALLON.

Fi donc!

TRUMPETERSTRÅLE.

Der Tausend, Onkel Gynt!

PEER GYNT.

Sie finden das Geschäft wohl an

Der Grenze zwischen Gut und Bös?

Mir schien es selbst zuweilen Sünd',

Ja, dann und wann, sogar odiös.

Der Fehler war, daß ich's begann;

Denn später weiß man nicht mehr, wie

Es ändern. Es bedankt sich nie,

Bricht man in solch 'nem Unterfangen,

Drin Tausender Int'ressen hangen,

Die Dinge rundweg übers Knie.

Dies »übers Knie« mißfiel mir immer;

Zudem entbrach ich nie und nimmer

Der Achtung mich vor –, meine Herrn,

Was man so nennet Konsequenzen;

Und alles Setzen über Grenzen

Lag immerdar mir ziemlich fern.

Zum andern naht' ich nun dem Alter,

Wo man des Lebens Gleicher schneidet

Und fast schon graue Haare trägt;

Und ging's auch gut mir, augenscheinlich,

So fiel mir's doch zu denken peinlich:

Wer weiß, wie bald das Stündlein schlägt,

Da des Gerichts gestrenger Walter

Die Schafe von den Böcken scheidet.

Was tun? Den ganzen Handel scheitern

Zu lassen, wies ich von der Hand.

Und so erfand ich einen weitern

Geschäftsbetrieb ins gleiche Land.

So oft ich Götter exportierte,

Zugleich ich Priester exklarierte,

Und zwar mit allem ausgestattet,

Als Strümpfen, Bibeln, Rum und Reis –[496]

MASTER COTTON.

Und mit Profit?

PEER GYNT.

Natürlicherweis.

So ging's. Sie schafften unermattet.

Für jeden Gott, dahin verkauft,

Ein Kuli gründlich ward getauft,

So daß das Gift neutralisiert war.

Der Kirche Feld lag niemals brach;

Denn jeden Gott, der kolportiert war,

Ihn hielt ein Missionar im Schach.

MASTER COTTON.

Nun, und die afrikanischen Waren?

PEER GYNT.

Auch dort schloß alles in Moral.

Ich sahe, das Geschäft empfahl

Sich nicht für Leut' in höhern Jahren

Man konnt' ja bald zur Grube fahren.

Wozu noch kam das Wehgeschrei

Von unsern Philanthropenbänken,

Um nicht der Kaper zu gedenken

Samt Wettersnot und Havarei.

Dies alles wußt' sich durchzusetzen.

Ich dachte: Peter, drehe bei!

Sieh zu, die Scharten auszuwetzen!

So kauft' ich mir denn Land im Süden,

Behielt den letzten Fleischimport,

Der auch von prima Sorte just war,

Und macht' sie fett, daß es, mein Wort!

Für mich wie für die Kerls 'ne Lust war.

Ja, traun, ich pflegt' sie ohn' Ermüden,

Mit wahrhaft väterlichem Zug, –

Was seine guten Zinsen trug.

Ich baute Schulen für die Leutchen,

Damit die Tugend bliebe munter

Und auf 'ner Höh', geheischt mit Fug,

Und hielt darauf, daß um kein Deutchen

Ihr Thermometer sank darunter.

Zum Schluß hab' ich von dem verdammten

Geschäft mich gründlich dann verschnauft –

Und die Plantag' nebst dem gesamten[497]

Inhalt mit Haut und Haar verkauft.

Zum Abschied für das ganze Schock,

So Groß wie Klein, gab's gratis Grog;

So Mann wie Frau bekam zu viel –

Und jede Witwe Schnupfbrasil.

Und darum hoffe ich, sofern

Das Wort nicht bloß Geklapper hohl:

Der, der nicht übel tut, tut wohl, –

So ist mein Fehl getilgt beim Herrn,

Und meiner Tugend sorglich Walten

Kann meiner Schuld die Stange halten.

V. EBERKOPF.

Wie hocherbaulich, hier zu sehen

Ein Theorem zur Tat gemacht,

Erlöst aus seiner grauen Nacht

Trotz allem widrigen Geschehen!

PEER GYNT der während des Vorhergehenden den Flaschen fleißig zugesprochen hat.

Wir Volk vom Norden, wir verstehen

Uns durchzuschlagen! In den Wirren

Des Lebens kommt's auf dies nur an:

Halt dir die Ohren zu! So kann

Kein Schlänglein arg dein Wandeln irren.

MASTER COTTON.

Kein Schlänglein arg, verehrter Mann?

PEER GYNT.

Ja, keins, das dich verführt zum Leiden:

Dich ganz zu etwas zu entscheiden.


Trinkt wiederum.


Die ganze Kunst, das Glück zu zwingen,

Die Kunst, den Mut der Tat zu haben,

Ist die: wahlfreien Laufs zu traben

Durch dieses Lebens tausend Schlingen, –

Zu wissen, daß zu keinen Tagen

Des Streites letzten Tag man schreibt,

Zu wissen, daß stets offen bleibt:

Ein Brücklein, Dich zurückzutragen.

Die Theorie war mir gerecht;

Sie war's, die meinen Wandel färbte,[498]

Und diese Theorie vererbte

Mir meines Heimatgaus Geschlecht.

MONSIEUR BALLON.

Sie sind Norweger?

PEER GYNT.

Von Geblüt!

Jedoch Weltbürger von Gemüt.

Was Gutes mir bislang geschah,

Verdank' ich meist Amerika.

Von wohlbestallten Bücherbrettern

Erbaun mich meine deutschen Vettern.

Von Frankreich kam mir meine Weste,

Mein Scherflein Geist sowie mein Schliff, –

Von England mein Geschäftsbegriff

Samt schärferm Sinn fürs eigne Beste.

Vom Juden mein »festina lente«.

Den Hang zum dolce far niente

Gab mir Italien auf den Weg; –

Und einstmals, auf gedrangem Steg,

Vermehrt' ich meiner Tage Zahl

Mit Hilf' von gutem schwedischen Stahl

TRUMPETERSTRÅLE erhebt sein Glas.

Ja, unser Stahl –!

V. EBERKOPF.

Der ihn geschwungen,

Sei vörderst huldigend umklungen!


Sie stoßen an und trinken mit ihm. Das Blut beginnt Peer zu Kopf zu steigen.


MASTER COTTON.

Dies alles ist vortrefflich baß, –

Doch, Sir, – die Frage will nicht ruhn, –

Was woll'n Sie mit dem Gold nun tun?

PEER GYNT.

Hm; was?

ALLE VIER näher rückend.

Ja, sagen Sie uns das!

PEER GYNT.

Nun, erstlich werden Weltbereiser

Seht, deshalb nahm ich Euch an Bord

Als Schiffsgesellschaft in Gibraltar.

Ich brauchte Tänzer, auf mein Wort,

Um meines goldnen Kalbes Altar –

V. EBERKOPF.

Höchst witzig!

MASTER COTTON.

Doch verreist ein Weiser

Wie Sie nicht nutzlos seine Tage.[499]

Man hat ein Ziel, ganz ohne Frage.

Und dies ist –?

PEER GYNT.

Kaiser werden.

ALLE VIER.

Kaiser?

PEER GYNT nickt.

Jawohl!

DIE HERREN.

Und wo?

PEER GYNT.

In aller Welt.

MONSIEUR BALLON.

Ja, wie denn, Freund –?

PEER GYNT.

Nun, durch mein Geld!

Ein Plan, nicht erst von gestern her,

Und dem ich treu blieb sonder Wanken.

Als Knab' schon ritt ich in Gedanken

Auf Wolkenrossen übers Meer;

Stieg auf in güldner Waffenziere, –

Und purzelt' ab auf alle Viere.

Doch trotzdem blieb ich unverzagt.

Es gibt da einen Spruch, der sagt,

Ich weiß nicht wo, daß, wenn ein Mann

Die ganze weite Welt gewann,

Doch sich verlor, so blüht' als Lohn

Ihm höchstens eine Dornenkron'.

So steht dort – oder ähnlich; und

Dies Wort hat seinen guten Grund.

V. EBERKOPF.

Und dieses Gyntsche Ich nun ist?

PEER GYNT.

Die Welt hier hinterm Schädelgitter,

Durch die ich ich bin und kein Dritter,

Wie Gott Gott und nicht Antichrist.

TRUMPETERSTRÅLE.

Das wirft auf alles neue Lichter.

MONSIEUR BALLON.

Sie sind ein Denker!

V. EBERKOPF.

Und ein Dichter!

PEER GYNT immer mehr in Stimmung geratend.

Das Gyntsche Ich, – das ist das Heer

Von Wünschen, Lüsten und Begehr, –

Das Gyntsche Ich, das ist der Reihn

Von Forderungen, Phantasein, –[500]

Kurz alles, was just meine Brust hebt

Und macht, daß Gynt als solcher just lebt.

Doch wie der Herrgott braucht der Erden,

Soll er bestehn als Gott der Welt,

So hab' auch ich Bedarf an Geld,

Soll ich ein rechter Kaiser werden.

MONSIEUR BALLON.

Sie haben's doch!

PEER GYNT.

Das würd' gelogen sein.

Ja, ja, vielleicht auf zwei, drei Jausen

Als Kaiserlein von Sondershausen.

Doch ich will ich in Bausch und Bogen sein,

Will Gynt sein, wo ich geh' und stehe,

Sir Gynt vom Scheitel bis zur Zehe!

MONSIEUR BALLON hingerissen.

Beschwör'n die Helena der Sage!

V. EBERKOPF.

Am ältsten Rheingewächs sich laben!

TRUMPETERSTRÅLE.

Die Degen Karls des Zwölften haben!

MASTER COTTON.

Doch erst 'ne Kapitalsanlage,

Die sich rentiert –

PEER GYNT.

Die eben fand ich;

Vergebens nicht ging hier an Land ich.

Heut abend dampfen wir gen Nord;

Denn Blätter melden mir an Bord

Ein Märlein, das so ernst wie neu ist –!


Steht auf mit erhobenem Glase.


Als ob dem alles allzusammen

Zum Glück hülf', der sich selber treu ist –

DIE HERREN.

Und dies ist?

PEER GYNT.

Hellas steht in Flammen.

ALLE VIER.

Die Griechen –?

PEER GYNT.

Brachen ihre Dämme.

DIE VIER.

Hurra!

PEER GYNT.

Und Mahmud ist in Klemme!


Leert sein Glas.


MONSIEUR BALLON.

Nach Hellas! Auf! Uns ruft die Ehre!

Ich helf' mit meiner fränkischen Wehre![501]

V. EBERKOPF.

Ich mit Aufrufen, aus der Ferne!

MASTER COTTON.

Ich will mit Lieferungen gerne –!

TRUMPETERSTRÅLE.

Ich hol' (die König Karl verloren

Zu Bender) die berühmten Sporen!

MONSIEUR BALLON fällt Peer Gynt um den Hals.

Verzeih'n Sie, Freund, ich hab' von Grund

Aus Sie verkannt!

V. EBERKOPF drückt ihm die Hand.

Ich dummer Hund,

Ich hielt Sie für 'nen Schelmen fast!

MASTER COTTON.

Das ist zu stark; nur für 'nen Narren –

TRUMPETERSTRÅLE will ihn küssen.

Ich, Vaterbruder, für 'nen Farren

Von allergröbster Yankeemast!

Vergib mir!

V. EBERKOPF.

Wir sind fehlgegangen –

PEER GYNT.

Was heißt das?

V. EBERKOPF.

Jetzo sehn wir prangen

Vereint das ganze Gyntsche Heer

Von Wünschen, Lüsten und Begehr –!

MONSIEUR BALLON bewundernd.

So mußt' sich Monsieur Gynt bewähren!

V. EBERKOPF ebenso.

Das heiß' ich Gynt sein – und mit Ehren!

PEER GYNT.

Ich bitte Sie –

MONSIEUR BALLON.

Verstehn Sie nicht?

PEER GYNT.

Ich lass' mich hängen, wenn ich's tue!

MONSIEUR BALLON.

Je nun, mein Bester, gehn Sie nicht

Nach Griechenland mit Schiff und Truhe?

PEER GYNT prustet spöttisch.

Ach, nein! Ich stütze den, der stärker,

Und leih' dem Türken meine Märker.

MONSIEUR BALLON.

Unmöglich![502]

V. EBERKOPF.

Witzig, – doch gescherzt!

PEER GYNT schweigt ein Weilchen, stützt sich auf einen Stuhl und nimmt eine vornehme Miene an.

Ich glaub', Ihr Herrn, wir stehn vom Fest

Nun auf, eh' daß der letzte Rest

Von Freundschaft sich verhimmelwärtst.

Wer arm ist, dem ist viel verstattet.

Wenn man vom weiten Rund knapp hat

Das Streiflein Staub, das man beschattet,

Ist man Kanonenfutter, glatt.

Doch hat sein Schäflein man geschoren,

Wie ich, so wäre mehr verloren.

Gehn Sie nach Griechenland! Ich sende

Sie gratis und bewaffnet hin.

Gut! Schüren Sie den Aufruhrsinn –

Und wirken so mir in die Hände!

Drauf los, für Freiheit und für Recht!

Gestürmt! In Türkenblut gezecht!

Und dann zuletzt ein Tod in Ehren

Auf schlanken Janitscharenspeeren. –

Doch ohne mich.


Schlägt sich auf die Tasche.


Ich bin nicht frei –

Und bin ich selbst, Sir Gynt. – Good by!


Er spannt seinen Sonnenschirm auf und geht in den Palmenhain, den Hängematten zu.


TRUMPETERSTRÅLE.

Der Schweinekerl!

MONSIEUR BALLON.

Kein Sinn für Ehre!

MASTER COTTON.

Ach, Ehre! Wenn es das nur wäre!

Doch denkt Euch: Unser Riesenschnitt,

Wenn nun der Grieche frei sich stritt –!

MONSIEUR BALLON.

Ich sah mich schon auf Türkenleibern

Bekränzt von Hellas' schönsten Weibern!

TRUMPETERSTRÅLE.

Ich sah in meiner Hand schon prangen

Die heldengroßen Sporenspangen![503]

V. EBERKOPF.

Ich meines großen Vaterlands

Kultur ausbreiten ihren Glanz –!

MASTER COTTON.

Das Schlimmst' ist doch der bare Schade.

Goddam! Welch Pech im höchsten Grade!

Schon sah ich den Olymp mir dienen.

Wenn seinem Ruf man darf vertraun,

Enthält der Berg noch Kupferminen,

Die man von neuem könnte baun.

Und dazu dieser Fluß Kastale,

Davon die Red' an dutzend Male,

Mit Fäll'n, berechnet ungefähr

Auf tausend Pferdekraft und mehr –!

TRUMPETERSTRÅLE.

Ich gehe doch. Mein schwedisch Schwert

Ist mehr als Yankeedollars wert!

MASTER COTTON.

Mag sein; nur daß wir, erst im Haufen,

In ihm elendiglich ersaufen

Und der Profit in Rauch verpufft!

MONSIEUR BALLON.

Verdammt! So nah dem Glück zu gasten,

Um so zu stehn an seiner Gruft!

MASTER COTTON mit geballter Faust nach dem Fahrzeug hin.

Dort liegt, in diesem schwarzen Kasten,

Des Nabobs güldner Niggerschweiß –!

V. EBERKOPF.

Ein königlicher Einfall! Sei's

Gewagt! Das wird sein Todespfeil sein!

Kommt! Kommt!

MONSIEUR BALLON.

Sie woll'n –?

V. EBERKOPF.

Ich will die Macht!

Die Mannschaft wird um wenig feil sein.

An Bord! Ich annektier' die Jacht!

MASTER COTTON.

Sie – was –?

V. EBERKOPF.

Ich mause, was ich find'.


Ab nach der Jolle hinunter.
[504]

MASTER COTTON.

Da heißt mein Vorteil mich geschwind

Mitmausen.


Folgt ihm.


TRUMPETERSTRÅLE.

Eines Schurken Schluß!

MONSIEUR BALLON.

Ein Diebsstück –! Mais – enfin! Man muß –!


Folgt den andern.


TRUMPETERSTRÅLE.

Dann muß auch ich – der Eintracht wegen –,

Doch protestier' ich laut dagegen.


Ihm nach und ab.

Eine andere Stelle der Küste.

Mondschein und treibende Wolken. Die Jacht sticht unter vollem Dampf in See.

Peer Gynt läuft den Strand entlang. Bald zwickt er sich in den Arm, bald starrt er hinaus übers Meer.


PEER GYNT.

Alpdruck! – Hirnspuk! – Wach' ich bald auf?

Sie sticht in See! Und in rasendem Lauf!

Bloßer Hirnspuk! Ich schlaf'! Ich bin trunken und toll!


Ringt die Hände.


Das geht doch nicht an, daß ich sterben soll!


Rauft sich das Haar.


Ein Traum! Ich will, daß ich träum' und schlaf'!

Entsetzlich! Zwecklos, daß ich mich sperre!

Diese Hunde von Freunden –! O, erhöre mich, Herre!

Du bist ja so weis' und gerecht –! O, straf' –!


Mit emporgestreckten Armen.


Ich bin's, Peter Gynt! Laß ein Wunder geschehn!

Nimm Dich meiner an, Vater; sonst muß ich vergehn!

Laß sie stoppen! Laß sie die Gig niederlassen!

Halt die Dieb' auf! Laß sie die Segel falsch brassen!

Hör' mich! Laß warten Kunz Tausendhändig!

Die Welt wird nicht schief gehn ob solcher Verwegenheit!

Ob er wohl hört! Er ist taub, wie beständig.

Das ist eine Wirtschaft! Ein Gott in Verlegenheit l


[505] Winkt aufwärts.


Pst! Ich treib' längst nicht mehr Niggerhandel!

Ich hab' China bekehrt zu christlichem Wandel!

Eine Handreichung ist doch der anderen wert!

O, hilf mir –!


Ein Feuerstrahl schießt aus der Jacht empor, von einer dicken Rauchwolke begleitet; man hört einen hohlen Knall; Peer Gynt stößt einen Schrei aus und sinkt nieder auf den Sand; nach und nach verzieht sich der Rauch; das Schiff ist verschwunden.


PEER GYNT bleich und leise.

Das war der Strafe Schwert!

Versunken mit Mann und Maus, wie ein Stein!

O, ewiglich will ich mein Glück benedein – –


Gerührt.


Ein Glücksfall? Nein, hier ist mehr geschehn.

Ich sollte siegen und die vergehn.

O, Preis Dir, daß Du der Not mich entrissen,

Im Aug' mich behalten trotz meinem Gebrest – –


Atmet tief auf.


Wie macht es doch wundersam fröhlich und fest,

Sich so separat behütet zu wissen.

Doch werden auch Hunger und Durst mich in Ruh' lassen?

Ach, ich finde wohl was. Das ist sein Gewerb'.

Das ist nicht gefährlich; –


Laut und einschmeichelnd.


Er wird doch nicht zulassen,

Daß ich armer, kleinwinziger Sperling verderb'!

Nur hübsch demütig sein! Und vergönnen ihm Frist.

Den Herren laß walten; Verzagen wär' töricht –


Fährt erschrocken zusammen.


Knurrte dort nicht ein Löwe im Röhricht –?


Zähneklappernd.


Nein, 's war wohl kein Löwe.


Sich ermannend.


Und wenn's einer ist!

Die Biester, die halten sich doch wohl beiseite.

Mit dem, der sein Herr, da liegt keins gern im Streite.[506]

Sie haben ja Instinkt; – da fühlen sie gewißlich:

Mit Elefanten zu spielen ist mißlich. – –

Doch trotz alledem, – ich such' mir 'nen Baum.

Dort wiegen im Wind sich Akazien und Palmen;

Erst droben, halt' ich den Kerl wohl im Zaum, –

Insonderheit, könnt' ich dazu ein paar Psalmen – –


Klettert hinauf.


Man soll nicht den Tag vor dem Abend loben;

Das Schriftwort hat mancher wohl schon bedacht.


Setzt sich zurecht.


Wie herrlich, so sitzen, den Geist erhoben!

Edel denken ist mehr, als Reichtum und Macht.

Bloß vertrauen auf Gott! Er kennt die Portion

Vom Kelch des Leidens, die wir vertragen.

Er ist väterlich gegen unsre Person; –


Wirft einen Blick aufs Meer und flüstert mit einem Seufzer.


Aber Ökonom, – nein; das kann man nicht sagen.


Nacht. Marokkanisches Lager am Rand der Wüste.

Wachtfeuer und rastende Krieger.


EIN SKLAVE kommt und rauft sich das Haar.

Des Kaisers weißes Roß ist verschwunden!

EIN ANDERER SKLAVE kommt und zerreißt sich die Kleider.

Des Kaisers heilige Tracht ward gestohlen!

AUFSEHER kommt.

Hundert jedem auf die Sohlen,

Der bis morgen nichts gefunden! –


Die Krieger steigen zu Pferde und galoppieren nach allen Richtungen fort.

Tagesgrauen. Die Baumgruppe von vorhin.


PEER GYNT auf dem Baume, einen abgebrochenen Zweig in Händen, hält sich einen schwarzen Affen vom Leibe.

Vertrackt! So unbequem schlief ich noch nie.


Haut um sich.


Bist Du wieder da? Mein Maß voll zu machen!

Jetzt werfen sie Früchte. Nein, andere Sachen.

Ein ekliges Tier, solch ein Affenvieh.[507]

Es steht zwar geschrieben: Du sollst wachen und fechten!

Doch ich kann nicht, weiß Gott, ich bin lahm und matt.


Wird wieder gestört; ungeduldig.


Was tun? Ich hab' das Unwesen satt.

Ich fang' mir einen von diesen Hechten,

Häng' ihn und schind' ihn und kriech' in sein Fell,

Sein zottiges, und der vermummte Gesell,

Was gilt's, fährt balde für einen echten. –

Was sind wir Menschen? Nicht mehr als ein Hauch.

Und man muß sich wohl finden in Schick und in Brauch.

Wieder ein Schwarm! Die Schufte sind zäh!

Packt Euch! Psch! Die tun wie Verrückte!

Wer mir nur jetzt einen Schwanz anstückte, –

Daß man mehr wie ein Tier aussäh' –!

Was nun! Da sind sie mir gar überm Kopfe –!


Blickt aufwärts.


Der Alte, – mit Fäusten voll von Schmutz –!


Kriecht ängstlich in sich zusammen und hält sich ein Weilchen still. Der Affe macht eine Bewegung; Peer Gynt beginnt ihm zu schmeicheln und schönzutun wie einem Hunde.


Je, je, – bist Du da, Du alter Butz!

Er ist anständig, gelt, zu mir armem Tropfe!

Er will gar nicht werfen; – das wär' nicht charmant; –

Ich bin's doch! Pip, pip! Wir stellen uns nicht nach, – nicht?

Eia, Eia! Da sag' noch, ich kennte Deine Sprach' nicht!

Butzchen und ich, wir sind lange bekannt;

Butz bekommt morgen Zucker –! Du Vieh!

Die ganze Ladung! Mich so vollzudrecken!

Oder war's Futter? Man konnt's nicht recht schmecken;

Doch da bestimmt meist Gewohnheit das Wie.

Sprach doch einmal welches Denkers Vernunft:

Man spuckt – und gewöhnt sich zuletzt in die Zunft? –

Da kommt auch der Nachwuchs noch!


Ficht und haut.


Närrisch bestallt,

Daß der Mensch, Herr der Erden und Himmelserbe,

Sich genötigt soll sehn zu –! Gewalt! Gewalt!

Die Rangen verstehn ihr verruchtes Gewerbe!


[508] Früher Morgen. Steinige Gegend mit Aussicht auf die Wüste.

Auf der einen Seite eine Felsenschlucht und eine Höhle.

Ein Dieb und ein Hehler in der Felsenschlucht mit dem Pferd und den Kleidern des Kaisers. Das Pferd, reich aufgezäumt, steht an einen Stein gebunden. Reiter in der Ferne.


DER DIEB.

Wie sie schillern und schlecken,

Die Zungen der Lanzen, –

Schau', schau'!

DER HEHLER.

Ich fühl' meinen Kopf schon

Im Sande tanzen;

Au, au!

DER DIEB kreuzt die Arme über der Brust.

Mein Vater war Dieb;

Sein Sohn muß stehlen.

DER HEHLER.

Mein Vater war Hehler;

Sein Sohn muß hehlen.

DER DIEB.

Dein Los trag' ergeben;

Dich selbst sollst Du leben.

DER HEHLER horcht.

Schritte im Gebüsch!

Wenn uns einer erspäht!

DER DIEB.

Tief ist die Höhle

Und groß der Prophet!


Sie flüchten und lassen die Kostbarkeiten im Stich. Die Reiter verlieren sich in der Ferne.


PEER GYNT kommt, eine Rohrflöte schneidend.

Wie holdselig ist diese Morgenstund'! –

Der Mistkäfer rollt seine Kugel im Dreck;

Aus seinem Schneckenhaus kriecht der Schneck.

Ja, ja, – der Morgen hat Gold im Mund!

Es ist doch im Grund eine seltsame Macht,

Womit so Natur das Frühlicht bedacht.

Man fühlt sich so sicher, fühlt alle Furcht schwinden,

Man würde, tät's not, mit 'nem Ochsen anbinden. –

Wie still's hier rings ist! Ja, die ländlichen Freuden, –

Unbegreiflich genug, daß ich einst sie verwarf;

Daß man einkerkert sich in finstern Gebäuden,

Bloß daß jeder Lump dir ins Haus rennen darf. –[509]

Nein, sieh, wie der Eidechs sich Schnaken fängt,

Schnappt, huscht, schnappt und an nichts dabei denkt.

Welch eine Unschuld solch Tier offenbart!

Jedwedes folgt seinem Schöpfer fein züchtiglich,

Bewahrt sich sein Sondergepräg' unverflüchtiglich,

Ist es selbst in jeglicher Lebensart,

Es selbst, es selbst, wie es ward, da es ward.


Setzt die Lorgnette auf die Nase.


Ein Krötlein. In einem Sandstein. Guck'!

Versteinerung rings. Nur der Kopf ist heraus.

Da sitzt es und sieht, wie aus einem Haus,

Auf die Welt und ist sich selber – genug. –


Denkt nach.


Genug? Sich selber –? In welcher Küchen

Ward das Wort gekocht? Wo las ich das schon?

In der Hauspostillen? Oder Salomons Sprüchen?

Vertrackt! Gestehe dir, alter Sohn,

Dein Gedächtnis spricht allem Anstand Hohn.


Setzt sich in den Schatten.


Hier ist ein Fleckchen für Bärenhäuter.

Ah, da gibt's Farren! Eßbare Kräuter!


Schmeckt ein wenig davon.


Das ist eher Brot für die Kreatur; –

Doch freilich, es heißt: Zwing deine Natur!

Des weiteren steht da: Hochmut vergehet.

Und wer sich erniedrigt, der wird erhöhet.


Unruhig.


Erhöhet? Gewiß, so wird mir geschehn; –

Es ist ganz unmöglich, sich's anders zu denken.

Das Schicksal wird meine Schritte lenken.

Dies ist eine Prüfung; ich werd' sie bestehn, –

Und für eine Zukunft, da Freude sein wird, –

Dafern der Herr mir Gesundheit verleihn wird.


Schüttelt die Gedanken ab, zündet sich eine Zigarre an, streckt sich aus und starrt in die Wüste hinaus.


Welch unermeßliche, endlose Leere! –

Dort in der Ferne schreitet ein Strauß. –[510]

Was im Gefüge des Weltenbaus

Gott wohl plante mit diesem Meere

Sandes, mit diesem alles versagenden,

Diesem verbrannten, niemandem tragenden; –

Diesem Bruch der Erde, der brach liegt!

Diesem Leichnam, der tempelschänderisch

In der Schöpfung reichem Gemach liegt!

Wozu ward er? Die Natur ist verschwenderisch.

Ist dies die See, dort im Osten, der Flor

Von Silber? Unmöglich! Nur Sinnenbetrug!

Die See liegt im Westen; zurück und empor

Gedämmt durch ragender Dünen Zug –


Ein Gedanke durchblitzt ihn.


Gedämmt? So könnt' ich –! Die Höhen sind schmal.

Gedämmt! Ein Durchbruch nur, ein Kanal, –

Und, ein Lebensstrom, würden die Wasser brüllen

Herein durch den Schlund und die Wüste füllen!

Bald würd' der ganze glühende Plan

Blaun, ein gekräuselter Ozean.

Die Oasen würden als Inseln ihn kleiden,

Bergküste würde des Atlas Grat;

Die Segler würden wie Sturmvögel schneiden

Der Karawanen ertrunkenen Pfad.

Lebenshauch würde zerstreuen das Qualmen

Der Dünste, und Tau würde triefen die Wölk';

Stadt um Stadt würde bauen das Volk,

Und Gras würde grünen um schwankende Palmen.

Südwärts der Sahara würd' alle Flur

Küstengebiet mit verjüngter Kultur.

Dampf würde treiben Timbuktus Fabriken;

Bornu bekäm' europäischen Stil;

Nach Habes hinauf würd' den Forscher man schicken

Im sichern Waggon bis zum oberen Nil.

Mitten im Meer, auf 'nem fetten Eiland,

Geb' ich der Norwegerrasse dann Freiland;

Das Gudbrandstal hat ja schier königlich Blut;

Kreuzung mit Arabern 's Übrige tut.

Auf einer Bucht ansteigendem Strand[511]

Geb' dann Peeropolis allem die Weihe! –

Die Welt ist abgelebt. Jetzt kommt die Reihe

An Gyntiana, mein junges Land.


Springt auf.


Nur Kapitalien, so sprießt es empor. –

Einen Schlüssel von Gold zu des Meeres Tor!

Kreuzzug dem Tod! Heraus aus der Katzen,

Geizhals, die zwecklos gehüteten Batzen!

Für Freiheit pocht es in allen Brüsten; –

Gleich dem Esel der Arche will rufen ich laut

Übren Erdball und bringen die Meerwasserbraut

Meinen harrenden, schmachtenden Zukunftsküsten.

Fort, fort! Kapital zusammengekehrt!

Mein Reich, – mein halbes Reich für ein Pferd!


Das Pferd wiehert in der Felsenschlucht.


Ein Pferd! Und Kleider! – Und Waffen – und Schätze


Tritt näher.


Unmöglich! Nein, wirklich –! Mir ward wohl gelehrt

Irgendwo, daß der Wille Berge versetze; –

Doch daß er sogar versetzt ein Pferd –!

Gewäsch! Genug: Dort Roß, hie Reiter; –

Ab esse ad posse und so weiter und so weiter –.


Zieht die Kleider über die seinigen an und blickt an sich herab.


Sir Peter, – und Türke vom Scheitel bis zur Sohl'!

Wer prophezeite wohl gestern solch Heute!

Spute Dich, Grane mein, preisliche Beute!


Steigt in den Sattel.


Güldne Pantoffel als Bügel! Ei wohl!

Am Reitzeug erkennt man die fürnehmen Leute!


Er galoppiert in die Wüste hinein.

Zelt eines Araberhäuptlings, einsam auf einer Oase.

Peer Gynt in seiner orientalischen Tracht, auf Polstern ruhend. Er trinkt Kaffee und raucht aus einer langen Pfeife. Anitra und eine Schar Mädchen tanzen und singen ihm vor.


CHOR DER MÄDCHEN.

Der Prophet ist erschienen!

Der Prophet, mit Allweisheit begabet,[512]

Der Herr, der Prophet ist erschienen,

Zu uns übers Sandmeer getrabet!

Der Prophet, der das Rechte stets triffet,

Uns ist er, uns ist er erschienen,

Zu uns durchs Sandmeer geschiffet!

Jauchzt zu Flöten und Tamburinen:

Der Prophet, der Prophet ist erschienen!

ANITRA.

Sein Zelter der Milch gleicht, der weißen

Die fleußt in des Paradieses Bronnen.

Beugt Euch! Kniet! Er ist gnädig gesonnen!

Seine Augen sind Sterne voll mildem Gleißen.

Doch welch Erdenkind trägt

Den Glanz des Glanzes, der ihnen entschlägt?

Durch die Wüste kam er.

Gold und Perlen entsprangen auf seiner Brust.

Wo er hinkam, ward Glanz und Lust.

Wo er schied, hat der Samum gewütet,

Wo er schied, Nacht und Dürre gebrütet.

Durch die Wüste kam er,

Kam geschmückt er einher,

Wie ein irdisch Geborener!

Die Kaaba, die Kaaba steht leer; –

Selbst hat's beschworen er!

CHOR DER MÄDCHEN.

Jauchzt zu Flöten und Tamburinen:

Der Prophet, der Prophet ist erschienen!


Die Mädchen tanzen zu gedämpfter Musik.


PEER GYNT.

Ich las mal gedruckt, – und darin liegt Verstand, –

Es gilt kein Prophet im eigenen Land.

Dies Leben hier will mir weit besser behagen

Als das eines Reeders in Charlestowns Tagen.

Es war etwas Hohles in all dem Betrieb,

Etwas Unklares, Fremdes, das blieb und blieb.

Ich fühlte mich nie recht daheim unter Dach,

So niemals ganz richtig als Mann von Fach.

Was wollt' ich auch dort nur, so frag' ich mich?

Ein Geschäftsgaul, ewig im Kreis herum traben?[513]

Denk' ich dran, wird mir ganz wunderlich.

Es traf sich so; da liegt der Hund begraben! –

Du selbst sein wollen von Goldes Gnaden,

Das ist, wie sein Haus auf Sandgrund errichten.

Vor Uhr und vor Ring und den andern Geschichten

Wälzt sich im Kot dir der ganze Schwaden.

Sie ziehen den Hut vor 'ner Brustnadel-Kron';

Aber Ring oder Nadel, ist das die Person?

Prophet; – die Stellung ist sonder Tadel.

Da weiß man doch gleich, was man gilt in der Welt.

Da ist man doch selber der Huldigung Held,

Besieht man's, und nicht seine Börs' oder Nadel.

Man ist, was man ist, und das glatt und blank,

Man schuldet nicht Zufall noch Ungefähr Dank,

Man braucht kein Patent nicht noch Privileg.

Prophet; ja, das ist für mich ein Gepräg'.

Und wie unerwartet mir diese Gift kam!

Bloß sintemal ich durch die Wüste geschifft kam

Und diese Naturkinder traf auf dem Weg.

Der Prophet war erschienen; die Sache war klar.

Es war also nicht mein Plan, zu betrügen –;

Zudem ist prophetisch antworten nicht lügen;

Und zurücktreten kann ich ja immerdar.

Ich bin nicht gebunden; das steht außer Frage –

Das Ganze ist, so zu sagen, privat;

Ich kann gehn, wie ich kam; mein Roß steht parat,

Mit einem Wort, ich bin Herr der Lage.

ANITRA nähert sich vom Eingang her.

Prophet und Herr!

PEER GYNT.

Meiner Sklavin Begehr?

ANITRA.

Harrend vorm Zelt stehn die Wüstensöhne

Sie bitten, Dein Angesicht schauen zu –

PEER GYNT.

Stopp!

Sag' ihnen, daß mir zunächst ihr Galopp

Statt ihres Gebets in die Ohren dröhne!

Ich will keine Mannsleute hier um mich her!

Die Männer, mein Kind, sind voll Falschheit, – so recht,

Was man sagt, ein unbeständig Geschlecht![514]

Anitra, Du kannst Dir nicht denken, mein Kind,

Wie hündisch – ich meine: wie sündig sie sind! –

Na, lassen wir das. Getanzt und gesungen!

Der Prophet will vergessen Erinnerungen.

DIE MÄDCHEN tanzend.

Der Prophet ist gut; der Prophet ist betrübt;

Denn die Söhne des Staubs haben Böses verübt.

Der Prophet ist mild; seiner Mildheit sei Preis!

Er führet die Sünder zum Paradeis.

PEER GYNT während er mit seinen Augen Anitra beim Tanze folgt.

Wie Trommelschlegel fliegen die Beine.

Ei! Sie ist wahrhaft lecker, die Kleine.

Sie hat etwas extravagante Formen, –

Nicht stimmend ganz mit der Schönheit Normen;

Doch was ist Schönheit? Ein Herkommen nur, –

Eine Münze, gangbar nach Ort und Uhr.

Und just das Extravagante schmeckt süppig,

Auslöffeltest du die normale Welt.

Wo die Regel herrscht, wirst um den Rausch du geprellt.

Entweder höchst mager oder höchst üppig,

Entweder blutjung oder schreckhaft alt; –

Was dazwischen, läßt kalt.

Ihre Füße – sind zwar nicht blendend an Reine,

Auch die Arme sind's nicht, zumal nicht der eine.

Doch ist dies schließlich kein arges Laster.

Ich nennt' es eher ein Schönheitspflaster – –

Anitra, hör' zu!

ANITRA nähert sich.

Deine Sklavin lauscht!

PEER GYNT.

Du bist reizend, Kind! Der Prophet ist berauscht!

Und willst Du nicht glauben, vernimm als Beweis:

Er macht Dich zur Huri im Paradeis.

ANITRA.

Unmöglich, Herr!

PEER GYNT.

Du glaubst, es sei Scherz?

Ich schwör' Dir's, so wahr ich hier sitze, mein Herz!

ANITRA.

Doch ich hab' keine Seele.

PEER GYNT.

Die kannst Du erhalten.[515]

ANITRA.

Doch wie, o Herr?

PEER GYNT.

Des laß mich nur walten.

Ich werd' Dein Erzieher und geb' Dir Stunden.

Keine Seele! Ja, dumm bist Du freilich, Schatz,

Wie man sagt. Das hab' ich mit Schmerz empfunden.

Doch für eine Seel', da ist immer noch Platz.

Komm her; laß mich Deinen Hirnkasten messen. –

Ich hab's doch gewußt: Hier ist Raum; hier ist Raum.

Zwar wirst Du nicht Weisheit mit Löffeln essen;

Denn 'ne sonderlich große Seele wird's kaum – –

Ach, was! Ich will Dir wohl, wie Du sehn kannst; –

Du sollst so viel kriegen, daß Du bestehn kannst – –

ANITRA.

Der Prophet ist gut, doch – –

PEER GYNT.

Du willst nicht einmal?

ANITRA.

Ich wünschte lieber –

PEER GYNT.

Sprich ohne Hehl!

ANITRA.

Ich mache mir nicht so viel aus 'ner Seel'; –

Gib mir lieber –

PEER GYNT.

Was?

ANITRA zeigt auf seinen Turban.

Diesen schönen Opal!

PEER GYNT hingerissen, indem er ihr das Schmuckstück reicht.

Anitra! Evaskind, unverzagtes!

Magnetisch lockst Du; denn ich bin Mann,

Und – ein geachteter Schriftsteller sagt es: –

»Das ewig Weibliche zieht uns an!«


Mondscheinnacht. Palmenhain vor Anitras Zelt.

Peer Gynt, mit einer arabischen Laute in der Hand, sitzt unter einem Baume. Sein Haar und Bart sind gestutzt; er sieht bedeutend jünger aus.


PEER GYNT spricht und singt.

Ich sperrte zu mein Paradies

Und nahm den Schlüssel mit.

Der Nord mein Schiff vom Strande blies,

Indes die Schönen, die ich ließ,

Nachweinten meinem Schritt.[516]

Gen Süden schnitt des Kieles Pflug

Der Salzflut schwankend Land.

Wo schlanker Palmen stolzer Zug

Geleitet blauer Buchten Bug,

Da steckt' ich es in Brand.

Ein Wüstenschiff erklettert' ich,

Ein Schiff auf Beinen vier.

Aufschäumt' es unterm Sporenstich; –

Ich bin ein Vogel; fange mich, –

Vom Zweig ich tirilier'!

Anitra, Palmenmost! Wer mäß'

Von Dir genug sich zu!

Selbst der Angoraziege Käs

Ist kaum ein halb so süß Geäs,

Anitra, ach, denn Du!


Hängt die Laute über die Schulter und kommt näher.


Lauscht sie mit gespannter Miene?

Hat mein Liedchen sie gehört?

Späht sie, hinter der Gardine,

Undrapiert und hold betört?

Horch! Das klang, als ob gewaltsam

Von 'ner Flasch' der Stöpsel sprang.

Da! Da wieder! Welch ein Klang!

Liebesseufzer? – Nein, Gesang; – –

Nein, – ein Schnarchen, unaufhaltsam. –

Süßer Laut! Anitra, schlummere!

Nachtigall, hör' auf zu flehn!

Jedes Leid soll dir geschehn,

Störst du frech ihr sanft Geschummere!

Zwar es heißt: wie's geht, mag's gehn!

Bülbül ist wie ich ein Sänger;

Ach, ich will es nur gestehn:

Beide sind wir Rattenfänger

Kleiner, liebeskranker Feen.

Laue Nacht, und Liederschall

Sind uns gleiche Herzensweide;

Wenn wir singen, sind wir beide

Wir, Peer Gynt und Nachtigall.[517]

Und just, daß sie schläft, die Kleine,

Krönt mein Glück; just dies, daß meine

Lippen schier den Becher kippen,

Ohne dran auch nur zu nippen – –;

Doch da ist sie ja, – halloh!

Nun, 's ist gleich, so oder so.

ANITRA vom Zelt her.

Riefst Du, Herr, nach Deiner Magd?

PEER GYNT.

Der Prophet, ja, hat gerufen.

Tollgewordne Katzen schufen

Störung ihm mit ihrer Jagd.

ANITRA.

Ach, kein Jagdgelärm war, Herr, es;

Etwas weit Verfänglicheres.

PEER GYNT.

Was denn?

ANITRA.

Laß mich schweigen!

PEER GYNT.

Sprich!

ANITRA.

Ich erröte –

PEER GYNT nähert sich ihr.

War's am Ende,

Was so ganz erfüllte mich

Bei des Steins verliebter Spende?

ANITRA erschrocken.

Dich vergleichen, Erdenzier,

Einem eklen Katzentier!

PEER GYNT.

Kind, im Punkt der Liebe steht

Oft ein Kater und Prophet

Auf dem nämlichen Tapet.

ANITRA.

Herr, des Scherzes Rede geht wie

Honig Dir vom Mund.

PEER GYNT.

Mein Kind;

Du, wie Dein Geschlecht, Ihr seht nie

Große Männer, wie sie sind!

Ich bin scherzhaft, laß Dir sagen,

Und zu zweien umsomehr.

Meine Stellung läßt mich tragen

Einer Maske ernste Wehr.

Pflichten machen ungemächlich;

All dies Sorgen und Gescher'

Mit den Leuten hin und her[518]

Macht mir oft den Kopf recht schwer;

Doch dies ist nur oberflächlich. –

Dummes Zeug! Im Tête-à-tête

Bin ich Peer, – ja der, nur der.

Hui, da läuft er, der Prophete;

Und hier hast Du Deinen Peer!


Setzt sich unter einen Baum und zieht sie an sich.


Komm, Anitra, komm und träume

Mit mir in der Palme Fächeln!

Ich will flüstern, Du sollst lächeln;

Wollen dann die Rollen wechseln;

Und, indes ich lächelnd säume,

Sollst Du Liebesworte drechseln!

ANITRA legt sich ihm zu Füßen.

Süß sind Deine Worte, mag mir

Auch ihr Sinn nur selten nahen.

Herr, kann Deine Tochter, sag' mir,

Also lauschend Seele fahen?

PEER GYNT.

Seele, Geistes Licht und Wissen

Sollst Du seiner Zeit nicht missen.

Wenn im Ost auf Rosenstreifen

Golddruck meldet: Nacht verschwunden!

Geb' ich Dir, mein Püppchen, Stunden;

Und Du sollst mir köstlich reifen.

Aber in der Mondnacht Stille

Wär' es eines Toren Grille,

Mit verstaubter Weisheit Beten

Als Magister aufzutreten. –

Ist doch auch der Seele Lehen

Nicht als Hauptsach' zu begreifen.

Wird doch meist aufs Herz gesehen.

ANITRA.

Herr! In Deiner Rede Strahlen

Schillert Glanz, wie von Opalen.

PEER GYNT.

Geist, zu scharf, ist Geisteslosheit;

Feigheit, aufgeknospet, Bosheit;

Wahrheit in der Übergift,

Rückgewandte Weisheitsschrift.[519]

Ja, mein Kind, Gott soll mich strafen,

Lebt nicht manch ein Feuergeist,

Dem sich der Erkenntnis Hafen

Erst nach schweren Stürmen weist.

Kannte einen dieser Kerle, –

In dem ganzen Brack die Perle; –

Und selbst dieser Mann ging irre,

Ward verführt vom Weltgewirre; – –

Siehst Du rings die Wüste gähnen?

Wenn ich bloß den Turban schwenke,

Strömt das Meer aus hundert Hähnen

Seine Flut in ihr Gesenke.

Doch ich hätte Gimpelgrütze,

Schüf' ich diese Wüstenpfütze.

Weißt Du, was bedeutet: leben?

ANITRA.

Lehr' mich's!

PEER GYNT.

Dies: Den Zeitstrom schweben

Unbenetzten Schuh's zu Tal

Als sein eigenst Ideal.

Nur in Vollkraft kann ich der sein,

Der ich bin, kann Peer als Peer sein!

Alter Weih verliert die Federn,

Alter Bock wird welk und ledern,

Alte Trulle keift aus Lücken,

Alter Trottel hinkt an Krücken, –

Jedem wird die Seele greis.

Jugend! Jugend! Herrschen, thronend

Wie ein Sultan, heil und heiß, –

Nicht durch Gyntianas Banken,

Unter Palmenlaub und Ranken, –

Sondern weil in den Gedanken

Einer reinen Jungfrau wohnend! –

Wirst Du nun noch zweifelnd fragen,

Kind, warum ich Dich erküret,

Gnädiglichst Dein Herz gerühret,

Dort gegründet, sozusagen,

Meines Wesens Kalifat?

Deine Sehnsucht will ich haben.[520]

Allgewalt in meinem Staat!

Du sollst sein allein die Meine.

Peer mit seinem Geist und Gaben

Sei Dir mehr denn Gold und Steine.

Scheiden wir, so ist das Leben

Ausgelebt, – das heißt, das Deine!

All Dein Du, inbrünstiglich,

Willenlos mir hingegeben,

Sei erfüllt von meinem Ich.

Deiner Locken nächtlich Blinken,

Was Dir Grazien nur gewährten,

Soll, wie babylon'sche Gärten,

Mir zu Sultansfesten winken.

Darum ist auch die Entnachtung

Deiner Stirn so nötig nicht.

Hat man Seele, ist Betrachtung

Seiner selbst die erste Pflicht.

Höre, da ich just dran denke;

Du sollst haben, macht's Dich froh,

Einen Ring ums Fußgelenke; –

Jeder fährt am besten so;

Ich mich Dir als Seele schenke,

Und sonst alles: status quo.


Anitra schnarcht.


Wie? Sie schläft! Peer Gynt, versenke

Deine Hoffnung –! Dies beweist –

Halt! – just deinen mächt'gen Geist:

Deiner Liebesrede Schäumen

Trägt sie fort zu süßen Träumen. –


Erhebt sich und legt ihr Schmuckgegenstände in den Schoß.


Hier sind Spangen! Hier noch mehr!

Schlaf, Anitra! Träum' von Peer – –!

Schlaf! Im Schlaf hast Du die Krone

Deinem Kaiser dargebracht!

Durch Persönlichkeit zum Throne

Kam Peer Gynt in dieser Nacht.


[521] Karawanenweg. Die Oase, zurückliegend, in weiter Ferne.

Peer Gynt, auf seinem weißen Pferd, jagt durch die Wüste. Er hat Anitra vor sich auf dem Sattelknopf.


ANITRA.

Laß sein; ich beiße!

PEER GYNT.

Du kleiner Schalk!

ANITRA.

Was willst Du?

PEER GYNT.

Was? Spielen Täubchen und Falk!

Dich entführen! Tolle Geschichten machen!

ANITRA.

Schäm' Dich! Ein alter Prophet –!

PEER GYNT.

Firlefanz!

Der Prophet ist nicht alt, Du kleine Gans!

Macht man im Alter noch solche Sachen?

ANITRA.

Laß los! Ich will heim!

PEER GYNT.

Jetzt bist Du kokett.

Also heim! Zum Schwiegervater! Wie nett!

Wir tollen Vögel, die Reißaus genommen,

Wir dürfen ihm nie mehr vor Augen kommen.

Zum andern bleibe man nicht, mein Schatz,

Für längere Zeit an demselben Platz;

Man verliert in der Achtung, je mehr man bekannt wird; –

Zumal, wenn man kommt als Prophet oder so.

Man gehe vorüber, rasch wie ein Bonmot.

Es war schon so weit, wo die Sache gespannt wird.

Deine Wüstensöhne wurden verdrießlich; –

So Gebete wie Weihrauch versagten schließlich.

ANITRA.

Doch Du bist doch Prophet?

PEER GYNT.

Ich bin Dein Kaiser!


Will sie küssen.


Guck', was für ein kleiner Bärenbeißer!

ANITRA.

Gib mir den Ring da von Deinem Finger!

PEER GYNT.

Nimm, süße Anitra, die ganzen Dinger.

ANITRA.

Wie klingt Deine Rede so wonniglich.

PEER GYNT.

O selig, wer so hoch geliebt wird wie ich!

Hinab! Und das Pferd geführt, als Dein Sklav'!


Reicht ihr die Reitpeitsche und steigt ab.
[522]

So, meine Rose, meine liebliche Blume,

Hier will ich Sand treten zu Deinem Ruhme,

Bis mich ein Sonnenstich gnädiglich traf.

Ich bin jung, Anitra; das hab' vorm Auge,

Du mußt's nicht so streng nehmen, wenn ich nichts tauge.

Sieh, neigt nicht just Jugend zu allerlei Tänzchen?

Hätt' also Dein Geist mehr Schliff und mehr Schwung,

So würdest Du schließen, mein reizendes Pflänzchen, –

Dein Liebster macht Unsinn, – ergo ist er jung!

ANITRA.

Ja, Du bist jung. Hast Du nicht noch mehr Ringe?

PEER GYNT.

Da; nimm! Ich bin ein Bock, und ich springe!

Wär' hier wo Weinlaub, ich setzte mir 'nen Kranz auf!

Ja, weiß Gott, bin ich jung! Und jetzt sing' ich mir zum Tanz auf!


Tanzt und singt.


Ich bin ein Hahn, ein glückseliger!

Pick' mich, Du kleine Henne!

Ei! Hopp! Da schau, wie ich renne; –

Ich bin ein Hahn, ein glückseliger!

ANITRA.

Du schwitzest, Prophet; Du zergehst mir ja fast!

Reich' mir vom Gurt dort die baumelnde Last!

PEER GYNT.

Zärtliche Sorg'! Nimm den Beutel für immer!

Liebenden Herzen ist Gold nur ein Schimmer.


Tanzt und singt wieder.


Jung Peer Gynt ist ein Tollhans!

Er weiß nicht, auf welchem Fuß er stehn soll.

Pah, sagt Peer, – geh's, wie's gehn soll!

Jung Peer Gynt ist ein Tollhans!

ANITRA.

Wunderfein tanzt der Prophete gestreng!

PEER GYNT.

Prophet? Dummes Zeug! – Komm, tauschen wir Kleider!

Zieh aus!

ANITRA.

Dein Gurt und Dein Kaftan ist leider

Zu weit und zu lang und Dein Strumpfwerk zu eng –[523]

PEER GYNT.

Eh bien!


Kniet nieder.


Doch schaff' mir ein heftiges Leid;

Liebenden Herzen ist Leiden köstlich!

Kommen wir dann in mein Schloß, seiner Zeit, –

ANITRA.

In Dein Paradies; – liegt's noch sehr weit östlich?

PEER GYNT.

O, wohl tausend Meilen –

ANITRA.

Zu weit!

PEER GYNT.

Gemach!

Du bekommst auch die Seele, von der ich Dir sprach –

ANITRA.

Ich danke; das kommt nicht so sehr in Frage.

Doch Du batst um ein Leid –

PEER GYNT steht auf.

Ja, zum Teufel! Ein Weh,

Gewaltsam, doch kurz, – so auf zwei, drei Tage!

ANITRA.

Anitra gehorcht dem Propheten! – Ade!


Sie zieht ihm einen tüchtigen Hieb über die Finger und jagt in fliegendem Galopp zurück durch die Wüste.


PEER GYNT steht eine lange Weile wie vom Blitz gerührt.

Na, da soll aber doch – – –!


Dieselbe Stelle. Eine Stunde später.

Peer Gynt zieht, bedächtig und nachdenklich, die Türkenkleider aus, Stück für Stück. Zuletzt nimmt er seine kleine Reisemütze aus der Rocktasche, setzt sie auf und steht wieder in seiner europäischen Tracht da.


PEER GYNT indem er den Turban weit von sich fortschleudert.

Dort liegt der Türke, und hier steh' ich.

Dieses heidnische Wesen hat einen Stich.

Ein Glück, daß ich's nur in den Kleidern getragen,

Daß sich's nicht, wie man sagt, aufs Herz mir geschlagen.

Was wollt' ich nur eigentlich, frag' ich mich?

Man tut doch am besten, als Christ zu wandeln,

Zu verschmähn des Pfauenhabits Geprahl,

Zu stützen sein Tun auf Gesetz und Moral,

Man selber zu sein und dafür sich einmal

Einen Nachruf und einen Kranz einzuhandeln.


Macht einige Schritte.
[524]

Das Dirnchen! – Es hing nur an einem Haar,

Daß ich nicht mehr zur Vernunft erwachte.

Ich will ein Troll sein, sofern mir klar,

Was es war, das mich also von Sinnen brachte.

Na, gut, daß es aus ist! Ein Schritt noch vom Pfade, –

Und ich war lächerlich ohne Gnade.

Ich hab' mich versehn, – doch, ich darf mir's gestehn,

Nur infolge der Schiefe der Stellung versehn,

Nicht selbst als Persönlichkeit jedenfalls.

Ja, mußte nicht just dies prophetische Wallen,

So ganz ungewürzt von der Wirksamkeit Salz,

Zuletzt in Geschmacklosigkeit verfallen?

Eine böse Bestallung, Prophet zu sein!

In seinem Beruf soll man gehn wie in Wolken; –

Prophetisch betrachtet, büßt man flugs ein,

Sobald man aufhört, Unsinn zu kolken.

Insofern bin ich mehr als entschuldigt,

Daß ich der dummen Gans da gehuldigt.

Doch, nichtsdestominder –


Bricht in Lachen aus.


Man stelle sich vor!

Die Zeit will er stoppen durch Trippeln und Tänzeln!

Schwimmen wider 'n Strom mit Schweifeln und Schwänzeln!

Lustgirrend hupft er, die Laute zupft er,

Und endet zuletzt als Hahn, – als gerupfter.

Fürwahr, ein Prophet, der die Zügel verlor! –

Gerupft, ja! – Brr! Bin ich abgebrannt!

Na; etwas ist noch in der Hinterhand,

In der Charlestowner Bank und in meinen Taschen;

Es ging also doch nicht alles durch die Maschen, –

Überlegt man's, ist solch ein Zustand viel wert.

Man ist nicht gebunden an Kutscher noch Pferd,

Hat nicht mit Koffer und Karren Plage,

Kurz, wie man sagt, man ist Herr der Lage. –

Wohin nun des Wegs? Was sei nun erkoren?

Am Wählen kennt man den Weisen vom Toren.

Mein Geschäftsleben ist ein beschlossen Kapitel;[525]

Mein Liebesspiel ist ein beseitigter Kittel.

Zu Krebsgang hab' ich nicht Lust noch Grund.

Hin und zurück, 's ist der gleiche Weg,

Hinaus und hinein, 's ist der gleiche Steg, –

Sagt ja wohl irgend ein geistreicher Mund. –

Wenn mir nur jetzt etwas Neues durch den Sinn führe,

Etwas Großes, bei dem man zugleich mit Gewinn führe!

Ob ich mein Leben schreib', ungeschminkt, wahrhaft, –

Ein Vademecum, so schmackhaft wie nahrhaft? –

Oder –! Wer gleich beim Gelehrten endete – –

Und, ein reisender Forscher, mit seinem Span

Dem Einst in den dunklen Rachen blendete?

Bei Gott, ein höchst erwägbarer Plan!

Vor Chroniken bin ich nie abgebogen,

Und war auch der Wissenschaft immer gewogen –

Wohlan denn, durchmessen der Menschheit Bahn!

Ich schwimm' auf dem Strom der Geschichte wie ein Flaum,

Ich durchlebe sie nochmals, als wie in einem Traum, –

Seh' der Helden Kämpfe für Gut und Groß,

Doch aus sicherm Versteck, als Zuschauer bloß; –

Seh' der Denker Fall, der Märtyrer Glorie,

Seh' Reiche sich bilden und Reiche vergehn, –

Seh' Weltepochen aus Kleinem entstehn;

Kurzum, schöpf' ab den Rahm der Historie. –

Ich muß mir einen Band Becker erhandeln

Und dann chronologisch die Welt durchwandeln.

Wohl wahr, – Geschichte ist nicht meine Stärke –

Und sinnverwirrend ihr innres Gewerke! –

Doch, pah! Je toller der Ausgangssatz ist,

Um so seltener oft der gefundene Schatz ist. – –

Erhabner Gedanke, solch Ziel sich zu stecken,

Und vor nichts, was es fordert, zurückzuschrecken!


Still bewegt.


Aus allen Banden fahren und schlüpfen,

Die dich mit Heimat und Freunden verknüpfen, –

In die Luft sprengen all deines Reichtums Pracht, –[526]

Sagen dem Glück deiner Liebe gutnacht, –

Nur, um zu finden der Wahrheit Mysterium, –


Zerdrückt eine Träne im Auge.


Das ist des echten Forschers Kriterium.

O Unglück, du hast deinen Stachel verloren!

Ging mir doch auf nun, wozu ich geboren!

Und nun bloß aushalten, kommt's noch so schwül!

Hoch nun darf ich mein Haupt wieder tragen, –

In meines Manneswerts Wohlgefühl;

Ein Kaiser des Lebens, sozusagen! –

Der Vergangenheit Summe will ich besitzen;

Nie mehr die Wege der Heutigen schwitzen; –

Die Gegenwart ist keine Schuhsohle wert;

Die Männer sind nur dem Gewinn zugekehrt,

Ihre Geister sind lahm, ihre Taten unecht; – –


Zuckt die Achseln.


Und die Weiber, – ein unbeständig Geschlecht! –


Ab.

Sommertag. Hoch im Norden. Eine Hütte im Hochwald.

Offene Tür mit einem großen hölzernen Schloß. Rentiergeweih über der Tür. Eine Schar Ziegen an der Hauswand.

Ein Weib von mittleren Jahren, licht und schön, sitzt und spinnt draußen im Sonnenschein.


DAS WEIB wirft einen Blick den Weg hinab und singt.

Vielleicht geht der Winter, und der Frühling folgt nach,

Und der Sommer dazu, und das ganze Jahr; –

Aber einst wirst Du kommen, das, weiß ich, ist wahr;

Und ich werde warten, wie ich Dir's versprach.


Lockt die Ziegen, spinnt und singt wieder.


Gott stärke Dich, wo in der Welt Du auch gehst!

Gott segne Dich, wenn Du vor seinem Fuß-Schemel stehst!

Hier wart' ich, mein Freund, bis Du kommst, nach Deinem Wort;

Und wartest Du dort oben, so treffen wir uns dort!


[527] Ägypten. Morgendämmerung. Die Memnonssäule im Sande.

Peer Gynt kommt gegangen und sieht sich eine Weile um.


PEER GYNT.

Hier könnten wir füglich beginnen zu wandern; –

Jetzt also Ägypter, nach all dem andern;

Doch Ägypter auf Basis des Gyntischen Ichs.

Dann geht's nach Assyrien graden Strichs.

Bis an die Erschaffung der Welt zu rühren,

Das würde nur zum Verderben führen; –

Ich will ganz herum um die Bibelgedichte;

Man spürt sie ja überall in der Geschichte;

Und ihnen nachsehn, sozusagen, die Nähte, –

Dazu fehlt mir Neigung wie Handwerksgeräte.


Setzt sich auf einen Stein.


Nun will ich hier rasten und warten geduldig.

Zunächst ist mir Memnon sein Morgenlied schuldig.

Dann werde die Pyramide bestiegen,

Auch ihr Innres erforscht, wo die Könige liegen.

Darauf auf dem Landweg ums rote Meer;

Vielleicht grab' ich Potiphar aus und sein Heer.

Dann bin ich Asiat. In Babylon werden

Besucht die berüchtigten hängenden Gärten,

Will heißen, die Hauptstätten seiner Kultur.

Ein Sprung – und ich bin auf trojanischer Flur.

Von Troja hab' ich ja dann direkte

Verbindung hinüber zum alten Athen; –

Dort will ich an Ort und Stelle besehn

Und befahren den Paß, den Leonidas deckte; –

Dann etwas Philosophie betreiben,

Und das Haus, worin Sokrates starb, beschreiben – –;

Weiß Gott, da vergaß ich ja, daß sie just kriegen –!

So bleibe der Hellenismus denn liegen.


Sieht auf die Uhr.


Teufel auch, macht diese Sonne Flausen,

Bis sie heraufkommt. Meine Zeit ist knapp.[528]

Also, von Troja, – da kam ich ab – –


Steht auf und lauscht.


Horch! Was für ein verwunderlich Sausen?


Sonnenaufgang.


DIE MEMNONSSÄULE singt.

Himmelan steigen aus göttlicher Asche

Vögel voll Singen.

Zeus, der geistweite,

Schuf sie zum Streite.

Weisheitseule,

Wo schlafen ihre Schwingen?

Stirb – oder hasche

Den Sinn der Säule!

PEER GYNT.

Wahrhaftig, – hab' ich nicht einen Tic,

So klang just die Säule! Vergangenheitsmusik!

Ganz hörbar der Steinstimme Fallen und Steigen.

Ad notam. Einst den Gelehrten zu zeigen.


Notiert ins Taschenbuch.


»Die Säule sang. Deutlich den Klang vernommen;

Doch nicht zum Verständnis des Textes gekommen.

Das Ganze natürlich Betrug der Sinne. –

Sonst nichts observiert von höherem Gewinne.«


Setzt seinen Weg fort.

In der Nähe des Dorfes Gizeh.

Die große aus dem Felsen gehauene Sphinx. In der Ferne Kairos Kirchtürme und Minarets.

Peer Gynt kommt des Weges; er betrachtet die Sphinx aufmerksam, bald durch die Lorgnette, bald durch die hohle Hand.


PEER GYNT.

Wo hab' ich in aller Welt nur schon

Ein diesem ähnlich Geschöpf gesehn?

Im Norden? Im Süden? War's eine Person?

Und wenn! An wen gemahnt's mich, an wen?

Held Memnon glich, wie mich's später durchfuhr,

Den sogenannten – Dovre-Alten,

So wie er dasaß, stotzig und stur,

Den Sitz von Säulenstumpfen gehalten. –[529]

Doch dieser seltsame Kreuzungsversuch,

Dieser Wechselbalg, beides, so Löwe wie Weib, –

Hab' ich den auch aus 'nem Märchenbuch?

Oder sah ich schon einmal solch einen Leib?

Ein Märchenspuk? Ha, jetzt beginnt mir's zu tagen!

Das ist ja der Krumme, den ich einstens erschlagen, –

Das heißt, ich träumte, – ich lag im Fieber. –


Tritt näher.


Die Augen, die Lippen, dasselbe Kaliber; –

Nicht ganz so flau; mehr Falsch im Gesichte;

Doch sonst im ganzen dieselbe Geschichte.

So, so, Du gleichst einem Löwen, Krummer,

Wenn man von hinten Dich sieht und bei Lichte!

Macht Dir wohl Rätselraten noch Kummer?

Gibst wieder Antwort wie letzter Frist Du?


Ruft der Sphinx zu.


He, Krummer, wer bist Du?

EINE STIMME hinter der Sphinx.

Ach, Sphinx, wer bist Du?

PEER GYNT.

Das Echo antwortet deutsch! Untrüglich!

DIE STIMME.

Wer bist Du?

PEER GYNT.

Es spricht die Sprache vorzüglich!

Da hab' ich etwas ganz Neues entdeckt.


Notiert in sein Buch.


»Echo spricht deutsch. Berliner Dialekt.«


Begriffenfeldt kommt hinter der Sphinx hervor.


BEGRIFFENFELDT.

Ein Mensch!

PEER GYNT.

Ach so! Also falsch geraten.


Notiert wieder.


»Kam später zu anderen Resultaten.«

BEGRIFFENFELDT unter allerhand unruhigen Gebärden.

Eine Lebensfrage –! Verzeihen Sie –!

Was führt Sie just heute durch diese Landschaft?

PEER GYNT.

Ein Besuch. Bei einem Jugendfreund.

BEGRIFFENFELDT.

Wie?

Die Sphinx hier ist –?

PEER GYNT nickt.

Eine alte Bekanntschaft.[530]

BEGRIFFENFELDT.

Famos! Und das just nach dieser Nacht!

Mein armer Kopf ist nah dran, zu zerbrechen!

Wohlan! So tun Sie den Mund auf und sprechen!

Was ist sie?

PEER GYNT.

Wenn Sie das glücklich macht, –

Sie ist sie selbst.

BEGRIFFENFELDT mit einem Sprung.

Ha; der Welt Lösung tagt! Sie

Sind dessen gewiß? Sie wär' in der Tat

Sie selbst?

PEER GYNT.

Jawohl; so wenigstens sagt sie

BEGRIFFENFELDT.

Sie selbst! Die Stunde der Umwälzung naht!


Nimmt den Hut ab.


Ihr Name, mein Herr?

PEER GYNT.

Peer Gynt, mit Vergunst.

BEGRIFFENFELDT.

Peer Gynt! Allegorisch! Das stand zu erwarten. –

Peer Gynt? Das bedeutet: den längst erharrten,

Den kommenden Meister der Auslegekunst –

PEER GYNT.

Sie warteten meiner –? Zu viel der Ehre!

BEGRIFFENFELDT.

Peer Gynt! Tiefsinnig! Rätselvoll! Graß!

Jedes Wort ist gleichsam ein Faß an Lehre!

Was sind Sie?

PEER GYNT bescheiden.

Ich trachtete stets, daß ich wäre

Ich selbst. Im übrigen – hier mein Paß.

BEGRIFFENFELDT.

Ich selbst! Es wird immer mysteriöser!


Faßt ihn ums Handgelenk.


Nach Kairo! Kaiser der Rätselloser!

PEER GYNT.

Kaiser?

BEGRIFFENFELDT.

Kaiser –

PEER GYNT.

Wie er mich erkennt –!

BEGRIFFENFELDT indem er ihn mit sich zieht.

Der Interpreten – auf des Selbst Fundament!
[531]

Kairo. Ein großer Hofraum mit hohen Mauern und von Gebäuden umgeben.

Gitterfenster; eiserne Käfige.

Drei Wächter im Hofe. Ein vierter kommt.


DER KOMMENDE.

Schafmann; wo ist der Direktor, sag'?

EIN WÄCHTER.

Ausgefahren lange vor Tag.

ERSTER.

Ich glaub', es ist ihm ein Unglück geschehn;

Heut nacht nämlich –

EIN ANDERER.

Pst; die Torflügel gehn.


Begriffenfeldt führt Peer Gynt herein; schließt das Tor und steckt den Schlüssel in die Tasche.


PEER GYNT für sich.

Ein Mann, imstand', mir den Kopf zu verwirr'n;

Fast alles, was er sagt, will nicht in mein Hirn.


Sieht sich um.


Dies also hier ist der Gelehrtenklub?

BEGRIFFENFELDT.

Hier finden Sie alle, den ganzen Trupp; –

An siebenzig und tagtäglich vermehrte,

Der Weltauslegung beflissne Gelehrte – –


Ruft den Wächtern zu.


Michel, Schlingelberg, Schafmann, Fuchs –

In die Käfige mit Euch flugs!

DIE WÄCHTER.

Wir?

BEGRIFFENFELDT.

Wer anders? Wir sind jetzt quitt!

Dreht sich die Erde, so drehn wir uns mit.


Zwingt sie in einen Käfig hinein.


Er ist heute kommen, der große Peer; –

Den Rest folgert selber, – ich sage nichts mehr.


Sperrt den Käfig zu und wirft den Schlüssel in einen Brunnen.


PEER GYNT.

Aber – Herr Doktor – Herr Präsident –

BEGRIFFENFELDT.

Beides gewesen. Das hat nun ein End' – –

Herr Peer, – Sie gehören zur schweigsamen Zunft?[532]

PEER GYNT in wachsender Unruhe.

Weshalb?

BEGRIFFENFELDT.

Sie werden mir nicht marode?

PEER GYNT.

Ich hoffe –

BEGRIFFENFELDT zieht ihn in eine Ecke und flüstert.

Die absolute Vernunft

Ging ab gestern abend Schlag elf mit Tode.

PEER GYNT.

Gott helfe mir –!

BEGRIFFENFELDT.

Ja, das ist äußerst verdrießlich

Und für mich in meiner Stellung doppelt unersprießlich.

Denn dies Haus hier galt, bis die Elf schlug aus,

Für ein Irrenhaus.

PEER GYNT.

Für ein Irrenhaus!

BEGRIFFENFELDT.

Nicht für der, verstehn Sie!

PEER GYNT bleich und leise.

O Gott, mir schwant es!

Und der Mann ist verrückt; – und niemand ahnt es!


Sucht davonzukommen.


BEGRIFFENFELDT folgt ihm.

Sie verstehen doch auch den Sinn meines Spruchs?

Ich nenne sie tot; doch so spricht nur ein Schalk.

Sie ging von sich selbst. Sie ging aus ihrem Balg, –

Wie weiland Landsmann Münchhausens Fuchs.

PEER GYNT.

Einen Augenblick nur –

BEGRIFFENFELDT hält ihn fest.

Nein, es war wie ein Aal; –

Nicht wie ein Fuchs. Durchs Aug' ein Pfahl; –

Sie zappelte, zuckte – –

PEER GYNT.

Daß Gott erbarm'!

BEGRIFFENFELDT.

Um den Hals rund ein Schnitt und dann, wupps, aus dem Darm!

PEER GYNT.

Verrückt! Vollständig von Sinn und Verstand!

BEGRIFFENFELDT.

So viel ist nun klar und nicht zu bestreiten:

Es wird dieses Von-sich-gehen begleiten

Ein wahrer Umsturz zu Wasser und Land.[533]

Die früher »verrückten« Persönlichkeiten

Sind nämlich seit gestern abend schlechthin

Normal geworden, vernünftig im Sinn

Der neuen Vernunft; – was zugleich den Beginn

Des Rasens der frühern »Gesunden« bedeutet,

Mit dem daß die Glocke elf Uhr geläutet.

PEER GYNT.

Sie erwähnten die Uhr; meine Zeit ist zu End' –

BEGRIFFENFELDT.

Ihre Zeit? Sie mahnen im rechten Moment!


Öffnet die Tür und ruft.


Hervor denn aus Eurem Labyrinth!

Die Vernunft ist tot. Es lebe Peer Gynt!

PEER GYNT.

Nein, liebster –!


Die Irren kommen nach und nach heraus in den Hofraum.


BEGRIFFENFELDT.

Zu Ende sind Eure Nöte!

Es tagt der Befreiung Morgenröte!

Euer Kaiser steht vor Euch!

PEER GYNT.

Kaiser?

BEGRIFFENFELDT.

Gewiß!

PEER GYNT.

Nein, nein! Diese Ehrungen übersteigen –

BEGRIFFENFELDT.

Nur jetzt keine falsche Bescheidenheit zeigen –

In solch einer Stunde!

PEER GYNT.

Bedenkzeit nur bis – –

Nein, ich taug' nicht dazu; ich hab' nicht die Gaben!

BEGRIFFENFELDT.

Ein Mann, zu dem Sphinxe geredet haben?

Der er selbst ist?

PEER GYNT.

Das ist ja eben die Nuß!

Ich bin wohl ich selber, in allen Lagen;

Aber hier, soweit ich verstehe, muß

Man außer sich selbst sein, sozusagen.

BEGRIFFENFELDT.

Wie? Außer sich? Nein, das sieht jedes Kind:

Hier ist man man selbst, ohne Gnade zu geben;

Man selbst und nicht das geringste daneben; –[534]

Man geht, als man selbst, hier vor vollem Wind.

Im Faß seines Ich birgt ein jeder hier sich,

Taucht in seines Ich Gärung bis auf den Grund,

Schließt zu sich hermetisch mit seines Ich Spund

Und dichtet das Holz im Brunnen seines Ich.

Keiner hat Tränen für der andern Wehen;

Keiner hat Sinn für der andern Ideen.

Wir selbst, das sind wir in Geist und Gebärden,

Bis zur Spitze des Sprungbretts wir und nur wir, –

Und folglich, soll einer Kaiser hier werden,

Sind Sie unsres Throns erlesenste Zier.

PEER GYNT.

Der Teufel soll mich –!

BEGRIFFENFELDT.

Nur mutigen Sinn!

Fast alles auf Erden ist neu zu Beginn.

»Du selbst«; – ich will Ihre Zweifel ersticken;

Der erste beste genügt hier schon –


Zu einer finstern Gestalt.


Guten Tag, Huhu! Na, hörst Du, mein Sohn,

Noch immer nicht auf, bekümmert zu blicken?

HUHU.

Kann ich's, bleibt mein Volk noch länger

Ohne Deuter, ohne Sänger?


Zu Peer Gynt.


Du bist fremd; so hör' mich an denn!

PEER GYNT.

Gott erbarme sich –!

HUHU.

Wohlan denn!

Fern im Ost, ein Kranz von Sande,

Ruhn die malebarschen Strande.

Portugiesen und Holländer

Sind des Lands Kulturzuwender.

Außerdem sind dort noch Scharen

Von den echten Malebaren.

Die, mit ihrem Sprachgemische,

Sind die Herren jetzt am Tische.

Doch vor grauen Zeiten wohnte

Dort der Orangutang, thronte

Tief im Wald als Herrscher, tollte,

Raufte, gröhlte, wie er wollte.

Wie Natur ihn schuf, so grunzt' er,[535]

Noch ein göttlich Unverhunzter.

Niemand wehrt' ihm sein Geplärre,

War er doch des Reiches Herre.

Doch da kamen fremde Horden

Unsre Urwaldsprache morden.

Viermalhundert Jahre Nachten

Von der Kraft den Affen brachten;

Ach, man weiß, so lange Nächte

Hemmen der Entwicklung Mächte.

Waldes Urlaut ist verstummt nun,

Nicht mehr länger wird gebrummt nun; –

Wollen wir Gedanken geben,

Müssen wir zu reden streben.

Welch ein Zwang der Zungenbänder!

Portugiesen, Niederländer,

Mischlingsrasse, Malebaren,

Alle sind gleich schlecht gefahren. –

Ich nun trachte, unsern echten

Urwaldurlaut zu verfechten, –

Möcht' den Leichnam neu beseelen, –

Unser Recht auf Gröhlen stählen, –

Gröhlte selber, zu ertrutzen

Seinen volksliedhaften Nutzen. –

Doch man hat mich schnöd' verlassen. –

Wirst wohl jetzt mein Trauern fassen.

Dank, daß Du gehört mich Armen; –

Weißt Du Rat, so hab' Erbarmen!

PEER GYNT leise.

Mit den Wölfen, mit den lieben,

Muß man heulen, steht geschrieben.


Laut.


Freund, nach sicherem Gerüchte

Gibt es in Marokko Schlüchte

Noch voll Orangutang-Schwärmen,

Die sich ohne Sänger härmen.

Deren Mund spricht malebarisch!

Wie honett und exemplarisch

Wär's nun, dächten Sie (gleich andern

Standspersonen), auszuwandern –[536]

HUHU.

Dank, daß Du gehört mein Flehen;

Wie Du rätst, so soll's geschehen.


Mit einer großen Gebärde.


Hat der Osten mich zum besten, –

Orangutangs hat der Westen!


Geht weiter.


BEGRIFFENFELDT.

Na, war er er selbst? Gar sehr, wenn's beliebt.

Von sich selbst ist er voll, lebt sich selber allein,

Gibt sich, was immer er von sich gibt,

Sich selber kraft seines Außer-sich-sein.

Wohlan! Ein andres hier meiner Kinder; –

Seit gestern abend vernünftig nicht minder!


Zu einem Fellah, der eine Mumie auf dem Rücken trägt.


König Apis, mein hoher Herre, wie geht es?

DER FELLAH wild zu Peer Gynt.

Bin ich König Apis?

PEER GYNT zieht sich hinter den Doktor zurück.

Ja, leider steht es

Mit meinem Wissen hier äußerst peinlich,

Doch sind Sie, nach Ihrem Ton, wahrscheinlich –

DER FELLAH.

Jetzt lügst Du auch!

BEGRIFFENFELDT.

Eure Hoheit berichte,

Wie die Sachen stehn.

DER FELLAH wendet sich Peer Gynt zu.

Hör' meine Geschichte!

Wen trag' ich hier wohl auf dem Rücken? –

Einen König, der Apis hieß!

Jetzt heißt er nur noch eine Mumie

Und ist ganz tot überdies.

Er baute die Pyramiden

Und haute die große Sphinx,

Und kriegte, wie der Doktor sich ausdrückt,

Mit dem Türken bald rechts und bald links.

Und darum hat auch Ägypten

Als Gott ihn preisen gelehrt[537]

Und in seinen Tempeln ihn unter

Dem Bild eines Ochsen verehrt. –

Doch ich bin dieser Gott Apis,

Das ist wie die Sonne zu sehn;

Und wenn Du es nicht verstehest,

So wirst Du es bald verstehn.

Es schwang sich nämlich beim Jagen

Vom Pferd einst Apis, der Held,

Und ging einen Augenblick seitwärts

Auf meines Urgroßahns Feld.

Der Grund aber, den er da düngte,

Ernährte mich mit seinem Korn;

Und braucht es noch mehr der Beweise,

So hab' ich ein unsichtbar Horn.

Und ist das nun nicht zum Verzweifeln,

Daß ganz ohne Herold ich bin!

Von Geburt bin ich Apis im Lande,

Doch Fellah in anderer Sinn.

Kannst einen Rat Du mir geben,

So mache mich damit reich; –

Was soll ich tun, daß ich werde

König Apis dem Großen gleich?

PEER GYNT.

Eure Hoheit bau' Pyramiden,

Und hau' eine große Sphinx,

Und krieg', wie der Doktor sich ausdrückt,

Mit dem Türken bald rechts und bald links!

DER FELLAH.

Ja, das ist mir eine Rede!

Ein Fellah! Eine hungrige Laus!

Bin froh, wenn ich meine Hütte

Rein halt' von Ratz' und Maus.

Auf, Mann, – etwas Bessres erfunden,

Was groß macht und sicher vor Spott,

Und was mich obendrein gleich macht

Auf meinem Rücken dem Gott!

PEER GYNT.

Wie, wenn Eure Hoheit sich hängten,

Und darauf in der Erde Schoß,

In des Sarges natürlichen Grenzen,

Verhielte sich regungslos?[538]

DER FELLAH.

Mein Leben für einen Strick denn!

An den Galgen mit Haut und Haar! –

Der Unterschied wird nicht sehr groß sein –

Und völlig verwischt übers Jahr.


Geht hin und macht Anstalten, sich zu hängen.


BEGRIFFENFELDT.

Das war auch eine Persönlichkeit, –

Ein Mann mit Methode, –

PEER GYNT.

Ja, ja, soweit – –

Doch da hängt er sich wirklich? Gott soll uns bewahren!

Mir schwindelt; – ich fühl' mich schon ganz zerfahren!

BEGRIFFENFELDT.

Ein Übergangszustand; nur kurz von Frist.

PEER GYNT.

Wozu –? Entschuldigen Sie, – mir ist –

BEGRIFFENFELDT hält ihn fest.

Sind Sie verrückt, Herr?

PEER GYNT.

Noch nicht –! Ohne Bangen!


Alarm. Der Minister Hussein drängt sich durch den Schwarm.


HUSSEIN.

Man hat mir gemeldet, ein Kaiser sei hier.


Zu Peer Gynt.


Sind Sie es?

PEER GYNT verzweifelt.

So sicher wie zwei mal zwei vier!

HUSSEIN.

Gut. – Hier sind Noten, die Antwort verlangen.

PEER GYNT rauft sich das Haar.

Heißa! Recht so! So paßt es Peeren!

HUSSEIN.

Woll'n Sie mich mit einem Tunk beehren?


Verbeugt sich tief.


Ich bin eine Feder.

PEER GYNT verbeugt sich noch tiefer.

Und ich, wie Sie sehn,

Ein krimskramsig, kaiserlich Pergamen.

HUSSEIN.

Mein Schicksal, Herr Kaiser, hier kennt es ein jeder.

Ich gelt' für ein Sandfaß und bin eine Feder.[539]

PEER GYNT.

Mein Schicksal, Herr Feder, ist, wenn Sie belieben, –

Ich bin ein Papier und werd' niemals beschrieben.

HUSSEIN.

Für meinen Beruf geht keinem der Verstand auf;

Sie nehmen mich alle und streun mit mir Sand auf!

PEER GYNT.

Ich lag einst als Buch in eines Weibes Schoß; –

Tu' recht oder schlecht, – 's ist ein Druckfehler bloß!

HUSSEIN.

Stell'n Sie sich vor, wie entsetzlich man leidet,

Als eine Feder, die nie jemand schneidet!

PEER GYNT macht einen Sprung.

Wissen Sie, was einen Renbock für Qual ankommt,

Der von oben herabspringt – und niemals im Tal ankommt?

HUSSEIN.

Ein Messer! Ich bin stumpf! Auf! Schneidet und schnitzt!

Die Welt geht unter, wenn niemand mich spitzt!

PEER GYNT.

's wär' schad' um die Welt, die, wie alles, was hausgemacht,

Den Herrgott bedünkte so wundervoll ausgedacht.

BEGRIFFENFELDT.

Hier ist ein Messer!

HUSSEIN ergreift es.

Ha, Tinte zu lecken!

Wollust, sich schneiden zu –!


Schneidet sich über den Hals.


BEGRIFFENFELDT weicht zur Seite.

Nur keine Flecken!

PEER GYNT in steigender Angst.

Haltet ihn!

HUSSEIN.

Haltet mich! Wort der Gnade!

Haltet die Feder! Papier aus der Lade!


Fällt um.


Ich bin abgenutzt. Nachschrift, – in Grabschriftstil:

Er lebt' und er starb als geführter Kiel!

PEER GYNT taumelt.

Was soll ich –! Was bin ich? Du großer –, halt' fest![540]

Ich bin alles, was Du willst, – ein Türk', ein Verbrecher,

Ein Bergtroll –; nur hilf; – das gab mir den Rest –!


Schreit.


Ich weiß nicht mehr, wie Du Dich nennen läßt – –

Hilf mir, Du, – aller Narren Fürsprecher!


Fällt in Ohnmacht.


BEGRIFFENFELDT mit einem Strohkranz in der Hand, macht einen Sprung und setzt sich rittlings über ihn.

Da ist er von sich selbst! Daß er

Im Staub die Krone denn empfange!


Drückt ihm den Kranz auf und ruft aus.


Der Selbstsucht Kaiser lebe lange!

SCHAFMANN im Käfig.

Es lebe hoch der große Peer!

Quelle:
Ibsen, Henrik: Peer Gynt. Berlin [o. J.], S. 491-541.
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