[541] An Bord eines Schiffes in der Nordsee an der norwegischen Küste. Sonnenuntergang. Stürmisches Wetter.
Peer Gynt, ein kräftiger alter Mann mit eisgrauem Haar und Bart, steht hinten auf dem Hüttendeck. Er ist halb wie ein Seemann gekleidet, in Jacke und hohen Stiefeln. Sein Anzug ist etwas verschlissen und mitgenommen; er selbst wettergebräunt und mit einem härteren Gesichtsausdruck. Der Kapitän des Schiffes am Steuerrad beim Steuermannsmat. Die Mannschaft weiter vorn.
PEER GYNT.
Sieh da, der Halling in Wintertracht, –
Im Stolz seiner abendrotsamtenen Pracht!
Der Jökel dahinter, sein Bruder, greis,
Noch immer im Mantel von grünem Eis.
Der Folgefirn, der ist nun sonderlich fein, –
Liegt wie eine Jungfrau in schimmerndem Lein.
Laßt's lieber, Kinder, zu schabernacken,
Steht, wo ihr steht, ihr granitenen Wacken!
DER KAPITÄN ruft nach vorn.
Zwei Mann ans Rad; – und Laternen gesetzt!
PEER GYNT.
's kühlt steif.
DER KAPITÄN.
Wir werden heut Nacht noch gehetzt!
PEER GYNT.
Kann man von hier aus den Ronden sehn?
DER KAPITÄN.
Nein, – weil der Folgefirn vorgeschoben.
PEER GYNT.
Oder dann Blåhö?
DER KAPITÄN schüttelt den Kopf.
Vom Takelwerk droben
Sieht man, wenn's klar ist, den Galdhöppig stehn.
PEER GYNT.
Wo liegt wohl der Hårtejg?
DER KAPITÄN zeigt.
So dort in der Drehe.
PEER GYNT.
Jawohl.
DER KAPITÄN.
Sie sind hier bekannt, wie ich sehe.
PEER GYNT.
Ich kam einst vorüber als junger Tropf;
Und der Satz, wie man sagt, bleibt am längsten im Topf.
Spuckt aus und starrt auf die Küste.
[542]
Dort also, wo's dämmert in Schlucht und Kluft, –
Das Gebirgstal gähnt, eine schwärzliche Gruft, –
Und drunter, den Fjord hinab, hinauf, –
Dort also halten sich Menschen auf.
Sieht den Kapitän an.
Sie bauen zerstreut hier zu Lande.
DER KAPITÄN.
Ja, ja.
Das wohnt einander, weiß Gott, nicht nah.
PEER GYNT.
Sind wir vor Tag drin?
DER KAPITÄN.
So etwa, wenn's graut.
Wenn sich nicht zu viel zusammenbraut.
PEER GYNT.
Im Westen umzieht sich's.
DER KAPITÄN.
Das tut's.
PEER GYNT.
Lieber Mann,
Erinnern Sie mich, wenn wir abrechnen, dran, –
Ich will, wie man sagt, etwas Übriges tun
Für die Mannschaft –
DER KAPITÄN.
Danke!
PEER GYNT.
Kein Grund. Je nun, –
Ich war Goldgräber drüben und ward wieder arm; –
Fatum und ich, hm, wir stehn nicht sehr warm.
Sie wissen ja, was ich Sie aufheben hieß;
Das ist alles – was mir der Teufel noch ließ.
DER KAPITÄN.
Damit können Sie noch eine Ziffer sein,
Bei Ihnen zu Hause.
PEER GYNT.
Ich steh' ganz allein.
Den reichen Ekel erwartet keine Katze. –
Na ja, so gibt's auch kein Abgeschmatze!
DER KAPITÄN.
Da haben wir 's Wetter.
PEER GYNT.
Ja, wie gesagt, –
Hat's einer der Leute wirklich nötig,
So bin ich gern mit etwas erbötig –
DER KAPITÄN.
Das ist wacker! Die meisten sind recht geplagt;
Allen sind Weiber und Kinder zu nähren.
Mit der Heuer allein sind sie kärglich gestellt;
Doch bringen sie nun etwas extra Geld,
So gibt das ein Fest, dessen Folgen lang' währen.[543]
PEER GYNT.
Was? Weib und Kinder haben sie? Sind
Verheiratet?
DER KAPITÄN.
Alle verheiratet. Doch
Der, dem's am dürftigsten geht, ist der Koch!
Bei ihm ist der nackte Hunger lieb Kind.
PEER GYNT.
Verheiratet? Werden erwartet zu Haus?
Erfreun durch ihr Kommen –? Wie?
DER KAPITÄN.
Nun ja, –
Wenn's auch arm Volk ist.
PEER GYNT.
Und sind sie dann da,
Was dann?
DER KAPITÄN.
So setzt wohl die Alte zum Schmaus
Was Übriges auf –
PEER GYNT.
Und Licht auf den Tisch?
DER KAPITÄN.
Auch zwei vielleicht; und einen Schnaps zum Fisch.
PEER GYNT.
Und dann plaudert man traulich zur Ofenwärme?
Hat die Kinderchen um sich? Dieses Gelärme!
Kein einziges hört das andre zu Ende, –
So freuen sie sich –?
DER KAPITÄN.
So wird's ja wohl sein.
Und drum wär' es wacker, Herr, wenn Sie die Spende
Zur Tat machen wollten –
PEER GYNT schlägt auf die Reling.
Nein! Dreimal nein!
Bin ich ein Narr? Wie? Was hätt' ich für Gründ',
Anderer Kindern mit Meinem zu frommen?
Hart genug bin ich so weit gekommen.
Niemand erwartet den alten Peer Gynt.
DER KAPITÄN.
Nun ja; wie Sie wollen; Ihr Geld gehört Ihnen.
PEER GYNT.
Stimmt! Mir selbst und sonst keinem, zu dienen.
Meine Rechnung, sobald es ankert, das Boot!
Kajüte von Panama hier herüber.[544]
Sodann Branntwein der Mannschaft. Und sonst kein Stüber.
Geb' ich mehr, Kapitän, so schlagt mich tot!
DER KAPITÄN.
Ich schuld' Ihnen Quittung, mein Herr, nicht Schläge.
Doch verzeihn Sie; jetzt sind wir dem Sturm im Gehege.
Er geht aufs Vorderdeck. Es ist dunkel geworden; in der Kajüte wird Licht angezündet. Der Seegang nimmt zu. Nebel und dichte Wolken.
PEER GYNT.
Haben daheim einen Haufen Rangen; –
Geliebt in andrer Gemütern hangen; –
Andrer Gedanken Gegenstand sein – –!
Wann und wo denkt wohl irgendwer mein? –
Licht auf dem Tisch? Aus mit dem Funken!
Ich finde schon etwas –! Ich mach' sie betrunken; –
Keiner der Teufel soll nüchtern an Land.
Voll soll'n sie kommen zu Kindern und Frauen!
Fluchen soll'n sie; auf den Tisch hauen;
Schrecken die Ihren von Sinn und Verstand!
Weib soll'n und Kinder von Hause laufen – –!
All ihre Lust soll in Tränen ersaufen!
Das Schiff schlingert stark; er taumelt und hat Mühe sich zu halten.
Na, das nenn' ich ein Überholen.
Das Meer arbeitet, als würd's ihm befohlen.
Es ist noch es selbst hier in nördlichen Breiten,
Querköpfig, wild noch und bös wie vor Zeiten – –
Horcht.
Was sind das für Rufe?
DIE WACHE vorn.
Ein Wrack in Lee!
DER KAPITÄN mittschiffs, kommandiert.
Ruder hart Steuerbord! Dicht vorm Wind!
DER STEUERMANN.
Sind Leut' auf dem Wrack?
DIE WACHE.
Nur drei, wie ich seh'!
PEER GYNT.
Laßt's Heckboot hinab.
DER KAPITÄN.
Das sänk' gar geschwind.
Geht nach vorne.
[545]
PEER GYNT.
Wer denkt an so was?
Zu einigen von der Mannschaft.
Seid guten Muts!
Und wenn Euch der Pelz auch naß wird, was tut's!
DER BOOTSMANN.
Es ist unschaffbar bei solch einem Meer.
PEER GYNT.
Da rufen sie wieder. Der Wind wird schralen –
Koch, übernimmst Du's? Hurtig! Wir zahlen –
DER KOCH.
Nicht um zwanzig Pfund Sterling, Herr –
PEER GYNT.
Ihr Hunde! Ihr Memmen! Ihr könnt Euch verstocken!
Die Leut' haben Weiber und Kinder; die hocken
Daheim und warten –
DER BOOTSMANN.
Warten hält munter.
DER KAPITÄN.
Von der Sandbank abhalten!
DER STEUERMANN.
Da ging's unter.
PEER GYNT.
Wie still ward's mit eins –!
DER BOOTSMANN.
Tat's verehlichte Leut' ab,
So gibt's drei neubackne Witwen von heut ab.
Das Unwetter wächst. Peer Gynt geht das Deck nach hinten.
PEER GYNT.
Es gibt keinen Glauben mehr auf der Welt,
Kein Christentum mehr, wie's bezeugt und geschrieben steht; –
Man betet, tut Gutes wie's einem gefällt,
Bis daß man mit Gott ganz nach seinem Belieben steht.
Doch in solch einer Nacht ist mit ihm nicht zu handeln.
Die Kerle sei'n auf der Hut; denn – gewißlich! –
Mit Elefanten zu spielen ist mißlich! – –
Und da wagen sie's dreist mit ihm anzubandeln!
Ich, ich bin schuldlos; der Opferteller,
Kann ich beweisen, empfing meinen Heller.
Doch was hab' ich davon? – Es gibt zwar ein Wort:
Ein gut Gewissen ein sanft Ruhekissen.
Das hilft wohl auf trockenem Boden fort,
Doch taugt es auch nur einen Deut an Bord?
Da wird das Lamm mit den Böcken zerrissen.[546]
Zur See kannst du niemals du selber sein,
Mußt mit den andern von Deck zu Freund Hein.
Schlägt die Stunde der Strafe für Bootsmann und Koch,
So heißt es fein mit in das naßkalte Loch; –
Als einzelner wird man da glatt übergangen,
Und – mitgefangen, heißt's, mitgehangen. –
Du warst zu fromm, Peter; das war dumm.
Jetzt lohnt dir Undank das ganze Wesen.
Weiß Gott, wär' ich jünger, ich sattelt' noch um,
Ging' hin und kehrte mit schärferem Besen.
Pah; noch ist es Zeit! Man soll von mir sagen:
Peer Gynt hat gelernt, den Kopf hoch zu tragen!
Den Hof will ich wieder, ob's biegt oder bricht; –
Ein Schloß soll draus werden, hochragend und licht.
Doch keinen will ich im Haus drinnen sehn!
Vorm Tor soll'n sie stehn und die Hüte drehn; –
Bitten und betteln, – das sei ihr Pläsier;
Doch keiner bekommt einen Schilling von mir; – –
Wenn mich das Schicksal immer bloß knechten kann,
So find' wohl auch ich Leut', mit denen ich rechten kann – –
DER FREMDE PASSAGIER steht im Dunkel an der Seite Peer Gynts und grüßt freundlich.
Guten Abend!
PEER GYNT.
Guten Abend! – Was wollen Sie hier –?
DER PASSAGIER.
Ich bin, zu dienen, Ihr Mitpassagier.
PEER GYNT.
Ich dachte, daß ich der einzige sei.
DER PASSAGIER.
Ein kleiner Irrtum, der nun vorbei.
PEER GYNT.
Doch ist mir, wo Sie bis heute staken, –
Ein Rätsel –
DER PASSAGIER.
Ich bin dem Tag nicht gut.
PEER GYNT.
Sie sind vielleicht krank? Sie sind weiß, wie ein Laken –
DER PASSAGIER.
Nein, danke, – mir war nie wohler zu Mut.[547]
PEER GYNT.
Das stürmt heut!
DER PASSAGIER.
Ja, ein gesegneter Sturm.
PEER GYNT.
Gesegnet?
DER PASSAGIER.
Die See geht hoch wie ein Turm.
Köstlich! Mir wässern schon, Freund, die Kiefern!
Wie viele Wracks wird diese Nacht liefern; –
Und wie viele Leichen für Fisch und Wurm.
PEER GYNT.
Behüte!
DER PASSAGIER.
Sahn Sie schon einen gehenkt –
Erstickt – ertrunken –?
PEER GYNT.
Geschenkt! Geschenkt!
DER PASSAGIER.
Die Leichen lachen. Doch nur gezwungen;
Und die meisten bissen sich gern in die Zungen.
PEER GYNT.
Hören Sie auf –!
DER PASSAGIER.
Eine Frage bloß.
Bekäme das Schiff nun zum Beispiel 'nen Stoß –
Und sänke –
PEER GYNT.
Sie meinen, das könnt' geschehn?
DER PASSAGIER.
Wie soll ich Ihnen drauf Rede stehn?
Doch gesetzt nun, ich schwämme und Sie gingen drauf –
PEER GYNT.
Ach, Unsinn –
DER PASSAGIER.
Ich stell's nur als Mögliclikeit auf.
Doch, ist sie, wie hier, nicht gar allzu fern,
So sperrt man sich wohl nicht mit milden Gaben –
PEER GYNT greift in die Tasche.
Ah, Geld!
DER PASSAGIER.
Nein; – aber ich möchte gern
Ihren sehr geehrten Kadaver haben!
PEER GYNT.
Jetzt wird mir's zu bunt!
DER PASSAGIER.
Nur den Leichnam, verstehn Sie!
Es ist um der Wissenschaft willen –
PEER GYNT.
Jetzt gehn Sie!
DER PASSAGIER.
Ich bitte Sie, stell'n Sie sich doch zum Entgelt vor:
Ich öffne Sie kunstvoll und leg' Sie der Welt vor.[548]
Ich gehe besonders dem Sitz der Träume nach, –
Und prüf' Ihnen außerdem kritisch die Säume nach –
PEER GYNT.
Vom Leib mir!
DER PASSAGIER.
Freund, – ein ertrunken Gespenst –!
PEER GYNT.
Lästrer! Sie reizen das Wetter! Das grenzt
Wahrlich an Tollheit! Wenn Sturmwind, Regen,
Seegang und, was da noch kommen kann,
Uns nun wirklich das Handwerk legen,
Ist Ihr Übermut schuld daran – –!
DER PASSAGIER.
Sie sind nicht bei Laune zu weitrem Verhandeln;
Die Zeit wird vielleicht Ihren Sinn noch wandeln – –
Grüßt freundlich.
Wir sehn uns beim Sinken, wenn nicht zuvor!
Ich hoffe, Sie sind dann bei besserm Humor.
In die Kajüte ab.
PEER GYNT.
Greuliches Volk, diese Wissenschaftskerle!
Solch ein Freidenkertum –
Zum Bootsmann, der vorübergeht.
He! Mein Mitpassagier, –
Freundchen, – was ist das für eine Perle?
DER BOOTSMANN.
Ich weiß von keinem als Ihnen hier.
PEER GYNT.
Von keinem –? Das wird immer unheimlicher.
Zum Jungmann, der aus der Kajüte kommt.
Wer ging durch die Tür dort?
DER JUNGMANN.
Der Schiffshund, Herr!
Geht weiter.
DIE WACHE ruft.
Land hart voraus!
PEER GYNT.
Mein Koffer auf Deck!
Meine Kasse!
DER BOOTSMANN.
Wir können jetzt nicht vom Fleck.[549]
PEER GYNT.
's war nur Spaß, Kapitän! Eine bloße Nücke!
Ich helfe dem Koch; ich verdient' ja den Stock –
DER KAPITÄN.
Der Klüver sprang!
DER STEUERMANN.
Und da strich das Fock!
DER BOOTSMANN schreit von vorn.
Grund vorm Bug!
DER KAPITÄN.
Sie geht in Stücke.
Das Schiff stößt auf. Lärm und Verwirrung.
Unter Land zwischen Klippen und Brandung.
Das Schiff geht unter. Im Nebel erblickt man undeutlich die Jolle mit zwei Mann. Eine Sturzwelle füllt sie; sie kentert; man hört einen Schrei; es wird ganz still. Nach einer Weile sieht man das Boot, den Kiel oben, einhertreiben.
Peer Gynt taucht in der Nähe des Bootes auf.
PEER GYNT.
Helft! Boot vom Land! Helft, eh's zu spät!
Herr, hilf mir, – wie geschrieben steht!
Klammert sich am Kiel des Bootes fest.
DER KOCH taucht auf der andern Seite auf.
Mir sind zu Hause Kind und Weib, –
Herr Gott, mach', daß ich leben bleib'!
Hält sich am Kiel.
PEER GYNT.
Weg!
DER KOCH.
Weg!
PEER GYNT.
Ich schlag'!
DER KOCH.
Ich auch, wenn's not!
PEER GYNT.
Wenn Du nicht gehst, ich tret' Dich tot!
Der Bootsbauch trägt nicht zwei! Laß los!
DER KOCH.
Ich weiß. Fort.
PEER GYNT.
Selbst fort!
DER KOCH.
Komm Du bloß!
Sie kämpfen miteinander; der Koch schlägt sich eine Hand lahm; er klammert sich mit der andern fest.
PEER GYNT.
Hand weg![550]
DER KOCH.
Ach, Liebster, – sei doch gut!
Bedenk, wie's einem Vater tut –
PEER GYNT.
So wär's für mich noch größre Pein;
Denn ich soll erst noch Vater sein.
DER KOCH.
Laß los! Du hast gelebt; ich nicht!
PEER GYNT.
Marsch; pack' Dich; sink, – verwünscht Gewicht!
DER KOCH.
In Gottes Namen, räum' das Feld!
Dich mißt kein Mensch auf weiter Welt –
Schreit und läßt los.
Ich sink' –!
PEER GYNT packt ihn.
Ich halt' Dich fest beim Schopf;
Bet' flugs Dein Vaterunser, Tropf!
DER KOCH.
Ich weiß kein Wort mehr – mir wird nacht – –
PEER GYNT.
Nur schnell die Hauptsach' abgemacht –!
DER KOCH.
Herr, gib uns –
PEER GYNT.
Mach Dir's Herz nicht schwer;
Du kriegst, was nötig noch zur Zehr.
DER KOCH.
Herr, gib uns unser –
PEER GYNT.
Immer noch?
Man merkt's, Du warst Dein Lebtag Koch.
Läßt ihn fahren.
DER KOCH versinkend.
Uns unser täglich –
Geht unter.
PEER GYNT.
Amen, Mann!
Du warst und bliebst Du selbst. – Wohlan!
Schwingt sich auf den Bauch des Bootes hinauf.
Wo Leben ist, darf Hoffnung sein –
DER FREMDE PASSAGIER legt die Hand aufs Boot.
Gutmorgen!
PEER GYNT.
Hui!
DER PASSAGIER.
Ich hörte schrein; –
Es war doch hübsch, daß ich Sie fand.
Nun? Hatt' ich vorhin recht erkannt?[551]
PEER GYNT.
Fort! Fort! Ich hab' kaum Platz allein!
DER PASSAGIER.
Ich rudre mit dem linken Bein.
Ich schwimme, wenn ich bloß die Spitze
Des Fingers halt' hier in der Ritze.
Ich komm' betreffs des Leichnams –
PEER GYNT.
Still!
DER PASSAGIER.
Da es nun doch zu End' gehn will –
PEER GYNT.
Mund halten!
DER PASSAGIER.
Wie Sie wünschen, Herr.
Stillschweigen.
PEER GYNT.
Nun, und –?
DER PASSAGIER.
Ich schweig.
PEER GYNT.
Entsetzlicher! –
Was woll'n Sie?
DER PASSAGIER.
Warten.
PEER GYNT rauft sich das Haar.
Das ist doch –!
Was sind Sie, Herr?
DER PASSAGIER nickt.
Ihr Freund!
PEER GYNT.
Was noch?
DER PASSAGIER.
Wie, Herr? Erinnr' ich in der Tat an
Nichts Ähnliches?
PEER GYNT.
Ich weiß den Satan –
DER PASSAGIER leise.
Hat er den Brauch, ein Licht zu zünden
Dicht an des Lebens finstern Gründen?
PEER GYNT.
Am End' wird alle Furcht zu nichts, –
Und Sie sind gar ein Geist des Lichts?
DER PASSAGIER.
Freund, – hat jed' Halbjahr Sie bloß einmal
Gebrannt der Angst verzehrend Peinmal?
PEER GYNT.
Furcht fühlt man wohl, wann Schrecken toben; –
Allein wie klingt Ihr Wort verschroben – –[552]
DER PASSAGIER.
Fiel Ihnen einmal bloß im Leben
Der Sieg zu, der in Angst gegeben?
PEER GYNT blickt ihn an.
Wenn Sie mich retten wollten, nun,
So konnten Sie dies früher tun.
Kein Witz, zu wählen seine Stunde,
Wenn einem 's Meer steht bis zum Munde!
DER PASSAGIER.
Sie glauben eher an ein Siegen,
Wann warm Sie hinterm Ofen liegen?
PEER GYNT.
Gut, gut; – jedoch Sie trieben Possen.
Dadurch ward noch kein Herz erschlossen.
DER PASSAGIER.
Wo ich her bin, in jenem Reich,
Gilt Pathos und Gelächter gleich.
PEER GYNT.
Ein jegliches in seinem Falle;
Eins, heißt es, schickt sich nicht für alle.
DER PASSAGIER.
Die schlafen in den Aschenurnen,
Gehn wochentags nicht auf Kothurnen.
PEER GYNT.
Weich von mir, Scheusal! Weg die Hand!
Ich will nicht sterben! Will an Land!
DER PASSAGIER.
Getrost, mein Freund! Ich habe Takt; –
Man stirbt nicht mitten im fünften Akt.
Gleitet hinweg.
PEER GYNT.
Da kam's heraus, trotz aller List! –
Er war ein öder Moralist.
Ein Kirchhof in einem hochliegenden Gebirgssprengel.
Ein Leichenbegängnis. Pfarrer und Gemeinde. Der letzte Vers des Liedes wird gesungen. Peer Gynt kommt des Wegs.
PEER GYNT an der Pforte.
Hier legen sie wohl einen Landsmann hin.
Gott Lob und Dank, daß ich's nicht bin.
Tritt ein.
[553]
DER PFARRER spricht am Grabe.
Und nun, da seine Seele lichtwärts fliegt,
Und leer sein Leib gleich einer Hülse liegt,
Nun, liebe Freunde, sei davon gehandelt,
Wie dieser Tote unter uns gewandelt.
Er war nicht reich, nicht sonderlich von Gaben,
Von Stimme schwach, unmännlich im Gehaben,
Sein Wort kam weich und ungewiß heraus,
Und schwerlich war er Herr im eignen Haus;
Ins Kirchlein sah man ihn verlegen treten,
Als wollt' er bitten: Laßt auch mich hier beten.
Vom Gudbrandstal, Ihr wißt, war er gekommen.
Er zog hier zu, beinahe noch ein Knab'; –
Und Ihr besinnt Euch, daß er bis ans Grab
Die rechte Hand nicht aus dem Rock genommen.
Die rechte Hand im Rock, – dies Merkmal war es,
Das diesen Mann von andern unterschied,
Und dazu sein gedrücktes, sonderbares
Benehmen, wenn er uns einmal nicht mied.
Doch waren's stille Weg' auch, die er wählte,
Und blieb er auch in unsrer Mitte fremd,
So hat's uns doch zu wissen nicht gehemmt,
Daß diese Hand nur vier der Finger zählte.
Ich weiß ihn noch, vor nun so manchem Jahr,
Den Morgen des Aushebungstags zu Lunde.
Es war zur Zeit des Kriegs. In aller Munde
Der Zukunft Fragen und des Lands Gefahr.
Ich war zugegen. Vor dem Tisch saß breit
Der Hauptmann zwischen Amtmann und Sergeanten;
Und Bursch auf Bursche ward nach dem bekannten
Gebrauch geprüft, gebucht und eingereiht.
Der Raum war voll, und draußen vor den Scheiben
Scholl lautes Lachen aus dem Jugendtreiben.
Da rief man einen Namen. Einer trat
Hervor, so bleich, wie Schnee vom Gletschergrat.
Man winkte ihm; bis er zum Tisch sich tappte,
Die rechte Hand gewickelt in ein Tuch; –
Doch wie er auch nach Worten würgte, schnappte, –[554]
Er fand nicht eines, trotz des Hauptmanns Fluch.
Bis er zuletzt, mit brennendem Gesichte,
Halb stammelt', halb hervorstieß die Geschichte
Von einer Sichel, die ihm sei entglitten –
Und ihm den Finger glatt hab' abgeschnitten.
Da ward es still – bis auf der Wanduhr Ticken.
Man kniff den Mund zu, sah sich ins Gesicht;
Man steinigte den Mann mit stummen Blicken.
Er fühlte hageln, doch er sah es nicht.
Da stand der Hauptmann auf, alt, grau, – ich seh'
Ihn noch, – spie aus, wies fort und sagte: Geh!
Er ging. Man wich ihm aus, wie einem Schatten,
Und ließ ihn Ruten laufen. Er gewann
Die Tür; da hüb er blind zu rennen an; –
Und nun – hinauf durch Wälder, über Matten,
Hin über Halden, Hänge, Felsgeschütte – –.
Weit droben im Gebirg lag seine Hütte. –
Ein Halbjahr später war's dann, daß er kam,
Mit Mutter, Braut und Kind, der unsre werden.
Er pachtete sich hier ein Streiflein Erden,
Ein Stückchen Brachmark, das sonst keiner nahm.
Er schloß, sobald es ging, den Ehebund,
Er schritt zum Hausbau, brach den harten Grund;
Und mit Erfolg, wie manches Fleckchen Land
Erzählte, das da gelb in Ähren stand.
Zur Kirche kam er nur, die Hand verborgen, –
Allein daheim, wo's keiner mochte sehn,
Da schafften die neun Finger wohl für zehn. –
Da kam der Bach an einem Frühlingsmorgen.
Sein nacktes Leben rettete das Völkchen.
Er aber ging von neuem an sein Werk.
Es fiel das Laub, und aber stiegen Wölkchen
Aus einer Hütte, dicht nun unterm Berg.
Vorm Bach geschützt, – doch auch vor Schneegewehe?
Zwei Jahre später lag sie unterm Schneee.
Allein der Mann stritt weiter, unerschrocken.
Er hackte, karrte, schaufelte, grub aus, –[555]
Und vor des nächsten Winters ersten Flocken
Stand da zum dritten Mal sein schlichtes Haus.
Drei Söhne hatte er, drei flinke Jungen;
Zur Schule sollten die, und das war weit; –
Der Anschluß an den Weg zudem bedungen
Durch einen Felsenschacht, kaum mannesbreit.
Wie half er sich! Der ältste mußt' sich placken,
So gut es ging, und wo der Steig zu steil,
Da nahm der Mann den Kletternden ans Seil;
Die andern trug er hin auf Arm und Nacken.
So stritt er Jahr um Jahr; sie wurden groß.
Verschönte nun ihr Dank des Vaters Los?
Drei reiche Herren in der Welt, der neuen,
Vergaßen bald der Heimat und des Treuen.
Er war von kurzem Blick. Was über seinen
Bezirk ging, – von dem allen sah er nichts.
Wie taube Schellen klang ihm, was für einen
Der Unsern dröhnt wie Glocken des Gerichts.
Volk, Vaterland, uraltgeheiligt Hehres,
Stand wie im Nebel vor ihm, – Blendwerk, leeres.
Doch Demut, Demut war in diesem Mann;
Seit damals trug er schon an seinem Bann,
So wahr als Scham auf seiner Wange brannte
Und seine Finger in die Tasche bannte. –
Ein Brecher des Gesetzes? Mag es sein!
Doch etwas leuchtet über dem Gesetze,
Wie dort des Berghaupts starrend Felsgestein
Noch überkrönen lichte Wolkennetze.
Ein schlechter Bürger war er. Unfruchtbar
Für Staat und Kirche. Doch am Berg da droben,
Wo er im engsten Kreis sein Glück gewoben,
Dort war er groß, weil er er selber war; –
Weil der ihm eingeborne Klang nie schwieg;
Ein Klang, wie Geigen seufzen unterm Dämpfer.
Und darum Friede Dir, Du stiller Kämpfer,
Den schuf und brach des Bauern kleiner Krieg!
Wir wollen Herz und Nieren nicht ergründen;
Gott ziemt's allein, das letzte Licht zu zünden; –[556]
Doch dies ist meiner Hoffnung Stern und Kern:
Der Mann steht kaum als Krüppel vor dem Herrn!
Das Leichengefolge trennt sich voneinander und geht. Peer Gynt bleibt allein zurück.
PEER GYNT.
Sieh da, das nenn' ich noch Christentum!
Da war nichts, was einen peinlich berührte; –
Zumal dem: »Du selbst zu sein, sei dein Ruhm«,
Zu dem am Schlusse die Predigt führte,
Auch an und für sich alles Lob gebührte.
Blickt in das offene Grab.
War's vielleicht er, der sich damals entstellte,
Als ich im Forst war und Bäume fällte?
Wer weiß es? Ständ' ich nicht mit meinem Stab
Hier an dieses Geistesverwandten Grab,
So könnt' ich denken, ich selbst läge dort
Und hörte des Geistlichen rühmend Wort
Fürwahr, ein schöner christlicher Brauch,
Einen sogenannten Erinnerungsblick
Wohlwollend über ein Leben zu werfen;
Ich hörte gar gern einst auch mein Geschick
Jenen würdigen Hirten dem Volk einschärfen.
Ich tue ja wohl noch so manchen Hauch,
Bis auch mich einst schneidet des Winzers Messer, –
Doch, wie die Schrift sagt: Besser ist besser, –
Und desgleichen: Alles zu seiner Zeit, –
Und endlich: Sorg' für ein ehrlich Begräbnis! –
Ja, die Kirche hat stets einen Trost bereit.
Ich schätzt' sie zu wenig vor diesem Begebnis;
Nun aber fühlt' ich denn doch, wie es tat,
Versichern zu hören von Männern, gelernten:
So wie du gesät hast, so wirst du ernten. –
Man selbst soll man sein, und sich und dem Seinen
In allem nachgehn, im großen und im kleinen.
Will 's Glück sich nicht fügen, so bleibt doch die Ehre,
Daß einer sein Leben geführt nach der Lehre. –
Und nun heim! Steigt der Weg noch so schmal auch und steil,[557]
Und gibt sich das Schicksal auch noch so gefährlich, –
Der alte Peer Gynt kennt sein Sträßlein zum Heil
Und bleibt, der er ist: arm, aber ehrlich.
Ab.
Abhang mit dem ausgetrockneten Bett eines Baches.
Eine zusammengestürzte Mühle am Bache. Der Grund aufgerissen; Zeichen der Zerstörung ringsum. Höher oben ein großer Bauernhof.
Oben vor dem Hofe wird eine Versteigerung abgehalten. Viel Volk ist versammelt. Zechen und Gelärm. Peer Gynt sitzt unten auf einem Schutthügel in der Nähe der Mühle.
PEER GYNT.
Hin und zurück, 's ist der gleiche Weg;
Hinaus und hinein, 's ist der gleiche Steg. –
Die Zeit, sie zehrt, und der Bach verdorrt.
Geh drum herum, sprach der Krumme. Wahr Wort!
EIN MANN IN TRAUER.
Jetzt preisen sie bloß noch Plunder an.
Erblickt Peer Gynt.
Auch Fremde sind hier? Gott zum Gruß, guter Mann!
PEER GYNT.
Desgleichen! Hier ist heut ein lustiger Tag.
Ist hier Kindstauf' heut oder Hochzeitsgelag'?
DER MANN IN TRAUER.
Man weiht, möcht' ich sagen, ein Haus heut ein; –
Die Braut liegt in einem Würmerschrein.
PEER GYNT.
Und Würmer reißen sich um den Schmaus.
DER MANN IN TRAUER.
Das ist das End' vom Lied; dann ist es aus.
PEER GYNT.
Alle Lieder desselbigen Endes sind;
Und alle sind alt; ich kannt' sie schon als Kind.
EIN ZWANZIGJÄHRIGER mit einem Schmelzlöffel.
Hier hab' ich den Vogel abgeschossen!
In dem hat Peer Gynt seine Knöpfe gegossen!
EIN ANDERER.
Und mein Geldscheffel hier, für 'nen Schilling, 'nen ganzen?[558]
EIN DRITTER.
Und für fünftehalb hier der Hausiererranzen?
PEER GYNT.
Peer Gynt? Wer war das?
DER MANN IN TRAUER.
Mir ist nur das klar,
Daß er Schwager vom Tod und Schmied Aslak war.
EIN MANN IN GRAUER KLEIDUNG.
Du vergißt ja mich! Wie kommst Du mir für?
DER MANN IN TRAUER.
Du vergißt auf Hægstad die Blockhaustür.
DER MANN IN GRAU.
Ja, ja; doch Dir hat auch alles genügt.
DER MANN IN TRAUER.
Wenn sie nur jetzt nicht den Tod noch betrügt! –
DER MANN IN GRAU.
Schwager! Einen Schnaps auf der Schwagerschaft Wohl!
DER MANN IN TRAUER.
Der Teufel sei Schwager! Was ist das für Kohl –
DER MANN IN GRAU.
Laß gut sein; das Blut ist noch nicht so verdünnt, –
Man fühlt sich noch immer verwandt mit Peer Gynt.
Zieht mit ihm ab.
PEER GYNT leise.
Man trifft noch Bekannte.
EIN BURSCHE ruft dem Mann in Trauer nach.
Gehst wieder zechen,
Kommt Mutter Dir, Aslak, nach aus der Gruft!
PEER GYNT steht auf.
Hier kann man nun nicht mit dem Landwirt sprechen:
Je tiefer du gräbst, desto besser der Duft.
EIN BURSCHE mit einem Bärenfell.
Die Katze von Dovre! Da seht ihr Fell!
Die war's, die's zur Weihnacht den Trollen legte.
EIN ANDERER mit einem Rentierschädel.
Hier ist der Renbock, der wackre Gesell,
Der mit Peer Gynt einst den Gendin lang fegte.
EIN DRITTER mit einem Hammer, ruft dem Mann in Trauer zu.
He, Du dort, Aslak, kennst Du den Hammer?
Hast Du mit dem einst die Walnuß zerkracht?[559]
EIN VIERTER mit leeren Händen.
Matz Moen, hier der Mantel, der unsichtbar macht!
In dem kam Peer Gynt einst zu Ingrid in die Kammer.
PEER GYNT.
Branntwein, Jungens! Und nun laßt mich Alten
Auch noch Auktion von allerlei halten.
EIN BURSCHE.
Was gibt's zu kaufen?
PEER GYNT.
Ich hab' ein Schloß;
Das liegt in Ronde; – aus gutem Stein!
DER BURSCHE.
Ein Knopf ist geboten!
PEER GYNT.
Schenk' Dir eins ein!
Drunter zu bieten, das war nicht fein.
EIN ANDERER.
Er ist lustig, der Alte!
Ein Haufe schart sich um ihn.
PEER GYNT ruft.
Grane, mein Roß; –
Wer bietet?
EINER IM HAUFEN.
Wo steht es?
PEER GYNT.
Wo wird es sein?
Im Westen! Gen Untergang! Das kann euch traben!
So schnell hat Peer Gynt nicht gelogen, Ihr Knaben!
STIMMEN.
Was hast Du noch mehr?
PEER GYNT.
So Perlen wie Schaum!
Ward mit Schaden gekauft! Wird was einbringen? Kaum.
EIN BURSCHE.
Ruf aus!
PEER GYNT.
Von einem Gesangbuch ein Traum!
Für einen Angelhaken zu haben.
DER BURSCHE.
Zum Teufel die Träume!
PEER GYNT.
Mein Kaisertum!
Ich werf's unter Euch; Ihr mögt raufen darum!
DER BURSCHE.
Folgt die Krone mit?
PEER GYNT.
Aus dem prächtigsten Stroh.
Setzt sie nur auf, sie paßt, so oder so.
Weiter! Ein Windei, noch wohlverwahrt!
Eines Toren Grauhaar! Ein Prophetenbart!
Alles sei dessen, – ich hinterleg' es, –
Der mir den Weiser zeigt: Hier geht's des Weges!
DER AMTMANN der hinzugekommen ist.
Wenn Du noch lang' Dich so gehen läßt,
Mein Mann, so führt Dein Weg zum Arrest.[560]
PEER GYNT mit dem Hut in der Hand.
Glaub's wohl. Doch sag' mir, Freund, wer war
Peer Gynt?
DER AMTMANN.
Du willst mich –
PEER GYNT.
Warum nicht gar!
DER AMTMANN.
Was weiß ich; man sagt, ein greulicher Dichter –
PEER GYNT.
Ein Dichter –?
DER AMTMANN.
Ja, – was nur an Großem erdacht,
Das trug er so vor, als hätt' er's gemacht.
Doch, Freund, schon zu viel von solchem Gelichter –
Geht.
PEER GYNT.
Und wo ist er jetzt, dieser seltsame Fant?
EIN ÄLTERER MANN.
Er fuhr übers Meer in ein fremdes Land.
Dort ging es ihm schlecht, wie vorauszusehn war; –
Jetzt ist er gehängt seit so manchem Jahr.
PEER GYNT.
Gehängt? Ganz, wie ich's gedacht mir hab'!
Der selige Gynt blieb sich treu bis zum Grab.
Grüßt.
Lebt wohl, – und Dank für so mancherlei heute!
Macht einige Schritte, bleibt aber wieder stehen.
Was meint Ihr? Soll ich Euch, wackre Leute,
Dafür ein Geschichtlein wiedererlegen?
MEHRERE.
Ja, weißt Du eines?
PEER GYNT.
Steht nichts dagegen. –
Kommt näher; es gleitet etwas wie ein fremder Ausdruck über sein Gesicht.
In San Francisco grub ich nach Gold.
Da gab es Euch Gaukler, so viel Ihr wollt.
Dem war mit den Zehen zu geigen verliehen;
Der tanzte spanischen Halling auf den Knien;
Ein dritter, erzählte man, Verse schrieb,
Indes man durchs Hirn einen Nagel ihm trieb. –
Kam auch der Teufel dazugestoben, –
Wollt', wie manch andrer, sein Glück erproben.[561]
Seine Kunst bestand darin: mit täuschendem Schein
Zu grunzen als wie ein leibhaftiges Schwein.
Die Persönlichkeit zog, war er gleich nicht bekannt.
Das Haus war voll, die Erwartung gespannt.
Vor trat er, in fliegendem Mantelkragen;
Man muß sich drapieren, wie die Deutschen sagen.
Doch unter dem Mantel, – von keinem gewußt, –
Verbarg sich ein Ferkel an seiner Brust.
Und so begann denn die Produktion.
Der Teufel kniff, und das Schwein gab den Ton.
Das Ganze gab sich als Phantasei
Übers schweinliche Dasein, gebunden und frei.
Ein Quieken zuletzt noch, wie unterm Stahl; –
Worauf sich der Künstler verbeugt' und empfahl.
Der Stoff ward von Fachleuten sorglich durchdacht;
Die Stimmung geschmäht oder lobend belacht;
Der Kehllaut klang doch zu dünn, meinte Kunz,
Und Hinz, daß der Todesschrei allzu studiert war –
Doch alle war'n eins, daß in puncto Gegrunz
Die Produktion denn doch äußerst outriert war. –
Seht, so ging's dem Teufel; denn er war dumm
Und berechnete nicht sein Publikum.
Er grüßt und geht. Es fällt ein unsicheres Schweigen über die Menge.
Pfingstabend. Im Hochwald.
In einiger Entfernung, auf einem Stück Rodeland, eine Hütte mit Rentiergehörn über der Tür.
Peer Gynt kriecht im Gehölz umher und sammelt wilde Zwiebeln.
PEER GYNT.
Dies hier ist ein Standpunkt. Wie wohl gestaltet
Sich's weiter? – Prüft alles, und das Beste behaltet! –
So hab' ich's gemacht, – hoch droben von Cäsar
Bis herunter zum Grasfresser Nebukadnezar.
So sollt' ich nun doch durch die Bibel, zum Trutz! –
Der Graukopf sucht wieder an Mutters Brust Schutz. –
Von Erde, so heißt's ja auch, bist du kommen. –
Nur immer die Wampe recht voll genommen, –[562]
Das ist's. Von Zwiebeln? Das wär' kein Segen; –
Ich will lieber schlau sein und Schlingen legen.
Hier ist Wasser im Bach; ich werd' nicht verschmachten;
Als Tier bin ich immer noch fürstlich zu achten.
Soll ich sterben einst, – und dem entrinn' ich wohl kaum, –
So kriech' ich unter 'nen windbrochnen Baum,
Und deck' mich zu, wie ein Bär, mit Blättern
Und ritz' in die Rinde mit riesigen Lettern:
Hier ruht Peer Gynt, des Landes Zier,
Kaiser von all dem andern Getier. –
Kaiser?
Lacht innerlich.
Noch immer das alte Geliebel!
Du bist kein Kaiser; du bist eine Zwiebel.
Jetzt will ich dich einmal schälen, mein Peer!
Es hilft dir nichts, stöhnst du auch noch so sehr.
Nimmt eine Zwiebel und pflückt Haut um Haut ab.
Da liegt die äußre, zerfetzte Schicht; –
Der Gescheiterte, der um sein Leben ficht.
Die Passagierhaut hier, dünn wie ein Sieb, –
Hat doch im Geschmack von Peer Gynt einen Hieb.
Hier ist das Goldgräber-Ich; – fahr hin!
Der Saft ist weg, – war je einer drin.
Dies Dickfell hier, mit dem Zipfel für zwei, –
Ist der Pelzjäger an der Hudsonsbai.
Dies gleicht einer Krone hier; – hat sich was –!
Dem geben wir ohne weitres den Paß.
Hier der Altertumsforscher, kurz aber kräftig,
Und hier der Prophete, frisch und vollsäftig.
Er stinkt von Lügen, wie's in der Schrift heißt;
Ein Duft, der ein ehrlich Mannsaug' wie Gift beißt.
Dies Blatt hier, das weichlich am Finger klebt,
Ist der Herr, der herrlich und in Freuden gelebt.
Das nächste scheint krank. Es hat schwarze Schwielen; –
Schwarz kann auf Neger wie Pfaffen zielen.
Pflückt mehrere auf einmal ab.
[563]
Das hört ja nicht auf! Immer Schicht noch um Schicht!
Kommt denn der Kern nun nicht endlich ans Licht?!
Zerpflückt die ganze Zwiebel.
Bis zum innersten Innern, – da schau' mir einer! –
Bloß Häute, – nur immer kleiner und kleiner. –
Die Natur ist witzig!
Wirft den Rest fort.
Verdammtes Gegrübel!
Geht eins in Gedanken, gerät's ihm oft übel.
Na, ich kann ja nichts an Haltung verlieren;
Denn ich lieg' ja grundfest auf allen Vieren
Kraut sich im Nacken.
Wunderlich kommt mir dies Welttreiben vor!
Das Leben, wie's heißt, hat 'nen Fuchs hinterm Ohr.
Doch greift einer zu, verzieht sich der Schuft,
Und man fängt etwas andres – oder leere Luft.
Er ist in die Nähe der Hütte gekommen, bemerkt sie und stutzt.
Diese Hütte? Im Kiefernwald –! Hm!
Reibt sich die Augen.
Mir ist just,
Als hätt' ich einmal um dies Bauwerk gewußt. –
Der Rentierkopf, der von der Tür herabglänzt – –!
Ein Meerweib, vom Nabel an fischgeschwänzt –!
Lüge! Kein Meerweib! – Nägel, – Planken, –
Schloß wider tückische Koboldgedanken –!
SOLVEJG singt in der Hütte.
Nun ist hier zur Pfingstfeier alles bereit.
Lieber Junge mein, in der Ferne, –
Bist Du noch weit?
Dein Werk, das harte,
Schaff's nur gemach; –
Ich warte, ich warte,
Wie ich Dir's versprach.
PEER GYNT erhebt sich still und totenbleich.
Eine, die Treue hielt, – und einer, der vergaß.
Einer, der ein Leben verspielt, – und eine, die wartend saß.
O, Ernst! – Und nimmer kehrt sich das um!
O, Angst! – Hier war mein Kaisertum!
In den Wald hinein ab.
[564] Nacht. Kiefernwald.
Ein Waldbrand hat gewütet. Verkohlte Baumstämme meilenweit. Weiße Nebel hier und dort über dem Waldboden.
Peer Gynt kommt durch den Wald gehastet.
PEER GYNT.
Asche, Nebel, Wolken Staubes, –
Bauherr, schwing den Zauberstab!
Über Pesthauch faulen Laubes
Wölb' ein übertünchtes Grab!
Dunst, Traum, totgeboren Wissen –
Damit sei der Grund umrissen,
Drüber sich der Turm der Lüge
Stein um Stein zusammenfüge.
Flucht vor Ernst und Scheu vor Buße
Prahl' von ihm mit frechem Gruße
Allen Richtungen der Rose:
Dies schuf Peter Gynt, der Große!
Lauscht.
Welch ein Weinen – wie von Kindern –?
Welch ein neuer Spuk und Greuel –?
Und am Boden rollen Knäuel –!
Stößt mit dem Fuß danach.
Wollt Ihr mich am Gehen hindern?
DIE KNÄUEL.
Wir sind Gedanken;
Hast Du gedacht uns,
Tanzen auf schlanken
Füßen gemacht uns?
PEER GYNT geht um sie herum.
Einer kam durch mich ans Licht; –
Ward ein schiefer, schieler Wicht!
DIE KNÄUEL.
Wir hätten sollen
Wie Vögel ins Blaue, –
Statt hier zu rollen
Als Garnknäuel, graue.
PEER GYNT stolpert.
Knäuel! Tropf! Was fällt Dir ein!
Stellst dem eignen Vater Bein!
Flüchtet.
[565]
WELKE BLÄTTER fliegen vor dem Winde.
Wir sind eine Losung;
Hast Du gesprochen uns? –
Des Staubs Liebkosung
Hat kläglich gebrochen uns.
Der Wurm zerfraß uns
Bis zu Skeletten;
Dein Geiz vergaß, uns
Um Früchte zu betten.
PEER GYNT.
Kamt doch nicht umsonst zur Erden;
Könnt noch bester Dünger werden.
SAUSEN IN DEN LÜFTEN.
Wir sind Lieder;
Hast Du gesungen uns? –
Tausendmal nieder
Hast Du gezwungen uns.
In Deiner Seele
Lagen und harrten wir; –
Nimmer nun warten wir.
Gift in Deine Kehle!
PEER GYNT.
Gift in Dich, Du dumm Gesing'!
Hatt' ich Zeit zu Versgekling?
Schlägt sich durch Gebüsch.
TAUTROPFEN tropfen von den Zweigen.
Wir sind Zähren; –
Hast Du vergossen uns?
Winter zu wehren,
War einst erschlossen uns.
Dein Herz rief leise; –
Du bliebest achtlos.
Nun starrt's von Eise, –
Und wir sind machtlos.
PEER GYNT.
Hab' geflennt im Dovreschlosse, –
Flog zuletzt doch in die Gosse!
GEBROCHENE HALME.
Wir sind Taten; –
Hast Du bestellt uns?
Weh, nur verraten,
Geknickt und zerspellt uns!
Am jüngsten Tage[566]
Kommen wir allzusamt
Und führen Klage, –
So wirst Du verdammt.
PEER GYNT.
Mir auch noch, verwünschtes Treiben,
Was ich nicht tat, anzuschreiben!
Hastet davon.
AASES STIMME aus der Ferne.
Pfui, so ein Hingejag'!
Schön hast Du umgekippt!
Schnee fiel den ganzen Tag; –
Arg wurd' ich eingestippt. –
Falsch hast gefahren mich;
Sah nichts vom Schlosse;
Der Teufel hielt zum Narren Dich
Mit der Hühnerstallsprosse!
PEER GYNT.
's Beste, sich von hier zu drücken!
Zu den Sünden, die dich plagen,
Auch noch die des Teufels tragen, –
's ist zu schwer für einen Rücken.
Eilig ab.
Eine andere Strecke im Walde.
PEER GYNT singt.
Ein Totengräber! Wo seid Ihr, Hunde?
Ein Lied aus blökendem Küstermunde!
Einen Flor, meinen Hutrand zu schatten!
Ich will meine Toten bestatten.
Der Knopfgießer mit Gerätkasten und einem großen Schmelzlöffel kommt auf einem Seitenweg daher.
DER KNOPFGIESSER.
Schön guten Abend!
PEER GYNT.
Desgleichen Dir!
DER KNOPFGIESSER.
Man hat's eilig, wie? Wohin sollen wir?
PEER GYNT.
Zum Kirchhof.
DER KNOPFGIESSER.
Zum Kirchhof? Verzeihung, – da wär'
(Ich seh' nicht mehr gut) Dein Nam' am End' Peer?
PEER GYNT.
Peer Gynt, wie man sagt.[567]
DER KNOPFGIESSER.
Das Glück ist mir hold!
Just er war's, den ich heut holen sollt'.
PEER GYNT.
Das sollt'st Du? – Was willst Du?
DER KNOPFGIESSER zeigt seinen Schmelzlöffel.
Was mag dies hier sein?
Eines Knopfgießers Löffel! Und Du sollst hinein.
PEER GYNT.
Wozu?
DER KNOPFGIESSER.
Um umgeschmolzen zu werden.
PEER GYNT.
Um umgeschmolzen zu –?
DER KNOPFGIESSER.
Laß die Gebärden!
Dein Grab ist geschaufelt, Dein Sarg bestellt,
Dein Leib den Würmern zur Beute fällt; –
Doch Deine Seele, ward mir befohlen,
In meines Meisters Namen zu holen.
PEER GYNT.
Unmöglich! So ohne vorheriges Zeichen –!
DER KNOPFGIESSER.
Man pflegt bei Niederkünften und Leichen
In aller Stille den Festtag zu wählen
Und dem Ehrengast vorher kein Wort zu erzählen.
PEER GYNT.
Ja, richtig. Vergib, ich bin ganz verstört.
Du bist also –?
DER KNOPFGIESSER.
Knopfgießer; – wie Du gehört.
PEER GYNT.
Verstehe! Lieb Kind hat mancherlei Namen.
Ei, sieh mir, Freund Peer, wohin wir da kamen!
Doch, Alter, Du dünkst mich übel belehrt!
Ich weiß, ich bin mildre Behandlung wert; –
Ich bin nicht so arg, als Ihr vielleicht denkt; –
Ich hab' mancher Guttat das Dasein geschenkt; –
Im schlimmsten Falle bin ich ein Töffel, –
Doch nimmer ein Sünder für Deinen Löffel.
DER KNOPFGIESSER.
Da sprichst Du's ja selber aus, kurzer Hand;
Du bist kein Sünder im höhern Verstand.[568]
Drum sparst Du ja auch die Hölle, Geselle,
Und kommst, gleich andern, in meine Kelle.
PEER GYNT.
Nenn's, wie Du willst, – Kell' oder Höll;
Steinschlag wie Bergsturz bleibt beides Geröll.
Hebe Dich weg von mir!
DER KNOPFGIESSER.
Kränkender Ruf!
Du meinst, ich trab' auf 'nem Pferdehuf?
PEER GYNT.
Auf Pferdehuf oder Fuchsklauen, Mann, –
Pack' Dich, und gib keine Torheiten an!
DER KNOPFGIESSER.
Mein Lieber, Du irrst Dich über die Maßen.
Wir haben beide nicht Zeit, zu spaßen; –
Und darum bündig der Sache Grund.
Ich hab' es aus Deinem eigenen Mund,
Du seist kein großer Sünder zu schelten,
Ja, kaum ein mittlerer –
PEER GYNT.
Das mag gelten.
Das klingt schon besser –
DER KNOPFGIESSER.
Laß Dir nur Zeit; –
Doch Dich tugendhaft schelten, ginge zu weit –
PEER GYNT.
Wer wollte denn auch gleich freien Paß!
DER KNOPFGIESSER.
Du bist also etwas, – halb dies, halb das.
Einem Sünder vom wirklich großzügigen Schlage
Begegnet man heute nicht alle Tage;
Mit Waten im Schlamm ist wenig geschafft;
Eine Sünde will Ernst, eine Sünde will Kraft.
PEER GYNT.
Ja, da hast Du recht; Gott soll mich behüten;
Man soll wie ein alter Berserker wüten.
DER KNOPFGIESSER.
Du aber triebst mit der Sünd' nur Gebuhl.
PEER GYNT.
Mir war sie nie mehr als ein schmutziger Fleck.[569]
DER KNOPFGIESSER.
So sind wir ja einig. Der Schwefelpfuhl
Ist nicht für Euch, die Ihr patschtet im Dreck –
PEER GYNT.
Und folglich wird man verschont nun, Wertester?
DER KNOPFGIESSER.
Nein, folglich umgeschmolzen, Verehrtester.
PEER GYNT.
Was sind das für Kniffe, drauf Ihr hier verfielt,
Derweil sich Peer Gynt von Euch ferne hielt?
DER KNOPFGIESSER.
Ein Brauch, alt, wie die Erschaffung der Schlange; –
Damit, was ein Wert, auch zur Geltung gelange.
Du kennst ja das Handwerk, – weißt wohl, daß oft
Ein Guß mißraten kann, unverhofft.
Oft werden die Knöpfe ösenlos.
Was tätest Du da?
PEER GYNT.
Ich würf' sie beiseite.
DER KNOPFGIESSER.
Jawohl; Jon Gynt war im Wegwerfen groß,
Solang' sich noch Geldsack an Geldsack reihte.
Der Meister aber faßt's anders an –
Und bleibt auch darum ein sicherer Mann.
Er wirft nichts weg, als schlechthin verächtlich,
Was irgendwie noch als Rohstoff beträchtlich.
Du warst nun gedacht als ein blinkender Knopf
Auf der Weste der Welt; doch die Öse mißlang.
So mußt Du denn, Freund, in den Ausschußtopf –
Und nimmst wieder in die Masse den Gang.
PEER GYNT.
Du planst doch nicht etwan aus mir, zum Schluß,
Samt Peter und Paul einen neuen Guß?
DER KNOPFGIESSER.
Ei freilich rechn' ich mit solchen Güssen.
Hat mehr als einer dran glauben müssen.
Zu Kongsberg ergeht es dem Geld nicht anders,
Das schlecht ward ob zu vielen Gewanders.[570]
PEER GYNT.
Aber das ist ja elende Knauserei!
Teuerster Freund, da gib mich nur frei; –
Ein Knopf ohne Öse, ein blinder Heller, –
Was ist das für Deinen Auftragsteller!
DER KNOPFGIESSER.
Freund, ösenlos oder abgeschliffen, –
Dein Metallwert bleibt davon unangegriffen.
PEER GYNT.
Nein, sag' ich! Nein! Mit Zähnen und Klauen
Wehr' ich mich. Alles andre; nur das nicht!
DER KNOPFGIESSER.
Was denn für andres? Empor zum Blauen
Hast Du nun einmal den Reisepaß nicht –
PEER GYNT.
Ich bin zufrieden mit dem, was sich beut;
Von meinem Selbst aber lass' ich keinen Deut.
Straft mich, wie's Brauch, mit gesetzlicher Buße!
Setzt mich zu dem mit dem Pferdefuße; –
Ein hundert Jährlein, tut Ihr's nicht billiger;
Seht, das ist etwas, – da zeig' ich mich williger;
Die Pein ist schließlich doch nur moralisch,
Und also wohl nicht so pyramidalisch; –
Ein Übergang nur, wie geschrieben steht,
Und wie der Fuchs sagte. Früh oder spät
Erfolgt dann ein Abschluß; man zieht sich zurück –
Und hofft – und versucht von neuem sein Glück.
Doch dieses andre, – dies wie ein Stück Lehm
Zerknetet werden zu weiß Gott wem, –
Diese Schmelzlöffelei, dies Enteignungsverfahren, –
Dagegen möcht' ich mich gründlichst verwahren.
DER KNOPFGIESSER.
Aber, lieber Peer, was ist denn dabei?
Wegen solch einer Kleinigkeit solch ein Geschrei!
Ein Mann, der niemals er selbst gewesen; –
Und macht nun, zu sterben, solch Federlesen!
PEER GYNT.
Was ist der Mann nicht gewesen –? Oho!
Peer Gynt ist was andres gewesen; so, so![571]
Nein, Knopfgießer, laß Du das Spekulieren!
Könnt'st Du durchforschen mir Herz und Nieren,
Du träfst bloß immer auf Peer und Peer
Und weiter nichts andres und sonst nichts mehr.
DER KNOPFGIESSER.
Das ist nicht möglich. In meinem Befehle
Hier heißt es: Fordre Peer Gynt! Seine Seele
Bot ihrer Bestimmung Trotz, bis zum Schluß.
In den Löffel mit ihm als mißratenem Guß.
PEER GYNT.
Dummes Zeug! Das gilt einer andern Person.
Steht da wirklich Peer? Nicht Rasmus oder Jon?
DER KNOPFGIESSER.
Die hab' ich seit langem schon umgegossen.
So komm denn im guten, und laß die Possen!
PEER GYNT.
Narr, der ich wäre! Was soll dann geschehn,
Wenn sich morgen erweist, es war ein Versehn?
Du trügst die Verantwortung dann, guter Mann!
Erwäg, was alles draus folgen kann –
DER KNOPFGIESSER.
Ich hab' es hier schriftlich –
PEER GYNT.
So gönn mir doch Frist!
DER KNOPFGIESSER.
Was willst Du damit?
PEER GYNT.
Beweisen, was ist.
Daß ich ich selbst war alle meine Tage.
Und dies war ja wohl unsre strittigste Frage.
DER KNOPFGIESSER.
Beweisen?
PEER GYNT.
Mit Zeugnissen und Attesten.
DER KNOPFGIESSER.
Ich fürchte, Du hältst meinen Meister zum besten.
PEER GYNT.
Nein, nein! Doch alles geh' seinen Gang!
Lieber Mann, bitte, borg' mich mir selbst so lang'.
Nur ein Fristchen! Man wird nur einmal geboren –
Und möchte doch dann auch so weiter bestehn.
Wir sind also einig?[572]
DER KNOPFGIESSER.
Magst Du denn gehn.
Doch am nächsten Kreuzweg bist Du verloren.
Peer Gynt eilig ab.
Ein Stück weiter im Wald.
PEER GYNT in voller Fahrt.
Zeit ist Geld, wie geschrieben steht.
Wo wohl der nächste Kreuzweg geht?
Kommt er noch lange nicht, kommt er bald?
Der Boden brennt mich wie glüh'nder Basalt.
Ein Zeuge! Ein Zeuge! Wo find' ich einen?
Weh mir! Im Wald hier treff' ich wohl keinen.
Die Welt ist Pfuschwerk! Die Einrichtung schlecht,
Will ein Mann beweisen sein sonnenklar Recht!
Ein gekrümmter Alter, einen Stab in der Hand und einen Sack auf dem Rücken, trottet vor ihm her.
DER ALTE bleibt stehen.
Liebwerter, – ein Obdachloser bittet –!
PEER GYNT.
Entschuldig'; ich hab' kein Kleingeld bei mir –
DER ALTE.
Prinz Peer! Herrje! Wir treffen uns hier –?
PEER GYNT.
Wer bist Du?
DER ALTE.
Tu' er doch nicht so gesittet!
PEER GYNT.
Du bist doch wohl nicht –?
DER ALTE.
Der Dovre-Greis? Ja!
PEER GYNT.
Der Dovre-Alte? Du, Alter, da?
DER DOVRE-ALTE.
Was, ich bin schön auf den Hund gekommen –!
PEER GYNT.
Entthront?
DER DOVRE-ALTE.
Ja, schenk' mir Dein Mitleid, ich brauch's.
Hier trab' ich am Bettelstab, knurrenden Bauchs.
PEER GYNT.
Hurra! Die Zeugenschaft dürfte mir frommen!
DER DOVRE-ALTE.
Der Herr Prinz, wie er grau geworden ist![573]
PEER GYNT.
Lieber Schwiegervater, die Jahre zehren.
Na; Schwamm über alle privaten Affären, –
Und, vor allem, keinen Familienzwist.
Ich war damals ein Tollkopf –
DER DOVRE-ALTE.
Ach ja; ach ja; –
Der Prinz war halt jung. Und was macht man nicht da?
Aber klug war der Prinz, seine Braut zu verschmähn;
Jetzt braucht er dafür nicht sein Los zu verdammen!
Nicht lang', und sie war mit 'nem andern zu sehn –
PEER GYNT.
Ei, ei!
DER DOVRE-ALTE.
Immer mehr und mehr ließ sie sich gehn;
Und jetzt, – jetzt lebt sie mit Trond zusammen.
PEER GYNT.
Welchem Trond?
DER DOVRE-ALTE.
Dem im Waldgebirg.
PEER GYNT.
Dem ich einmal
Drei Säterinnen vorm Mund weg stahl!
DER DOVRE-ALTE.
Mein Enkel ist groß geworden und fett;
Sein Nachwuchs sitzt allerorten im Lande –
PEER GYNT.
Ja, klatsch' mir nur alles von A bis Z; –
Was kümmert mich jetzt diese ganze Bande. –
Ich bin nämlich in eine Klemme geraten
Und wünsche ein Zeugnis oder Attest; –
Und ist Väterchens Kopf noch kapitelfest,
So springt ja wohl auch mal ein Viertelsdukaten –
DER DOVRE-ALTE.
Wär's möglich; ich könnte dem Prinzen was frommen?
Und dafür vielleicht selber ein Zeugnis bekommen?
PEER GYNT.
Mit Freuden. Hab' so kein Bar zu verklecken,
Muß knicken und sparen an allen Ecken.
Doch hört, was es gilt. Ihr erinnert Euch doch
An jenen Abend im Rondeschloß noch –
DER DOVRE-ALTE.
Ich werd' nicht, Herr Prinz![574]
PEER GYNT.
Das »Prinz« macht nichts besser.
Genug. Ihr wolltet damals, voll Groll,
Mich blenden, mit Eurem Glasermesser,
Und umschaffen mich aus Peer Gynt zum Troll.
Was tat ich da doch? Ich sagte: »Quod non!
Wenn Ihr mir so kommt, – auf und davon!
Was Liebe, was Ehre, was Macht, – ich bleibe
Ich selber – ich selber, sage und schreibe.«
Diese Tatsache sollt Ihr vorm Richter beschwören –
DER DOVRE-ALTE.
Wie könnt' ich das!
PEER GYNT.
Wärt Ihr mir immer noch gram!
DER DOVRE-ALTE.
Er will doch wohl nicht eine Lüge hören?
Er weiß doch noch, wie er die Trollhose nahm,
Und vom Metkrug schmeckte –?
PEER GYNT.
Ihr wußtet zu locken; –
Doch vor dem Entscheidenden saht Ihr mich stocken.
Und justament daran erkennt man seinen Mann.
Das ist der Schlußvers, auf den kommt's an.
DER DOVRE-ALTE.
Recht gut, daß Du mich auf den Schlußvers bringst!
PEER GYNT.
Was heißt das?
DER DOVRE-ALTE.
Als Du von Ronde gingst,
Da schriebst Du Dir doch hinters Ohr mein Leitwort.
PEER GYNT.
Welches?
DER DOVRE-ALTE.
Das Wort, das mächtige Scheid'wort!
PEER GYNT.
Das Wort?
DER DOVRE-ALTE.
Das uns scheidet vom Menschenzug, –
Das Wort: Troll, sei du selbst dir genug!
PEER GYNT weicht einen Schritt zurück.
Dir genug!
DER DOVRE-ALTE.
Und wo Du auch immer gewandelt,
Hast Du doch seidem danach gehandelt.
PEER GYNT.
Ich! Peer Gynt![575]
DER DOVRE-ALTE weinend.
So lohnt man's dem Alten!
Und wenn Du's auch noch so geheim gehalten, –
Du lebtest als Troll. Mein Wort wies Dich an;
Du wurdest durch mich ein gemachter Mann; –
Und jetzo, jetzt spielst Du den Dünkelhaften
Wider mich und mein Wort, die Dir alles verschafften.
PEER GYNT.
Dir genug! Ein Bergtroll! Ein Egoist!
Hier stimmt etwas nicht; hier steckt eine List!
DER DOVRE-ALTE zieht einen Bündel alter Zeitungen hervor.
Du meinst, wir hätten nicht auch unsre Zeitung?
Hier, bitte; hier schwärmt von Dir, rot auf schwarz,
Die »Blocksbergpost«, ein Blatt von Verbreitung, –
Und hier singen Nummern des »Heklawarts«
Dein Lob, seitdem Du der unsrige bist.
Willst Du es selbst lesen, Peer? Immer tu's!
Hier steht etwas, Unterschrift: »Pferdefuß«.
Und hier: »Vom troll-nationalen Geiste«.
Der Schreiber fördert die Wahrheit ans Licht:
Schwanz und Hörner, die machten's nicht; –
Die innre Verwandtschaft, die tät' das meiste.
»Unser sich-selbst-genug, – das macht den Troll aus!«
So schließt er, – und dann gibt er Dich, Peer, für voll aus.
PEER GYNT.
Ein Bergtroll? Jch!
DER DOVRE-ALTE.
Ja, mein wackrer Genoß!
PEER GYNT.
So konnt' ich ja bleiben im Dovreschloß!
Was ließ ich dann Rondens behagliche Ruh'?
Wandte Schweiß auf und Arbeit und manch ein Paar Schuh'?
Peer Gynt – ein Troll! – Solch ein Quark! Solch ein Kohl!
Da, – kauf' Dir Tabak; und somit – leb' wohl!
DER DOVRE-ALTE.
Geneigter Prinz Peer!
PEER GYNT.
Du bist nicht normal –
Oder kindisch. Geh in ein Hospital![576]
DER DOVRE-ALTE.
Das hätt' ich ja schon seit langem getan!
Doch meine Urenkel, leichten Geistes
Verleugnen sie ihren alten Ahn; –
Ich lebte nur noch in Büchern, heißt es.
Gott soll einen vor seinen Freunden bewahren,
Dies Wort spür' ich Armer am eignen Gebein.
's ist hart, nur noch so sein Gespenst zu sein –
PEER GYNT.
Lieber Mann, das haben schon mehr erfahren.
DER DOVRE-ALTE.
Und wir selbst, wo hätten wir Armenkassen,
Wo Altersgroschen, wo ein Asyl? –
Das würde zu Ronde ja auch nicht passen –
PEER GYNT.
Und zu Eurem selbst-genugsamen Stil!
DER DOVRE-ALTE.
Der Prinz kann dem Wort doch nur Ehre geben.
Und wenn er auf dem oder jenem Weg –
PEER GYNT.
Mein Freund, Du trittst auf 'nen morschen Steg; –
Ich hab' selbst, wie man sagt, kaum das nackte Leben –
DER DOVRE-ALTE.
Das wär' –! Auch der Prinz hätt' als Bettler geendet?
PEER GYNT.
Jawohl. Mein prinzliches Ich liegt verpfändet.
Und wer ist dran schuld? Ihr, verdammte Brut!
Da sieht man, was schlechte Gesellschaft tut.
DER DOVRE-ALTE.
Umsonst denn, daß ich die Hand ausstreckte!
So will ich zur Stadt mich zu fechten sehn.
PEER GYNT.
Was willst Du dort?
DER DOVRE-ALTE.
Zur Komödie gehn.
Sie suchen im Blatt nationale Subjekte –
PEER GYNT.
Glück auf die Reise; und grüss' von mir.
Kann ich mich losreißen, halt' ich's mit Dir.
Ich schreib' eine Farce, so tief wie heiter,
Des Titels: Sic transit usw. usw.
Eilt davon. Der Dovre-Alte ruft ihm vergebens nach.
[577] Ein Kreuzweg.
PEER GYNT.
Jetzt gilt es, Peer, galt es jemals im Leben!
Dies Dovrische genug hat den Ausschlag gegeben.
Das Fahrzeug ward wrack; jetzt schwimm auf den Planken!
Alles andre – nur nicht als Brack abdanken!
DER KNOPFGIESSER an der Wegscheide.
Nun denn, Peer Gynt, das Attest, – wo ist es?
PEER GYNT.
Schon wieder ein Kreuzweg? Du Nimmersatt!
DER KNOPFGIESSER.
Ich blicke nur auf Dein Gesicht, Dein tristes,
Und weiß, was die Glocke geschlagen hat.
PEER GYNT.
Ich bin des Gerenns müd'; – man läuft nur irr –
DER KNOPFGIESSER.
Und legt sich, zudem umsonst ins Geschirr!
PEER GYNT.
Bei Nacht, im Wald, – was ist da zu sagen.
DER KNOPFGIESSER.
Dort humpelt ein Alter. Woll'n wir ihn fragen?
PEER GYNT.
Er ist betrunken. Laß ihn in Ruh'!
DER KNOPFGIESSER.
Doch könnt' er vielleicht –
PEER GYNT.
Pst; laß ihn; – wozu?
DER KNOPFGIESSER.
Ja, so sind wir so weit?
PEER GYNT.
Eine Frage nur noch.
Was ist dieses »sei du du selbst« im Grunde?
DER KNOPFGIESSER.
Eine seltsame Frage, zumal im Munde
Von einem, der jüngst erst –
PEER GYNT.
So antworte doch!
DER KNOPFGIESSER.
Du selbst sein heißt: dich selbst ertöten.
Doch Du brauchst vielleicht noch ein deutlicher Bild? –
Des Meisters Willen als wie ein Schild
An seines Lebensschwerts Griff sich löten.[578]
PEER GYNT.
Doch wenn man nun niemals erfährt, was der Meister
Mit einem gewollt hat?
DER KNOPFGIESSER.
Das soll man ahnen.
PEER GYNT.
Doch wie oft mißleiten uns böse Geister, –
Und dann geht man ad undas mit fliegenden Fahnen.
DER KNOPFGIESSER.
Der Teufel hat's nirgends leichter, zu angeln,
Als eben wo solche Ahnungen mangeln.
PEER GYNT.
Dies ist eine derart verzwickte Geschichte,
Daß ich auf mein »selbst sein« lieber verzichte.
Es fiel' am End' schwer, den Beweis zu führen.
So will ich den Streitpunkt denn nicht mehr berühren.
Doch als ich vorhin so den Wald durchtrabte,
Da kam's, daß mich doch mein Gewissensschuh schabte;
Du bist doch ein Sünder, dacht' ich im stillen –
DER KNOPFGIESSER.
Da fängst Du ja wieder von vorne an –
PEER GYNT.
Ich meine, ein großer, mein guter Mann;
Nicht bloß in der Tat, auch in Wort und Willen:
Im Ausland war ich just kein Philister –
DER KNOPFGIESSER.
Nun gut; so zeig' mir Dein Sündenregister!
PEER GYNT.
Vergönn' mir nur Frist, einen Priester zu suchen;
So beicht' ich und lass' ihn darüber buchen.
DER KNOPFGIESSER.
Ja, brächtst Du mir solch einen Zettel mit,
So wärst Du der Schmelzlöffelsache wohl quitt.
Doch die Ordre, Peer –
PEER GYNT.
Der vergilbte Wisch!
Der ist gewiß noch von älterem Datum; –
Da lebt' ich einmal, weder Fleisch noch Fisch,
Und spielte Prophet und glaubt' an ein Fatum – –
Na, gilt's denn die Probe?[579]
DER KNOPFGIESSER.
Ja – aber –!
PEER GYNT.
Je nun, –
Was hast Du denn, Bester, so viel zu tun!
Hier im Bezirk ist die Luft ja so lieb; –
Die Sterblichkeit wird immer kleiner und kleiner.
Bedenk, was der Pfarrer von Justedal schrieb:
»In diesem Tale stirbt selten einer.«
DER KNOPFGIESSER.
Am nächsten Kreuzweg denn; dann aber – Schluß.
PEER GYNT.
Ein Priester! Ich muß einen finden! Ich muß!
Läuft den Weg weiter.
Hügel mit Heidekraut.
Der Weg schlängelt sich den Höhenzug entlang.
PEER GYNT.
Der nützt mir vielleicht noch zu allerhand,
Sagte Esben, als er einen Elsternflügel fand.
Wer hätte gedacht, daß, als nichts mehr verschlägt,
Seine Sündenschuld einem noch Früchte trägt?
Mir ist zwar auch so nicht sonderlich geheuer;
Denn im Grund führt der Weg nur von Asche zu Feuer; –
Doch es bleibt ja noch immer die Trosttür offen:
Solang' einer lebt, so lang' mag er hoffen.
Eine magere Person in hoch aufgeschürztem Priesterrock und mit einem Vogelstellernetz auf der Schulter wandert eilig den Hügel entlang.
PEER GYNT.
Ein Prediger mit einem Vogelgarn!
Peter! An dir fraß das Glück einen Narr'n.
Guten Abend, Herr Pastor! Holprige Bahn!
DER MAGERE.
Was tut man nicht, eine Seele zu fahn?
PEER GYNT.
Aha; soll eine gen Himmel –?
DER MAGERE.
Nein;
Ich hoffe, sie schlägt einen andern Weg ein.
PEER GYNT.
Herr, würd' ich ein Stückchen wohl mitgenommen –?[580]
DER MAGERE.
Recht gern; Gesellschaft ist immer willkommen.
PEER GYNT.
Mich drückt ein Gesuch –
DER MAGERE.
Vertraun Sie mir's an!
PEER GYNT.
Herr Pastor, ich bin ein ehrlicher Mann.
Ich hielt mein Lebtag des Staats Gebot;
Ich saß niemalen bei Wasser und Brot; –
Doch kann man ja wohl mal den Halt verlieren
Und straucheln –
DER MAGERE.
Das kann dem Besten passieren.
PEER GYNT.
Nun denn; diese Mätzchen –
DER MAGERE.
Nur Mätzchen?
PEER GYNT.
Nur dies.
Nie, daß ich im Ernst wider etwas verstieß!
DER MAGERE.
Dann sparen wir uns jeden weiteren Ton; –
Sie irren sich, scheint es, in meiner Person. – –
Sie sehn meine Hand an? Warum, wenn's genehm?
PEER GYNT.
Welch stattlich entwickeltes Nägelsystem!
DER MAGERE.
Was bietet mein Bein so Besonderes?
PEER GYNT zeigt mit dem Finger.
Ist der Huf dort echt?
DER MAGERE.
Ich schmeichle mir des.
PEER GYNT lüftet den Hut.
Ich hätte doch auf Ihren Schwarzrock geschworen;
Und da sind es – Euer Hochwohlgeboren!
Na; steht's Portal offen, – komm nicht von hinten;
Kannst Du zum König, – geh nicht zum Bedienten.
DER MAGERE.
Ihre Hand! Sie scheinen mir vorurteilsfrei.
Na, Lieber; was gilt's, – und was soll ich dabei?
Nur eins! Nicht um Macht oder Geld mich drängen!
Das kann ich nicht schaffen, und wenn Sie mich hängen.
Mit den Menschen ist heut nichts mehr anzufangen; –[581]
Der Umsatz ist völlig zurückgegangen;
Kein Zuwachs an Seelen; nur dann und wann
Eine einzelne –
PEER GYNT.
Hat sich die Welt so verbessert?
DER MAGERE.
Im Gegenteil, Bester. Kläglich verwässert.
Die meisten holt sich der Schmelzlöffelmann.
PEER GYNT.
Aha, – von dem Löffelmann hört' ich schon was;
Er gab die Veranlassung eigentlich, daß –
DER MAGERE.
Nur Mut!
PEER GYNT.
Nun, – wär' es nicht unbescheiden,
So wünscht' ich wohl –
DER MAGERE.
Einen Zufluchtsort? Wie?
PEER GYNT.
Sie raten's, noch eh' ich ihm Worte lieh.
Sie sagten ja selbst, daß Sie Mangel leiden,
Und sind daher wohl um so eher willig –
DER MAGERE.
Aber, Freund –
PEER GYNT.
Meine Forderungen sind billig. –
Ein Taggeld beanspruch' ich eigentlich nicht;
Nur Behandlung den Umständen angemessen.
DER MAGERE.
Warmes Zimmer?
PEER GYNT.
Nicht zu warm; – vor allem indessen
Erlaubnis, davonzugehn, schlank und schlicht, –
Zurückzutreten, um's kurz zu sagen, –
Sobald sich ein Weg zeigt zu besseren Tagen.
DER MAGERE.
Mein Freund, es tut mir wahrhaftig leid.
Doch Sie glauben mir nicht, welche Menge Suppliken
Ähnlicher Art mir die Leute schicken,
Wenn es sie abruft aus ihrer Zeit.
PEER GYNT.
Doch denk' ich an meinen verflossenen Wandel,
So dünkt mein Gesuch mich nickt allzu gewagt –[582]
DER MAGERE.
Es war'n doch nur Mätzchen –
PEER GYNT.
Was man so sagt; –
Doch, da fällt mir ein, ich trieb Negerhandel –
DER MAGERE.
Da handelten welche mit Willen und Sinnen –
Und mußten doch wieder, als Pfuscher, von hinnen.
PEER GYNT.
Ich hab' Brahmafiguren nach China verladen.
DER MAGERE.
Sie Leichenbitter auf Sündenpfaden!
Sind welche, die laden ganz andre Figuren
In Reden ab, Künsten und Literaturen –
Und rühren mich doch nicht –
PEER GYNT.
Es blieb nicht dabei; –
Ich lebt' als »Prophet« eine tolle Legende –
DER MAGERE.
Im Ausland? Der meisten Blauseherei
Ist Humbug und findet im Löffel ihr Ende.
Wenn Ihr Gesuch auf nichts weiter beruht,
So kann ich nicht dienen, so leid es mir tut.
PEER GYNT.
Doch, hör'n Sie; ich kam auf 'nem Bootskiel getrieben, –
Der Ertrunkene greift nach dem Halm, steht geschrieben, –
Und: Du selbst bist dein Nächster, steht gleich daneben, –
Und da kam durch mich halbwegs ein Koch ums Leben.
DER MAGERE.
Hätt' lieber von einer Köchin vernommen,
Die durch Sie zugleich um was andres gekommen.
Was ist das hier für ein Halbwegs-Schnack,
Mit Respekt zu sagen? Wer möchte zu Zeiten,
Wie diese, die Kosten der Feurung bestreiten,
Was denken Sie wohl, für solch stimmungslos Pack?
Ja, ja, Sie mein' ich, mit Ihren Faxen;
Ich spreche, wie mir der Schnabel gewachsen.
Ich wünschte nur, daß der Herr Dilettant
Sich vor dem Löffel nicht länger grauste.
Was hülf's, und wenn ich Sie zehnmal behauste?
Mein Freund, Sie sind doch ein Mann von Verstand,[583]
Wie schon Ihr gutes Gedächtnis beweist? –
Doch die Aussicht übers durchwanderte Land
Erzeigt sich denn doch, so für Herz wie für Geist,
Als ein Ausblick auf, sagen wir, zu viel Sand.
Was haben Sie, drüber zu lachen, zu weinen,
Was jubelnd zu bejahen, was verzweifelnd zu verneinen,
Was, das Sie heiß oder kalt überschreckt? –
Sie ärgern sich, – das ist der ganze Effekt.
PEER GYNT.
Es heißt, daß man schwer beurteilen kann,
Wo der Schuh drückt, hat man den Schuh nicht an.
DER MAGERE.
Das ist wahr; und – sei der und jener gepriesen –
Ich bin auf ein ungleich Paar Stiefel angewiesen.
Doch ein Glück, daß ich Stiefel sage, mein Bester,
Das erinnert mich dran, daß es eilen heißt,
Mir winkt ein Braten, der hoffentlich feist;
Und da schwatz' ich hier wie eine Kaffeeschwester –
PEER GYNT.
Und dürfte man fragen, welch Sündenkraut
Den Kerl gemästet hat?
DER MAGERE.
Nach Verlaut
War er er selber bei Tag und bei Nacht;
Und das ist doch der Kernpunkt, im letzten Betracht.
PEER GYNT.
Er selber? Die Art kommt zu Ihnen ins Haus?
DER MAGERE.
Wie's fällt; wir sperren sie keinesfalls aus.
Man kann man selbst sein in doppeltem Verstand,
Ein Rock sein, von außen oder von innen.
Sie wissen, wie jüngst in Paris man erfand,
Porträts mit Hilfe von Sonne zu gewinnen.
Da kann man nun richtige Bilder machen,
Oder Negative, die gleich viel wert sind,
Nur daß hier Licht und Schatten verkehrt sind, –
Und die Laien sie häßlich finden und lachen.
Doch die Ähnlichkeit schlummert auch hier verstohlen,
Es kommt nur drauf an, sie hervorzuholen.[584]
Hat eine Seele nun in ihrem Leben
Sich also negativ photographiert,
So wird die Platte drum nicht kassiert, –
Man pflegt sie vielmehr an uns weiter zu geben.
Wir nehmen sie uns sodann vor zur Behandlung; –
Und geeignete Mittel vollziehn die Verwandlung.
Wir dämpfen, wir baden, wir putzen, wir hitzen,
Mit Säuregüssen und Schwefelblitzen,
So lang', bis sich unsrem geduldigen Auge
Das rechte Bild endlich, das Positiv, tischt.
Doch hat man, wie Sie, sich zur Hälfte verwischt, –
So nützt weder Schwefel noch Kalilauge.
PEER GYNT.
Also nur wer als Rabe zu Ihnen kommt,
Kann als Schneehuhn gehn? Mit Verlaub, wem frommt
In seiner negativen Elendigkeit
Wohl diesmal Ihre Kunst und Behendigkeit?
DER MAGERE.
Einem Herrn Peter Gynt.
PEER GYNT.
Peter Gynt? Ei, ei!
Ist Herr Gynt er selbst?
DER MAGERE.
Er schwört, daß er's sei.
PEER GYNT.
Na, glaubwürdig ist er, dieser Herr Peter.
DER MAGERE.
Sie kennen ihn?
PEER GYNT.
Was man so nennt, versteht er; –
Man kennt ja so manchen.
DER MAGERE.
Meine Zeit ist knapp.
Wo sahn Sie zuletzt ihn?
PEER GYNT.
Drunten am Kap.
DER MAGERE.
Di buona speranza!
PEER GYNT.
Jawohl; doch sein Wort war,
Sein letztes, daß er die längste Zeit dort war.
DER MAGERE.
So muß ich stehenden Fußes dorthin.
Doch geh' ich, trüber Ahnungen schwanger.[585]
Das Kapland, das Kapland wollt' mir nie in den Sinn; –
Dort sind so ein paar schlimme Missionare von Stavanger.
Er fährt gen Süden.
PEER GYNT.
Der Esel, der dumme! Da schiebt er ab,
Daß die Zung' ihm heraushängt. Viel Glück zum Kap!
Den Hund hab' ich naszuführen gewußt!
So ein Kerl macht sich kostbar und wirft sich in die Brust!
Er hat's wahrlich nötig, sich dick zu machen!
Sein Handwerk wirft ihm nicht viel in den Rachen.
Bald wird er eingehn an Fettverlust.
Hm, ich bin zwar auch kein Ritter ohne Tadel;
Ich bin ausgestoßen, kann man sagen, aus dem Selbsteigner-Adel.
Eine Sternschnuppe fällt; er nickt ihr zu.
Grüss' von Peer Gynt, Bruder Meteor!
Leuchten, erlöschen, verschwinden im Tor
Der Finsternis – –
Schaudert zusammen, wie von Angst gepackt, und geht tiefer hinein in die Nebel; nach einer Weile Schweigens schreit er auf.
Will mir denn niemand erstehn, –
Niemand im Abgrund, niemand im Reich des Lichts!
Kommt weiter unten wieder hervor, wirft seinen Hut zu Boden und rauft sich das Haar. Allmählich wird er ruhiger.
So unsäglich arm kann ein Mensch also gehn
Zurück in die grauen Nebel des Nichts.
Du liebliche Erde, sei mir nicht gram,
Daß ich Dein Gras trat, keinem zum Frommen.
Du liebliche Sonne, die leuchten kam
In ein Haus, drin keiner Dich hieß willkommen!
Kein Mund sprach zu Deiner Schönheit den Reim; –
Der Eigner, so sagt man, war niemals daheim.
Liebliche Sonne, liebliche Erde, –
Was heimtet Ihr meine Mutter an Eurem Herde.
Geist ist kein Marktgeschenk; Natur tritt mit Füßen ...
Es ist hart, seine Geburt mit dem Leben zu büßen. –
Hinauf will ich, hoch, wo die Gipfel blauen,
Einmal die Sonne noch aufgehen schauen,[586]
Starren mich müd' aufs gelobte Land,
In einem Schneesturz mein Ruhbett haben;
Man mag drüber schreiben: »Hier ist niemand begraben«;
Und dann –! Ja, – das Dann hat noch keiner gekannt.
KIRCHGÄNGER singen auf dem Waldweg.
O Morgenstunde,
Da Zungen des Geistes
Wie Schwerter herniedergeflammt!
Aus Enkelmunde
Den Geist nun preist es
In Liedern, dem Himmel entstammt.
PEER GYNT kriecht erschreckt in sich zusammen.
Nicht dorthin schaun! Dort ist Nacht und Verderben. –
Ich fürcht', ich war tot lange vor meinem Sterben.
Will sich durchs Gebüsch davonstehlen, stößt jedoch auf den Kreuzweg.
DER KNOPFGIESSER.
Guten Morgen, Peer Gynt! Wo ist das Register?
PEER GYNT.
Das Glück und ich, – wir sind Stiefgeschwister.
Was tat ich nicht!
DER KNOPFGIESSER.
Ohne daß Dich wer traf.
PEER GYNT.
Hm, nur ein reisender Photograph.
DER KNOPFGIESSER.
Ja, die Frist ist aus.
PEER GYNT.
Alles ist aus.
Die Eule wittert uns. Hörst Du sie wimmern?
DER KNOPFGIESSER.
Ich hör' nur die Glocke –
PEER GYNT zeigt.
Was mag dort schimmern?
DER KNOPFGIESSER.
Eine Hütte, nichts weiter.
PEER GYNT.
Was klingt dort im Winde –?
DER KNOPFGIESSER.
Ein Weib singt, nichts weiter.
PEER GYNT.
Ja, dort, – dort finde
Ich das Register –
DER KNOPFGIESSER ergreift ihn beim Arm.
Bestell' Dein Haus!
[587] Sie sind aus dem Gebüsch herausgekommen und stehen vor der Hütte.
Morgendämmerung.
PEER GYNT.
Mein Haus bestellen? Dort ist's! Geh, Mann!
Pack' Dich, Mann! Mich und mein Schuldbuch bärge
Kein Löffel, – und hätt'st Du sie groß wie Särge!
DER KNOPFGIESSER.
Bis zum dritten Kreuzweg denn, Peer; aber dann –!
Biegt zur Seite ab und geht.
PEER GYNT nähert sich dem Hause.
Hin und zurück, 's ist der gleiche Weg;
Hinaus und hinein, 's ist der gleiche Steg.
Bleibt stehen.
Wilde, wilde, unendliche Klage;
So heimzukehren am End' seiner Tage!
Macht einige Schritte, hält aber wieder inne.
Drum herum, sprach der Krumme!
Hört Gesang in der Hütte.
Nein, dieses Mal, Peer,
Mittendurch, – ob auch der Weg noch so schwer!
Er eilt auf das Haus zu; im selben Augenblick tritt Solvejg aus der Tür, zum Kirchgang gekleidet und das Gesangbuch ins Tuch geschlagen, einen Stab in der Hand. Sie steht hoch da und gütig.
PEER GYNT wirft sich auf die Schwelle nieder.
Hier ist ein Sünder! Dein Urteil, – sprich's aus!
SOLVEJG.
Gott sei gelobt! Da kam er nach Haus!
Tastet nach ihm.
PEER GYNT.
Klag' aus das Übermaß meines Gerichts!
SOLVEJG.
Mein einzigster Junge, Du sündigtest nichts!
Tastet wieder und findet ihn.
DER KNOPFGIESSER hinter dem Hause.
Das Register, Peer Gynt?
PEER GYNT.
Schrei aus mein Verbrechen![588]
SOLVEJG setzt sich nieder zu ihm.
Durch Dich ward mein Leben ein selig Lied.
Gesegnet seist Du! Du hieltst Dein Versprechen!
Gesegnet der Pfingstmorgen, der Dich hier sieht!
PEER GYNT.
Verloren!
SOLVEJG.
Laß Ihn nur raten und taten!
PEER GYNT lacht.
Verloren! Du könntest denn Rätsel raten!
SOLVEJG.
Nenn sie.
PEER GYNT.
Nenn sie! 's hat keine Gefahr –!
So sag', wo Peer Gynt all die Zeit über war?
SOLVEJG.
Wo er war?
PEER GYNT.
In der Brust der Bestimmung Keim –!
Wo er war, wie sein Gott ihn gewollt und verstanden!
Kannst Du das sagen? Wenn nicht, muß ich heim, –
Und untergehn in den nebligen Landen.
SOLVEJG lächelt.
O, das Rätsel ist leicht.
PEER GYNT.
So sag', was Du weißt!
Wo war ich, in der Brust den göttlichen Geist,
Auf der Stirn den Namenszug, den Er geschrieben?
SOLVEJG.
In meinem Glauben, in meinem Hoffen und in meinem Lieben.
PEER GYNT fährt stutzig zurück.
Was sagst Du –! Schweig! Mach's Herz mir nicht schwer!
Eine Mutter hat in ihr Kind sich verliebt!
SOLVEJG.
Eine Mutter; – doch wer ist sein Vater? Er,
Der ihm um der Mutter willen vergibt.
PEER GYNT ein Lichtstrahl überfliegt ihn, er ruft.
Mutter, Weib; Magd ohne Schuld und Fehle! –
Birg mich denn in Deiner Seele!
Er klammert sich an ihr fest und verbirgt das Angesicht in ihrem Schoß. Langes Schweigen. Die Sonne geht auf.
SOLVEJG singt leise.
Schlaf denn, teuerster Junge mein!
Ich wiege Dich und ich wache. –[589]
Auf meinem Schoß hat mein Junge gescherzt,
Hat ihn seine Mutter sein Lebtag geherzt.
An Mutters Brust hat mein Junge geruht,
Sein Lebtag. Gott segne Dich, mein einzigstes Gut!
An meinem Herzen zunächst war sein Platz,
Sein Lebtag. Jetzt ist er so müd', mein Schatz.
Schlaf denn, teuerster Junge mein!
Ich wiege Dich und ich wache!
DES KNOPFGIESSERS STIMME hinter dem Hause.
Wir sehn uns am letzten Kreuzweg, Peer;
Und dann wird sich zeigen, – ich sage nicht mehr.
SOLVEJG singt lauter im Tagesglanz.
Ich wiege Dich und ich wache; –
Schlaf und träum', lieber Junge mein!
Ausgewählte Ausgaben von
Peer Gynt
|
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro