Sechster Auftritt.

[226] General. Lieutenant Stern.


LIEUTENANT. Ihro Excellenz haben mich herbescheiden lassen – ich erwarte Ihre Befehle.

GENERAL. Sie sind ein unruhiger, heftiger Mann, Herr Lieutenant.

LIEUTENANT. Hat man Ihro Excellenz meine Papiere überreicht?

GENERAL. Hier sind sie.

LIEUTENANT. So hoffe ich, daß ihr Inhalt Dero Frage eines Theils beantwortet.[226]

GENERAL. Diese Papiere, denen ich vollen Glauben zu geben mehr als Eine Ursache habe, besagen, daß Sie brav gedient haben – und sehr brav.

LIEUTENANT verbeugt sich.

GENERAL. Sie müssen oft übergangen worden sein.

LIEUTENANT. Ja, sehr oft.

GENERAL. Wie ist das zugegangen?

LIEUTENANT. Man hat meiner nicht geachtet.

GENERAL. Das war ungerecht.

LIEUTENANT. Dafür habe ich es gehalten.

GENERAL. Warum haben Sie sich nicht gemeldet?

LIEUTENANT. Das habe ich niemals gewollt.

GENERAL. Warum nicht? Das ist Eigensinn, und den liebe ich nicht. Eigensinn entstellt das Verdienst.

LIEUTENANT. Ein eigner Sinn ist darum nicht Eigensinn, und mag wohl von Jahren und Ehrgefühl unzertrennlich sein.

GENERAL. Der Kriegsminister bleibt bei dem besten Willen doch nur ein Mensch.

LIEUTENANT. Wenn er Mensch bleibt, so gewinnt die Armee.

GENERAL. Ein Mensch kann aber vergessen. Wer ein Ganzes zu versorgen hat, übersieht manchmal den Einzelnen.

LIEUTENANT. Manchmal! Das hat nichts auf sich. Nur wenn es oft geschieht, ist es ein merklicher Fehler.

GENERAL. Sie sind oft vergessen?

LIEUTENANT. Bei allen Gelegenheiten.

GENERAL. Das ist abscheulich! Das verunglimpft den Monarchen und den Dienst. Lebhaft. Ich sage es noch einmal, Sie hätten sich melden sollen.

LIEUTENANT mit edler Wärme. Ihro Excellenz, wenn bei[227] den Obern solche Dienste vergessen werden können, als ich das Glück hatte, dem Vaterlande zu leisten, so ist es unter der Würde dessen, der geleistet und gelitten hat, sich anzupreisen. Dann gibt das Selbstgefühl uns den Charakter, welchen der Staat verweigert. Man wetteifert hernach, vor den Augen des Kriegsministers eben so unerschüttert dazustehen, wie vor den Batterien der Feinde.

GENERAL. Das ist stolz gesprochen.

LIEUTENANT. Zu entbehren wissen, ist die Eigenschaft, die den Krieger macht: hat man es darin weit gebracht, so artet diese Tugend leicht in Stolz aus.

GENERAL. Sie haben durch Ihr Schweigen Ungerechtigkeit erlitten, und haben mich Ungerechtigkeit begehen lassen.

LIEUTENANT zuckt die Achseln.

GENERAL. Nun, da Sie alt sind, da Sie Ehre und Vortheil die kürzeste Zeit noch zu genießen haben, nun melden Sie sich! nun werden Sie heftig!

LIEUTENANT. Das Alter macht wankend in den Grundsätzen, die Gefühle werden nagender, die Schwäche bricht aus in Heftigkeit. Dann Kleine Pause. bin ich auch Vater! –

GENERAL geht ein paar Schritte, tritt dann zu ihm, und sagt mit Gutmüthigkeit. Sie sind kein glücklicher Vater, Herr Major.

LIEUTENANT. Ihro Excellenz – ich bin Lieutenant.

GENERAL. Ach – das schickt sich jetzt nicht mehr! Nun, Sie sind kein glücklicher Vater, – Herr Major.

MAJOR STERN betroffen. Ihro Excellenz. –

GENERAL. Im Vorbeigehen, ich werde mich selbst bei dem Monarchen wegen meiner Vergeßlichkeit anklagen. Vielleicht habe ich sonst hie und da etwas nicht vergessen, deshalb[228] er mir sie verzeiht. Mein Unrecht gegen Sie in etwas wieder gut zu machen, wird er gewiß meinen Vorschlag genehmigen, der Sie wegen Ihrer Erfahrung, Ihrer Geradheit, Ihrer Festigkeit, und wegen Ihrer geleisteten Dienste zum Major bei unserm Kadettenhause bestimmt. Der Monarch ist gerecht und gut.

MAJOR STERN. Gott erhalte ihn, das ist er! Ich habe seinen guten Namen nicht nur auf seinem Degen getragen, sondern auch im Herzen. Daher habe ich niemals viel gesorgt, was mir dieses Gute einbringt. Auch jetzt noch fühle ich mich reich genug als Soldat; aber als Vater bin ich arm.

GENERAL. Ich weiß es.

MAJOR STERN. Als Vater bin ich heftig geworden, und bin als Mensch gegen eine Ungerechtigkeit – verzeihen Sie mir es – zu Felde gegangen, die ich, alt, verstoßen und unglücklich, nun endlich nicht mehr ertragen dürfte, wie ich glaube.

GENERAL. Sie haben den Geheimenrath gefordert –

MAJOR STERN. Weil er Ihro Excellenz eine Ungerechtigkeit abgelistet hat.

GENERAL. Deswegen habe ich Ihnen, so bald ich einen Blick in Ihre Papiere gethan hatte, Arrest gegeben. Ich habe nicht gewollt, daß eine Heftigkeit Ihre gute Sache verderben sollte.

MAJOR STERN. Das ist menschlich – wie ich Sie überhaupt finde, und sehr davon gerührt bin. –

GENERAL. Mein Gott! bin ich denn anders bekannt?

MAJOR STERN. Nein, wahrhaftig nicht!

GENERAL. Nun so frage ich noch einmal, warum haben Sie sich nicht längst bei mir gemeldet?[229]

MAJOR STERN. Aus zwei Ursachen.

GENERAL. Ich wünsche sie zu wissen.

MAJOR STERN. Ihro Excellenz befehlen das?

GENERAL. Ich verlange es.

MAJOR STERN. Mein Schwiegersohn war ehedem bestimmt, Ihro Excellenz Niece zu heirathen –

GENERAL. Und weil er Ihre Tochter genommen hat, fürchteten Sie, ich möchte üble Laune gegen Sie haben. Hm! Sie kennen mich nicht.

MAJOR STERN. Ja, Ihro Excellenz, ich habe Sie früher gekannt, vor langer Zeit schon –

GENERAL. Sie? mich? Wo? Wann?

MAJOR STERN. Ich hatte das Vergnügen, Ihnen damals einen Dienst zu leisten, und mehr das, als jene Heirath, ist die eigentliche Ursache, weshalb ich mich nie bei Ihnen gemeldet habe. Ich habe nicht wegen der Erinnerung der früheren Kameradschaft befördert sein wollen, sondern wegen des Verdienstes, und in der Reihe.

GENERAL. Wo, wann haben wir uns gekannt?

MAJOR STERN. Vor vierzig Jahren. Ihro Excellenz kamen als Volontär in Dienste. Ich war kurz zuvor von Jena in Dienste gekommen, und wurde eben als Unteroffizier angestellt. Es war vor Prag, wo Sie Abends in Ihr Zelt rannten, außer sich nach Pistolen griffen, um den Proprietär Ihres Regiments, von dem Sie beleidigt waren –

GENERAL. Wie? Sieht ihn an. Stern? Stern? Indem es ihm schnell einfällt. Ach, mein Gott! Unteroffizier Stern! – Ja – ich weiß – ich sehe es noch – Sie schossen meine Pistolen in den Boden, umklammerten mich, – hielten mich, bis ich, von konvulsivischem Zorn erschöpft, ohnmächtig in[230] Ihren Arm niedersank! Ohne Sie hätte ich den Proprietär erschossen, wäre nach den Kriegsrechten – – Und der Mann geht mir aus dem Wege?

MAJOR STERN. Dem Zufall wollte ich nichts verdanken.

GENERAL. Stern – Stern! Herr Major! – Mann! wo wäre ich ohne Sie? – Kamerad – Mensch – Bruder – Freund! komm an mein Herz, und laß dir danken. Er umarmt ihn.

MAJOR STERN. Ihro Excellenz –

GENERAL. Weg mit dem Titel, wo eine kostbare Menschenhandlung das Verhältniß unter zwei Herzen bestimmt hat! die Handlung und der Mensch war nie vergessen; nur den Namen hat leider die Zeit ausgelöscht. Stern! als Mensch dem Menschen will ich Ihnen vergelten, nicht als General. Nein, Ihr feines Ehrgefühl soll befriedigt werden; die Menschen sollen an Ihnen und mir nichts aussetzen können. – Ihre Tochter ist unglücklich, nicht wahr, Herr Major? –

MAJOR STERN. Da ist nicht mehr zu helfen –

GENERAL. Es kann sein, ich fürchte es fast. Aber dann muß man thätig zu trösten suchen. – Wir wollen aber sehen! Adieu für jetzt! Gehen Sie nicht aus meinem Hause. Unruhig. Vielleicht – vielleicht auch nicht – – wir wollen sehen! Gibt ihm die Hand mit brüderlicher Herzlichkeit. Gehen Sie zu meinem Adjutanten. Lassen Sie mich machen. Wir sehen uns wieder.

MAJOR STERN der sie herzlich schüttelt. Alles Gott und dem Freunde befohlen! Geht ab.

GENERAL geht heftig auf und ab. Wie ist das zu machen? Er steht still. Noth kann man heben – aber Ehre – die[231] kann man nicht wiedergeben – und ohne diese ist dem Ehrenmann nicht geholfen. Er geht nachdenkend umher.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 3, Wien 1843, S. 226-232.
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