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[73] Oberförster. Amtmann.
AMTMANN. Ich muß wegen der Grenzstreitigkeiten mit Oberhausen noch arbeiten, ehe ich dort hingehe – die Prozeßsachen hier im Ort wollen denn doch auch gefördert sein – wie gesagt – ich mußte mich mit Mühe losreißen.
OBERFÖRSTER. Prozeßsachen? O Herr Amtmann, kehren Sie zurück, achten Sie nicht auf die Einladung – in unserm Ort sind viel Bettelleute durch langsame Justiz. Wollten Sie ihnen heute helfen! O so wahr Gott ist! Dann tun Sie was Bessers als Braten essen und Wein trinken – kehren Sie zurück!
AMTMANN. Nicht doch – es kann Anstand haben. Es hat damit nicht soviel Eile.
OBERFÖRSTER. Nicht Eile? – Mordtausend Sapperment!
AMTMANN. Was ist Ihnen?
OBERFÖRSTER. Herr! Dem Ludwig Grothal kostet der Prozeß – der Bettel, über den er herkömmt, ist fünf Taler wert – kostet ihm hundert. Das Haus ist für die Gerichtskosten verkauft – das Vieh wurde herausgetrieben, indes er auf dem Felde war. – Es war nur Vieh, aber wie ich es so in der Irre brüllen hörte, schnitt mir's durchs Herz. Die Kinder sind von der Gemeinde barmherzig aufgenommen. Er ist nach Amerika. Um Papiere, um elende Rechtsverdrehungen ist ein fleißiger Hausvater aus dem Vaterlande gejagt worden! Herr – wenn zu Ihren Tressen da – auch nur etliche Groschen von jenem Vermögen verwandt sind, so drücken sie schwer.
AMTMANN. Lieber, heftiger Mann – was kann ich dabei tun? Der Schlendrian ist alt – ich kann ihn nicht heben – man muß Geduld haben!
OBERFÖRSTER. Wie zum Teufel! soll es ein ehrlicher Mann mit seinem Gewissen machen? Wahrheit ist nicht Wahrheit. Wer klagt, wird ausgelacht. Wem der Kopf[73] brennt über einen Schurkenstreich, ist ein Tollkopf. Drinnhauen soll man nicht. Was denn? Schweigen, lügen, unbarmherzig, feig sein – oder mit stehlen und rauben, drüber und drunter.
AMTMANN. Mein guter Mann – das war der Welt Lauf von Anbeginn, und wird's auch wohl bleiben bis ans Ende.
OBERFÖRSTER. – Herr – ich glaube, Sie haben recht.
AMTMANN. O gewiß!
OBERFÖRSTER. Wenn ich nicht gewiß glaubte, daß ich zu wichtigerer Ursach auf der Welt bin, als mich zu plagen und zu verwesen; daß einmal an einem andern Orte gleichgemacht wird, was hier ungleich bleibt – wenn ich das nicht mit fröhlichem Mute glaubte, so könnte ich mit einem Schurken nicht drei Minuten allein sein, ohne ihm eine Kugel durchs Herz zu brennen. – Wie befinden sich der Herr Sohn und die Frau Gemahlin?
AMTMANN. Gott sei Dank! Recht wohl. – Wen treffe ich denn bei Ihnen diesen Mittag – Vermutlich unsern Herrn Pastor –
OBERFÖRSTER. Ja.
AMTMANN. Ein grundbraver Mann – er predigt die lautere Moral.
OBERFÖRSTER. Und was er uns predigt, tut er.
AMTMANN. Wenn er nur nicht die Grille hätte, sich um das Hauswesen der Leute im Ort zu bekümmern.
OBERFÖRSTER. Warum nicht? Der Pastor hat seit zwanzig Jahren mehr für uns getan als das Amt in dreißig.
AMTMANN. Wieso?
OBERFÖRSTER. Bei dem hochlöblichen Amte muß man klagen, wenn man Hülfe haben will, und es hilft nicht: der gute Pastor hilft, ehe man klagt.
AMTMANN. Das ist viel gesagt.
OBERFÖRSTER. Gar nicht. Es kostet ihm sein Vermögen. Und muß es denn immer Geld sein, was hilft? Ich habe es all mein Tage gesehn, mit Geld ist oft den Leuten am wenigsten gedient. Das Herz auf dem rechten Fleck, Vertrauen – Zuspräche, Geduld – ein freundliches Gesicht – Herr! Damit kann man viel Elend geringer machen.
AMTMANN. Ich habe wirklich in der Stadt um Zulage für den guten Pfarrer gebeten.
OBERFÖRSTER. Das ist brav! Er braucht sie. Sagen Sie[74] ihm das bei Tische, es wird ihm einen guten Tag machen. Nun will ich gehen und Ihnen mein Riekchen vorstellen. Ab.
AMTMANN. Der Kerl ist mir so überlästig an dem Orte – reif wäre er zum Fallen, wenn nur erst – –
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