[56] Vorige. Gerichtsschreiber.
GERICHTSSCHREIBER. Guten Tag, Frau Wirtin!
WIRTIN kurz. Guten Tag, Herr Gerichtsschreiber.
GERICHTSSCHREIBER. Es ist mörderlich kalt. Einen Trunk, Jungfer Bärbel.
WIRTIN. Was gibt's denn heute? He?
GERICHTSSCHREIBER. Ich will in Sachen des Kappe[56] kontra Romann erkennen. Bärbel bringt ein Glas Wein. Er trinkt. Recht lieblich – in der schweren Kälte recht ersprießlich. Reibt die Hände. In der Kampagne von Anno 45 am Rheine, wo ich bei Dettingen so schwer am Fuß blessiert ward – –
WIRTIN. Hahaha.
GERICHTSSCHREIBER. Was lacht Sie?
WIRTIN. Der alte Quartiermeister von Remrein war neulich hier bei uns, und – hahaha.
GERICHTSSCHREIBER. Lebt er noch, der ehrliche Schlag? Kenne ihn genau, ist mein alter Spezial, habe neben ihm manche Kugel sausen hören – ich!
WIRTIN. Nun ja – Da kamen wir auf Ihn zu sprechen. »Ist der Kerl bei Euch Gerichtsschreiber?« sagte er – »Nun«, sagte er – aber lieber Herr Gerichtsschreiber, Er muß nicht böse werden, denn ich sage es in allen Ehren – »Ja«, sagte er, »das war ein durchtriebner Spitzbube.«
GERICHTSSCHREIBER. Wie – da? Hm, brr – hm.
WIRTIN. Ein durchtriebner Spitzbube. Da wollte ich Ihn verdefendieren und auf Seine Kampagne kommen – so sagte er: »Er wäre allemal zuerst ausgerissen.« Wie ich nun von der Blessur sprach, wovon Er uns alle Abend erzählt, sagte der Quartiermeister: »Er hätte den Bauern Hühner stehlen wollen und wäre erwischt. Auf der Flucht wäre Er in eine Sense gefallen, davon käme das kurze Bein.«
GERICHTSSCHREIBER. Höre man doch ums Himmels willen die Schwanke an! Das will Sie gehört haben?
WIRTIN. Ja, ja.
GERICHTSSCHREIBER. Der Quartiermeister ist – – Apropos! Ist er noch hier?
WIRTIN. Nein, er ist fort.
GERICHTSSCHREIBER. Der ist recht schlecht. Das sage[57] ich. Die Blessur habe ich bekommen in der Bataille bei Dettingen. Wie der Feind auf uns anrückte, so – –
WIRTIN. – Stand Er auf der Batterie mit fünfzig andern. Da kam der Herzog von Kumberland auf dem Schimmel geritten. Ihr Kinder, schrie der Herzog, deckt die Bataille! Da liefen ihrer neunundvierzig fort, aber Er blieb stehen, und so kam eine Kugel und streifte Ihn; aber Er blieb nun noch acht Tage liegen –
GERICHTSSCHREIBER. Alles richtig.
WIRTIN. Nun, man wird's denn am Ende doch wissen; Er erzählt's ja alle Abend.
GERICHTSSCHREIBER. Nun – also bin ich nicht in die Sense gefallen.
WIRTIN. Und also hat Er keine Hühner gestohlen.
GERICHTSSCHREIBER. Eine Lehre kann ich Ihr doch bei der Gelegenheit geben – Bei Leib und Leben erzähle Sie so was Ehrenrühriges nicht, wenn einer Wein trinkt. Ich bin sonst ein moderater Mann, aber hierüber habe ich mich gealteriert – und wenn der Quartiermeister hier wäre, so könnte ich ihn in der Hitze und durch das Weintrinken – ich könnte ihn zu Granatbißchen hauen. Trinkt. Kommen heute spät, die Bauern.
WIRTIN. Was sollen sie denn auch hier tun?
GERICHTSSCHREIBER. Hm, br, hm! Haus und Hof kaufen.
WIRTIN. Und in drei Wochen wieder verkaufen, so fällt es in Eueren Beutel.
GERICHTSSCHREIBER. Noch eine Bouteille!
WIRTIN. Steht schon zuviel angeschrieben.
GERICHTSSCHREIBER. Laßt es stehn. Die Gemeinde muß zahlen.
WIRTIN. Das ist nicht fein – das werde ich melden.
GERICHTSSCHREIBER. Frau Wirtin!
WIRTIN. Ei was, es ist wahr – was zu arg ist, ist zu arg. Man muß leben und leben lassen. Er will die geordinierte Obrigkeit sein – –
GERICHTSSCHREIBER. Nun ja.[58]
WIRTIN. So sollte Er es auch hübsch darnach machen. Aber erst beschwatzt und berauscht Er die armen Leute, daß sie ins Tageslicht hinein kaufen. Vier Wochen darnach sitzt Er ihnen auf dem Halse. Nun heißt es: Geld her! Da wird wieder gerequiriert, verkauft und genommen, bis sie fort von Haus und Hof einer nach dem andern in die Neue Welt ziehen.
GERICHTSSCHREIBER. Laß sie ziehen – so gibt es Platz.
WIRTIN. Wenn sie alle nach der Neuen Welt gezogen sind, dann kann ich mein weißes Roß zusperren – gelt? Nein – bleib Er mir zuliebe weg. Der Gewinn ist Sündengeld, ich mag ihn nicht. Wer weiß, wer weiß, warum mir mein Sohn so plötzlich gestorben und mein Vieh so gefallen ist.
GERICHTSSCHREIBER. Hat Euch denn der Tischler bezahlt? He?
WIRTIN. Der Herr Amtmann sollte ein Einsehens haben – – aber der – –
GERICHTSSCHREIBER. Sagt doch, hat Euch der Tischler bezahlt?
WIRTIN. Nein. Woher auch nehmen? Es gibt keine Arbeit.
GERICHTSSCHREIBER. Ihr sollt Euer Geld bald kriegen.
WIRTIN. Wovon denn?
GERICHTSSCHREIBER. Es ist doch jetzt eine ungesunde Zeit – nicht wahr?
WIRTIN. Nun ja.
GERICHTSSCHREIBER. Es sterben viele Menschen?
WIRTIN. Ja. Aber – – –
GERICHTSSCHREIBER. Nun seht, wie ich das ausgestudiert habe. Da fallen wir dem Tischler in die Flanke – und legen Arrest auf die Särge oder Totenladen.
WIRTIN. Was?
GERICHTSSCHREIBER. Nun, und ich weiß ihrer ... drei, die alle bei ihm arbeiten lassen, für die wird schon in den Kirchen gebetet. Wenn die dran glauben müssen, so seid Ihr auch bezahlt.
WIRTIN. Er will gar gescheut sein, aber sein ausgestudiertes Wesen kömmt mannichmal recht albern heraus. Für unser Dorf wäre es recht gut, wenn Er mit dem andern[59] Beine auch nicht gehen könnte. Wenn Ihm etwa einmal nach meinen Hühnern gelüstet, ich will Ihm die Sense zurechtlegen. Und nun, Herr Gerichtsschreiber, wenn Er noch ein bißchen gescheut ist, so kömmt Er hier nicht wieder her, oder ich packe Ihn' auf und setze Ihn vor die Türe. Ab.
GERICHTSSCHREIBER. Frau Wirtin! – Nun, ich will diesmal nichts daraus machen, weil – – wenn aber meine Herren Kollegen hier wären, so, so – –
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