Zehnter Auftritt

[90] Vorige. Oberförsterin. Friedrike.


OBERFÖRSTER. Komm her – bleib bei uns. Du fängst gar nicht gut an in meinem Hause – und doch sollst du länger drin bleiben als heute.

FRIEDRIKE. Sie haben recht, ich schäme mich meines Betragens. Eine drückende Angst quält mich. Ich hätte sie verbergen mögen – aber das wäre Ihnen vielleicht noch auffallender gewesen.

OBERFÖRSTER. Ist denn was vorgefallen? –

FRIEDRIKE. Ich weiß von nichts. Aber meine Angst war unbeschreiblich – In meinem Leben habe ich so was nicht gefühlt. Jetzt bin ich ruhiger.

OBERFÖRSTER. Das freuet mich; denn ich möchte von Dingen mit dir sprechen, die mir angenehm sind. Nun sag[90] mir – hast du was dagegen, wenn du in der andern Woche Frau Förstern heißest?

FRIEDRIKE schnell. Mein Vater, liebe Mutter – ich – die Worte – ich kann nicht danken, aber hier, hier – Sie zeigt auf das Herz. Gott lasse Sie alt werden und segne Sie und gebe Ihnen Freude an Ihren Kindern! Sie umarmt erst den Oberförster, dann die Oberförsterin.

OBERFÖRSTER. Ja, es ist wahr – das ist das beste Weib für meinen Anton! – Gott erhalte sie! – Das beste Weib.

PASTOR. Das ist sie.

SCHULZ. Ja, wahrhaftig!

PASTOR. Kind – sehen Sie in diesen lieben alten Leuten die Belohnung der Tugend. Gute Kinder und ein fröhliches Alter. –

OBERFÖRSTER. Leute – Herr Pastor – Alte – lieber Schulz; ich bin so froh, so dankbar gegen Gott – so – ach wenn doch jetzt recht vielen Leuten so zumute wäre wie mir! Wenn er doch nun hier wäre, der Junge! Ich möchte ihm um den Hals fallen und mich bedanken, daß er das Weib will.

PASTOR. Sie haben recht.

OBERFÖRSTER. Ja, es ist mir oft heiß vor der Stirn geworden, wenn ich an die Zeit dachte, wo der Junge heiraten würde. Widersprochen hätte ich keiner Heirat, um die es ihm Ernst gewesen wäre. Wenn er mir nun aber so eine Schwiegertochter gegeben hätte, die sich um nichts bekümmert, auf unsern letzten Atem gelauert hätte – aus dem Hause wäre ich gezogen auf meine alten Tage.

OBERFÖRSTERIN. Jawohl. Ach Gott, das wäre schrecklich gewesen!

OBERFÖRSTER. Dazu – das Alter hat Schwachheiten, man wird vergeßlich, eigensinnig, grämlich und – wie es denn zu gehen pflegt, wenn nach sechzig Jahren unsre Hütte verwittert ist. – So was muß mit Liebe getragen werden. Erkaufen läßt sich die Pflege nicht, auch nicht vergelten; wem sie aber Gott gibt, den macht er jung im hohen Alter. Das wirst du uns sein, Tochter! Dafür hast du unsere Liebe, unsern Segen und ein kleines Vermögen, worauf kein Fluch und keine Träne ruht. – Leute! Das machte mir immer ein gutes Bette, ich mochte schlafen, wo ich wollte – Die Braut soll leben![91]

ALLE. Soll leben!

FRIEDRIKE. Ach Gott – wie glücklich machst du mich!

PASTOR. Und der Bräutigam – er ist brav.

ALLE. Soll auch leben!

OBERFÖRSTER. Noch eins – weil wir denn doch einmal darauf zu sprechen gekommen sind: Anton ist ein wilder Bursche. Ihr Weiber seid denn auch obenhinaus und flüchtig; so geschieht's nun gar leicht, daß Eheleute durch Ungeduld einander überdrüssig werden. Tochter – ich bitte dich – trag geduldig! Du kaufst dir gute Tage damit. Sieh – als ich mein Weib nahm, war ich auch ein toller Kerl; aber das muß ich der Alten nachsagen, sie hat viel Geduld gehabt – doch ich habe es erkannt.

OBERFÖRSTERIN bedeckt mit dem Tuch die Augen und reicht ihm so die Hand.

OBERFÖRSTER. Gott hat uns mit mancher frohen Stunde gesegnet; wir rechneten das Übel gegen das Gute auf, waren arbeitsam, teilten mit, waren zufrieden, nicht begehrlich, lebten still und gut in unsrer Hütte fort: so kam denn ein Jahr nach dem andern herbei. Nun sind wir schon dreißig Jahre zusammen gegangen; aber wenn Gott die Alte da mir heute von der Seite nehmen wollte, so träfe es mich so hart, als wenn er sie mir am Brauttage genommen hätte.

OBERFÖRSTERIN laut weinend. Nun, nun – laß doch – sprich doch nicht von so was.

OBERFÖRSTER. So wollte ich, daß es um euch Kinder auch stände! Wenn wir Alten denn einmal fort sollen – so will ich meine Augen so ruhig schließen als heute, wenn ich schlafen gehe.

SCHULZ. Nun – davon sind wir, will's Gott, noch weit!

PASTOR. So denke ich auch. Aber warum deswegen nicht daran denken? Wahrlich, man muß recht gut gelebt haben, und es muß eine edle Freude sein, die der Gedanke nicht unterbricht. Deswegen hat ja das Leben nicht minder Wert?

OBERFÖRSTER. Gewiß nicht!

PASTOR. Es verdrießt mich allemal in der Seele, wenn man sich so viel Mühe gibt, das Leben und die Welt so hart und schwarz zu malen. Das ist unwahr und schädlich zugleich.[92]

OBERFÖRSTER. Jawohl.

PASTOR. Das Leben des Menschen enthält viel Glückseligkeit. Man sollte uns nur früh lehren, sie nicht glänzend, auch nicht ununterbrochen zu denken. Im Zirkel einer guten Haushaltung ist tausendfache Freude, und gut getragne Widerwärtigkeit ist auch Glück. Hausvaterwürde ist die erste und edelste, die ich kenne. Ein Menschenfreund, ein guter Bürger, ein liebevoller Gatte und Vater, in der Mitte seiner Hausgenossen – wie alle auf ihn sehen – wie alle von ihm empfangen und er, im Gedeihen des Guten, wieder von allen empfängt – O das ist ein Bild, welches ich mit frommer Rührung, mit Entzücken ehre!

OBERFÖRSTER. Und in einer Landhaushaltung, meine ich, könnte das am besten so sein. Eine Landhaushaltung hat besonders viel fröhliche Tage! Aussaat, Erntefest, Weinlese. – – Wenn man so ein Glas selbstgezognen Wein an einem fröhlichen Tage trinkt – o das geht über alles!

SCHULZ. Nun, Herr Oberförster, zwanzig Jahr wie heute!

ALLE. Zwanzig Jahr wie heute!

OBERFÖRSTER. Danke – danke. Nun, Mädchen, nun sing mir einmal das Weinlied, das du mir neulich schicktest. – Wie hieß es doch? – – Hm, hm – Am Rhein – – hm!

FRIEDRIKE. Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben.

OBERFÖRSTER. Höre – sing uns einen Vers vor – wir singen ihn nach, und so wenn – – – Sie es nämlich erlauben, Herr Pastor?

PASTOR gutmütig. Ei, ei – seit wann dürfen die Menschen in meiner Gegenwart nicht froh sein? Weil mein Amt mich oft zum Zeugen der ernsten, betrübten Begebenheiten meiner Freunde macht, muß ich deswegen von ihren muntern, fröhlichen Stunden ausgeschlossen sein? Verbietet mir auch die Sitte, an ihrer Freude laut teilzunehmen, so lehrt mich doch mein Gefühl, ihre Freude still zu ehren.

OBERFÖRSTER. Nun – also – fang an. Und du, Alte! Du mußt mitsingen.

OBERFÖRSTERIN. Wer? Ich? Ei ich schreie ja wie ein Rabe!

OBERFÖRSTER. Du sollst mitsingen, Er auch, Herr[93] Schulz. Nun – still! – Fang an. Es ist doch wohl nicht zu schwer?

FRIEDRIKE. Eine simple Melodie.

OBERFÖRSTER. Nun, so fang an?

FRIEDRIKE singt.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben.

Gesegnet sei der Rhein!

SCHULZ. OBERFÖRSTER. OBERFÖRSTERIN. FRIEDRIKE.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben.

Gesegnet sei der Rhein!

FRIEDRIKE allein.

Da wachsen sie am Ufer hin und geben

Uns diesen Labewein!

ALLE wiederholen.

FRIEDRIKE allein.

So trinkt, so trinkt! Und laßt uns allewege

Uns freun und fröhlich sein!

ALLE wiederholen.

FRIEDRIKE allein.

Und wüßten wir, wo jemand traurig läge –

Wir gäben ihm den Wein!

RUDOLPH tritt hastig ein, redet leise mit dem Oberförster.

ALLE doch sehen der Schulz und Friedrike bedenklich auf den Oberförster, der erschrocken dasitzt.

Und wüßten wir –


Oberförster geht hinaus.


Wo jemand traurig läge –

SCHULZ. Was ist das?

FRIEDRIKE. Was gibt's?

PASTOR. Was soll das?


Stehen alle auf.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Die Jäger. Stuttgart 1976, S. 90-94.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Jäger
Die Jäger. Ein ländliches Sittengemälde in fünf Aufzügen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon