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[161] Mit *s so frühzeitigem Rücktritte von der Bühne war für mich eigentlich schon die Blüte von dem Unternehmen abgestreift, ehe seine Knospen noch hatten aufbrechen können. Was für Freuden Publikum und Schauspieler dem Führer des Schiffs bei heiterem und schlechtem Wetter bereiten, wußte ich teils aus glaubwürdigen Berichten anderer, teils hätte ich es auch schon selbst an den früheren Versuchen, die von mir geschildert worden sind, verspüren können, obgleich mir so manche besondere Erfahrung noch bevorstand. Der Sache wegen hatte ich mich ihr gewidmet, ich sah ganz neue eigentümliche Resultate, Bestätigungen längst im stillen gehegter Ahnungen voraus; dennoch konnte mir die Besorgnis nicht fehlen, daß auch das Erreichte mit vielfachen Mängeln behaftet erscheinen, und daß über den Wegen, die ich angebahnt, denn doch immer bald wieder Gras wachsen würde. Aber das geistig-künstlerische Zusammenwirken mit einem befreundeten Talente war mir lieb und reizend erschienen, auf dieses gemeinsame Ringen und Schaffen hatte ich mich gefreut. Statt der Freude wurde mir nun die Sorge, mich um ein mir ganz fremdes Gebiet bekümmern zu müssen, damit nur das Gebäude nicht schon während des Aufbaues zusammenstürze. Zur Direktion des Schauspiels hatte ich mich anheischig gemacht, die der Oper fiel als herrenloses Gut mir daneben zu, mir, der ich auf solche Erwerbung durchaus nicht gefaßt war.
Indes hatte ich keine Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen. Der Tag drängte den Tag, ja die Minute die Minute; ein solches Geschäft hat, zumal im Beginn einer Anstalt, eigentlich kein Ende; es würde immer noch zu tun geben, auch wenn die Stunden ihre Dauer verdoppelten. Bald lag[161] die Zweideutigkeit des Geschiedenen abgetan hinter mir, und zugleich trat eine neue Bekanntschaft in die Lücke, wodurch ich mannigfach beschäftigt und angeregt wurde, der Düsseldorfer Bühne aber ein Anteil zuwuchs, frisch, herb, seltsam, wie ihre Jugend selbst damals war.
Unerwartet empfing ich nämlich an einem Tage, der abwechselnd Sturm, Sonnenblicke und Schneegestöber brachte, sich also zur Einleitung der nachfolgenden Verhältnisse wohl eignete, einen Brief, dessen Verfasser, nachdem er mir die übliche Titulatur gegeben hatte, sich so vernehmen ließ:
»Verzeihen Sie, wenn ich mich im Titel irre. Sie sind bekannt genug, und die Adresse wird jedenfalls an ihren Mann kommen.
Ich habe Zutraun zu Ihnen und hoffe auf Sie. Ich glaube nämlich, ich und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie mir nicht zu helfen suchen.«
Nun folgte die Erzählung unglücklicher persönlicher Verhältnisse, über denen der Schleier ruhen bleiben mag.
Dann lautete der Brief weiter:
»An Buchhändler wende ich mich nicht, denn ich verstehe den Schacher zu schlecht. Helfen Sie also mir, und könnten Sie mir auch nur ein Stübchen schaffen und etwas (was Ihnen nicht schwerfallen kann) juristische oder nicht juristische Abschreibereien gegen ein billiges. Auch hätte ich etwas für einen Buchhändler, wovon so recht noch niemand weiß: mein ›Hannibal‹ ist fast vollendet. Wenn Sie mir zu so einem auch hülfen, hätt ich wohl was Winterkost für meine unglückliche Mutter beizu. – Daß mich die Zeit drängt und ich umgehends Antwort wünsche, bitte und erwarte, brauch ich wohl nicht zu sagen. Wer weiß, wo Ihr Brief mich sonst träfe, denn hier in Frankfurt kann ich nicht lange mehr existieren. Meine Adresse ist: An den Auditeur Grabbe, im 5ten Quartier, Lit. E., Nr. 108, auf der großen Bockenheimer Gasse, 3 Stiegen hoch.
Da ich jedoch spüre, wie's oft mit Briefbestellung geht, so bitt ich in ein besonderes Couvert ein paar leere Worte zu schreiben, und dieses sub titulo: ›An den Auditeur Grabbe‹, an die Hermannsche Buchhandlung abzugeben.[162]
Wenn in dem Couvert anfangs steht: ›Herr Grabbe‹, so soll mir das Zeichen sein, den rechten Brief auf der Post zu finden.
Frankfurt am Main
1834.18. Nov. ej. anni.
Ich
Ihr Grabbe«
Mich erschreckten diese Zeilen. Ich wußte, daß Grabbe in Detmold zwar nicht in glänzenden, aber doch in festen auskömmlichen Verhältnissen gelebt hatte; diese waren von ihm aufgegeben, und was das schlimmste war, Haß und Widerwille gegen die nächsten Bande, die er geknüpft, schienen ihn gestachelt zu haben, sich so vermessen in die Luft auf unsichere Spitze zu stellen.
Auch muß ich frei gestehen, daß ich einige Scheu empfand, mich mit einer so exzentrischen Natur in die nächste Gemeinschaft, die von ihm begehrt ward, einzulassen. Meine Obliegenheiten überwältigten mich fast schon; es konnte geraten scheinen, keine neue Verwicklungen heranzuziehen, welche immer das Gefolge des Heimatlosen, Unsteten zu sein pflegen. Ein Verhältnis bestand zwischen uns nicht; unsers flüchtigen halbstündigen Zusammentreffens in Westfalen im Jahre 1831 ist in meinem Reisejournale Erwähnung geschehen; dort und sonst noch, wo es die Gelegenheit gab, hatte ich von ihm mit der Achtung, die ich für dieses sonderbare Naturell empfand, geredet, übrigens war zwischen uns bisher weder Wort noch Brief gewechselt worden.
Alle Zweifel und Bedenklichkeiten mußten jedoch vor der Betrachtung der Not weichen, in welcher sich ein Talent, und eins von den wahrhaften befand. Ich antwortete ihm daher, bot ihm, was ich ihm bieten konnte, und verschaffte ihm einen Verleger unter den Düsseldorfer Buchhändlern, so daß seine Existenz, wenigstens für die nächste Zeit, gesichert war. Bald darauf erhielt ich nachstehendes zweite Schreiben von ihm:
[163]
Hochgeehrter Freund!
Ich komme. Binnen wenigen Tagen bin ich da. Meine Menschenkenntnis betrog mich nicht. Ich hielt Sie für ernst, fest und treu, nach Ihren Werken, nach Ihrem Gesicht. Hinter solchen Mauern wohnt grade der Edelsinn. Mit dem Stübchen und 6–7 Taler monatlich bin ich zufrieden. Nein, ich bin mehr als das, ich bin erfreut, und da entstehen jedesmal neue Ideen bei mir, fast Blumen unterm Maischauer. Nämlich: Sie, Uechtritz und ich, sollten wir nicht nach Art der alten Engländer und der neuen Franzosen (Shakespeare und Johnson, Fletcher und Beaumont, Scribe und Konsorten) gemeinschaftlich eine Komödie, oder gar Tragödie bilden können, worin jeder seine Partien und Charaktere ausmalte, jedoch unter der Bedingung, uns wechselseitig zu kritisieren und auszubessern? Dieses Triumvirat würde gefallen, auch von Verlegern und vom Theater belohnt werden. – Dem Ernsten, was jeder für sich behalten will, oder ebenso dem Komischen (was auch oft eine Maske, wohinter ein trauriges Gesicht steckt, ist) schadet's nicht. Es wird in der Stille desto besser ausgearbeitet, um zum Wetteifer mit dem Gemeinschaftlichen verglichen zu werden.
Der Buchhändler Schreiner wird wohl mit meinem »Hannibal« zufrieden sein. Ich kann ihm denselben aber nicht überschicken, weil ich keine Zeit habe, ihn abschreiben zu lassen. Ich bringe ihn mit. Schlecht muß er nicht sein, quia mir zwei Szenen daraus gestohlen sind, und man stiehlt doch keine Kröten, sondern eher Gold.
Frankfurt am Main
28. Nov. 1834
Ihr
Grabbe
Einige Tage später, an einem Abende, da ich zwischen den Kulissen stand, wurde mir folgender Zettel zugesteckt:
»Ich bin hier im * abgestiegen, aber nicht so hilflos, als daß wir uns nicht ruhig besprechen könnten, ohne des Pekuniären zu gedenken.
Achten Sie mich! Wann und wo sprech ich Sie? Und zwar so bald als möglich![164]
Ich habe mancherlei mitzuteilen, und halte beim Wort, nach welchem Sie sich für mich interessieren.
Ihr ergebenster etc.
und doch guter Grabbe
N.S. Dieser Klecks kommt von ungewohnter Tinte.«
So war denn in unser elegantes, aristokratisches, gradliniges Düsseldorf jemand eingeschwärzt worden, der wohl in allen diesen drei Beziehungen der guten Stadt für Contrebande gelten konnte. Im eigentlichen Sinne fand hier Schmuggelei statt, denn ich hatte jedermann ein Geheimnis aus der Ankunft des Dichters gemacht, um das Aufsehen nicht zu steigern, welches, wie ich ahnte, ohnehin seine Persönlichkeit bald erregen mußte.
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