Fünftes Kapitel

[339] Nicht lange, so erschien ein Gendarm, blickte forschend in die Dachkammer, und rief seinen Kamaraden mit den Worten: »Komm, einer ist noch hier!« herbei. »Sieh nur die Wirtschaft!« sagte der zweite, als er eintrat. »Die Dolche! Und da die Brandbriefe!« – »Gut, daß wir wenigstens den Oberdemagogen haben, schau, was für eine Pistole er führt!« – »Es ist ein Halbkarabiner«, versetzte der zweite Gendarm.[339]

Sie schritten auf Hermann zu, und kündigten ihm in barschem Tone Arrest an. »Gänzlich im Irrtum, meine Herrn!« versetzte er. »Ich wollte die verführte Jugend zum Besseren bekehren.« Die beiden Männer schlugen ein helles Gelächter auf, und meinten, er sehe nicht nach einem Propheten aus. Um sich nicht übler Behandlung auszusetzen, gab er sich gefangen. Er fragte nach ihrem Befehlshaber und verlangte zu diesem geführt zu werden. Sie versetzten, daß der Herr Polizeikommissarius nicht zu sprechen sei, indem er, bei Verfolgung eines Flüchtigen zu Boden gestürzt, sich das Bein aufgeschlagen habe.

Nachdem die Gendarmen ihm die Pistole abgenommen, die Dolche und Akten zusammengerafft hatten, führten sie ihn hinunter. Mit genauer Not erhielt er es, daß man ihn nicht fesselte, doch war auch so schon seine Lage die unbehaglichste. Hunderte von Menschen hatte die Neugier herbeigezogen, deren gaffende Blicke alle auf ihn gerichtet waren. Unaufhörlich wurden die Gendarmen befragt, wer er sei? worauf sie jederzeit kaltblütig erwiderten: »Es ist der Oberdemagoge.«

Auf seine Bitten wurde eine verdeckte Kalesche angespannt. Die Gendarmen, zu beiden Seiten des Wagens reitend, brachten ihn darin nach dem Städtchen, aus welchem er in so guter Absicht nach der Buschmühle gegangen war. Dort lieferte man ihn in der Wachtstube des Orts ab. Bei dem Eintritte in dieses Gelaß hätte er vor Scham und Verdruß sterben mögen. Es war nämlich am gedachten Tage auch das sogenannte allgemeine Vagabundengreifen gewesen, und die Wachtstube wimmelte daher von übel aussehenden Leuten. Heftig fragte er den einen Gendarmen, ob man für Verbrecher seinesgleichen hier nicht einsamen Kerker bereit halte? Die beiden Männer sahen einander kopfschüttelnd an, einer griff an seine Stirn, dann sprachen sie leise zusammen. Man willfahrte ihm indessen und brachte ihn über einen finstern schmutzigen Hof nach dem Hintergebäude der Fronfeste, wo sich denn hinter Schloß und Riegel, seinem Wunsche gemäß, einsames Gefängnis auftat.

Er war nun zwischen vier einst weiß gewesenen Wänden allein. Beständig mußte er sich zurufen, daß dieses Ungemach ja lediglich aus einem lächerlichen Irrtume entspringe und von[340] kurzer Dauer sein werde, um dem Mißmute nicht zu erliegen. Endlich warf er sich auf die Strohschicht, welche der Kerkermeister frisch besorgt hatte, und schlief trotz seiner übeln Laune ein.

Die Gendarmen, ihrer scharfen Anweisungen eingedenk, nahmen indessen nach kurzer Abwesenheit vor der Kerkertüre Platz.

»Weißt du«, sagte der eine zum andern, »woher alle die Teufelei rührt? Ich kann's dir sagen. Die Juden stiften den ganzen Spektakel an.«

»Nicht möglich!« rief der andre. »Ich dachte, die Franzosen steckten dahinter.«

»Franzosen hin, Franzosen her!« sagte der erste. »Das ist ja eben die Sache. Die Franzosen sind auch alle heimliche Juden. Dazumal in Ägypten hat der Bonaparte seine ganze Armee dazu herumgekriegt, und die Soldaten haben dann nach ihrer Rückkehr das Judentum weiter gestiftet, und auch bei uns ausgebreitet, bis der Krieg kam, und davon rühren die Demagogen her.«

»Drum aßen auch die Kerle so viel Knoblauch«, sagte der zweite Gendarm.

»Richtig«, versetzte der erste. »Der Knoblauch ist der erste Grad im Judentum. Der Bart ist der zweite. Merkst du was? Geht's dir auf? Alle tragen sie lange Bärte. Ich muß nur lachen, wenn die Herrn sich so viele Mühe mit dem Volke geben, um ein Geständnis herauszubringen. Am Leibe visitiert, da würden sie bald das untrügliche Zeichen finden.«

»So wäre man ja seiner Gliedmaßen nicht sicher, wenn das Zeug die Oberhand bekäme«, rief der zweite Gendarm mit so Entsetzen.

»Das wäre noch das wenigste«, sagte der erste, »aber alle Kinder würden sie totschlagen und das Blut trinken, und kein Krämer dürfte mehr ein Lot Salz verkaufen.«

Der zweite Gendarm erinnerte sich wieder an Ägypten und fragte, ob da nicht die Türken anstatt der Juden hauseten? »Laß dir sagen«, antwortete der erste. »Die Reichen sind mit Mose nicht ausgezogen, sondern im Lande sitzen geblieben, wo hast du je gehört, daß ein Jude sein Eigentum verlassen hätte?[341]

Nur das Schacherpack lief fort, und vierzig Jahre in der Wüste umher, das heißt, sie gingen hausieren: ›nichts zu handeln drin?‹ bei den Leuten, die da so in den Gegenden wohnten. Die zurückgeblieben waren, kamen bei den Türken unter den Druck. Bonaparte wollte sie befrein, um dem Engländer einen Tort zu tun. Denn wo die Juden aufkommen, sind die Engländer verloren. Aber die merkten den Schlich, und lieferten ihm die große Schlacht da oben bei Dings.«

»Daher kommt es denn auch, daß sie in Hannover so scharf sind mit den Demagogen«, sagte der zweite. »Es ist wegen den englischen Handelsverbindungen.«

Dieses scharfsinnige Gespräch hörte Hermann zum Teil mit an, denn er war von Hitze und Unruhe bald wieder munter geworden. Die Wachtmänner, welche nach den Gendarmen aufzogen, hielten sich in ihren Gesprächen mehr an seine Person, und machten eine schlimme Beschreibung von ihm, die sich denn von Ablösung zu Ablösung steigerte, so daß er gegen Morgen in den Reden dieser Leute wie ein Ungeheuer mit Klauen und Hörnern aussah.

Im Strahl der frischen Morgensonne fand er seine gute Laune wieder. Er lachte über die Ungereimtheiten, die er von draußen vernahm, laut auf, so daß die wachenden Männer ein Grauen ergriff. »Hoffentlich«, sagte er, »ist denn dieses doch der letzte dumme Streich, den ich mache. Oder nein!« fügte er hinzu, »wer wollte die Torheit verschwören? Nur diejenigen Menschen irren sich nicht, deren Leben von Anfang bis zu Ende ein einziger trockner Irrtum ist.«

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 339-342.
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