III

[122] Der Tralgothhof hatte eine Herrin erhalten, die ihm besser stand als die frühere, alte, in der mächtigen Haube und der Würde ihrer unzähligen Runzeln. Kyrilla war schlank und glich der Braut aus dem hohen Liede.

Emmerich leugnete, daß sie schön sei. Er verstand unter Schönheit: Temperament, Lebhaftigkeit. Ihr ruhiges, zurückhaltendes Wesen mißfiel ihm. Er hatte sie doch geholt, damit sie sein ›Singvogel‹ würde, und sie war schweigsam und ernst. Sie kam ihm mit der Scheu des jungen Weibes entgegen, das nicht wagt, aus sich herauszugehen. Und er war in der Behandlung der Frau gänzlich unerfahren.

Er machte ihr Vorwürfe, daß sie so stumm wäre. »Sei doch fröhlich,« sagte er. »Ich weiß ja garnicht, daß ich eine Frau im Hause hab'. Sing', plaudere, tanze.«

Sie sang. Leise, schwermütig, schüchtern klang ihre junge Stimme aus der Küche herüber. Er schüttelte den Kopf.[122]

Die Leute sagten: Kyrilla, Kyrilla, welches Glück hast du gemacht.

Später führte er sie nach Budapest. Sie sah die hauptstädtische Pracht mit großen, verständnislosen Augen an. Ob sie da wohnen möchte? O, warum nicht? Wenn es sein müßte! Ob sie das Landleben vorziehe? Ja gewiß, o ja.

Schöne Kleider, die er ihr kaufte, machten sie erröten, Schmuck drehte sie aufmerksam in den Händen herum und legte ihn dann beiseite.

»Freu dich doch, lärme doch, zum Kuckuck,« schrie Emmerich ungeduldig. »Du bist jetzt eine Frau, kein armes unbekanntes Geschöpf mehr.« Sie bemühte sich, auf seinen Befehl den Kopf höher zu tragen. Sie lud auf seinen Wunsch Bekannte ein. Aber wenn sie erschienen, begegnete sie ihnen schüchtern und fremd und bediente sie in ihrer eignen demütigen Weise.

Herr Gott! Wenn ich gewußt hätte, daß eine Junge so langweilig ist, hätte ich eine Ältere genommen, dachte Emmerich.

Eines Abends, als sie in der Stube unten beieinander saßen – er rauchte, und sie beschäftigte sich mit einer kleinen Handarbeit – meinte er: »Nun weiß ich auch, weshalb Hendrik nicht zu unserer Hochzeit kam, wie er doch versprochen hatte. Er war damals gar nicht mehr hier. Er ist ausgewandert, nachdem – weißt du, was er gethan hat?« Sie verneinte, ohne aufzublicken. »Er hat für Brak gutgesagt. Weil er aber kein[123] flüssiges Geld hatte, verpfändete er das Haus. Nachher zog er fort. Es ist doch nicht recht richtig im Kopfe mit ihm.«

Sie sagte noch immer nichts.

»Kanntest du ihn eigentlich?« fuhr er fort. Ihre Wimpern gingen langsam auf.

»Wir haben nie zusammen gesprochen, aber ich kannte ihn.« Dann redeten sie nicht weiter über den Verschollenen.

Der Herbst verging, und der Winter brach an. Das große, ziemlich weitläufige Haus ließ sich schwer erwärmen. Eine Reihe Stuben stand leer. Dort saß die Kälte und verbreitete sich über die übrigen Wohnräume. Ursprünglich war das Haus ein alter Edelsitz gewesen, den die Frau von Emmerichs Großvater diesem mit in die Ehe gebracht hatte. Er hatte damals sein Weingut, das südlicher lag, verlassen und war hierher übergesiedelt.

Auch er hatte nur zwei Nachkommen besessen. Die Tochter war jung gestorben, und Emmerichs Vater hatte das Erbe übernommen. Verwitterte, uralte Wappen, die da und dort an den Mauern angebracht waren, erzählten von den Tagen des Glanzes, die der Hof einst gesehen haben mochte. Mehrere Wirtschaftsgebäude umgaben das eigentliche Herrenhaus, hinter dem ein großer Obstgarten sich weithin ausdehnte. Die Weingärten und Äcker, die noch zu dem Gut gehörten, lagen weiter im Land.[124]

Tralgoth zeigte mit einem gewissen Stolz seiner jungen Frau das Besitztum. Sie, die Arme, die nichts außer ihrer Schönheit besaß, mußte sich darüber doch freuen, einen so angesehenen Mann zum Gatten zu haben. Aber sie lächelte nur gehorsam, wie er sie durch all sein Eigentum führte, und sah halb neugierig, halb fremd auf den Boden, der nun auch ihr eigener geworden war.

Das alles hatte er sich doch anders vorgestellt. Er hatte auf freudige Verwunderung, auf Wärme gehofft. War Kyrilla dumm? Hatte sie etwa im Lauf der Jahre, in denen sie unter der Aufsicht der Taubstummen gelebt, ihre geistige Klarheit eingebüßt? Er sah sie oft forschend von der Seite an. War ihre Ruhe nicht unnatürlich? Liebte sie ihn überhaupt? Über diesen Punkt hatte er vorher nicht nachgedacht. Als er damals um ihre Hand geworben hatte, war ihm nicht eingefallen, auch um ihre Neigung zu werben. Nun, er würde ihr von Zeit zu Zeit schöne Geschenke machen, damit sie sähe, wie gut er ihr war.

Sonntags fuhren sie immer in ihrem Wäglein nach Ödenburg zur Messe. Er hatte sie nie nach ihren religiösen Bedürfnissen gefragt. Aber er setzte voraus, daß sie eine brave Christin sei. Einmal neben ihr im Betstuhl kniend, sah er, wie sie, die Hände gefaltet, mit dem Ausdruck der hoffnungslosesten Verzweiflung auf den Hochaltar[125] stierte. Dies Gesicht erschreckte ihn. Zu Hause, nachdem das Essen abgetragen war, zog er sie an sich.

»Kyrilla, meine dumme Frau, was hast du eigentlich? Du bist beständig traurig, still, wie geistesabwesend. Gefällt dir irgend etwas nicht?« Sie wurde rot und schwieg. Und als er ihr übers Haar strich und sie doch zu reden ermahnte, brach sie in Thränen aus, in Thränen, wie er sie nie gesehen. Er wurde ganz bestürzt. Sie wand sich auf dem Boden und zerriß ihr schönes, dunkles Haar. Gott helfe mir, dachte er bei sich, sie ist wahnsinnig. Aber bald beruhigte sie sich; sie schluchzte noch einmal tief auf und ging hinaus nach dem Brunnen, um die verweinten Augen zu kühlen. Kathinka saß draußen und las Bohnen aus. »Emmerich Tralgoth ist doch ein guter Mensch, nein, ein so guter Mensch,« sagte Kyrilla und netzte ihr Tüchlein im Brunnen.

»Na, und ob der gut ist,« erwiderte die Wirtschafterin, »ein Heiliger ist er. Ihr habt es getroffen, Frau.«

»Man kann sich wirklich nicht an seiner Seite beklagen,« fuhr die junge Frau fort, »er hat eine so liebe Art mit einem zu reden, und die prächtigen Geschenke, die er giebt! Hast du auch schon meine neue Halskette gesehen mit dem großen Rubin vorne?«

»Nein, nein, zeigt sie,« rief die Alte. Die beiden Frauen gingen ins Schlafzimmer hinauf.[126] Dort öffnete Kyrilla die Schublade einer Kommode und langte nach einem Kästchen. Aber mitten in ihrem Plaudern begann sie aufs neue bitterlich zu schluchzen. Die Wirtschafterin sah sie ganz dumm an. »Ich kann ja nicht dafür,« sagte das junge Weib, sich zornig die Thränen trocknend, »mir fehlt nichts –«

»Na, und was Euch auch fehlen könnte!«

»und doch möcht' ich vor Elend in die Erde kriechen.«

In der Kirche, im Wagen, an der Seite ihres Gatten, überall packte sie dieser plötzliche Jammer. Wenn sie es just kann, läuft sie bei diesen Anfällen hinaus in den Hof oder Garten. Dort spricht sie laut mit sich selbst. Was willst du denn? den besten Menschen an der Seite! den schönsten Besitz als Eigentum! Sorglosigkeit, feine Kleider, Wagen, Pferde! Fort mit dir, dummer Jammer! Und sie läuft in die Küche oder nach dem Stall.

»Sandor, wir haben doch einen guten Herrn. Sieh nur, wie er seine Tiere fein hält! Der hohe, gewölbte Raum, die schönen Steinkrippen, mancher Mensch hat keinen so guten Raum zum Wohnen.«

Und der Knecht glotzt sie an und giebt ihr recht. Ist das eine verliebte Frau!

Emmerich gewöhnte sich gemach an ihre ›Launen.‹ Da er sie nicht begriff und es ihm nicht einfiel, nach ihrer Ursache zu suchen, nahm er sie als eine[127] unangenehme Eigenschaft seiner Frau hin. Er besaß die Überzeugung, gut gegen sie zu sein. Für ihre Stimmungen trug er keine Verantwortlichkeit.

Mittlerweile war das Weihnachtsfest herangekommen. Die ganze Gegend war eine öde, weite Schneefläche. Wer nicht glücklich war, mochte jetzt wohl zu sterben vermeinen.

In der Christnacht fuhr Emmerich mit Kyrilla nach der Stadt. Sie wollten, wie es hier herum Brauch war, beichten und die Kommunion empfangen. Sie suchte den alten Priester auf, der schon in der Schule ihr Religionslehrer war. Er kannte jede Regung ihres Herzens.

Sie sagte ihm, wie sie so unglücklich wäre. Aber auf seine Frage nach dem Warum wußte sie keine Antwort zu geben. Er blickte forschend in ihr schönes, reines Gesicht. Er war ein kluger alter Mann. »Geh nur getröstet nach Hause, meine Tochter,« sagte er zu ihr, »weine! Eines Tages wirst du schon aufhören zu weinen.«

Er wußte mehr von ihrer Seele als sie selbst.

Am nächsten Tag aß er, wie es seit langen Zeiten der Brauch war, auf dem Tralgothhof zu Mittag. Nach dem Essen verließ Kyrilla die Stube und ließ die beiden allein.

Der Pfarrer brachte geschickt das Gespräch auf die junge Frau. Jetzt wäre es doch anders auf dem Hofe, meinte er. So ein junges[128] Geschöpf verbreitet Freude, wo es geht und steht.

Emmerich seufzte. »Sie müssen nur Geduld haben,« meinte der Geistliche. »Ihre Jugend schnürt sie wie in einen Panzer ein. Sie möchte sich gern freier benehmen, aber sie ist sich selbst noch unklar. Sie kennt die Grenzen ihres Gefühls nicht. Aus der jahrelangen Einsamkeit neben der Taubstummen kommt sie plötzlich in ein fremdes Haus als Herrin und soll sich in die neue Würde hineinfinden. Sie soll einem Mann angehören, mit dem sie bisher nicht verkehrt hat. Sie müssen nur Geduld haben. Sie wird sich schon an Sie gewöhnen.«

Und Emmerich hatte ›Geduld‹. Im stillen freilich beneidete er Peter, den Bauern. Dessen kleine, dralle Frau hatte sich nicht erst an ihn zu ›gewöhnen‹ brauchen. Überhaupt sich erst aneinander ›gewöhnen‹ müssen ... ›Gewöhnt‹ hatte sich Kyrilla ja schon an ihn, bloß das andere, all das andere wollte nicht kommen.

Nach Neujahr fingen die Vorbereitungen zur Frühjahrsarbeit an. Emmerich fuhr oft nach seinen Ländereien hinaus und übernachtete nicht selten im Haus seines Weinbergswächters. Während solcher Tage war Kyrilla allein. Sie ging ruhelos von einem Zimmer ins andere. Dann mit einemmale stand sie in der Küche und legte sanft ihren Arm um Kathinka.

»Wie ist das Haus so groß! Und so viele[129] leere Zimmer! Nur der Wind wohnt in ihnen. Ganz schaurig ist's. Immer das Pfeifen und Winseln. Hätt' er mich doch die Base mitnehmen lassen. Was meinst du, ich besuch' sie ein wenig.«

Und dann holte sie ein Tuch, legte es um und lief nach der Stadt hinein zu der alten Taubstummen. Wenn sie dann wiederkam, schlich sie sich fröstelnd an den Herd und bat Kathinka, ihr Geschichten zu erzählen. Die hat so viel von einer Frau an sich, als ich von einem Mannsbild, dachte die Alte. Kein Wunder, daß der Herr so trübselig herumgeht. Freilich, wenn die kleine braune Hand zärtlich ihren Arm streichelte, oder der schöne, traurige Kopf der jungen Frau sich an ihre Schulter lehnte, war wieder all ihr Groll vergessen.

Dann und wann erschien ein oder der andere Gast. Kyrilla fand nie Veranlassung, aus sich herauszugehen. Sie saß höflich, kalt am Tisch und füllte die Gläser, wenn sie geleert waren. Man glaubte den Grund ihrer Melancholie zu erraten: weil sie noch kein Kind erwarten durfte.

Und Emmerich harrte. Er hatte ›Geduld‹. Eines Nachts, als er Kyrilla schlaflos in ihren Kissen wähnte, streckte er die Hand aus und fuhr über ihr Haar. Sie schrie erschrocken auf. Er machte Licht. Sie war über und über mit Purpur bedeckt.[130]

»Weshalb schriest du so?«

»Ich erschrak über die Hand.«

»Du wußtest doch, daß ich es bin.«

»Ich hab' vergessen gehabt, daß ich – nicht allein bin.«

Er löschte unwillig das Licht aus. Sie ist doch gar zu dumm, dachte er.[131]

Quelle:
Maria Janitschek: Frauenkraft. Berlin 1900, S. 122-132.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon