3.

[178] In den Lüften wurde es stiller. Die Vögel trafen Reisevorrichtungen, und vollbepackte Erntewagen fuhren vor die Scheunen. Der Sommer hatte ausgeträumt, und der Herbst trat in seine Rechte ein.

Draußen auf dem Anger, eine Viertelstunde vor der Stadt, erhob sich das schmucke Haus des Baumeisters. Es war vollendet. Täglich fuhren Karren und Wäglein vor und brachten den neuen blanken Hausrat hinein, den der Baumeister eingekauft hatte. Martini sollte Hochzeit sein. Am Vorabend derselben wollte Ralph zum erstenmal die Pforten seines Hauses öffnen und seine Freunde und Bekannten bei sich sehen. Anselma sollte die Honneurs machen.[178]

Es waren stille blaue Tage in diesem Spätherbst. So viel Verschwiegenes lag in ihnen. Geheimnisse – ob glückliche? traurige?

Die junge Frau wurde immer einsilbiger, je näher der Tag ihrer Hochzeit herankam. Ununterbrochen mußte sie an das Fenster denken, von dem aus man den Hain mit der Kapelle sah. Manchmal, wenn sie eben in jenem Gemach weilte, um etwas an der Einrichtung zu ordnen, und einen Augenblick zum Fenster trat, um hinüberzusehen, dann war ihr, als lehnte am Eingang des Totengartens eine lichte schlanke Gestalt und grüßte herüber. Es war nur ein Marmorkreuz, das durch das Gitter blickte, aber für sie hatte es menschliche Form, Züge, Ausdruck. – – –

Sie war ihrem Gatten nie treuer als in jenen Tagen, da sie ihm untreu zu werden im Begriff stand. Kaum eine Stunde am Tage, in der sie sich nicht mit ihm unterhielt, ihn um Tausenderlei fragte, zu Rate zog. Dann fiel ihr ein, daß er sie und sie ihn gar nichts mehr anging, wenn sie den Namen des Andern nahm. Und sie grübelte und grübelte. Eigentlich war es eine unverantwortliche That. Während er drüben kaum eine halbe Stunde weit weilte, verging sie hier in den lauten Melodieen ihres Sturmes, Ralphs, des Mannes, der sie durchschaut hatte. – Aber auch der Andere hatte sie durchschaut. Welcher besaß den größeren Scharfblick?[179] Welcher stand ihr näher? Welcher hatte mehr Rechte an sie? Die Weiber auf dem Markte, die Aepfel und Nüsse feilboten, hätten ihr geantwortet: der Lebende. Aber ihre Seele, der er weiße Schleier gewoben, der er Kränze geflochten hatte, weinte nach ihrem Toten ....

Anselma wurde von Tag zu Tag blasser, schlanker, verzehrter. Bei Tage gehörte sie dem Leben, bei Nacht öffnete der Tod seine Welt vor ihr, und Engelbert, die Dornenkrone des Heilands in der Hand, trat an ihr Lager und flüsterte: Selig sind, die da ausharren, denn sie werden gekrönt werden. Und sie sank in die Kniee vor ihrem Bruder und Geliebten! ....

Quelle:
Maria Janitschek: Kreuzfahrer, Leipzig 1897, S. 178-180.
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