Nr. 24. Glanzkohle

[737] Der Park – der Brief


Der Graf ging zwischen seinen Brautführern, wovon der linke im Gehen das Spinnrad drehte zu einem Faden der Rede und Seile der Liebe; doch hielts oft schwer, in den engsten Gängen drei Mann hoch aufzumarschieren. Ein Markthelfer hielt sich hinter ihnen, um aus dem Sande alle sechs Fußstapfen auszubügeln. Der Agent führte Klotharn vor die Glanz-Partien des Parks in der Absicht, Ehrenflinten und -säbel da von Grafenhand zu empfangen – vor Kinderstatuen unter Turm-Bäumen – vor Herkules-Würggruppen unter Blumen; aber den Grafen griff nichts an. Neupeter zählte das »schöne Geld« aufs Rechenbrett hin, das ihm die Bildsäulen schon gefressen, besonders einige der feinsten, die er gegen Regenwetter in ordentliche, wasserdichte Über- oder Reitersröcke eingewindelt, und bracht' ihn vor eine eingekleidete Venus im Wachtrock. Klothar schwieg. Neupeter ging weiter im Versuche und Garten, er setzte eigenhändig seinen Park herunter gegen einen in England und erhob z.B. Hagleys seinen darüber; »aber«, sagt' er, »die Engländer haben auch die Batzen dazu.« Der Graf widerlegte nichts. Bloß Walt bemerkte: am Ende werde doch jeder Garten, sei er noch so groß, kurz jede künstliche Eingrenzung klein und ein Kindergärtchen in der unermeßlichen Natur; nur das Herz baue den Garten, der noch zehnmal kleiner sein könne als dieser.

Darauf fragte der Kaufmann den Grafen, warum er nicht aufgucke, z.B. an die Bäume, wo manches hänge. Dieser sah auf;[737] weiße Zolltafeln der Empfindung waren von Raphaelen darangeschlagen zum Überlesen. »Bei Gott, meine Tochter hat sie ohne fremde Hülfe ersonnen«, sagte der Vater, »und sie sind sehr neu und hochtragend geschrieben, so glaub' ich.« Der Graf stand vor den nächsten Gefühls-Brettern und Herz-Blättern poetischer Blumen fest; auch der Notar las den an die Welt wie an Arznei-Gläschen gebundnen Gebrauchzettel herab, welcher verordnete, wie man schöne Natur einzunehmen habe, in welchen Löffeln und Stunden. Walten gefiel die Gefühls-Anstalt, es waren doch Antritts- oder Oster-Programmen der Frühlings-Natur, Frachtbriefe der Jahrszeiten, zweite, heimlich abgedruckte Titelblätter der Natur-Bilderbibel.

Dennoch strich Klothar stumm darunter hinweg. Aber Walt sagte, begeistert von den Baum-, Not- und Hülfs-Täfelchen: »Alles ist hier schön, die Partien, die Bäume und die Tafeln. Wahrhaftig, man sollte die Poesie verehren, auch bis ins Streben darnach. Freilich wird nur die höchste, die griechische, gleich den Schachten der Erdkugel immer wärmer, je tiefer man dringt, ob sie gleich auf der Fläche kalt erscheint; indes andere Gedichte nur oben wärmen.« – »Mein Mietsmann, Hr. Notar Harnisch«, sagte schnell der über dessen Nähe und Kecke verdrüßliche Neupeter, als der Graf ihn bedeutend ansah. »Der Lac da um Ermenonville herum – so lässet meine Frau den Teich nennen, weil sie sich auf Gärten versteht, da sie aus Leipzig ist – der Teich, sag' ich, ist bloß um die Insel herumgeführt, die ich um meinen seligen Vater, einen Kaufmann wie wenige, aufschütten lassen. Die Statue drinnen, das ist er selber nun.« – Auf der Teich-Insel sah unter Trauer- und Pappel-Bäumen allein, gleichsam wie ein Robinson, der alte sel. Christhelf Neupeter in Stein gebracht herüber, übrigens in seinem Börsen-Habit ausgehauen, wiewohl die in Marmor übersetzte Beutelperücke und die petrifizierten Wickelstrümpfe und Rockschöße dem magern Manne nicht das leichte Aussehen gaben, das er nackt hätte haben können.

»Sagen Sie nur heraus, wie Ihnen der ganze Park und Quark vorkommt?« fragte Neupeter der Sohn. »Was bedeutet noch die hölzerne wunderbare Pyramide (fragte der die Insel und den See[738] umkreisende Graf), die mit der Basis halb über dem Wasser schwebt?« Dem Hofagenten gefiel die Frage; er versetzte schelmisch: »In die Pyramide kann man ordentlich hineingehen durch eine Türe.« – »Cestius-Pyramide?« sagte Walt halblaut. – Der Graf verstand den merkantilischen Schelm nicht. »Nun, es dient nun so«, erläuterte er weiter, froh über die Einkleidung jener Verkleidung, »bei der oder jener Gelegenheit – wenn mans eben braucht – ein Mensch trinkt mittags viel, besieht sich den Garten, und nun natürlich....«

»God d –«, sagte der verständigte Graf im Feuer, »ich muß in die Pyramide« und gab, des Agenten satt, das Zeichen des Zurückbleibens. Ein Regenbogen – darein war die Holz-Brücke durch Farben verkleidet – führte an die Pyramide. Der unschuldige Notar dachte zu zart, um alles zu verstehen. Der stolze Kaufmann, der hier das Stehenlassen äußerst unhöflich fand, murmelte halb für sich, halb für Walten: »Ein höflicher, eigner Herr!« Er blieb nun nicht so lange, daß der Notar, der ein Riesen-Kniestück vom Klothar anlegen wollte, solches hätte aufspannen können; sondern ließ wieder diesen stehen, mit dem Pinsel voll Flammen in der Hand.

Ein zarter Genius war es, der den einsamen Gottwalt vom Betreten des Regen- und Brücken-Bogens zurücklenkte durch die Eröffnung der – Wahrheit. Anderthalb Garten-Gänge prallte davor der Jüngling zurück, den schon der vornehme Tafel-Zynismus mit den nackt gezognen Zahnstochern geärgert; – ohne doch auf den Agenten zu zürnen, daß er auf die väterliche Pappel-Insel eine solche Spitzsäule pflanzen können; er hatte oft zu viel Liebe, um Geschmack zu haben, wie andere umgekehrt.

Als der Graf von Ermenonville zurückgekommen: schlug Walt mehrere schmale Radien-Gänge ein, um ihm zufällig aufzustoßen und so, verschmolzen mit ihm, zu gehen. Aber der Graf, der alleinbleiben wollte, merkte das stete Nachstreichen und bog ihm verdrüßlich aus. Auch dem Notar selber wurde am Ende das freundschaftliche Ballett versalzen, weil der Markthelfer mit seinem Verwaschpinsel als Schrittzähler hinter ihm blieb und ihm jeden Schritt dadurch vorrechnete, daß er ihn ausstrich.[739]

»Welch ein ganz anderes Glück wäre es«, träumt' er, »fiel' ich ins Lac-Wasser, und mein Jüngling schleppte mich heraus, und ich läg ihm mit tropfenden Augen zu Füßen. Das denk' ich mir gar nicht – weil es zu groß wäre, das Glück –, wenn etwan gar er selber hineinstürzte und ich der Selige würde, der sein stolzes Leben rettete und ihn an der Brust ins Dasein trüge.«

Indes fand er jetzt etwas Besseres auf seinem Wege, einen verlornen Brief an Klothar. Indem er sich umsah, ihn zu übergeben, war der Graf unter die ins Haus gehende Gesellschaft zurückgetreten. Er lief nach. Jener war schon davongeritten auf ein Dorf. Es war ihm nicht sonderlich bitter, daß er durch den Brief ein Recht in die Hände bekam, den Grafen morgen auf seinem eignen Zimmer aufzusuchen.

Er erstieg eilig das seinige – nicht ohne Freude, daß er als der einzige Gast im Hause verbleibe, indes alle andere daraus fortmußten –; und besah und las ruhig droben den schon erbrochnen Briefaußen. Denn innen ihn zu lesen, auch irgendeinen andern fremden, lag außer seiner Macht. Sein Lehrer Schomaker – der, wie Vult sagte, für Schimmelwäldchen Waldordnungen entwürfe – behauptete, nicht einmal gedruckte dürfe man lesen, wenn sie wider des Verfassers Wunsch erschienen, da die Leichtigkeit und die Teilhaber einer Sünde an dieser nichts änderten. Eine Taube mit einem Ölzweig im Schnabel und in den Füßen flog auf dem Siegel. Der Umschlag roch anmutig. Er zog den Brief daraus hervor, faltete ihn auf von weitem und las frei den Namen – Wina und legt' ihn eiligst weg... »Ich will ihm alle meine Aurikeln geben«, hatte sie einst in der tiefen Kindheit gesagt, aus deren dunkeln überblühten Tempe unaufhörlich jene Töne wie bedeckte Nachtigallen heraufsangen. Jetzt aber berührte die zitternde Saite – deren Klänge bisher süß-drückend sein Herz umrungen hatten – seine Finger; er hatte ordentlich die Vergangenheit, die Kindheit in der Hand – Und heute trat vollends die Unsichtbare im Konzertsaale endlich aus der blinden Wolke –

Seine Bewegung bedarf keines Gemäldes, da jede auf jedem erstarrt.[740]

Er hielt jetzt den offnen Brief nahe unter die Augen, obwohl umgekehrt. – Das Papier war so blau-weiß-zart wie eine feinste Haut voll Geäder – die umgestürzte Handschrift so zierlich und gleich – Blumengewinde waren den vier Papierrändern eingepresset – er besah jeden – und ging auf Aurikeln aus – als er aber auf dem untern suchte, fuhr ihm die letzte Zeile ins Auge, mit sieben letzten Worten. Da steckt' er das Blatt erschrocken in die Hülle zurück.

Es lautete aber das Schreiben an Klothar so:


»Wozu meine längern Kämpfe, die vielleicht schon selber Sünden sind? Ich kann nun nach Ihrem gestrigen entscheidenden Worte nicht die Ihrige werden; denn ich könnte Ihnen wohl so leicht und so gern Glück und Leben und Ruhe opfern, aber meine Religion nicht. Ich schaudere vor dem Bilde eines erklärten Abfalls. Ihre religiöse Philosophie kann mich quälen, aber nicht ändern. Die Kirche ist meine Mutter; und nie können mich alle Beweise, daß es bessere Mütter gebe, von dem Busen der meinigen reißen. Wenn meine Religion, wie Sie sagen, nur aus Zeremonien besteht: so lassen Sie mir die wenigen, die meine mehr hat als Ihre. Denn am Ende ist doch alles, was nicht Gedanke ist, Zeremonie. Geb' ich eine auf, so weiß ich nicht, warum ich noch irgendeine bewahre. Halten Sie ja, wie ich, vor meinem Vater Ihre scharfe Foderung des Abfalls geheim, ich weiß, wie es ihn kränken müßte. – Ach lieber Jonathan, was könnt' ich noch sagen; jene Stille, die Sie oft rügen, ist nicht Laune noch Kälte, sondern die Trauer über meine Ungleichheit gegen Ihren großen Wert. O Freund, ist dieser Anfang unsers Bundes wohl der rechte? Mein Herz ist nur fest, aber wund.

Wina«


Er beschloß im ersten Feuer, das Schreiben ihr selber im Konzerte zuzustellen. Jetzt übrigens, da er ein wenig seine heutige schwelgerische Lage überschlug – Diner mittags – Konzertabends – Sonntag den ganzen Tag –: so konnt' er sich weiter nicht bergen, wie sehr er sich, gleich einem Großen, schwindelnd auf dem Glücksrad umschwinge, oder eine wahre Nacht der Ergötzlichkeiten[741] durchträume, in der ein Sternbild voll freudiger Strahlen aufgeht, wenn ein anderes niedergeht, indes arme Teufel nichts haben als einen blau-dunkeln Tag mit beigefügter Sonne.

So macht' er sich denn – Kopf und Brust voll flötender Vulte, heiliger Aurikelnbräute, feinster ihnen zu übergebender Briefe auf den Weg zum ersten Konzert in seinem Leben. Denn für die Leipziger Konzerte im Gewandhause hatt' er nie den dazugehörigen Eintritts- und Torgroschen erschwingen können, bekanntlich 16 Groschen schwer Geld.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 737-742.
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