128. Zykel

[735] Linda las das Blatt unzähligemal, weinte vor süßer Liebe und dachte nicht daran, zu – vergeben. Dieses Wehen der Liebe, das alle Blumen beugt und keine pflückt, hatte sie schon so lange gewünscht: und jetzt auf einmal nach der nebligen Windstille des Herzens ging es lebendig und frisch durch den Garten ihres Lebens. Sie konnte schwer acht Uhr erwarten. Sie half sich über die Zeit hinweg durch Wählen des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier, Hute, Kleide und allem bestand, was sie getragen, als sie ihren Geliebten zum erstenmal auf Ischia gefunden.

Sie steckte die Paradieses- oder Orangenblüten, die Zeiger jener Zeit und Welt, an ihr klopfendes Herz und ging zur bestimmten Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme, in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen den Brief nahm sie den Weg ins Flötental. Die Nacht war finster für ihr Auge, und das blinde Mädchen wurde ihre Führerin.

Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare stand, wie der böse Geist auf der Zinne des Paradieses, Roquairol und blickte scharf in den Garten herab, um Linda und ihren Weg zu finden. Sein Freudenpferd war unten im tiefen Gebüsch an ausländische Gewächse angebunden. Voll Ergrimmung sah er noch Dian und Chariton mit den Kindern in dem Garten gehen; und oben im Donnerhäuschen ein kleines Licht. Er verfluchte jede störende Seele, weil er entschlossen war, heute im Notfall jeden Stürmer seines Himmels zu ermorden. Endlich sah er Lindas lange rote Gestalt gegen das Flötental zugehen und das Schwellen-Gebüsch aufziehen und darhinter verschwinden.

Er eilte den langen Schneckenberg herab, warm wie eine vergiftete Leiche. Hinter sich hörte er im langen Busch-Gewinde jemand nacheilen – er entbrannte und zog seinen Stockdegen, den er nebst einem Taschenpistol bei sich hatte – endlich sah er eine[735] häßliche Gestalt, einem bösen Geiste ähnlich, die ihm nachrannte – sie packte ihn – es war der Fürstin langarmiger Affe – Er durchstach ihn auf der Stelle, um nicht von ihm verfolgt zu werden.

Unten im freien Garten ging er langsam, um keinen Verdacht zu wecken. Er schlich leise wie der Tod, der auf dem Donnerwagen einer Wolke ungehört durch Lüfte über den Blütenbaum zieht, worunter eine Jungfrau lehnt, und versteckte den mörderischen Wetterstrahl in seine Brust. Er öffnete das hohe Pforten-Gesträuch des Flötentals; alles war darin still und dunkel; nur hoch im Himmel ging ein seltsamer brausender Sturm und jagte die Wolken-Herde, aber auf der Erde war es leise, und kein Blatt bewegte sich. »Ist jemand da?« fragte die blinde Türhüterin. »Guten Abend, Mädchen!« sagte Roquairol, um durch seinen Sprachton für Albano zu gelten.

Tief im engern laubigen Tale sang Linda leise ein altes spanisches Lied aus ihrer Kinderzeit. Endlich wurde sie erblickt – die Riesenschlange tat den giftigen Sprung nach der süßen Gestalt, und sie wurde tausendfach umwunden.

Er hing an ihr sprachlos – atemlos – die Wolke seines Lebens brach – Tränen der Glut und Pein und Wonne rannen brennend fort – alle Arme, worein der Strom seiner Liebe bisher seicht umhergelaufen war, schossen brausend zusammen und faßten und trugen eine Gestalt – – »Weine nicht, mein guter Mensch, wir lieben uns ja immer wieder«, sagte Linda, und die zarte schöne Lippe gab ihm den ersten innigen Kuß. Da kreisete das Feuerrad der Entzückung mit ihm reißend um, und um den darauf geflochtenen Kopf wehten die Flammen-Kreise hoch auf. Aus Furcht, erblickt zu werden, wenn er erblicke, und aus Lust hatt' er die Augen geschlossen; jetzt tat er sie auf- so nahe an sich und in seinen Armen sah er nun die hohe Gestalt, das stolze blühende Antlitz und die feuchten warmen Liebes-Augen. »Du Himmlische,« (sagt' er) »töte mich in dieser Stunde, damit ich sterbe im Himmel. Wie will ich nachher noch leben? – Könnt' ich meine Seele in meine Tränen gießen und mein Leben in deines und wäre dann nicht mehr!«[736]

»Albano,« (sagte sie) »warum bist du heute so anders, so traurig und weich?« –

»Nenne mich« (sagt' er) »lieber bei deinem Namen, wie die Liebenden auf Otaheiti die Namen tauschen. – Vielleicht hab' ich auch etwas getrunken – aber ich bereue ja das Gestern – ich liebe dich ja neu. Ach, du, liebst du denn auch mein Innres, Linda?«

»Süßer Jüngling, kann ich es denn jetzt nicht ewig lieben? – Ich bleibe ja bei dir und du bei mir.«

»Ach du kennst mich nicht. Wenn weiß es denn der Mensch, daß gerade er, gerade dieses Ich gemeinet und geliebet werde? Nur Gestalten werden umfasset, nur Hüllen umarmt, wer drückt denn ein Ich ans Ich? – Gott etwa.« –

»Und ich dich« – sagte Linda.

»O Linda, liebst du mich fort in meinem Grabe, wenn die Spreu des Lebens verflogen ist – liebst du mich fort in meiner Hölle, wenn ich dich aus Liebe gegen dich belogen habe? – Ist denn Liebe die Entschuldigung der Liebe?«

»Ich liebe dich fort, wenn du mich liebst. Bist du die Giftblume, so bin ich die Biene und sterbe in dem süßen Kelch.«

Die Braut sank an seinen Hals. Er umklammerte sie heftig und wurde immer ähnlicher dem Gletscher, der durch Wärme weiterrückt und schmelzend verheert. Um ihn zogen die Freuden mit glänzenden, mit himmlischen Gesichtern, zeigten ihm aber in den Händen Furienmasken.

»Du willst sterben aus Liebe; ich bin schon gestorben aus Liebe – O du weiß nicht, wie lange ich dich schon liebte!« antwortete er.

»Glühender,« (sagte sie) »denk an diese Nacht, wenn du einst Idoinen siehst!« – »So seh' ich nur meine aufgestandne Schwester«, sagt' er, aber sogleich über die entfahrne Wahrheit erschreckend. »Man sieht« (setzt' er eilig dazu) »das auferstandne Herkulanum, aber man wohnt im blühenden Portici darüber; ich und du sahen im Baja-Golf unter dem Meer die versunknen Bogen und Tore, und wir schifften nach lebendigen Städten weiter. – Ist mir doch auch Roquairol in so manchem so ähnlich und liebt dich so sehr und so lange und starb auch einmal wie Liane!« –[737]

»Aber diesen hatt' ich nie geliebt, und nun bin ich deine ewige Braut.«

»Der arme Mensch! Aber ich tat, glaub ich, doch nicht recht, da ich einst in der Tartarushöhle dir Ungesehenen im voraus entsagte aus Liebe gegen den Freund.«

»Gewiß nicht; aber wie kommen wir beide auf dieses unheimliche Wesen?« sagte sie küssend.

»Heimlich möcht' ichs eher nennen«, versetzt' er, entbrennend in hassender Liebe, im Zwiespalt der Rache und Lust und entschlossen, nun den Leichenschleier über ihre ganze Zukunft zu weben. Er schlug die schwarzen Adlerschwingen um das Opfer und erstickte und erweckte Küsse, er riß die Orangenblüten von ihrer Brust und warf sie zurück. »Liebe ist Leben und Sterben und Himmel und Hölle,« (sagt' er) »Liebe ist Mord und Glut und Tod und Schmerz und Lust – Kaligula wollte seine Cäsonia foltern lassen, um nur von ihr zu wissen, warum er sie so liebe – ich wäre das auch imstand.«

»Göttlicher Albano! trinke nicht mehr so! du bist zu ungestüm, deine Augenbraunen stürmen sogar mit – wie bist du denn?«

»Alles auf einmal, wie ein Gewitter, voll Glut – und mein Himmel ist hell durch den Blitz – und ich werfe kalten Hagel – und eine Zerstörung nach der andern, und es regnet warm auf die Blumen – und Himmel und Erde verknüpft ein stiller Bogen des Friedens.«

Jetzt sah er am Himmel die Sturmwolken wie Sturmvögel zwischen den Sternen und neben dem zornigen Blutauge des Mars schon heller fliegen; der Mond, der ihn verjagte und verriet, warf bald das Richter-Auge eines Gottes auf ihn. Im Hohne gegen das Schicksal riß er auf für seine küssende Wut den Nonnenschleier und Heiligenglanz ihrer jungfräulichen Brust. Fern stand der Leuchtturm des Gewissens, von dicken Wolken umzogen. Linda weinte zitternd und glühend an seiner Brust. »Sei mein guter Genius, Albano!« sagte sie. – »Und dein böser; aber nenne mich nur ein einzigesmal Karl«, sagt' er voll Wut. »O heiße denn Karl, aber bleibe mein voriger Albano, mein heiliger Albano!« sagte sie. –[738]

Plötzlich fingen im Tal die Flöten an, die der fromme Vater zu seinen Abendgebeten spielen ließ. Wie Töne auf dem Schlachtfeld riefen sie den Mord heran – da schmolz Lindas goldner Thron des Glücks und Lebens glühend nieder, und sie sank herab, und das weiße Brautkleid ihrer Unschuld wurde zerrissen und zu Asche.

»Nun die Deinige bis in meinen Tod!« sagte sie leise mit Tränenströmen. »Nur bis in meinen«, sagte er und weinte jetzt weich mit den weinenden Flöten. An der goldnen Kugel auf dem Berge glomm schon der Mond, der wie ein bewaffneter Komet, wie ein einäugiger Riese heraufdrang, den Sünder aus seinem Eden zu jagen. »Bleibe, bis der Mond kommt, damit ich in dein Angesicht sehe«, bat sie. »Nein, du Göttliche, mein Freudenpferd wiehert schon, die Todesfackel brennt herab in meine Hand«, sagte er tragisch-leise. Der Sturm war vom Himmel auf die Erde gezogen; sie fragte: »Der Sturm ist so laut, was sagtest du, Schöner?« – Er küßte wild ihre Lippe und ihren Busen wieder; er konnte nicht gehen, er konnte nicht bleiben: »Gehe morgen nicht« (sagt' er) »in den Trauerspieler, ich flehe dich, das Ende, hör' ich, ist zu erschütternd.«

»Ich liebe ohnehin dergleichen nie. O bleibe, bleibe länger, ich seh' dich ja morgen wieder nicht.« Er preßte sie an sich – deckte ihre Augen mit seinem Angesicht zu – das Gorgonenhaupt des Mondes wurde schon in den Morgen heraufgehoben – er ließ das Leben los, wenn er sie entließ – und doch zehrte jedes gestammelte Wort der Liebe an der kurzen Zeit. Der Sturm arbeitete in den gerissenen Bäumen, und die Flötentöne schlüpften wie Schmetterlinge, wie schuldlose Kinder unter dem großen Flügel weg. Roquairol, wie betäubt von solcher Gegenwart, war nahe daran, zu sagen: sieh mich an, ich bin Roquairol; aber der Gedanke stellte sich schnell dazwischen: »Das verdient sie nicht um dich; nein, sie erfahr' es erst in der Zeit, wo man den Menschen alles vergibt.« – Noch einmal heftig hielt er sie an sich gedrückt, das Mondlicht fiel schon auf beide herein, er wiederholte tausend Worte der Liebe und Scheidung, stieß sie zurück, fuhr schnell um und schritt in Albanos Kleidung durch das Tal hindurch.[739]

»Gute Nacht, Mädchen«, sagt' er vorübergehend zur Blinden. Linda sang nicht wieder wie vorhin. Die Sterne sahen ihn an, die Sturmwinde redeten ihn an – die Freuden gingen neben ihm, hatten aber die Furienmasken nun auf den Gesichtern – aus dem Himmel griff ein Arm herab, aus der Hölle griff ein Arm herauf, und beide wollten ihn fassen, um ihn auseinanderzureißen – »Nu, nu,« (sagt' er) »ich war wohl glücklich, aber ich hätt' es noch mehr sein können, wär' ich Ihr verdammter Albano gewesen« – und schwang sich auf sein Freudenpferd und jagte noch in der Nacht nach dem Prinzengarten.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 735-740.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Titan
Sämtliche Werke, 10 Bde., Bd.3, Titan
Titan (insel taschenbuch)
Titan. Bd. 1/2
Titan: A Romance from the German (German Edition)
Titan, Volumes 1-2 (German Edition)

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon