Neunte Szene.

[48] Vorige, dann Elegius Obenaus.


CHRISTOPH tritt ein. Euer Gnaden!

ROBERT. Was ist's?

CHRISTOPH. Da steht ein Mensch draußen, der alle anderen über die Achsel ansieht und der mir nicht seinen Namen nennen will, weil der, wie er sagt, zu groß wäre, um von den Lippen eines Knechtes ausgesprochen zu werden. – Ich bitt', Euer Gnaden! – Ich – Knecht!! Ich hab' ihn schon wollen eigenhändig zum Fenster hinauswerfen suche aber pflichtgemäß erst um die hohe herrschaftliche Bewilligung an.

ROBERT. Sei kein Narr; ich will sehen, was der Mann will, – laß ihn vor!

CHRISTOPH öffnet die Tür und spricht hinaus. Der Herr mit dem unaussprechlichen Namen!

ELEGIUS OBENAUS in einem abgeschabenen Flausrocke, mit langen herabhängenden Haaren, wild verwachsenem Schnurr- und Knebelbart, einen Knotenstock in der Hand, tritt mit stolz zurückgeworfenem Haupte ein. Servus!

ROBERT. Was wünschen Sie von mir?

ELEGIUS tritt vor und fixiert Robert. In Ihren Zügen liegt so viel Geist, daß ich hoffe – Sie werden mich auch verstehen. Ich heiße Elegius Obenaus![48]

ROBERT. Und sind?

ELEGIUS erstaunt. Was? – Ich sage Ihnen, ich heiße Elegius Obenaus – und Sie fragen mich: »Und sind?« – O Deutschland! Deutschland! – Warum müssen in deinen Gauen Genies geboren werden, um unerkannt unterzugehen! Doch fasse dich, erhabene Seele; großen Männern ziehen die Schmerzen nach – wie hohen Bergen die Gewitter! Heftig. Herr – haben Sie meine Gedichte unter dem Titel »Leuchtkugeln« nicht gelesen, nicht gierig verschlungen?

CHRISTOPH. Nein, wir haben Ihre Leuchtkugeln noch nicht genossen.

ROBERT. Also – Sie sind Dichter, lyrischer Dichter?

ELEGIUS. Dichter, so nannte man uns einst, in jener dunklen Zeit, wo selbst der Begabte durch nichts zum Liede begeistert wurde als durch ein Rauschen des Waldes, durch ein girrrndes Tauben- oder Menschenpaar. – Doch jetzt ist's anders, höhere Interessen nehmen die Lyra in Anspruch; – jetzt holen wir uns Begeisterung aus den Reskripten der Kabinette aus den Noten der Ministerien – aus den Artikeln der »Augsburger Allgemeinen«; jetzt sind wir nicht mehr sentimentale Troubadours, jetzt sind wir Weltverbesserer und unsere Lieder leuchtende Kometen!

CHRISTOPH. Aha! Darum ist, wie bei den Kometen, der äußere Dunstkreis immer größer als der innere Kern!

ROBERT. Also – ein politischer Dichter?

ELEGIUS. Ja, einer von denen, von welchen Deutschland allein Heil zu hoffen hat.

CHRISTOPH. Armes Deutschland![49]

ELEGIUS. Wir sind die Verbesserer der Staatenpolitik; – von uns aus geht das Licht; – unser Streben geht dahin, den Völkern zuerst ihre fade Zufriedenheit, diese Mutter der Lethargie, zu nehmen.

ROBERT. Und was geben Sie ihnen dafür?

ELEGIUS. Das wissen wir noch nicht, aber das findet sich schon!

ROBERT. Was haben Sie aber bei mir anzusuchen?

ELEGIUS. Ich komme nicht in meinem Interesse, sondern in jenem der gesamten Menschheit. – Gönnen Sie deshalb dem Dichter ein freies Wort! Sie lassen den Bauern die Abgaben nach, Sie beschenken die Armen mit Geld, um sich Brot zu kaufen; – Sie bedenken aber nicht, daß bereits die Zeit gekommen ist, wo körperlicher Hunger das kleinste Übel ist.

CHRISTOPH. Gegen diese Ansicht legt mein Magen Protest ein.

ELEGIUS. Jetzt hungern die Geister; diesen muß Nahrung geboten werden, und Licht ist diese Nahrung – dieses aber geht von uns aus – den Erkornen, den Berufenen! – Deshalb sollten wir aber auch, wie einst die Druiden und Barden, auf Kosten des Landes erhalten werden.

CHRISTOPH. Sein Sie ruhig, junger Mann, bei Ihren Gesinnungen dürfte Ihnen eine Versorgung in einem Staatsgebäude nicht ausbleiben.

ELEGIUS. Ich mache Ihnen einen Vorschlag! – Befreien Sie mich von den Lebenssorgen – machen Sie Ihr Schloß zum Musensitze, indem Sie mir einige Zimmer einräumen, mich mit echtem deutschen eine zum deutschen Liede begeistern[50] und mir noch einen kleinen Jahresgehalt von ein paar hundert Dukaten auswerfen. Ich will Sie dafür mit mir unsterblich machen, indem ich Ihren Namen in einer Widmung meinem nächsten Buche vorsetze.

ROBERT. Ich danke Ihnen für diese Unsterblichkeit; aber – wenn ich mich schon wie der Zaunkönig auf den Rücken eines Adlers setzen wollte, um mit ihm zur Sonne zu fliegen, so müßte ich ihn doch früher als Adler erkannt haben.

ELEGIUS. Und erkennen Sie mich nicht als solchen?

ROBERT. Ihre Dichtungen sind mir noch nicht bekannt; aber die ganze Richtung, welche in neuerer Zeit die lyrische Poesie genommen hat, halte ich für eine verfehlte, eine verwerfliche. Ich wünsche hier nicht mißverstanden zu werden; ich achte den tüchtigen politischen Schriftsteller, welcher, durchdrungen vom Gefühle des Rechts, in klaren Worten zu seinem Volke spricht; aber diese sogenannten politischen Liedermacher tragen alle den Schild für das Allgemeine und dahinter steckt doch nur der Egoismus, welcher für sich wohlfeile Lorbeern ernten will. – Sie prunken mit ihrer Gesinnung, um den Preis derselben zu erhöhen, wenn sich ja ein Käufer findet – sie lärmen und poltern vor dem Hause – und sind die friedlichsten Gäste, wenn man sie im Hause füttert. Sie wollen das Ruder des Staatsschiffes lenken und sind doch, wenn man sie auf den unbedeutendsten Posten setzt, die unbrauchbarsten Beamten. – Dies ist meine Ansicht – und darum werde ich auch nie zur Beförderung eines solchen Getriebes beitragen.[51]

ELEGIUS. Also – Sie tun nichts für ein verkanntes Genie?

ROBERT. Die verkannten Genies sind es eben nur darum, weil sie sich selbst verkennen!

ELEGIUS. Herr – Sie sind hart gegen einen Armen!

ROBERT. Wenn Sie sich mir als Armer vorstellen, werde ich es nicht sein.

ELEGIUS. Nun – ich denke – so Auf seine Kleidung deutend. spricht sich der Wohlstand eben nicht aus; – mein Rock gibt Kunde von den Stürmen des Schicksals und Mit dem Stock auf seine Stiefel weisend. meine Fußbekleidung klagt offen über die Rauheit der Lebenswege.

CHRISTOPH neigt sich zu seinen Füßen hinab. Sie! Mit diesen Stiefeln werden Sie schwerlich bis zur Unsterblichkeit gehen können!

ROBERT im verweisenden Tone. Schweige, Christoph – Seine Börse herausziehend und sie Elegius in die Hand drückend. Nehmen Sie indes und wenden Sie künftig Ihren Fleiß einem ernsteren Berufe zu! – Kann ich Ihnen dazu behilflich sein – mit Freuden; – es dürften sich bei mir selbst bald Erledigungen von Stellen ergeben –

ELEGIUS plötzlich wieder stolz. Nichts davon, mein Herr! Meine Armut kann nie so groß sein, daß sie mich zwingen könnte, den Pegasus als Ackergaul zu vermieten; und wenn ein Dichter auch als Bettler vor Ihnen erscheint, so ist er doch noch immer zu groß, um Raum in einer Ihrer Schreibstuben zu finden. Leben Sie wohl – ich verlasse Sie! Geht gegen die Tür, kehrt aber wieder um. Könnten Sie mir nicht einige echte Havannazigarren mitteilen?[52]

CHRISTOPH. Nein – aber spanische können Sie draußen bekommen.

ELEGIUS. Danke! Für sich. Das sind ein Paar kannibalische Philister! Ab.

CHRISTOPH ihm nachsehend. Und Roß und Reiter sah man niemals wieder! Euer Gnaden! Ist Ihnen nicht leid um Ihre Geldbörse?

ROBERT. Hm! Ich betrachte es, als hätt' ich ein Almosen ans Irrenhaus abgegeben.


Quelle:
Friedrich Kaiser: Ausgewählte Werke. Band 1, Wien, Teschen, Leipzig [1913], S. 48-53.
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