18. Kapitel
Trage alle irdischen Plagen mit Gleichmut nach dem Beispiele Christi!

[112] 1. Der Herr: Mein Sohn! Ich stieg um deines Heiles willen vom Himmel herab und trug alle deine Plagen – nicht weil ich mußte, sondern weil ich liebte. Ein Beispiel wollte ich dir geben, daß du dich in Geduld üben und das Elend dieser Zeit mit gelassenem Mute tragen sollst. Von der Stunde meiner Geburt in diese Welt bis zum Verscheiden am Kreuze gab es für mich immer etwas zu leiden. Mangel an irdischen Gütern, das Klagen und Murren vieler über mich, Spott und Hohngelächter war mein tägliches Brot, und ich ergab mich mit stillem Sinn in alle diese Leiden. Meine Wohltaten haben sie mir mit Undank, meine Wunderwerke mit Gottes-Lästerung, meine Belehrungen mit Tadel vergolten.

2. Der Mensch: Lieber Herr! Weil dein ganzes Leben ein lauteres Bild der Geduld gewesen und durch eben diese Geduld der Auftrag deines Vaters vollbracht worden ist, so ist es billig, daß auch ich, ein armer Sünder, nach deinem Willen und nach deinem Beispiele mich in Geduld übe und die Bürde dieses gebrechlichen Lebens zu meinem Heile stillleidend so lange forttrage, bis du sie mir abnimmst. Zwar ist dieses Leben eine schwere Last, aber an dieser schweren Last hangen viele Gnaden von dir, die uns großer Belohnungen würdig machen können. Und die Beispiele der Heiligen, und vorzüglich deine eigenen Fußtapfen vor uns, machen uns die Last dieses Lebens, bei all unserer Schwachheit, viel[112] erträglicher und freundlicher. Auch fließen jetzt mancherlei Quellen des Trostes herab, die in den Zeiten des Alten Bundes versiegt waren. Die Pforte des Himmels war verriegelt, und die Bahn dahin verlor sich ins Dunkle, indem so wenige Pilger die Burg des Himmels zum Zielpunkte ihrer Reise machten. Und auch die Gerechten und Auserwählten konnten nicht gleich in das Reich des Himmels eingehen, ehe du dein Leiden vollbracht und durch dein heiliges Sterben die Schuld des Todes an das Kreuz geheftet hattest.

3. O wie kann ich dir genug danken, dafür, daß du mir und allen, die an dich glauben, die gute, gerade Bahn in dein ewiges Reich so mild und lichthell gewiesen hast. Wahrhaftig, dein Leben ist unsere Bahn, und indem wir in Geduld mutig nachgehen, kommen wir zu dir, du unser Heil und unsere Krone. Wärest du nicht voraus gegangen, hättest du nicht mit Wort und Tat Bahn gemacht, wer würde sich's angelegen sein lassen, dir nachzufolgen? Wie viele würden in einer großen Entfernung vom Ziele Zurückbleiben, wenn sie nicht auf dein herrliches Beispiel vorwärts blickten? Sieh! Jetzt noch, obwohl wir von deinen Wundern und Lehren so zuverlässige Zeugnisse vor uns haben, jetzt noch werden wir lau und träge zum Guten; was würde erst aus uns werden, wenn uns kein so helles Licht ins Auge schimmerte und uns den Weg der Nachfolge zeigte?

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 112-113.
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