Der Klosterzwinger

[119] Dies war ein auf beiden Seiten mit Mauern eingefaßter tief gelegener, das ganze Kloster umgebender sogenannter Zwinger. Der Eingang in denselben war wenig Schritte von den Ökonomie-Gebäuden durch ein großes, mit schwerem Riegel versehenes Tor der Mauer. Nicht weit von ihm stand in diesem Garten die Ruine eines Turmes, vielleicht eines ehemaligen Gefängnisses, der aber jetzt zum friedlichen Geschäfte eines Dörr-Ofens für das Obst eingerichtet war, und in Wahrheit, man bedurfte auch einer solchen ökonomischen Vorrichtung; denn der ganze lange Zwinger war mit den schönsten Obstbäumen aller Art ausgesetzt, die in den damaligen Jahren Obst in Menge lieferten. In der Umgebung jenes Turmes, etwas tiefer gelegen, war ein kleiner Blumengarten angelegt. An diesen reiheten sich Beete für alle möglichen Gemüsearten, und die Mauern, die gegen Kälte und Wind schützten, gaben vielen Frühbeeten und Spalieren einen passenden Aufenthalt. Noch befand sich hier ein kleiner ausgemauerter See, dem es an[119] Fischen und Geflügel nie fehlte. Selbst der Versuch, wilde Enten hier aufzuziehen, von denen es auf den großen Seen oft wimmelte, wurde hier öfters gemacht, aber meistens mit dem Erfolge, daß die Enten, sobald sie flügge geworden, in die Luft sich erhoben und nicht wieder kamen. Über diesem Zwinger befand sich ein großer See, genannt der tiefe See, welcher ausgezeichnet fischreich war. Durch unsern Garten ging sein Ablauf, aus welchem ich oftmals herrliche Karpfen als gute Beute herauszog. Im Frühjahr, wo durch Schneewasser von den Bergen dieser See sehr anschwoll, bildete er eine große Kaskade, die mit furchtbarem Geräusche in den Zwinger herabstürzte und wirklich dann mehrere Wochen lang einen imposanten Anblick gewährte.

Was ich in Ludwigsburg noch nicht kannte, die Liebe zu Pflanzen und Blüten, erwachte hier in mir auf einmal. Anpflanzen von Blumenbeeten, Ziehen von Blumen in Töpfen, gewährte mir nun die größte Freude; auch zog es mich, Waldpflanzen zu suchen, in die Wälder, und ich brachte auch manche Stunde in denselben zu, um die Ofris insectifera (eine Pflanze deren Blüte wie eine Biene aussieht) aufzusuchen und zu Hause in Töpfen aufzustellen. Malven, Levkoyen, Nelken pflanzte ich teils selbst, teils suchte ich sie, wo ich nur konnte, für meine Pflanzungen zu erhalten.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 119-120.
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