Die Zeit Herzog Ludwigs

[27] Nach dem Tode des Herzogs Karl wurde der Zustand Ludwigsburgs weniger glänzend, aber gemütlicher, bürgerlicher; das eigentliche Militär wurde mehr in den Hintergrund gestellt, die großen Grenadiere Friedrichs verschwanden, und der Herzog Ludwig, ein Freund der Bürger mit Leib und Seele, glaubte sich auch jetzt, zur Zeit der bedrohten Kronen, nur unter ihrem Schutze sicher. Als dieser Herzog eine allgemeine Volksbewaffnung zu organisieren gedachte, was Österreich wünschte, und nur Preußen für gefährlich hielt, da gelangten auch an meinen Vater, wie an alle Oberamtmänner, Befehle zur Organisation[27] derselben. In einer, bei solch einer Gelegenheit gehaltenen Rede, die ich noch besitze, sprach er unter anderem folgendes, was ich hier wörtlich anführe:

»Zur Abwendung drohender Feindesgefahr hat der Herzog den Entschluß gefaßt, nach Anleitung der älteren und neueren Landesverträge und Beispiele eine allgemeine Landesverteidigung zu veranstalten und eine Landmiliz zu errichten, die in Vereinigung mit den regulären Truppen, und in Vereinigung mit den anderen benachbarten Reichs- und Kriegsständen, mit Gottes Hülfe die Feinde bekämpfen soll. Wahrhaftig, meine Mitbürger, Hermanns kriegerischer Geist, welcher ehemals der römischen Herrschaft in Deutschland Grenzen setzte und mit unseren Voreltern begraben zu sein scheint, muß wieder belebt werden: denn, wenn ein ganzes Volk aufsteht, um die Nachbarschaft zu verheeren, so müssen auch gegenseitig andere Völker sich verbinden, um der Gewalttat zu steuern, die Gefangenschaft der Familien und die Zerstörung der Wohnungen zu verhindern. Jeden Bürger zur Ergreifung der Waffen aufzurufen ist Pflicht der Obrigkeit, und so rufe ich diejenigen unter euch zu den Waffen, welche tätig, kräftig und durch Alter oder Krankheit nicht verhindert sind, sich unter der Fahne der Vaterlandsverteidiger zu sammeln. Um mit gutem Beispiele voranzugehen, mache ich mich verbindlich, unter hoffender Erlaubnis unseres Herzogs, wenn eine Anzahl entschlossener ehrliebender Bürger sich zu einem Schützenkorps vereinigt, daß ich nicht bloß, wollt ihr es, das Kommando übernehmen, sondern auch wie jeder andere Bürger mit Allen Gefahr und Anstrengung teilen werde. Es lebt in mir die feste Überzeugung, daß die Gefahr nicht so groß ist, wenn man zusammenhält, statt daß man sich einzeln jedem herumstreifenden Haufen preisgibt.« –

Die Ludwigsburger teilten aber meines Vaters kriegerischen[28] Geist nicht, sie bildeten wohl ein Korps, als man aber nach langer Zeit wieder eine Rekruten-Auswahl ausschrieb, entstand (am 4. Jan. 1794) ein kleiner Aufstand, weil die Bürgerschaft von der Leistung persönlicher Kriegsdienste ebenso befreit zu sein behauptete, wie die Stuttgarter. Die jungen Leute erschienen auf dem Rathause, aber mit ihnen auch die Väter und andere Bürger. Als nun mein Vater seine Obliegenheiten als Beamter der Regierung erfüllen wollte, kam es endlich zu einem persönlichen Losgehen auf ihn. Ein starker Rotgerber, Namens Breuninger, wollte ihn schützen, drückte ihn aber, ungeschickter- und unbeholfenerweise, um ihn den auf ihn Eindringenden zu entziehen, so in die Ecke, daß er fast erstickte und sich vorerst nur bemühen mußte, sich diesen Schutz vom Halse zu schaffen, worauf die Beschwichtigung des Tumultes ihm bald gelang.

Als der Herzog zwei Monate vor dieser Begebenheit (den 3. Nov. 93) in die Residenz Ludwigsburg einzog, wurde er nicht nur von einem Bürgerkorps empfangen, dessen Einrichtung hauptsächlich von meinem Vater veranstaltet wurde, sondern auch selbst die Knaben der Stadt hatten sich zu einem wohl uniformierten und armierten Korps gebildet, dessen Anführer ich sein mußte. Als solcher überreichte ich damals dem Herzog einige von meinem Vater gedichtete Verse, mit den kurzen Worten:

»Gnädigster Herzog! empfangen Sie hiermit die Huldigung der jungen Landmiliz.«

Der bekannte Spezial Zilling, von dem später mehr die Rede sein wird, wollte da den Herzog mit einer langen Rede empfangen, blieb aber schon am Eingange stecken und brachte nichts heraus als:

»Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Herzog und Herr![29]

Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Herzog und Herr!«

Inzwischen hatte sich ein junges Mädchen aus der Zuschauerreihe herauszuschleichen gewußt und kam auf ein Brett zu stehen, daß man dem hochwürdigen Herrn, der Feuchtigkeit wegen, unter die Füße gelegt hatte, worauf dieser, nachdem er zum dritten Mal: »Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Herzog und Herr« herausgebracht hatte, sich gegen das Mädchen wandte und sagte:

»Mädle gang weg von dem Tritt! der Tritt iss net vor di do!«

Der Herzog antwortete Einiges auf die Anrede meines Vaters, die derselbe früher als der Spezial sein »durchlauchtiger Herzog« an ihn gerichtet hatte, und ließ dann weiter fahren.

Die erwähnte junge Landmiliz, die über hundert Knaben zählte, erhielt zu gewissen Stunden der Woche Exerzier-Unterricht. Jener Italiener Minoni, wahrscheinlich vergnügt, daß durch dieses Landmilizspiel der Knaben die Beunruhigung seiner Hühner unter den Arkaden für eine Zeit lang aufhörte, stiftete dem jungen Korps eine ganz schöne große Trommel mit dem Stadtwappen; und der, durch die Lebensbeschreibung Schubarts und die Händel, die er mit diesem Freigeiste hatte, bekannte so eben erwähnte Dekan Zilling schenkte an das junge Korps eine schöne gelbe und blaue Fahne von Seidenstoff, mit goldenen Franzen.

Sobald wir dieses Geschenk erhalten hatten, kommandierte ich das Korps in das Schloß und vor des Herzogs Speisesaal, und ließ dem Herzoge durch den Hofdiener, der uns empfing, sagen: er solle doch herauskommen und unsere Fahne sehen. Der gute Herzog gab hierauf den Befehl, uns alle in den Saal zu führen. Wir marschierten um die Tafel und stellten uns dann hinter dem[30] Herzoge auf; dieser nahm die Fahne, gab sie den Anwesenden an der Tafel umher und nahm mich auf seinen Schoß, wo ich mit Zuckerwerk von ihm und der Herzogin überfüllt wurde; auch die anderen Helden erhielten Bonbons und sonstiges Naschwerk. Der Herzog entließ uns dann freundlich, und wir riefen: »wir werden bald wiederkommen!« was auch noch öfters geschah.

Bekanntlich aber währte diese gutmütige Regierung nicht lange; der Herzog litt an einem Fußübel, das unvorsichtigerweise von einem österreichischen Regimentsarzte hinter den Leibärzten des Herzogs geheilt wurde, und ich kann mich noch erinnern, daß, als ich an einem Märzmorgen in der Schule war, ein großer Zusammenlauf und Wehklagen entstand: der Herzog sei vom Pferde, in der untern Allee, auf einen Stein gefallen; es war aber ein Schlag, der ihn auf dem Pferde traf.

Es lief alles dem Platze zu.

Ich sah ihn nicht mehr, man hatte ihn schon tot in das Schloß getragen. Viel Volk stand auf dem Platze, auf dem er fiel, herum, und ein Maurersjunge, der gerade von dem Geschäfte kam, grub mit seinem Zweispitz in den Stein, auf den der Herzog gefallen war, ein Kreuz ein, das noch zu sehen ist. Später, ungefähr in meinem zwölften Jahre, dichtete ich folgende Verse auf dieses Ereignis.


»Als der gute Ludwig hoch vom Pferde

Tot gesunken auf die harte Erde,

Nahet trauernd sich ein Maurersjunge:

Er will klagen, doch es stockt die Zunge,

Aber schnelle bauen seine Hände

Ihm das schönste aller Monumente,

Denn sie hauen in den Pflasterstein

Fromm des Kreuzes heilig Bildnis ein.«[31]


Die Gutmütigkeit und der fromme Glaube des Herzogs Ludwig wurden übrigens oft mißbraucht. Hievon nur ein sehr buntes Beispiel: Ein alter versoffener Schuhmacher aus der Stadt, lutherischer Konfession, kam auf den Gedanken, Buße zu tun und ein frommer Einsiedler zu werden. Zu diesem Behufe brach er sich in dem Steinbruch vor dem Tore, das nach Eglosheim führt, ein geräumiges Loch und richtete sich in demselben eine Einsiedlershütte ein; diese schmückte er mit einem Kreuze und Marienbilde, einer brennenden Öllampe und einigen katholischen Gebetbüchern aus. Es fand bald dahin ein großer Zulauf von Neugierigen statt; ja, es gab sogar manche, die sich an dieser Erscheinung erbauten.

Bald wurde die Sache auch am Hofe bekannt. Einige alte fromme Hofdamen wallfahrteten hin; diese erzählten der Frau Herzogin Wunder von dem frommen Büßer, seinen inbrünstigen Gebeten, seinen Kasteiungen. Gerührt davon, entschloß sie sich (es hieß in Begleitung des Herzogs?), selbst einen Besuch in der Einsiedlershütte zu machen. Erbaut von den frommen Äußerungen und der Buße des Mannes, wurden die Besuche öfters wiederholt, wobei jedesmal ein reichliches Almosen hinterlassen wurde; ja, die Herzogin beschickte den Darbenden oftmals mit Speisen aus der Hofküche. Die Täuschung dauerte mehrere Wochen lang, bis der fromme Einsiedler den versoffenen Schuhmacher in sich nicht mehr länger unterdrücken konnte. Er fing von der gesammelten Barschaft wieder nach alter Weise zu saufen an, worauf mein Vater von Polizei wegen durch seine Entfernung aus dem Steinbruche und seine Aufhebung im Armenhause der Sache ein Ende machte.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 27-32.
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