Knabenspiele im Winter

[224] Ludwigsburg hatte damals noch keine Turnanstalt, aber der weite Marktplatz und die vielen Alleen gaben Raum genug zu sich selbst findenden Spielen und Leibesübungen der Jugend, und Winterszeit bot der große Stadtsee eine schöne Gelegenheit zum Schlittschuhlaufen. Da war dieser See ein glänzender Belustigungsplatz für alle Stände; und noch erinnere ich mich eines jungen Mannes aus Philadelphia, ich meine, er hieß Gebhardt, der zum Besuche von Verwandten nach Ludwigsburg gekommen war, der sich durch seine Kunst im Schlittschuhlaufen (Klopstocks und Uhlands Lieblingsunterhaltung) damals vor Allen auszeichnete: denn er bildete in seinem Laufe nach Willkür die schönsten geometrischen Figuren, Ringe, Triangel, Oblonga, und diese wieder zu Arabesken und Blumenformen verschlungen, im Eise, gleich wie auf einer Glasfläche, durch Bestreichung mit einem Geigenbogen, hervorgerufene Schallfiguren.

Aber auch die Abhänge in den Alleen und die abschüssigen Straßen der Stadt lockten die Knaben vielseitig zu Fahrten auf Bergschlitten bis in die späte Nacht, oft noch im Mondenscheine, an.

Die abschüssige Straße, die von dem Holzmarkte bis zu dem Tor des Schloßgartens über die Chaussee, die nach Stuttgart führt, hinläuft, und die der Kaffeeberg heißt, war damals jeden Winter bei guter Schneebahn ein Tummelplatz von hunderten von Knaben auf Bergschlitten, die im unaufhaltsamen Laufe, wurden sie einmal oben am Holzmarkte angesetzt, bis vor das Tor und die Schildwache am Schloßgarten hinabschossen. In einem solchen Schusse war ich eines Abends auch einmal hier auf einem Bergschlitten begriffen, als ich zu meinem Schrecken auf einmal einen Herrn in steifester Hofkleidung[225] mit Orden, Degen und seidenen Strümpfen, dem mein Schlitten unaufhaltsam zwischen die Füße gefahren war, auf meinen Schoß auf den Schlitten bekam und mit ihm so noch eine gute Strecke bis zum Tore des Schloßgartens zur Ergötzung vieler Zuschauenden hinabschoß. Der Herr war, am Ziele angekommen, nicht weniger erstaunt als ich. Es war der damalige Hofmarschall von Bär, ein zu gutmütiger Mann, als daß die Sache weitere Folgen gehabt hätte; nur wurden von dort an diese Fahrten den Kaffeeberg herab verboten.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 224-226.
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