An dieselbe

[201] (Am Tage ihrer Geburt, den 30. Oktober 1843.)


O wär' ich wie Dein schöner Garten,

Der selbst beim Eise Rosen trägt,

Draus einen Strauß von hundert Arten

Dir in die lieben Hände legt!


O wär' ich wie ein Stern in Lüften,

Der noch so alt, mit neuem Schein

Aus Wettern und aus Nebeldüften

Dir blickt' ins schöne Aug' hinein!


O wär' ein Wein ich, der, je länger

Er lebt, nur desto geist'ger schmeckt;

Dann würd' ich, ein glücksel'ger Sänger,

Stets frisch zu Deinem Fest erweckt.


Doch ach, ich bin kein Rosengarten,

Kein Stern bin ich, – ich bin kein Wein,

Und Gram und Alter brachen Scharten

Mir längst schon in das Herz hinein.


Und doch blüht im zerrißnen Herzen

Mir tief noch eine Rose rot,

Die brachen nicht der Erde Schmerzen,

Der bringt kein Frost, kein Alter Tod.


Ja! ist mein Alter noch so trübe,

Gedenk' ich der, kommt aller Mut.

Die Rose heißt – erlaub' es, Liebe!

Die Rose heißt: Du bist mir gut.[201]


O bleib dem gut, der Deinen Wegen

Noch Rosen wünscht, noch Sonnenglanz,

Der Mutterfrieden, Gottes Segen,

Ist er schon tot, vergessen ganz.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 201-202.
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