4.

[212] Weinen muß ich, – sollt' es nicht!

Daß du bist vorangegangen,

Hin, wo Freiheit ist und Licht,

Während ich noch hier gefangen.


Aber sieh! es ist mir jetzt,

Seit du dich von mir gerissen,

Wie dem Kinde, ausgesetzt,

Elternlos in Finsternissen.[212]


Heimatlich war es mir nur,

Bruderherz! durch dich hienieden,

Fremd blickt an mich die Natur,

Seit du bist aus ihr geschieden.


In ein Herz zusammen fast

Wuchsen wir in langen Jahren –

Freudig trug ich jede Last,

Wußt' ich's nur, daß du's erfahren.


Trug dich, andern unbewußt,

Mitten unter tiefen Schmerzen,

Einen Stoff von sel'ger Lust

Still in meinem wunden Herzen.


Alles dies dein Tod zerbrach! –

Doch du zürnst und rufst zum Staube:

»Bruderherz, wie lange, ach!

Ist ein schwankend Rohr dein Glaube!«

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 212-213.
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