14.
14. [Oft sieht die Geistin man im Mondenschein]

[59] Oft sieht die Geistin man im Mondenschein

Um Mitternacht an dem Waldbrunnen stehn,

Dort lehnt sie sich ans moos'ge Kreuz von Stein,

Als fühlt' sie unterm Herzen tiefe Wehn.[59]

Bleich, blaß und stumm, wie nur der Mond kann sein,

Blickt erst sie in den Brunnen still hinein,

Dann wirft sie zitternd was in seinen Schacht

Und stürzt sich jählings nach in seine Nacht.

Dumpf aus der Tiefe dröhnt der schwere Fall,

Die Wasser rauschen auf am Brunnenstein,

Doch Todesstille wird es bald darauf,

In schwarze Wolken hüllt das Kreuz sich ein,

Und die Waldblume hört zu duften auf.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 59-60.
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